13
MNU Journal Ausgabe 2.2017 ISSN 0025-5866 © Verlag Klaus Seeberger, Neuss 73 Herausgeber Prof. Dr. BERND RALLE Kebbestraße 29 44267 Dortmund Tel. 0231 4755867 dienstl.: TU Dortmund Fak. Chemie und Chemische Biologie 44221 Dortmund [email protected] Mathematik Prof. Dr. SEBASTIAN KUNTZE PH Ludwigsburg Institut für Mathematik und Informatik Reuteallee 46 71634 Ludwigsburg Tel. 07141 140826 [email protected] StD MICHAEL RÜSING Palmbuschweg 47 45326 Essen Tel. 0201 368827 [email protected] Physik Dr. JÖRN GERDES Annette-Kolb-Straße 19 28215 Bremen Tel. 0421 393080 [email protected] Prof. Dr. HEIKE THEYSSEN Universität Duisburg-Essen Fak. Physik, Didaktik der Physik 45117 Essen Tel. 0201 183-3338 [email protected] Chemie OStR WOLFGANG KIRSCH Landesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM) Beethovenstraße 26 66125 Saarbrücken Tel. 06897 7908-146 [email protected] Prof. Dr. INSA MELLE TU Dortmund Fak. Chemie und Chemische Biologie 44221 Dortmund Tel. 0231 7552933 [email protected] Biologie Prof. Dr. DITTMAR GRAF Institut für Biologiedidaktik Universität Gießen Karl-Glöckner-Straße 21 c 35394 Gießen [email protected] Dr. CHRISTIANE HÖGERMANN Blumenhaller Weg 26 49078 Osnabrück [email protected] Editorial 75 BERND RALLE Schülerexperimente Aus Bildung und Wissenschaft 76 THOMAS TOCZKOWSKI BERND RALLE Von der Komplexität »einfacher« Experimente 83 ANDREAS VORHOLZER Lernaufgaben zu fachmethodischen Kompetenzen Schulpraxis 89 WOLFGANG RIEMER Das »eiernde« Glücksrad ein Sprungbrett in die Statistik 94 SEBASTIAN KUNTZE Experimentieren mit Hexaexagonen 99 SEBASTIAN GEISLER KATRIN ROLKA SARAH BEUMANN Mathematisches Modellieren mit Experimenten 102 ANITA STENDER Der Fall Nereus und die Auftriebskraft 105 CHRISTIAN GEORG STRIPPEL LUTZ TOMALA KATRIN SOMMER Klappe, die Erste Schüler produzieren eigene Experimentiervideos 111 MARTIN HOLFELD Woher bekommen Sportler ihre Energie? 118 MARKUS MÜLLER Lefax ® versus Enzym-Lefax ® 120 CHRISTIANE HÖGERMANN Chlorophyll: mehr nur als nur ein Fotosynthesepigment Zur Diskussion gestellt 122 RAINER WACKERMANN HEIKO KRABBE Die Basismodelle des Lehrens und Lernens 130 HANS-JÜRGEN ELSCHENBROICH Der Differentiator eine alte Idee wird dynamisiert 132 Diskussion und Kritik Aktuelles aus dem Förderverein 135 Aus den Landesverbänden Herausgeberwechsel Biologie Verleihung des Helmholtz-Lehrerpreises 2016 Informationen/Tagungen 140 Wissenschaftsshows machen Schule Fortbildungen für Physiklehrer 140 Aufgaben Besprechungen 141 Zeitschriften Mathematik 143 Bücher 144 Vorschau Inhalt

MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

  • Upload
    others

  • View
    20

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss − 73 −

HerausgeberProf. Dr. BERND RALLEKebbestraße 2944267 DortmundTel. 0231 4755867

dienstl.:TU DortmundFak. Chemie und Chemische Biologie44221 [email protected]

MathematikProf. Dr. SEBASTIAN KUNTZEPH LudwigsburgInstitut für Mathematik und InformatikReuteallee 4671634 LudwigsburgTel. 07141 [email protected]

StD MICHAEL RÜSINGPalmbuschweg 4745326 EssenTel. 0201 [email protected]

PhysikDr. JÖRN GERDESAnnette-Kolb-Straße 1928215 BremenTel. 0421 [email protected]

Prof. Dr. HEIKE THEYSSENUniversität Duisburg-EssenFak. Physik, Didaktik der Physik45117 EssenTel. 0201 [email protected]

ChemieOStR WOLFGANG KIRSCHLandesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM)Beethovenstraße 2666125 SaarbrückenTel. 06897 [email protected]

Prof. Dr. INSA MELLETU DortmundFak. Chemie und Chemische Biologie44221 DortmundTel. 0231 [email protected]

BiologieProf. Dr. DITTMAR GRAFInstitut für BiologiedidaktikUniversität GießenKarl-Glöckner-Straße 21 c35394 Gieß[email protected]

Dr. CHRISTIANE HÖGERMANNBlumenhaller Weg 2649078 Osnabrü[email protected]

Editorial 75 BERND RALLE

Schülerexperimente

Aus Bildung und Wissenschaft 76 THOMAS TOCZKOWSKI − BERND RALLE

Von der Komplexität »einfacher« Experimente

83 ANDREAS VORHOLZER

Lernaufgaben zu fachmethodischen Kompetenzen

Schulpraxis 89 WOLFGANG RIEMER

Das »eiernde« Glücksrad − ein Sprungbrett in die Statistik

94 SEBASTIAN KUNTZE

Experimentieren mit Hexafl exagonen

99 SEBASTIAN GEISLER − KATRIN ROLKA − SARAH BEUMANN

Mathematisches Modellieren mit Experimenten

102 ANITA STENDER

Der Fall Nereus und die Auftriebskraft

105 CHRISTIAN GEORG STRIPPEL − LUTZ TOMALA − KATRIN SOMMER

Klappe, die Erste − Schüler produzieren eigene Experimentiervideos

111 MARTIN HOLFELD

Woher bekommen Sportler ihre Energie?

118 MARKUS MÜLLER

Lefax® versus Enzym-Lefax®

120 CHRISTIANE HÖGERMANN

Chlorophyll: mehr nur als nur ein Fotosynthesepigment

Zur Diskussion gestellt122 RAINER WACKERMANN − HEIKO KRABBE

Die Basismodelle des Lehrens und Lernens

130 HANS-JÜRGEN ELSCHENBROICH

Der Differentiator − eine alte Idee wird dynamisiert

132 Diskussion und Kritik

Aktuelles aus dem Förderverein135 Aus den Landesverbänden − Herausgeberwechsel Biologie −

Verleihung des Helmholtz-Lehrerpreises 2016

Informationen/Tagungen140 Wissenschaftsshows machen Schule − Fortbildungen für Physiklehrer

140 Aufgaben

Besprechungen141 Zeitschriften Mathematik143 Bücher

144 Vorschau

Inhalt

Page 2: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss− 76 −

Aus Bildung und Wissenschaft

Von der Komplexität »einfacher« Experimente

THOMAS TOCZKOWSKI − BERND RALLE

In diesem Beitrag wird zunächst diskutiert, welchen Anforderungen wir Schüler/innen aussetzen, wenn wir von ihnen die experimentelle Lösung eines Problems/einer Fragestellung im Unterricht verlangen. Es wird gezeigt, dass im Experimental-unterricht unterschiedliche Aspekte kognitiver Belastungen auftreten, die verschiedene Ursachen haben können.Anschließend wird ein Vorschlag unterbreitet, auf welche Weise man einen genaueren Einblick in die Denk- und Handlungs-schritte von experimentierenden Schüler/innen gewinnen kann. Die Analyse individueller Lernpfade von Lernenden zeigt auf, dass auch vermeintlich einfache Experimente eine hohe Komplexität aufweisen.

1 Werden die Lernwirkungen vonUnterrichtsexperimenten überschätzt?

Die Durchführung von Schüler- oder Lehrerexperimenten ge-hört zum Standardrepertoire des naturwissenschaftlichen Un-terrichts. Dem Arbeiten im schulischen Laboratorium werden viele Potenziale für das Lernen von Naturwissenschaften zuge-wiesen. Zugleich wird das gemeinsame Experimentieren auch als wichtiger Bestandteil des sozialen Lernens in der Schule ge-sehen (z. B. BADER, LUTZ & PFEIFER, 2002, 292 f).

Während der vergangenen Jahrzehnte wurden zahlreiche Stu-dien publiziert, die den Prozess des schulischen Experimen-tierens untersuchten. Die Liste untersuchter Aspekte ist lang (HOFSTEIN, 2016), z. B.

• Verstehen naturwissenschaftlicher Konzepte• Schulung naturwissenschaftlichen Denkens • Verstehen der Natur der Naturwissenschaften (nature of

science, NOS)• Steigerung von Interesse und Motivation• Verbesserung der Einstellung gegenüber Naturwissen-

schaft und Technik• Schulung von Fachmethoden und Problemlösekompetenz• Einübung forschenden Lernens

In verschiedenen Übersichtsbeiträgen wurden die Ergebnisse dieser Studien kritisch gewürdigt (vgl. dazu LUNETTA, HOFSTEIN & CLOUGH, 2007; HOFSTEIN, 2016). Als ein Ergebnis kann fest-gehalten werden, dass die mit dem Einsatz von Experimenten intendierten Ziele nur unter sehr strengen Vorgaben eingelöst werden können; diese sind im alltäglichen Unterricht allerdings nicht immer zu erreichen. Als Hürden werden genannt, dass im Unterricht häufi g ohne klare Zielsetzung und recht konfus ex-perimentiert wird und dass Lehrkräfte sich vorher viel intensi-ver klarmachen sollten, was sie von den Lernenden verlangen, wenn diese ein Experiment durchführen sollen.

Es ist sicher nachvollziehbar, dass das reine ›Abarbeiten‹ von Versuchsanleitungen zum Zweck der Einübung von Fachmetho-den wie z. B. Stofftrennungsverfahren sinnvoll sein kann. Steht jedoch das problemorientierte Arbeiten im Vordergrund, wie es bei der auf Fragen basierten Untersuchung von Phänome-nen oder der Lösung von gemeinsam formulierten naturwissen-

schaftlichen Fragestellungen der Fall ist, rücken andere Ziele mit dem Experimentieren in den Blick, wie sie durch die Bil-dungsstandards zum Kompetenzbereich ›Erkenntnisgewinnung‹ aus den KMK-Bildungsstandards (2004) zum Ausdruck gebracht werden. Dort heißt es z. B.

Die Schülerinnen und Schüler …E 1 erkennen und entwickeln Fragestellungen, die mit

Hilfe chemischer Kenntnisse und Untersuchungen, ins-besondere durch chemische Experimente, zu beantwor-ten sind.

E 2 planen geeignete Untersuchungen zur Überprüfung von Vermutungen und Hypothesen.

E 3 führen qualitative und einfache quantitative expe-rimentelle und andere Untersuchungen durch und protokollieren diese.

E 4 beachten beim Experimentieren Sicherheits- und Um-weltaspekte.

E 5 erheben bei Untersuchungen, insbesondere in chemi-schen Experimenten, relevante Daten oder recherchie-ren sie.

E 6 fi nden in erhobenen oder recherchierten Daten, Trends, Strukturen und Beziehungen, erklären diese und ziehen geeignete Schlussfolgerungen.

2 Zu den Herausforderungen desExperimentierens

Der britische Chemiedidaktiker ALEX JOHNSTONE hat Lehrkräften und seinen Fachdidaktiker-Kolleg/innen folgende Aussage zum Nachdenken gegeben:»List for yourself the number of things the student has to do [while solving an experimental task], the number of important observations that have to be made (color changes, gases evol-ved, etc.), and the number of theoretical ideas that have to be recalled to make sense of these observations and instructions. The total is staggering!« (JOHNSTONE, 1997, 266)

Erfolgreiche naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung un-ter lernpsychologischer Perspektive ist untrennbar mit zwei Herausforderungen an die Handelnden (seien es Forschende oder Schüler/innen) verbunden (KLAHR & DUNBAY, 1988; KLOS,

Page 3: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

Schulpraxis Titel

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss − 83 −

Lernaufgaben zu fachmethodischen Kompetenzen

ANDREAS VORHOLZER

Obwohl der Aufbau von fachmethodischen Kompetenzen zum Experimentieren ein zentrales Ziel des naturwissenschaftli-chen Unterrichts ist, fi nden sich ausgearbeitete Vorschläge für entsprechende Lernaufgaben nur selten. Im Beitrag werden Lernaufgaben zum Formulieren von Fragen und Hypothesen, zum Planen von Untersuchungen sowie zum Auswerten und Interpretieren von Daten vorgestellt, in denen die Kompetenzen explizit thematisiert, systematisch erarbeitet und gezielt geübt werden. Darüber hinaus wird der Prozess der Aufgabenentwicklung für das Fach Physik beschrieben, um Anregungen und Hinweise dafür zu geben, wie solche Aufgaben für andere Fächer oder andere fachmethodische Kompetenzen konzipiert werden können.

1 Experimentieren im Physikunterricht

Das Experimentieren ist im naturwissenschaftlichen Unterricht sowohl eine zentrale Unterrichtsmethode als auch ein wichti-ges Lernziel. Die zentrale Stellung des Experimentierens als Un-terrichtsmethode hängt u. a. damit zusammen, dass mit Schü-ler- und Demonstrationsexperimenten vielfältige Erwartungen verbunden sind: sie sollen z. B. den Aufbau fachinhaltlicher Kenntnisse ermöglichen, das Interesse an Naturwissenschaften steigern, die Teamfähigkeit fördern und zur Entwicklung von fachmethodischen Kompetenzen beitragen (z. B. ERB, 2014). Als Unterrichtsziel zeigt sich die Bedeutung des Experimentie-rens u. a. in den normativen Vorgaben für den Unterricht in der Sekundarstufe I und II, in denen experimentelle Denk- und Arbeitsweisen in allen naturwissenschaftlichen Fächern fest verankert sind (z. B. Kultusministerkonferenz der Länder der Bundesrepublik Deutschland [KMK], 2005a, 2005b): Schüler sol-len beispielsweise am Ende des Physikunterrichts der Sekundar-stufe I dazu in der Lage sein, Hypothesen aufzustellen, einfa-che Experimente zu planen und gewonnene Daten auszuwerten (z. B. KMK, 2005b, Kompetenzbereich »Erkenntnisgewinnung«). Im Hinblick auf Unterricht erscheint es naheliegend, diese bei-den Perspektiven − Experimentieren als Ziel und als Methode − miteinander zu verbinden, z. B. indem Schülerexperimente als Methode für den Aufbau fachmethodischer Kompetenzen ein-gesetzt werden (siehe z. B. Vorschläge in DUIT, GROPENGIESSER & STÄUDEL, 2007).

Es ist sehr plausibel, dass das eigenständige praktisch-expe-rimentelle Arbeiten eine Voraussetzung dafür darstellt, dass Schüler fachmethodische Kompetenzen im Sinne der Bildungs-standards aufbauen können. Eigenständiges Experimentieren, wie es beispielsweise Schülerexperimente in Kleingruppen ermöglichen, kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass viele Schüler aktiv an allen Schritten einer experimentellen Untersuchung (z. B. dem Formulieren von Hypothesen oder dem Planen der Untersuchung) beteiligt sind und lernen, diese Schritte später auch selbstständig durchzuführen. Das eigen-ständige Experimentieren alleine trägt jedoch nicht automa-

tisch zum Aufbau fachmethodischer Kompetenzen bei. Wird im Unterricht z. B. ein Experiment zum Fadenpendel durch-geführt und ausgewertet, um zu untersuchen, von welchen Parametern die Schwingungsdauer abhängt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Schüler automatisch auch et-was darüber lernen, worauf bei der Planung des Experiments geachtet werden muss (z. B. immer nur einen Variable gleich-zeitig zu verändern) oder wie Messunsicherheiten verringert werden können (z. B. Dauer mehrerer Schwingungen statt nur einer einzelnen messen). Vielmehr deutet die Befundlage darauf hin, dass es lernwirksam sein kann, die angestrebten fachmethodischen Kompetenzen explizit zum Gegenstand des Unterrichts zu machen und für deren Aufbau in gleicher Weise gezielt Erarbeitungs- und Übungsaufgaben einzusetzen, wie es für den Aufbau inhaltsbezogener Kompetenzen üblich ist (u. a. VORHOLZER, 2016). Dazu, wie Aufgaben zur Förderung fachme-thodischer Kompetenzen (z. B. zum experimentellen Denken und Arbeiten) aussehen könnten, fi nden sich jedoch bisher nur wenige Vorschläge (u. a. in DUIT, GROPENGIESSER & STÄUDEL, 2007 oder in der Reihe Lernbox Naturwissenschaften, z. B. STÄUDEL, WERBER & WODZINSKI, 2006), die zudem häufig für das Üben be-reits vorhandener Fähigkeiten, nicht aber für das Erarbeiten neuer Fähigkeiten geeignet sind (siehe z. B. Übungsexperimen-te zur Variablenkontrollstrategie in SCHWICHOW, SIMON & HÄRTIG, 2015).

Dem Beitrag liegen drei Lerneinheiten zugrunde, die im Rahmen eines Forschungsprojekts erfolgreich zum Aufbau von fachme-thodischen Kompetenzen aus den Bereichen Fragen und Hypo-thesen formulieren, Untersuchungen planen sowie Auswerten und Interpretieren von Daten eingesetzt wurden (VORHOLZER, 2016)1. Da das Lernmaterial für den Physikunterricht entwickelt wurde und nur einige ausgewählte Kompetenzen aus dem Be-reich Erkenntnisgewinnung adressiert (s. u.), wird im Beitrag ausführlich dargestellt, wie bei der Entwicklung des Materials vorgegangen wurde. Ziel dieser Darstellung ist es, Anregungen und Hinweise für die Adaption des Materials für andere Fächer (insb. Biologie oder Chemie) und für die Entwicklung weiterer Materialien zu anderen fachmethodischen Kompetenzen zur

1 Alle Materialien können in der Online-Beilage zu diesem Artikel abgerufen und im Unterricht genutzt werden.

Aus Bildung und Wissenschaft

Page 4: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

Schulpraxis Titel

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss − 89 −

Schulpraxis

VON AUFSCHNAITER, C. & ROGGE, C. (2009). Im Physikunterricht wird zu viel erklärt! Förderung mit strukturierten Experimen-ten statt »schöner« Erklärungen. Lernchancen, 12(69/70), 54−95.

VON AUFSCHNAITER, C. & VON AUFSCHNAITER, S. (2001). Eine neue Aufgabenkultur für den Physikunterricht. Was fachdidaktische Lernprozess-Forschung zur Entwicklung von Aufgaben beitra-gen kann. Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht, 54(7), 409−416.

VON AUFSCHNAITER, C. & WODZINSKI, R. (2013). Naturwissen-schaftlich arbeiten und denken lernen. Band 3. Sekundarbe-reich. In K. MÖLLER (Hrsg.): Spiralcurriculum Magnetismus. Naturwissenschaftlich arbeiten und denken lernen. Ein Cur-riculum vom Kindergarten bis zur 7. Klasse. Seelze: Friedrich Verlag.

VORHOLZER, A. (2016). Wie lassen sich Kompetenzen des expe-rimentellen Denkens und Arbeitens fördern? Eine empirische Untersuchung eines expliziten und eines impliziten Instrukti-onsansatzes. Berlin: Logos Verlag.

ergänzung

mit

www.mnu.de

Dr. ANDREAS VORHOLZER ist seit 2016 Postdoktorand am Institut für Didaktik der Physik der Justus-Liebig-Universität Gießen. Im Rah-men seiner Dissertation hat er untersucht, wie experimentbezo-gene Kompetenzen gemessen und im Unterricht gezielt gefördert werden können. [email protected]. Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Didaktik der Physik, Karl-Glöckner-Str. 21 C, D-35394 Gießen. gc

Das »eiernde« Glücksrad − ein Sprungbrettin die StatistikSpannende Fragen und überraschende Antworten von Klasse 6 bis zum Abitur

WOLFGANG RIEMER

Rotationssymmetrische Glücksräder liefern Laplace-Wahrscheinlichkeiten. Unsymmetrische, die auf einer schiefen Ebene rotieren, laden zum Spekulieren ein − und zum Stellen von Fragen, die man mit beschreibender und beurteilender Statistik untersuchen kann. Dass es gelingt, sie ansatzweise auch physikalisch zu beantworten, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Glücksfall.

1 Glücksräder

Glücksräder fi ndet man in Schulbüchern dort, wo es um La-place-Wahrscheinlichkeiten geht. Man nutzt sie zur Einkleidung innermathematischer Aufgaben zu Pfad- und Summenregel. Man experimentiert kaum noch mit ihnen, denn

• Münzen und Würfel sind handlicher, wenn man jenseits von Übungsaufgaben den Zusammenhang zwischen Wahr-scheinlichkeiten (Modellebene) und relativen Häufi gkeiten (Realitätsebene) experimentell erkunden möchte. Und im Gegensatz zu Glücksrädern kann man mehrere Münzen und Würfel gleichzeitig werfen. Das ist zeitökonomisch.

• Computersimulationen sind noch zeitökonomischer, wenn man die Stabilisierung relativer Häufi gkeiten mit wach-sendem Versuchsumfang untersuchen und insbesondere das 1/ √

__ n -Gesetz bestätigen möchte. Letzteres besagt:

eine Vervierfachung des Versuchsumfangs halbiert die Schwankungen der relativen Häufi gkeiten − und dass die relative Häufi gkeit für Wappen fast immer (ca. 95 % sicher) im Intervall [0,5 − 1/ √

__ n ; 0,5 + 1/ √

__ n ] liegt.

S. I + II

S. I S. II

MATHEMATIK

Abb. 1a. Eine homogene Kreisscheibe rotiert über farbigem Untergrund. Glücksrad aus der Mini-Wahrscheinlichkeitsbox, KLETT, 1980

Page 5: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss− 94 −

Schulpraxis

Die gleichen Energien werden von den Sektoren 2 (oben links) und 3 (oben rechts) absorbiert. In den Sektoren 6 (unten) und 1

(oben) nimmt die kinetische Energie jeweils um π __ 3 k ab, genau

wie beim horizontalen Glücksrad.

Wenn man sich in die Sektoren hineinversetzt und nach dem Motto argumentiert: »je mehr Energie ich von dir, lieber Zeiger, einfange, desto eher bleibst Du bei mir stehen« (Proportiona-lität zwischen Wahrscheinlichkeit und absorbierter Energie), ergibt sich also tatsächlich die Struktur der Wahrscheinlich-keitsverteilung aus 3.2 mit

d = √__

3 ___ 4 Epot / π __ 3 k = 3 √__

3 ____ 4π Epot

___ k .

Diese Argumentation macht aber nur für den Fall Sinn, dass die Gleitreibung (deutlich) höher ist als die Kraft, mit der der Zei-ger bei Neigung der Unterlage durch die Schwerkraft (Hangab-triebskraft) nach unten gezogen wird. Kurz: Der Zeiger muss überall stehen bleiben können, er darf nicht nach Stillstand zurückrutschen. In der Sprache der Analysis muss Ekin (s) mono-ton fallen. Praktisch darf man das Glücksrad also nicht zu stark neigen und die Gleitfl äche darf nicht zu glatt sein.

7 Resümee

Ein Glücksrad, dessen Zeiger auf einer schiefen Ebene rotiert, regt ab Klasse 7 an, über Wahrscheinlichkeiten zu diskutieren und Hypothesen aufzustellen. Der »gesunde Menschenverstand« suggeriert nämlich, dass durch Neigen eines Glücksrades höher liegende Sektoren un-wahrscheinlicher werden. Diese Vorstellung entspricht der

Erfahrung, dass bei einer frei ausrollenden Fahrradfelge das Ventil stets unten zu liegen kommt. Tatsächlich bleibt der Zeiger bei hinreichend hoher Gleitrei-bung aber »auf jeder Höhe« mit gleicher Wahrscheinlichkeit stehen. Das lässt sich mit einfachen Energiebetrachtungen physikalisch begründen: Ein »bergauf überstrichener« Sektor »fängt« den Zeiger des Glücksrades wegen zunehmender La-geenergie etwas wahrscheinlicher als ein horizontal liegender. Der symmetrisch dazu liegende »bergab überstrichene« Sek-tor »fängt« den Zeiger um den gleichen Betrag weniger wahr-scheinlich. Beide Effekte gleichen sich aus. Bei der statistischen Prüfung dieser Aussagen können Testverfah-ren der beurteilenden Statistik zielführend zum Einsatz kommen.

Literatur

RIEMER, W. (2017). Grundvorstellungen beurteilender Statistik fördern. Wahrscheinlichkeiten als Modelle, Simulationen und das Konzept des Bezweifelns. Erscheint in: G. GREEFRATH, S. SILLER (Hrsg.), Simulation im Mathematikunterricht. Heidel-berg: Springer Verlag.

RIEMER, W. (1991). Stochastische Probleme aus elementarer Sicht. Mannheim: B. I. − Wissenschaftsverlag.

LAAKMANN, H. − SCHELL, S. (2015). Mit Zufall durch die Schule − Wahrscheinlichkeit. Praxis der Mathematik, 66, Themenheft.

Dr. WOLFGANG RIEMER, August-Bebel-Str. 80, 50259 Pulheim, [email protected], www.riemer-koeln.de, arbeitet als Fachleiter am Studienseminar in Köln, ist Gründungsmitglied des Geogebra-Instituts Köln/Bonn und Archimedes-Preisträger. gc

Experimentieren mit Hexafl exagonenStrukturen explorieren, Vermutungen überprüfen

SEBASTIAN KUNTZE

Anhand des Unterrichtsbeispiels »Erkunden von mathematischen Strukturen bei Tri-Hexafl exagonen« im Geometrieunter-richt wird aufgezeigt, wie das schüler/innen/zentrierte Experimentieren auf verschiedenen Ebenen eine zentrale Rolle im Lernprozess spielt.

1 Experimentieren beim Explorierenmathematischer Muster und Strukturen

Die Frage »was passiert, wenn …?« ist für das Experimentie-ren zentral. Der Blick richtet sich bei dieser Frage auf die Natur. In der Mathematik, die als Strukturwissenschaft so-wohl als eine Geistes- wie auch als eine Naturwissenschaft

angesehen werden kann, spielen Fragen dieses Typs ebenfalls eine wichtige Rolle: In diesem Fall gibt nicht nur die Natur als Gegenstandswelt, in der Strukturen beobachtet werden können, Antworten, sondern Erkenntnisgewinnungsschrit-te können sich auch auf nicht physisch greifbare abstrakte mathematische Objekte richten, die etwas von ihrer »Natur« offenbaren.

S. I + II

S. I S. II

MATHEMATIK

Page 6: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

Schulpraxis Titel

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss − 99 −

Schulpraxis

Mathematisches Modellierenmit ExperimentenValidierungskompetenz mit selbst gemessenen Daten fördern

SEBASTIAN GEISLER − KATRIN ROLKA − SARAH BEUMANN

Experimente können das Modellieren im Mathematikunterricht bereichern. Am Beispiel eines Experimentes zum Bierschaum-zerfall wird dargestellt, inwiefern Experimente eine intensive Auseinandersetzung mit der Realsituation ermöglichen und die Validierung des zugrunde gelegten Modells in den Fokus des Modellierungsprozesses rücken können.

Das Modellieren nimmt in einem anwendungs- und realitätsbe-zogenen Mathematikunterricht einen wichtigen Platz ein und hat als allgemeine mathematische bzw. prozessbezogene Kom-petenz längst Einzug in Bildungsstandards und Kernlehrpläne gefunden. Der Modellierungsprozess wird meist in idealisierter Form als Kreislauf dargestellt, in dem zwischen Mathematik und dem »Rest der Welt« unterschieden wird (siehe z. B. GREE-FRATH, KAISER, BLUM & BORROMEO FERRI, 2013). Die Realsituation wird zunächst vereinfacht und strukturiert und dadurch in ein Realmodell überführt, um anschließend in ein mathematisches Modell übersetzt zu werden.Die im mathematischen Modell ermittelten Ergebnisse müssen nun wieder auf die Realsituation bezogen werden. Hier kommt der Teilkompetenz des Validierens eine große Bedeutung zu, denn nicht alle mathematischen Ergebnisse sind für die Real-situation relevant oder passend (BRAUNER & ROLKA, 2011). Zum Validieren gehört daher auch das »Verbessern aufgestellter Mo-delle mit Blick auf die Fragestellung« (Schulministerium NRW, 2013). Allerdings ist dieser Ablauf eher als prototypisch oder idealisiert anzusehen (GREEFRATH et al., 2013) und insbesondere können im Rahmen einer Modellierungsaufgabe auch einzelne Teilkompetenzen, wie das Validieren, in den Fokus gerückt werden.

In den letzten Jahren sind etliche Arbeiten − sowohl auf der Ebene von Unterrichtsbeispielen als auch auf der Forschungs-ebene − mit Blick auf Experimente im Mathematikunterricht entstanden. Ein genauerer Blick auf Experimente lohnt sich, denn sie können das Interesse der Schülerinnen und Schüler an Mathematik sowie ihre Motivation steigern (BEUMANN, 2016) und das funktionale Denken unterstützen (GANTER, 2013).

Wie beim Modellieren werden die Schritte beim Experimentie-ren oft als Kreislauf dargestellt. Ausgehend von einer Frage-stellung wird zunächst eine Vermutung bzw. Hypothese aufge-stellt. Anschließend wird ein Experiment zu deren Überprüfung geplant und im nächsten Schritt durchgeführt. Die Ergebnisse dieses Experiments werden ausgewertet und mit der ursprüng-lichen Fragestellung in Beziehung gesetzt. Konnte diese nicht bzw. nur unzureichend beantwortet werden, oder ergaben sich Folgefragen, so kommt es zu einer erneuten Hypothesenbildung usw. (BEUMANN, 2016; GANTER, 2013).

1 Welchen Mehrwert bieten Experimentefür das Modellieren?

Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht ein außermathematisches Experiment, bei dem ein realer Vorgang mithilfe mathemati-scher Gesetzmäßigkeiten erfasst werden soll. Dabei sind vor allem die »Nahtstellen« zwischen Mathematik und dem »Rest der Welt« interessant. Zum einen kommt es durch die Hypo-thesenbildung beim Experimentieren zu einer intensiven Aus-einandersetzung mit der zugrundliegenden Realsituation, zum anderen rückt durch die Verwendung realer und selbst gemes-sener Daten das Validieren von Modellen stärker in den Fokus des Modellierungsprozesses.Beide Aspekte erläutern wir anhand eines Beispiels, welches wir mit Schüler/innen der 11. Klasse im Alfried Krupp-Schü-lerlabor der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen eines Pro-jekttages zu Wachstums- und Zerfallsprozessen durchgeführt haben. Ausgangspunkt war die Fragestellung, wie Bierschaum nach dem Einschütten in ein Glas zerfällt (Abb. 1). Ähnliche Aufgaben zum Bier- oder Kaffeeschaumzerfall fi nden sich z. B.

S. I + II

S. I S. II

MATHEMATIK

Beim Einschütten von alkoholfreiem Bier in ein Bierglas entsteht Bierschaum, der mit der Zeit zerfällt.

a) Um welchen Zerfallsprozess handelt es sich? Begründet eure Vermutung!

b) Ihr möchtet eure Vermutung mit einem Experiment überprüfen. Wie könnt ihr bei dem Experiment vorgehen?

c) Führt das Experiment nun durch und notiert eure Ergebnisse.

d) Tragt eure Messwerte in ein geeignetes Koordinatensystem ein und skizziert damit den Verlauf des Bierschaumzerfalls.

e) Stimmt dies mit eurer Vermutung überein? Falls nein, um welchen Zerfallsprozess handelt es sich tatsächlich?

f) Welche Funktion beschreibt diesen Zerfallsprozess? Zeichne den Graphen der Funktion in dein Koordinatensystem von Aufgabe d).

Abb. 1. Aufgabenstellung

Page 7: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss− 102 −

Schulpraxis

Der Fall Nereus und die AuftriebskraftEine Lernumgebung zum forschend-entdeckenden Lernen mit Fokusauf der Förderung der Variablenkontrollstrategie

ANITA STENDER

Eigenes Forschen und Entdecken fördert das Interesse der Schüler/innen, sich mit naturwissenschaftlichen Fragen ausein-ander zu setzen, und unterstützt das nachhaltige Lernen. Herausforderung für die Lehrperson ist dabei die Gestaltung von Lernumgebungen, die die Schüler/innen an das eigenständige Forschen und Entdecken heranführen und die dazu notwen-digen experimentellen Kompetenzen gezielt fördern. Im folgenden Beitrag wird die Lernumgebung »Der Fall Nereus« zum Themenbereich Schweredruck und Auftrieb und ein darin eingebundenes Experiment zur Förderung der Variablenkontroll-strategie vorgestellt.

S. I + II

S. I S. II

PHYSIK

1 Einleitung

Eine Möglichkeit, Jugendliche an die eigenständige Beantwor-tung von naturwissenschaftlichen Fragestellungen heranzufüh-ren, bietet das Unterrichtsprinzip des forschend-entdeckenden Lernens (BELL, 2007; SCHMIDKUNZ & LINDEMANN, 2003). Dieses Prin-zip zielt darauf ab, dass Schüler/innen im Unterricht eigene Fragen stellen, Hypothesen formulieren und eigenständig Expe-rimente planen, die diese Hypothesen überprüfen (BELL, URHAH-NE, SCHANZE & PLOETZNER, 2010). Dadurch können Schüler/innen Strategien der Erkenntnisgewinnung erproben und vertiefen so-wohl Problemlösefähigkeiten als auch experimentelle Fähigkei-ten (ebd.). Die Lehrperson nimmt dabei im Unterricht die Rolle des Moderators ein, muss aber im Hintergrund gezielte Impulse setzen, damit die Schüler/innen nicht überfordert werden und in angemessener Unterrichtszeit auch die inhaltlichen Lernzie-le erreichen können. Dazu gehört es, den Schüler/innen not-wendige Strategien der Erkenntnisgewinnung zu vermitteln, damit sie im Rahmen des forschend-entdeckenden Lernens in der Lage sind, selbstständig Versuche zu planen, durchzuführen und die Ergebnisse zu interpretieren. Eine solche Strategie ist die Variablenkontrollstrategie [VKS], deren Beherrschung vor allem bei Experimenten mit mehreren unabhängigen Variablen notwendig ist, um eindeutige Aussagen über Ursache-Wirkungs-zusammenhänge machen zu können.

Die Schüler/innen müssen in der Lage sein, ein Experiment so zu planen, dass sie nur eine Variable verändern, den Ein-fl uss dieser Variablen auf die abhängige Variable messen und gleichzeitig alle anderen Variablen konstant halten (DEWEY, 2008). Diese Fähigkeiten können gezielt durch den Einsatz von VKS-Übungsexperimenten gefördert werden (SCHWICHOW, CROKER, ZIMMERMAN, HÖFFLER & HÄRTIG, 2016). In diesem Beitrag wird deswegen ein VKS-Übungsexperiment zur Bestimmung von Einfl ussgrößen auf die Auftriebskraft und dessen Einbindung in eine Unterrichtsreihe zum Themenbereich Schweredruck und Auftrieb vorgestellt, die auf Basis des forschend-entdecken-den Lernens konzipiert wurde. Sowohl die Lernumgebung als auch das VKS-Übungsexperiment wurde bereits in 8. Klassen am Gymnasium im Unterricht erprobt.

2 Forschend-entdeckendes Lernen:Der Fall Nereus und die Auftriebskraft

Das Unterrichtsprinzip des forschend-entdeckenden Lernens zeichnet sich dadurch aus, dass Schüler/innen von (selbst) ge-stellten naturwissenschaftlichen Forschungsfragen oder Prob-lemen ausgehend, eigene Experimente planen, diese durchfüh-ren, Messergebnisse sachgerecht darstellen und sie im Hinblick auf die Forschungsfrage analysieren. Sie kommen so zu neuen Erkenntnissen und entwickeln selbstständig ihr Wissen über physikalische Konzepte weiter. Zur Initiierung dieses Lernpro-zesses müssen von der Lehrperson Lernumgebungen geschaf-fen werden, die durch Authentizität das forschende Lernen anregen und durch Offenheit den Schüler/innen ermöglichen, selbstständig zu entscheiden und zu arbeiten. Im Folgenden wird eine solche Lernumgebung zum Themenbereich Schwere-druck und Auftrieb vorgeschlagen. Der Kontext der Lernumge-bung greift das Unglück des Tiefseeroboters Nereus auf. Nereus war ein Tiefseeroboter der Woods Hole Oceanographic Institu-tion (WHOI), der am 09. Mai 2014 im Kerdamecgraben in ca. 10.000 m Tiefe aufgrund zu hoher Schweredrücke implodierte. Nach einer Identifi kationsphase der Schüler/innen mit diesem Unglück anhand eines fi ktiven Zeitungsartikels, bei dem die Unglücksursache als ungeklärt beschrieben wird (siehe Online-Beilage), formulieren diese selbstständig eigene Problemfragen zur Ursache des Unglücks. Damit die Schüler/innen selbststän-dig Fragestellungen formulieren können, eignet sich hier die Placemate-Methode. So kann jede/r einzelne Schüler/in in ei-nem geschützten Rahmen für sich selbst Fragen überlegen, die im Anschluss als Fragen einer Gruppe gesammelt werden kön-nen. Typische Fragen, die die Schüler/innen dabei formulieren, sind z. B. warum der Tiefseeroboter Nereus in knapp 10.000 m Tiefe verunglückt war oder wie die Wrackteile beschaffen wa-ren, die an der Oberfl äche auftauchten. (Weitere Fragen, die von den Schüler/innen bei der Erprobung formuliert wurden, sind in der Online-Beilage zu fi nden.) Diese Problemfragen kön-nen als Leitfragen für den weiteren Verlauf des Unterrichts die-nen und steigern so die Motivation der Schüler/innen, sich mit physikalischen Fragestellungen zu befassen. Ausgehend von den Schülerfragen kann z. B. der Schweredruck als Ursache für die

Page 8: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

Schulpraxis Titel

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss − 105 −

Schulpraxis

auf die Auftriebskraft identifi ziert werden. Aufgrund mehrerer möglicher Einfl ussgrößen kann an dieser Stelle ein offen ge-staltetes Schülerexperiment eingesetzt werden, dass die VKS fördert. Das vorgestellte Experiment zur Förderung der VKS unterscheidet sich im Wesentlichen von anderen Experimenten zur Auftriebskraft dadurch, dass erheblich mehr Experimen-tiermaterialien den Schüler/inne/n zur Verfügung stehen, als sie wirklich benötigen. Dies fordert und fördert die Schüler/in-nen darin, diejenigen Experimentiermaterialien auszuwählen, die sich in nur einer Variablen unterscheiden. Sie müssen somit gezielt die VKS anwenden, um eindeutige Ergebnisse zu erlan-gen. Die vorgeschlagene Lernumgebung mit dem integrierten Experiment zur Förderung der VKS stellt somit insgesamt eine gute Möglichkeit dar, Jugendliche an die eigenständige Beant-wortung von naturwissenschaftlichen Fragestellungen heranzu-führen und die Kompetenzen im Bereich der Erkenntnisgewin-nung gezielt zu fördern.

Literatur

BELL, T. (2007). Entdeckendes und forschendes Lernen. In S. MIKELSKIS-SEIFERT (Ed.): Physik-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen Scriptor, 70−81.

BELL, T., URHAHNE, D., SCHANZE, S. & PLOETZNER, R. (2010). Collaborative Inquiry Learning: Models, tools, and challenges. International Journal of Science Education, 32(3), 349−377. doi:10.1080/09500690802582241.

DEWEY, J. (2008). Logik: Die Theorie der Forschung. Übersetzt von MARTIN SUHR. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

KMK (2005): Bildungsstandards im Fach Physik für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss vom 16.12.2004. München: Wolters Kluwer Deutschland GmbH. https://www.kmk.org/fi leadmin/Dateien/veroeffentlichungen_ beschluesse/ 2004/2004_12_16-Bildungsstandards-Physik- Mittleren-SA.pdf

MÖLLER, K., JONEN, A., HARDY, I. & STERN, E. (2002). Die Förde-rung von naturwissenschatfl ichen Verständnis bei Grundschul-kindern durch Strukturierung der Lernumgebung. In M. PRENZEL & J. DOLL (Eds.): Bildungsqualität von Schule. Schulische und außerschulische Bedingungen mathematischer, natur-wissenschaftlicher und überfachlicher Kompetenzen. Basel: Weinheim, 176−191.

SCHMIDKUNZ, H. & LINDEMANN, H. (2003). Das forschend-entwi-ckelnde Unterrichtsverfahren: Problemlösen im naturwissen-schaftlichen Unterricht. Hohenwarsleben: Westarp-Wiss.

SCHWICHOW, M., CHRISTOPH, S. & HÄRTIG, H. (2015). Förderung der Variablen-Kontroll-Strategie im Physikunterricht. MNU, 68(6), 346−350.

SCHWICHOW, M., CROKER, S., ZIMMERMAN, C., HÖFFLER, T. & HÄRTIG, H. (2016). Teaching the control-of-variables strategy: A meta-analysis. Developmental Review, 39, 37−63. doi:10.1016/j.dr.2015.12.001

TESCH, M. (2005). Das Experiment im Physikunterricht: Di-daktische Konzepte und Ergebnisse einer Videostudie. Berlin: Logos Verlag.

ergänzung

mit

www.mnu.de

Dr. ANITA STENDER hat an der Universität-Duisburg Essen Mathema-tik und Physik für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen studiert und promovierte am IPN in Kiel in der Physikdidaktik. Daraufhin hat sie am Kardinal-von-Galen Gymnasium in Kevelaer ihr Referendariat absolviert und hat dort u. a. die vorgestellte Unterrichtsreihe und die Unterrichtsmaterialien entwickelt und erprobt. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeite-rin in der Physikdidaktik der Universität Duisburg-Essen. [email protected] gc

Klappe, die Erste − Schüler produziereneigene Experimentiervideos

CHRISTIAN GEORG STRIPPEL − LUTZ TOMALA − KATRIN SOMMER

Wenn Schüler/innen eigene Videos zu ihren experimentelle Untersuchungen erstellen, kann dies eine willkommene Ab-wechslung zum schriftlichen Protokoll und eine Gelegenheit zur Förderung diverser Kompetenzen sein. Die Erstellung und Bearbeitung von Videos im Experimentalunterricht ist durch kostenfrei verfügbare Apps für Smartphones und Tablets tech-nisch einfacher als je zuvor. Es wird anhand von Erfahrungen aus dem Alfried Krupp-Schülerlabor beschrieben, wie die Video-Produktion durch gezielten Einsatz von Scaffolding in den Bereichen Inhalt, Technik und Medium erfolgreich gestaltet werden kann.

S. I + II

S. I S. II

CHEMIE

Page 9: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

Schulpraxis Titel

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss − 111 −

Schulpraxis

JoVE. Journal of Visualized Experiments. http://www.jove.com. Zuletzt aufgerufen: 15.12.2016.

KRAJCIK, J. S. & MUN, K. (2014). Promises and challenges of using learning technologies to promote student learning of science. In N. G. LEDERMAN & S. K. ABELL (Eds.), Handbook of research on science education Vol. II (pp. 337−360). New York: Routledge.

MAINDA, D. & STRUCKMAYER, K. (2011). Who would like to bean actor? Der Fremdsprachliche Unterricht, 21(112/113),1−3.

METZGER, S. & SOMMER, K. (2010). »Kochrezept« oder Experi-mentelle Methode − Eine Standortbestimmung von Schüler-experimenten unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnisgewin-nung. MNU, 63(1), 4−11.

OLIVER, M. (2000). An introduction to the evaluation of learn-ing technology. Educational Technology & Society Soc, 3(4), 20−30.

PETERS, I.-R. (2010). Digitale Videos und informatische Bildung. Log In, 30(162), 16−21.

Pirate Box. (2015). https://piratebox.cc.Zuletzt geändert: 23.07.2015.Zuletzt aufgerufen: 15.12.2016.

SCHIEFELE, U., KRAPP, A. & SCHREIER, I. (1993). Metaanalyse des Zusammenhangs von Interesse und schulischer Leistung. Zeitschrift Für Entwicklungspsychologie Und Pädagogische Psychologie, 24(6), 120−148.

SEIDEL, T. & REISS, K. (2014). Lerngelegenheiten im Unterricht. In T. SEIDEL & A. KRAPP (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (6. Aufl .). Weinheim: Beltz.

STAHL, E. (2010). Die Rolle der motivierenden Medien im natur-wissenschaftlichen Lernprozess am Beispiel der Medienproduk-tion. PdN-ChiS, 59(4), 19−23.

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [KMK] (2005). Bildungsstandards im Fach Chemie für den Mittleren Schulabschluss. München: Luchterhand.

Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [KMK] (2012). Medienbildung in der Schule.

STRIPPEL, C. G. & SOMMER, K. (2015). Teaching Nature of Scientifi c Inquiry in Chemistry: How do German chemistry teachers use labwork to teach NOSI? International Journal of Science Education, 37(18), 2965−2986. http://doi.org/ 10.1080/ 09500693.2015.1119330

THOMSEN, S., DUKORN, W. & NÖRPEL, T. (2015). Tablets für den Unterricht nutzen. Unterricht Chemie, 26(145), 12−17.

WEISS, D. (2011). Chemilumineszenz mit Luminol. http://www.chemie.uni-jena.de/institute/oc/weiss/Luminol.htm. Zuletzt aufgerufen: 15.12.2016

CHRISTIAN STRIPPEL ist Promotionsstudent an der Ruhr-Universität Bochum. Er studierte Chemie und Anglistik mit dem Abschluss Master of Education an der Ruhr-Universität Bochum und der Uni-versity of Cambridge. Sein Forschungsinteresse gilt der Vermitt-lung von Erkenntnisgewinnung. Ruhr-Universität Bochum, Univer-sitätsstraße 150, 44801 Bochum, [email protected].

LUTZ TOMALA ist Studienreferendar im Seminar Essen. Er studierte Chemie und Biologie mit dem Abschluss Master of Education an der Ruhr-Universität Bochum.

KATRIN SOMMER ist Professorin für Didaktik der Chemie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiterin des Alfried Krupp-Schülerlabors der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Vermittlung und Verständnis naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen, Erkenntnisgewinn durch Modellexperimente so-wie Didaktische Konzepte für außerschulisches Lernen mit dem Schwerpunkt Fachmethoden. gc

Woher bekommen Sportler ihre Energie?

MARTIN HOLFELD

In diesem Artikel soll den Lernenden über einen experimentell unterstützten Ansatz die Energiebereitstellung im menschli-chen Körper vermittelt werden. Die verschiedenen Wege sind sehr komplex und nicht sofort nachvollziehbar. Deshalb wird in diesem Beitrag ein einfaches Konzept vorgestellt, wie man die Energiebereitstellung im Chemie/Biologie/Sport-Unterricht einführen kann. Unter genauer sportwissenschaftlicher Betrachtung sind daher einige Prozesse nur andeutungsweise und stark vereinfacht dargestellt.

S. I + II

S. I S. II

CHEMIE

Page 10: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss− 118 −

Schulpraxis

D u r c h f ü h r u n g : 10 g Kaliumchlorat werden im Reagenzglas über dem Bunsenbrenner aufgeschmolzen. Danach gibt man ein kleines Bruchstück Würfelzucker hinzu. Das Zuckerstück verbrennt unter intensivem Aufglühen und tanzt auf der Salz-schmelze bei deutlicher Geräuschentwicklung. Eine vergleich-bare Beobachtung macht man, wenn man den Würfelzucker durch ein Gummibärchen ersetzt.

Versuch 6: Die bunte Flasche (Ampelfl asche)

G e r ä t e u n d C h e m i k a l i e n : 1000 ml Flasche, Glucose, NaOH (w = 32 %, C), Natronlauge (w = 3 %, C), Indigocarmin.

S i c h e r h e i t s h i n w e i s : Schutzbrille und Kittel tragen, Na-tronlauge ist ätzend.

D u r c h f ü h r u n g : In 400 ml dest. H2O werden 10 g Glucose gelöst. Anschließend werden 10 ml Natronlauge (w = 32 %) und eine Spatelspitze Indigocarmin zugegeben.Wenn die Flasche kurz geschüttelt wird, verfärbt sie sich von blau über rot nach gelb.

Versuch 7: »Carnitin-Nachweis«

G e r ä t e u n d C h e m i k a l i e n : Mörser mit Pistill, Trichter, Filtrierpapier, Schwefelsäure (w = 10 %, C) Reineckesalz (Xn), »Fat-Burner«-Tablette.

D u r c h f ü h r u n g : Eine »Fat-Burner«-Tablette wird im Mörser zerrieben. Der Rückstand wird mit 10 ml verdünnter Schwefel-säure (w = 10 %) ausgewaschen. Die Lösung wird fi ltriert und anschließend mit 30 ml Reineckesalzlösung versetzt. Es fällt ein rosa Niederschlag aus.

In der Analytischen Chemie wird der Niederschlag abfi ltriert, getrocknet und der Schmelzpunkt (zwischen 147°C und 150°C) bestimmt.

Literatur

HOLFELD, M. (2000). Das Blue-Bottle-Experiment einmal an-ders, PdN-Chemie 49, Heft 3/49, 39−40.

HORN, F. et al. (2005). Biochemie des Menschen, Stuttgart: Thieme-Verlag, 193−202.

MARKWORTH, P. (2006). Sportmedizin, Reinbek: rororo-Verlag, 20. Aufl age, 251−259.

RIEDEL, CH. (2009). http://www.netzathleten.de/ Sportmagazin/Sportler-Ernaehrung/Doping-in-der-Antike/3053935439344177419/head (29.05.2016).

RUDY, A. & HOLFELD, M. (2011). Warum ist man nach einem Mit-telstreckenlauf außer Atem?, Denk(T)räume Mobilität Band 5: Chemie und Sport, 28−35, 2011 Lehrerbefragung.

WISKAMP, V., PROSKE, W. & HOLFELD, M. (2003). Carnitin, eine Aminosäure für die Verbrennung von Fetten, NiU-Chemie 14, Heft 75, 37−39.

ergänzung

mit

www.mnu.de

Dr. MARTIN HOLFELD, [email protected], ist Studiendirektor und Fachbereichsleiter für das mathematisch-naturwissenschaft-lich-technisches Aufgabenfeld der Bundespräsident-Theodor-Heuss-Schule, Ziegenhainer Straße 8, D-34576 Homberg/Efze. gc

S. I + II

S. I S. II

BIOLOGIELefax® versus Enzym-Lefax®

MARKUS MÜLLER

Die Medikamente gegen Völlegefühl, Lefax® und Enzym-Lefax® unterscheiden sich in den Inhaltsstoffen. Mit den Experimenten lernen die Schüler anschaulich, diese beiden Präparate im Hinblick auf ihre Wirkungsweise voneinander zu unterscheiden.

1 Einführung

Bei Völlegefühl nach einer üppigen Mahlzeit lieber Lefax® oder Enzym-Lefax® nehmen?An diesen beiden fast gleichlautenden Medikamenten können Schüler und Schülerinnen recht einfach erlernen, welche Wir-kung Enzyme im Vergleich zu anderen pfl anzlichen Inhaltsstof-

fen haben. Die beiden Medikamente unterscheiden sich nämlich in der Zusammensetzung sehr deutlich. Lefax® wird bei Blähun-gen empfohlen. Inhaltsstoffe sind: Karminativa, wie Simeticon und pfl anzliche Öle aus Fenchel, Pfefferminze und Kümmel.Karminativa sind etherische Öle aus oben genannten Pfl anzen. Während die etherischen Öle aus Pfl anzen gewonnen werden, wird Simeticon künstlich hergestellt und ist ein oberfl ächen-

Page 11: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss− 120 −

Schulpraxis

Chlorophyll: mehr nur als nur einFotosynthesepigmentVersuch zur geruchsdämpfenden Wirkung von Chlorophyll

CHRISTIANE HÖGERMANN

Es wird ein Schülerexperiment vorgestellt, das die desodorierende, also geruchsdämpfende Wirkung von Chlorophyll am Beispiel von Zwiebelstücken zeigt. Ergänzt wird die Versuchsbeschreibung durch einige Aufgaben und mögliche Antwortvor-schläge.

1 Einleitung

Im Biologieunterricht kommt der Funktion von Chlorophyll a//b ein hoher Stellenwert im Kontext mit den Primärreaktionen der Fotosynthese zu, denn als lichtinduzierter Elektronendonator ist es wesentlich an der Bereitstellung des Reduktionsäquiva-lents NADPH + H+ sowie des Energieäquivalents ATP beteiligt. Beide Stoffe bilden schließlich einige der Voraussetzungen für die Kohlenhydratsynthese im Calvin-Zyklus.

Dass Chlorophylle sowie seine Derivate, die kupferhaltigen Chlorophylline, auch in Alltagsprodukten Verwendung fi nden, tritt dabei in den Hintergrund, zumal die dem Chlorophyll/Chlorophyllin zugesprochenen desodorierenden Wirkungen wis-senschaftlich (noch) nicht ausreichend belegt sind.

Verschiedene, im Handel erhältliche chlorophyll- bzw. chloro-phyllinhaltige Lutsch- und Kaupräparate versprechen, gegen Mundgeruch zu wirken. In einem einfachen Experiment geht es darum, die Wirkung eines Chlorophyllextrakts auf den Duft von zerkleinerten Küchenzwiebeln zu untersuchen. (Detaillierte Untersuchungen zur desodorierenden Wirkung von Chlorophyll vgl. KOCH & HÜHNLER, 1995).

Dieses einfache Experiment betrifft zum einen die zumeist im Stoffwechselphysiologie-Kurs vorgeschriebene Extraktion von

Chlorophyll, das dann chromatografi sch untersucht wird, und erlaubt eine »Trend-Aussage« zur Geruchsneutralisierung durch Chlorophyll, die jedoch keinesfalls voreilig verallgemeinert werden darf − ein Aspekt, der im Rahmen der Bewertungskom-petenz mit den Schülern diskutiert werden sollte.

Anmerkung: Im Gegensatz zur klassischen Herstellung einer Rohchlorophylllösung wird in diesem Versuch die nach der Fil-tration erhaltene Chlorophylllösung nicht eingedampft, denn die Flüssigkeitsmenge ist sinnvoll, da sie die zerkleinerten Zwiebelstücke besser umspült als eine eingedampfte Lösung, wie sie für eine Chromatografi e notwendig wäre. Dabei kann ausgeschlossen werden, dass der Brennspiritus an der Chlo-rophyllwirkung beteiligt ist, denn es verdampft im Laufe des Experiments und tritt auch nach 24 Stunden nicht mehr ge-ruchlich hervor.

2 Herstellung einer Rohchlorophylllösung

2.1 Material1 Bund Petersilie,

Aceton/Petrolether (1:9) oder Brennspiritus , Seesand,

Gemüseschere, kleiner Glaskolben, Trichter, Mörser mit Pistill,Teelöffel, Fitrierpapier

2.2 DurchführungDie vom Stängel abgezupfte, sorgfältig zerkleinerte Petersilie wird zusammen mit Seesand zu einem dicklichen Brei zerrieben. Zur Extraktion des Chlorophylls gibt man unter dem Abzug so viel Lösungsmittel dazu, bis das Gemisch eine leicht fl üssige Konsistenz angenommen hat. Es soll so fl üssig sein, dass sich die Flüssigkeit ab-fi ltrieren lässt. Dazu wird das Filtrierpa-pier (ggf. aus einem Rundfi lter als Spitz-tüte zusammengefaltet) in den Trichter gelegt und das Gemisch hineingegeben. Mit einem Löffel drückt man ein wenig

S. I + II

S. I S. II

BIOLOGIE

Abb. 1. Chlorophyll- und Chlorophyllinmolekül im Vergleich (FRITZ HÖFFELER, Art for Science, Hamburg)

Page 12: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss− 122 −

Literatur

KOCH, H. P. & HÜHNLER, G. (1995): Chlorophyll − Blattgrün als Naturarzneimittel. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag.

Duft zu Versuchsbeginn Duft nach 24 Stunden

Zwiebel unbehandelt Intensiver Zwiebelduft Intensiver Zwiebelduft

Zwiebel mit Chlorophyllextrakt Abgeschwächter, aber noch recht intensiver Duft

Zwiebelduft kaum noch wahrnehmbar, leichter Duft wie von frischem Gras

Tab. 2. Ausgefüllter Beobachtungsbogen

Studienrätin Dr. CHRISTIANE HÖGERMANN, [email protected], unterrichtet am Abendgymnasium Sophie Scholl in Osnabrück die Fächer Biologie und Französisch. gc

Zur Diskussion gestellt

Die Basismodelle des Lehrens und LernensEin Analysewerkzeug zur Aus- und Fortbildung von Physiklehrkräften

RAINER WACKERMANN − HEIKO KRABBE

Hospitationen mit Unterrichtsnachbesprechungen sind fester Bestandteil der Lehrkräfteausbildung. Dabei spielen die Ziel-klarheit des Unterrichts und die Transparenz des Lernwegs als Qualitätsmerkmale oft eine wichtige Rolle. Mit der Basis-modelltheorie wird ein Beschreibungsrahmen für diese Qualitätsmerkmale vorgestellt, der problembehaftete Unterrichts-verläufe erklären und Handlungsalternativen ableiten kann. Unser Vorgehen beim Coaching von Lehrkräften wird an drei Praxisbeispielen illustriert.

1 Einleitung

Unterrichtsnachbesprechungen sind ein fester Bestandteil der Lehreraus- und -fortbildung. Sie haben zum Ziel, Lehrkräften ein möglichst unabhängiges, neutrales Feedback über ihren Unterricht zu geben und auf Stärken und Schwächen in der Unterrichtsgestaltung hinzuweisen. Deshalb sollten subjektive Verbesserungsvorschläge zu Einzelaspekten vermieden und das von der Lehrkraft gewählte didaktisch-methodische Konzept berücksichtigt werden (HORSTER, 2008). Hilfreich hierfür ist es, bereits im Vorfeld den Schwerpunkt der Unterrichtsnachbe-sprechung zu vereinbaren. GALL und ACHESON (2010) schlagen folgende organisatorische Schritte für die Durchführung einer Hospitation vor:

1. Planungssitzung zur Klärung der beiderseitigen Erwartun-gen und der Kriterien bei der Hospitation

2. Unterrichtsbeobachtung in Bezug auf die in der Planungs-sitzung festgelegten Kriterien

3. Unterrichtsnachbesprechung vor dem abgesteckten Hin-tergrund

Dadurch, dass eine transparente kriteriengeleitete Aufzeich-nung des Unterrichtsverlaufs erfolgt, können Lehrkräfte selbst Schlüsse aus den vorgelegten Daten ziehen und Rückmeldun-gen besser nachvollziehen. In der Aus- und Fortbildung von (Physik-)Lehrkräften sind die Zielklarheit des Unterrichts und

die Transparenz des Lernwegs wichtige Qualitätsmerkmale. Für diese Merkmale eignen sich nach unserer Erfahrung die Basis-modelle des Lehrens und Lernens von F. OSER (OSER & BAERISWYL, 2001) besonders gut als theoretischer Rahmen. Die Theorie wurde von uns in den letzten Jahren in der Aus- und Fortbil-dung erfolgreich verwendet, um Physikunterricht kriterien-geleitet zu beurteilen und Handlungsalternativen abzuleiten (WACKERMANN, TRENDEL & FISCHER, 2010; KRABBE, ZANDER & FISCHER, 2015). Ziel dieses Artikels ist es, das Potenzial dieser Theorie für die Unterrichtsnachbesprechung aufzuzeigen. Dazu wird im Folgenden die Basismodelltheorie vorgestellt und unser Vorge-hen bei einer Unterrichtsnachbesprechung erläutert sowie an drei realen Stundenbeispielen veranschaulicht.

2 Die Basismodelle des Lehrens und Lernens

Für eine Einordnung der Theorie der Basismodelle des Lehrens und Lernens unterscheiden wir zwischen der Sicht- und Tiefen-struktur von Unterricht. Die Sichtstruktur von Unterricht be-zieht sich auf alle Unterrichtsmerkmale, die von Außenstehen-den direkt beobachtet werden können, etwa die Sozialform, den Medieneinsatz oder die Redeanteile von Lehrer/inne/n und Schüler/inne/n. Die Tiefenstruktur von Unterricht hingegen be-zieht sich auf Merkmale, die nur durch eine Interpretation des Unterrichtsgeschehens zugänglich sind. Dazu zählen beispiels-

S. I + II

S. I S. II

Page 13: MNU 2 2017 Inhalt · MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss-

MNU Journal − Ausgabe 2.2017 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss− 130 −

chung theoretisch begründet und anhand der vorgelegten Auf-zeichnungen für sie nachvollziehbar war. Im Rahmen der von uns durchgeführten Coachings konnten einige Lehrkräfte ziem-lich rasch selber Unstimmigkeiten in ihrer Stunde nachträglich mit der Theorie beschreiben und Handlungsalternativen entwi-ckeln. Auch in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden der Physik an der Universität hat sich dieser Ansatz für die Planung und Refl exion von Unterricht unserer Ansicht nach bewährt.Die Theorie der Basismodelle wurde in jüngerer Zeit mehrfach in der Praxis des Physikunterrichts erfolgreich evaluiert (MAURER & RINCKE, 2015; ZANDER, KRABBE & FISCHER, 2013; WACKERMANN, TREN-DEL & FISCHER, 2010). Uns ist bewusst, dass es auch andere Wege gibt, guten Physikunterricht zu gestalten. Diese werden nicht in Frage gestellt. Dennoch hoffen wir, einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Physikunterrichts und zur professionellen Entwicklung von Physiklehrkräften leisten zu können, der sich auch auf andere (MINT-)Fächer übertragen lassen könnte.

Literatur

GALL, M. D. & ACHESON, K. A. (2011). Clinical Supervision and Teacher Development. New Jersey: Wiley.

GRELL, J. & GRELL, M. (1994). Unterrichtsrezepte (10. Aufl .). Weinheim: Beltz.

HORSTER, L. (2008). Unterrichtsanalyse und Nachbesprechung. Schulverwaltung Spezial, 3, 24−26.

KUNTER, M. & TRAUTWEIN, U. (2013). Psychologie des Unter-richts. Reihe: StandardWissen Lehramt. Stuttgart: UTB, 64 ff.

KRABBE, H., ZANDER, S. & FISCHER, H. E. (2015). Lernprozesso-rientierte Gestaltung von Physikunterricht. Materialien zur Lehrerfortbildung. Münster: Waxmann.

MAURER, C. & RINCKE, K. (2015). Strukturierung von Lehr-Lern-Sequenzen. In: S. BERNHOLT (Hrsg.): Heterogenität und Diversi-tät − Vielfalt der Voraussetzungen im naturwissenschaftlichen

Unterricht. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung in Bremen 2014. Kiel: IPN, 387−389.

MUCKENFUSS, H. (1995). Lernen im sinnstiftenden Kontext: Entwurf einer zeitgemäßen Didaktik des Physikunterrichts. Berlin: Cornelsen.

OSER, F., & BAERISWYL, F. (2001). Choreographies of teaching: bridging instruction to learning. In: V. RICHARDSON (Ed.), AERA’s handbook of research on teaching (4th ed.). Washington, DC: American Educational Research Association, 1031−1065.

OSER, F. & PATRY, J.-L. (1990). Choreographien unterricht-lichen Lernens. Basismodelle des Unterrichts (Berichte zur Erziehungswissenschaft, 89). Freiburg: Pädagogisches Institut der Universität.

REYER, T. (2004). Oberfl ächenmerkmale und Tiefenstrukturen im Unterricht. Berlin: Logos.

WACKERMANN, R., TRENDEL, G. & FISCHER, H. E. (2010). Evaluation of a theory of instructional sequences for physics instruction. International Journal of Science Education, 32(7), 963−985.

ZANDER, S., KRABBE, H. & FISCHER, H. E. (2013). Lehrerfort-bildung und Lernzuwächse im Fachwissen. In: S. BERNHOLT (Hrsg.), Inquiry-based Learning − Forschendes Lernen. Gesell-schaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung in Hannover 2012. Kiel: IPN-Verlag, 503−505.

ergänzung

mit

www.mnu.de

Dr. RAINER WACKERMANN, Akademischer Rat in der Didaktik der Phy-sik an der Ruhr-Universität Bochum ([email protected])

Dr. HEIKO KRABBE, Vertretungsprofessor in der Didaktik der Physik an der Ruhr-Universität Bochum ([email protected]) gc

Zur Diskussion gestellt

Der Diff erentiator −eine alte Idee wird dynamisiert

HANS-JÜRGEN ELSCHENBROICH

Ein Blick zurück auf alte, analoge Mathematik-Werkzeuge kann interessante Impulse geben, diese digital umzusetzen und damit neue Lerngelegenheiten zu schaffen. So ist aus dem Funktionenmikroskop von KIRSCH die Funktionenlupe entstanden (ELSCHENBROICH, SEEBACH & SCHMIDT 2014, ELSCHENBROICH 2015, ELSCHENBROICH 2016b) und aus Integrimeter & Integraph der Inte-grator (ELSCHENBROICH 2016a, ELSCHENBROICH 2016c). Hier soll eine alte, fast vergessene Anwendung der Differenzialrechnung, die vor allem von Ingenieuren und Technikern benutzt wurde, untersucht und digitalisiert werden.

S. I + II

S. I S. II