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Ophthalmologe 2014 · 111:77–78DOI 10.1007/s00347-013-3000-1Online publiziert: 19. Januar 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Keratokonus früherkennung durch biomechanische Eigenschaften der Kornea
Leserbrief
D. Böhringer, M. Neuburger, T. ReinhardUniversitäts-Augenklinik, Freiburg
Mit Interesse haben wir den Artikel von Gatzioufas und Seitz zur sog. Biomecha-nik der Kornea beim Keratokonus zur Kenntnis genommen [1]. Die Autoren stellen mit dem schon länger am Markt befindlichen Ocular Response Analyser (ORA®) und dem ganz neuen Corvis ST® 2 Messgeräte vor, die aktuell für die Kera-tokonusfrüherkennung diskutiert werden. Die mechanischen Eigenschaften der Kor-nea werden durch den ORA® auf die sog. korneale Hysterese (CH) reduziert. Die-se ist definiert als Augendruckabfall un-mittelbar nach kurzzeitiger Hornhautin-dentation aus dem Applanationszustand. Dieser Druckabfall ist dabei aber kein ausschließlicher Messwert mechanischer Hornhauteigenschaften, da er ganz ent-scheidend vom Augendruck abhängt [2, 3, 4]. Zudem kann die CH allein durch in-traokulare Volumenverschiebungen wäh-rend des Messvorganges erklärt werden und ist somit von Hornhauteigenschaf-ten möglicherweise sogar (weitestgehend) unabhängig.
Als bedenklich erachten wir die kri-tiklose Darstellung des „Keratokonus-Match-Index“ der neuen ORA Soft-ware 3.01. Das diesem Zahlenwert zu-grunde liegende pathophysiologische Mo-dell ist nicht offengelegt. Somit ist diese Messgröße weder wissenschaftlich inter-pretierbar noch kann sie durch den An-wender überprüft werden. Der Augenarzt
und nicht die Messapparatur trägt aber schlussendlich die Verantwortung für die unter Umständen lebensverändernde Diagnose. Wir raten daher zum derzeiti-gen Zeitpunkt von dem Einsatz des ORA® für die Keratokonusfrüherkennung ab, bis dieses Konzept in unabhängigen Studien bestätigt ist.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit das momentan noch wenig erforschte Cor-vis ST® durch seine detaillierte morpholo-gische Erfassung des Indentationsvorgan-ges in der Zukunft einen Mehrwert für die Keratokonusdetektion erbringen kann.
Korrespondierender Autor
D. BöhringerUniversitäts-AugenklinikKillianstr. 579106 [email protected]
Interessenkonflikt. D. Böhringer, M. Neuburger und T. Reinhard geben an, dass kein Interessenkonflikt be-steht.
Literatur
1. Gatzioufas Z, Seitz B (2013) New aspects on biome-chanics of the cornea in keratoconus. Ophthalmol Z Dtsch Ophthalmol Ges 110:810–817
2. Neuburger M, Böhringer D, Reinhard T, Jordan JF (2010) Recovery of corneal hysteresis after reduc-tion of intraocular pressure in chronic primary an-gle-closure glaucoma. Am J Ophthalmol 149:687–688 (author reply 688)
3. Neuburger M, Maier P, Böhringer D et al (2013) The Impact of corneal edema on intraocular pressure measurements using goldmann applanation ton-ometry, Tono-Pen XL, iCare, and ORA: an in vitro model. J Glaucoma 22:584–590
4. Spörl E, Terai N, Haustein M et al (2009) Biomechani-cal condition of the cornea as a new indicator for pathological and structural changes. Ophthalmol Z Dtsch Ophthalmol Ges 106:512–520
Erwiderung
Z. Gatzioufas1, B. Seitz2
1Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum
Genf HUG2Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum des
Saarlandes UKS, Homburg Saar
Wir danken Böhringer et al. für das In-teresse an unserem Manuskript. Aus bio-mechanischer Sicht ist die Hornhaut eine komplexe anisotropische Struktur mit nichtlinearen elastischen und viskoelas-tischen Eigenschaften [1]. Die viskoelas-tischen Eigenschaften aller biologischen Weichgewebe könnten durch die Hyste-rese, die Stressrelaxation und das visko-elastische „creep“ beschrieben werden [1]. Die Hysterese stellt ein Maß für die vis-köse Dämpfung eines Weichgewebes dar (Energieverlust zwischen „stress-loading“ und „stress-uploading“; [1]). Die korneale Hysterese (CH) ergibt sich aus der Augen-druckdifferenz zwischen der Einwärts-applanation und der Auswärtsapplanati-on der Hornhaut während des druckluft-gesteuerten dynamischen Applanations-verfahrens bei der ORA-Messung. Hun-derte Publikationen in Medline-indexed peer-reviewed Journalen in den letzten 5 Jahren haben den klinischen Stellen-wert der CH in der Analyse der kornea-len Biomechanik in vivo gut belegt. Ob-wohl die zugrunde liegenden pathophy-siologischen Mechanismen der kornea-len Biomechanik noch nicht ausreichend untersucht worden sind, liefern die ORA-assoziierten Indizes eine verlässliche Eva-luierung der kornealen Biomechanik in vivo [2, 3]. Verschiedene Faktoren haben einen Einfluss auf die korneale Hystere-se: die Hornhautdicke (positive Korrela-tion), der intraokulare Druck (negative Korrelation), das Alter (negative Korrela-tion), die axiale Länge (negative Korrela-
Originalpublikation
Gatzioufas Z, Seitz B (2013) Neues zur Biome-chanik der Kornea bei Keratokonus. Ophthal-mologe 110:810–817
77Der Ophthalmologe 1 · 2014 |
Leserbriefe
tion) und das Kmax (negative Korrelation; [3]). Dass auch intraokulare Volumenver-schiebungen während des Messvorganges einen Einfluss auf die CH haben könnten, wie Böhringer et al. behaupten, ist uns un-bekannt.
Der Keratokonus-Match-Index (KMI) der neuen ORA-Software 3.01 ermöglicht eine primäre biomechanische Charakte-risierung des Keratokonus nach Schwe-regrad der Krankheit. Die Entwicklung des KMI basiert auf der Datenanalyse von 7 ORA-Wellenfront-Indizes mit sta-tistisch signifikanter Differenzierungsfä-higkeit zwischen Keratokonushornhäu-ten und normalen Hornhäuten bei einem Patientenkollektiv aus internationalen Referenzzentren für Keratokonus (Daten von Reichert Technologies Inc.). Unse-re Arbeitsgruppe hat den klinischen Stel-lenwert des KMI in der Keratokonusdia-gnose validiert und konnte einen hohen Vorhersagewert von 97,7% nachweisen („cutt-off point“: 0,512, Sensitivität: 91,1%, Spezifität: 94,3%; [4]). Die ROC-Analyse für den Forme-fruste-Keratokonus ergab einen Vorhersagewert von 94% („cut-off point“: 0,721, Sensitivität: 85,7%, Spezifi-tät: 87,5%; [5]).
Ohne Zweifel stellen die korneale To-pographie und Tomographie die Grund-lage für die Keratokonusdiagnose dar. Al-lerdings sind die heutzutage zur Verfü-gung stehenden Hornhaut-topographi-schen Modalitäten für die Erkennung des Forme-fruste-Keratokonus nicht adäquat. Es ist dokumentiert worden, dass sich die Berücksichtigung der kornealen Biome-chanik, und zwar der ORA-assoziierten Indizes, für die klinische Abklärung der „grauen Zonen“, bei denen die konventio-nelle Hornhauttopographie eine limitier-te Aussagekraft hat, als wertvoll erweisen könnte [6, 7]. Unserer Meinung nach hat die Mitberücksichtigung der kornealen Biomechanik eine zunehmend bedeut-same Rolle als zusätzliche dia gnostische Möglichkeit in der modernen Keratoko-nusdiagnostik, insbesondere bei grenz-wertigen Fällen, bei denen der Goldstan-dard, nämlich die Hornhauttopographie und -tomographie, keine eindeutige Aus-sage liefert.
Das Corvis ST wird momentan im Rahmen multizentrischer Studien vali-diert, und es bleibt abzuwarten, inwieweit
das Corvis ST einen Mehrwert für die Früherkennung des Keratokonus erbrin-gen kann, wie korrekterweise von Böhrin-ger et al. vermutet wird.
Korrespondierender Autor
PD Dr. Z. GatzioufasKlinik für AugenheilkundeUniversitätsklinikum Genf HUGRue Alcide-Jentzer 221211 Genf, [email protected]
Interessenkonflikt. Z. Gatzioufas und B. Seitz geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
1. Elsheikh A (2010) Understanding corneal biome-chanics through experimental assessment and nu-merical simulation. Nova Science Pub Inc, New York
2. Dupps WJ (2013) Introduction to corneal biome-chanics. In: Hafezi F, Randleman JB (Hrsg) Corneal collagen cross-linking, 1. Aufl. Slack Inc., Thorofare
3. Terai N, Raiskup F, Haustein M et al (2012) Identifi-cation of biomechanical properties of the cornea: the ocular response analyzer. Curr Eye Res 37:553–562
4. Labiris G, Gatzioufas Z, Sideroudi H et al (2013) Biomechanical diagnosis of keratoconus. Evalua-tion of the keratoconus match index and the ke-ratoconus match probability. Acta Ophthalmol 91:258–262
5. Labiris G, Giarmoukakis A, Gatzioufas Z et al (o J) Diagnostic capacity of Keratoconus Match Index and Keratoconus Match Probability in subclinical keratoconus. J Cataract Refract Surg (im Druck)
6. Schweitzer C, Roberts CJ, Mahmoud AM et al (2010) Screening of forme fruste keratoconus with the ocular response analyzer. Invest Ophthalmol Vis Sci 51:2403–2410
7. Saad A, Lteif Y, Azan E, Gatinel D (2010) Biomecha-nical properties of keratoconus suspect eyes. In-vest Ophthalmol Vis Sci 51:2912–2916
Schutz vor Eintrübung der Augenlinse
Der Mechanismus zur Aktivierung des
αA-Crystallin, eines Hitzeschockproteins
der Augenlinse, konnte nun von Forschern
der Technischen Universität München ent-
schlüsselt werden.
Die Augenlinse besteht aus einer hochkon-
zentrierten Proteinlösung, die transparent
ist und die ihr die Brechkraft verleiht. Die
Hitzeschockproteine αA-Crystallin und
αB-Crystallin schützen die Proteine vor
dem Aggregieren. Es war bereits bekannt,
dass αB-Crystallin aus 24 Untereinheiten
besteht. Da dies die inaktive Form darstellt,
verhindert sie das Aggregieren der Augen-
linsenproteine nur wenig. Jetzt konnten die
Forscher zeigen, dass der Proteinkomplex
bei Stress wie Hitze zu Untereinheiten
unterschiedlicher Größe zerfällt. Durch den
Zerfall werden Andockstellen für andere
Proteine frei, welches das Protein aktiviert.
Diese Erkenntnisse könnten zu neuen The-
rapieformen für den grauen Star führen,
der bisher nur durch Einsetzen einer künst-
lichen Linse behandelt werden kann. Es
wäre denkbar, dass bei einer eingetrübten
Augenlinse durch Einspritzen eines Medi-
kamentes, der Aktivierungsmechanismus
des αB-Crystallins aktiviert wird, so dass die
Linse wieder transparent wird.
Literatur: Peschek J, Braun N, Rohrberg J et
al (2013) Regulated structural transitions
unleash the chaperone activity of αB-Crys-
tallin. PNAS.110: 3780-3789
Quelle:
Technische Universität München,
www.tum.de
Fachnachrichten
78 | Der Ophthalmologe 1 · 2014