SONDERTEIL
DIGITALE PLATTFORM-
ÖKONOMIE
IoT - Infrastruktur - Geschäftsmodelle
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E-PAPERSONDERTEILE, BRANCHENSPECIALS, THEMENSCHWERPUNKTE
| PLATTFORMÖKONOMIESTUDIE
IT&Production 4/2019
Beispiele für digitale Plattformen fin-
den sich in vielen Branchen. Die be-
kanntesten sind sicherlich Handels-
plattformen wie Amazon oder Social-
Media-Plattformen wie Facebook. Im öf-
fentlichen Sektor sind solche Ansätze hin-
gegen noch wenig verbreitet, wobei Mobi-
litätsplattformen — z.B. Carsharing — eine
Ausnahme bilden. Wie aus einer Studie des
Beratungsunternehmens Sopra Steria her-
vorgeht, ist die Bedeutung digitaler Platt-
formen allerdings in Unternehmen und Ver-
waltungen angekommen: 93 Prozent der
Studienteilnehmer schätzen die Bedeutung
digitaler Plattformen als ‘hoch‘ oder ‘sehr
hoch‘ ein, sieben Prozent messen der The-
matik eine mittlere Bedeutung zu. Grund-
lage der Erhebung bildeten ein Experten-
Workshop, Experteninteviews sowie eine
Online-Befragung. Die Interviewpartner
stammten dabei aus Großunternehmen,
Startups und Behörden.
Ein besonderes Geschäftsmodell
Plattformen – unabhängig von ihren Aus-
prägungen – sind ein besonderes Ge-
schäftsmodell. Es handelt sich nicht um
einen traditionellen digitalen Kanal oder
einen weiteren Service. Aus den Beispielen
und Expertengesprächen, die im Rahmen
der Studie durchgeführt wurden, gingen
fünf Faktoren für den Erfolg von Plattfor-
men hervor: Sie sind serviceorientiert, ska-
lierbar, datengetrieben, offen und agil.
Diese Erfolgsfaktoren müssen in alle Rich-
tungen umgesetzt werden – Richtung Kun-
den, in Richtung der Partner, die die Platt-
form mit ihren Angeboten erweitern, sowie
in Richtung des Unternehmens, das die
Plattform betreibt. Letzteres ist besonders
wichtig: Ein Plattformgeschäftsmodell kann
in Konflikt oder sogar in Konkurrenz zu be-
stehenden Produkten und Dienstleistungen
geraten. Daher ist die Umsetzung der Er-
folgsfaktoren auch intern durchzusetzen.
Unterschiedliche Grundmuster
Trotz gemeinsamer Erfolgsfaktoren wird
der Begriff ‘Plattform’ in der Praxis sehr un-
terschiedlich verwendet. Erfolgreiche Platt-
formen sind oftmals komplexe Kombinatio-
nen von Dienstleistungen. In der Sopra-Ste-
ria-Studie wurden daher vier Grundmuster
von Plattformen identifiziert, die jeweils
eine Ausprägungsform beschreiben, in rea-
len Plattformen aber durchaus kombiniert
werden. Alle Grundmuster bauen auf den
Digitale Plattformen
78%
47%
38%
34%
31%
31%
22%
9080706050403020100
Herausforderungen für die Auswahl und Teilnahme an einer digitalen Plattform
Was sind die größten Herausforderungen für die Auswahl und Teilnahme an einer digitalen Plattform? (n = 33)
Bild
: Sop
ra S
teria
Ein Begriff, viele Bedeutungen
Digitale Plattformen stehen branchenübergreifend auf der Liste der strategischen Top- Themen für Geschäftsführer und Vorstände. Inspiriert vom Erfolg der großen Internetplatt-formen und getrieben von Entwicklungen in der eigenen Branche stecken Unternehmen derzeit die Claims im Plattformwettbewerb ab. Betroffen sind alle Unternehmen.
PLATTFORMÖKONOMIE | STUDIE
IT&Production 4/2019
Die Abbildung zeigt, wie sich Plattformen mit der Zeit entwickeln.
gleichen Erfolgsfaktoren auf, prägen aber
unterschiedliche Produktvisionen für die
Etablierung von Plattformen aus. Leistungs-
bezogene Grundmuster leben von der be-
sonderen Dienstleistung, die eine Plattform
bereitstellt und die sich vom Markt erfolg-
reich differenziert. Dazu zählen die mobili-
sierende Vermittlung und kombinierbare
Bausteine. Die mobilisierende Vermittlung
beschreibt, wie mit einem Marktplatz das
Matchmaking, also das gegenseitige digi-
tale Auffinden von Konsumenten und An-
bietern, ermöglicht wird. Digitale Plattfor-
men dieser Art unterstützen anschließend
die Transaktionen und verlangen für die
Vermittlung und die Unterstützung der
Transaktion ein Entgelt. Ein Erfolgsfaktor für
Plattformen als Vermittler ist die überle-
gene – und das heißt oftmals die extrem
einfache – Umsetzung werthaltiger, digita-
lisierbarer Transaktionen. Amazon hat dies
beispielsweise als Pionier der ‘1-Klick-Be-
stellung’ vorgemacht. Ein zweiter Erfolgs-
faktor ist die sehr große Wahlmöglichkeit
für Kunden. Dafür ist es entscheidend, in
hohem Maße externe Akteure zu mobilisie-
ren, die ihre jeweiligen Angebote auf der
Plattform verfügbar machen. Es zeigt sich,
dass die Chancen für Plattformen als mobi-
lisierende Vermittler dort liegen, wo große
Heterogenität im Markt besteht, also die
Angebotsseite von sehr vielen (möglichen)
Anbietern gekennzeichnet und auch die
Kundenseite ähnlich strukturiert ist. Typisch
für dieses Plattformgrundmuster ist aber
auch, dass die eigentliche Leistungserstel-
lung nicht von der Plattform vollzogen
wird. Dadurch werden einerseits Chancen
für die Beteiligung externer Akteure ge-
schaffen, aber gleichzeitig auch wesentli-
che Risiken der Leistungserstellung auf
diese abgewälzt. Die Plattform selbst kann
somit auf die digitalisierbaren und skalier-
baren Teile der Wertschöpfung fokussiert
werden. Innovation auf der Angebotsseite
ist ein Kennzeichen neuerer Plattformen.
Sie machen sich die Möglichkeit digitaler
Kanäle für die Mobilisierung neuer Ressour-
cen und Akteure zunutze, die bislang nicht
oder nur unzureichend in die Wertschöp-
fung einbezogen waren. Bekannte Beispiele
sind Uber und Airbnb.
Nicht nur Angebotsvermittler
Angebote müssen dabei nicht ausschließ-
lich von externen Part nern kommen. Die
Anbieter einiger Marktplätze vermitteln
nicht nur Leistungen und Produkte anderer,
sie sind dort auch mit eigenen Angeboten
präsent. Eine wesentliche Herausforderung
ist dabei aber eine nachvollziehbare Struk-
tur, wie das Plattformmodell von den eige-
nen Angeboten abgegrenzt wird, sonst
droht ein Verlust des Vertrauens in die
Plattform auf Seiten der externen Partner.
Bausteine kombinieren
Ein weiteres Grundmuster kennzeichnet
Plattfor men, die kombinierbare Bausteine
bieten. Damit können Kunden eigene Pro-
dukte und Dienstleistungen auf den Kom-
ponenten der Plattform aufbauen. Dazu
werden modulare digitale Dienstleistun-
gen bereitgestellt, die die Realisierung
von anderen Produkten und Dienstleis-
tungen erleichtern. Dies ist beispielsweise
typisch für Cloudplattformen, die ihren
Kunden skalierbare Software und Basis -
dienste bereitstellen, wie dies z.B. durch
Amazon Web Services oder Microsoft
Azure geschieht. Ähnliche Ansätze ent-
stehen gerade im Umfeld des Internets
der Dinge, wo Anbieter wie Siemens mit
der MindSphere-Plattform Bausteine für
die Realisierung von vernetzten IoT-Lö-
sungen bereitstellen. Wesentlicher Faktor
ist hier, dass geschützte Bereiche für un-
terschiedliche Kunden realisiert werden
(Mandantenfähigkeit). Die Platt formen
differenzieren sich durch die Leistungsfä-
higkeit der Dienste, wettbewerbsfähige
Preise und Vernetzungsmöglichkeiten.
Produkte erweitern
Zunehmend werden auch Produkte mit
einer digitalen Plattform erweitert, um
über diese Plattform Zugriff auf Dienstleis-
tungen des Herstellers und weiterer An-
bieter zu erhalten. Produkte, die über eine
solche Plattform zusätzliche Möglichkei-
ten erhalten, sind zum Beispiel Fahrzeuge
oder Maschinen. Eine Plattform stellt
dabei die Verbindung zu Cloud-Diensten
her oder ermöglicht den Zugang zu soft-
warebasierten Erweiterungen. Der we-
sentliche Treiber für den Erfolg liegt dabei
in der Zahl der Produkte und Anlagen, die
sich bei Kunden im Einsatz befinden. Eine
große installierte Basis verschafft einer
solchen Plattform eine entsprechend
große Reichweite, wodurch die Entwick-
lung und der Betrieb der Plattform selbst,
aber auch von Zusatzdiensten für den
Plattformbetreiber wie auch für Partner
attraktiv werden. Während im privaten
und unternehmerischen Umfeld unter an-
derem Maschinen, Endgeräte, Autos oder
LKWs durch eine Plattform erweitert wer-
den können, besteht im öffentlichen Sek-
tor die Möglichkeit, physische Infrastruk-
tur durch die Anbindung an eine Plattform
mit erweiterten Fähigkeiten auszustatten.
Kunden binden
Im Grundmuster Erweiterbare Konversa-
tion werden wiederum Bestrebungen zu-
sammengefasst, durch Unterstützung all-
täglicher Konversationsprozesse beson-
ders intensiv genutzte Dienste zu etablie-
ren und zum Scharnier für digitale Dienste
auszubauen. Der Begriff Konversation Um-
fasst dabei Soziale Medien, Messenger
sowie Sprachassistenten. Eine besonders
Anzahl digitaler
Plattformen
Reifegrad digitaler
Plattformen
IoT-Platt-
formen
Mobile Betriebs-
systeme + App-Stores
Industriespezifische
Plattformen
Banken/Versicherungen
Wachstum Konsolidierung
Bild
: Sop
ra S
teria
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IT&Production 4/2019
Kompetenzen für den erfolgreichen Aufbau digitaler Plattformen
Wie wichtig sind die folgenden Kompetenzen für den erfolgreichen Aufbau einer digitalen Plattform? (n=32)
25%53%22%
28%47%25%
31%50%19%
45%45%10%
52%48%
53%38%9%
55%42%3%
56%38%6%
63%34%3%
Weniger wichtig Wichtig Sehr wichtig
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Bild: Sopra Steria 97 Prozent der Befragten sehen die Geschäfts -modellentwicklung als wichtigste Kompetenz an, wenn es um den Aufbau digitaler Plattformen geht.
interessante oder hilfreiche Konversation
kann Zeit und Aufmerksamkeit von Nut-
zern binden. Zentraler Erfolgsfaktor ist
dabei die Bindungskraft für Individuen. Je
größer die Nutzerzahl und je besser die
Bindungswirkung, umso mehr können kon-
versationale Dienste Plattformcharakter
bekommen und als Gatekeeper in andere
Dienste hineinwirken.
Plattformaufbau
Unternehmen, die eine digitale Plattform
aufbauen wollen, stehen häufig vor der He-
rausforderung, die Auswirkungen der Platt-
form auf das bisherige Kerngeschäft
abzuschät zen. Finanziell ist abzuwägen, ob
die zu erwartenden Provisionsgebühren für
die Vermittlung an andere Dienst leister die
Erträge aus dem Vertrieb des eigenen An-
gebots übersteigen. Ferner sind auch die
Auswirkungen auf die Markenwahrneh-
mung beim Kunden zu berücksichtigen. Die
strategischen Ziele, die Unternehmen mit
digitalen Plattformen verfolgen, sind durch-
aus unterschiedlich. Während einige darauf
abzielen, ihr bestehendes Produktangebot
durch den Aufbau einer Plattform und die
Integration von Partnern auszubauen und
aufzuwerten, steht bei anderen Unterneh-
men das Interesse an der ressourcenscho-
nenden Einnahme von Transaktionsgeldern
im Vordergrund. Darüber hinaus gibt es Bei-
spiele bestehender Großunternehmen, die
eine Transformation ihres gesamten Ge-
schäftsmodells hin zu einem plattformba-
sierten Modell vollziehen. Während eine di-
gitale Plattform für manche Unternehmen
ein zusätzlicher Distributionskanal ist,
sehen andere Unternehmen digitale Platt-
formen als Kern ihrer Gesamtunterneh -
mensstrategie. Laut der Umfrage verstehen
57 Prozent der Befragten die digitale Platt-
form als Gesamtunternehmensstrategie
oder als neues Geschäftsfeld. Für 23 Pro-
zent ist die digitale Plattform ein neuer Ser-
vice bzw. ein neues Produkt und für 14 Pro-
zent ein zusätzlicher Distributionskanal.
Unternehmen als Plattformpartner
Wenn Unternehmen sich dagegen ent -
scheiden, eine digitale Plattform selbst auf-
zubauen, sollten sie dennoch genau prüfen,
wie sie sich strategisch als Partner auf an-
deren Plattformen einbringen und von die-
sen profitieren können. Denn auch Unter-
nehmen, die nicht bewusst eine Entschei-
dung treffen, als Partner auf Plattformen
aktiv zu werden, müssen sich oft damit
auseinandersetzen, dass sie sich in dieser
Rolle wiederfinden. Damit Unternehmen
davon profitieren können, gilt es, relevante
Plattformen zu identifizieren, auszu wählen
und die eigenen Prozesse mit der bzw. den
ausgewählten Plattformen bestmöglich zu
ver binden. Als Partnerunternehmen muss
man sich z.B. den Regeln des Plattformeig -
ners unterwerfen, leistet mit seinen Pro-
dukten aber auch einen Beitrag zum Funk-
tionieren der Plattform insgesamt. Beispiele
dafür sind etwa der Apple App Store oder
der Google Play Store.
Plattformwettbewerb
Folgt man der Literatur zu digitalen Platt-
formen, kann es im Falle eines erfolgrei-
chen Aufbaus gelingen, eine Quasi-Mono-
polstellung zu erlangen. Wesentlicher
Grund für diese Entwicklung sind die seit
langem bekannten Netzwerkeffekte, die
dazu führen, dass sich im digitalen Wettbe-
werb oft ein führendes Unternehmen he-
rausbildet. Für Kunden, Partner und Ser-
vice-Provider einer Plattform sind vor allem
die führenden Plattformen attraktiv, da sie
dort auf die größtmögliche Zahl an Kunden
bzw. Anbietern von Leistungen treffen. Die
mit einer Quasi-Monopolstellung verbun-
denen Möglichkeiten der Umsatz- und Ge-
winnerzielung sind derart verlockend, dass
sie oft ein Antrieb sind, eine digitale Platt-
formstrategie zu entwickeln und umzuset-
zen. Die Wettbewerbssituation ist derzeit
je nach Branche und Art der Plattform sehr
unterschiedlich. So ist es nicht verwunder-
lich, dass in vielen Branchen ein intensiver
Wettbewerb um den erfolgreichen Aufbau
digitaler Plattformen tobt bzw. zu erwarten
ist. Während die Entwicklung indust-riespe-
zifischer Plattformen in der Banken- und
Versicherungsbranche noch am Anfang
steht, haben Kunden im Bereich der IoT-
Plattformen bereits eine große Angebots-
palette, aus der sie auswählen können. Der
Wettbewerb wird zudem durch weitere
Faktoren beeinflusst, wie beispielsweise Ju-
ristische Interventionen. Zusammenfassend
zeigt sich, dass die grundlegenden Mecha-
nismen digitaler Plattformen nach einer
Wachstumsphase vielfach zu einer starken
Konsolidierung geführt haben. In der Ent-
stehungsphase ist oft ein intensives Ringen
um Kunden und Anbieter zu beobachten,
wobei teilweise erhebliche Sum men für
das Marketing aufgewendet werden.
Selbst nach einer Konsolidierungsphase
gibt es Möglichkeiten, beste hende Plattfor-
men anzugreifen und ihre beherrschende
Stellung infrage zu stellen. Zukünftig rech-
nen die Studienautoren sowohl innerhalb
von Branchen als auch branchenübergrei-
fend mit einem zunehmenden Wettbe-
werb unter Plattformanbietern. ■
Mit Material von Sopra Steria Consulting.
www.soprasteria.com
PLATTFORMÖKONOMIE |
Sein oder Nichtsein, das ist hier die
Frage… Oder vielmehr: Das könnte
sie bald sein, für den einen oder
anderen Marktteilnehmer, wenn er den
Weg der digitalen Transformation nicht
beschreitet. Darin scheinen sich die meis-
ten Experten einig. Denn mit der Digita-
lisierung eng verbunden ist die Disrup-
tion, das ist der böse Schurke auf der
Bühne, der alles Traditionelle vernichten
wird. Für Wolfgang Blome von der Unter-
nehmensberatungsfirma Blome und Part-
ner ist klar: „Die Erfolge der Vergangen-
heit geben keine Auskunft über die Er-
folge in der Zukunft, denn die Innovati-
onsfähigkeit eines Unternehmens in der
Vergangenheit ist nicht die der Zukunft.”
Der Grund dafür, so erklärt Blome, liegt
vor allem darin, dass die Innovationsfä-
higkeit von erfolgreichen Unternehmen
bis in die Gegenwart hinein darin be-
steht, vorhandene Produkte in einem
vorhandenen Geschäftsprozess stetig
durch Neuheiten zu verbessern. Gele-
gentlich wurden diese durch innovative
Produkte im gleichen Geschäftsprozess
ergänzt. „Die Digitalisierung hingegen
GESCHÄFTSMODELLE
IT&Production 4/2019
Drama oder Komödie?Digitalisierung im Maschinen- und Anlagenbau
Chancen der Digitalisierung
Bild: Blome + Partner
Wäre die Digitalisierung der Industrie ein Theaterstück, wandelte sich das Bühnenbild ohne Pause. Hauptdarsteller wäre der Produzent, der seine Geliebte (eine zur Individuali-sierung neigende Kundschaft) an sich binden will. Die Handlung triebe das unsichtbare, neutrale Wesen namens Internet voran, das zwar große Chancen verspricht, dafür aber Tribut verlangt. Der Schurke Disruption hingegen bedroht alle und fordert unerbittlich seine Opfer. Wie sich Firmen diesen Bösewicht vom Hals halten können, hat Unterneh-mensberater Wolfgang Blome unserem Kollegen Kai Binder vom SPS-MAGAZIN dargestellt.
Kontinuierliche Verbesserung durch den digitalen Zwilling
verschiebt die Anteile der aktuellen ‘Pro-
duct Value Proposition’ (VP) - als der
Produkterwartung bzw. ‘Nutzen’-Erwar-
tung bei OEM und Endkunden: Sie for-
dert ein neues, innovatives Geschäfts-
modell mit einer neuen Value Proposi-
tion. Dafür muss der Innovationsbegriff
im Unternehmen neu gedacht werden.”
Neues Denken beginnt beim Endkunden
Die Herausforderungen, die die Digitali-
sierung für produzierende Unternehmen
mit sich bringt sind nicht mit einem Satz
gesagt und schon gar nicht sind sie mo-
nokausal. Vielmehr entsteht durch die Di-
gitalisierung eine Fülle an neuen Möglich-
keiten und Wünschen, die in einen gan-
zen Strauß an Herausforderungen, der,
bedingt durch den Wunsch der Verbrau-
cher nach immer mehr individualisierten
Produkten, mündet, erläutert Blome. Hie-
rin sieht er auch den Grund dafür, dass so
viele Unternehmen von sich behaupten,
bereits ‘Digital’ zu sein, ohne jedoch ihre
grundlegende Denkweise oder gar das
bekannte Geschäftsmodell geändert zu
haben. Und er gibt hierfür auch gleich ein
Beispiel: „Die Erwartungen der Kunden
führen heute zu einer immer weiter stei-
genden Zahl an individualisierten Pro-
duktvarianten und das erzeugt die Forde-
rung nach Losgröße 1. Will man diese
wirtschaftlich produzieren, müssen Ver-
kaufs- und Produktionsprozesse vertikal
integriert sein. An dieser Stelle arbeiten
bereits viele Unternehmen, doch das
allein stellt nur einen kleinen Teilaspekt
der Digitalisierung dar. Die höheren Vari-
antenzahlen führen zu rückläufigen stan-
dardisierten Serien-Stückzahlen, was die
Skaleneffekte der Produktivität negativ
beeinflusst. Dies bekommt man techno-
logisch nur durch hochflexible Ferti-
gungstechnologien in Form von modula-
ren Maschinen, Anlagen, aber vor allem
deren intelligenter Vernetzung gelöst”,
erklärt Blome. Weiter erklärt er: „Demzu-
folge ist die datentechnische Integration
zu einer wichtigen Aufgabe im Ferti-
gungsumfeld geworden. Zusätzlich kann
eine erhöhte Produktivität durch hohe
Verfügbarkeit und Transparenz der Ma-
schine ihren Beitrag zum Erfolg leisten.
Dafür können Unternehmen z.B. moderne
Technologien wie Augmented Reality
oder KI nutzen.” Als vierten (Schlüssel)-
Punkt, bezüglich der Herausforderungen
für eine erfolgreiche Transformation der
Digitalen Technologien, nennt Blome die
Fähigkeit von Unternehmen, schneller
auf Markttrends reagieren zu können,
indem CAD- bzw. PLM-Daten nahtlos
einerseits in die Produktion und anderer-
seits in die Verkaufsplattformen (Cloud)
überführt werden können.
Die Bedeutung des digitalen Zwilling
Gerade der letzte Punkt liegt Blome be-
sonders am Herzen, denn die Semantik
von CAD- und PLM-Daten werden zuneh-
men zum eigentlichen Asset, weil sie die
Basis bilden für den digitalen Zwilling, der
wiederum die Grundlage für das Produkt-
design und eine kundenspezifische Konfi-
guration ist. Zudem trägt der digitale
Zwilling die zentralen Informationen zu
seiner Verdinglichung – also schlicht zu
seiner Produktion – in sich. „Neben dem
Produkt-Zwilling gibt es noch den Pro-
duktionsmittel-Zwilling und den Produk-
tionsprozess-Zwilling. Sie alle bilden die
Grundlage der physischen Realisierung
eines Produktes, bieten darüber hinaus je-
doch noch zahlreiche Möglichkeiten, z.B.
die Simulation vor der tatsächlichen Pro-
duktion”, erläutert Blome. Die Lücke zwi-
schen Produktdesign und Herstellung zu
schließen wird aus Sicht Blomes zu einer
der wichtigsten Digitalisierungsaufgaben
von Fertigungsunternehmen. Damit wer-
den der digitale Zwilling und die Cloud-
ökonomie zu den entscheidenden Anker-
technologien für die Digitalisierung.
Digitalisierung aus Sicht der Produkthersteller
Digitalisierung bedeutet allerdings nicht
für jedes Unternehmen dasselbe, erklärt
Blome: „Für Produkthersteller ist die Digi-
talisierung eine Chance, neue Einnahme-
quellen aus dem Internet zu generieren.
Dafür werden die Funktionen der physi-
schen Produkte um digitale Services aus
der Cloud ergänzt. Es entstehen ‘smarte’
Produkte. So erweitert die Digitalisierung
das mögliche Portfolio. Um die Chancen
der Digitalisierung zu nutzen, müssen sich
Unternehmen Wechselpotenzial (Gewin-
nung von neuen Kunden) durch Netzwerk-
effekte mit Cloud-Services erarbeiten.”
Was Blome unter Netzwerkeffekten ver-
steht, ist schnell veranschaulicht: Die zen-
trale Steuerung eines Heizkessels wird in-
ternetfähig und generiert fortan aus die-
sem Netzwerk von Usern entsprechende
Daten, aus denen der Hersteller wiederum
ein Geschäftsmodell entwickeln könnte –
lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf…
Von Skaleneffekten zu Netzwerkeffekten
Die Digitalisierung ist jedoch nicht die
einzige Aufgabe für Unternehmen, erläu-
| PLATTFORMÖKONOMIEGESCHÄFTSMODELLE
IT&Production 4/2019
Bild
: Blo
me
+ Pa
rtne
r
tert Blome: „Um gleichzeitig in der Ist-
Welt weiter erfolgreich zu sein, sind pro-
duzierende Unternehmen darauf ange-
wiesen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu si-
chern, indem sie ihre Skaleneffekte durch
Produkte, neue Ideen und Neuheiten im
bekannten Geschäft steigern. Beide Pro-
zesse sind bis auf Weiteres parallel not-
wendig, damit sie heute und in Zukunft
erfolgreich sein können – deshalb müs-
sen die meisten der aktuell bestehenden
Geschäftsmodelle für den Erfolg mit der
Digitalisierung erweitert und angepasst
werden. Eines ist sicher”, so Blome wei-
ter: „Skaleneffekte allein generieren in
Zukunft kein ausreichendes Wachstum
mehr – der Schlüssel ist ein neues Den-
ken: Um mit Netzwerkeffekten aus den
Cloud-Services zu wachsen, gilt es, eine
neue Value Proposition – also ein Digita-
les Nutzenangebot an OEM und Endkun-
den – zu erarbeiten. Dieses Angebot ver-
schiebt sich von den aktuellen Produkten
hin zu internetfähigen Produkten: Indem
ein Unternehmen eine Plattformstrategie
passend zu seinen Kunden entwickelt,
schafft es die Möglichkeit, das Innovati-
onspotenzial der Cloud-Ökonomie als
echten Wachstumshebel zu nutzen”, ist
sich Blome sicher.
Digitalisierung aus Sicht der Automatisierung
Auf die wachsende Digitalisierung des Pro-
duktionsprozesses müssen sich auch die
Automatisierungstechnik und der Maschi-
nen- und Anlagenbau einstellen. Während
die Prozesse in der Maschine oder Anlage
selbst schon seit Jahrzehnten digital per
SPS und IPC gesteuert werden, sind Stan-
dards für die M2M-Kommunikation in vie-
len Bereichen gerade erst am Entstehen.
Die Cloud spielt dabei eine zunehmend
wichtige Rolle. Mit ihr betreten neue Ak-
teure die Bühne, die sich besser mit IT als
mit SPSen auskennen. Sämtliche Internet-
größen bieten Plattformen für produzie-
rende Unternehmen. Sie haben zwar kei-
nerlei Ahnung von der Produktion von Din-
gen, dafür umso mehr von neuen Ge-
schäftsmodellen und deren (Internet-)Ver-
marktung. Zudem sind sie im Bereich der
Datenanalyse seit Jahren zu Hause und
können hier Services anbieten, die kein Au-
tomatisierer heute liefern kann. Blomes
These: In der Zukunft schwinden beste-
hende Erfolgsgrundlagen der Automatisie-
rer, weil die Digitalisierung die Anteile in-
nerhalb der bekannten Produkt-Value Pro-
position – wie gezeigt – zugunsten der In-
ternet-Dienstleister verschiebt. Das wird
zur Herausforderung für die Automatisierer,
weil die Digitalisierung vormals stark diffe-
renzierend wirkende Bestandteile der Pro-
dukt-Value Proposition zu standardisierten
(Commodity-)Produkten macht.
Wer bekommt die Geliebte?
Die Erfahrungen, die Blome in den vergan-
genen Jahren in vielen Projekten gewonnen
hat, sprechen eine klare Sprache, erzählt er:
„Bis auf wenige Ausnahmen denken die Un-
ternehmen immer noch wie gewohnt wei-
ter von innen nach außen – also vom Pro-
dukt zur Anwendung, auch wenn die Mar-
keting-Botschaft was anderes signalisiert.
Stattdessen wäre eine Denkweise von
außen nach innen notwendig – also vom
Endkunden bzw. Betreiber über den Prozess
bis zum Produkt. Viele Unternehmen sind in
ihren Innovationsbemühungen oft Gefan-
gene der bestehenden Kundschaft”, erklärt
der Unternehmensberater. „Was ebenfalls
auffällt ist, dass die eigenen Produkte häufig
nicht aus der Sicht der Wirkung (Anwender
Nutzen), sondern aus der Sicht der aktuel-
len Stärke der Wettbewerbsfähigkeit be-
trachtet werden. Und man macht momen-
tan mit aktuellen Produkten einfach noch
PLATTFORMÖKONOMIE | GESCHÄFTSMODELLE
IT&Production 4/2019
Digitales Wirkungsmanagement
Digitales Wirkungsdenken bedeutet vom Geschäftsmodell her zu denken und beschreibt, welche Veränderungen notwendig sind, damit ein Unternehmen aus dieser Sicht
heraus agiert und damit fit wird für die neuen Herausforderungen. Top-down vom Geschäftsmodell her in die Technik hinein zu denken bedeutet, sich zu überlegen, was man
mit den Möglichkeiten der Digitalisierung an Kundennutzen erzeugen und wie man dadurch Geld verdienen kann. Damit
kommt man automatisch zum Wirkungsmanagement, also der Umsetzung. Die
sechs Schritte des digitalen Wirkungsmanagements geben eine konkrete und
pragmatische Anleitung zur Umsetzung für die Digitalisierung der Produkte des
Unternehmens (Außenwirkung).
Die sechs Schritte lauten:
1. Die relevanten neuen technologischen Möglichkeiten und
die Implikationen für das eigene Unternehmen genau verstehen
2. Das Value-Proposition-Brainstorming
3. Das Geschäftsmodell entwerfen
4. Die Ziel-Anwendungsfälle definieren
5. Das Abhängigkeitsmodell der Disziplinen Mechanik – Elektrik – Elektronik
– Software und Service entwerfen
6. Das Betriebs- und IoT-Management definieren.
Die sechs Schritte für das digitale Wirkungsmanagement gibt es auch für die
Entwicklung der internen Prozesse – also bei der Beantwortung der Frage, wie
man das Unternehmen im Inneren fit macht für den digitalen Zwilling. ■
om Geschäftsmodell her in die Technik hinein zu denken bedeutet, sich zu überlegen, was man
man dadurch Geld verdienen kann. Damit
Bild
: Blo
me
+ Pa
rtne
r
zu viel Geld.” Bedeutet dies nun, um in der
Sprache des Theaters zu bleiben: ‘Da steh’
ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als
wie zuvor!’? „Sicher nicht”, sagt der Unter-
nehmensberater: „Die Digitalisierung wird
unbewusst vom Endkunden, dem Konsu-
menten, vorangetrieben. Produzenten, Ma-
schinenbauer und Automatisierungsunter-
nehmen müssen daher Prozesse in Gang
setzen, die ihre Zukunftsfähigkeit sichern.”
Wie aber sollten Unternehmen die Digitali-
sierung gestalten, frage ich den Unterneh-
mensberater: „Dafür verwenden wir die
Methode des ‘Digitalen Wirkungsmanage-
ments’, erläutert er. “Sie setzt auf der Ebene
des Geschäftsmodells an und besteht aus
sechs Schritten (siehe Grafik). Das ‘Digitale
Wirkungsmanagement’ gibt eine konkrete
und pragmatische Anleitung zur Umset-
zung und Transformation für die Digitalisie-
rung der Produkte eines Unternehmens
und für die Digitalisierung der Produkt-Her-
stellungsprozesse. Als ‘Digitale Berater’ be-
halten wir bei der Umsetzung die Kernauf-
gabe der Digitalisierung, neue Services aus
der Cloud zu generieren, immer im Fokus
und nehmen dabei die Perspektive von
OEM und Endkunde ein. Das ‘Wirkungsma-
nagement’ lässt sich im übrigen nicht nur
für die neuen Produkte und Lösungen, son-
dern auch für die Digitalisierung der inter-
nen Prozesse verwenden”, erklärt Blome.
Digitalisierung hat wie eingangs erläutert
viele Facetten im Unternehmen. Woher
wissen die Verantwortlichen, an welcher
Stelle sie beginnen sollen? Blome hat da-
rauf eine klare Antwort: „Es beginnt meiner
Meinung nach immer mit der Definition des
Geschäftsmodells und einer neuen Value
Proposition.” Der Weg in die Digitalisierung
sollte also mit der Frage beginnen: „Was
können wir aus den neuen Möglichkeiten
der Digitalisierung, des Cloud Computing,
KI, AR usw. für unsere Kunden erdenken,
was diese heute noch nicht tun?” Die Ant-
wort auf diese Frage bildet die Grundlage
für weitere Managemententscheidungen,
die die Weichenstellung ins digitale Zeital-
ter bilden. Als Digitalberater nutzen wir un-
sere Kompetenz und Anwendungserfah-
rung aus der Praxis zur Digitalisierung und
Transformation und können Unternehmen
daher helfen, die üblichen Fehler zu ver-
meiden. Die Neudefinition der Value Pro-
position führt erfahrungsgemäß zur Nut-
zung eines neuen Cloud-Ökosystems im
Unternehmen, das direkt dem Kunden zur
Verfügung steht. Jetzt fehlt noch der digi-
tale Zwilling. Er ist der eigentliche Kern der
Digitalisierung. Wenn das Cloud-Ökosys-
tem mit seinen Services und Dienstleis-
tungsprodukten direkt dem Nutzer (z.B.
Endkunden) zur Verfügung steht, verän-
dert der digitale Zwilling grundlegend die
interne Wertschöpfungskette. Als virtuelles
Abbild von Produkt, Produktion und Per-
formance verbessert er die Flexibilität und
erhöht das neue OEE. Zusammen sind
Cloud-Ökosystem und digitaler Zwilling die
Basis für das neue digitale Geschäftsmo-
dell und schaffen die Voraussetzung für die
Entwicklung der Zukunfts-Value Proposi-
tion eines Unternehmens. (kbn) ■
www.blomepartner.de
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Mit der Digitalisierung eröffnen sich neue Ansätze, wie IT im
Unternehmen genutzt wird – weg von der starren Software -
implementierung, hin zu Plattformarchitekturen. Am Beispiel
PDM/PLM-Systeme: Heute ist ein Unternehmen mit seiner neu
implementierten Software für CAD-Datenverwaltung vielleicht
noch zufrieden, morgen aber hat es schon ganz andere Anfor-
derungen an Collaborative PLM, Aufgabenmanagement etc.
Die Lösung ist eine Digitalisierungsplattform. Mit ihr kann man
klein anfangen und bei Bedarf schrittweise immer weitere
Funktionen hinzuschalten. Product- and Document Lifecycle
Management Softwareanbieter PROCAD stellt mit PRO.FILE
eine solche Plattform zur Verfügung. Das Architekturkonzept
richtet sich gezielt an Unternehmen im technischen Umfeld mit
ihren perspektivisch wachsenden Anforderungen an PLM und
Digitalisierung. Es unterstützt den No Code/Low Code-Ansatz
„Konfiguration statt Programmierung“, der den Aufwand für IT
reduziert sowie eine iterative Einführung und gleichzeitig über
umfangreiche API eine Add-on-Programmierung erlaubt.
Basis der Plattform ist ein Product Data Backbone, das Informa-
tionen aus allen am Produktlebenszyklus beteiligten Abteilungen
aufnimmt und abgibt. Darauf aufbauend können Best-Practice-
Prozesse, Dokumentenaustausch und weitere Anwendungen
hinzugeschaltet werden. Nach dem Plug&Play-Prinzip werden
somit sowohl kleine, mittelständische als auch große Unternehmen
in die Lage versetzt, auf ein skalierbares PDM/PLM/ DMStec-
Anwendungsangebot zuzugreifen, ohne sich von vorn herein
festlegen zu müssen.
Bild
: Pro
cad
GmbH
& C
o. K
G
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der neuen Generation
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DIGITALE PLATTFORMÖKONOMIE |
SSelbst großartige Ideen können sich
nur dann entfalten, wenn die Zeit
dafür reif ist. Erfindungen oder Inno-
vationen benötigen das richtige Geschäfts-
umfeld und geeignete soziale und wirt-
schaftliche Bedingungen, um halten zu
können, was sie versprechen. Damit bahn-
brechende Konzepte auch im Alltag Erfolg
haben, bedarf es kreativer Köpfe. Seit über
zehn Jahren weist Karl-Heinz Streibich, Vor-
standsvorsitzender der Software AG, da-
rauf hin, dass die europäische Software-
branche dem Vorbild von Airbus oder Star
Alliance folgen müsse, um in die erste Liga
aufzusteigen. Europa muss seine IT-Stärken
bündeln, wenn es eine weltweit führende
Rolle beim Thema Digitalisierung spielen
wolle. “Es braucht kein zweites Silicon Val-
ley, damit Europa von einer florierenden
Softwarebranche mit großer globaler
Reichweite profitieren kann. Wir halten den
Schlüssel zum Erfolg, von dessen Ausmaß
die europäische Softwareindustrie bislang
nur träumen konnte, selbst in Händen: Er
liegt in unserem industriellen und techni-
schen Erbe”, sagt Streibich. Mit der Grün-
dung von Adamos, kurz für Adaptive Ma-
nufacturing Open Solution, ist im Septem-
ber letzten Jahres eine globale Allianz inter-
nationaler Maschinenbauern entstanden,
die gemeinsam mit der Software AG den
Markt des Industrial Internet of Things
(IIOT) erschließen will. Teilnehmer sind die
Unternehmen ASM Pacific Technology,
DMG Mori, Dürr, die Software AG und
Zeiss. Die aus Deutschland, Singapur und
Japan stammenden Unternehmen wollen
künftig ihre Kompetenzen auf den Feldern
Informationstechnologie (IT) und ‘Operatio-
nal Technology’ (OT) – also digitale Technik,
um Anlagen zu steuern und zu überwach-
sen – mit Branchenwissen im Maschinen-
bau kombinieren. Die Initiatoren wollen die
Adamos-Plattform als Standard für IIoT-An-
wendungen im Maschinenbau etablieren.
Markt und Technik sind bereit
Der Zeitpunkt für den Start von Adamos ist
nach Auffassung Streibichs genau richtig.
Die Technologie verändert die Welt der In-
dustrie zunehmend schneller. Die digitale
Revolution und Innovation gepaart mit der
fortschreitenden Nutzung immer intelligen-
terer Softwares, Geräte und digitaler Sen-
soren, bildet die Ausgangsbasis. Hinzu kom-
men die Globalisierung der Softwareindus-
trie und die Bedrohung angestammter
Märkte durch junge Unternehmen, die im
digitalen Zeitalter haben entstanden und
bereits die Aktienmärkte beherrschen. Ver-
stärkt wird die Dynamik durch die Notwen-
digkeit, sich die Kompetenz im Bereich der
Unternehmenssoftware-Architekturen zu-
rückzuholen und damit einen jahrzehnte-
langen Trend umzukehren – umso den
Fortschritt in den Bereichen der künstlichen
Intelligenz auszubauen. Eine komplexes
und konvergierendes Technologiethema,
dem Unternehmen lauf Streibich größte
Aufmerksamkeit widmen sollten.
Industrie 4.0 als Technikpaket
Ein weiterer Grund für die Gründung von
Adamos ist es, dass die Geschäftschancen
im IIoT immer deutlicher zu erkennen sind.
Das verdeutlicht der Blick auf beide Späh-
ren der digitalen Industrie: Die IT liefert
Benutzeroberflächen, Kunden-Feedback,
Stimmungsanalysen. Sie integriert externe
Datenquellen, analysiert Geschäftsereig-
Adamos – Adaptive Manufacturing Open Solution
MASCHINENBAU
IT&Production 3/2018
Bild: Software AG
Im digitalen Zeitalter sind die Firma mehrdenn je damit beschäftigt, ihre Weichen aufZukunftsfähigkeit zu stellen. Die kürzlich ge-gründete IIoT-Plattform Adamos für Maschi-nenbauunternehmen ist als solcher Schachzugzu verstehen. Warum der Markt für diese ko-operativen Geschäftsmodelle bereit ist, schil-dert Karl-Heinz Streibich, Vorstandsvorsitzen-der der Software AG.
Allianz der Softwareanbieterund der Industrie
nisse in Echtzeit und befähigt zur dynamischen und automatisierten
Reaktion auf Ereignisse. Die OT steuert Produktionsprozesse, er-
kennt Ereignisse in der Fertigung in Echtzeit, stellt Qualitätsabwei-
chungen fest und steuert nicht zuletzt die Industrieroboter. Der
Nutzen von Industrie 4.0 liegt für Streubich darin, all diese Aspekte
zu bündeln: dynamische Fertigung auf der Grundlage des tatsächli-
chen Bedarfs, Ausrichtung des Produktdesigns nicht am vorgesehe-
nen, sondern am tatsächlichen Einsatz von Geräten und Maschinen
sowie Integration der gesamten Wertschöpfungskette. Viele Ent-
scheidungsträger sehen die Notwendigkeit, dass sich ihre Organisa-
tion zum softwaregetriebenen Unternehmen entwickeln müsse und
jeder Firmenlenker Softwareexpertise brauche. Denn die Geschäfts-
führer müssen die Digitalisierungsstrategie im Unternehmen persön-
lich vorantreiben. Mit dem rasanten Tempo des Wandels können
bislang meist nur die größten Unternehmen Schritt halten.
Gemeinsame Erfolge
Auf diese Marktbewegung antwortete die Software AG mit ihrer
Co-Innovationsstrategie, in deren Rahmen künftig Software- und In-
dustrieunternehmen die Möglichkeiten des IIoT auf Branchenebene
erkunden sollen. In diesem Kontext ist Adamos als Joint Venture zu
verstehen, das Maschinenbau- und Softwareunternehmen zusam-
menbringt, um im Umfeld stetiger technologischer Veränderungen
gemeinsam nach erfolgreichen Lösungen zu suchen und alle Ak-
teure an den Ergebnissen zu beteiligen.
Offene Plattform
Gerade der fertigende Mittelstand kann von einem zugänglichen
Technikgrundgerüst profitieren, auf das er sein Domänenwissen auf-
setzen kann. Das wollen die Gründer von Adamos erreichen, die als
offene und skalierbare IIoT-Einstiegsinfrastruktur ausgelegt ist. Je
weniger Zeit Produzenten mit der Ausdifferenzierung der Technik
aufwenden müssen, umso mehr bleibt ihnen für ihre Kernkompe-
tenz, der Entwicklung von Innovationen. Eine offene Softwareplatt-
form und ein offener Ansatz für die gemeinsame Nutzung von IT-In-
frastruktur und Branchenwissen soll in diesem Sinn die Basis einer
Zusammenarbeit von IT-Welt und produzierender Industrie bilden.
Verbund erstellt Applikationen
Um die Bandbreite an Software, die auf der Plattform erhältlich ist,
zu vergößern, wurde die App-Factory Alliance gegründet. Das ist eine
Kooperation von Maschinenbau- und Softwareunternehmen, die mit
den Adamos-Partnern verbunden ist. Sie bietet eine Entwicklungsum-
gebung, in der Technologiestandards weiterentwickelt werden. Erste
Applikationen zu den Themengebieten Planning, Predictive Mainten-
ance, Machine Cockpit/Dashboarding und Maintaining Assistance sol-
len noch Anfang 2018 auf Adamos verfügbar sein. ■
Der Text entstand nach Material der
Software AG.
www.softwareag.comde.adamos.com
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TECHNIK // ARBEITSWELT // GESELLSCHAFT
DIGITALE PLATTFORMÖKONOMIE |
BBezüglich des digitalen Durchdrin-
gungsgrades und der daraus re-
sultierenden Effizienzsteigerung
gibt es momentan bei deutschen Unter-
nehmen kein einheitliches Bild. Die eher
zögerliche Haltung liegt unter anderem
daran, dass sich – basierend auf dem be-
stehenden Geschäftsmodell – noch kein
strategischer Ansatz für ein neues, dis-
ruptives entwickeln ließ. Zudem ergeben
sich aus den bisherigen Aktivitäten in
Richtung digitale Transformation, gemäß
den Ergebnissen einer aktuellen Lünen-
donk-Studie, momentan nur wenig
Wettbewerbsvorteile. Gleichwohl wer-
den aber weitere Schritte unternommen,
digitale Plattformen im industriellen Um-
feld zu etablieren. Eine erklärbare Ent-
wicklung, denn zum einen ist eine ge-
wisse Dringlichkeit geboten, weil sich
noch keine Vormachtstellung internatio-
naler Unternehmen herausgebildet hat.
Zum anderen sind Grundprinzip und Er-
folgsrezept bekannter Unternehmen wie
Sicher auf die PlattformHandeln zwischen Spectre und Watering-Hole
Die Diskussionen rund um das Thema Plattformökonomie beziehen sich zumeist auf dieGeschäftsmodelle: Doch mittlerweile gibt es vermehrt Stimmen, die eine Betrachtung austechnologischer Sicht als bedeutender erachten. Auch bei der Beurteilung von Chancenund Risiken herrscht keine Einigkeit – während einige Experten in der Plattformökonomieein probates Mittel im globalen Wettbewerb sehen, stehen bei anderen bislang ungelösteProbleme im Vordergrund.
IT-SICHERHEIT
IT&Production 3/2018
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: ©Ad
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Amazon oder Airbnb relativ gut reprodu-
zierbar – mehrseitige Plattformen er-
leichtern im erheblichen Maße Interak-
tion und Transaktion zwischen unter-
schiedlichen Parteien.
Erfolg durch Sicherheit
Doch über den Erfolg der industriellen
Plattformen wird auch ihre Sicherheit ent-
scheiden. Nicht zuletzt unter dem Aspekt,
dass „Wirtschaftsspionage seit jeher einer
der Schwerpunkte der Ausspähungsakti-
vitäten fremder Nachrichtendienste ist“,
wie Michael George, Leiter des Cyber-Al-
lianz-Zentrums am Bayerischen Landes-
amt für Verfassungsschutz, erklärt.
Zwei Betrachtungsweisen
Die grundsätzliche Betrachtung von
Plattformen erfasst zwei Dimensionen:
die wirtschaftliche sowie die technolo-
gische. Gemäß letzterer basiert die
Plattformökonomie unter anderem im
ersten Schritt auf dem Zusammenwach-
sen von Informationstechnologie (IT) mit
der Operational-Technologie (OT) auf
dem Shop Floor. Denn dies ermöglicht
die Vernetzung sowohl intern als auch
unternehmensübergreifend. Im Weiteren
ergeben sich dann, aus der vertikalen
und horizontalen Integration auf der
einen Seite, in Verbindung mit Platt-
formtechnologien wie Infrastructure-as-
a-Service (IaaS) auf der anderen Seite
die Voraussetzungen für neue Ge-
schäftsmodelle, da Interaktionen sowie
Transaktionen mit vielen unterschiedli-
chen Marktteilnehmern möglich wird.
Darin liegen aber auch Risiken: „Angriffe
sind umso erfolgreicher, je zielgerichte-
ter sie ausgeübt werden können“, erklärt
George. Aus diesem Grund optimieren
Angreifer ihre Methoden ständig.
Das Wasserloch infizieren
So beobachtet der Experte derzeit ver-
mehrt sogenannte Watering-Hole-Atta-
cken. Diese basieren auf der Annahme,
dass es bestimmte Portale, Plattformen
oder Systeme gibt, die viele Anwender
mit hoher Wahrscheinlichkeit oft aufsu-
chen müssen (ähnlich einem Wasserloch
im Tierreich). Die Anwender werden die-
ser Logik folgend nicht direkt angegrif-
fen, sondern das ‘Wasserloch’ wird infi-
ziert. In der Praxis wurden derartige An-
griffe etwa auf Unternehmen aus dem
Energiesektor verübt – unter anderem
indem die Anbieter-Webseiten manipu-
liert wurden, um Rechner von Besuchern
mit Schadsoftware zu infizieren.
Aufwand lohnt sich
Zudem werden permanent gravierende
Schwachstellen publik gemacht, wie ak-
tuell die Sicherheitslücken Spectre und
Meltdown. Auch wenn sich nach Ansicht
von Professor Lutz Becker, Leiter der
Business School und Studiendekan Sustai-
nable Marketing & Leadership an der
Hochschule Fresenius, ein Angriff über
Spectre keinesfalls leicht realisieren lässt,
so geht er doch davon aus, dass diese
Lücke ausgenutzt wird, da sich ein erhöh-
ter Aufwand immer lohne, wenn mit einer
einzigen Attacke viel erreicht werden
kann. Zusätzlich gefährdet seien Unter-
nehmen oft auch durch den Einsatz veral-
teter Hard- und Software. „Insgesamt ge-
sehen stellt also Digitalisierung ohne IT-
Sicherheit im Fokus klar erkennbar ein un-
kalkulierbares Risiko für Verbraucher und
Unternehmen dar“, so Bernd Fuhlert Ge-
schäftsführer der @-yet GmbH
Umdenken gefordert
Im Zuge von Industrie 4.0 nutzt es nach
Ansicht von Michael George nur wenig,
alle internen Schnittstellen wie USB-
Ports und DVD-Laufwerke abzusichern,
während zwangsläufig durchlässige
Übergänge zum Internet bestehen. Aber
da auch die herkömmliche Perimeter-Si-
cherheit, mit denen die Übergänge zwi-
schen Unternehmensnetzwerk und In-
ternet geschützt werden sollen, nicht
mehr ausreichen, müssen Unternehmen
generell umdenken. Nach Meinung von
Fuhlert und George, sollte die Grundlage
der Abwehrstrategie sein, dass ein An-
greifer es schafft, bis ins interne Unter-
nehmensnetzwerk vorzudringen. Gegen-
maßnahmen müssten somit darauf ba-
sieren, den Angreifer möglichst zeitnah
zu identifizieren. Zudem sind nach wie
vor das Aufdecken und Absichern von
Schwachstellen von Bedeutung.
Austausch zur Abwehr
Ein weiterer wesentlicher Ansatz – ge-
rade beim Thema Plattformökonomie –
ist laut George der Austausch von An-
griffsmethoden und Erfahrungswerten
zwischen den Unternehmen über eine
neutrale Plattform. Dies sei sinnvoll, da
somit schnellstmöglich und effizient
nach Lösungsmöglichkeiten zur Ab- und
Gegenwehr gesucht werden könne.
Fazit
Allein aufgrund der steigenden Komple-
xität sowie im Sinne der Widerstands-
kraft, oder Resilienz, müssen Maßnah-
men und Methoden zum Schutz gegen
Angriffe neu überdacht werden. Damit
einhergehen muss unter anderem das
Clustern in Sicherheitsbereiche, was ein
ganzheitliches Risikomanagement erfor-
dert. Für den Entwurf der weiteren Stra-
tegie zur Absicherung bedürfe es dann,
das wertvolle unternehmensinterne
Knowhow zu identifizieren und im
nächsten Schritt zu definieren, wie sich
dieses mit entsprechenden Lösungen
schützen lässt, sagt Fuhlert. Dafür sollten
die bekannten Maßnahmen wie Patch-
Management oder Segmentierung der
Netzwerkbereiche zum Einsatz kommen.
Dies biete die Grundlage für ein gutes
Schutzniveau. Entscheidend sei ferner,
dass „die Politik für die Plattformökono-
mie einen Ordnungsrahmen setzen muss,
damit Sicherheit endlich den richtigen
Stellenwert bekommt und nicht blind di-
gitalisiert wird“, erklärt Fuhlert. Zudem
sollte darüber auch ermöglicht werden,
global faire Spielregeln für alle – kleine
nationale ebenso wie multinationale –
Unternehmen zu gewährleisten, um eine
Benachteiligung aufgrund individueller
Gesetzgebungen auszuschließen. ■
Die Autorin Ulla Coester ist
wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für angewandte
digitale Visualisierung e.V an
der Hochschule Fresenius, Köln.
www.xethix.com
| DIGITALE PLATTFORMÖKONOMIEIT-SICHERHEIT
IT&Production 3/2018
DIGITALE PLATTFORMÖKONOMIE |
DDie Maschinen- und Anlagenbauer
spielen eine wichtige Rolle bei der
Digitalisierung der Wirtschaft: Bei
innovativen Produkten und Prozessen
unter Verwendung moderner Technolo-
gien haben sich deutsche Unternehmen
weltweit etabliert. In Bezug auf innovative
Geschäftsmodelle haben sie jedoch häufig
Nachteile im Vergleich mit neuen, teils
branchenfremden, Unternehmen. Eine
Studie des VDMA zeigt, dass insbesondere
die strategische Positionierung in der digi-
talen Industrie für viele noch ein Unsicher-
heitsfaktor ist.
Das Plattform-Modell
Dabei ist zu beachten, dass vor allem die
Plattformökonomie aus unternehmerischer
Perspektive von großer Bedeutung sein
kann. Dabei positionieren sich Unternehmen
mit ihren Plattform-Geschäftsmodellen zwi-
schen Anbietern und Nachfragern von Gü-
tern und senken damit erheblich die Trans-
aktionskosten. Plattform-Unternehmen ver-
fügen demnach nicht über ein eigenes Pro-
dukt, sondern organisieren lediglich den
Austausch von Gütern oder Informationen.
Dabei kontrollieren sie allerdings die Kun-
denschnittstelle und verfügen somit über
eine enorme Marktmacht sowie das Poten-
zial, hohe Gewinne einzufahren. Eine Er-
kenntnis der Plattformökonomie ist für den
Markt für Maschinen und Anlagen von gro-
ßer Bedeutung: Der Wert einer Information
ist nicht da am höchsten, wo sie entsteht
(zum Beispiel Livedaten einer Maschine
beim Betreiber), sondern wo sie mit ande-
ren Informationen verknüpft werden kann
(Abgleich der Livedaten auf einer Plattform,
um Fehlermuster zu erkennen). Das Thema
IT-Plattformen ist in den Unternehmen zwar
grundsätzlich angekommen, jedoch wird
dabei noch nicht in Ökosystemen gedacht.
Unternehmen denken noch zu sehr vom
Produkt her und sind damit noch zu sehr
mit herkömmlichen Geschäftsmodellen be-
schäftigt. Dies kann langfristig problema-
tisch werden, denn dadurch wird nicht der-
selbe Innovationssprung erreicht, wie bei
den Unternehmen, die sich mittels Ge-
schäftsmodell-Innovation auf eine neue
Nutzenebene begeben.
Uneinheitlicher Begriff
Zudem findet der Plattform-Begriff an sich
eine uneinheitliche Verwendung. Die Dr.
Wieselhuber & Partner GmbH (W&P) ver-
wendet das in Abbildung 1 dargestellte
Schichtenmodell zur Einordnung verschie-
dener Plattformen in einem digitalen Platt-
form-Ökosystem. Dabei sind die unteren
drei Schichten die IT-Services, die beispiels-
weise von Amazon Web Services (AWS)
angeboten werden. Bedeutung für das Ge-
Gut aufgestellt im Plattform-Zeitalter
Geschäftsmodelle als Schutz vor Disruption
Für eine zukunftsfähige Positionierung des eigenen Unternehmens geht es um mehr als dieEntwicklung innovativer Produkte. Im Zeitalter der Digitalisierung helfen neue Geschäfts-modelle dabei, am Markt zu bestehen. Ein Beispiel dafür ist die digitale Plattformökonomie.
Bild
: Dr.
Wie
selh
uber
& P
artn
er G
mbH
UNTERNEHMENSSTRATEGIE
IT&Production 3/2018
schäft mit Smart Services hat erst die
Schicht der Serviceplattformen, mit deren
Hilfe unter anderem Maschinenhersteller
Leistungen wie Condition Monitoring an-
bieten können. Stellt die Serviceplattform
digitale Dienste eines Maschinenherstellers
speziell für seine Kunden bereit, handelt es
sich um eine geschlossene Serviceplatt-
form. Können hingegen verschiedene An-
bieter und Nachfrager an der Plattform teil-
nehmen, handelt es sich um eine offene
Serviceplattform, die dann meist von Drit-
ten (Intermediären) betrieben wird. Die
Frage nach der Positionierung in einem of-
fenen oder geschlossenen System sowie
die Frage nach der Verteilung der Daten in-
nerhalb der Systempartner haben weitrei-
chende strategische Folgen für ein Unter-
nehmen. Insbesondere Maschinen- und An-
lagenhersteller könnten ihren Markt mit
einer falschen Positionierung mitunter dis-
ruptiv für neue Mitbewerber öffnen. Ser-
viceplattformen werden weiterhin durch
die Ausprägung innovativer Geschäftsmo-
delle für Smart Services charakterisiert
sowie durch die Kollaborationsumgebung,
in der der Nutzer die Möglichkeit hat, Ser-
vices zu finden, einzukaufen und zu nutzen.
Betrieben werden Serviceplattformen in
der Regel von Maschinen-/Anlagenbauern,
Komponentenherstellern, Fabrikbetreibern
oder Intermediären (Dritte).
Neue Teilnehmer am Markt
Mit der Durchsetzung des Plattformpara-
digmas in B2B-Märkten besteht die Gefahr,
dass sich in der Industrie völlig neue Wert-
schöpfungsstrukturen etablieren. Dabei
schieben sich neue Marktteilnehmer zwi-
schen die Hersteller und ihre Kunden. Dies
kann für etablierte Marktteilnehmer dra-
matische Folgen haben:
Verlust des Kundenzugangs an den•
neuen Intermediär
Verlust der bisherigen marktsichern-•
den Stellung
Verlust der aus der Maschinen-/Service-•
Nutzung entstehenden Daten an den In-
termediär
Reduktion auf die Rolle des reinen Zu-•
lieferers
Stärkung des neuen Intermediärs, der auf-•
grund seiner Stellung in der Lage ist, unter
Hinzunahme weiterer Partner, den Nutzen
für den Kunden weiter zu erhöhen
Zudem kann ein Intermediär durch eine
andere, weniger nischenorientierte Fokus-
sierung auch andere Kundengruppen er-
reichen und somit den Wert des von ihm
kontrollierten Ökosystems ausbauen.
Kleinere Plattformen
Aufgrund der immer noch äußerst unter-
schiedlichen Anforderungen der einzelnen
Industriesegmente ist jedoch die Bildung
verschiedener kleinerer, segmentorientier-
ter Plattformen wahrscheinlich. In diesen
kommt es darauf an, den Großteil der
Player zu erreichen, um eine dominierende
Stellung einzunehmen.
Trennung aufheben
Neue Technologien und neue Geschäfts-
modelle lassen sich nicht getrennt vonei-
nander betrachten. Das Technologie-Ge-
schäftsmodell-Portfolio (Abbildung 2) zeigt
auf, welche strategischen Ansätze und Ent-
wicklungen es für Unternehmen gibt, be-
ziehungsweise welchen grundsätzlichen
Veränderungen sie gegenüber stehen. Der
Quadrant unten links steht für klassische,
produktbezogene Geschäftsmodelle mit
einer direkten Beziehung zwischen Anbie-
tern und Nachfragern von Maschinen. Pro-
duktbezogene Innovationen machen die
Maschinen besser sowie produktiver und
sind die Pflicht eines jeden Produktherstel-
lers, um die Teilnahme am Markt zu sichern.
Eine Weiterentwicklung des Geschäfts in
einen anderen Quadranten ist durch derar-
tige Produktinnovationen jedoch nicht
möglich. Erst mit Service-bezogenen Inno-
vationen und einer Erweiterung des Leis-
tungsversprechens mit hybriden Produkt-
Service-Bündeln kommt eine Entwicklung
in Richtung Serviceanbieter zu Stande. In
der oberen Hälfte des Portfolios wachsen
die Disziplinen IT und Maschinen (Produkti-
onssysteme) zu einer vernetzten Welt zu-
sammen. Der Quadrant oben links wie-
derum steht für Plattformtechnologie-An-
bieter wie Amazon Web Services oder Sie-
mens mit ihren Plattform-as-a-Service-An-
geboten. Darunter fallen auch Unterneh-
men, die Lösungen für softwaredefinierte
Plattformen wie Bezahlsysteme oder Ana-
lytics anbieten. Sie bieten keine Dienstleis-
tung im Markt der Maschinenhersteller an,
sondern lediglich die Technologien dafür.
Oben rechts sind Plattform-Unternehmen
abgebildet, die in der Regel Multi-sided-
Plattformen betreiben und neue Services
auf Basis von IoT-Technologien und daten-
| DIGITALE PLATTFORMÖKONOMIEUNTERNEHMENSSTRATEGIE
IT&Production 3/2018
Dr. W
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bH
Das Technologie-Geschäftsmodell-Portfolio zeigt, welche strategischen Ansätze und Entwicklungen es fürUnternehmen gibt.
getriebenen Geschäftsmodellen anbieten.
Die Verschiebung vom physischen Asset
hin zum Daten-Asset wird dort am deut-
lichsten und gleichzeitig wird der Kun-
dennutzen gegenüber bestehenden Ge-
schäftsmodellen gesteigert. Plattform-
Unternehmen wie Axoom (Trumpf) oder
Adamos (DMG Mori/Dürr, Software AG
und weitere) bauen ihre Positionierung
in diesem Segment mit Hochdruck aus.
Typisch dabei ist, dass es sich nicht um
die etablierten Unternehmen der Bran-
che (mit physischem Asset) handelt, son-
dern um neue Unternehmen, die auf
Basis von datengetriebenen Assets
Marktanteile an sich binden wollen.
Disruptionspotenzial im Markt
Untersuchungen von digitalen Disruptionen
in verschiedenen Branchen haben ergeben,
dass diese immer wieder die gleichen Mus-
ter aufweisen. Jens-Uwe Meyer, Autor und
Experte für digitale Disruption, hat dazu
sieben Muster herausgearbeitet, die ein-
zeln oder in Kombination typisch für digi-
tale Disruptionen sind (Abbildung 3). Diese
Muster können in angepasster Form auch
auf den Maschinen- und Anlagenbaus
übertragen werden. Aus ihnen lassen sich
verschiedene Potenziale ableiten, durch die
wiederum ein Nutzen für den Fabrikbetrei-
ber generiert werden kann. Bei der Unter-
suchung derartiger Potenziale im jeweili-
gen Nischenmarkt zeigt sich, dass Plattfor-
munternehmen in der Rolle eines Interme-
diärs in einer deutlich besseren Ausgangs-
situation sind, um dem Fabrikbetreiber
auch wirklich zum größtmöglichen Nutzen
zu verhelfen. Das kann dramatische Folgen
haben. Domänenspezifisches Nischenwis-
sen kann hingegen Schutz bieten – viele
vergleichsweise kleine Nischenplayer sind
aufgrund ihres über Jahre angesammelten
Spezialwissens Weltmarktführer. Ange-
sichts dieser Stellung lassen sich Maschi-
nenhersteller nicht von heute auf morgen
in die zweite Reihe drängen. Dennoch wird
es die Aufgabe sein, dieses Wissen zu nut-
zen, um sich als Maschinen- und Anlagen-
beziehungsweise Komponentenhersteller
auch im Bereich der datengetriebenen Ser-
vice-Geschäftsmodelle zu positionieren.
Wer ist wessen Kunde?
Um die Gefahren der ‘Plattformisierung’
der produzierenden Industrie auf Seiten
der Herstellerunternehmen frühzeitig zu
erkennen und angemessen darauf rea-
gieren zu können, bedarf es einer Kombi-
nation aus
technischen Kenntnissen und Kompe-•
tenzen zum Thema IT-Plattformen,
betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und•
Kompetenzen zu Plattformgeschäftsmo-
dellen und Plattformökonomie und
domänenspezifischen Branchenkennt-•
nissen als Grundlage für eine wirkungs-
volle Differenzierung von herstellersei-
tig angebotenen Smart Services gegen-
über Drittanbietern.
Zusätzlich müssen die Datenhoheit sowie
der Kundenzugang im eigenen Unterneh-
men bleiben. Das bedeutet, auch wenn die
Daten in einem fremden Rechenzentrum
liegen, muss die volle Kontrolle gegeben
sein. Die Frage ist jedoch, wie das bewerk-
stelligt werden kann? Grundsätzlich ist es
für Unternehmen mit einem klassischen
Produkt-/Lösungsgeschäft ratsam, sich in
definierten Nischen mit hybriden Leis-
tungsbündeln aus physischen Produkten
und digitalen Smart Services mit innovati-
ven Geschäftsmodellen zu positionieren.
Dies ermöglicht eine abgesicherte Markt-
position. Gelingt eine solche Positionierung,
kann die eigene digitale Plattform nicht so
einfach durch eine neu entstehende substi-
tuiert werden. Darüber hinaus müssen
Kompetenzen zur Analyse der kundenseiti-
gen Nutzungsdaten von Smart Products
aufgebaut werden. Dies ermöglicht es den
Maschinen- und Anlagenbauern, das digi-
tale Wissen über ihre Produkte und insbe-
sondere deren Anwendung beim Kunden
weiter zu steigen und somit den eigenen
Vorteil immer weiter auszubauen. Es ist rat-
sam, das Disruptionspotenzial der Digitali-
sierung im eigenen Marktsegment und im
Marktsegment der heutigen Kunden genau
zu kennen. Aus diesem Wissen lassen sich
die wirklichen Chancen und Risiken für das
eigene Unternehmen ableiten. Ist dies ge-
schafft, muss es das Ziel sein, schnell mit
ersten Lösungen an den Markt zu gehen.
Denn das Thema ist nicht nur für die meis-
ten Maschinenhersteller neu, sondern auch
für ihre Kunden, die sich vielfach erst orien-
tieren müssen. ■
Der Autor Dr. Mathias Döbele ist
Branchenexperte bei
der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH.
www.wieselhuber.de
DIGITALE PLATTFORMÖKONOMIE | UNTERNEHMENSSTRATEGIE
IT&Production 3/2018
Typische wiederkehrende Disruptionsmuster, die auf dieindustrielle Produktion übertragen werden können.
Bild
: Dr.
Wie
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