analogienMODERNE ARCHITEKTUR UND PFLANZENWELT
ALEJANDRO BAHAMÓN|PATRICIA PÉREZ|ALEXANDRE CAMPELLO
Deutsche Verlags-Anstalt
001-003_ArchPflanz_GerTB:001-003 29.08.2007 11:09 Uhr Seite 1 (TEXT BLACK Auszug)
Aus dem Spanischen übersetzt vonLaila G. Neubert-Mader
1. Auflage© 2007 der deutschsprachigen Ausgabe:Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle Rechte vorbehalten
Titel der spanischen Originalausgabe: Analogías Arquitectura Vegetal© PARRAMON EDICIONES, S.A., – World RightsPublished by Parramón Ediciones, S.A., Barcelona, SpainAutoren: Alejandro Bahamón, Patricia Pérez, Alexandre CampelloDesign und Layout: Soti Mas-Bagà, Pilar Cano
Satz der deutschen Ausgabe: Boer Verlagsservice, MünchenPrinted in SpainISBN: 978-3-421-03695-7
www.dva.de
001-003_ArchPflanz_GerTB:001-003 29.08.2007 11:09 Uhr Seite 2 (TEXT BLACK Auszug)
EINFÜHRUNG
LICHT- UND RAUMMANAGEMENT
Lucky Drops
Sharp Centre for Design
Parasite Las Palmas
Polizei- und Feuerwache
Kinderhaus
WASSERHAUSHALT
World Birding Center
Verwaltungssitz von Barcelona Activa
Amphibienhäuser
WÄRMEHAUSHALT
Scheune in Somis
Sfera-Gebäude
Mill Center of the Arts
EXTREME BEDINGUNGEN
Schutzhütte für Bergsteiger
Turbulence House
Svalbard Science Center
ESO-Hotel
SCHUTZMECHANISMEN
Botschaft der Niederlande
Magasin 3
Bankettsaal Brillare
HOMOLOGIEN
Verbandsgebäude Südwestmetall
Leaf Chapel
Vorschule Buffon
Billboard Building
CIFO Art Space
ARCHITEKTENVERZEICHNIS
4
10
12
22
30
36
46
54
56
62
68
74
76
84
92
98
100
108
116
124
132
134
142
148
154
156
164
172
178
184
190
Atelier Tekuto, Masahiro Ikeda|Tokio, Japan
Alsop Architects|Toronto, Ontario, Kanada
Korteknie Stuhlmacher Architecten|Rotterdam, Niederlande
sauerbruch hutton architekten|Berlin, Deutschland
Laboratory of Architecture|Mexiko-Stadt, Mexiko
Lake|Flato Architects|Mission, Texas, USA
Roldán+Berengué Arquitectos|Barcelona, Spanien
Factor Architecten|Maasbommel, Niederlande
Studio Pali Fekete Architects|Somis, Kalifornien, USA
Claesson Koivisto Rune|Kioto, Japan
Pugh+Scarpa, Eskew+Dumez+Ripple|Hendersonville, North Carolina, USA
Miha Kajzelj|Monte Stol, Slowenien
Steven Holl Architects|Abiquiu, New Mexico, USA
Jarmund/Vigsnæs Arkitekter|Longyearbyen, Svalbard, Norwegen
Auer+Weber+Assoziierte|Cerro Paranal, Chile
erick van egeraat associated architects|Warschau, Polen
blockarchitecture|Stockholm, Schweden
Klein Dytham architecture|Kobuchizawa, Japan
Allmann Sattler Wappner Architekten|Reutlingen, Deutschland
Klein Dytham architecture|Kobuchizawa, Japan
Edouard François, Duncan Lewis|Thiais, Frankreich
Klein Dytham architecture|Tokio, Japan
René González|Miami, Florida, USA
001-003_ArchPflanz_GerTB:001-003 29.08.2007 11:09 Uhr Seite 3 (TEXT BLACK Auszug)
4 Einführung
Mehr noch als die intellektuelle Auseinandersetzung gehören die
Beobachtung der Natur und das Experimentieren zu den ergiebigs-
ten Methoden beim Entwerfen von architektonischen Formen.
Angefangen von einfachen traditionellen Bauten bis hin zu den
Arbeiten bedeutender Architekten – immer hat es Neuinter -
pretationen von Formen aus der Natur gegeben, die in die Sprache
der Architektur übertragen wurden. Allgemein bekannt ist, dass
man mit morphologischen und räumlichen Anlehnungen an die
Natur bestimmte Raumqualitäten schaffen kann. Das vorliegende
Buch hat sich jedoch zum Ziel gesetzt, Ähnlichkeiten zwischen
der zeitgenössischen Architektur und der Pflanzenwelt aufzude-
cken, die durch einen gewissen Anpassungsdruck entstanden sind.
Zu diesem Zweck werden unterschiedliche formale, konstruktive
und physiologische Eigenschaften der Pflanzenwelt analysiert, be-
ginnend mit ihrem Bezug zum Raum und zu ihrem Umfeld; im
Anschluss werden jeweils einige dieser Anpassungs- und Überle-
benssysteme mit der heutigen Architektur verglichen.
Charles Darwin bewies in seinem 1859 erschienenen Buch Der
Ursprung der Arten, dass das Leben ein ständiger Existenzkampf
ist und dass schließlich nur die Arten fortbestehen, die sich am
besten an ihr jeweiliges Umfeld anpassen. In der Pflanzenwelt ist
alles nach einem Höchstmaß an Vernunft und Lebensfähigkeit
EinführungPatricia Pérez Rumpler
Die Evolution als Anpassungsstrategie der Pflanzen
004-009_ArchPflanz_GerTB:004-009 29.08.2007 11:19 Uhr Seite 4 (TEXT BLACK Auszug)
5 Einführung
organisiert. Durch natürliche Selektion wird ein langes Überleben
von nicht Lebensfähigem verhindert. So ist es nicht verwunder-
lich, dass die Natur bei Pflanzen, die an weit voneinander befind-
lichen Standorten heimisch sind, sehr ähnliche Anpas sungsfor -
men entwickelt hat. Diese Anpassungen erlauben eine optimale
Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Führt man diese positivis-
tische Betrachtungsweise fort, kommt man zu dem Schluss, dass es
kein besseres Versuchslabor gibt als die jahrhundertelange Evolu-
tion und keinen besseren Garanten für die Anpassung bestimmter
Formen der Natur an ihr Umfeld. Auch heute noch sind die Na-
tur, deren Neuinterpretation sowie die Untersuchung ihrer Prinzi-
pien und Strukturen für uns ein intelligenter Schlüssel für den
Entwurf neuer Architekturen. »Originalität bedeutet zum Ur-
sprung zurückzukehren« – in diesem einen Satz fasste Gaudí sein
Denken zusammen, wobei er mit »Ursprung« die Natur meinte.
Ein Musterbeispiel für eine Analogie von Pflanzenwelt und Archi-
tektur sind der Baum – als wohl bekanntester Vertreter des Pflan-
zenreichs – und das Hochhaus – als seine Entsprechung in der Ar-
chitektur. Die Analogie liegt in der Vertikalität beider Elemente
und – dies sollte nicht vergessen werden – in ihren im Erdreich
verborgenen Fundamenten. In der Umgangs sprache wird gern der
Terminus »Asphaltdschungel« für Groß städte verwendet. Dem
Analogien von Pflanzenwelt und zeitgenössischer Architektur
004-009_ArchPflanz_GerTB:004-009 29.08.2007 11:19 Uhr Seite 5 (TEXT BLACK Auszug)
6 Einführung
Wort Dschungel (undurchdringlicher tropischer Sumpfwald), das
eine bestimmte Vegetationsform bezeichnet, wird das Attribut
»As phalt« beigefügt, das auf den Boden Bezug nimmt, auf den sich
dieser Dschungel gründet. Die Gebäude in der Stadt vermitteln
den Eindruck von undurchdringlichem Dickicht und Vertikalität,
so dass die Verwendung des Wortes »Dschungel« gerechtfertigt ist,
um das bauliche Ensemble zu beschreiben. Die Analogie wird
noch deutlicher, wenn man den Bezug Baum/Säule oder genauer
gesagt Baumstamm/Säulen schaft untersucht. Sprossachsen von
Pflanzen allgemein und besonders Baumstämme sind zylindrisch
beziehungsweise leicht konisch in ihrer Gestalt, sie verjüngen sich
nach oben. Eine Säule ist ebenfalls eine hohe, schlanke, vertikale
architektonische Form, die normalerweise dazu dient, das Ge-
wicht einer Konstruktion zu tragen; sie kann aber auch dekorati-
ven Wert haben. Ihr Quer schnitt ist gewöhnlich rund, und häufig
verjüngt er sich nach oben. Der Ausdruck »Säulenwald«, der ger-
ne verwendet wird, um beispielsweise den Innenraum der berühm-
ten Moschee in Cór doba oder die von Kaiser Justinian erbaute
Cisterna basilica, das Yerebatan Sarayı in Istanbul zu beschreiben,
verdeutlicht die formale und funktionale Beziehung zwischen
Wald und Säulen. Funktional gesehen dienen Baumstämme eben-
so als Stütze für die Baumkronen wie Säulen für Gebäude. Es gibt
zahlreiche weitere Beispiele aus dem Sprachgebrauch, die auf
Analogien oder eindeutige Bezüge zwischen architektonischen
und pflanzlichen Formen hinweisen.
004-009_ArchPflanz_GerTB:004-009 29.08.2007 11:19 Uhr Seite 6 (TEXT BLACK Auszug)
7 Einführung
Es mag scheinen, dass die Unterschiede zwischen Pflanzenwelt
und Architektur größer sind als die Ähnlichkeiten, die sie verbin-
den und die das Thema des vorliegenden Buches sind. Gebäude
sind starre Konstruktionen, die aus unterschiedlichen Elementen
gebildet werden, in denen sich Räume befinden, die einer be-
stimmten Nutzung dienen und in denen die Menschen verschie-
dene Tätigkeiten ausüben. Pflanzen hingegen sind lebendig; sie
entstehen, wachsen, reproduzieren sich und sterben. Allerdings ist
den meisten höheren Pflanzen und der Architektur eine Eigen -
schaft gemein: Beides sind unveränderliche statische Systeme, die
nicht in der Lage sind, sich an einen anderen Ort zu begeben, wo
sie ihre Bedürfnisse besser befriedigen könnten. Ihr Standort ist
festgelegt, und um sich dort behaupten zu können, entwickeln sie
ausgeklügelte Mechanismen der Konstruktion und der Veranke -
rung. Aus diesem Grund ist wohl die Statik eine der wenigen un-
bestrittenen Grundlagen eines Vergleichs zwischen Pflanzen welt
und Architektur, ohne dass man sich weit auf abstraktes Terrain
wagen oder poetische Exkurse machen müsste. Die andere grund-
sätzliche Gemeinsamkeit ist das Streben nach Effektivität, die sich
aus den statischen Gegebenheiten ableitet. Da Pflanzen und Ge-
bäude Gefangene ihres Standortes sind, müssen sie das Beste aus
den ihnen dort zur Verfügung stehenden Ressourcen machen. Dies
Statik, das Streben nach Effektivität und Wettbewerb. Die wichtigsten gemeinsamen Grundlagen von Pflanzenwelt und Architektur
004-009_ArchPflanz_GerTB:004-009 29.08.2007 11:19 Uhr Seite 7 (TEXT BLACK Auszug)
8 Einführung
zeigt sich in einer ganzen Reihe ähnlicher Verhaltensweisen im
Kampf um Licht und Raum, in der Abwehr von biotischen und
abiotischen Faktoren oder an der Art, wie beide die für die Erfül-
lung der Funktionen notwendigen Versorgungsmittel »an sich
bringen«, speichern oder »loswerden«. Vereinfacht gesagt, geht es
um unterschiedliche Anpassungs formen, die alle von den stati-
schen Gegebenheiten ausgehen. Schließlich sollte noch das Phä-
nomen des »Konkur renz kampfes« angeführt werden, in dem sich
sowohl Vegetation als auch Gebäude befinden. Die Ansammlung
– von Pflanzenindividuen beziehungsweise von einzelnen archi-
tektonischen Einheiten – ist wohl die häufigste Form, in der
Pflanzen und Gebäude auftreten. Vegetationsgemeinschaften ei-
nerseits und Städte, Dörfer, Stadt teile andererseits sind Struktu-
ren, die sich ebenso wie Individuen gut miteinander vergleichen
lassen. Der Städtebau in der Architektur und die Phytosoziologie
(Pflanzensoziologie) in der Ökologie – beides sind Disziplinen, die
parallele Lesarten über unterschiedliche Formen des Zusammenle-
bens anbieten, wie im Folgenden gezeigt wird. Im vorliegenden
Buch werden außerdem die Strategien aufgezeigt, die sowohl Ge-
bäude als auch Pflanzenindividuen entwickeln, um sich äußeren
Einflüssen zu widersetzen; außerdem geht es um die Fähig keit von
Pflanzen wie von Architektur, sich an Umweltbedingungen anzu-
passen, die durch ihresgleichen verändert wurden. Um die Bezie-
hungen zwischen den vorgestellten Architekturprojekten und den
Anpassungsformen der Vegetation, auf die Bezug genommen wird,
004-009_ArchPflanz_GerTB:004-009 29.08.2007 11:19 Uhr Seite 8 (TEXT BLACK Auszug)
9 Einführung
zu verdeutlichen, ist jedem Kapitel eine kurze theoretische Ein-
führung zu dem jeweiligen botanischen Thema vorangestellt.
Durch Zeichnungen werden die offensichtlichen Analogien von
Architektur und Vegetation grafisch verdeutlicht. Das Buch ist in
folgende Kapitel unterteilt:
Licht- und Raummanagement
Wasserhaushalt
Wärmehaushalt
Extreme Bedingungen
Schutzmechanismen
Homologien
Die Autoren hoffen, dass die vorgestellten Architekturbeispiele,
bei denen bewusst oder unbewusst Prinzipien aus der Pflanzenwelt
eingeflossen sind, und auch die botanischen Erklärungen als An-
regung verstanden werden. Sie möchten den Anstoß geben, archi-
tektonische Lösungen durch Naturbeobachtung, besonders aber
durch Beobachtung der Pflanzenwelt – wo sich die Um welt -
prozesse für uns am offensichtlichsten vollziehen – zu suchen und
so zu neuen, nachhaltigeren und effektiveren Archi tek tur formen
zu gelangen.
004-009_ArchPflanz_GerTB:004-009 29.08.2007 11:19 Uhr Seite 9 (TEXT BLACK Auszug)
10 Licht- und Raummanagement
Photoautotrophe Pflanzen – und zu dieser Gruppe gehören diemeisten – sind Pflanzen, die ihre Energie durch Photosynthese her-stellen, also indem sie Lichtenergie in chemisch gebundene Energieumsetzen.
Positiver Phototropismus (Hinwendung zum Licht)|Pho-totropismus ist ein Phänomen, das bei allen höheren Pflanzenzu beobachten ist. Dabei richtet sich der Wachstumsprozessvor allem nach dem Licht aus. Die Pflanzen wenden sich demLicht zu, auch wenn sie sich dafür krümmen oder winden müs-sen. Dieser Mechanismus versetzt Pflanzen in die Lage, ihrenormale Wachstumsrichtung zu verändern, wenn sich die Be-lichtungssituation ihres Umfeldes ändert.
Heliotropismus (Hinwendung zum Stand der Sonne)|Eini-ge Pflanzen wachsen nicht nur in Richtung des Lichts, son-dern haben auch die Fähigkeit, sich während des Tages zu be-wegen und nach dem Sonnenstand zu orientieren, um so dasLicht optimal auszunutzen. Die Sonnenblume (Helianthus an-nus), die im Französischen bezeichnenderweise »tournesol«heißt, ist wohl eines der bekanntesten Beispiele dafür. Helio-trope Pflanzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Blätterund Blüten während des Tages so bewegen können, dass dieSonnenstrahlen genau senkrecht auf sie treffen. Neben den
Impulsen, die sie aus der Erde locken und in Richtung desLichts leiten, mussten die Pflanzen im Laufe ihrer Entwick-lungsgeschichte eine Vielzahl an Mechanismen entwickeln,um im Wettkampf mit ihren Artgenossen um das Licht beste-hen zu können. Bei vielen Pflanzengemeinschaften gehört eszu den üblichen Anpassungsmethoden, sich mit der Zeit zuverändern, indem die Pflanzen die eigenen Zyklen an die derSonne und die anderer Pflanzen anpassen. In diesem Fall istdie Anstrengung besonders groß, aus dem Schatten herauszu-kommen und einen Platz an der Sonne zu erlangen.
Bäume|Dieser Wettkampf um das Licht hat zur Folge, dasssich viele Pflanzen aufgrund ihrer Lebensdauer durch ihre Grö-ße unterscheiden und Blätter und Kronen in besonderen For-men ausbilden, die zum Auffangen der Sonnenstrahlen beson-ders geeignet sind. Es handelt sich um Gehölze, die mehr alsfünf Meter in die Höhe wachsen. Sie haben meist einen deut-lich ausgebildeten Stamm, der sich von einem mehr oder we-niger hoch angesetzten Punkt an verzweigt. Diese Pflanzenwerden allgemein als Bäume bezeichnet. Der ausgeprägt zylin-drische Hauptstamm bildet die Hauptachse der Pflanze unddient auch in konstruktiver Hinsicht als ihre wichtigste Stütze.In ihm wird der Saft transportiert, und er dient gegebenenfallsdazu, Nahrungsreserven anzulegen. Außerdem gibt der Stamm
Licht- und Raummanagement
Positiver Phototropismus Bäume Bäume mit schirmförmiger Krone
010-011_ArchPflanz_GerTB:010-011-AN-V-P1 29.08.2007 11:20 Uhr Seite 10 (TEXT BLACK Auszug)
11 Licht- und Raummanagement
die Hauptimpulse für das Wachstum, das es Bäumen ermög-licht, über die anderen Pflanzen hinauszuwachsen.
Schirmförmige Krone|In tropischen Wäldern verhindertdie üppige Vegetation weitgehend, dass das Licht bis zum Bo-den vordringt. Im Unterholz, wo ein harter Kampf um dasLicht ausgetragen wird, sind die Blätter der meisten Pflanzen-arten auf einer einzigen Ebene angeordnet, um zu vermeiden,dass sie sich gegenseitig beschatten. In diesem Umfeld bildeteine der höchsten Baumarten, die zur Gattung der Mimosen-gewächse gehörende Parkia pendula, eine besonders charakte-ristische schirmförmige Krone, die sich oberhalb der anderenBäume ausbreitet und die charakteristische Silhouette derfeuchten tropischen Wälder bildet.
Epiphyten (Aufsitzerpflanzen)|Diese für die tropischen Urwälder typischen Organismen, auch Aufsitzerpflanzen ge-nannt, wachsen auf anderen Pflanzen, auf deren Stamm, Ästen oder sogar auf den Blättern. Auf diese Weise bekom-men sie das notwendige Licht, ohne selbst einen großenStamm entwickeln zu müssen. Ihr größtes Problem ist das Feh-len des Erdbodens, aus dem Pflanzen Wasser und mineralischeSalze ziehen. Bei den Geweihfarnen der Gattung Platyceriumbilden die sterilen Blätter (Wedel) zusammen mit der Rindedes Wirtsbaumes einen Hohlraum, in dem sich Humus sam-melt und der damit eine Quelle für die Versorgung mit Wasserund Nährstoffen bildet.
Parasiten oder Halbparasiten|Diese Pflanzen ähneln denEpiphyten in der Art und Weise, wie sie die Gefäßbahnen an-derer Pflanzenstrukturen nutzen. Sie unterscheiden sich vonihnen aber darin, dass sie ihre Nahrung nicht oder nur zumTeil aus der Sonnenenergie beziehen und stattdessen von ihrerWirtspflanze leben. Die Mistel (Viscum album) ist beispiels-weise ein Halbparasit, der auf Bäumen wächst und sich vondiesen ernährt. Sie entwickelt Saugorgane, die sogenanntenHaustorien, die in das Gewebe des als Wirtspflanze dienendenBaumes eindringen.
Kletterpflanzen (Rank- und Schlingpflanzen sowie Wurzel-kletterer)|Im Unterschied zu den Epiphyten, die von Anfangan in den Baumkronen angesiedelt sind und so ihre Versor-gung mit Licht garantieren, wurzeln Kletterpflanzen im Erdbo-den und überleben mit einem minimalen Einsatz von Energie.Obwohl sie keine starken Stämme ausbilden, die sie zum Lichtrecken, können sie ihre Blätter innerhalb kurzer Zeit dorthinbringen, indem sie über andere Pflanzen, Mauern oder Felsennach oben ranken. Zu diesem Zweck benötigen sie wirksameVerankerungsmöglichkeiten, mit deren Hilfe sie sich auf derOberfläche festhalten können. So verfügt der Efeu (Hedera he-lix) über ein Haltesystem aus feinsten Wurzeln, den sogenann-ten Haftwurzeln, die sich an den Trieben bilden und mit de-nen sich die Pflanze an den Oberflächen festklammert.
Epiphyten (Aufsitzerpflanzen) Parasiten und Halbparasiten Kletterpflanzen (Rank- und Schlingpflanzen)
010-011_ArchPflanz_GerTB:010-011-AN-V-P1 29.08.2007 11:20 Uhr Seite 11 (TEXT BLACK Auszug)
12 Licht- und Raummanagement
Viele Grundstücke im Tokioter Großraum sind in Bezug auf Grö-
ße, Form oder Anordnung einzigartig. Diese Tatsache ist auf un-
terschiedliche Phänomene zurückzuführen, die im Laufe der Ge-
schichte eine der hinsichtlich ihrer architektonischen Typologien
vielfältigsten Megacities der Welt haben entstehen lassen. Die
Struktur der historischen Stadt, der traditionelle Geist Japans, die
Zerstörungen durch das Erdbeben im Jahr 1923 und später durch
den Zweiten Weltkrieg sowie insbesondere der wirtschaftliche
Aufschwung des Landes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
haben ein urbanes Umfeld geschaffen, in dem heute 33 Millionen
Einwohner leben. Eine der Besonderheiten Tokios ist die Vielzahl
von kleinen und kleinsten Gebäude, die auf ungewöhnliche Wei-
se in das komplexe urbane Geflecht eingefügt sind und ihre in Be-
zug auf Zugänglichkeit und Belichtung begrenzten Möglichkeiten
optimal ausnutzen.
Das hier vorgestellte Gebäude wurde auf einem Grundstück von
derart geringen Abmessungen errichtet, dass man in einem ande-
ren Umfeld keinen Gedanken an eine Bebauung verschwendet
hätte: im vorderen Bereich 3,20 Meter, im hinteren Bereich nur
70 Zentimeter breit und insgesamt 29 Meter tief. Außerdem ver-
langte die geltende Bebauungsvorschrift einen Abstand der Au-
ßenmauern von 50 Zentimetern zu den Nachbargrundstücken.
Um ein Einfamilienhaus zu errichten, das im Inneren hervorra-
gende Wohnbedingungen bietet und außerdem den komplexen
Gegebenheiten des Grundstücks Rechnung trägt, haben die Ar-
chitekten in enger Zusammenarbeit mit dem Bauherrn und dem
Bauunternehmer die technischen Möglichkeiten genau unter-
sucht und sind an deren Grenzen gegangen.
Lageplan
BauherrJunges Paar
Art des ProjektsEinfamilienhaus
OrtTokio, Japan
Gesamtfläche60 m²
Jahr der Fertigstellung2005
FotosMakoto Yoshiva
Bäume
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 12 (TEXT BLACK Auszug)
Lucky DropsAtelier Tekuto, Masahiro Ikeda
Tokio, Japan
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 13 (TEXT BLACK Auszug)
14 Licht- und Raummanagement
Ansicht hintere Fassade Querschnitt 1- Wasserundurchlässige Außenhaut2- Feuerfeste Innenwand3- Rampe als konstruktive Verstärkung4- Zwischengeschoss, Eingangsebene5- Stahlpaneele6- Betonfundament
1
2
3
5
6
4
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 14 (TEXT BLACK Auszug)
Die Hauptidee des Entwurfs bestand darin, eine Gebäudehül-
le zu entwickeln, die Tageslicht in den Innenraum bringt und
zugleich die Privatsphäre der Bewohner wahrt. Der neben -
stehende Querschnitt zeigt diese Fassadenkonzeption: eine
durch scheinende Außenhaut, durch deren gesamte Oberflä-
che das Tageslicht eindringen kann. Da bei unterirdischen
Bauteilen kein von der Bauverordnung festgesetzter Grenzab-
stand zu den Nachbargrundstücken einzuhalten war, sind alle
Wohnbereiche des Hauses im Untergeschoss untergebracht.
Statt konventionellen Stützmauern aus Stahlbeton gegen
den Erddruck haben die Architekten hier ein System aus
8 Millimeter dicken Stahlpaneelen eingesetzt, die mit einer
wasserdichten und wärmedämmenden Rostschutzschicht ver-
sehen sind. Dadurch wurden nicht nur die Gesamtbaukosten
verringert, sondern zusätzliche 50 Zentimeter Raum im Inne-
ren des Gebäudes gewonnen.
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 15 (TEXT BLACK Auszug)
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 16 (TEXT BLACK Auszug)
17 Licht- und Raummanagement
Zwischengeschoss 1- Konstruktive Plattform und Spielbereich
Erdgeschoss 2- Eingang3- Diele
Untergeschoss 4- Bad5- Küche6- Wohn- und Schlafraum
1
3
4 5 6
2
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 17 (TEXT BLACK Auszug)
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 18 (TEXT BLACK Auszug)
19 Licht- und Raummanagement
Ansicht Straßenseite
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 19 (TEXT BLACK Auszug)
20 Licht- und Raummanagement
Längsschnitt
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 20 (TEXT BLACK Auszug)
Das Gebäude passt sich in Form und Größe dem Grundstück
an und schafft in seinem Inneren einen Raum, der sich nach
hinten verjüngt. Der dreieckige Grundriss unterstreicht die
perspektivische Wirkung und vermittelt trotz der geringen
Abmessungen des Gebäudes den Eindruck großer Tiefe. Zur
konstruktiven Unterstützung des Fassadentragwerks wurde
eine geneigte Plattform eingebaut, die den Raum in seiner
ganzen Länge durchläuft. Neben ihrer statischen Funktion
kann diese Rampe auch als Aufenthaltsraum und als Ort zum
Spielen genutzt werden. Der Fußboden dieses Raumes wird
von Lochblechen gebildet, durch die das Tageslicht bis ganz
unten in den Hauptraum einfallen kann. Der Name des
Projekts, Lucky Drops, ist die Übersetzung eines populären ja-
panischen Sprichworts über die Vorzüge von Dingen, die an-
dere verschmähen, aber die man selbst bis an ihre Grenzen
auszunutzen weiß.
012-021_ArchPflanz_GerTB:012-021-AN-V-12 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 21 (TEXT BLACK Auszug)
22 Licht- und Raummanagement
Das Sharp Centre for Design, ein Erweiterungsbau des internatio-
nal renommierten Ontario College of Art & Design, befindet sich
im Westen des Bankenviertels von Toronto. Es ist von Universi-
tätsgebäuden, Verkehrsachsen und dem historischen Grange Park
umgeben, einer grünen Lunge mitten im Stadtzentrum. Obwohl
die bestehende Anlage schon in der Vergangenheit mehrmals er-
weitert worden war, verfügte sie nicht in ausreichendem Maß über
Unterrichts- und Ausstellungsräume, die der steigenden Zahl der
Studenten gerecht wurden. Ein ehemaliger Parkplatz südlich des
Hauptgebäudes auf dem Universitätscampus wurde als Grund-
stück für den Erweiterungsbau ausgewiesen. Die Architekten ent-
schieden sich für eine radikale Lösung und ständerten den zwei -
geschossigen Baukörper auf einer Höhe von 26 Metern über dem
Erdboden auf. Neben einem beeindruckenden optischen Effekt
gelang es ihnen auf diese Weise, den einstigen Parkplatz in das ur-
bane Geflecht zu integrieren und so eine Verbindung zwischen
dem Universitätscampus und dem Grange Park herzustellen. Das
Gebäude ist provozierend, setzt sich über Konventionen hinweg,
ist optimistisch und zugleich auch etwas rücksichtslos. Es zeigt
vielfältige architektonische Möglichkeiten, qualitätvolle Räume
im dicht bebauten urbanen Umfeld zu schaffen.
Lageplan
BauherrOntario College of Art & Design
Art des ProjektsUniversitätsinstitut
OrtToronto, Ontario, Kanada
Gesamtfläche6215 m²
Jahr der Fertigstellung2004
FotosTom Arban, Richard Johnson
Bäume mit schirmförmiger
Krone
022-029_ArchPflanz_GerTB:022-029-AN-V-02 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 22 (TEXT BLACK Auszug)
Sharp Centre for DesignAlsop Architects
Toronto, Ontario, Kanada
022-029_ArchPflanz_GerTB:022-029-AN-V-02 29.08.2007 11:21 Uhr Seite 23 (TEXT BLACK Auszug)
UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Alejandro Bahamón, Patricia Pérez, AlexandreCampello
Moderne Architektur und PflanzenweltAnalogien
Paperback, Klappenbroschur, 192 Seiten, 20x24ISBN: 978-3-421-03695-7
DVA Architektur
Erscheinungstermin: Januar 2008
Faszinierende Lösungen aus der Natur Motive aus der Pflanzenwelt sind aus der zeitgenössischen Architektur nicht wegzudenken.Aber nicht nur im gestalterischen Bereich, auch in funktionaler Hinsicht kann die Architekturvon der Natur lernen: das reicht von der Belichtungsführung über den Umgang mit Wasserund Wärme bis hin zu Schutzmechanismen gegen extreme Umgebungsbedingungen. DasBuch dokumentiert außergewöhnliche Gebäude, die – bewusst oder unbewusst – Strukturenaus der Pflanzenwelt einbeziehen. Fundierte Texte mit eindrucksvollen Illustrationen erläuternden botanischen Hintergrund und veranschaulichen die Analogien zwischen Vegetation undArchitektur. Das Buch bietet dem Architekten eine ungewöhnliche Sicht auf die Dinge und eineFülle von Anregungen, um zu neuen, nachhaltigen und effektiven Lösungen zu gelangen. • Eindrucksvolle Illustrationen der botanischen Zusammenhänge• Wertvolle Anregungen für Architekten und Designer• Aktuelle, außergewöhnliche Projekte