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Das Beste der Logistik Innovationen, Strategien, Umsetzungen Helmut Baumgarten (Hrsg.)

Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

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Das Beste der LogistikInnovationen, Strategien, Umsetzungen

Helmut Baumgarten (Hrsg.)

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Helmut Baumgarten (Hrsg.)

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ISBN: 978-3-540-78404-3 e-ISBN: 978-3-540-78405-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte

biblio grafische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

Beitrag „Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie“ hat

abweichend hiervon © AUDI AG 2008 mit freundlicher Genehmigung an Springer-Verlag

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des

Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder

der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur aus-

zugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im

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land vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig.

Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne

besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-

Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Gestaltung und Satz: designhaus berlin

Gedruckt auf säurefreiem Papier

9 8 7 6 5 4 3 2 1

springer.com

HerausgeberProf. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten

Institut für Technologie und Management

Straße des 17. Juni 13510623 [email protected]

Technische Universität BerlinFakultät Wirtschaft und Management

Bereich Logistik

Unter Mitarbeit von Nils von DietmanAndreas WielandWolf-Christian HildebrandMartin KeßlerDr. Jack Thoms

Mit freundlicher Unterstützung der Bundesvereinigung Lagistik (BVL) e. V., Schlachte 31, 28195 Bremen

DOI 10.1007/978-3-540-78405-0

Lektorat und Korrektur: Reiner Juring, Bielefeld

Einbandgestaltung: WMXDesign, Heidelberg, nach Vorlage vom designhaus berlin

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Drei Jahrzehnte ist es her, dass eine Handvoll Wissenschaftler und Manager den Begriff der Logistik als neuen unterneh-merischen Denkansatz in Deutschland etablierte. Die Generation der Logistik-Pioniere in Wissenschaft und Praxis wird derzeit abgelöst durch junge, innovative Logistiker der nachfolgenden Generation. Die Logistik ist indessen nicht nur fest in den Unternehmen verankert, sie ist auch zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Die Leistungen beim Auf- und Ausbau logistischer Systeme und logistischer Infrastruktur sind gewaltig, gleichzeitig hat sich Deutschland auf diesem Gebiet weltweit eine Spitzenposition erarbeitet. Die Wissenschaft hat umfangreiche Curricula zur Deckung einer künftig weiter steigenden Nachfrage nach qualifi ziertem Nachwuchs geschaffen und gewährleistet mit neuen Forschungsfeldern die stetige Weiterentwicklung des Logistik-Wissens. Zeit also, eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Das Spektrum logistischer Aufgaben und Verantwortungsbereiche ist heute so vielfältig, dass ein vollständiges Abbild der Logistik in einem Buch kaum möglich ist. Hier soll das derzeit Beste aus Forschung und Praxis in der Logistik präsentiert werden, dazu gehören die innovativsten Ideen, die erfolgreichsten Strategien und die besten Umsetzungen. Die Auswahl fällt nicht leicht, viele exzellente Lösungen sind inzwischen am Markt zu fi nden.

Ich freue mich, eine Reihe herausragender Praktiker und Wissenschaftler, darunter mehrere Träger des Deutschen Logistik-Preises und anderer Auszeichnungen, für dieses Buch gewonnen zu haben. Die Autoren gehören zur Spitze der logistischen Praxis und Forschung und stehen stellvertretend für eine außerordentlich innovative Branche, die mit ihrer dynamischen Entwicklung die Position der deutschen Wirtschaft im globalen Wettbewerb maßgeblich stützt.

In Zeiten schwankender Marktentwicklungen, volatiler Rohstoffpreise und Wechselkurse sowie sich verändernder politischer Rahmenbedingungen warten heute bereits neue Herausforderungen auf Unternehmen und Volkswirtschaften gleichermaßen. Wir stehen vor einer weiteren Etappe der faszinierenden Entwicklung der Logistik. Die Verkehrsinfrastruktur – national wie international – muss auf einen stetig wachsenden weltweiten Warenverkehr vorbereitet werden, und die Unternehmen müssen ihre Prozesse mithilfe neuer IT-Lösungen effi zient, anpassungsfähig und fl exibel gestalten. Die An-fänge hierfür sind bereits gemacht. Und so bietet dieses Buch nicht nur Gelegenheit, den erfolgreichen Entwicklungspfad der Logistik und ihre aktuellen Leistungen zu dokumentieren, sondern auch einen optimistischen Ausblick zu wagen auf die vielen spannenden Zukunftsfelder einer chancenreichen Branche und eines attraktiven Forschungszweiges.

Mein besonderer Dank gilt den über fünfzig Autoren für ihre große Bereitschaft, an diesem Buch mitzuwirken. Die Diskussionen und die Durchsicht der Beiträge haben mir große Freude bereitet. Besonderer Dank gilt weiterhin der Bun-desvereinigung Logistik, insbesondere deren Vorsitzendem des Vorstands Prof. Dr. Raimund Klinkner und dem Geschäfts-führer Dr. Thomas Wimmer, die sich für die Idee begeistern ließen und die Erstellung des Buches durch ihre Unterstützung ermöglicht haben.

Herzlich danken möchte ich meinen Mitarbeitern Nils von Dietman, Andreas Wieland, Martin Keßler, Wolf-Christian Hildebrand und Dr. Jack Thoms für die umfassende Unterstützung bei der wissenschaftlichen und administrativen Herausgeberarbeit.

Berlin, im April 2008 Helmut Baumgarten

Vorwort

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Inhalt

Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz 11Helmut Baumgarten

1. Der Logistik-Faktor – Bedeutung einer exzellenten Logistik

Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik 23Hanspeter Stabenau

„Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik 33Raimund Klinkner, Thomas Wimmer

Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten 47Matthias von Randow

Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren 55Dirk Reich, J. Rod Franklin

Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland 69Wolf-Christian Hildebrand, Angela Roth

Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen 81Christopher Jahns, Inga-Lena Darkow

2. Innovationen – Logistik ist Wandel

Wert- und innovationsorientierte Logistik – Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg 91Hans-Christian Pfohl, Holger Köhler, Carsten Röth

Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service 103Michael ten Hompel

Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik 113Gerd Wolfram

Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken 121Stefan Wolff, Wendelin Groß

Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik 137Stefan Fischer

Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement 147Klaus-Stephan Otto

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3. Strategien – Entwicklung einer logistikorientierten Unternehmensführung

Entwicklungspfade der Logistik 161Horst Wildemann

Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft 175Joachim Zentes

Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie 185Ernst-Hermann Krog, Katsiaryna Statkevich

Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor 197Michael J. Kolodziej, Petra Mostberger, Michael Sternbeck

Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen 209Tony Van Osselaer

Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene 219Norbert Bensel

Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte 229Michael Kubenz

Assessing the State of Supply Chain Management 245Thomas W. Speh

4. Umsetzungen – Unternehmen im kooperativen Transformationsprozess

Die Fabrik von heute für das Auto von morgen 257Nikolaus Bauer

Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung 269Ekkehard Gericke

Extremlogistik im Landmaschinenbau 281Ulf Leinhäuser, Josip T. Tomasevic, Bülent Ileri, Peter Rudzio

Convenient Logistics 293Christian Berner

Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main 303Karl-Rudolf Rupprecht, Hartmut Zadek

Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts 319Niklas Wilmking

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5. Logistik der Zukunft – Motor der globalen Vernetzung

Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft 333Peter Klaus

Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia 353Mark Goh, Luo Lei, Robert de Souza

Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market 369Ludmila Simonova

Veränderung globaler Warenströme und die Auswirkungen auf Logistik-Mega-Hubs 381Roland Zibell

Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung 391Detthold Aden

Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit 405Kay Middendorf

Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025 415Stefan Walter, Heiko A. von der Gracht, Florian Schick

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Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz

Helmut Baumgarten

Herausgeber

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Prof. Dr.-Ing. Helmut BaumgartenJahrgang 1937Baumgarten gründete den Bereich Logistik an der TU Berlin und bauteihn zu einer der führenden Forschungs- und Ausbildungsinstitutionen aus.Er war langjähriger Direktor des Instituts für Technologie und Management. Er gehört zu den Gründern der ganzheitlichen undprozessorientierten Logistik. Schwer-

punkte seiner Tätigkeiten waren auch die Weiterentwicklung der Berufsbilder von Wirtschaftsingenieuren und Logistikern. Er ist Mitbegründer der BVL und Mitinitiator des jährlichen Logistik-Kongresses in Berlin, heute Ehrenmitglied. Er war langjähriges Vorstandmitglied im Verband Deutscher Wirt-schaftsingenieure (VWI) und langjähriges Mitglied des Präsi-diums des Deutschen Verkehrsforums. Baumgarten gründete mehrere Unternehmen, u. a. die Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung (ZLU) GmbH und die Logplan Airport Logistics Consulting GmbH Berlin, Frankfurt/Main, Denver. Er ist Berater für die Bereiche Logistik und Unternehmens-planung. Baumgarten ist Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse (2003) und wurde in die Logistik Hall of Fame aufgenommen (2007).

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Exzellenz fi ndet sich auf allen Ebenen der Logistik, in In-novationen, Strategien und Umsetzungen. Es fi ndet ein Wechselspiel zwischen Unternehmen und der Forschung statt, Innovationen und Strategien aus Forschung und Entwicklung werden in die Praxis rückgekoppelt und müssen ihre Relevanz in der Umsetzung behaupten, gleichzeitig werden Entwicklungen aus Unternehmen von der Forschung aufgegriffen. Im vorliegenden Werk wer-den herausragende und innovative Lösungen vorgestellt, die sich teilweise bereits bewährt und zur Steigerung von Unternehmenswerten beigetragen haben, teilweise aber auch Zukunftskonzepte, deren Umsetzung bevorsteht. Die Vielfalt der Logistik spiegelt sich auch in der Zusammen-setzung der Autorenschaft wider, die gleichermaßen die Wissenschaft und Unternehmen aus Industrie, Handel, Dienstleistung sowie Verkehr berücksichtigt. Dokumen-tiert wurden dabei keine Insellösungen, sondern vielmehr bereichsübergreifende Konzepte, die dem Flussgedanken der Logistik Rechnung tragen.

Bedeutungswandel der Logistik – Evolution eines Wirtschaftsfaktors

Wer hätte schon vor 30 Jahren gedacht, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Logistik als einer der entschei-denden Wettbewerbsfaktoren im globalen Wettbewerb und gleichzeitig als ein Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft gelten würde? Wer hätte gedacht, dass Logis-tiker in den Führungsetagen von DAX-Unternehmen sitzen und sich inzwischen sogar Gedanken über die Umweltver-träglichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit globaler Wert-schöpfungssysteme machen?

Logistik wurde lange Zeit reduziert auf Transport, La-ger und Lkw-Spediteure. Die Logistik spielte sich lediglich auf Inseln der Wertschöpfung ab, im Warenverteilzen-trum, in der Produktionsversorgung, in der Distribution. Die Schnittstellen zwischen diesen Funktionsbereichen wurden vernachlässigt, was beinahe zwangsläufi g zu ho-hen Zwischenbeständen in der Lieferkette sowie langen Durchlauf- und Lieferzeiten führen musste. Der in den 80er Jahren einsetzende Kostendruck, initiiert durch eine zunehmende weltweite Konkurrenzsituation und die be-

ginnende Übersättigung vieler Märkte, erzeugte jedoch bald neue Anforderungen an die Qualität und Effi zienz der Prozessabwicklung. Insbeson dere in der Automobilindus-trie wurde der Druck japanischer Konkurrenten mit deut-lich steigenden Marktanteilen spürbar. Unternehmen wie Toyota hatten offenbar mit neuen Produktionsmethoden den klassischen Konfl ikt aus Kostensenkung und Quali-tätssteigerung durch brochen. Der Handlungsbedarf wurde hierzulande erkannt, und schnell wurde deutlich, wo die Defi zite der Deutschen und der Europäer lagen. Die taylo-ristische, funktionale Zergliederung der Produktion hatte zwar zu enormen Produktivitätssteigerungen in einzelnen Arbeitsbereichen geführt, den Wertschöpfungsprozess insgesamt jedoch unüberschaubar komplex gestaltet. Mit einfachen, fl ussorientierten Steuerungsprinzipien wie Kanban wurden erste Ansätze zur Vereinfachung und Be-schleunigung von Prozessen aus Japan aufgenommen.

Seither hat sich vieles in der Logistik getan. Der Blick wurde vom Produktionsprozess auf den Gesamtwert-schöpfungsprozess erweitert. Vom Logistik-Pionier Au-tomobilindustrie ist der Flussgedanke längst auf viele andere Branchen übergesprungen. Mit dem Konzept des Supply Chain Management wurde das Prozessdenken und die konsequente Kundenorientierung in vielen Branchen zum neuen Paradigma, zudem rückten Informationsströme und Kosten in den Fokus der Logistik.

Die zunehmende Beschäftigung der Logistik mit Fragen des Managements und der Organisation rief bald die Wis-senschaft auf den Plan. Die Transformation von Funktions-unternehmen zu kundenorientierten Prozessunternehmen warf eine Reihe technologischer und organisationstheo-retischer Fragen auf, deren wissenschaftliche Klärung an einigen Universitäten in Deutschland schnell fruchtbaren Boden fand.

Herausragende Persönlichkeiten, die auf wissen-schaftlicher Seite die Logistik begleitet haben, konnten für dieses Buch gewonnen werden. Die Beiträge von Hans-peter Stabenau, Hans-Christian Pfohl, Joachim Zentes, Horst Wildemann und Peter Klaus verdeutlichen zum ei-nen die Bedeutung wissenschaftlicher Wirtschaftsanaly-sen als wichtige Orientierung für die Praxis, zum anderen aber auch das breite Themenspektrum, das heute von

Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer ExzellenzHelmut Baumgarten

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Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Logistik abgedeckt wird.

Auch wenn die Wissenschaft mit ihren Ideen der voll-ständigen Prozessorientierung und bestandslosen, durch Dienstleister gesteuerten, antizipativen Lieferketten der Praxis zuweilen sehr weit vorausgeeilt sein mag, ist ihre

Rolle in der Weiterentwicklung logistischen Gedanken-guts heute unumstritten. Mit ihren Studien zur Entwick-lung der Logistik hat auch der Bereich Logistik der TU Berlin gemeinsam mit der Bundesvereinigung Logistik die Logistikentwicklung in Deutschland dokumentiert. Ak-tuelle Trends wurden aufgenommen, kritisch hinterfragt

Abb. 1: Logistik im Zeitverlauf

Aufbau und Optimierung von Prozessketten

Aufbau und Optimierung von Wertschöpfungsketten

Aufbau und Optimierung globaler Netzwerke

Optimierung funktionsübergreifen-der AbläufeAuftragsabwicklung

Optimierung abgegrenzter Funktionen

1970er

1980er

1990er

2000er

2010er

Beschaffung

Beschaffung

Klassische Logistik

Logistik als Querschnittsfunktion

TransportUmschlagLagerung

Klassische Logistik

TransportUmschlagLagerung

Klassische Logistik

Produktion

Produktion

Absatz

Vertrieb

Kunde

Phase der funktionalen Integration

Phase der unternehmensübergreifenden Integration

Logistik integriert Funktionen zu Prozessketten

Logistik integriert Unternehmen zu Wertschöpfungsketten

Phase der weltweiten Integration von Wertschöpfungsketten

Logistik integriert Wertschöpfungsketten zu globalen Netzwerken unter Einbezug sozio-ökonomischer Faktoren

KundeKunde

Kunde

Entwicklung Versorgung

Lieferant

Produktion

Produzent

Distribution

Handel

Auftragsabwicklung

Entsorgung

Kunde

Logistik-Dienstleister Logistik-Dienstleister Logistik-Dienstleister

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15Helmut Baumgarten

und kanalisiert, Strategien auf ihre Erfolgswirksamkeit hin geprüft.

Die BVL bot dabei in den letzten 30 Jahren eine erfolg-reiche Plattform zum Wissens- und Erfahrungsaustausch. Jährlich wachsende Mitglieder- und Teilnehmerzahlen am Deutschen Logistik-Kongress sind Indizien für das wach-sende Interesse an einem intensiven Diskurs zu aktuellen logistischen Fragestellungen. Im Beitrag von Raimund Klinkner und Thomas Wimmer wird der Stellenwert der Logistik als Wirtschaftsfaktor und Impulsgeber für Verän-derungen vor dem Hintergrund wachsenden Wettbewerbs herausgestellt.

Die Logistik ist nach wie vor ein Wachstumsmarkt. Die Aufgabengebiete erweitern sich stetig und die Um-setzungen logistischer Konzepte erfordern einen neuen Manager-Typ, der jenseits technischer Fragestellungen und organisatorischer Fundamentaltheorien den dringend notwendigen Wandlungsprozess in den Unternehmen vorantreibt, mit Feingefühl für Bereichsinteressen und Überzeugungskraft für neue Ideen. Welche Auswirkungen dies für die akademische Ausbildung von Nachwuchsfüh-rungskräften für die Logistik hat, wird in den Beiträgen von C. Jahns/I.-L. Darkow und W.-C. Hildebrand/A. Roth im Detail dargestellt.

Der Bedarf an gut ausgebildeten Logistikmanagern ist groß. Der Innovationsdruck auf die Unternehmen wächst, gleichzeitig sind viele Branchen von der vollständigen Umsetzung innovativer Kunden-Service-Strategien noch weit entfernt. Auf dem Weg zum Logistiker als Moderator interdisziplinärer Prozessteams und als Orchestrator der Supply Chain sind noch einige Hürden zu nehmen.

Im Zyklus des Wandels – Innovation, Strategieentwicklung, Umsetzung

Die beachtliche, hochdynamische Entwicklung der Logistik in den vergangenen drei Jahrzehnten, wie sie im voran-gegangenen Abschnitt skizziert wurde, beruht auf dem ungebrochenen Erneuerungs- und Innovationsstreben der verantwortlichen Logistiker in der Praxis, aber auch auf der zunehmenden wissenschaftlichen Auseinanderset-zung mit logistischen Herausforderungen.

Ohne die konsequente Weiterentwicklung der unter-stützenden Technologien und der Methoden der Manage-mentpraxis wäre die Entwicklung der Logistik zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor im Unternehmen und zum Wirtschaftsfaktor in der Gesellschaft undenkbar gewesen. Das Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis hat sich dabei insbesondere in den vergangenen 15 Jahren kon-

tinuierlich verbessert. Heute ist eine zunehmend enge Verzahnung zwischen den innovativen Projektthemen der Praxis und den Forschungsinhalten der Hochschulen fest-zustellen. Die Zusammenarbeit reicht von gemeinsamen Forschungsprojekten und Arbeitskreisen über konkrete Forschungsaufträge bis hin zu Stiftungsprofessuren der Wirtschaft. Heute ist die Logistik in der Forschung an-erkannt sowohl im Management als auch in der Techno-logieentwicklung und -anwendung. Allen voran hat das Internet die unternehmensinterne und -übergreifende Kommunikation essenziell verändert. Es unterstützt die dezentrale Steuerung von Netzwerken und die Umgestal-tung von Wertschöpfungsnetzwerken. Durch den Rück-griff auf die Telematik sind Logistiklösungen entstanden, die zu mehr Effi zienz in der Transport- und Verkehrslogistik geführt haben. So lassen sich durch den kombinierten Ein-satz von GPS und bestehenden Lösungen weitreichende Verbesserungen bei der Warenverfolgung im Rahmen von Tracking und Tracing erzielen. Smart Container geben Auskunft über den Zustand von Waren und lassen sich weltweit verfolgen. Flottenmanagementsysteme erlau-ben eine Analyse und Steuerung von Transportmitteln und befähigen die Logistik zu zeitnahen Reaktionen auf unplanbare Ereignisse.

Aktuelle technologische Innovationen wie beispiels-weise RFID werden maßgeblich von der Logistik voran-getrieben, derzeit entstehen neue Forschungscluster, die eine Übertragung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auf Problemstellungen der Logistik untersuchen, ähnlich wie es die Bionik seit einiger Zeit erfolgreich für den Technikbereich vorgemacht hat. So lassen sich aus der Schwarmintelligenz gewonnene Optimierungsansätze auf die Logistik übertragen, um die Transportwege zu ver-kürzen. Auch die Vorstellung von robusten und fl exiblen Systemen in der Logistik fi ndet in der Natur ihre Entspre-chung, indem Elemente logistischer Systeme als Organe aufgefasst werden.

Das zweite Kapitel dieses Buches widmet sich den In-novationen und stellt hierzu einige Vorreiter aktueller For-schungszweige in der Logistik und darüber hinaus sowie Entwicklungen in der Praxis vor, deren Ergebnisse neue Effi zienzsprünge für das Management logistischer Netz-werke erwarten lassen.

Trotz der Vielzahl neuer Entwicklungsperspektiven in der Logistik haben sich im Entwicklungsprozess der Logistik bis heute drei wesentliche Basisstrategien herauskristalli-siert, die offensichtlich nachhaltige Gültigkeit besitzen.

Kundenorientierung, Prozessorientierung und ein ganzheitlicher Managementansatz gelten gemeinhin als

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16 Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz

Basisstrategien der Logistik. Die Vorstellung von einer Ausrichtung des Unternehmens am Kunden hat bereits seit Langem Eingang in die Managementliteratur gefun-den. Da der Kunde letztlich die Leistung des Logistik-netzes beurteilt, sind effektive und zeitnahe Antworten auf sich ständig ändernde Kundenwünsche essenzielle Komponenten einer erfolgreichen logistischen Leistungs-fähigkeit – auch über die Unternehmensgrenzen hinweg. Bezogen sich die Kundenwünsche noch vor wenigen Jahren vornehmlich auf die eigentliche Funktion des Pro-dukts, so weiteten sich die Wünsche mittlerweile auf logistische Prozesse aus, die mit dem Produkt verknüpft sind. So erwarten Kunden heute beispielsweise eine hohe Liefergeschwindigkeit und -qualität. Zunehmend werden, vor allem bei hochwertigen Produkten, Dienstleistungen Teil des Produktumfangs bis hin zu sogenannten Integra-ted Logistics Services. Die Umsetzung einer konsequen-ten Kundenorientierung ist angesichts realer, komplexer Strukturen der Lieferkette oft eine langfristige Heraus-forderung. Eine Auswirkung der prozessorientierten Or-ganisationsgestaltung ist, dass aufgrund der geforderten Selbstständigkeit der prozessverantwortlichen Mitar-beiter Entscheidungsbefugnisse in die untergeordnete Hierarchiestufe delegiert werden, was häufi g zum Abbau von Hierarchiestufen und somit zur Beschleunigung von Entscheidungsstrukturen führt. Die Durchsetzung des Prozessgedankens im Unternehmen und über Unterneh-mensgrenzen hinweg erfordert jedoch ein enges Zusam-menspiel der Prozessbeteiligten, das nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Vielmehr ist von einer Reihe historisch gewachsener und systemimmanenter Zielkon-fl ikte auszugehen, die einer am Kunden ausgerichteten, durchgängigen Prozesskette zunächst entgegenstehen. Eine ganzheitliche, integrative Betrachtung der Prozess-kette, wie sie von der Theorie immer wieder gefordert wird, setzt entweder einen ausgeprägten Kooperations-willen der Supply-Chain-Partner oder eine machtgetrie-bene Durchsetzung prozessorientierter Konzepte durch ein fokales Unternehmen voraus. Der langjährige Kampf um die Durchsetzung neuer Hoffnungsträger der unter-nehmensübergreifenden Zusammenarbeit wie Effi cient Consumer Response (ECR) und Collaborative Planning Forecasting and Replenishment (CPFR) zeugen von den organisations- und komplexitätsgetriebenen Barrieren des Supply Chain Managements. In einigen Branchen hat daher die machtgetriebene Vertikalisierung als wirksame Alternative zum kooperativen Ansatz Einzug gehalten. Insbesondere im Handel wird durch gesetzliche Aufl agen, beispielsweise im Bereich der Rückverfolgbarkeit von

Produkten, der Einfl uss der Handelsunternehmen auf vor-gelagerte Wertschöpfungsstufen weiter zunehmen. So können zum einen der Weg des Produkts vom Hersteller bis ins Verkaufsregal verfolgt und zugleich ganzheitlich optimierte Transportkonzepte mit hohen Bündelungsef-fekten genutzt werden.

Im dritten Kapitel werden erfolgreiche Strategien dokumentiert und anhand unterschiedlicher Branchen vielversprechende Ansätze zur Verbesserung der über-betrieblichen Abstimmung und Koordination vorgestellt. Dabei fi nden neben den physischen und informatorischen Prozessen heute zunehmend auch Kosten Berücksichti-gung. Durch die Verkürzung von Cash-to-Cash-Cycles, die Optimierung des Kapitaleinsatzes und die Erfolgsmes-sung auf Basis fi nanzwirtschaftlicher Kennzahlen kann die Logistik heute nicht nur ihren Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswertes erhöhen, sondern diesen auch transparenter machen.

Dies ist auch und insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass neue Logistikkonzepte häufi g Gefahr laufen, als langfristig erfolgsneutrale Modeerscheinungen abge-tan zu werden. Tatsächlich ist die Zweckmäßigkeit von In-novationen, Strategien und Umsetzungen in hohem Maße vom Kontext abhängig, etwa der Branche, der Unterneh-mensgröße oder besonderen Kundenanforderungen.

Im vierten Kapitel werden erfolgreiche Umsetzungen und Logistiklösungen unter Einbeziehung ihres speziellen Kontexts vorgestellt. So muss die logistikgerechte Gestal-tung eines Werkslayouts angesichts der erheblichen Inves-titionen die zukünftigen Anforderungen an die Fertigung für viele Jahre antizipieren. Innerhalb der Architektur von Gebäuden und Fertigungsstraßen werden zukünftig ver-stärkt atmende Strukturen gefordert sein, um der hohen Dynamik von Märkten, Produktgestaltung und Kundenan-forderungen auf Dauer gerecht werden zu können.

In anderen Bereichen gilt es, mit besonderen Service-leistungen einen Differenzierungsvorteil gegenüber dem Wettbewerb zu schaffen. Bei der Versorgung mit Er-satzteilen für hochwertige Maschinen und Anlagen oder medizinische Geräte etwa zählt im Zweifel jede Minute in der Distribution, da Ausfallzeiten erhebliche Opportu-nitätskosten verursachen. In Einzelfällen können daher sogar extreme Versorgungswege per Hubschrauber oder Einzelkurier gerechtfertigt sein. Dass die so erreichten Servicekennzahlen nicht als Benchmark für alle Branchen dienen können, liegt auf der Hand. Im Groß- und Einzel-handel beispielsweise stehen bis heute überwiegend Kostenkennzahlen im Vordergrund. Durch die Optimierung des Verhältnisses aus Lagerung/Bündelung und zeitnaher

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17Helmut Baumgarten

Versorgung gilt es, den Zielkonfl ikt zwischen Transport-optimierung und Minimierung von Out-of-Stocks im Sinne des Kunden zu lösen. Einige Handelsunternehmen begin-nen derzeit, sich durch stärkere Einfl ussnahme auf die Beschaffung in diesem Bereich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Unabhängig von der Zielsetzung logistischer Projekte gilt jedoch der Grundsatz, dass der Erfolg der Umsetzung auf Schaffung von Transparenz und intelligentem Ein-satz von Kennzahlen beruht. Ohne die genaue Kenntnis der relevanten Güter-, Informations- und Finanzströme kann das Projektziel nicht klar defi niert werden und die Planung läuft ins Leere. Das gilt in besonderem Maße für Großprojekte und Großereignisse. Die Vorbereitung der Olympischen Sommerspiele ist ein ausgezeichnetes Bei-spiel für den erheblichen Planungsaufwand, der mit der reibungslosen Durchführung einer solch komplexen und kapazitätsintensiven Logistikaufgabe verbunden ist.

Ausblick – neue Horizonte

Exzellente Logistik – das ist heute weit mehr als nur Best Practice in operativen Prozessen. Exzellenz in der Logistik heißt, den Kunden zum Ausgangspunkt und Initi-ator der Produktgestaltung und der produktbegleitenden Serviceleistungen zu machen, das Logistiknetzwerk auf zukünftige Anforderungen vorzubereiten und durch eine Beschleunigung des Innovations-Umsetzungs-Kreislaufs einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil für das Unter-nehmen zu generieren. Die wesentlichen Eckpfeiler der Logistik – Kundenorientierung, Prozessorientierung und ganzheitlicher, integrativer Ansatz – haben heute eine höhere Wertigkeit als in den Anfängen der Logistik vor 30 Jahren.

Geändert hat sich vor allem der Bezugsrahmen. Die Auftragsabwicklung wird heute nicht mehr nur durch ein einzelnes Unternehmen hindurch gesteuert, sondern durch ein weitreichendes Netzwerk aus Vorlieferanten, Liefe-ranten, OEMs, Dienstleistern und Handel. Zunehmend bewegt sich die Logistik in globalen Wertschöpfungssys-temen, die auf die Ausnutzung globaler Lohnkosten- und Kompetenzvorteile abzielen.

Die Beseitigung von Handelshemmnissen zwischen den Volkswirtschaften, die Liberalisierung von Märkten sowie sinkende Kommunikations- und Transportkosten ha-ben in den vergangenen Jahren die Internationalisierung des Wirtschaftens nachhaltig beschleunigt. Insbesondere das fortschreitende Zusammenwachsen Europas hat tief greifende Veränderungen von Logistiknetzen zur Folge.

Bewährte Verfl echtungen von Unternehmen geraten ins Wanken, neue bilden sich. Westeuropäische Volkswirt-schaften mit vergleichsweise hohen Löhnen sind heute der aufstrebenden Konkurrenz in unmittelbarer osteuropä-ischer Nachbarschaft ausgesetzt. Zudem tun sich mit Chi-na und Indien auch in Asien ernst zu nehmende Akteure im Welthandel auf und bestechen ebenso wie die Akteure in Osteuropa mit geringen Produktionskosten bei stetig stei-genden Qualitätsstandards. Die großen Unterschiede der Faktorkosten durch das Aufeinandertreffen zuvor weitge-hend autonomer Wirtschaftssysteme waren bislang der entscheidende Impulsgeber der Globalisierung.

Im weltweiten Wettbewerb um die Gewinnung mul-tinationaler Unternehmen spielt jedoch zukünftig die Vorhaltung einer effi zienten logistischen Infrastruktur eine Schlüsselrolle, da die Versorgungssicherheit in in-ternationalen Wertschöpfungsnetzwerken langfristig ge-währleistet sein muss. Noch sind viele Emerging Markets hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Infrastruktur im Vergleich zu etablierten Märkten als rückständig anzuse-hen. Aber der Ausbau logistischer Kapazitäten boomt, und für die Zukunft ist von einem deutlich verschärften Wett-bewerb um die effi zientesten weltumspannenden Trans-portverbindungen auszugehen. Der weltweite Bau von Tiefseehäfen, z. B. in Yangshan (China) und in Wilhelms-haven, um Containerschiffe mit 13 000 TEU und mehr ab-fertigen zu können, oder der Ausbau des Panama-Kanals sind dafür genauso Indizien wie der weltweite Ausbau der Flughäfen, beispielsweise des neuen internationalen Drehkreuzes Dubai Jebel Ali in den Vereinigten Arabi-schen Emiraten.

Große Optimierungsfelder liegen jedoch auch in Ma-nagementprozessen internationaler Netzwerke. Bei-spielsweise kann aktuell festgestellt werden, dass die Liegezeiten von Waren an Schnittstellen zwischen Unter-nehmen, Schiffstransporten, Hafendienstleistungen und der Verteilung über Straßen und Schiene zu den Endkunden ansteigen. Eine weltumspannende optimierte Warensteu-erung rund um den Globus ist heute eher die Ausnahme als die Regel. Daher arbeiten auch international agierende Logistik-Dienstleister fi eberhaft an der Effi zienzsteigerung und Kapazitätserweiterung ihrer Dienstleistungsnetzwer-ke. Einige haben begonnen, ihre integrierten Dienstleis-tungen vom Hafenbetrieb rückwärts direkt in die Logistik-prozesse ihrer Kunden hinein zu entwickeln und erzeugen dadurch ein beträchtliches profi tables Wachstum. Dane-ben ist in den letzten Jahren ein gravierender Anstieg der Bestellungen von Frachtfl ugzeugen zu verzeichnen. Bei der Entwicklung der Größe der Frachterfl otte zeichnet sich

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18 Das Beste in der Logistik – Auf dem Weg zu logistischer Exzellenz

eine Verdopplung bis 2025 ab. Auch steigt die Größe von Containerschiffen massiv an, um die Kosten pro Container zu verringern. Die Effi zienz von Transportprozessen wird sich auf diese Weise weiter spürbar verbessern.

Bereits heute hat die Effi zienz internationaler Logis-tiknetze Situationen geschaffen, in denen es sich oft schon aufgrund geringer Kostenunterschiede lohnt, bei-spielsweise Baumwolle in Westafrika zu ernten, daraus ein Kleidungsstück in Indien zu nähen, dieses wiederum in Nordafrika zu färben und nach einem Lkw-Transport durch Europa in den deutschen Handel gelangen zu lassen. Zudem ist ein zunehmendes internationales Nomadentum der Unternehmen zu beobachten. Chinas Billigproduzen-ten ziehen von der Küste ins Hinterland und nach Viet-nam weiter, in Osteuropa werden die Standorte in Polen,

Tschechien und Ungarn bereits in Richtung Rumänien, Bulgarien und Ukraine wieder verlassen. Die Standorte sind – oft öffentlich gefördert – infrastrukturell aufwen-dig entwickelt, aber die Karawane zieht weiter.

Mittlerweile jedoch gibt es Anzeichen für ein Einpen-deln des Welthandels: Zwar gibt es nach wie vor hohe Lohnunterschiede etwa zwischen Deutschland und eini-gen Nachbarn in Europa. Während aber in Deutschland die Löhne über Jahre hinweg nur geringfügig anstiegen, verzeichneten einige Nachbarn in Osteuropa – ausgehend von einem niedrigen Ursprungsniveau – bisweilen Zu-wächse in zweistelliger Höhe. Sollten sich die Lohnkosten auf Dauer schneller angleichen als durch die Reduzierung der Logistikkosten aufgefangen werden kann, könnte der Lohnkostentourismus langfristig gedämpft werden.

Abb. 2: Verantwortungsbereiche einer modernen, exzellenten Logistik

Gesellschaftlicher Rahmen Berücksichtigung gesellschaftlicher Effekte globaler Logistiksysteme · Umwelt · Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung . Humanitäre Versorgung bedürftiger Regionen

Umfeld Berücksichtig von Umfeldbedingungen · nationale und internationale Infrastruktur · verkehrslogistische Herausforderungen · Sicherheit

Takt

isch

Oper

ativ

Managementsystem:

Fokus: Prozess

Ausführungssystem:

Operative und dispositive Funktion Logistik

Fokus: Funktion

Netzwerksystem:

Fokus: Struktur/Netzwerk

Führungskonzeption Logistik

Koordinierungsfunktion/Querschnittsfunktion Logistik

Management von Logistikprozessen:Planung, Realisierung, Steuerung und Kontrolle von unternehmensinternen und -übergreifenden Logistikprozessen

Stra

tegi

sch

Ausführung von objektbezogenen Aufgaben:

Gestaltung von Wertschöpfungssystemen als arbeitsteilige Fließsysteme:Gestaltungsprinzipien

Systematisches Weltbild• Totalkostendenken• Fluss-/Prozessorientierung• Kundenorientierung•

Gestaltung von Strukturen

Bereichs- und unternehmensübergreifende Koordination von Prozessketten

Effiziente Abwicklung von operativen Logistikaufgaben in funktionalen Logistikbereichen

Transport Lagern Umschlagen/Kommissionieren

Auftragsabwicklung

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19Helmut Baumgarten

Die zunehmende Dynamik des Wirtschaftens, die heute ihren Ausdruck in immer kürzeren Produktlebenszyklen, Innovationszyklen, Strategiezyklen, Standortwechseln bis hin zu kürzeren durchschnittlichen Verweilzeiten von Unternehmensvorständen fi ndet, wirft eine Reihe grund-sätzlicher Fragen auf, die zunehmend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken.

Der Wirtschaftlichkeit und Profi tabilität von Unterneh-men werden vermehrt wieder gesellschaftliche Werte, darunter beispielsweise auch Nachhaltigkeit, Umwelt-verträglichkeit und soziale Verantwortung gegenüberge-stellt. Die Vereinbarkeit dieser zunächst widersprüchlich erscheinenden Zielsetzungen wird derzeit in vielen Un-ternehmen und Verbänden intensiv diskutiert. Es wird schnell deutlich, dass eine gleichzeitige Befriedigung aller Interessen kaum möglich sein wird.

So können durch globale Wertschöpfungsnetzwerke in Entwicklungsländern viele Arbeitsplätze entstehen, zugleich steigt aber bedingt durch den weltweiten Trans-port der Ausstoß von Treibhausgasen. Das zukünftige Überschreiten des Ölfördermaximums und die dadurch zu erwartenden Kostensteigerungen werden maßgeblichen Einfl uss auf die Gestaltung internationaler Transportket-ten haben. Dies gilt sowohl bei der Auswahl von Ver-kehrsträgern, indem Energieeffi zienz hierbei eine größere Bedeutung zukommen wird, als auch bei der Entwicklung und Nutzung neuer Technologien.

Die Liberalisierung des Handels und die Förderung glo-baler Mobilität eröffnet neue Chancen für globales Wirt-schaften und eine stärkere Partizipation unterentwickel-ter Volkswirtschaften, gleichzeitig entstehen jedoch neue globale Sicherheitsrisiken, wie die jüngsten, international geplanten Terrorangriffe eindrücklich bewusst machen.

US-Präsident Bush unterschrieb im August 2007 ein Gesetz, das bei Exporten in die USA ab Ende 2012 ein hundertprozentiges Screening der Container in den Ver-schiffungshäfen erfordert. Ebenfalls zu screenen ist mit Passagierfl ugzeugen beförderte Fracht. Dies ist sogar bin-nen drei Jahren umzusetzen. Ziel dieser Maßnahmen ist die Erhöhung der Sicherheit, indem etwa die Einfuhr von Sprengstoffen und Waffen in die USA unterbunden wird. Zweifelsohne bedeutet der Umstieg von stichprobenar-tigen Kontrollen hin zu einem vollständigen Screening von Containern einen Systemwechsel. Dieser dürfte eine massive Veränderung logistischer Prozesse an Häfen und Flughäfen zur Folge haben. Logistikunternehmen sind da-her mit der Neuentwicklung und Anschaffung von Scree-ningsystemen sowie der Umgestaltung des begrenzten Platzes der Verladezonen zur Integrierung der zusätzlichen

Systeme konfrontiert. Es ist durchaus denkbar, dass auch andere Volkswirtschaften dem Vorbild der USA folgen könnten und mittelfristig ebenfalls das Screening einge-führter Container fordern, mit entsprechenden Folgen für die Geschwindigkeit der Prozessabwicklung innerhalb in-ternationaler Transportketten.

Bereits heute gehen Unternehmen dazu über, größe-re Sicherheitsbestände und Redundanzen im Netzwerk aufzubauen, um für Versorgungsengpässe bei Störungen im Prozessablauf gerüstet zu sein. Damit steht jedoch zunehmend die Vorteilhaftigkeit global verteilter Produk-tionsstrukturen gegenüber lokalen Produktionssystemen, beispielsweise in Form von Lieferantenparks, infrage.

Für die Zukunft der Logistik heißt es, wachsam zu blei-ben und die Veränderungen im wirtschaftlichen und ge-sellschaftlichen Umfeld aufmerksam zu verfolgen. Neue Entwicklungen können als Risiken angesehen werden, sie bieten jedoch auch neue Chancen für den unternehmeri-schen Erfolg. Wer sich frühzeitig den neuen Herausforde-rungen stellt, kann durch Pioniergeist zum Gewinner wer-den. Die Beiträge im fünften Kapitel beleuchten aus Sicht unterschiedlicher Beteiligter die Herausforderungen, denen eine global aufgestellte Logistik in Zukunft gewachsen sein muss. Die Natur der Logistik ist es, dass Erfolge nur aus dem optimalen Zusammenspiel von Organisationen, Tech-nologien, IT und vor allem Menschen entstehen werden.

Der Mensch rückt im schnelllebigen Wirtschaftsge-schehen in den Mittelpunkt. Seine Beweglichkeit, seine Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit, ist die wesent-liche Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit multi-nationaler Unternehmen im permanenten Wandel. Dau-erhaft erfolgreich sind nur die Unternehmen, die schnell entscheiden und agieren, die Chancen frühzeitig erkennen und Innovationen zügig umsetzen.

Literaturverzeichnis

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1. Der Logistik-Faktor – Bedeutung einer exzellenten Logistik

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Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik

Hanspeter Stabenau

Beauftragter Kompetenzzentrum Logistik Bremen (KLB)

Mitglied des Kuratoriums Stiftung Deutsche Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV)

Ehrenvorsitzender Bundesvereinigung Logistik (BVL)

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Dr. Hanspeter StabenauJahrgang 1934Stabenau ist Logistikbeauftrag-ter des Landes Bremen, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung DAV, Ehrenvorsitzender der BVL und Mit-glied des wissenschaftlichen Beirats des ISL, Bremen. Stabenau studierte 1954–1961 Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Verkehrs-wissenschaft an der Universität

Köln mit dem Abschluss Diplom-Volkswirt und promovierte als Assistent im Institut für Verkehrswissenschaft zum Dr. rer. pol. Seit 1961 war er zunächst zweiter hauptberufl icher Dozent und ab 1966 Studienleiter, seit 1979 Vorsitzender des Vorstandes an der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV), Bremen. 1978 war er Gründungsmitglied der Bundesvereinigung Logistik (BVL), Bremen, und bis 1999 deren Vorsitzender.

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Einleitung

Der Begriff Logistik ist ein Beispiel dafür, wie strukturel-ler Wandel der Wirtschaftsprozesse zu einer inhaltlichen Wandlung der Bedeutung für ein erfolgreiches Unterneh-mensmanagement wird. Wenn von einem Übergang der Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesell-schaft gesprochen wird, dann steht immer das Thema Logistik in einem vorrangigen Fokus.

In diesem Beitrag soll versucht werden, den Status der Logistik und die erkennbaren Perspektiven darzustellen. Es geht darum, Linien der Entwicklung aufzuzeigen, mit denen die zunehmende Bedeutung der Logistik im Wert-schöpfungsprozess der Wirtschaft insgesamt, bezogen auf die einzelnen Unternehmen, auf die übernehmens-übergreifenden Prozesse und letztlich in der regionalen und globalen Arbeitsteilung verdeutlicht wird.

Dabei muss bis in das siebte Jahrzehnt des vori-gen Jahrhunderts zurückgegangen werden. Der Begriff Business Logistics wurde zum ersten Mal in einer Ver-öffentlichung des US-amerikanischen Professors D.J. Bowersox im Jahre 1964 verwandt (Bowersox 1964). Dieser Wissenschaftler hat dann zu Recht den Ruf be-kommen, sich als Erster systematisch mit diesem Begriff auseinander zusetzen, insbesondere in Bezug auf die Distributionslogistik. Im Jahre 1969 wurde dann in einer Harvard-Fallstudie eine Begründung gebracht, wie der Markterfolg von Kodak (Marktanteilsteigerung auf über 50 Prozent innerhalb von sieben Jahren) erreicht wurde: durch die Installierung von drei Zentrallagern zur Ver-sorgung des gesamten US-amerikanischen Marktes, mit dem Ziel der Erhöhung der Lieferbereitschaft auf über 90 Prozent.

In dieser Zeit wurde also der Begriff Logistik für die Gegenwart neu geboren. Bis zum heutigen Tag erfährt er eine stetige Ergänzung in den Aufgabenstellungen und damit in den Wertschöpfungsanteilen, und dieser Prozess ist noch nicht beendet, sondern er wächst in eine neue Dimension hinein. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der globalen Arbeitsteilung, neuer Technologien bei der Produktion der physischen Leistungen der Logistik sowie einem allumfassenden Informationssystem.

Von der Funktionsoptimierung zur Prozess-integration

Nach dem Zweiten Weltkrieg war den USA als erster Industrienation die Umstrukturierung von der Kriegswirt-schaft in eine leistungsfähige Wettbewerbswirtschaft bereits in den frühen 50er Jahren gelungen. Das bedeu-tete den Wechsel vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt. Die wachsende und sich individualisierende Nachfrage war damit die Geburtsstunde des Marketings.

Die erste Phase heißt daher „Entwicklung der Distribu-tionslogistik“, denn sie ist das entscheidende Instrument zur Erreichung der Marketingziele über die Optimierung der Distributionssysteme, um fl ächendeckend einen hohen Lieferbereitschaftsgrad zu erreichen. Gerade für Kon sum-güter war die Senkung der Lieferzeit und die jederzeitige Verfügbarkeit der Artikel im Einzelhandel ein positives Ziel. Das Modell des Zentrallagersystems setzte sich durch, erste Outsourcingprozesse zu logistischen Dienstleistern eingeschlossen. In Deutschland waren die Leuchttürme bei Herstellern das Bahlsen-Zentrallager in Hannover, für den Versandhandel das Bertelsmann-Zentral lager in Gütersloh (Deutscher Logistikpreis 1987) und für den Kaufhausbereich das Zentrallager von Karstadt in Unna (Deutscher Logistikpreis 1989).

Die zweite Phase der Durchsetzung der Logistik in der Wirtschaft war dann in den 70er Jahren der Übergang von der Serienfertigung zur Auftragsfertigung in der industri-ellen Produktion. Impulsgeber hierfür war die Automobil-industrie, die sich Anfang der 70er Jahre dem Wettbe-werb der japanischen Anbieter mit ihrer neu organisierten Serienfertigung auf dem Just-in-time-Prinzip ausgesetzt sah. Die Antwort war die Erhöhung der Variantenvielfalt und die Auftragsfertigung. Das bedeutete aber gleich-zeitig eine Herabsetzung der Fertigungstiefe und damit die Notwendigkeit, eine größere Zahl von Lieferanten in die Wertschöpfung des Endprodukts einzubeziehen. Da-mit änderte sich in der Industrie die Einkaufsfunktion, da es jetzt nicht mehr allein darum ging, den kostengüns-tigsten Anbieter für benötigte Rohstoffe, Teile und auch Systeme zu fi nden, sondern vor allem auch eine hohe Lieferbereitschaft mit einer Vielzahl von Elementen der

Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der LogistikHanspeter Stabenau

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26 Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik

Logistik zu berücksichtigen. Zuverlässigkeit und Quali-tät im Bereich der Logistik wurden so zu wichtigen Ent-scheidungskomponenten. Bei der Kostenbetrachtung der Einkaufspreise kam damit noch hinzu, dass es nicht allein darauf ankam, die entsprechenden Materialien ins eigene Lager zu bekommen (Rampenpreise), sondern den Weg dieser Elemente bis in die Produktion mit einzubeziehen. Aus Einkaufspreisen wurden Beschaffungskosten unter Berücksichtigung der Lagerbestandsoptimierung.

Die dritte Phase wurde dann vom Handel bestimmt. Grundlagen – ausgehend von den Marketingzielen – wur-den schon erwähnt. Entscheidend war, dass die Sortimente permanent erweitert und sich damit die Artikelzahlen, die im Regal vorgehalten werden mussten, z. T. verdreifacht oder sogar vervierfacht hatten. Vorratshaltung im Outlet war fl ächenmäßig daher nicht mehr möglich. Es war not-wendig, ein entsprechendes Liefersystem aufzubauen, welches bei A-Artikeln eine tägliche Nachlieferung be-deutete, bei B- und C-Artikeln von dreimal wöchentlich bis einmal wöchentlich gewährleistet wurde. Alle diese Systeme hatten noch einen zusätzlichen Effekt: Es konn-ten die Kosten gesenkt werden, vor allem durch die Stei-gerung des eingeleiteten Outsourcingprozesses.

Und damit wird die vierte Phase eingeleitet. Die Viel-zahl der notwendigen physischen, logistischen Dienstleis-tungen (KULT – Kommissionierung, Umschlag, Lagerung, Transport) sowie ergänzende Services, wie Verpackungen, Auszeichnungen, Regalservice oder Vor- und Endmonta-gen in der Fertigung oder für Exporte oder Importe gaben der Dienstleistungswirtschaft eine völlig neue Dimension. Die klassische Spedition wandelte sich zum logistischen Dienstleister. Nicht umsonst wird heute von der Logistik-industrie gesprochen. Experten gehen davon aus, dass 80 Prozent der logistischen Dienstleistungen in Indus-trie und Handel auslagerbar sind. Im Jahr 2000 waren es etwa 40 Prozent. In den darauffolgenden Jahren bis 2005 steigerte sich das Potenzial auf über 50 Prozent, d. h. die logistische Dienstleistungsindustrie hat noch eine Marktreserve vor sich, vor allem vor dem Hintergrund der Globalisierung.

Das bisher Gesagte sei nun zusammengefasst:• Zunächst ging es darum, die verschiedenen Logistik-

funktionen im Distributionsprozess zu bündeln und so effi zient wie möglich zu gestalten, um einen hohen Lie-ferbereitschaftsgrad für Konsumgüter im Handel jeder-zeit zu gewährleisten.

• In der Industrie war es der Übergang von der Serienferti-gung zur Auftragsfertigung aufgrund des Wettbewerbs

und damit die Veranlassung zu einem gewaltigen Out-sourcingprozess in der Fertigung auf eine zunehmende Zahl spezialisierter Lieferanten. Damit rückte die unter-nehmensübergreifende Logistik in den Mittelpunkt.

• Mit der Kaufkraftsteigerung, insbesondere in den 80er Jahren, nahm die Individualisierung der Nachfra-ge überproportional zu, was zu einer deutlichen Aus-weitung der Sortimente und einer Vervielfachung der Steigerung der Artikel im Handel führte, mit der Not-wendigkeit, auch hier völlig neue logistische Systeme zu entwickeln. Die integrierte Prozessgestaltung wurde zu einem entscheidenden Faktor der Wettbewerbs-fähigkeit.

• Der anhaltende Outsourcingprozess ist dafür ein Kenn-zeichen und damit eine Aufwertung der logistischen Dienstleistungswirtschaft. Dieser Prozess hält vor allem vor dem Hintergrund der Gestaltung der Globa-lisierung – auf die noch im Detail eingegangen wird – weiter an. Damit ist die Logistikindustrie in Zukunft der Bereich mit dem größten Wachstumspotenzial.

Stellenwert der Logistik im Wertschöpfungs-prozess

Wenn auf die vergangenen 25 Jahre zurückgeblickt wird, in denen die Logistik sich von der schwerpunktmäßig operationalen Aufgabe der Optimierung der logistischen Funktionen zu einer Managementfunktion der Integration der Prozesse entwickelt hat, dann wird deutlich, dass quer durch die Wirtschaft ein Paradigmenwechsel einsetzte. Dieser besteht insbesondere darin, zunächst einmal den Wertschöpfungsbeitrag der defi nierten Aufgabenstellung für das Unternehmen zu analysieren. Die Mehrzahl der Betriebe in Industrie und Handel hatten bis in den erwähn-ten Zeitraum hinein häufi g keine klaren Vorstellungen, wie hoch der Logistikkostenanteil ist, vor allem, wenn die Fer-tigungstiefe in der Industrie bei z. T. über 50 Prozent lag oder im Handel alle komplexer werdenden Distributions-prozesse mit eigenem Equipment gehandhabt wurden.

Es kann im Prinzip festgestellt werden, dass Mitte der 80er Jahre, beispielhaft ausgehend von einzelnen Unternehmen, aber auch ganzen Branchen – wie z. B. der Auto mobilindustrie – systematisch begonnen wurde, die logistischen Abläufe und die damit verbundenen Kosten zu ermitteln. So wurde dann die Begründung gefunden, sich von gewohnten Eigenfertigungen und Totaldistributionen abzuwenden, um insgesamt fl exibler, kostengünstiger und damit wettbewerbsfähiger zu werden. Insbesondere Beispiele aus den USA, aber auch aus Japan, führten zu

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27Hanspeter Stabenau

einem Strategiewandel, mit dem Erfolg, dass in der Indus-trie die Logistikkosten in der Zeit von 1985 bis 2000 von 22 Prozent der Gesamtkosten auf 14 Prozent im Schnitt reduziert werden konnten.

Das Instrument der Logistik war damit neben einer Pro-duktivitätssteigerung in anderen Funktionen des Unter-nehmens Grundlage für die Steigerung der Wettbewerbs-fähigkeit. Logistik wird seitdem als Querschnittsfunktion bezeichnet, die von der Produktdefi nition über die Kons-truktion, die Lieferantenauswahl, die Produktionsplanung, die Distribution bis zum Recycling oder anders gesehen von der Auftragserteilung bis zur Auslieferung ein gestal-tendes Element aller Prozesse innerhalb und zwischen den Unternehmen darstellt.

Ganz bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Er-wähnung der Weiterentwicklung der Logistiktechnologie. Materialwirtschaft, Lagerwirtschaft und Transport erleb-ten in diesem Zeitraum eine sprunghafte Durchdringung durch den Einsatz effi zienter Technologien. Begleitet wur-de dies mit Steuerungsmodulen der Informatik. Das führte zu der Erkenntnis, dass eine Standortoptimierung für Kon-solidierungszentren, Zentrallager und Umschlagsknoten (Hub) nach geografi schen und infrastrukturellen Gesichts-punkten eingerichtet werden musste, um Optimierun-gen beim Einsatz der Technologien aufgrund steigender Mengen durch Standardisierung und Modularisierung zu erreichen.

Dieser Prozess war mit erheblichen Investitionen ver-bunden und führte in den Unternehmen dazu, dass die Managementaufgabe für den Logistikbereich entspre-chend aufgewertet und Entscheidungsprozesse über die Entwicklung der Logistik auf Vorstandsebene/Geschäfts-führungsebene angesiedelt wurden.

Ein weiterer entscheidender Impulsgeber für diese Entwicklung ist der zunehmende Wettbewerb auf den internationalen Märkten. Die Entwicklung der Europäi-schen Wirtschaftsgemeinschaft EWG zur Europäischen Union (EU), der Übergang vom GATT zur World Trade Organization (WTO) führte zu der Notwendigkeit, alle Produktivitätsreserven zu mobilisieren, und da spielt die Logistik eine zunehmend entscheidende Rolle. Es soll nicht verschwiegen werden, dass es in den Unternehmen z. T. erhebliche Auseinandersetzungen über den Umfang des Outsourcings gab und gibt. Das Problem der Neuor-ganisation in sich untereinander abstimmenden Organi-sationseinheiten mehrerer am Wertschöpfungsprozess beteiligten Unternehmen waren und sind notwendige Entscheidungen, die zu Strukturveränderungen führen und daher auch immer Widerstände von Bedenkenträ-

gern erzeugen. So kann auch heute noch in vielen Un-ternehmen ein konservatives Spartendenken beobachtet werden, welches im Gegensatz zu dieser ganzheitlichen Betrachtung und damit einer logistischen Integration sehr komplexer Prozesse in und zwischen den Betrieben zu verzögernden Widerständen führt – mit negativen Folgen für die Ergebnisse.

Es wird von Logistiksystemen gesprochen, also dem Zusammenwirken von vielfältigen und differenzierten Funktionen zur Verwirklichung eines konkreten Versor-gungsbedarfs von Produktionsstätten und Märkten. Auf diese Art und Weise entstand der Begriff des Supply Chain Managements als der zielorientierten Gestaltung und permanenten Aktualisierung der Versorgungsketten in der Wirtschaft, also einer Managementaufgabe, die die Basis für hochqualifi zierte, sich dynamisch weiterent-wickelnde Logistiksysteme bildet.

Die Aufgabenstellung des Logistikmanagements kann natürlich auch direkter formuliert werden: Es gilt, ein Fließsystem für Materialien und Produkte zu gestalten, welches auf permanente Änderungen der Anforderungs-profi le quantitativ und qualitativ fl exibel erfolgsorientiert reagiert. Es gibt also keine Statik mehr in der Organisa tion der Abläufe. Ein Prozesscontrolling ist erforderlich, um die notwendigen Anpassungen an veränderte Strukturen höchst effi zient und fl exibel zu gestalten. Sicherlich klingt auch dies sehr abstrakt und theoretisch, aber eine Fülle von Beispielen, quer durch die Branchen, beweist, dass der Erfolg der Unternehmen heute ganz wesentlich von dieser Managementfähigkeit abhängig ist, und ein Quer-schnitt aus aktuellen Studien belegt, dass die Produkti-vitätsreserven in den logistischen Prozessen im Schnitt bei 15 Prozent liegen und das Kostensenkungspotenzial bei 3 bis 5 Prozent.

Paradigmenwechsel durch Globalisierung

Die bisherigen Ausführungen beschäftigten sich mit der grundlegenden Aufgabenstellung der Logistik in Ver-gangenheit und Zukunft. Dies bezog sich auf die grund-sätzliche strukturelle Einordnung der Logistik in die Un-ternehmensorganisation zur optimalen Gestaltung der vielfältigen und differenzierten Prozesse, in die das ein-zelne Unternehmen einbezogen ist. Seit Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa sowie in China, aber insgesamt weltweit, kommt eine neue Dimension an He-rausforderungen auf die Gestaltung der logistischen Pro-zesse zu: die Globalisierung.

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28 Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik

Treiber der GlobalisierungAusgangspunkt für die Globalisierung ist das weltwirt-schaftliche Wachstum, welches vor dem Hintergrund einer über 50-jährigen Entwicklungshilfe der Industrie-nationen und der Anerkennung der Wettbewerbsordnung der WTO für die weltweite Zusammenarbeit der einzelnen Volkswirtschaften entstanden ist. Eine Perspektive die-ses Wachstums für die Weltwirtschaft in einem Umfang, den es bisher in der Geschichte der Menschheit nicht ge-geben hat! Die sich daraus ergebende globale Arbeitstei-lung führt nach allen Prognosen für die nächsten 20 Jahre zu einem durchschnittlichen Wachstum des Welthandels von jährlich 5 Prozent und damit einem Transportaufkom-men von 7 Prozent. Hinzu kommt eine durchschnittliche Wertsteigerung der international gehandelten Güter um jährlich etwa 4 Prozent. Damit ergeben sich sowohl quan-titativ als auch qualitativ völlig neue Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Logistik. Die gesamten welt-wirtschaftlichen Prognosedaten müssen dabei noch um eine sehr wichtige Zahl ergänzt werden: Zurzeit werden jährlich etwa 60 Mio. Menschen in den industriellen Schwellenländern zusätzlich zu Konsumenten. Diese Zahl wird bis zum Jahr 2025 um 120 Mio. jährlich ansteigen. Diese Kaufkraftentwicklung ist der entscheidende Faktor für das genannte weltwirtschaftliche Wachstum.

Damit wird der Produktivitätsfaktor „regionale Ar-beitsteilung“ in einem extremen Maß zu einer globalen Arbeitsteilung zwischen allen Volkswirtschaften dieser Erde. Abgesehen von den physischen Produktionsberei-chen der Logistik, mit ihren KULT-Funktionen, wird damit eine neue Determinante für ein interkulturelles Logistik-management aufgezeigt. Die physischen Prozesse un-terliegen damit zunehmend einer Industrialisierung. Das bedeutet eine nochmalige erhebliche Steigerung des Ein-satzes von Technologie und Informatik; es bedarf damit auch wiederum angepasster Managementstrukturen.

StandortvernetzungIn diese globale Arbeitsteilung wird damit eine immer größere Zahl von Standorten einbezogen. Diese Stand-orte müssen ihre jeweiligen Standortfaktoren, die für die Standortqualität verantwortlich sind, entsprechend ent-wickeln. Hierbei spielt in einer marktwirtschaftlich orien-tierten Weltwirtschaftsordnung die klassische Theorie der komparativen Kostenvorteile eine außerordentlich große Rolle. Diese besagt, dass auch Länder, die im Prin-zip in allen Kostenbereichen über anderen Ländern liegen, auch in den Welthandel einbezogen werden, aufgrund der Tatsache, dass die relativen, also komparativen Kosten-

vorteile für die Partner einen Austausch sinnvoll machen. Dieser Prozess wird im Augenblick durchlebt. In den ver-gangenen 15 Jahren sind in Deutschland zur Gewinnung von Produktivitätspotenzialen, insbesondere durch die Optimierung der logistischen Prozesse, Kostenvorteile entstanden, die die deutsche Wirtschaft zur Exportwelt-meisterschaft führten. Dabei muss die Effi zienz der ange-wandten Forschung in diesem Bereich genauso genannt werden wie die Steigerung der Qualitätssicherung und der Lieferzuverlässigkeit.

Zusätzlich ergibt sich eine Entwicklung, die unter das Thema „Vernetzung der Produktionsstandorte“ gestellt werden kann. Dieser Begriff der Vernetzung bedeutet zunächst, dass die funktionale Arbeitsteilung durch den Outsourcingprozess bei der Zulieferung von Teilen und Komponenten in die jeweiligen Endmontagen zu den Nachfrageländern in eine neue Dimension wächst. Diese Vernetzungsstrategien bedeuten eine Ausdehnung von Just-in-time-Lieferungen – die sich bisher zwischen 20 km und 200 km bewegt haben – auf bis zu mehrere 1000 km Entfernung. Hierfür sind völlig neue Managementelemen-te für Planung, Steuerung und Kontrolle erforderlich. Das wird noch durch die Security-Aufl agen erweitert, die sich aufgrund der weltweiten Terrorgefahr gerade bezogen auf Transportvorgänge ergeben. Viel stärker als in regionalen Netzwerken spielt dabei die Integration der Informati-onssysteme und die Einführung sich selbst steuernder Prozesse, z. B. durch RFID, eine zunehmende Rolle. Die-se Technologie erfährt damit den entscheidenden Schub. Denn neben den damit verbundenen zusätzlichen Kosten für zu zertifi zierende Security-Aufl agen ergibt sich für die Beteiligten durch diesen erzwungenen Informationsaus-tausch auch eine Fülle von Vorteilen. Emotionale Grenzen des produktivitätssteigernden Datenaustausches werden so überwunden!

Die Transportfunktion ist schon angesprochen worden. Das weltweite Wachstum des Verkehrsaufkommens in den nächsten 20 Jahren um durchschnittlich 7 Prozent jährlich bedeutet einen Standortvorteil der maritimen Zonen. Es betrifft in erster Linie die Quantität des Um-schlagszuwachses. Wichtiger ist, dass verschiedene Studien nachweisen, dass es für global interessierte In-dustrie- und Handelsunternehmen sinnvoll ist, ihre Kon-solidierungszentren entweder in die maritime Zone zu verlegen oder zusätzliche Konsolidierungszentren dort zu schaffen, wenn mehr als 50 Prozent der Materialien oder Produkte über See ein- oder ausgehen.

Für die Gestaltung des Seeverkehrs und des Cargo-Luftverkehrs bedeutet dies zunächst, dass der Zuwachs

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29Hanspeter Stabenau

nur durch zusätzliche Kapazitäten, sowohl in der Zahl und Größe der Fahrzeuge, aber auch entsprechend in den je-weiligen Stationen mit ihrer technologischen Ausstattung für Be- und Entladung bewältigt werden kann. Bezüglich der Infrastrukturanbindung für die notwendigen Hinter-landverkehre ergeben sich für den politischen Raum völlig neue Entscheidungszwänge, insbesondere für Planungs-verfahren und Finanzierungsmodelle. Die Zahl qualifi zier-ter Beschäftigter wächst.

Wird zurück in die Geschichte des Welthandels ge-blickt, so waren es die technologischen Entwicklungen, die dafür sorgten, dass die Transportkosten auf immer größere Entfernungen hin gesenkt werden konnten und damit den Welthandel begünstigt haben. Hierbei spielen drei Faktoren eine Rolle:

1. Die Nachfrage nach Konsumgütern wächst weltweit explosiv.

2. Die Technologien in der Schifffahrt und im Luftverkehr sind durchaus vorhanden, um diese Mengen kosten-günstig zu bewegen.

3. Die maritimen Zonen werden zu bevorzugten Standor-ten für Konsolidierungszentren, Zentrallager und Um-schlagknoten.

Interkulturelles LogistikmanagementAuf eine andere Größenordnung muss eingegangen werden: die Stellung eines interkulturellen Logistikma-nagements. Wenn in den vergangenen Jahren auch eine Steigerung der Zahl der Ausbildungs- und Studienplätze in den Berufen, die der Logistik unmittelbar oder mittelbar zugeordnet werden können, erreicht wurde, so kann doch zurzeit festgestellt werden, dass sowohl in Europa, aber insbesondere auch in den industriellen Schwellenländern ein großes Defi zit an entsprechend qualifi ziertem Perso-nal, sowohl für die operationalen Tätigkeiten, als auch für das Management besteht. Es ist damit eine Fülle von Aufgaben von allen beteiligten Institutionen zu erfüllen, um zunächst die Ausbildungsziele und die damit verbun-denen Inhalte auf die skizzierte Entwicklung einer globa-len Logistik auszurichten und daneben vor allem auch für die gegenwärtig Beschäftigten eine entsprechende Pro-grammgestaltung nach Qualifi zierungszielen und ihren In-halten für eine notwendige Weiterbildung zu formulieren. Dabei spielt die interkulturelle Ausbildung, unterstützt durch eine entsprechende Sprachenqualifi zierung, eine entscheidende Rolle. Die Internationalisierung des Ma-nagements auf der Basis der globalen Herausforderungen wird dadurch sichtbar, dass allein schon die logistische

Dienstleistungswirtschaft ihre globale Vernetzung nur dann erreichen kann, wenn sie weltweit gleiche Quali-tätsstandards für ihre Leistungsfähigkeit defi niert.

Perspektive: Logistik beherrscht Komplexität!

Aus den vorangegangenen Ausführungen ist sicherlich deutlich geworden, dass die Komplexität der Anforderun-gen an die logistische Leistungsfähigkeit in allen Wirt-schaftsbereichen zunimmt. Deshalb eine Besinnung auf die Grundlagen der Logistik: die Systemtheorie. Komple-xität bedeutet eine zunehmende Zahl von Einfl ussfaktoren auf den Erfolg eines Wirtschaftsprozesses. Die Zahl der Einfl ussfaktoren braucht nicht im Einzelnen aufgezeigt zu werden. Sie ist für jeden, der in den vergangenen Jahren die quantitativen und qualitativen Faktoren beobachtet hat, in ihrer Vielseitigkeit, in ihrer Eigendynamik bekannt. So bedarf es für die Planung, Entwicklung und entspre-chende Realisierung von logistischen Prozessen einer grundlegenden Systemanalyse. Diese besteht zunächst einmal aus drei grundsätzlichen Arbeitsschritten:

1. Defi nition und Abgrenzung der einzelnen Elemente bzw. Funktionen, die in die jeweils zu untersuchenden Systeme einbezogen werden müssen;

2. Erkennung von Eigengesetzlichkeiten, unter denen die-se Elemente (Funktionen) ihre höchste Leistungsfähig-keit entwickeln können;

3. Ermittlung von Wechselwirkungen (Rückkopplungen) auf das Gesamtsystem bei Veränderungen einzelner Elemente/Funktionen und ihres Einsatzes.

Die Methoden der Systemanalyse als Anwendung der Grundlagen der Systemtheorie auf die Komplexitätsbe-wertung der jeweiligen Systeme ist die Grundlage für die Entwicklung eines Komplexitätsmanagements in der Logistik.

Es seien nur die drei entscheidenden Faktoren betrach-tet, aus denen sich die Komplexität in den letzten Jahren gesteigert hat: das Wachstum und die Individualisierung der Nachfrage, der Technologieschub sowie die Globali-sierung. Jedes Unternehmen der Welt wird von diesen drei Elementen in seiner zukünftigen Entwicklung mehr oder weniger stark beeinfl usst. Das betrifft die Ableitung der strategischen Ziele und der operationalen Realisie-rung. Prozessmanagement ist die Überschrift, Inhalt ist die Gestaltung der Logistik, die unternehmensübergrei-fend und zunehmend interkulturell die Produktivitätsre-serven in den Prozessen wecken muss, um mit höherer

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30 Zukunft braucht Herkunft! – Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Logistik

Wirtschaftlichkeit im Wettbewerb zu existieren. Das Problem ist, dass in der Ausbildung des Führungsnach-wuchses nach wie vor die Funktionsorientierung über-wiegt und das Systemdenken nicht genügend gefördert wird. Aber allein die Systemanalyse schafft entschei-dungsfähige Lösungsalternativen, vor allem in überbe-trieblichen Prozessketten.

Daneben spielt das Systemcontrolling eine außer-ordentlich große Rolle. Der Controllingbegriff wird häufi g zu sehr noch als ein Instrument der Kostentransparenz und damit der Gewinnung von Einsparpotenzialen gesehen. Dies ist nicht die alleinige und vor allem nicht die über-wiegende Bedeutung des Controllings. Es geht um das Ablaufcontrolling, und gerade in kooperativ gestalteten Prozessen bedarf es der Kontrolle vor allem der Produk-tivitätsentwicklung in der so geschaffenen unmittelbaren Zusammenarbeit. Mit der Defi nition eines Komplexitäts-managements auf der Grundlage der Systemtheorie und der daraus abgeleiteten permanenten Systemanalyse inklusive Systemcontrolling kommt es zur Transparenz der Wertschöpfungsanteile der Prozesspartner und der für sie wichtigen Anpassungsmaßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in dieser Partnerschaft.

So hat sich in den letzten Jahren eine neue ergänzende Theorie zum Prozessmanagement als Komplexitäts-management herausgestellt: die Bildung eines Cluster-managements. Kooperationsmodelle auf der Basis der Clusterung funktionsmäßig, branchenmäßig, relations-mäßig, standortbezogen und ihre jeweilige Vernetzung führen zu weiteren Produktivitätsgewinnen. Gerade in den traditionellen Industrieländern werden diese Clusterungen, die sich ja im Wesentlichen auf die Verbundproduktion von Dienstleistungen beziehen, aber auch Produktionsabläufe einschließen und Konsolidierungen von Transportabläufen beinhalten, wesentlich zur Standortqualifi zierung beitra-gen.

Schlussfolgerung

Das Thema Logistik hat mit zunehmender Geschwindigkeit in den vergangenen 30 Jahren einen Beitrag zur Produktivi-tätssteigerung in allen wirtschaftlichen Prozessen geleistet. Folgendes ist deutlich sichtbar: Die neuen Herausforderungen

werden die quantitativen und qualitativen Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Logistik, insbesondere aber an ein sich weiterentwickelndes Logistikmanagement deut-lich erhöhen. Heute schon gibt es keinen Prozess, in dem die Logistik nicht eine mehr oder weniger bedeutende Rolle spielt. In Zukunft wird jeder Prozess in seinem Inte-grationsgrad von der Logistik bestimmt, und je höher der Integrationsgrad der logistischen Prozesse ist, desto hö-her ist der Nutzen für alle Beteiligten. Bei einer Herabset-zung der Fertigungstiefe bei Herstellern für Konsum- und Investitionsgüter auf etwa 20 Prozent ist der Erfolgsgrad der Produkte im Markt von diesem Integrationsgrad ab-hängig. Dies bedeutet eine völlig neue Dimension des Ma-nagementbegriffs und wird, das ist die Überzeugung des Autors, dazu führen, dass Managementmethoden für ein unternehmensübergreifendes, verantwortungsbezogenes Management entwickelt werden müssen. Diese Aufgabe wird die heranwachsende Generation in vernetzter, globaler Zusammenarbeit lösen müssen!

Literaturverzeichnis

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„Werte schaffen – Kulturen verbinden“ –Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik

Raimund Klinkner

Vorsitzender des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL)

Vorsitzender des Vorstands Knorr Bremse AG

Thomas Wimmer

Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesvereinigung Logistik (BVL)

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Prof. Dr.-Ing. Raimund KlinknerJahrgang 1965Klinkner ist seit Januar 2007 Mit-glied des Vorstands der Knorr Brem-se AG, wo er im April 2007 den Vorstandsvorsitz übernahm. Nach dem Maschinenbaustudium an der TU München promovierte er 1994 berufsbegleitend an der TU Dres-den. Seit 1991 war Klinkner bei der Porsche AG u. a. in der Logistikpla-nung, Beschaffung und Fabriksteue-

rung tätig. 1998 wechselte er zur Gildemeister AG, zunächst als Vorstand Produktion, Logistik, Einkauf und IT, dann von 2003 bis 2006 als stv. Vorstandsvorsitzender sowie Vorstand Produktion und Logistik. Neben der berufl ichen Tätigkeit ist er als Auf-sichtsratsmitglied bei Dürrkopp Adler AG, Bielefeld, seit 2003 als Honorarprofessor für Produktionslogistik an der TU Berlin sowie seit Juni 2007 als Vorsitzender des Vorstands der Bun-desvereinigung Logistik (BVL) tätig.

Dr.-Ing. Thomas WimmerJahrgang 1959Wimmer ist seit 2004 Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundes-vereinigung Logistik (BVL) in Bre-men. Nach dem Maschinenbau-Stu-dium an der Universität Hannover promovierte er ab 1988 berufsbe-gleitend an der TU Berlin. Seit 1984 war Wimmer in der Industrielogistik tätig: bei BMW in Dingolfi ng, seit

1989 bei der Sauer-Sundstrand in Neumünster und seit 1993 bei der Bremer Vulkan Werft. 1997 wechselte er als Partner zur Proventus Unternehmensberatung, 1999 als Geschäftsführer zur BVL. Neben der berufl ichen Tätigkeit ist Wimmer als Lehrbeauf-tragter für Angewandte Beschaffungs-, Produktions- und Kon-traktlogistik an der Universität Bremen sowie an der Hamburg School of Logistics im Rahmen des internationalen Logistics MBA tätig. Er ist Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) in Bremen.

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Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik

Ein häufi g aus dem Zusammenhang von Wahlkampfdis-kussionen gerissenes Zitat des Alt-Bundeskanzlers Hel-mut Schmidt lautet: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Die Gründerväter der Bundesvereinigung Logistik (BVL) haben das am 18. April 1978 nicht getan, sondern stattdessen eine Plattform für eine Gemeinschaft von Menschen geschaffen, die ganzheitlich denkend über ihre Wirkungskreise hinausschauen, um daraus fachlich und menschlich Nutzen zu ziehen und zu stiften. Mehr als 8500 Mitglieder beweisen heute täglich, dass Logistik mehr ist als in der Öffentlichkeit allgemein bekannt, dass ehren-amtliches Engagement und Wirtschaft zusammengehören und dass Ressourcen schonendes und effektives Wirken einer global vernetzten Wirtschaft keine Gegensätze sind.

Logistik im Spannungsfeld zwischen Inhalt und Wahrnehmung

In der deutschsprachigen Öffentlichkeit wird Logistik auch heute noch allzu oft mit Transport, Umschlag und Lagerung verknüpft. Im englischen Sprachraum umfasst „Logistics“ sogar genau diese Teilaspekte, während „Supply Chain Management“ auch die planerischen und gestalterischen Aktivitäten für Informations- und Materialfl üsse impliziert. Philosophien wie „Available to Promise“ und „Capable to Promise“ beschreiben belastbare Lieferzeitzusagen als Kern der wertschöpfungsübergreifend koordinierten Abstimmung von Bedarfen und Kapazitäten (Bretzke 2007) für zugekauf te

und selbst produzierte Güter. Für Nicht-Logistiker ist dies per se kaum verständlich. Und auch die zur Erfüllung von Ver-fügbarkeitszusagen erforderlichen Planungen und Prozesse werden durch diese Fachbegriffe nicht deutlich.

Wirtschaftspresse und Politik nutzen den Begriff Lo-gistik überwiegend nur eingegrenzt. Eine der wenigen Ausnahmen bildet Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die am ersten Tag des 24. Deutschen Logistik-Kongresses im Oktober 2007 in Berlin die wichtige Rolle der Logistik als „branchenübergreifende Querschnittsfunktion“ hervorhob und als Wirtschaftszweig würdigte, der unterschiedliche Bereiche zusammenführe und darüber mitentscheide, wie Deutschland sich in der Welt darstelle. „Die Verknüpfung von industrieller Produktion mit logistischer Fertigkeit wird deutlich über den Erfolg des Standorts entscheiden“, betonte Merkel weiter.

Logistik ist unverzichtbarer Bestandteil der industri-ellen Fertigung, der Warenzirkulation sowie der Zusam-menarbeit zwischen Unternehmen. Logistik ermöglicht ein arbeitsteiliges, hocheffi zientes Zusammenwirken von Un-ternehmen. Es bilden sich Unternehmensnetzwerke aus Lieferanten, Herstellern und Dienstleistern, die in enger informationstechnischer Anbindung den Gesamtprozess der Wertschöpfung optimal gestalten und damit Produkti-vität und Kundenorientierung in Deutschland erhöhen.

Logistik spielt dabei in jedem der Wertschöpfungspro-zesse eine bedeutende Rolle, von der Produktentwicklung bis zum After Sales Business. Durch eine kombinierte

„Werte schaffen – Kulturen verbinden“ –Nutzen stiften im Netzwerk der LogistikRaimund Klinkner / Thomas Wimmer

Abb. 1: Mehrwertnutzen von Logistik

A

Arbeitsteilung Vernetzung von Unternehmen

Informationskopplung Durchsatzerhöhung

ZielorientierungB

Ressourcen-steuerung

Supply Chain

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36 „Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik

Produktion in komplexen Netzen lassen sich im Hochlohn-land Deutschland wettbewerbsfähige Preise erzielen. Logistik verbindet dabei die europaweit differierenden Standortvorteile zu einem reibungslos funktionierenden Gesamtsystem. Insbesondere für die Erschließung neuer Märkte ist eine leistungsfähige Logistik Voraussetzung.

Logistik ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und eine wissenschaftliche Disziplin – sie leistet unverzichtbare Beiträge zur Verbesserung von Effi zienz und Effektivität der Wirtschaft.

Unternehmen haben Umfang und Bedeutung der Logistik weitgehend verstanden. Dies wird unter anderem in der hierarchischen Verankerung der Logistik deutlich. Sie ist in Industrie- und Handelsunternehmen seit Jahren überwiegend auf der Ebene von Vorstand und Geschäfts-führung beziehungsweise Bereichsebene angesiedelt. Logistik-Manager sind im Top-Management verankert oder berichten zumindest an dieses. Dabei ist die Logistik in jedem zweiten Unternehmen als Linienabteilung orga-nisiert, bei jedem dritten in einer Matrixorganisation und seltener als Stabsstelle verankert (Straube et al. 2005).

In der Öffentlichkeit hingegen wird Logistik eher amorph wahrgenommen, die Zusammenhänge in Unternehmen und Unternehmensnetzen gelten als kompliziert und vielfach zu abstrakt. Sie sind vor allem schwer zu vermitteln.

Stellenwert der Logistik in Deutschland und Europa

Logistik bedeutet in Anlehnung an Baumgarten – als ein Beispiel für die Vielzahl wissenschaftlicher Defi nitionen –

„ganzheitliche Planung, Steuerung, Koordination, Durch-führung und Kontrolle aller unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Güter- und Informations-fl üsse“. Dafür stellt die Logistik für Gesamt- und Teilsys-teme in Unternehmen, Konzernen, Netzwerken und sogar virtuellen Unternehmen prozess- und kundenorientierte Lösungen bereit. Die Beschaffungs-, Produktions-, Distri-butions-, Entsorgungs- und Verkehrslogistik sind wichtige Teilgebiete der Logistik, die in alle Prozessketten und -kreisläufe einfl ießen – innerbetrieblich und weltweit, zwischen Unternehmen und bis hin zu den Endkunden. Dabei werden 45 Prozent der logistischen Leistungen von Logistik-Dienstleistern erbracht, der noch überwiegen-de Teil von 55 Prozent ist logistische Wertschöpfung in Unternehmen. In der Öffentlichkeit ist Logistik sogar nur zu einem Drittel wahrnehmbar, nämlich in der Bewegung von Gütern durch Dienstleister – zwei Drittel fi nden in der Planung, Steuerung und Umsetzung innerhalb von Unter-nehmen statt.

Selbst im „kleineren“ Teil der Logistik agieren ca. 60 000 Dienstleistungsunternehmen, die ganz überwiegend mittel-ständisch geprägt sind. Das weltweit positive Image von Logistikdienstleistungen aus Deutschland resultiert aber neben der im Mittelstand zu fi ndenden Flexibilität auch durch die Leistungsspektren und -fähigkeiten von Weltkon-zernen wie der Deutschen Post oder der Deutschen Bahn.

Branchenübergreifend wird ein Umsatz von 189 Mrd. Euro erwirtschaftet, das sind rund 7 Prozent des Bruttoin-landsprodukts (BIP). Logistik ist damit in Deutschland die größte Branche hinter dem Handel und der Automobilindus-trie. Sie rangiert noch vor der Elektronikbranche und dem

Abb. 2: Stellenwert der Logistik in der deutschen Wirtschaft

Logistik hat in Deutschland 2,6 Mio. Beschäftigte

Mit einem Umsatzvolumen von 189 Mrd. Euro ist die Logistik Deutschlands drittgrößter Wirtschaftszweig

Logistik zeigt je nach Leistungsbe-reich ein überdurchschnittliches Wachstum von 3–10 % pro Jahr

2006 betrug das Brutto-Umsatzvolumen der Logistik in Europa 836 Mrd. Euro – Der Anteil Deutschlands daran beträgt 28 %

60 000 Logistikunternehmen insb. KMUs mit globaler Präsenz sowie einige Global Player wie die Deutsche Post

55 % logistischer Wertschöpfung kommen aus Industrie und Handel. 45 % werden von Logistik-Dienstleistern erbracht

Quelle: Klaus 2006

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37Raimund Klinkner / Thomas Wimmer

Maschinenbau, dessen Beschäftigtenzahl sie mit 2,6 Mio. um das Dreifache übertrifft. Der Logistik-Markt Europa wird auf 836 Mrd. Euro geschätzt. Der mit ca. 28 Prozent europaweit einzigartig hohe Anteil, den Deutschland dar-an hat, liegt nicht nur an der geografi schen Positionierung im Herzen Europas. Vielmehr nimmt Deutschland bereits heute aus Sicht vieler ausländischer Investoren eine in-ternationale Spitzenposition in Infrastrukturqualität und Logistiktechnologie ein.

Neben der geografi sch hervorragenden Lage sichern das Gewicht der 82 Mio. deutschen Konsumenten und die Exportstärke der deutschen Industrie den internationalen Investoren eine größtmögliche Kunden- und Lieferanten-nähe. Die dichteste und heute schon stark ausgebaute Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur weltweit so-wie eine Anzahl an „Global Players“ wie in keinem anderen europäischen Land runden das Bild der Standortvorteile Deutschlands ab, wenn es um Logistik geht. Hierzu tragen auch ein überlegenes Preis-Leistungs-Verhältnis, ein ex-zellentes „Hightech-Know-how“ sowie die Sicherheit und Zuverlässigkeit des deutschen Rechtsrahmens bei.

Logistik zeigt je nach Leistungsbereich ein überdurch-schnittliches Wachstum von 3 bis 10 Prozent pro Jahr und investiert ca. 15 Mrd. Euro in neue Logistik-Immobilien, Technologien und Qualifi kationsmaßnahmen.

Logistik ist ein zukunftsweisendes Berufsfeld, das in-zwischen an über 100 Universitäten und Fachhochschulen gelehrt wird, an dem aber auch zahlreiche wissenschaftli-che Einrichtungen intensiv forschen.

Existenzsichernde Ergebnisse werden durch effi ziente Wertschöpfung und optimierte Bereitstellung von Res-sourcen erwirtschaftet. Je besser diese Prozesse ablau-fen, desto besser sind die Ergebnisse. Logistik wirkt hier direkt und ermöglicht, an globalen Erfolgen teilzuhaben, ohne Wertschöpfung in Deutschland aufzugeben. Denn anders als bei einem „ganz oder gar nicht“ eröffnet die Logistik die Möglichkeit, bewusst ausgewählte Teile der eigenen Leistung einzukaufen und sich auf wesentliche Stärken zu konzentrieren.

Logistik ist nicht mehr wegzudenken aus der industri-ellen Fertigung, der Zusammenarbeit zwischen Unterneh-men sowie der Warenzirkulation. Logistik wirkt auch als „Enabler“ neuer Dienstleistungen, indem sie sinnvolle Ar-beitsteilungen über Unternehmens- und sogar Ländergren-zen hinweg ermöglicht, beispielsweise durch Outsourcing.

Logistik ist darüber hinaus ein Treiber technischer In-novationen, denn ein sinnvolles Zusammenwirken von Unternehmen erfordert intelligente Kommunikations- und Steuerungsinstrumente. Durch die intensive Nutzung kon-

vergierender Technologien wie Telematik, Prozess-Auto-matisierung und webbasierter Datenfl üsse hat sich die Logistik zu einer echten „Hightech“-Branche entwickelt. Erst dadurch lassen sich die Aktivitäten aller Wirtschafts-bereiche zu einem gemeinsamen Optimum vernetzen.

Logistik ist heute nicht nur Wettbewerbs-, sondern auch Wirtschaftsfaktor und ein volkswirtschaftlich rele-vanter Standortvorteil.

Effi zienz, Verantwortung, Erfolg

Um das Dilemma zwischen den tatsächlichen Leistun-gen und der verkürzten Wahrnehmung der Logistik lösen zu können, ist ein breites und ohne Partikularinteressen angelegtes „Marketing“ notwendig, das auf fundierten wirtschaftlichen Grundlagen beruht und die Leistungen der Logistik in einer für Fach- und Führungskräfte, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit verständlichen Weise darstellt und vermittelt. Dabei ist es sinnvoll, dass sich Logistiker nicht nur ihrer Fachtermini, sondern des Voka-bulars bedienen, das in allen Wirtschaftsbereichen ver-wendet wird.

Wenn Wissens- und Erfahrungsaustausch zum Nutzen aller Beteiligten erfolgen soll, bedarf es einiger „Spielre-geln“ und eines gemeinsamen Grundverständnisses, das auf ethischen Motiven aufbaut: Wissen muss „vernünftig“ gesammelt, gegliedert, vermehrt und verbreitet werden, Menschen sollen möglichst ohne Hindernisse zusammen-gebracht werden können. Anstelle wirtschaftlicher Eigen-interessen sollte das Gemeinwohl im Vordergrund stehen, selbst dann, wenn mit Anbietern und Nachfragern logis-tischer Leistungen beide Marktseiten versammelt sind. Uneigennütziges Engagement, dessen Ziel nicht vorrangig eigenwirtschaftlichen Interessen dient, ist notwendig, um eine Plattform zu schaffen, der sich jedermann anver-trauen kann.

Fach- und Führungskräfte aus Wirtschaft, Wissen-schaft und Politik, die in ihren Arbeitsgebieten aktiv und verantwortlich tätig sind, sind mit über 50, manchmal auch mit 60 und mehr Arbeitsstunden pro Woche zwei-felsohne hinreichend ausgelastet. Trotzdem bilden genau diese Menschen mit einer hohen Bereitschaft zum ehren-amtlichen Engagement das Rückgrat der BVL – und zwar jenseits der von Aristoteles defi nierten „Freigebigkeit, bei der die Größe des erbrachten Opfers in Relation mit dem betriebenen Aufwand gesetzt werden muss“ (Wikipedia 2008). Solches Engagement generiert Nutzen durch neue Ideen, Impulse und Kontakte und stellt die Grundlage für ein Netzwerk wie das der Bundesvereinigung Logistik dar.

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38 „Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik

Ökonomie und Verantwortung in Verbindung mit Lern- und Lehrbereitschaft macht es möglich, die Leistungen der Lo-gistik sichtbarer und verständlicher zu machen.

Gewinnerzielung und Sicherung der Zahlungsfähigkeit gelten als die zwei essenziellen Unternehmensziele. Um sie zu erreichen, ist wirtschaftliches Handeln notwendig, ein rationaler Umgang mit knappen Ressourcen sowie ein „gutes“ Verhältnis zwischen Ertrag und Aufwand. Soll-Ist-Vergleiche oder Vergleiche zwischen verschiedenen Zeitpunkten beleuchten nur Ausschnitte der Wirklichkeit, erst Vergleiche zu anderen Betrieben oder Maßnahmen schaffen umfassende Klarheit.

Logistiker decken mit ihren Arbeitsgebieten das ge-samte Spektrum ab. Niedrige Erzeugungskosten durch eine geeignete Produkt- und Produktionsgestaltung, niedrige Bestands- und Versorgungskosten sowie eine möglichst hohe Zuverlässigkeit von Prozessen und Pro-jekten wirken in allen Wertschöpfungsstufen und direkt auf Betriebsergebnisse. Partnerschaftlich eingebundene Lieferanten, kulturenübergreifendes Verständnis in nati-onalen und internationalen Wertschöpfungsketten sowie ganzheitliches Denken anstelle von Teiloptimierungen tra-gen direkt zum Geschäftserfolg bei – und sichern diesen nachhaltig. Verantwortungsvolles Management sorgt da-für, dass Mensch, Umwelt und Wirtschaft einen harmoni-schen Dreiklang bilden.

Von anderen Unternehmen, Branchen und Regionen zu lernen, deren Methoden und Verfahren zu verstehen, sie als Impulse und Ideengeber zu verwenden, um Lösungen für das eigene Berufsfeld zu entwickeln und zu imple-mentieren, bietet nahezu unerschöpfl iche Vorteile. Unter Logistikern ist es möglich, sich zu begegnen und Wissen auszutauschen, auch wenn man Unternehmen angehört, die zueinander im Wettbewerb stehen oder in denen völ-lig andere „Kulturen“ vorherrschen als im eigenen Erfah-rungsbereich. Im Praxiseinsatz befi ndliche Systeme wer-den als „Status quo“ verstanden, von dem derjenige, der diesen zuerst entwickelt und in Betrieb genommen hat, davon profi tiert, dass er das dafür notwendige Wissen be-reits erworben hat und in tiefer Kenntnis aller während-dessen erlernten Zusammenhänge bereits an der Weiter-entwicklung der im Einsatz befi ndlichen Lösung arbeitet.

Bundesvereinigung Logistik – Impulse und Antworten seit 30 Jahren

Vor 30 Jahren als gemeinnütziger Verein gegründet mit dem Ziel, logistisches Denken über die verschiedensten Wirtschaftszweige hinweg zu fördern, bildet die BVL ein

Netzwerk für die Logistiker aus Wirtschaft und Wissen-schaft sowie Plattformen für den fachlichen und persön-lichen Gedankenaustausch. Denn es gab und gibt viele Impulse, die branchen- und funktionsübergreifend genutzt werden können: vom Montagesteuerer aus der Automo-bilfabrik wie vom Versandleiter im Lebensmittelhandel, vom Einkäufer eines chemischen Betriebs wie vom Dis-ponenten eines Spediteurs. Damals steckte die Logistik noch in den Kinderschuhen – heute macht sie hinter dem Handel und der Automobilwirtschaft den drittstärksten Wirtschaftsbereich in Deutschland aus (Fiege et al. 2005, Grünrock 2007).

Die BVL ist heute der größte freiwillige Zusammen-schluss von Fach- und Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in Europa, die mit Wertschöp-fungsnetzwerken zu tun haben. Als Gemeinschaft prag-matischer Idealisten, die ganzheitlich und interkulturell denkend über ihre Wirkungskreise hinausschauen, um daraus fachlich und menschlich Nutzen zu ziehen und zu stiften, verbindet die BVL Menschen, die die Be-deutung von Netzwerken für das effi ziente und effek-tive Wirken einer global tätigen Wirtschaft erkannt haben und dieses auch anderen vermitteln möchten.

Entwicklung und Status der VereinsaktivitätenDie BVL wurde am 18. April 1978 gegründet, damals ver-fügte sie zum Jahresende über 202 Mitglieder. Seit 1981 besteht eine eigene Geschäftsstelle in Bremen, seit 1983 ist die BVL Veranstalterin des jährlich im Herbst in Berlin statt-fi ndenden Deutschen Logistik-Kongresses, der im Jahr 2007 mit über 3500 Teilnehmern an die Spitze der „Weltliga“ ver-gleichbarer Veranstaltungen aufstieg. Im Jahr 2000 wurde die Deutsche Gesellschaft für Logistik (DGfL) mit der BVL verschmolzen. Zum Jahresende 2007 hatte die BVL 8585 Mitglieder, rund 150 ehrenamtlich tätige Funktionsträger, bundesweit 26 Regionalgruppen sowie 20 akkreditierte For-schungsstellen (Bach et al., 2008). Die Bundesvereinigung Logistik erfüllt ihren Satzungsauftrag heute durch vielfälti-ge Serviceleistungen und hohes persönliches Engagement:

• Vorstand und Beirat der BVL sind hochkarätig besetzt und repräsentieren einen weit gefächerten Querschnitt von Logistikfunktionen aus Wirtschaft und Wissen-schaft. Der Vorstand ist verantwortlich für die Planung, Durchführung und Überwachung der Aufgaben, die sich aus den Zielsetzungen des Vereins ergeben. Er verant-wortet die Geschäftsführung sowie die Ausführung der Beschlüsse der Mitgliederversammlung. Der vom Vorstand berufene Beirat ist mit Persönlichkeiten aus

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39Raimund Klinkner / Thomas Wimmer

Wirtschaft, Wissenschaft und Politik besetzt, überwie-gend Vorstände und Geschäftsführer, die unmittelbar Verantwortung für Logistik tragen. Der Beirat ist ein beratendes Gremium für die BVL, durch das persönliche Netzwerke und Know-how eingebracht werden.

• Die 26 Regionalgruppen der BVL bilden mit ihrer Arbeit und ihrem Engagement das Fundament des Vereins. Auf jährlich über 140 Veranstaltungen werden logisti-sche Strategien, Konzepte und Lösungen hautnah und praxisbezogen präsentiert. Sie sind eine Plattform, um Kontakte neu zu knüpfen oder zu vertiefen. Sowohl Mit-glieder als auch interessierte Gäste können sich hier im persönlichen Gespräch über Angebot und Leistungen der BVL informieren.

• Der Wissenschaftliche Beirat verankert Wissenschaft und Forschung in der Arbeit der BVL und vertritt diese bei allen relevanten Fördermittelgebern. Er berät die-se bei der Durchführung und Qualitätssicherung von Forschungsprojekten und organisiert den Transfer der Forschungsergebnisse. Zurzeit sind im Schwerpunkt die Fachbereiche Betriebswirtschaftslehre, Volkswirt-schaftslehre und Technik vertreten.

• Der Förderbeirat, ein ehrenamtlich tätiger Kreis von wissenschaftlich interessierten Praktikern, hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegenüber der Öffentlichkeit be-stehende Forschungsdefi zite auf dem Gebiet der Logis-tik aufzudecken und daraus wichtige und notwendige Projektinhalte abzuleiten. Der Förderbeirat selbst ist keine Forschungsinstitution, sondern initiiert, begleitet, begutachtet und hilft.

• Zukunftsorientierte Arbeitskreise bearbeiten im Auftrag des Vorstands aktuelle Themenstellungen und stellen die

Ergebnisse den BVL-Mitgliedern und der interessierten Fachöffentlichkeit in vollem Umfang zur Verfügung. Sie ermöglichen so einen schnellen Wissenstransfer und die persönliche Kontaktaufnahme bei der Suche nach fun-dierten Informationen und Fachwissen.

• Die Stiftung BVL versteht sich als Impulsgeber für neue Themenfelder der Logistik und widmet sich insbesondere der Gewinnung von Fördermittelgebern.

• Die Geschäftsstelle der BVL mit Sitz in Bremen hält und pfl egt den Kontakt zu den Mitgliedern, zu Unternehmen und Verbänden, zu Wissenschaft und Politik, zu vielfälti-gen Institutionen und den Medien. Neben den drei Ge-schäftsführern sind aktuell 37 hauptamtliche Mitarbeiter/innen in insgesamt vier Organisationseinheiten tätig: im Verein selbst, der Deutschen Logistik-Akademie (DLA), der Deutschen Außenhandels- und Verkehrsakademie (DAV) und der Deutschen Gesellschaft für Logistik (DGfL).

• Die DLA gGmbH und die Stiftung DAV fördern in enger Zusammenarbeit mit der BVL die notwendige Weiterbil-dung auf dem Logistiksektor durch ein umfangreiches, modular aufgebautes Seminarangebot sowie Studien-gänge zum Thema Logistik.

• Die DGfL mbH betreut in erster Linie die begleitenden Fachausstellungen bei BVL-Veranstaltungen sowie die ELA-Zertifi zierungen.

• Durch eigene Veranstaltungen wie Deutscher Logistik Kongress, Logistics Forum Duisburg, Wissenschafts-symposium Logistik, verschiedene Tages- und Bran-chenforen sowie durch die fachliche Begleitung von Messen und Ausstellungen werden Informationen und Netzwerke bereitgestellt, die dem logistischen Handeln in der Praxis neue Impulse und neue Qualität geben.

Abb. 3: Organisation der BVL

Mitgliederversammlung

Vorstand

Wissenschaftlicher Beirat

Förderbeirat

Arbeitskreise

Stiftung BVL

Geschäftsstelle DAV/DLA DGfL

26 Regionalgruppen

Präsidium

Vorstandsausschüsse

Erweiterter Vorstand

Regionalgruppensprecher

Beirat

Mitglieder

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40 „Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik

• Die Vergabe von begehrten Preisen für die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Medien unterstützt das Ziel der BVL, das ganzheitliche Denken in logistischen Pro-zessen zu begleiten und zu fördern.

• Speziell auf die Bedürfnisse der Mitglieder zugeschnitten wurde eine „Informationskaskade“ mit inhaltlich und zeit-lich aufeinander abgestimmten Inhalten in unterschiedli-chen Publikationen und Medien entwickelt. Gemeinsam mit ihrem Medienpartner, dem Deutschen Verkehrs-Verlag, bietet die BVL ihren Mitgliedern ein mehrstufi ges Kommunikationskonzept, bestehend aus einem wöchent-lichen E-Mail-Newsletter (LOG.Mail), einem monatlichen Print-Newsletter (LOG.Letter) und einem im Durchschnitt alle zwei Monate erscheinenden Magazin (LOG.Punkt), das medienübergreifend als Print- und auch als elektroni-sches Medium zur Verfügung gestellt wird.

Perspektiven für Logistik im gesellschaftlichen KontextDie BVL versteht sich als das internationale Netzwerk für Logistik. Sie verbindet Menschen und Institutionen, Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Sie wird auch in Zukunft die Logistik weiterentwickeln und sich nicht für Partikularinteressen einspannen las-sen, sondern Ratgeber für Zusammenhänge und fundierte Entscheidungsgrundlagen sein. „Objektivität“ anstelle

der vielleicht etwas eng gefassten „Neutralität“ wird die Leitlinie für Handeln und Kommunikation der BVL sein. An erster Stelle steht der weitere Ausbau der inhaltlichen Arbeit, danach – und zwar ganz bewusst danach – die Internationalisierung der Aktivitäten und Services. Die BVL wird sich außerdem noch intensiver als bisher der Weiterbildung annehmen. Der Fokus auf die Inhalte, die Überwindung von Grenzen – zwischen Unternehmen wie auch im Rahmen der Internationalisierung – sowie die intensivierte Weiterbildung spiegeln sich bereits in den folgenden konkreten Maßnahmen wider:

• Mit dem „Logistik-Indikator“, der gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ins Le-ben gerufen wurde, stellt die BVL einen Seismogra-fen für Stimmungen und die Entwicklungen in der Lo-gistik bereit. Befragt werden dabei in jedem Quartal 200 ausgewählte repräsentative Unternehmen zu den aktuellen Einschätzungen und Erwartungen der Ge-schäftsentwicklung und Kapazitätsauslastungen von Logistik-Dienstleistern und Anwendern logistischer Dienstleistungen. So können kurzfristige Entwicklun-gen in der Logistik frühzeitig erkannt werden – wie zum Beispiel aktuell die Verknappung von Kapazitäten oder die Entwicklungen am Arbeitsmarkt.

Abb. 4: Der BVL/DIW Logistik-Indikator

Gesamtindikator

2006-Q4 2007-Q1 2007-Q2 2007-Q3 2007-Q4100

110

120

130

140

150

160

170

180

Indexpunkte

Die deutsche Logistikwirtschaft zeigt sich im vierten Quartal 2007 insgesamt in starker Verfassung.• Der Indikator bewegt sich mit einem Wert 147 trotz leichter Abschwächung gegenüber den beiden Vorquartalen auf einem hohen Niveau. • Gegenüber der Vorquartalsumfrage hat sich die Lagebeurteilung verbessert, während sich die Erwartungen erneut leicht eingetrübt haben. • Gleichwohl werden die Geschäftsaussichten für das Jahr 2008 immer noch deutlich positiv eingeschätzt, sodass die Zeichen auch für das • kommende Jahr weiterhin auf eine expansive Entwicklung hindeuten.

Lage

Klima

Erwartungen

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41Raimund Klinkner / Thomas Wimmer

• Die BVL verstärkt durch die Verzahnung der Aus- und Weiterbildungsangebote von Deutscher Logistik Akademie (DLA) und Deutscher Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) ihr Engagement im Bereich der berufl ichen Qualifi zierung. Im Zentrum steht die Prozessorientierung von der Beschaffung über die Pro-duktion und die Distribution als Nahtstelle zu den Kun-den. Grundbausteine der Logistik, dezidierte Seminare und Fachforen zu spezifi schen Themengruppen in und um Wertschöpfungsketten herum sowie Bildungs- und Studiengänge, in denen modulares Wissen zu Themen-schwerpunkten gebündelt wird, bilden die Kernstruktur des Programmangebots. Auch branchen- und betriebs-spezifi sche Weiterbildung wird angeboten.

• Mit „Logistics Research“ wird die BVL ab Mitte 2008 ihre Plattformarbeit erweitern: Das neue Wissen-schaftsjournal ist durch Zusammenschluss bestehen-der Plattformen entstanden – interdisziplinär und sogar medienübergreifend.

• Auch online wird die BVL neue Wege gehen: Beispiele hierfür sind das bereits erprobte e-Journal der Zeit-schrift „LOG.Punkt“ sowie zusätzliche Services auf der BVL-Homepage – quasi vom „Taschenlexikon der Lo-gistik“ über Kernwissen der Logistik bis hin zur Online-Plattform, die im Herbst des Jahres 2008 vorgestellt werden wird.

• Mit dem „Tag der Logistik“ wird es an jedem dritten Donnerstag im April und damit erstmals am 17. April

2008 einen bundesweiten Aktionstag geben, an dem alle Regionalgruppen der BVL Veranstaltungen anbie-ten werden und Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung Einblicke in ihre Logistik gewähren. Logistikinstitute werden ihre Pforten öffnen und ihre Forschungsprojekte vorstellen. Namhafte Verbände be-teiligen sich aktiv an dieser Idee. Der „Tag der Logistik“ wird den Medien und durch die Medien kommuniziert werden, um die Logistik noch stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu transportieren.

Initiativen und deren Umsetzung in den kommenden JahrenZu den Alleinstellungsmerkmalen der BVL gehören ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Die Mitglieder sind freiwillig beigetreten, die Mitgliedsbeiträge sind bewusst so moderat festgelegt worden, dass sie die Mitgliederkos-ten für die Informationsdienstleistungen, die Einladungen zu den Veranstaltungen und den Jahresbericht des Vereins decken. Im Gegensatz zu Unternehmensverbänden erfolgen weder Rechts- oder Tarifberatung, noch Lobbyarbeit, statt-dessen stehen Neutralität und Objektivität im Vordergrund.

Als eine ihrer Kernkompetenzen sieht die BVL die Planung, Organisation und Durchführung hochwertiger Veranstaltungen zum Thema Logistik – und zwar von den Seiten des Content und Event wie auch ihrer Fertigkeit, Netzwerke zu managen. Für die BVL steht „Menschlich-keit“ im Vordergrund: „Person geht vor Funktion“, lautet das Leitmotiv. Der Umgang miteinander ist wichtig. Eine

Abb. 5: Die Bildungslandschaft der BVL-Akademien

Beschaffung & Einkauf Produktion Distribution & Vertrieb

Supply Chain Management

Globalisierung

Transport &Verkehr

Personal & Führung

Technologien &Verfahrenstechnik

Recht

Informations- &Kommunikations-systeme

Controlling

Grundlagen Logistik

Logistik-Assistent/in

Kompakt-Kurs Logistik

Supply Chain Manager/in

Warehouse Manager/in

Produktions-manager/in

Logistik Controller/in

English Logistics Certifi cate

English for Global Sourcing & Logistics

Betriebswirt/in

Verkehrs-fachwirt/in

Kompakt-Studium Logistik

Automotive

Grundausbildung

Bildungsgänge

Studiengänge

Branchen

Zoll-Experte/in

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42 „Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik

konstruktive Meinungsvielfalt inklusive einer positiven fachbezogenen Streitkultur führen zu einer hohen Attrak-tivität. Diese wiederum ist Voraussetzung, wenn führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik für das Netzwerk der BVL gewonnen werden sollen.

Die BVL selbst sieht ihr Wachstumspotenzial bei den Mitgliedern weiterhin als sehr groß an. Um weitere Mit-gliedergruppen zu erschließen, hat der BVL-Vorstand im Rahmen seines letzten Strategiemeetings beschlossen, Bündelung und Transfer von Logistikwissen noch intensi-ver in den Fokus der BVL-Arbeit zu stellen. Dabei sollen insbesondere aktuelle und zukunftsorientierte Methoden und Verfahren sowie aktuelle und zuverlässige Zahlen, Daten und Fakten die Grundlage bilden für Erfahrungs-austausch, Positionsbestimmung und Vertiefung der Marktkenntnisse aller Mitglieder und sonstiger Logistik-interessierter. Es sollen auch weiterhin beide Marktseiten zusammengebracht und der Rahmen zur Pfl ege sozialer Kontakte geboten werden. Um das Logistikverständnis in der Öffentlichkeit zu verbessern, sollen aus Forschung und Veranstaltungen resultierende Hintergrundinformationen sowie Informations- und Bildmaterial für Medien offensi-ver als heute zur Verfügung gestellt werden.

Bildung ist eine vordringliche Aufgabe unserer Gesell-schaft. Logistik braucht kluge Köpfe, damit Gesamtzusam-menhänge verstanden werden: Die Bundesvereinigung Lo-gistik bekennt sich zum Konzept des lebenslangen Lernens und fördert Bildung über alle Lebensstufen und Kulturen. Die Arbeit der BVL wird auch weiterhin ein Ideengenera-tor sein. Die Zukunft gehört der Logistik – und die Logistik der Zukunft wird in der BVL zu fi nden sein.

Empfehlungen für Rahmenbedingungen und Handlungsfelder

Dynamische Entwicklungen der Märkte, wachsende Kun-denbedürfnisse, schwankende Rohstoffpreise und Wech-selkurse sowie politische Rahmenbedingungen – kaum eine Einfl ussgröße im komplexen Gefl echt der unterneh-merischen Beziehungen ist heute noch zuverlässig vor-hersagbar. In diesem Umfeld Effektivität, Effi zienz und ein stabiles Wachstum zu erzeugen, ist für Unternehmen und Volkswirtschaften gleichermaßen die Herausforderung der Zukunft.

Im Umgang mit diesen Herausforderungen hat sich die Logistik als entscheidendes Erfolgskriterium herausge-

Abb. 6: Positive Hebel der Logistik für Deutschland

BürgerMobilität• Angebotsbreite• Kundennähe• Verkehr & Tourismus• Arbeitsplatzsicherheit• Wissenschaft & Forschung• Sicherheit•

StaatWettbewerbsposition• Vernetzung zu virtuellen Verbünden• Grenzüberschreitende Wertschöpfungsnetz-• werkeEuropa-Hub Deutschland• Exportunterstützung•

UnternehmenWettbewerbsposition• Vernetzung zu virtuellen Verbünden• Investition in IT-Technologie• Nutzung ausländischer Lohnkostenvorteile• Ergebnisverbesserung•

WirtschaftSteigerung des Dienstleistungsanteils• Markterschließung • Globalisierung• Mittelstandsstärkung• Innovationen•

Logistik Logistik

Logistik Logistik

Mobilität Warenverfügbarkeit

Infrastruktur Interoperabilität

ProzessorientierungInformations-Vernetzung

Supply Chain Management Globalisierung

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43Raimund Klinkner / Thomas Wimmer

bildet. Wer in der Logistik und der mit ihr eng verbundenen IT Know-how, Technologieführerschaft und Innovations-kraft mitbringt, sichert seine Wettbewerbsfähigkeit. Die Erfolge deutscher Spitzenleistungen in der Logistik von Produktions- und Handelsunternehmen wie beispielswei-se bei Festo, Metro, Gildemeister, Tchibo, Bosch-Siemens Hausgeräte und Claas belegen dies eindrucksvoll. Deren ganzheitliche Konzepte erschließen Potenziale und vor al-lem Arbeitsplätze – auch in Deutschland.Logistik bietet Stellhebel für Bürger, Unternehmen, Wirt-schaft und Staat, die, selbst wenn sie nur in Teilbereichen und Teilgebieten genutzt werden, positive Wirkungen auf das gesamte System erzielen. Beispielsweise verbessert mehr Prozessorientierung die Wettbewerbssituation von Unternehmen und Volkswirtschaften, schafft mehr Nähe zu Kunden und sichert Arbeitsplätze.

Logistik muss wahrnehmbarer Produktbestandteil von Gütern aus deutscher Produktion werden, die sich durch ihre logistikbasierten Services vom internationalen Wettbewerb positiv abheben. Deutschland benötigt gute Rahmenbedingungen und Flexibilität für Logistik-Dienst-leistungen. Hierzu müssen Monopole abgebaut werden und der Staat sollte sich weitgehend aus der Wirtschaft zurückziehen. Deregulierung, Freiheit und Mobilität sind existenziell für den Standort Deutschland und können trotz schwacher Haushaltslage mit innovativen Finanzie-rungsmodellen vorangetrieben werden.

Logistikdienstleistungsunternehmen sind stark mit-telständisch geprägt. Daher ist Logistikförderung Mit-telstandsförderung – und umgekehrt. Insbesondere die Kapitalschwäche mittelständischer Logistikdienstleister muss beseitigt werden, damit Investitionen in komple-xe Kontraktlogistik-Leistungen möglich werden. Logis-tikdienstleister sind durch ihre Nähe zum Kunden in der Lage, veränderte Marktbedürfnisse frühzeitig zu erken-nen und unternehmerisch darauf zu reagieren. So entste-hen kurzfristig innovative Produkte, Logistikprozesse und Dienstleistungen, die Deutschland voranbringen.

Mobilität bedeutet Beweglichkeit und Freiheit. Darum ist die Sicherung einer gut ausgebauten Infrastruktur zen-trale gesellschaftliche Aufgabe der Zukunft zur Mehrung des individuellen Nutzens und zur Steigerung der Produk-tivität. Infrastruktur ist eine wertvolle Ressource, deren Gebrauch von allen Nutzern fi nanziert werden muss – ohne Einschränkung auf bestimmte Nutzergruppen, aber differenziert und nutzungsabhängig. Beispiele für Finan-zierungsmodelle sind Public Private Partnerships und die Maut. Die hervorragende Maut-Technologie sollte ver-marktet und um Mehrwertdienste angereichert werden.

Die Politik muss das Ineinandergreifen aller Verkehrsträ-ger fördern. Ein ganzheitliches Mobilitäts-Management sorgt für eine optimale, IT-gesteuerte, Ressourcen scho-nende Nutzung wertvoller Infrastrukturen. Mobilität nutzt Menschen und Gütern gleichermaßen.

Neben der selbstverständlichen Grundversorgung muss Infrastruktur dort in besonderer Weise verfügbar gemacht oder verbessert werden, wo unter den derzeit absehbaren wirtschaftlichen und ökologischen Entwick-lungen der größtmögliche Nutzen entsteht. Durch intel-ligente Nutzung der Infrastruktur muss deren Leistungs-fähigkeit möglichst vollumfänglich erschlossen werden. Der im Koalitionsvertrag von November 2005 festgelegte Masterplan „Güterverkehr und Logistik“ zur Verbesserung der Effi zienz des Gesamtverkehrssystems ist dafür ein erster wichtiger Ansatz. Und er muss weitestgehend kom-plementär zum „Aktionsplan Logistik“ der Europäischen Kommission gestaltet werden, der ebenfalls in Arbeit ist.

Veränderungen bei den Menschen und in ihrem Um-feld werden ein wesentlicher Treiber für neue Aufgaben-stellungen der Logistik und neue Services der BVL sein. Die fortschreitende Internationalisierung, der Wegfall von Grenzen und Zollschranken, veränderte Sicherheits-anforderungen, der demografi sche Wandel und die fast schon als selbstverständlich empfundenen Änderungen des Kommunikationsverhaltens werden bestimmend sein. Die persönliche Kommunikation wird wichtig bleiben, aber virtuell ergänzt werden.

Änderungen im Konsumverhalten der Menschen wer-den Unternehmen veranlassen, über ihre Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsstrategien nachzudenken. Der immerwährende Wettstreit von Konzentration versus Spezialisierung beziehungsweise Dezentralisierung wird in eine neue Schleife getrieben. Die Verfügbarkeit neu-er Technologien und der zunehmende Wunsch der Men-schen, diese auch zu nutzen, wird neue Transferkanäle generieren.

Die Logistik sorgt als Querschnittsfunktion und im Nahtstellenmanagement der Wirtschaftssektoren für eine Konvergenz bisher unverbundener Technologien zu anwendungsreifen und erprobten Produkten. Sie erfor-dert immer neue Technologien und informationstechnolo-gische Lösungen für ihre spezifi schen Anwendungen und wirkt damit als Innovationstreiber.

Die Verbreitung von Technikinnovationen hat nach-haltig positive Effekte auf die Ressourcenschonung und erzeugt Wettbewerbsvorteile der deutschen Logistikleis-tungen im internationalen Vergleich. Interdisziplinäre For-schung und Entwicklung sowie ein bewusster Umgang mit

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44 „Werte schaffen – Kulturen verbinden“ – Nutzen stiften im Netzwerk der Logistik

gewachsenen Kulturen, deren Einbindung und aktives Ma-nagement führen zum weiteren Ausbau der Weltmarkt-führerschaft Deutschlands in der Logistik.

Die Sicherheit der Infrastruktur in Verkehr und Infor-mationstechnik wird in Zukunft eine immer größere Rolle im internationalen Standortwettbewerb spielen und Ent-scheidungskriterium für Investoren sein.

Auf „Megatrends“ wie Globalisierung, Urbanisierung, Bildung von Ballungsräumen, Klimasensibilität, Nachhal-tigkeit, Krisen und Katastrophen sind Antworten zu fi nden, die keine Grenzen kennen und keine Grenzen benötigen. Hier müssen nicht-kommerzielle, unabhängige Netzwerke wie das der BVL mehr mit den politisch Verantwortlichen zusammenarbeiten – und zwar nicht nur auf nationaler Ebene, sondern länder-, mentalitäts- und kulturenüber-greifend. Es ist sicherzustellen, dass mit politischen Ge-staltungsmitteln die einzigartigen Stärken einzelner Län-der und Regionen weiter ausgebaut und vorbehaltlos für alle anderen nutzbar gemacht werden können.

Die Umsetzungsmaßnahmen für eine Stärkung von Mobilität, Produktivität, Dienstleistung und In-novation in Deutschland bedürfen für ihr Gelingen besonderer Rahmenbedingungen seitens der Politik. Der Staat muss eine Politik der Zurückhaltung ver-folgen, die auf die Selbstregelungskräfte der Markt-teilnehmer setzt und hierfür Freiräume schafft. Fünf Schwerpunkte bilden sich dabei heraus: Wettbewerb zulassen, Flexibilität ermöglichen, Planungssicherheit

durch eine transparente Wirtschaftspolitik schaffen, Kosten reduzieren und Bürokratieabbau intensivieren.Die schwungvolle Deregulierung in Deutschland sowie die Harmonisierung in Europa sind dringend notwendig: Nur unter vergleichbaren oder besser gleichen Auflagen und Verordnungen, Abgaben und Steuern sowie tech-nischen Rahmenbedingungen sind Interoperabilität und chancengleicher Wettbewerb möglich. Der „Standort-faktor Logistik“ muss wirksam nach innen und außen vermarktet werden. Hierfür stellt die Bundesvereinigung Logistik ihr großes Netzwerk und ihre Konzepte der Po-litik zur Verfügung, um gemeinsam – im Schulterschluss – über die Logistik Wirtschaftsdynamik zu erzeugen.

Die Politik selbst kann mit dem Aufgreifen von Logis-tikkonzepten wie Serviceorientierung, Ganzheitlichkeit, Outsourcing und Vernetzung neue Wege einschlagen. Mit ihrem Bekenntnis zu mehr Logistikorientierung in Deutschland kann die Politik die nötige Akzeptanz schaf-fen und den Strukturwandel Deutschlands aktiv be- gleiten.

Dann wird das Image der Logistik auch ohne gezieltes Marketing die Spitzenstellung einnehmen, die ihm ge-bührt. Dann werden sich Talente gern und mit großem En-thusiasmus für Karrierewege in der Logistik entscheiden. Bis dahin jedoch bedarf es eines engagierten Schulter-schlusses aller Logistiker. Die Bundesvereinigung Logistik ist bereit, diesen Prozess aktiv mitzugestalten und hierfür Verantwortung zu übernehmen.

Abb. 7: Rahmenbedingungen verbessern – Chancen der Politik

Wettbewerb zulassenDeregulierung, Privatisierung vorantreiben• Wegfall aller Subventionen bis 2015• Zölle abbauen• Auflagen nur im europäischen Konsens entwickeln•

Planungssicherheit schaffenPolitik-Transparenz erhöhen• Wirkungsvolle Gesetzesfolgenabschätzung implementieren • (wie FMEA)

Kosten reduzierenLohnnebenkosten senken• Steuerrecht vereinfachen (Substanzbesteuerung vermeiden, • Gewerbesteuer abschaffen, Erbschaftssteuer bei Betriebsfortführung abschmelzen)Unternehmensbesteuerung in durchschnittlicher Höhe aller • europäischen Regelungen

Bürokratieabbau intensivierenNormungs-, Genehmigungsverfahren u. Planfeststellungsverfahren • verkürzenSchnelle und unbürokratische Ansiedlung von Investoren• Überzogene Umweltschutzauflagen abbauen • Schadstoff-Bilanzen einführenPotenziale von e-Government ausschöpfen•

Flexibilität ermöglichenArbeitszeitbeschränkungen aufheben • Öffnungszeiten (Ladenschluss, UWI, Nachtflugverbote usw.)• Kündigungsschutz weiter flexibilisieren (Wegfall von Kündigungs-• schutz bei Kleinunternehmen bis 20 Beschäftigten und für die Dauer von 12 Monaten)Rechtsanspruch auf Teilzeit zurücknehmen• Möglichkeiten für befristete Arbeitsverträge verbessern• Mitbestimmung wirtschaftsorientierter ausrichten•

Wettbewerb zulassen Planungssicherheit schaffen

Kosten reduzieren

Bürokratieabbau intensivieren

Flexibilität ermöglichen

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45Raimund Klinkner / Thomas Wimmer

Literaturverzeichnis

Bach, D., Grünrock-Kern, U., Wimmer, T. (2008) Chronik der Bundes-vereinigung Logistik, ISBN 978-3-87154-372-2, Deutscher Verkehrs-Verlag, HamburgBretzke, W.-R. (2007) „Available to promise – der schwierige Weg zu einem berechenbaren Lieferservice“ in: Logistik Management, 9. Jahr-gang 2007, Ausgabe 2, Seite 8-18, ISSN 1436-6231, Aspecta Verlagsge-sellschaft, NürnbergFiege, H., Klinkner, R., Wimmer, T., Witten, P., Zadek, H. (2005) „Wachs-tum schaffen – Zukunft gestalten – Logistik als Motor für Wachstum und Inno-vationen in Deutschland“ – Thesenpapier der Bundesvereinigung Logistik mitEmpfehlungen an die Politik der 16. Legislaturperiode; Eigendruck, BVL, 9/2008Grünrock-Kern, U., Wimmer, T. (2007) „Logistik – vielfältig, innovativ,international“ – Themenheft Logistik, Verlagsbeilage in: Journalist, Medienfachverlag Rommerskirchen, Rolandseck, 5/2005

Grünrock-Kern, U., Schäfer, K. (2008) „Effi zienz – Verantwortung – Erfolg“, Bericht des Vorstands 2007, Eigendruck, BVL, 1/2008Klaus, P., Kille, C. (2006) „Top 100 in the European Transport and Logi-stics Services – Market Sizes, Market Segments and Market Leader in the European Logistics Industry“, 2nd Edition, ISBN 978-3-87154-358-6, DVV Media Group / Deutscher Verkehrs-Verlag, HamburgStraube, F., Pfohl, H.-C., Günthner, W., Danglmaier, W. (2005) „Trends & Strategien in der Logistik – Ein Blick auf die Agenda des Logistikmanagements“, ISBN 3-87154-331-4, Deutscher Verkehrs-Verlag, Hamburgwww.bvl.de – Homepage der BVL – Gliederungspunkte „Logistik“; „Satzung“; „Wer wir sind“; „24. Deutscher Logistik Kongress“, hier ins-besondere Rede der Bundeskanzlerin zur Eröffnung des 24. Deutschen Logistik-Kongresses am 17. Oktober 2007 in Berlinwww.wikipedia.de – Internet-Enzyklopädie – Wirtschaft, Ethik, Ehrenamtlichkeit

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Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten

Matthias von Randow

Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

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Staatssekretär Matthias von RandowJahrgang 1959Von Randow ist seit Januar 2008 Beamteter Staatssekretär im Bun-desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Nach Abitur und Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann leis-tete er 1981–1982 Zivildienst bei amnesty international. Er studier-

te 1983–1988 an den Universitäten in Bonn und Rom in den Fächern Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte, Soziologie und Politische Wissenschaften und erwarb 1989 einen Ma-gister Artium. Von Randow war 1989–1990 Projektleiter beim DGB-Bildungswerk. 1990–1996 war er Referatsleiter beim DGB-Bundesvorstand und 1996–1998 Referatsleiter beim SPD-Parteivorstand. Er war 1999–2003 Leiter des Leitungsstabs im BMVBS. In den Jahren 2004–2007 war er dort Leiter der Grund-satzabteilung.

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Güterverkehr und Logistik bilden eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft

Deutschland ist der stärkste Produktionsstandort Euro-pas. Seine Attraktivität wird durch die Leistungsfähigkeit des Güterverkehrs- und Logistiksystems maßgeblich mit-bestimmt. Damit hängen wirtschaftliche Wertschöpfung, materieller Wohlstand und die soziale Basis unserer Ge-sellschaft entscheidend davon ab, wie leistungsfähig, sozial- und umweltverträglich wir Transport und Logistik auch in der Zukunft sicherstellen können.

Bis zum Jahr 2050 wird das Güterverkehrsaufkommen in Deutschland gegenüber heute um rund die Hälfte zu-nehmen, die Güterverkehrsleistung wird sich mehr als ver-doppeln. Mit anderen Worten: Wir werden auch zukünftig eine hohe Verkehrsnachfrage haben. Dort, wo Rohstoffe, Halbfertig- und Fertigprodukte hergestellt, verarbeitet, weiterverarbeitet, umgeschlagen, exportiert und impor-tiert werden, wird auch in Zukunft Verkehr entstehen.

Vor diesem Hintergrund bleibt Deutschland auch künf-tig Haupttransportland und Verkehrsdrehscheibe Euro-pas. Deutschland kann sich als Produktionsstandort im internationalen Wettbewerb aufgrund seiner guten Ver-kehrsinfrastruktur, seines großen Absatzmarktes, seines logistischen Know-hows und der insbesondere für Inves-titionsentscheidungen wichtigen Rechtssicherheit gut be-haupten. Wir haben leistungsfähige Seehäfen, internati-onal bedeutende Flughäfen und den größten Binnenhafen Europas. Deswegen überrascht nicht, dass Deutschland an dem auf 585 Mrd. Euro geschätzten Logistikmarkt Europa mit rund 28 Prozent europaweit einen führenden Anteil hat.

Herausforderungen für Transport und Logistik

Logistik ist ein hochkomplexer Prozess in einer arbeits-teiligen Wirtschaft, er ist in vielfältiger Weise mit den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen verfl ochten. Will die Verkehrspolitik mehr sein als nur der Türöffner für immer mehr Verkehr und Dampfwalze für immer mehr Verkehrswege, dann muss sie sich den umfassenden ge-sellschaftlichen Herausforderungen stellen, dann muss

Verkehrspolitik ihren nachhaltigen Gestaltungsauftrag realisieren. Dabei haben wir die wichtigsten gesellschaft-lichen Herausforderungen im Blick:

• Globalisierung,• Umwelt- und Klimaschutz, Energieversorgungssicherheit,• Demografi scher Wandel,• Humanressourcen,• Security.

GlobalisierungDie Globalisierung ändert die Produktionsprozesse: Be-schaffung und Vermarktung und in zunehmendem Maße auch Produktionsverbünde spielen sich nicht mehr natio-nal, sondern global ab. Bereits heute stammen 40 Prozent unserer Exportgüter von importierten Vorleistungen ab. Importe von Vorprodukten werden immer mehr zur Voraus-setzung, um auf dem Exportgütermarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Entsprechend werden immer mehr Waren und Güter über immer größere Distanzen transportiert. Daraus folgt ein weiter steigender Bedarf an Transport und Logis-tik, d. h. ganz konkret auch mehr Verkehr. Bisher konnten wir trotz importierter Vorleistungen einen erheblichen Teil der Wertschöpfung in Deutschland sicherstellen, obwohl zwischen 1995 und 2006 die exportinduzierten Importe mit 11 Prozent jährlich stärker gewachsen sind als die Exporte (8 Prozent pro Jahr). In der gleichen Zeit ist der Beitrag des Exports zum deutschen Bruttoinlandsprodukt von 16 Prozent auf über 23 Prozent kräftig angestiegen. Die zu-nehmende globale Arbeitsteilung hat sich demnach bisher positiv auf das Wachstum in Deutschland ausgewirkt.

Auch schaffen immer kürzere Belieferungszyklen und Zeitanforderungen bei immer kleiner werdenden Sendungsgrößen die Notwendigkeit einer weiteren Optimierung der Lieferkette. In einer globalisierten Welt können wir im Wettbewerb nur mit einem Höchstmaß an Innovationskraft und Flexibilität sowie zunehmender Speziali sierung und Arbeitsteilung bestehen. Die Logistik-wirtschaft hat einen dementsprechend wachsenden

Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestaltenMatthias von Randow

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Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten50

Bedarf an intelligenten, innovativen und effizienten Transportsystemen.

In dieser globalen Welt ist ein funktionierendes Trans-port- und Logistiksystem mitentscheidend für die An-siedlung internationaler Investoren. Die Attraktivität des Standortes Deutschland wird darüber hinaus durch seine Leistungsfähigkeit als Logistikbrücke zwischen den kauf-kraftstarken Wirtschaftszentren in Westeuropa und den sich entwickelnden Märkten Osteuropas bestimmt.

Umwelt, Klima und Energieversorgungssicherheit71 Prozent mehr Güterverkehr und rund 20 Prozent mehr Personenverkehr bis 2025 machen nicht Halt vor schüt-zenswerter Umwelt. Der Flächenverbrauch für die Infra-struktur wird steigen, ebenso der Verkehrslärm, der Ener-gieverbrauch und die CO2-Belastung. Schon heute ist der Verkehr verantwortlich für 70 Prozent des Mineralölver-brauchs und 20 Prozent der CO2-Emissionen in der EU.

Damit ist klar, dass auch der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss. Insbesondere durch eine optimierte Logistik und mehr Energieeffi zienz, aber auch durch innovative Konzepte der Verkehrsvermeidung gilt es, die vom zunehmenden Verkehr ausgehenden Beein-trächtigungen der Natur und der Lebensqualität der Men-schen zu vermindern und wo immer möglich zu vermeiden.

Hiermit eng verknüpft ist die Frage der Energieversor-gungssicherheit. Politik und Unternehmen müssen sich auf die Endlichkeit fossiler Energieträger einstellen, um auch in Zukunft bezahlbare Mobilität zu gewährleisten.

Demografi scher Wandel Mit dem demografi schen Wandel wird eine Abnahme der Bevölkerung von heute 82,5 Mio. auf 77 Mio. Einwohner bis 2050 verbunden sein. Der Anteil der 65-Jährigen wird bis 2050 von heute 17 Prozent auf 28 Prozent steigen. Der damit einhergehende Fachkräftemangel setzt schon heute Grenzen für die Wirtschaftsentwicklung.

Zudem wird sich die Bevölkerung ungleich entwickeln: Ländlich geprägten, schrumpfenden Regionen werden wachsende Boomregionen mit steigender Verkehrsleis-tung gegenüberstehen.

Der demografi sche Wandel bringt veränderte Mobi-litäts- und Konsumbedürfnisse der Gesamtbevölkerung mit sich. Das in einer alternden Gesellschaft veränderte Mobilitätsverhalten und eine erhöhte Nachfrage nach entsprechenden logistischen Dienstleistungen (z. B. Ein-richtung spezieller Liefer- und Fahrdienste) werden die Anforderungen an Verkehrspolitik und Verkehrswirtschaft verändern: Der demografi sche Wandel bringt nicht weniger

Verkehr, sondern anderen Verkehr und eine räumliche Konzentration auf Hauptachsen und Wirtschaftszentren.

HumanressourcenGlobalisierung kann bei gleichzeitiger Wahrung der Umwelt- und Klimaschutzziele zu mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa beitragen. Allerdings müssen wir hierbei auch die Humanressourcen im Blick haben:

Derzeit sind 2,5 Mio. Menschen in der Verkehrswirt-schaft und Logistik beschäftigt, dabei sind aber 44 Pro-zent aller Beschäftigten in Güterverkehr und Logistik ohne Berufsausbildung (Stand 2004). Die Menschen sind ein Schlüsselfaktor für die weitere erfolgreiche Entwicklung der deutschen Verkehrs- und Logistikwirtschaft; die Ver-fügbarkeit von leistungsfähigen und Wachstum schaffen-den Transport- und Logistiksystemen hängt von der Ver-fügbarkeit leistungsfähiger Arbeitskräfte ab:

• Der wachsende Logistikmarkt benötigt die erforderli-che Anzahl an Arbeitskräften; hier wird es aber infolge des demografi schen Wandels zu Nachwuchsproblemen kommen.

• Der hochkomplexe Logistikmarkt benötigt besser aus-gebildete Fachkräfte, um den steigenden Anforderun-gen infolge technischer Entwicklung und zunehmender Komplexität der Transportketten gerecht zu werden.

• Der zunehmende Zeit- und Lieferdruck mobilisiert Ef-fi zienzkonzepte, leider aber auch schädliche Dumping-praktiken. Ein leistungsfähiger Logistikmarkt benötigt daher wirksame Sozialvorschriften verbunden mit den nötigen Kontrollen, um fairen Wettbewerb zu gewähr-leisten und die Attraktivität des Arbeitsfeldes für die Beschäftigten weiter auszubauen.

SecurityDie Terroranschläge der vergangenen Jahre haben gezeigt, wie verwundbar die globalisierten Transportsysteme und Logistikketten sein können. Security ist daher eine Grund-anforderung an eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur und ein leistungsfähiges Transport- und Logistiksystem.

Anforderungen an Politik, Wirtschaft und Zivil-gesellschaft für eine zukunftssichere Gestal-tung von Transport und Logistik

Wir wollen die Spitzenstellung, die Deutschland heute als Drehscheibe internationaler Logistik hat, sichern und wei-ter ausbauen. Dabei ist für uns unverzichtbar, die sozialen und ökologischen Aspekte gleichfalls mit im Blick zu be-

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Matthias von Randow 51

halten. Das heißt: Wir brauchen eine nachhaltige Fortent-wicklung des Wirtschaftszweiges; er muss wirtschaftlich, sozial und ökologisch effi zienter gestaltet werden. Hierzu leistet die Bundesregierung ihren Beitrag mit investitions- und ordnungspolitischen Maßnahmen und zahlreichen Förderprogrammen.

InvestitionenDeutschland verfügt über eine der modernsten Verkehrs-infrastrukturen weltweit mit einem dichten und leistungs-fähigen Netz von Straßen, Schienen, Wasserstraßen, Hä-fen und Flughäfen. Ihr Ausbau und Erhalt liegen deshalb in vordringlichem Interesse.

In Zeiten begrenzter öffentlicher Mittel müssen wir die Investitionen vor allem auf die Bereiche konzentrie-ren, wo der Bedarf am größten und der verkehrliche und wirtschaftliche Nutzen am höchsten ist. Das heißt, wir brauchen eine Stärkung der logistischen Knoten und ins-besondere eine Fokussierung auf den Ausbau der Haupt-verkehrskorridore zwischen den Wirtschaftszentren und Ballungsräumen, um die Hauptverkehrsströme in einer globalisierten und infolge des demografi schen Wandels regional „unbalancierten“ Welt leistungsfähig zu halten. Gleichzeitig muss aber auch die Anbindung von Räumen sichergestellt werden, wo sie aus strukturpolitischen Gründen sinnvoll ist. Mit Verkehrsvermeidung und Effi zi-enzerhöhung allein werden wir dem enormen Wachstum insbesondere im Güterverkehr nicht begegnen können. Bis 2011 haben wir eine stabile Investitionslinie von jährlich durchschnittlich 9,2 Mrd. Euro, bei Einrechnung der Bun-desmittel nach dem Gemeindeverkehrsfi nanzierungsge-setz und sonstigen Investitionen beträgt sie durchschnitt-lich über 11 Mrd. Euro pro Jahr. Die Verstärkung der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur ist angesichts des Verkehrswachstums unerlässlich.

Import-Export-DrehscheibenFür mehr Effi zienz des Gesamtverkehrssystems ist eine Stärkung insbesondere der logistischen Knoten, d. h. vor allem der See-, Binnen- und Flughäfen oder Umschlag-terminals notwendig. Dabei geht es zum einen um den nachfragegerechten Ausbau der Kapazitäten und die Anbindung an das übrige Verkehrsnetz (Stichwort: Hinter-landanbindungen von Seehäfen, intermodaler Anschluss von Flughäfen), zum anderen um die räumliche und logisti-sche Vernetzung der Drehscheiben aus volkswirtschaftli-cher Sicht. Die Zeiten einer Bundesverkehrswegeplanung, die auf geschaffene Fakten in den Ländern reagierte, sind vorbei. Der Bedarf einer abgestimmten integrierten

Verkehrspolitik zwischen Bund und Ländern steht auf der Tagesordnung. Deswegen sprechen wir heute von dem Erfordernis einer nationalen Hafenpolitik.

Effi zienzAngesichts des Klimawandels ist unser Ziel: Gewährleis-tung gleicher Mobilität bei geringerer Verkehrsbelastung. Wir können dem Verkehrswachstum nicht mit immer mehr Infrastruktur begegnen.

Stattdessen müssen alle Verkehrsträger besser mitein-ander verknüpft, größere Anteile des Verkehrswachstums auf Schiene und Wasserstraße abgewickelt, die vorhan-dene Infrastruktur effi zienter genutzt sowie die Trans-portkette mittels intelligenter Logistik und innovativer Technologien (z. B. Telematik) weiter optimiert werden. Verkehrsvermeidung ist möglich und sie ist notwendig, wenn wir Mobilität erhalten wollen. Intelligente Lösungen können z. B. in einer räumlichen und ggf. zeitlichen Ent-mischung von Verkehren auf besonders stark belasteten Strecken liegen. Aber auch die Verkehrstelematik (z. B. Verkehrsbeeinfl ussungsanlagen auf Autobahnen) hat hier viele Potenziale, die es zu nutzen gilt und mit denen die deutsche Technologieführerschaft in Innovationstechno-logien weiter gesichert werden kann.

UmweltDas Bundeskabinett hat in Meseberg ein umfassendes In-tegriertes Energie- und Klimaschutzprogramm beschlos-sen. Unsere Ziele bis 2020 sind:

• insgesamt 20 Prozent Verringerung des Energiever-brauchs sowie 40 Prozent Verringerung der CO2-Emis-sionen gegenüber 1990 (wenn die EU sich verpfl ichtet, um 30 Prozent zu verringern),

• 20 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien und• bei den Biokraftstoffen Steigerung des energetischen

Anteils am Gesamtkraftstoffverbrauch auf 17 Prozent (20 Prozent im Volumen).

Mit unseren Maßnahmen im Verkehrsbereich leisten wir einen wesentlichen Beitrag für den Umwelt- und Klima-schutz. Insbesondere sind zu nennen:

• Weiterentwicklung der Lkw-Maut (z. B. durch stärkere Spreizung nach Emissionsklassen und Berücksichtigung von Partikelminderungssystemen bei der Mauthöhe)

• Entwicklung alternativer Kraftstoffe/Biokraftstoffe und innovativer Antriebstechnologien sowie Unterstützung bzw. Vorbereitung ihrer Markteinführung

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Güterverkehr und Logistik als tragende Säule der Wirtschaft zukunftssicher gestalten52

• Einbeziehung von Flug- und Schiffsverkehr in den Emis-sionshandel

• Weitere Modernisierung und Stärkung des nationalen und europäischen Eisenbahnverkehrs.

Auch wird weiteres Verkehrswachstum nur dann akzep-tiert werden, wenn es gelingt, den Verkehrslärm deutlich zu reduzieren. Wir haben deshalb ein nationales Verkehrs-lärmschutzpaket aufgelegt, das Lärmschutzmaßnahmen bei allen Verkehrsträgern bündelt. Besonderes Augen-merk gilt der Lärmsanierung an Schienenwegen und der Umrüstung des Güterwagenbestandes zur Lärmreduktion an der Quelle. Staat und Wirtschaft sind gefordert, ver-stärkt Anstrengungen und Investitionen zum Lärmschutz zu unternehmen.

Humanressourcen Qualifi zierte und motivierte Beschäftigte sind ein Schlüs-selfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Transport- und Logistikwirtschaft. Auch im Bereich der sogenannten geringqualifi zierten Arbeitsplätze werden die Anforde-rungen an die Beschäftigten angesichts der zunehmend komplexeren Transportketten und der fortschreitenden technischen Entwicklung steigen. Es gilt also die Aus- und Fortbildungssysteme zu stärken und entsprechend den neuen Anforderungen weiterzuentwickeln. Dies können wir nur in Kooperation mit den Unternehmen der Verkehrswirtschaft angehen, die hier insbesondere auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben. Gemeinsam wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Investi-tionen in die Qualifi kation der Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ebenso bedeutend sind wie Investitionen in die Verkehrs-infrastruktur. Angesichts des international zunehmenden Zeit- und Lieferdrucks gilt es zudem, die Einhaltung der entsprechenden Arbeitsschutz- und Sozialvorschriften sowie der Mitbestimmungsrechte und die Einhaltung der Tarifverträge und dazu die Kontrolldichte auch bei wach-sendem Verkehr sicherzustellen.

SecurityGlobal Mobilität zu gewährleisten erfordert, sie mit aus-reichenden Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu sichern. Aktuell diskutierte Vorschläge wie z. B. der EU-Verord-nungsvorschlag zur Verbesserung der Sicherheit der Lie-ferkette oder der im Sommer 2007 in den USA unterzeich-nete 9/11-Act, der letztlich auf ein hundertprozentiges Durchleuchten aller für die USA bestimmter Luftfracht in Passagiermaschinen und aller Frachtcontainer in Seehä-

fen abzielt, bedeuten aber einen großen bürokratischen Aufwand, verlangsamen und verteuern Transporte und behindern damit Mobilität. Andererseits werden Wirt-schaft und Unternehmen international nur dann als Ver-tragspartner akzeptiert werden, wenn sie die Sicherheit der Transportkette gewährleisten können.

Die Bundesregierung tritt daher u. a. im internationa-len Kontext dafür ein, dass Sicherheitsmaßnahmen un-bürokratisch ausgestaltet sind und die Wirtschaft mög-lichst wenig belasten (Folgenabschätzung vor Einführung, Vermeidung kostspieliger Doppelkontrollen). Bestehende Sicherheitsmaßnahmen sollen zudem regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Und eines ist klar: Sicherheit im internationalen Verkehr braucht inter-nationale Kooperation. Nationale Alleingänge sind kont-raproduktiv.

Faire WettbewerbsbedingungenIn einer globalisierten Welt gilt es auch, die Wettbe-werbsbedingungen innerhalb der einzelnen Verkehrs-träger (z. B. durch Beseitigung von Zugangshemmnissen bei der Schiene) sowie zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern (z. B. durch Anlastung der verursachten Kosten bei allen Verkehrsträgern) zu harmonisieren.

Die Lkw-Maut in Deutschland ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie sorgt dafür, dass die Wegekosten in Deutschland als Haupttransitland gerecht, d. h. auch dem internationalen Verkehr, angelastet werden.

Eine wichtige Diskussion wird im Sommer 2008 zu führen sein, wenn die Europäische Kommission ihr Mo-dell zur Bewertung externer Kosten des Verkehrs und eine Strategie zur schrittweisen Umsetzung für alle Ver-kehrsträger vorlegt. Dies soll EU-weit für Transparenz sorgen und die Möglichkeiten für eine verkehrslenkende und Umweltkosten berücksichtigende Anlastung ver-größern. Auf dieser Basis gilt es dann, offen zu prüfen, wie Umweltschutz und Wettbewerbsgerechtigkeit am zweckmäßigsten miteinander vereint werden können.

Grundsätzlich ist für uns klar: Wir dürfen bei dieser Aufgabe den Blick nicht auf bestimmte Instrumente ver-engen. Beim Luftverkehr wird derzeit in der EU der Emis-sionshandel als wirkungsvolles und marktwirtschaftlich sinnvolles Instrument zur Anlastung der externen Kosten an den jeweiligen Verursacher diskutiert. Die von der Bundesregierung unterstützte Einbeziehung des Flugver-kehrs und Schiffsverkehrs in den Emissionshandel ist ein Schritt zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit, der letztlich auch der Bahn zugute käme. Und die Weiterentwicklung der Maut steht seit der Kabinettsklausur 2007 auf der

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Matthias von Randow 53

Tagesordnung. Dabei gilt: Die Harmonisierung der Wett-bewerbsbedingungen muss Teil dieser Weiterentwick-lung sein.

AusblickDie arbeitsteilige Aufgabenstellung für Deutschland ist klar: Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmen-bedingungen für ein leistungsstarkes und nachhaltiges Verkehrssystem zu setzen; die Wirtschaft muss zusam-men mit qualifi zierten und motivierten Mitarbeitern und

innovativen Technologielösungen die entsprechenden Chancen am Standort Deutschland ergreifen.

So sehr dabei Politik, Wirtschaft und Verbände ihre je-weilige spezifi sche Funktion haben, so sehr bedarf es bei der Logistik der übergreifenden Zusammenarbeit. Neue Formen der Kooperation müssen noch gelernt werden. Sie werden dem Logistikstandort gut tun. Und das tut Not – denn das enorme Wachstum im Verkehr fordert von uns allen Kreativität und Gemeinsinn, um auch weiterhin Wohlstand, Lebensqualität und Umweltschutz zu gewährleisten.

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Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren

Dirk Reich

Executive Vice President Contract Logistics und Mitglied der Geschäftsleitung der

Kühne + Nagel International AG

J. Rod Franklin

Vice President, Product Development der Kühne + Nagel Management AG

Kühne + Nagel wurde 2005 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.

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Dirk ReichJahrgang 1963Reich ist Executive Vice President Contract Logistics und Mitglied der Geschäftsleitung der Kühne + Nagel International AG. Er hat das Wachs-tum der Kontraktlogistiksparte von einem kleinen zum weltweit dritt-größten Anbieter begleitet und be-stimmt. Der Bereich betreibt heute über 400 Standorte in 50 Ländern und

beschäftigt 25 000 Mitarbeiter. Zuvor war Reich für die Lufthansa, die German Cargo Services GmbH sowie die Viag AG in leitender Funktion tätig. Reich ist Mitglied des Vorstands der Stif tung Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung (WHU) sowie Jurymitglied für den Deutschen Logistik-Preis.

Dr. J. Rod FranklinJahrgang 1952Franklin ist Vice President, Product Development bei der Kühne + Na-gel Management AG und dort für die Entwicklung komplexer Supply-Chain-Lösungen verantwortlich. In seiner Position bei Kühne + Nagel hat Franklin Entwicklungsprojekte in den Bereichen Lean Logistics, Reverse Logistics, RFID sowie Lead-

Logistics-Leistungen geleitet. Sein berufl icher Werdegang führ-te Dr. Franklin über Viacore ENTEX Information Services, Digital Equipment Corporation, Arthur Young & Company, Booz Allen & Hamilton, Theodore Barry & Associates, Cameron Iron Works sowie General Motors Corporation.

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Einleitung

In der Vergangenheit wurden logistische Dienstleistungen eher unter operativ funktionalen Gesichtspunkten disku-tiert (Vasiliauskas et al. 2007). Im Wesentlichen können diese in die Bereiche Transport-, Lager-, Speditions- so-wie neuerdings Value-Added-Dienstleistungen unterteilt werden (Sheffi 1990, Lynch 2004, Aertsen 1993). Jeder dieser Bereiche wurde sowohl in Forschung und Industrie tiefergehend analysiert und in seine Bestandteile zerlegt (Maloni und Carter 2006).

Während diese detaillierten Analysen in der Logistik-branche zu einem verbesserten Verständnis hinsichtlich der sich verändernden betrieblichen Leistungserstellung, Kunden- und Serviceanforderungen geführt haben, resul-tiert der funktionale, nicht integrierte Ansatz in einem heterogenen Serviceangebot in der Logistikbranche. Die sich zum Teil überlappenden Servicekomponenten können nicht ohne Weiteres integriert werden und weisen auch keinen einheitlichen Standard auf. Dies führt tendenziell zu höheren Logistikkosten bei gleichzeitig abnehmender Qualität des Logistikservices (Krikke et al. 2001).

Im Gegensatz zu traditionell weniger integrierten Lo-gistikdienstleistungen kann ein integrierter, produktorien-tierter Ansatz zu einer Reduzierung der gesamten Lebens-zykluskosten eines Produktes führen. Der Schwerpunkt dieses Ansatzes, der in den USA als Integrated Logistics Support (ILS) bekannt ist, liegt auf den verschiedenen Lo-gistikanforderungen eines Produktes entlang seines ge-samten Lebenszyklus (Jones 2006). Indem das Produkt im Mittelpunkt der Serviceanforderungen steht, kann ein in-tegriertes Paket von Dienstleistungen entwickelt werden, das eine maximale Verfügbarkeit sowie Leistung des Pro-duktes gewährleistet. Werden zusätzlich Kosten als ein Parameter des Produktlebenszyklus betrachtet, so kann ein Paket von lebenszyklusbegleitenden Logistikdienst-leistungen entwickelt werden, das bei einem defi nierten Umfang von Serviceanforderungen ein Minimum an Logis-tikkosten über den gesamten Lebenszyklus garantiert.

Der ILS-Ansatz ist keineswegs neu. Allerdings ist er in der traditionellen Logistikbranche kaum bekannt und wird demzufolge kaum angewendet. Traditionelle Logis-

tikdienstleister und ihre Kunden haben den ILS-Ansatz im Wesentlichen aus zwei Gründen nicht angewendet. Der erste Grund liegt in den Motiven für das Outsourcing, das in den vergangenen Jahrzehnten zu einer rapiden Auswei-tung der logistischen Dienstleistungen geführt hat. Der zweite Grund ist eher historisch bedingt und hat damit zu tun, wie das ILS-Konzept ursprünglich entwickelt und wo es eingesetzt wurde.

Outsourcing und Einfl ussfaktoren für die Zunahme von Logistikdienstleistungen

Untersuchungen zum Thema Outsourcing von 3PL-Logis-tikumfängen haben viele Gründe hierfür identifi ziert (Lieb 1992, Rabinovich et al. 1999). Im Wesentlichen können hierbei folgende drei Hauptgründe unterschieden werden: geografi sche Expansion, Kostenreduktion sowie Know-how.

Die schnelle Globalisierung der letzten 20 Jahre hat viele Unternehmen dazu veranlasst, ihre bisherigen Ein-kaufsstrategien zu überdenken. Wo bisherige Strategien auf lokalen/regionalen Einkauf und Vertrieb ausgerichtet waren, hat die Globalisierung Unternehmen gezwungen, weltweite Einkaufs- und Vertriebsmodelle einzuführen, um sich den veränderten Anforderungen stellen zu kön-nen. Der weltweite Einkauf zwang die Unternehmen, sich in Niedriglohnländern zu engagieren, in denen sich die ei-genen Einkaufsabteilungen nicht auskannten und es kaum eine eigene Unternehmenspräsenz gab. Der Vertrieb in neuen Absatzmärkten machte es zudem erforderlich, dass sich Unternehmen mit den lokalen Distributionsmöglich-keiten auseinandersetzen mussten (King 1997).

Um hohe Investitionen in riskante und unbekannte Re-gionen zu vermeiden, haben sich Unternehmen mit einer Globalisierungsstrategie an solche Logistikdienstleister gewandt, die bereits in diesen Regionen Logistikdienst-leistungen anbieten konnten. Durch das Outsourcing ihrer Logistikaktivitäten an Logistikdienstleister, die sich im lokalen Markt schon etabliert hatten, konnten Unterneh-men ihr Risiko reduzieren und gleichzeitig einen schnellen

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Wachstumskurs mit hoher Flexibilität hinsichtlich Verän-derungen von Sourcing-Strategien oder Distributions-modellen verfolgen (Jüttner 2005).

Einhergehend mit der Globalisierung traten auch neue Wettbewerber auf. Die Globalisierung machte es für Un-ternehmen erforderlich, nicht nur über Global Sourcing und Expansion in neue Märkte nachzudenken, sondern auch über ihre Kostenstruktur. Der Kostendruck infolge neuer Wettbewerber mit besserer Effi zienz oder gerin-geren Lohnkosten zwang Unternehmen, ihre traditionell vertikal integrierten Organisationsmodelle zu überprüfen. Viele Unternehmen kamen zu dem Ergebnis, dass eine in-terne Logistik zu teuer war, und haben diese infolgedes-sen an Logistikdienstleister ausgelagert. Das Outsourcing von Logistikdienstleistungen resultierte nicht in Kostenre-duktionen, sondern auch in einem verminderten Risiko, da durch Outsourcing Kapital freigesetzt und gleichzeitig die Flexibilität erhöht werden kann (Kersten und Koch 2006).

Das Outsourcing von Logistikdienstleistungen eröff-nete Unternehmen zudem einen Zugang zu Experten-Know-how und Erfahrung der Logistikdienstleister. In vielen Fällen ging Outsourcing einher mit der Fokussie-rung auf das Kerngeschäft, was es den Unternehmen ermöglichte, in ihrem Kerngebiet fl exibler zu agieren und gleichzeitig den Profi t zu erhöhen. Die sich gegenseitig unterstützenden Faktoren Kompetenz der Logistikdienst-leister sowie kundenseitige Fokussierung auf das Kern-geschäft haben zu einer Zunahme des Outsourcing von

Logistikdienstleistungen in den meisten größeren Unter-nehmen beigetragen (Arnold 2000).

Da Outsourcing-Entscheidungen unter lokalen Bedin-gungen und von funktional organisierten Entscheidungs-instanzen getroffen werden, ist es wenig verwunderlich, dass Logistikaktivitäten tendenziell eher funktional und somit nicht-integriert outgesourct wurden. Die meisten Unternehmen, unabhängig davon ob sie eine klassische divisionale Form oder eine Matrixorganisation aufwei-sen, haben ihre Logistikaktivitäten funktional organisiert. Das heißt, dass separate Unternehmensbereiche für die Beschaffungs-, Lager-, Distributions- sowie After-sales-Logistik zuständig sind (Ballou 1999). Abbildung 1 zeigt die traditionelle funktionale Aufteilung der Logistik mit den jeweiligen Aktivitäten innerhalb der einzelnen Funktionen.

Wie Abbildung 1 zeigt, überschneiden sich diverse Aktivitäten der funktionalen Bereiche. Da jedoch diese Aktivitäten durch verschiedene organisatorische Einheiten gemanagt werden, wurden Ressourcen nicht gemeinsam genutzt, Prozesse nicht durchgängig standardisiert oder ein integriertes Management implementiert. Daher werden bei Outsourcing-Entscheidungen Logistikumfänge meist iso-liert vergeben, sodass Unternehmen mit einer Vielzahl von Logistikdienstleistern zusammenarbeiten, die ein ähnliches Leistungsspektrum aufweisen. Die hieraus resultierende In-effi zienz wurde von den Unternehmen aufgrund der funktio-nalen Trennung nicht wahrgenommen (Blanchard 2004).

Abb. 1: Primäre Logistikaufgaben und -tätigkeiten

Inbound-Logistik In-House-Logistik Distributions-Logistik Reverse Logistik

Lieferantenmanagement• Bestell-Release-Management• Eingangstransportmanagement• Empfang und Einlagerung • der WarenLager- und Bestandsmanagement• Bestellkonsolidierung• Kommissionierung und Verpacken • der Bestellung für die Auslieferung (Herkunftsland)Zollabwicklung und Dokumentation• Sichtbarkeit• Statusverfolgung/Event • ManagementTransport • Finanzmanagement• Teilebestellung und -management• Reporting- und Kennzahlenmana-• gement

Empfang und Einlagerung • der WarenLager- und Bestandsmanagement • Picking-Management• Kommissionierung • Leichtmontage und Produktions-• betrieb Sichtbarkeit• Statusverfolgung/Event • ManagementProduktionsplanung• Versorgung und Taktung • der ProduktionslinienProzessmanagement (mail room • service, on site delivery services, moves management, etc.)Sendungsmanagement• Kundendienstmanagement • Reporting- und Kennzahlen-• management

Planung und Management von • Abholung und Anlieferung Return Material Authorization • Retourendisposition• Produktreparatur und erneutes • Verpacken Lager- und Bestandsmanagement • Entsorgungsmanagement• Finanzmanagement• Management von Reparaturan-• bietern Sichtbarkeit• Statusverfolgung/Event • ManagementPUDO- und Depot-Management • Koordinierung des technischen • DienstesKundendienstmanagement • Compliance Monitoring • und Reporting Teilebestellung und -management•

Verkehrsplanung• Transportmanagement• Zustellnachweis- Management• Projektlogistik für Sondertrans-• porteFinanzmanagement • Sicherheitsmanagement der • SendungenSichtbarkeit• Statusverfolgung/Event • ManagementAuditieren und Bezahlung • der FrachtKundendienstmanagement • Reporting- und Kennzahlen-• management

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59Dirk Reich / J. Rod Franklin

Der funktionale Ansatz berücksichtigt nicht die Anforde-rungen eines Produktlebenszyklus eines Unternehmens. Die Anforderungen des Produktlebenszyklus werden nicht integriert betrachtet und liegen jeweils in der Verantwor-tung individueller funktionaler Abteilungen. Infolge dieser funktionalen Fokussierung kommt es zu überlappenden Aktivitäten, was zu einem Kostenanstieg und kaum zu einem verbesserten Serviceniveau für den Kunden führt (Blanchard und Fabrycky 1998).

Historische Entwicklung des Integrated Logistics Support

Die Entwicklungsgeschichte des ILS-Konzeptes ist die Geschichte von aufkommenden komplexen technischen Systemen, speziell von militärischen Systemen, nach dem Zweiten Weltkrieg. Während des Zweiten Weltkriegs begannen Militäranalysten, fortgeschrittene mathema-tische Techniken zur Modellierung komplexer Probleme anzuwenden. Dieser Ansatz zur Lösung komplexer Prob-leme wurde als Operations Analysis bekannt (Churchman 1968).

Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs konzentrier-ten sich die Analysten auf Themen, die im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg standen. Insbesondere wurden in den USA Einrichtungen mit dem Ziel geschaffen, der Re-gierung als auch dem Militär Tools und analytische Res-sourcen als Entscheidungsunterstützung zur Lösung hoch-komplexer Probleme zur Verfügung zu stellen. Obwohl eine Vielzahl von verschiedenen Organisationen (akademische sowie staatliche) an der Entwicklung dieser analytischen

Techniken beteiligt war, war insbesondere in der frühen Entwicklung The RAND Corporation (RAND) von Bedeu-tung (Feltes 1976).

RAND wurde gegründet, um wissenschaftlich fundiert die Probleme der US-amerikanischen nationalen Sicher-heit zu studieren. Da diese Probleme üblicherweise im Zu-sammenhang mit folgenschweren Entscheidungen unter Unsicherheit standen, begann sich RAND für die Entwick-lung von Prozessen für militärische und Regierungs-Ent-scheidungsträger zu interessieren, mit denen Kosten und Risiken einer Entscheidung unter gegebenen operativen Anforderungen minimiert werden konnten. Das Vorgehen, das RAND letztendlich entwickelte, um diese komplexen Probleme zu behandeln, wurde als Systemansatz und der Prozess als Systems Engineering and Analyse-Prozess be-kannt (Churchman 1968).

Systems Engineering and Analyse ist ein umfassender Ansatz, um komplexe Systeme zu entwickeln. Üblicher-weise umfasst Systems Engineering eine detaillierte De-fi nition der Produktanforderungen, die Entwicklung und Bewertung von Designalternativen, die Auswahl einer Alternative, das Detaildesign der ausgewählten Analyse, das Produktionsdesign, das Prozessdesign entlang des Produktlebenszyklus sowie den Managementprozess am Ende des Produktlebenszyklus (Blanchard und Fabrycky 1998). Der Systems-Engineering-Prozess ist in Abbildung 2 schematisch dargestellt.

Logistikaktivitäten bilden Kernelemente aller Phasen einer Produktentwicklung. Daher müssen Systems Engi-neering and Analyse-Prozesse sicherstellen, dass zu ent-wickelnde Produkte kostengünstig produziert, eingesetzt,

Abb. 2: Der Systems-Engineering-Prozess

Produktentwicklung

Defi nition der Anforderungen

Entwicklung von Alternativen

Analyse derTradeoffs

Alternativewählen

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60 Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren

gewartet und entsorgt werden können. In Bezug auf Sys-tems Engineering and Analyse-Modelle kann Integrated Logistics Support wie folgt defi niert werden:

“…the disciplined and unifi ed management of all activities necessary to produce a supportable system design and a reasonable support capability to achieve a pre-determined set of measurable objectives within an acceptable cost of ownership” (Jones 2006).

Obwohl diese Defi nition von ILS breit angelegt ist, wird klar, dass der Fokus auf das Produkt und nicht auf einzel-ne, isolierte Funktionen gerichtet ist. Zudem wird deut-lich, dass ILS auf die Erreichung eines Kostenzieles über den Lebenszyklus ausgerichtet ist und nicht auf die Opti-mierung individueller Logistikaktivitäten.

Die US-amerikanische Militärrichtlinie 700-127 “Inte-grated Logistics Support” beschreibt einen ILS-Plan, der aus folgenden zehn Elementen besteht:

„1. System life cycle maintenance and repair require-ments;

2. Human resource requirements for operating, main-taining and supporting the system over its life cycle;

3. Supply requirements for spare parts and operating supplies throughout the life cycle of the system;

4. Support equipment requirements for supporting and maintaining the system throughout its life cycle;

5. Technical data and documentation requirements for the operation, support, maintenance and disposal of the system;

6. Training and training support requirements for the operation, support, maintenance and disposal of the system;

7 Information technology requirements to operate, sup-port, maintain and dispose of the system;

8. Facilities requirements for the operation, support, maintenance and disposal of the system;

9. Packaging, handling, storage and transportation requirements for operation, support, maintenance and disposal of the system;

10. Logistics operations design implications for all as-pects of the system design activity and acquisition activities to comply with customer defi ned system requirements for operations, support, maintenance and disposal.“

Dem US-amerikanischen ILS-Dokument folgend, kann durch die Fokussierung auf diese zehn Elemente die

höchste Verfügbarkeit und Leistung eines Systems er-reicht werden. Dies beruht darauf, dass das angeschaff-te System mit Blick auf Nutzungsdauer oder Nutzungs-maximierung und nicht auf Ausfallzeitenminimierung oder Kostenoptimierung der funktionalen Unterstützung ent-wickelt wurde.

Im Gegensatz zum traditionellen Entwicklungsvorge-hen der Logistikbranche, das primär auf Logistikaktivi-täten ausgerichtet ist, beginnt das ILS-Vorgehen mit den produktseitigen Anforderungen, von denen die erforderli-chen Logistikaktivitäten abgeleitet werden. Die Aktivitä-ten sind Bestandteil eines Lebenszyklus-Unterstützungs-paketes, das mit dem Produkt zusammen ausgeliefert wird und so die höchste Verfügbarkeit und Leistung des Produktes unterstützt. Dem einzelnen Logistikdienstleis-ter, der eine Servicekomponente im Rahmen des ILS-Plans erbringen soll, werden das Verfahren, die Spezifi kationen für Schnittstellen zu anderen beteiligten Dienstleistern und ihren Servicekomponenten sowie Serviceanforde-rungen mitgeteilt, sodass alle Servicekomponenten der beteiligten Dienstleister von einem führenden Logistik-dienstleister (Lead Logistics Provider) entsprechend der ILS-Ziele nachvollziehbar gemacht werden können (US Army Regulation 700-127).

Das ILS-Konzept in der kommerziellen Logistik

Während ein produktorientiertes Vorgehen im militärischen Bereich bzw. bei öffentlichen Beschaffungen von komple-xen Systemen und ihrer Unterstützungsmaßnahmen ange-wendet wird, ist es schon schwieriger eine entsprechende Anwendung des ILS-Modells im privatwirtschaftlichen Bereich zu fi nden. Hier wenden die meisten Unternehmen nicht den formalen Systems-Engineering-Ansatz an, wie er bei der Entwicklung militärischer Systeme erforderlich ist. In diesem Umfeld ist die Produktentwicklung vor allem auf das Produkt ausgerichtet, unterstützende Dienstleis-tungen werden entweder kurz vor Produktfreigabe grob dokumentiert oder es wird angenommen, dass diese ohne weitere explizite Berücksichtigung von existierenden Un-terstützungsfunktionen erbracht werden können (Ulrich und Eppinger 2007). Diese Ausrichtung wird deutlich, wenn der klassische Prozess betrachtet wird, der übli-cherweise Produktentwicklungsprozessen zugrunde liegt.

Der am häufi gsten eingesetzte Produktentwicklungs-prozess entlang vordefi nierter Meilensteine im kom-merziellen Bereich basiert auf der Annahme, dass die Produktentwicklung verschiedene Detailphasen bis in den Produktionsanlauf durchläuft. Ab dann übernehmen

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verschiedenste Unterstützungsfunktionen, die nicht am Entwicklungsprozess beteiligt waren, die Verantwortung für das Produkt (Cooper und Kleinschmidt 1993).

Infolge der funktionalen und nicht-integrierten Vorge-hensweise, mit der Produkte im privatwirtschaftlichen Bereich entwickelt werden, ist es nicht verwunderlich, dass Logistikaktivitäten ebenfalls nicht-integriert entwi-ckelt werden. Logistikdienstleister strukturieren ihr Leis-tungsangebot entsprechend den Kundenanforderungen. Das bedeutet, dass Logistikdienstleister ebenfalls nicht-integrierte Logistikdienstleistungen anbieten, da diese dem Servicemodell entsprechen, das von den Kunden nachgefragt wird. Obwohl Logistikdienstleister mit ihrem horizontal nicht-integrierten Serviceangebot den Kunden-anforderungen gefolgt sind, führen neuere Entwicklungen dazu, dass sie sich nun mit der Integration ihrer horizontal nicht-integrierten Serviceumfänge auseinandersetzen.

Seit den frühen 80er Jahren hat das Konzept des Supply Chain Managements zunehmend an Akzeptanz gewonnen. Supply Chain Management wird vom US-ame-rikanischen Council of Supply Chain Management Profes-sionals (CSCMP) (CSCMP 2008) wie folgt defi niert:

“…encompasses the planning and management of all activities involved in sourcing and procurement, conversion, and all logistics management activities. Importantly, it also includes coordination and collabo-ration with channel partners, which can be suppliers, intermediaries, third party service providers, and cus-tomers. In essence, supply chain management integra-tes supply and demand management within and across companies.”

Wesentlich an dem Konzept des Supply Chain Manage-ments ist die Notwendigkeit der Integration von Logis-tikaktivitäten, sodass Beschaffungs- und Versorgungs-management entsprechend obiger Defi nition miteinander verbunden werden können.

Die Globalisierung hat zu längeren und komplexeren Supply Chains geführt. Aufgrund dieser Veränderung ist ein effi zientes Supply Chain Management ein kritischer Erfolgsfaktor für die Unternehmen geworden. Logistik-dienstleister haben diese Entwicklung erkannt und be-gonnen, ihre Logistikdienstleistungen zu integrieren, um auf diese Nachfrageveränderung zu reagieren (Spekman et al. 1998).

Kunden und Logistikdienstleister defi nieren üblicher-weise alle Dienstleistungen, die von der Quelle bis zur Senke notwendig sind. Letztendlich besteht das Ziel einer

integrierten Supply Chain darin, das Produkt direkt zum Kunden zu liefern (Stalk 1988). Das Konzept der Direkt-belieferung (Abbildung 3) sieht vor, dass das Produkt von einem entfernten Versandort kontinuierlich direkt auf den Kunden ohne Unterbrechungen zuläuft.

Während Supply Chain Management und die Integra-tion von Logistikdienstleistungen einige Ineffi zienzen des traditionellen Vorgehens in der Logistik behoben haben, hat Supply Chain Management andererseits nicht zu einer gleichen kundenseitigen Wertschätzung wie der ILS-An-satz geführt. Dies kommt daher, dass Supply Chain Ma-nagement zwar die Gesamtlogistikkosten senken kann, aber nicht, wie das ILS-Konzept, auf die Maximierung der Produktverfügbarkeit und -leistung abzielt.

Die Supply Chain im Bereich Beschaffungslogistik, die üblicherweise einen Bestandteil in der Planung des Sup-ply Chain Management eines Unternehmens bildet, ist eine der Supply Chains, die ein Produkt im Laufe seines Produktlebenszyklus durchläuft (Abbildung 4). Ein Produkt wird nicht nur diese eine Supply Chain durchlaufen, son-dern möglicherweise auch eine Installations-, Wartungs-, Deinstallations-, Weiterverwertungs- sowie Entsorgungs-Supply-Chain. Jede dieser Supply Chains hat ihre eigenen Anforderungen und – wenn nicht in einer Logistikplanung adäquat berücksichtigt – eine negative Auswirkung auf das Gesamtservicepaket und verhindert damit eine opti-male Nutzung eines Produktes.

Schaut man auf die logistische Unterstützung aus der Perspektive des Produktes, so erfordert dies eine andere Sichtweise auf die erforderlichen Logistikaktivitäten.

Abb. 3: Direktbelieferung Supply-Chain-Modell

Lieferanten X-Dock

KundenDistributorenGroßkundenWiederverkäuferEinzelhandelGroßhandel

Luft

Parcel

Mixed

LTLSee

FTL

D2D Network Visibility & Monitoring

Performance Measurements

Network Engineering

Network Management

Beschaffung• Logistikplanung und -durchführung• Audit-, Zahlungs- & Informationsdienste• Direktbelieferung•

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Diese neue Sichtweise macht es notwendig, dass der Logistikdienstleister aus der Perspektive des Produktes die Anforderungen in den verschiedenen Phasen des Pro-duktlebenszyklus berücksichtigt. Auf dieser Grundlage kann der Logistikdienstleister untersuchen, welche Ser-vicekomponenten er aus seinem Dienstleistungsportfolio integrieren muss, um das Produkt mit einer integrierten Dienstleistung so zu unterstützen, dass die Nutzung des Produktes maximiert werden kann. Kühne + Nagel, einer der größten internationalen Logistikdienstleister, hat ge-nau dies getan, als er sein Logistikdienstleistungsange-bot – Supply the Sky genannt – für den Bereich Luftfahrt entwickelt hat.

Der Service Supply the Sky

Wie die meisten großen Logistikdienstleister war Kühne + Nagel zu Beginn dieses Jahrzehnts mit der Notwendig-keit der Integration seines Serviceportfolios konfrontiert. Kunden von Kühne + Nagel fragten eine umfassendere Visibilität hinsichtlich ihrer Produktbewegungen sowie ei-nen einheitlicheren Lieferservice über ihr gesamtes welt-weites Netzwerk nach. Kühne + Nagel nahm sich dieser

Aufgabe zunächst in der traditionellen Form an, indem es Servicekomponenten untersuchte und innerhalb der ein-zelnen Geschäftszweige standardisierte und optimierte. Im weiteren Verlauf begann Kühne + Nagel ferner das Portfolio existierender Logistikdienstleistungen zu unter-suchen, um so festzustellen, inwieweit das angestrebte integrierte Serviceangebot für jedes Industriesegment, in dem Kühne + Nagel tätig ist, differenziert werden sollte.

Während dieser Untersuchung entdeckte das Ma-nagement des Luftfahrtbereichs, dass Kühne + Nagelüber die Jahre in diesem Bereich eine Vielzahl von Logistikdienstleistungen entlang des Produktlebenszyklus eines Flugzeuges entwickelt hatte. Jedoch wurden diese Logistikdienstleistungen unabhängig voneinander von verschiedenen Bereichen innerhalb von Kühne + Nagel er-bracht, da sie von unterschiedlichen Kunden nachgefragt wurden. Mit dem Lebenszyklusdurchlauf eines Flugzeuges ändern sich allerdings die Anforderungen an die Logistik-dienstleistungen.

Die Produktion eines Flugzeuges erfordert Beschaf-fungslogistikaktivitäten für Flugzeughersteller. Ein Flug-zeug im Flugdienst wiederum benötigt verschiedene Serviceumfänge, um eine maximale Produktivität zu

Abb. 4: Supply Chain Integration vs. Integrated Logistics Support

Konsum

Distribution

Lagerung

Umwandlung

Transport

Lagerung

Umwandlung

Transport

Lagerung

Produktion

Traditioneller Supply-Chain-Service-Fokus, auf Lebenszyklusphasen basierend

Beginn Product-Lifecycle-Service-Fokus Ende

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gewährleisten. Effi ziente Dienstleistungen, wie Infl ight Catering, Wartung, Retrofi t und Upgrade Services, Not-fallreparaturen etc. benötigen spezielle Logistikdienst-leistungen. Am Ende des Produktlebenszyklus werden Logistikdienstleistungen im Zusammenhang mit Demon-tage, Zerlegung und Entsorgung benötigt.

Das Managementteam von Kühne + Nagel hat festge-stellt, dass das Unternehmen Dienstleistungen in den meisten oben genannten Bereichen erbringt, allerdings nicht horizontal integriert und abgestimmt. Da hier noch Effi zienz-steigerungspotenziale vermutet werden, konzentrier te sich das Management nun zwecks Optimierung der Logistik auf eine engere Verknüpfung der einzelnen Service umfänge. Das Ergebnis dieser Bemühungen war Kühne + Nagels Service- angebot Supply the Sky (Abbildung 5).

Das Serviceangebot Supply the Sky integriert folgende fünf ehemals getrennte Dienstleistungen:

1. Flugzeug-Produktionslogistik,2. Flugzeug-Vorfallmanagement-Services,3. Flugzeug-Ersatzteilmanagement-Services,4. Flugzeug-Infl ight-Services und5. Flugzeug-Retrofi t-Lieferantenmanagement-Services.

Da jede dieser Dienstleistungen zuvor getrennt erbracht wurde, erforderte ihre Integration ein Re-Engineering der zugrunde liegenden Strukturen. Infolge technischer

und organisatorischer Anforderungen, die zu überwinden waren, dauerte die Integration über zwei Jahre. Mit der Integration jedoch konnten deutliche Verbesserungen und Kosteneinsparungen erzielt werden.

Die Integration der ehemals horizontal nicht-integrier-ten Dienstleistungen zum Angebot Supply the Sky mach-ten es für Kühne + Nagel erforderlich, eine übergreifende Management- sowie Technologiestruktur einzuführen. Kühne + Nagel konnte hierbei auf seine Erfahrung im Be-reich Lead Logistics Service (LLS) zurückgreifen. Im Rah-men von LLS liegt Kühne + Nagels Schwerpunkt nicht auf der Ausführung operativer Prozesse, sondern vielmehr in dem effi zienten Management logistischer Prozesse. Diese Managementerfahrung erlaubte es Kühne + Nagel, die betroffenen Dienstleistungen in ein Gesamtangebot unter einheitlichem Management auf einer Technologieplatt-form zu integrieren.

ILS-Dienstleistungen können auf Basis von LLS-Mana-gement und -Technologie so verknüpft werden, dass sie entlang des Lebenzyklus, angepasst auf die jeweiligen Produktanforderungen, implementiert werden. Zusätz-lich können externe Dienstleister für Dienstleistungen, die momentan nicht von Kühne + Nagel erbracht werden, durch die LLS-Struktur gemanagt werden.

Während das Serviceangebot Supply the Sky noch nicht den gesamten Lebenszyklus abdeckt, bietet es je-doch schon eine Vielzahl integrierter Dienstleistungen

Abb. 5: Das Supply the Sky-Konzept

Flugzeug-ProduktionslogistikProduktionslogistik für Hersteller und Lieferanten

VorfallmanagementKoordination und Management aller ungeplanten Geschehnisse

LieferantenmanagementPlanung und Controlling der Zulieferer von Innenausstattung

Infl ight-ServiceOnboard-Inventory-Servicesfür Catering-Gesellschaften

ErsatzteilmanagementErsatzteillogistik für Fluggesellschaften und Dienstleister Lieferant

Hersteller

Airlines

Flu

ghaf

en-D

ienst

leis

tung

en

Instandhaltung

Flugz.-Produktionslogistik Vorfallm

anagement Lieferantenmanagement

Inflig

ht-S

ervi

ces

Er

satzt

eilmanagement

Netzwerk

IT

Kn

ow-H

ow

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64 Integrated Logistics Service Support – Logistikdienstleister als Netzwerkintegratoren

an, die einen Großteil des Lebenszyklus eines Flugzeuges abdecken. Lücken, wie z. B. die Verwertung und Entsor-gung von Flugzeugen am Ende des Lebenszyklus, werden zurzeit von Kühne + Nagel hinsichtlich ihres zusätzlichen Nutzens für Kunden untersucht. Für den Fall, dass dies zusätzliche Vorteile für Kunden bringt, hat das Manage-ment von Kühne + Nagel seine Bereitschaft angekündigt, diese Servicekomponenten in das bestehende Angebot zu integrieren.

Die Implementierung von ILS-Dienstleistungen wie Kühne + Nagels Service Supply the Sky erfordert nicht nur die Integration zuvor getrennter Dienstleistungen, sondern auch das Überdenken der Verkaufsstrategien sowie die Berücksichtigung des kundenseitigen Einkaufsverhaltens. Die Vorteile des ILS-Konzeptes erschließen sich vor allem für Kunden, die erkannt haben, dass ihr Anlagevermögen, in diesem Fall Flugzeuge, verschiedenste logistische Dienstleistungen benötigt. Aufgrund der traditionellen

Orga nisationsstruktur der meisten Kunden sowie einer fehlenden einheitlichen Betrachtung der Logistik benötigen Kunden Zeit, um das ILS-Konzept komplett zu erfassen.

Mit der Einführung des ILS-Modells konnten Redukti-onen der logistischen Lebenszykluskosten von 15 bis 45 Prozent erreicht werden. Diese Vorteile entstehen aus der Verbindung von Dienstleistungsumfängen am Anfang des Lebenszyklus mit denen in einer späteren Phase des Produktlebenszyklus. So können Know-how und Fähigkei-ten, die im Bereich Produktionslogistik gewonnen wurden, später im Bereich Ersatzteilmanagement eingesetzt wer-den. Dies betrifft Verfahrensanweisungen, Handlingpro-zesse, Lieferantenbeziehungen/-management, staatliche Zulassungen, IT-Systemkomponenten etc.

Der Erfolg des Services Supply the Sky hat dazu ge-führt, dass das Management von Kühne + Nagel prüft, inwieweit sich mit einer Übertragung in andere Industrien ähnliche positive Effekte erzielen lassen könnten. Die

Abb. 6: Das Supply the Motion-Konzept

Monitorin

g Reporting

Solutions Engineering

Produktentwicklung

Operations

Kont

inui

erlic

he V

erbe

sser

ung

Lieferantenzentrum

Local ContentManagement

DekonsolidierungSequenzierung

Kanban Produktions-strategie

JIT/JIS

CKD / part by part

Montage

Containerisierung

Inbound-Logistik

Produktions- logistik

Outbound-Logistik

After-Sales-Logistik

Reverse Logistik Distribution

Konsolidierung

Pick up

Verpackungs-entwicklungErsatzteile

Kommis-sionierung

Demontage

Umweltfreundliche Entsorgung

Multiple Packing

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65Dirk Reich / J. Rod Franklin

bisherige Evaluierung ergab, dass eine Anwendung des ILS-Modells in anderen Industrien dort sinnvoll sein kann, wo komplexe Produkte gehandhabt werden, die mit einem hohen Investment verbunden sind und die einen längeren Lebenszyklus aufweisen, in dem Wartungsarbeiten erfor-derlich sind.

Zukünftige ILS-Services – Supply the Motion und Supply the …

Basierend auf einer Analyse des eigenen Dienstleistungs-spektrums sowie der Industriesegmente hat sich Kühne + Nagel entschlossen, das ILS-Modell im Automotive-Sektor einzuführen (Abbildung 6). Kühne + Nagel hat nun im Sinne des ILS-Modells mit der Integration der diversen getrenn-ten Teildienstleistungen begonnen. Nach aktuellem Pla-nungsstand wird die mittlerweile begonnene Integration einige Zeit in Anspruch nehmen.

Supply-the-Motion-Dienstleistungen sollen Kühne + Nagels Kunden ähnliche Vorteile bringen wie das Modell Supply the Sky. Mit der Integration der Dienstleistungen entlang des Lebenszyklus wird eine Kostenreduzierung, verbesserte Servicequalität und eine Nutzungsverbesse-rung für Kühne + Nagels Automotive-Kunden angestrebt.

Als weiteres interessantes Industriesegment kommt der industrielle Bereich infrage. Hier könnten ähnliche Effekte zum Vorteil der Kunden erzielt werden.

Zusammenfassung

Kunden wie auch Logistikdienstleister folgen einer bisher traditionell horizontal nicht integrierten und funktional ausgerichteten Vorgehensweise im Bereich logistischer Dienstleistungen. Der zunehmende internationale Wett-bewerb und die zunehmende Komplexität der Produkte machen es erforderlich, sich mit dem funktional orien-tierten Ansatz auseinanderzusetzen, um Kosteneinspa-rungen sowie eine verbesserte Produktverfügbarkeit und -leistung (Produktnutzen) zu erzielen. Als ein viel verspre-chender Ansatz in Bezug auf komplexe Produkte mit lan-gem Lebenszyklus kann das Modell Integrated Logistics Support gesehen werden. Dieses Vorgehen, das aus dem Luft- und Raumfahrt- sowie Militärbereich kommt, ist primär auf das Produkt ausgerichtet und nicht auf sepa-rate Dienstleistungsumfänge, wie dies in traditionellen Anwendungsgebieten der Logistik der Fall ist. Mit derAusrichtung auf die logistischen Anforderungen des Pro-duktes entlang seines Lebenszyklus können durch die Integration der verschiedenen Dienstleistungsumfänge

der Produktnutzen maximiert und die Logistikkosten reduziert werden.

Das ILS-Service-Modell ist von Kühne + Nagel er-folgreich im Luftfahrtbereich eingeführt worden. Dieses Serviceangebot, Supply the Sky genannt, hat zu einer ver-besserten Verfügbarkeit sowie geringeren Logistikkosten beigetragen. Aufbauend auf diesem Erfolg hat Kühne + Nagel begonnen, das ILS-Konzept im Automotive-Bereich als Supply-the-Motion-Service einzuführen. Weitere Industriesegmente, in denen die Einführung des lebens-zyklusorientierten Modells Vorteile bringen könnte, werden hinsichtlich ihrer Tauglichkeit momentan geprüft.

In diesem Beitrag wurde versucht, den Hintergrund des ILS-Konzeptes, sein Anwendungsgebiet sowie seine Vor-teile darzustellen, die im Bereich Logistik erzielt werden können. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass die vor-gestellten Ideen Diskussionen anregen und so zu einem breiteren Verständnis sowie kommerziellen Anwendungen des vorgestellten Konzeptes führen.

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Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland

Wolf-Christian Hildebrand

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bereich Logistik der Technischen Universität Berlin

Angela Roth

Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre,

insbesondere Logistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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Wolf-Christian HildebrandJahrgang 1975Hildebrand ist seit 2004 wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Bereich Logistik der TU Berlin bei Prof. Dr.-Ing.Helmut Baumgarten. Von 2005 bis2007 leitete er ein Teilprojekt im vom BMBF-/BMWi-gefördertenForschungsprojekt „Dienstleistungs-verkehr in industriellen Wertschöpf-ungsprozessen“. Er hat Forschungs-

und Lehrschwerpunkte auf dem Gebiet der Verkehrslogistik und Hafenhinterlandverkehre. Hildebrand arbeitet für dieGemeinsame Kommission für das Studium im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin und dort insbe-sondere für die Überführung des Diplomstudiengangs in das Bachelor-/Mastersystem. Er studierte Wirtschaftsingenieur-wesen an der TU Darmstadt, National University of Singapore und der University of Transport and Communications in Hanoi, Vietnam.

Dr. Angela RothJahrgang 1975Roth ist seit 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Lehrstuhl für Betriebswirtschafts-lehre, insbesondere Logistik von Prof. Peter Klaus an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürn-berg. Von 1999 bis 2000 war sie am Fraunhofer ATL (Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleis-

tungswirtschaft) intensiv mit Forschungs- und Projektarbeiten im Bereich Entscheidungsunterstützungssoftware zur Gestaltung und Optimierung logistischer Netze beschäftigt. Von 2001 bis 2003 übernahm Roth die Leitung der Abteilung Entscheidungsunter-stützungssysteme. 2001 erfolgte der Abschluss der Promotion zum Thema „Dynamische Modellierung von Lagern in logistischen Netzen“. Von 1994–1998 studierte Roth Betriebswirtschaftslehre in Nürnberg mit Schwerpunkt Logistik, Industriebetriebslehre und internationales Management.

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Tätigkeitsfelder in der Logistik

Die Logistik hat in den letzten Jahrzehnten ein kontinuier-liches Wachstum erfahren und sich von Funktionen wie Beschaffung und Distribution zu einem ganzheitlichen, prozess- und kundenorientierten Managementkonzept entwickelt. Die zunehmend übergreifende und strate-gische Bedeutung der Logistik spiegelt sich auch in der wachsenden Verankerung von Logistikpositionen in den mittleren und oberen Hierarchieebenen wider (Baumgar-ten und Thoms 2002). Für die immer komplexer werden-den, funktions- und bereichsübergreifenden Prozesse im Industrie-, Handel- und Dienstleistungssektor werden hochqualifi zierte Mitarbeiter mit verschiedensten Kompe-tenzprofi len benötigt.

Die Tätigkeitsfelder in der Logistik können dabei in unter-schiedliche Hierarchiestufen und damit jeweils verbundene Ausbildungsarten untergliedert werden (Abbildung 1).

Kennzeichnend für die Tätigkeitsfelder in der Logistik sind dabei zum einen die Breite unterschiedlicher Auf-gaben und zum anderen die relativ große Streuung der Kompetenzanforderungen und Bezugspunkte der tägli-chen Arbeit für Logistikmitarbeiter in den verschiedenen Hierarchiestufen.

Im Bereich der berufl ichen Ausbildung wird die Breite der Tätigkeitsfelder beispielsweise daran deutlich, dass rund 20 verschiedene Lehrberufe existieren, die vom Binnenschiffer oder Berufskraftfahrer über den Fachla-geristen bis hin zum Kaufmann für Spedition und Logistik-

dienstleistung reichen. Bereits innerhalb der berufl ichen Ausbildung differieren die praktischen Anforderungen an den gewerblich-technischen bzw. kaufmännischen Mitar-beiter in der Logistik. Während ein Lagerist insbesondere fundierte Kenntnisse hinsichtlich der Einzelaktivitäten im Lager sowie gegebenenfalls einiger technischer As-pekte vorweisen muss, werden von einem Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistung neben betriebswirt-schaftlichen Kenntnissen vor allem der Überblick über die Zusammenhänge des Transportierens, Umschlagens und Lagerns (TUL) im Unternehmen, organisatorische Fähig-keiten, unternehmerisches Denken und ein guter Umgang mit Kunden sowie Sprachkenntnisse erwartet. Die Be-zugspunkte liegen für Absolventen der berufl ichen Bildung vor allem in Einzelaktivitäten von TUL-Prozessen und in Schnittstellen zu Kunden und Subunternehmern.

Die Tätigkeitsfelder von Mitarbeitern der unteren Ma-nagementebene in der Logistik, beispielsweise der Lager- oder Fuhrparkleiter, umfassen bereits den Gesamtprozess im jeweiligen Bereich einschließlich aller Schnittstellen zu vor- und nachgelagerten Bereichen. Neben fachlichem Verständnis der Kernaktivitäten und -prozesse sind auf dieser Ebene Führungskompetenzen ebenso notwendig wie die Fähigkeit zum Erkennen von Zusammenhängen und Wechselwirkungen und zum direkten Ausschöpfen von Optimierungspotenzialen bei der Durchführung einzel-ner Aktivitäten. Beispielsweise fällt die Optimierung und

Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth

Abb. 1: Überblick über Hierarchiestufen logistischer Tätigkeitsfelder

Duale Ausbildung/Lehre Gewerblich-technische Operative• Kaufmännische Operative•

Berufserfahrung BerufsakademienFachhochschulen

WeiterbildungUniversitäten

Operative Leitung• Mittleres Management•

Höheres Management• Akademisch-wissenschaftliche Ebene•

HierarchiestufenSchulabschluss

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72 Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland

Planung von Touren und Lkw-Flotten in diesen Aufgaben-bereich.

Logistiker des mittleren Managements (z. B. Speditions- oder Logistikleiter) müssen zusätzlich die Fähigkeit zur Ge-staltung, Planung und Steuerung logistischer Systeme und Netze aufweisen. Grundlage hierfür ist ein umfassendes Verständnis aller logistischen Prozesse und Netze im Un-ternehmensumfeld. Hinzu kommen verstärkt methodisch-technische Anforderungen, wie das Grundverständnis für Vertragsanbahnung und -gestaltung, beispielsweise im Rahmen von Ausschreibungen oder Kontraktlogistik-Vereinbarungen, und Verhandlungsgeschick.

Der Bezugspunkt für Führungskräfte in höheren Managementebenen ist die gesamte Supply Chain des Unternehmens und angrenzender Akteure. Ganzheitliches, integratives Denken ist ebenso notwendig wie die Fähigkeit, logistische Systeme zu analysieren, zu diagnostizieren und gegebenenfalls neu zu gestalten. Konzeptionelle Kompeten-zen zur Entwicklung umfassender Logistikstrategien werden erwartet. Hierzu gehört auch der Zugang zu logistischen Entscheidungsunterstützungssystemen sowie zum Logistik-controlling. So stellen die Planung von Logistikkonzeptionen für Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen oder der Aufbau und die Steuerung von unternehmensüber-greifenden Prozessen und Güterfl üssen typische Aufgaben dar. Auch die Vorbereitung von Outsourcing-Entscheidungen im Sinne von Make-or-Buy gehört zu diesem Bereich.

Auf der wissenschaftlichen Ebene ist der Bezugspunkt die Logistikwirtschaft als Ganzes sowie die Gesamtheit verschiedenster Supply Chains. Die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Logistik wird an den Universitätenoder an den Forschungszentren, beispielsweise den Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft, durchgeführt. Auch in der Logistikberatung wird ein nennenswert großer Teil des aka-demisch ausgebildeten Logistiknachwuchses eingesetzt. Kreativität, Innovationsfähigkeit und Beurteilungsvermö-gen für zukünftige Entwicklungen sind als zusätzliche Kom-petenzen auf der wissenschaftlichen Ebene not wendig.

Trotz der großen Streuung der Aufgabenfelder und Kompetenzen ist auch für die oberste Hierarchieebene die Kenntnis der logistischen Grundprozesse und damit der Essenz der Logistik unabdingbar.

Abbildung 2 gibt einen Überblick über Bezugspunkte und Kompetenzanforderungen auf den verschiedenen Hierarchieebenen.

Erwähnt werden soll an dieser Stelle, dass es im Feld der Logistik eine Reihe weiterer Berufe gibt, die für das Funktionieren logistischer Prozessabläufe unabdingbar sind, beispielsweise die IT-technische Unterstützung, rein wirtschaftswissenschaftlich oder technologisch ausgebildete Fachkräfte und Mitarbeiter in der Verwaltung.

Die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder lassen die Viel-falt von Disziplinen vermuten, in denen Logistiker ausge-

Abb. 2: Überblick über Bezugspunkte und exemplarische Kompetenzen verschiedener Hierarchieebenen

Gewerblich- technische Operative

Kaufmännische Operative

Operative Leitung

Mittleres Management

Höheres Management

Akademisch-wissen-schaftliche Ebene

TUL-Aktivitäten

TUL-Prozesse, Schnittstelle zu Kunden und Dienstleistern

Gesamtprozess im jeweiligen Bereich, Schnitt-stelle zu vor- und nachgelagerten Bereichen

Gesamter Logistikprozess im Unternehmen sowie angrenzende Bereiche im Netz von Kunden und Zulieferern

Gesamte Supply Chain des Unternehmens und ggf. angrenzender Unternehmen

Logistikwirtschaft als Ganzes, verschiedenste Supply Chains als Ganzes

Kenntnis der Einzelaktivitäten im Lager- und Transportwesen und allgemeiner Abläufe

Kenntnis der Zusammenhänge der TUL-Aktivitäten im Unternehmen, organisatorische Fähigkeiten, unternehmerisches Denken, Umgang mit Kunden und Sprachkenntnisse

Umsetzen von direkten Optimierungspotenzialen bei der Durchführung einzelner Aktivitäten, Führungskompetenzen, Zusammenhänge und Wechselwirkungen erkennen

Schnittstellenmanagement, umfassendes Verständnis logistischer Prozesse und Netze, Fähigkeit zum Aufbau und Betreiben neuer logistischer Systeme oder Netze

Ganzheitliches und integratives Denkvermögen, diagnostisches und strukturierendes Denken, konzeptionelle Fähigkeiten, generalistische Fähigkeiten

Kreativität, Innovationsfähigkeit, Beurteilungsvermögen für künftige Entwicklungen

Hierarchieebene Bezugspunkt fachliche und methodische Anforderungen (exemplarisch)

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73Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth

bildet werden. Eine einheitliche Disziplin „Logistik“ gibt es daher nicht, vielmehr gibt es auch hier eine Streuung über verschiedenste Fachbereiche. Als in den 70er Jah-ren die Logistik angefangen hat, sich in der Wissenschaft zu etablieren, haben nur sehr wenige Fachgebiete an den Universitäten logistische Lehrveranstaltungen angeboten. Nach einer langsamen, aber kontinuierlichen Steigerung der Anzahl logistikrelevanter Lehrgebiete erfolgte erst in den 90er Jahren ein signifi kanter Anstieg der Logistik-fachgebiete an den Hochschulen.

Ausbildung in der Logistik

In der Logistik sind nicht nur Akademiker mit logistischem Ausbildungshintergrund zu fi nden, sondern auch Be-triebswirte, Ingenieure, Mathematiker u. a., die sich bei Übernahme entsprechender Logistikpositionen das not-wendige Wissen aneignen, etwa auch über den Weg der Weiterbildung, der im vorliegenden Beitrag jedoch nicht näher betrachtet wird. Grundsätzlich sind alle Hierarchie-ebenen auf verschiedenen, d. h. auch nicht-akademischen Wegen erreichbar. Gerade im Bereich der Logistik wach-sen auch Mitarbeiter mit berufl icher Ausbildung häufi g in Managementpositionen hinein.Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über ver-schiedene Ausbildungsmöglichkeiten in der Logistik. Auch wenn die berufl iche Ausbildung im gewerblich-techni-schen und kaufmännischen Bereich ganz wesentlich für

die essenzielle Durchführung der Logistik ist, liegt der Fo-kus hier auf der akademischen Ausbildung.

Systematisierung von StudieninhaltenEs wurde gezeigt, dass die Tätigkeitsfelder in der Logistik sehr weit reichend sind. Aufgrund der verschiedenen Tä-tigkeiten besteht die Notwendigkeit, in der akademischen Logistikausbildung unterschiedliche Profi le auszubilden und Akzente zu setzen. Ein erster Blick in die Hochschulland-schaft zeigt, dass sich diese Vielfalt bereits in der institu-tionellen Zuordnung der jeweiligen Einrichtungen zu Fakul-täten bzw. Fachbereichen ausdrückt. Im Wesentlichen sind die Lehrstühle/Bereiche entweder der Betriebswirtschaft oder den Ingenieurwissenschaften zugeordnet. Zudem gibt es eine weitere Einteilung in Richtung Operations Research, Informatik und Verkehrswesen. Je nach Zuteilung werden bereits abweichende Schwerpunkte gesetzt bzw. ein vari-ierendes Zielgerüst und Hintergrundwissen vermittelt.

Die Schwerpunktsetzung der Logistikausbildung in-nerhalb der Fakultäten bzw. Fachbereiche reicht von ma-nagementorientierten Inhalten über technologiebezogene Themen bis hin zur Vermittlung der ganzheitlichen Logis-tikphilosophie. Das methodenorientierte Ausbildungspro-fi l, unter dem auch Modellierungsverfahren und Metho-den des Operations Research verstanden werden, wird von den Ausbildungsinstitutionen mit logistischem Fokus ebenfalls gelehrt. Je nach Ausrichtung der Profi le werden entsprechende Schwerpunkte gesetzt, was jedoch auch

Abb. 3: Exemplarische Studieninhalte in der Logistikausbildung

Ganzheitlich orientiertes AusbildungsprofilLogistik-Management und Logistik-Technologien• Produktions-, Verkehrs- und Handelslogistik• Entsorgungslogistik• Internationale Logistiksysteme und Supply Chain • ManagementMethodengestützte Logistikplanung•

Methodenorientiertes AusbildungsprofilQuantitative Methoden/Entscheidungsunterstützungssysteme• Methoden des taktischen und operativen • Supply Chain Managements Aktuelle Themen der Logistik und des Operations Research• Softwarepraktikum und SAP Advanced Planning & Optimization • Modellierungstools und -sprachen zur Implementierung • von OR-Modellen und Softwarepraktikum

Managementorientiertes Ausbildungsprofil Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Logistik• Funktionelle, instrumentelle und institutionelle Dimension • des LogistikmanagementsInstitutionelle Aspekte von Logistiksystemen• Gesamtwirtschaftliche und internationale Aspekte von • LogistiksystemenFallstudie Logistik•

Technologieorientiertes AusbildungsprofilLogistik-Technologien• Materialflussplanung• Produktionsplanung & -steuerung• ERP-Systeme & Logistik• Steuerung von Logistikketten• Informations- und Kommunikationstechnologien• Lager- und Transportsysteme•

Studieninhalte für exemplarische Ausbildungsprofile in der Logistik

Page 63: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

74 Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland

bedeutet, dass die Profi le untereinander nicht überschnei-dungsfrei sind. Exemplarisch könnten Studieninhalte der verschiedenen Profi le wie in Abbildung 3 aussehen.

Neben den übergeordneten Ausbildungsprofi len lassen sich Themenschwerpunkte noch feiner im Rahmen von Funktionsbereichen unterteilen. So zeigt sich beispiels-weise, dass produktionslogistische und verkehrslogisti-sche Kenntnisse in einem großen Teil der Logistikaufgaben notwendig sind und als Fachdisziplinen von den Lehrgebie-ten angeboten werden. In der Produktionslogistik werden beispielsweise die optimale Gestaltung und Steuerung von Produktionsprozessen, das Versorgungsmanagement und die Planung der Materialfl üsse für Industrieunter-nehmen oder Produktionsverbünde in global agierenden Netzwerken behandelt. Das Planen, Steuern und Durch-

führen der Gütertransporte durch optimale Verknüpfung der Verkehrssysteme und -knotenpunkte ist Aufgabe der Verkehrslogistik. Für beide Fachdisziplinen sind die Lehrin-halte exemplarisch in Abbildung 4 dargestellt.

Universitäten, Fachhochschulen und BerufsakademienDie skizzierten, sehr heterogenen Tätigkeitsfelder der logis-tischen Praxis erheben hohe Anforderungen an den Logis-tikbildungsmarkt und die dort vermittelten Kompetenzpro-fi le. Vor allem vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfs an Führungskräften in der Logistik liegt hier der Fokus auf der akademischen Ausbildung an Universitäten als wissen-schaftliche Hochschulen, an Fachhoch schulen mit ihren anwendungsorientierten Studiengängen sowie an Berufs-akademien mit ihrem dualen Ausbildungssystem.

Abb. 4: Exemplarische Lehrinhalte der Logistik-Fachdisziplin Produktionslogistik und Verkehrslogistik

Verkehrs-logistik

Verkehrsmittel und -träger (Straße/Schiene/Wasser/Luft)• Behälter-, Lade- und Umschlagkonzepte (Paletten- und•

Containerkreisläufe)Kombinierter Verkehr• Bedarfsorientierte Transportkonzepte• Öffentlicher Personennahverkehr•

Urban Transport• I&K-Systeme im Verkehr• Baustellenlogistik• Flughafenlogistik• Hafenlogistik•

Produktions-logistik

Grundlagen der Produktionslogistik• Gestaltung von Produktionsprozessen• Gestaltung des Materialflusses• Produktionsplanung und -steuerung sowie ERP-Systeme• Leistungsmessung: Kennzahlen und Kennzahlensysteme•

Integration des Vertriebs in die Produktion und Logistik• Integration von Produktion und Logistik in die Entwicklung• Versorgungsmanagement für Industrieunternehmen• Planung und Steuerung von Produktionsverbünden• Leistungsmessung in Produktionsverbünden• Ansätze zur Verbesserung der Produktionslogistik•

Abb. 5: Logistikangebot an deutschen Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien

Universitäten Fachhochschulen Berufsakademien

54,7 %

Hochschulen mit Logistikangebot Hochschulen ohne Logistikangebot

45,3 %

52,4 %

47,6 %

46,4 %

53,6 %

46,4 %

53,6 %

Page 64: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

75Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth

Um analysieren zu können, inwieweit der Logistikbil-dungsmarkt die Anforderungen der Praxis derzeit erfüllt, wurde im Zeitraum Dezember 2007 bis Februar 2008 eine empirische Untersuchung durchgeführt, die diesem Bei-trag zugrunde liegt (Baumgarten und Hildebrand 2008). Diese bildet die Breite des Logistikangebots mit unter-schiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung ab und lie-fert Aussagen zu aktuellen Absolventenzahlen und damit potenziellen Führungskräften in der Logistik.

Im Rahmen der Untersuchung wurden 268 deutsche Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien in Deutschland befragt. Die Rücklaufquote beträgt rund 49 Prozent. Besonders hervorzuheben ist, dass darin rund 85 Prozent aller Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien mit Logistikangebot enthalten sind, wie ein Abgleich mit der im Sommer 2007 durch „Logistik Inside“ durchgeführten Hochschulzusammen-stellung für logistische Studienmöglichkeiten ergeben hat (Logistik Inside 2007). Für die Ermittlung der Kennzahlen des gesamten Logistikbildungsmarkts in Deutschland ist eine prozentuale Hochrechnung erfolgt, die das Ver-hältnis zwischen Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien berücksichtigt. Damit ergibt sich für Deutschland, dass zu Beginn des Jahres 2008 an 127 Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien Logistik in der akademischen Ausbildung verankert ist (Abbildung 5).

Die 127 Hochschulen mit Logistikangebot verteilen sich auf43 Universitäten, 69 Fachhochschulen und 15 Berufsakademien.

LogistikfachgebieteAn den Universitäten, Fachhochschulen und Berufsaka-demien in Deutschland konnten durch die Untersuchung mehr als 210 Fachgebiete identifi ziert werden, die logis-tische Themen in Lehre und Forschung aufgreifen. Die unterschiedlichen Profi le und Themenschwerpunkte in der Logistik, wie eingangs gezeigt, spiegeln sich in den Bezeichnungen der logistikrelevanten Fachgebiete wider, beispielsweise „Bereich Logistik“ (TU Berlin), „Lehrstuhl für Unternehmensführung und Logistik“ (TU Darmstadt), „Institut für Materialfl uss und Logistik“ (Fraunhofer IML Dortmund), „Institut für Verkehrsplanung und Logistik“ (Technische Universität Hamburg-Harburg) oder „Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme“ (Universität Karls-ruhe). Durchschnittlich lehren und forschen zwei Logistik-professoren je Fachgebiet, einschließlich Juniorprofesso-ren und Honorarprofessoren.

Das Angebot in den Lehr- und Forschungsgebieten der Logistik formt das Profi l der Studierenden. So unterschied-lich die eingangs geschilderten Tätigkeitsfelder in der Logistik sind, so verschieden stellen sich die Ausbildungs-schwerpunkte in den Bildungseinrichtungen dar. Die Aus-richtung der Fachgebiete kann sowohl im Hinblick auf die Ausbildungsschwerpunkte als auch in Bezug auf das Ange-bot in logistischen Fachdisziplinen erfolgen (Abbildung 6).

Die strategische Funktion der Logistik im Unterneh-men wird durch die überwiegende Schwerpunktsetzung auf managementorientiertes Logistikwissen deutlich. Die methodenorientierte Schwerpunktsetzung sowie die

Abb. 6: Ausrichtungen der Logistikfachgebiete

[Mehrfachnennungen möglich]

Schwerpunkte Fachdisziplinen

20 %

40 %

60 %

80 %

100 %

management-orientiert

Produktionslogistik

Beschaffungslogistik

Dienstleistungslogistik

Verkehrslogistik

Handelslogistik

Weitere

87 %

61 %

78 %74 %

technologie- orientiert

methoden-orientiert

ganzheitlich orientiert

78 %

38 %

30 %

71 %

46 %

43 %

Page 65: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

76 Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland

ganzheitliche funktions- und bereichsübergreifende Sicht-weise auf komplexe Wertschöpfungsprozesse sind von den Ausbildungsinstitutionen erkannt und stellen eben-falls einen Schwerpunkt der Logistikausbildung dar. Die geringere Schwerpunktsetzung auf Logistiktechnologien deckt sich mit Ergebnissen aus früheren Untersuchungen, in denen festgestellt wurde, dass Kenntnisse im Logistik-management als wichtiger eingeschätzt werden als die der Logistiktechnologien (Baumgarten und Thoms 2002).

Eine Hauptfunktion der Logistik liegt in der betrieb-lichen Leistungserstellung. Die Produktionslogistik ist daher eine wesentliche Ausrichtung für sehr viele Fach-gebiete. Des Weiteren hat die Untersuchung ergeben, dass die Beschaffungslogistik, durch die die mengen-, zeit- und qualitätsgerechte Materialversorgung zur Leis-tungserstellung erfolgt, ebenfalls von vielen Fachgebieten angeboten wird. Obwohl die Verkehrslogistik Grundlage für einen effektiven und effi zienten Güterverkehr und Wa-renaustausch bietet, ist diese Fachdisziplin im Vergleich nur in wenigen Fachgebieten verankert.

Logistik in den StudiengängenDas logistische Lehrangebot steht vor allem den Studien-gängen Wirtschaftsingenieurwesen, Betriebswirtschafts-lehre, Verkehrswesen, Wirtschaftsinformatik und Maschi-nenbau offen. In den Studiengängen Produktionstechnik, Informatik und Internationales Management u. a. können die Studierenden logistische Inhalte ebenfalls hören. Das durchschnittliche Logistikwissen und die erworbenen Lo-gistikkompetenzen sind nicht nur abhängig vom zeitlichen

Ausbildungsumfang in Bezug auf Semesterwochenstun-den (SWS), sondern auch von der Intensität und Tiefe der Logistiklehre sowie den vermittelten Kompetenzen (Ab-bildung 7).

Für vielfältige Karrierechancen in der Logistik schafft das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens beste Vor-aussetzungen. Der durchschnittliche Umfang logistischer Lehrinhalte beträgt rund zwölf Semesterwochenstunden. Die interdisziplinäre und praxisorientierte Ausbildung von managementorientierten, technologischen und informa-torischen Wissensgebieten von Wirtschaftsingenieuren deckt sich mit den breiten Anforderungen in der Logistik (Baumgarten und Schmager 2007). Das Studium der Be-triebswirtschaftslehre ist ein weiterer klassischer Stu-diengang, in dem logistische Module bzw. Fächer belegt werden. Betriebswirte sind mit ihrer wirtschaftswissen-schaftlichen Ausbildung prädestiniert, beispielsweise nicht nur unternehmensbezogene Kosten- und Nutzen-betrachtungen durchzuführen, sondern auch komplexe Investitionsentscheidungen in der Logistik vorzubereiten.

Die Zunahme der Logistikstudiengänge hat erst ab den 1990er Jahren eingesetzt. Gab es vor 1990 noch ver-gleichsweise wenige Logistikstudiengänge, so ist deren Anzahl bis heute auf über 30 angewachsen. Rund die Hälfte dieser Studiengänge wird von Fachhochschulen angeboten (Abbildung 8).

Rund 20 Prozent der identifi zierten Logistikstudiengän-ge werden heute noch als Diplom-, 80 Prozent schon als Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten. Der aka-demische Grad der Logistikstudiengänge ist an die Aus-

Abb. 7: Durchschnittlicher Logistik-Ausbildungsumfang in den Studiengängen

[SWS = Semesterwochenstunden; Zeitaufwand für eine wöchentliche Lehrveranstaltung in 45-Minuten-Einheiten für die Dauer eines Semesters]

12 SWS

10 SWS

8 SWS

6 SWS

4 SWS

2 SWS

0 SWSWirtschaftsingenieurwesen Betriebswirtschaftslehre Verkehrswesen Wirtschaftsinformatik Maschinenbau

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77Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth

richtung der Studienprogramme (z. B. Diplom-Ingenieur, Diplom-Wirtschaftsingenieur oder Diplom-Kaufmann) angelehnt. Einen expliziten Logistikbezug im Namen hat nur der akademische Grad Diplom-Logistiker, wie er an der Universität Dortmund verliehen wird.

Die Universitäten vergeben in ihren Bachelor- und Masterstudiengängen ausschließlich den akademischen Grad „Bachelor of Science“ (B. Sc.) und „Master of Sci-ence“ (M. Sc.), um die wissenschaftliche Ausrichtung der Programme zu unterstreichen. Die Fachhochschulen verleihen vor allem den akademischen Grad „Bachelor of Engineering“ (B. Eng.) und „Master of Engineering“ (M. Eng.). Der akademische Grad „Bachelor of Arts“ (B. A.) wird primär für Absolventen der Logistikstudiengänge von Berufsakademien vergeben.

Qualitätssicherung in der logistischen AusbildungIm Zuge der Einführung von Bachelor und Master sind die Hochschulen nicht nur zur Angleichung der Studiengangs-strukturen aufgefordert, sondern auch zur Qualitätssiche-rung der Studiengänge angehalten. Zentrales Element der Qualitätssicherung ist die Akkreditierung zur Überprüfung der strukturellen und inhaltlichen Gestaltung der Studien-gänge. Fast zwei Drittel aller Logistikstudiengänge sind schon akkreditiert, bei Weiterbildungsstudiengängen so-gar drei Viertel. Neben der Akkreditierung der Studien-gänge muss als zweites Element ein kontinuierlicher Qua-litätssicherungsprozess an den Hochschulen durchgeführt werden. Instrument des hochschulseitigen Qualitätssi-cherungsprozesses kann die Analyse und Bewertung von Studienprogrammen sein.

Studierende mit logistischem AusbildungshintergrundIm Jahr 2007 (Wintersemester 2006/07 und Sommerse-mester 2007) haben rund 11 600 Studierende mit logisti-schem Ausbildungshintergrund die Universitäten, Fach-hochschulen und Berufsakademien verlassen, von denen rund 1300 einen Abschluss in einem Logistikstudiengang vorweisen können. Die Gesamtanzahl von Logistikprüfun-gen, die maßgeblich die Berechnung der Studierendenan-zahl mit logistischem Ausbildungshintergrund beeinfl usst hat, wurde nicht nur durch Rückfragen mit den Verant-wortlichen verifi ziert, sondern durch einen Korrekturfaktor bereinigt, der sich auf die Fachgebietsanzahl je Hochschu-le bezieht. Die logistischen Kenntnisse über Ausbildungs-umfang und Kompetenzen sind dabei in Abhängigkeit der Studiengänge sehr unterschiedlich.

Rund 11 Prozent der gesamten Absolventen mit Lo-gistikkenntnissen haben Logistik als Studiengang abge-schlossen, weitere 30 Prozent mit dem Studienschwer-punkt Logistik. Diese Absolventen haben ihre Kenntnisse über logistische Strukturen und Prozesse durch Abschluss-arbeiten erweitert und vertieft und können damit als be-sonders qualifi ziert bezeichnet werden (Abbildung 9).

Die Bewährung in der Praxis hat gezeigt, dass unab-hängig von der Ausbildungsform – Studiengang oder Stu-dienschwerpunkt – diejenigen Absolventen besonders für Logistikberufe geeignet sind, die eine breite und tiefe Ausbildung mit logistischen, aber auch darüber hinausge-henden Inhalten durchlaufen haben.

In Deutschland waren 2006 rund 2,07 Mio. Beschäf-tigte direkt im Bereich Logistik tätig (Forschungsbericht LogBes 2006, Klaus und Kille 2006). Wird unterstellt, dass

Abb. 8: Zunahme der Anzahl an Logistikstudiengängen

30

davon 7 Universitäten 18 Fachhochschulen 6 Berufsakademien

25

20

15

10

5

0

35

10

333 31

Vor 1990 1995 2000 2007

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78 Führungskräfte für die Logistik – Akademische Ausbildung in Deutschland

Führungskräfte der unteren Managementebene rund acht Mitarbeiter leiten, während Führungskräfte der mittleren und höheren Managementebene durchschnittlich zehn Mit-arbeitern vorstehen (Klaus 1999), müssten 2006 im Feld der Logistik rund 287 000 Führungskräfte in den verschiedenen Managementebenen tätig gewesen sein. Wird weiter von der Annahme ausgegangen, dass Logistikführungskräfte rund 20 Jahre in ihrem Beruf verweilen, würde sich daraus ein jährlicher Gesamtbedarf von rund 14 000 Führungskräf-ten in der Logistik ergeben. Davon wird bereits heute ein großer Teil durch den Logistikbildungsmarkt bereitgestellt. Ein weiterer Teil dieses Personalbedarfs wird stets durch Mitarbeiter mit berufl icher Ausbildung gedeckt werden, die sich im Unternehmen entwickelt haben, sowie durch Akademiker anderer Fachrichtungen, die sich durch Berufs-erfahrung und Weiterbildungsmaßnahmen für Logistikposi-tionen qualifi ziert haben.

Resümee und Ausblick

Die steigende Bedeutung der Logistik spiegelt sich in der Zunahme von Logistikpositionen in allen Unternehmens-ebenen wider. Vor allem hat diese Entwicklung Auswirkun-

gen auf die Anforderungen an die akademische Logistik-ausbildung. Als Konsequenz erhöhen die Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien nicht nur die Kapazität der Logistikausbildung in Bezug auf Anzahl der Logistikfachgebiete und Logistikstudiengänge, sondern streben auch eine neue Qualität in der Logistik-ausbildung an.

Das kontinuierliche Wachstum der Logistik wirft die Frage auf, wie viele akademisch ausgebildete Studierende mit logistischem Hintergrund die Universitäten, Fachhoch-schulen und Berufsakademien verlassen. Durch die Unter-suchung konnte erstmals fundiertes Zahlenmaterial des Logistiknachwuchses gewonnen werden. Pro Jahr stehen dem Arbeitsmarkt heute rund 11 600 Akademiker von Uni-versitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien mit logistischem Ausbildungshintergrund zur Verfügung. Be-sonders umfangreiche Logistikkompetenzen haben davon rund 40 Prozent. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl an Quereinsteigern.

In naher Zukunft wird eine weitere kontinuierliche Zu-nahme von Absolventen mit logistischem Ausbildungshin-tergrund erwartet. Grund hierfür ist, dass die ersten Stu-dierenden der jüngst eingerichteten Logistikstudiengänge

Abb. 9: Absolventen mit logistischem Ausbildungshintergrund im Jahr 2007

Verteilung auf HochschultypAbsolventenzahl mit logistischem Ausbildungshintergrund

Universitäten Fachhochschulen Berufsakademien

Logistik als Studiengang 1 300

Logistik als Studienschwerpunkt 3 500

Logistik als Studienbestandteil 6 800

Gesamtzahl 11 600

16 %

59 %

35 %

77 %

32 %

59 %

7 %

9 %

6 %

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79Wolf-Christian Hildebrand / Angela Roth

und -fachgebiete ihr Studium beenden werden. Weitere, nicht logistisch ausgebildete Akademiker stehen auch in Zukunft als Quereinsteiger zur Verfügung und wachsen in Themenfelder der Logistik hinein.

Es hat sich gezeigt, dass das logistische Lehrangebot bis-her mit der Entwicklung und dem Bedeutungszuwachs der Logistik Schritt gehalten hat. Auch in Zukunft ist davon aus-zugehen, dass nicht nur die kontinuierliche Zunahme weiterer Logistikfachgebiete und Logistikstudiengänge zusätzliche Kapazität in der Ausbildung bereitstellt, sondern auch beste-hende Angebote eine Deckung der Nachfrage nach akade-misch ausgebildeten Logistikern übernehmen können. Eine breite Ausbildung des akademischen Logistiknachwuchses muss sichergestellt werden, die neben den Kerngebieten der Logistik auch wirtschaftswissenschaftliche, informations-technische und technologische Inhalte umfasst, um entspre-chend auf die disziplinübergreifenden Herausforderungen in der Logistik vorbereitet zu sein.

Literaturverzeichnis

Baumgarten, H.; Hildebrand, W.-C. (2008) Empirische Untersuchung zum Stand der Logistik-Ausbildungssituation in Deutschland, unver-öffentl. Arbeitspapier, BerlinBaumgarten, H.; Schmager, B. (2007) Wirtschaftsingenieurwesen in Ausbildung und Praxis, (Hrsg.) Verband Deutscher Wirtschaftsingenieure, 12. vollst. überarb. Aufl .Baumgarten, H.; Thoms, J. (2002) Trends und Strategien in der Logistik: Supply Chains im Wandel, Technische Universität Berlin, BerlinForschungsbericht LogBes (2006) Stand und Entwicklung der Logistik in Deutschland mit Schwerpunkt auf die Logistikbeschäftigung ausge-wählter Marktsegmente, Fraunhofer ATL, Nürnberg, BMVBS: Forschungs-bericht FE-Nr. 96.0837/2005; für den vorliegenden Beitrag wurden die Ergebnisse anhand der Beschäftigtenstatistik von 2006 nachvollzogenKlaus, P. (1999) Zur Quantifi zierung von Arbeitsplatzangeboten und Ausbildungsbedarfe Wirtschaftssektor „Logistik“, logistik management 1. Jg.; 1999, Ausg. 3Klaus, P.; Kille, C. (2006) Die Top 100 der Logistik. Marktgrößen, Marktseg-mente und Marktführer in der Logistikdienstleistungswirtschaft, 4., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl ., Deutscher Verkehrs-Verlag, HamburgLogistik-Inside (2007) Special: Logistikstudium, Hochschulen mit Logistikstudiengängen, in: Logistik Inside, Jg. 12, Nr. 9

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Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen

Christopher Jahns

Rektor der European Business School (EBS)

Professor und Inhaber des SVI-Stiftungslehrstuhls für Einkauf, Logistik und Supply Chain Management

Executive Director des Supply Management Institute (SMI)

Verwaltungsratsvorsitzender der SMG Supply Management Group in St. Gallen

Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL)

Inga-Lena Darkow

Research Director und Juniorprofessorin für Innovation & Logistics am Supply Management Institute (SMI)

an der European Business School (EBS)

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Prof. Dr. Christopher JahnsJahrgang 1969Jahns ist seit 2006 Rektor der European Business School (EBS) und verantwortet alle akademischen Belange in Forschung und Lehre. In diesem Sinne vertritt er die EBS nach außen und gestaltet die inter-nationalen Beziehungen zu führenden Business Schools in anderen Ländern aktiv mit. Gleichzeitig ist Jahns Inha-

ber des SVI-Stiftungslehrstuhls für Einkauf, Logistik und Supply Chain Management und Executive Director des Supply Ma-nagement Institute (SMI). Jahns habilitierte an der Technischen Universität München. Er war Dozent und Research Assistant im MBA-Programm International Management und Controlling der Technischen Universität München und promovierte zuvor an der Technischen Universität München. Jahns ist Verwaltungsrats-vorsitzender der SMG Supply Management Group in St. Gallen und Mitglied des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik (BVL).

Prof. Dr. Inga-Lena DarkowJahrgang 1971Darkow ist Research Director und Ju-niorprofessorin für Innovation & Lo-gistics am Supply Management Insti-tute (SMI) an der European Business School (EBS) in Wiesbaden. Zudem ist sie Academic Director MBA Pro-gramme und verantwortlich für den internationalen Vollzeit-Studiengang zum Master in Business Administra-

tion (MBA) der EBS, der im September 2008 starten wird, sowie für den Teilzeit MBA in Logistik und Supply Chain Management in Moskau in Kooperation mit der Lomonossow-Universität. Sie studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin sowie an der University of Manchester – Institute of Science and Technology (UMIST) – in Manchester, Großbritannien. Anschließend promovierte sie an der TU Berlin bei Prof. Dr.-Ing. H. Baumgarten über Logistik-Controlling in der Versorgung.

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Logistiker managen internationale Netzwerke und Wert-schöpfungsketten, gestalten und optimieren Supply-Chain-Management-Systeme und kümmern sich um die Logistik in Beschaffung, Produktion, Distribution und Entsorgung – samt zugehöriger Informationsfl üsse. Kurz: Die Logistik stellt mit zunehmender Globalisierung höhere Anforderungen an die Mitarbeiter in den Unternehmen. Zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen ist der dau-erhafte Einsatz der richtigen Logistik-Führungskräfte eine wesentliche Voraussetzung. Diese Führungskräfte sind verantwortlich für die Implementierung von Logistikstra-tegien – damit kommt ihnen für die strategische Ausrich-tung des Unternehmens eine bedeutende Rolle zu. Zudem sind für die Verwirklichung vieler logistischer Konzepte nicht nur das Aufsetzen eines entsprechenden Systems, die Defi nition von Prozessen und deren Schnittstellen so-wie die Vernetzung der IT-Systeme notwendig. Häufi g ist der Erfolg der Umsetzung von der Qualität der Leistung der Mitarbeiter abhängig. Wesentliches Element des Erfolges ist zudem der Umgang mit dem Dienstleistungscharakter der Logistik, der vor allem durch den „Faktor Mensch“ be-einfl usst wird.

Die zunehmende Bedeutung der Logistik in Bezug auf den Gesamtunternehmenserfolg steht jedoch in einem

Widerspruch zu einem bis heute noch nicht etablierten, speziell auf Logistiker abgestimmten Personalmanage-ment. In vielen Unternehmen ist die heutige organisa-torische Eingruppierung von Logistik-Führungskräften teilweise abhängig von der historischen Bedeutung der Logistik-Funktion. Der Querschnittscharakter und die häufi g von unternehmensübergreifenden Aktivitäten ab-hängigen Aufgaben der Logistik-Manager spiegeln sich nicht immer in der Positionierung in den Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung wider. Der folgende Beitrag soll zu Ursachen und möglichen Lö-sungsansätzen Stellung nehmen – und einen Blick in die Zukunft riskieren.

Bedeutung des Personalmanagements für die Logistik

Logistiker werden nur selten als Mitarbeitergruppe im Personalmanagement eines Unternehmens gesondert behandelt – weder in Industrie, Handel oder Dienst-leistung. Dies zeigt eine aktuelle Studie des Supply Management Institute (SMI) der European Business School EBS (Henkel 2008). Auf der anderen Seite stehen die zunehmende strategische Bedeutung der

Die besten Köpfe für die Logistik gewinnenChristopher Jahns / Inga-Lena Darkow

Abb. 1: Die drei Felder des Personalmanagements nach Daft (1988)

Personalmanagement für die Logistik

Personalgewinnung• Bedarfsplanung• Anforderungsanalyse• Rekrutierung• Auswahl

Personalentwicklung• Aus- und Weiterbildung• Personalbeurteilung• Vorschlagswesen• Karriereplanung

Personalerhaltung• Entlohnung• Sozialleistungen• Fortbildung• Informationswesen• Verwaltung

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Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen84

Logistik und das sich wandelnde und immer komplexer werdende Aufgabenspektrum der Logistiker, insbeson-dere der Führungskräfte in der Logistik. Damit wird dem Personalmanagement für Logistik-Manager eine größere Bedeutung verliehen.

Als erste große Herausforderung für das Personalma-nagement gestaltet sich insbesondere die Gewinnung von gut ausgebildeten und engagierten jungen Führungskräf-ten (vgl. Abb. 1). Diese High-Potentials müssen aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage sein, die komplexer werden-den Anforderungen an das Logistik-Management zu erfül-len (Claßen und Palder 2002; Wilson 2004; Meißner und Becker 2007; Wachta 2007).

Die Logistik-Branche boomt – und ist dennoch in ihrer Vergütung nicht attraktiv für Berufseinsteiger, wie auch im jüngsten Hochschulanzeiger der Frankfurter Allgemei-nen Zeitung zu lesen ist (Trechow 2008) und Gespräche mit Experten besagen. Die Wirtschaftswoche titelte jüngst „Die 40 Top-Berufe“ – Unternehmensberater und Einkäufer stehen hier weit oben, auch Speditionskaufl eu-te und Disponenten werden gesucht. Den Begriff „Logisti-ker“ sucht der Leser vergeblich (Wirtschaftswoche 2008). Damit wird deutlich, dass sich die Branche transparenter und attraktiver für potenzielle Berufseinsteiger aufstellen muss.

Wie Studien aus den USA und Deutschland zeigen (Nissen-Baudewig 1996; Jayanth et al. 1999; LeMay et al. 1999; Gowen und Tallon 2003), sehen Unternehmen ein institutionalisiertes Personalmanagement für Logistik-Manager als sehr bedeutend für den Erfolg des Unter-nehmens an. In der Praxis wird jedoch das Fehlen eines solchen Ansatzes beklagt (Jahns und Langenhan 2004; Mangan und Christopher 2005). Zu einem systematischen Personalmanagement gehören das Rekrutieren, Entwi-ckeln und Erhalten von Führungskräften. Doch schon beim Gewinnen von (zukünftigen) Führungskräften muss sich die Logistik verschiedenen Herausforderungen stellen: Bereits in der Diskussion um für junge Hochschulabsol-venten in Management und Technologie interessante und spannende Berufsfelder stehen häufi g eher Unterneh-mensberatungen oder Karrierestarts in der Forschungs- und Entwicklungs-, Marketing- oder Finanzabteilung im Vordergrund. Auch die Vergütung, die sich als Baustein durch alle drei Phasen zieht, reizt nicht zum Berufsstart in dem Bereich: Wenn überhaupt Zahlen für Logistik- und Supply-Chain-Management-Führungskräfte öffent-lich verfügbar sind, dann liegt das zu erwartende Ein-kommen häufi g unter dem anderer Funktionen oder auch Branchen (Henkel 2008).

Die Zukunft – „Der Kampf um die besten Köpfe“

In einer Studie wurde die Zukunft der Logistik im Jahr 2025 betrachtet. Mithilfe von Expertenbefragungen und der Delphi-Technik wurden Szenarien abgeleitet, wie sich die Zukunft des Logistik-Marktes entwickeln kann. Ein Hauptaugenmerk der Expertendiskussion lag auf der Ent-wicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im globalen Wettbewerb. Deshalb wurden die beiden Extremwerte – Arbeit als der Kostenfaktor Nr. 1 versus Rohstoffzugang als bedeutendster Kostenfaktor – für die Ableitung von Extremszenarien eingesetzt. Die Detailergebnisse kön-nen in der aktuellen Studie nachgelesen werden (von der Gracht et al. 2008) oder in der Dissertationsschrift von Heiko von der Gracht, die am Supply Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) entstanden ist (von der Gracht 2008).

Das erste Szenario ist dementsprechend auch mit der Überschrift „Standortfaktor Mensch“ betitelt. Das zwei-te dieses Problem ansprechende Szenario heißt „Fabrik-Cities“. Beide Szenarien werden aus der Sicht des Jahres 2025 beschrieben.

Standortfaktor Mensch für die Logistik im Jahr 2025

Humankapital ist der knappe „Rohstoff“ der heutigen Wis-sensgesellschaft (Stand 2025). Der Zugang zu Rohstoffen gegenüber dem Faktor Arbeit hat trotz der verschärften Energieproblematik stark an Bedeutung verloren. Der Zugang zu qualifi ziertem Personal ist der einzige nachhal-tige Wettbewerbsfaktor in einer immer mobileren Welt geworden. Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte hat je-doch insbesondere aufgrund der demografi schen Entwick-lung in Deutschland stark abgenommen. Seit 2005 sind der EU insgesamt 20 Mio. Menschen im erwerbsfähigen Alter verloren gegangen. Rückläufi ge Geburtenraten und das Ausscheiden der „Babyboomer“-Generation haben zu einem großen nationalen Fachkräftemangel geführt. Heu-te müssen zwei Erwerbstätige für einen Nichterwerbstä-tigen aufkommen. In Deutschland hat die Politik zudem in der Vergangenheit immer mehr Gelder in die Sozialsysteme stecken müssen, worunter das Bildungssystem zusätzlich gelitten hat. Der Mangel an jungem, hochqualifi ziertem, mobilem Personal ist dadurch heute umso gravierender.Diese Entwicklungen haben gravierende Auswirkungen auf den Logistik-Markt: In wissensintensiven Industrien fehlt heute auf vielen nationalen Märkten qualifi ziertes Personal. Zum Teil werden im Zuge des fortgeschrittenen

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globalen Recruitings junge, hochqualifi zierte und mobile Arbeitskräfte mit teils erheblichem Aufwand angeworben. Der überwiegende Trend der letzten Jahre ist jedoch die Ausrichtung entsprechender Produktionsnetze am verfüg-baren Humankapital. Die Produktion von komplexen und teuren Produkten fi ndet dort statt, wo Unternehmen auf qualifi zierte Mitarbeiter zurückgreifen können. Attraktive Standorte sind vor allem in den ehemaligen Entwicklungs- und Schwellenländern zu fi nden. Hier haben sich große Wissenszentren gebildet, die im internationalen Vergleich ein geringeres Einkommensniveau aufweisen und zugleich attraktive Absatzmärkte darstellen. Die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Menschen ist somit Standortfaktor Nummer eins geworden, um den viele Regionen weltweit konkurrieren. „Weiche“ Faktoren wie Umwelt- und Le-bensqualität spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Fabrik-Cities für die Logistik im Jahr 2025

Die kommenden Jahre (ab dem Jahr 2025) werden weni-ger durch den Zugang zu Rohstoffen als durch den Kampf um „Humankapital“ bestimmt. Zwar sind viele Edel- und Industriemetalle im Zuge der fortschreitenden Industria-lisierung Chinas und Indiens weiterhin knapp und teuer, jedoch versprechen Innovationserfolge im Bereich der synthetischen Herstellung von Ersatzstoffen eine Ent-spannung auch dieser Situation. Seit Jahren schon tobt hingegen ein Kampf um Fachkräfte, insbesondere in Euro-pa. Im Gegensatz zur US-Bevölkerung, die in den letzten 20 Jahren um mehr als ein Viertel gewachsen ist, ver-zeichnet die europäische Region niedrige Geburtenraten. Die Zahl der Menschen über 65 Jahren ist hier seit dem Jahr 2005 um 40 Mio. gestiegen, wo hingegen die Alters-gruppe der 15- bis 64-Jährigen um 20,8 Mio. Menschen abgenommen hat. Hinzu kommt, dass im Zuge der Terti-arisierung bzw. Quartarisierung vieler Volkswirtschaften

der Industrienationen der Beitrag des „Humankapitals“ zum Gewinn erheblich gestiegen ist. Die Nachfrage nach jungem, hochqualifi ziertem, mobilem Personal übersteigt das Angebot auf den heimischen Märkten bei Weitem.

Für den Logistik-Markt ergeben sich aus diesem Fach-kräftemangel ernst zu nehmende Folgen: Globale Beschaf-fung, Produktion und Distribution gehören in fast allen Märkten und Wertschöpfungsnetzen heute zum Standard. Viele der Entwicklungsländer sind durch ihre Megacities in den weltweiten Handel fest integriert. Sie stellen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in den „alten“ Industrienationen attraktive Investitionsstandorte dar. In den letzten Jahren sind zahlreiche Produktionsstätten aufgrund der hohen Dichte an Humankapital und niedrige-rem Lohnniveau gerade in diese Regionen verlagert wor-den. Die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Menschen ist Standortfaktor Nummer eins geworden, um den viele Regionen weltweit konkurrieren. Neben der Verlagerung von Produktionsstätten haben verschiedene Industrien gemeinsame Fabrik-Cities aufgebaut. Diese Planstäd-te zeichnen sich durch eine sehr attraktive Atmosphäre sowie hervorragende Infrastruktur aus und verfolgen das Ziel, qualifi zierte Mitarbeiter anzuwerben und in diesen Fabrik-Cities anzusiedeln.

Anders Denken – Kluge Köpfe gewinnen

Zukünftig sind für das Personalmanagement in der Logis-tik folgende Bereiche ausschlaggebend, um die Branche attraktiver für leistungsfähige Führungskräfte und High-Potentials zu machen (vgl. Abb. 2):1. Transparenz über Berufsprofi le und Karrierewege2. Darstellung von Studiengängen mit dem Berufsziel „Logistiker“3. Anpassung der Vergütung in Struktur und Höhe4. Angebot attraktiver Weiterbildung

Abb. 2: Vier Bausteine für Attraktivität und Image in der Logistik

Transparenz über Berufsprofi le und Karrierewege Darstellung von Studiengängen mit dem Berufsziel „Logistiker“

Attraktivität und Image

Anpassung der Vergütung in Struktur und Höhe Angebot attraktiver Weiterbildung

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Die besten Köpfe für die Logistik gewinnen866

Im Folgenden sollen die einzelnen Bausteine näher er-läutert werden. Jedoch sind hier nicht nur die Personal-abteilungen der Unternehmen, sondern auch Universitä-ten, Interessenverbände und die Logistik-Führungskräfte selbst in der Pfl icht, das Image des Berufsfeldes weiter zu verbessern. Als Handlungsempfehlung kann hier nur für die an der Ausbildung, Weiterbildung und Beschäftigung von Führungskräften Beteiligten in der Logistik gelten, in den relevanten Feldern aktiv zu werden und dies auch an mögliche und bereits tätige Logistik-Führungskräfte zu kommunizieren.

Transparenz über Berufsprofi le und Karrierewege

Wie zahlreiche Studien (u. a. Baumgarten 2004) und die Diskussion mit Studierenden, Absolventen und Unterneh-men immer wieder zeigen, sind die Vorstellungen zum Be-rufsprofi l „Logistiker“ so vielfältig wie seine Aufgabenbe-reiche. Insbesondere für Akademiker und Manager ist es jedoch von Beginn der Karriere an wichtig zu wissen, wo-hin der Weg führen kann – und ob er auch bis „ganz nach oben“ führen kann. Hier besteht in der Branche nur wenig Transparenz, auch in vielen Unternehmen gibt es hier un-terschiedliche Vorgehensweisen. Eine der Konsequenzen ist die als ungerecht wahrgenommene Entlohnung von Logistik-Führungskräften, da diese nicht adäquat zu ihren Peer-Managern erfolgt. Hier ist dringender Handlungs-bedarf vonnöten, sollen die besten Köpfe für die Logistik dauerhaft gewonnen werden.

Darstellung von Studiengängen mit dem Berufsziel „Logistiker“

Heute bieten viele nationale und internationale Hochschu-len Studiengänge an, die Absolventinnen und Absolven-ten dazu befähigen, eine Aufgabe in Logistik und Supply Chain Management zu übernehmen. Nicht alle Studien-gänge führen dies in ihrem Namen, denn nach wie vor benötigt die Logistik Interdisziplinarität und damit viele verschiedene Ansätze und Ausbildungshintergründe. Es kann demnach nicht darum gehen, vermehrt „Logistik-Studiengänge“ anzubieten. Vielmehr wäre eine Offenle-gung der Ausbildungsinhalte, vermittelten Methoden und erreichbarer Berufsprofi le mit diesen Studiengängen und Studienfächern hilfreich für Studierende und auch poten-zielle Arbeitgeber. So könnte der Markt – insbesondere zum Ende des Studiums – transparenter gestaltet werden. Die Studierenden hätten zudem bereits bei der Wahl des Studienfaches Logistik an ihrer Universität eine deutliche-

re Vorstellung, was erreichbar ist – auch im Vergleich zum Belegen alternativer Fächerkombinationen. Internationale Konkurrenzfähigkeit deutscher Studiengänge gerade im Bereich des Managements ist selbstverständlich voraus-zusetzen.

Anpassung der Vergütung in Struktur und Höhe

Die aktuelle Studie des SMI, aber auch anderer Instituti-onen zeigt, dass Logistik-Führungskräfte vergleichsweise niedrig entlohnt werden und über einen geringeren varia-blen Anteil in der Vergütung verfügen als die Peer-Group. Dies liegt vor allem in der traditionellen organisatorischen Einbindung der Logistik-Manager in vielen Unternehmen begründet. Auf der anderen Seite wird von Unternehmens-leitungen und in Befragungen immer wieder die strategi-sche Bedeutung der Logistik hervorgehoben. Nur – lassen sich die besten Manager für die Logistik fi nden, wenn die Vergütung als eher unattraktiv empfunden wird? Dieses Dilemma steht dringend zur Lösung an im Personalma-nagement von Industrie, Handel und Dienstleistung.

Angebot attraktiver Weiterbildung

Der fi nale Baustein zur dauerhaften Bindung von Logistik-Führungskräften mit herausragenden Fähigkeiten ist die kontinuierliche Weiterbildung. Hier steht das gesamte Spektrum zur Disposition: neue Technologien und ihre Anwendung, neue strategische Management-Konzepte, aber auch Soft-Skills wie interkulturelle Management-Fähigkeiten und Sprachen. Denn kaum eine Funktion und Branche ist globaler aufgestellt als die Logistik und braucht entsprechend ausgebildete Führungskräfte. Wo-bei hier das Dilemma der Weiterbildung zu beachten ist: Der Mitarbeiter ist an einem eher breit angelegten Wis-sen, das er auch in anderen Unternehmen anwenden kann, interessiert. Das Unternehmen ist an der Vermittlung eher unternehmensspezifi schen Wissens interessiert, um den Mitarbeiter in dem Unternehmen zu halten. Mit zuneh-mender Hierarchieebene wird zudem die Sozialkompetenz wichtiger als Methoden- und Fachkompetenz. Die Weiter-bildungsangebote sollten dies berücksichtigen.

Logistik und IT (Informationstechnologie) sind das Rückgrat globaler Netzwerke. Die IT hat es bereits ge-schafft, die klügsten Köpfe für sich zu gewinnen. Dies gelingt insbesondere durch attraktive Entlohnung für in-novative Entrepreneure. Dieses Image muss die Logistik ebenfalls anstreben – sonst ist die Funktionsfähigkeit der globalen Wirtschaft mittelfristig gefährdet.

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Christopher Jahns / Inga-Lena Darkow 877

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2. Innovationen – Logistik ist Wandel

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Wert- und innovationsorientierte Logistik –Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg

Hans-Christian Pfohl

Professor und Leiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt

Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Bundesvereinigung Logistik (BVL)

Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Entwicklung sowie Mitglied des Vorstands

der European Logistics Association (ELA)

Holger Köhler

Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik,

Technische Universität Darmstadt

Carsten Röth

Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik,

Technische Universität Darmstadt

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Carsten RöthJahrgang 1978Carsten Röth ist seit 2005 Mitar-beiter am Fachgebiet Unterneh-mensführung und Logistik an der TU Darmstadt. Seine Arbeitsschwer-punkte liegen auf den Gebieten Supply Chain Finance, Internatio-nale Unternehmensführung und Lo-gistik sowie Qualitätsmanagement in Unternehmensnetzwerken. Er ist Diplom-Wirtschaftsingenieur.

Holger Köhler Jahrgang 1978Köhler arbeitet seit Dezember 2005 am Fachgebiet Unternehmensfüh-rung und Logistik als wissenschaftli-cher Mitarbeiter bei Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian Pfohl. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit befasst er sich u. a. mit Fragen des Innovati-onsmanagements in der Logistik und Supply Chain Risikomanagement. Er ist Diplom-Wirtschaftsingenieur.

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian PfohlJahrgang 1942Pfohl ist seit 1982 Universitätspro-fessor für Betriebswirtschaftsleh-re an der Technischen Universität Darmstadt. Er hat dort den Lehrstuhl für Unternehmensführung und Lo-gistik. Rufe an die Universitäten Mainz und Düsseldorf lehnte er ab. Seit 1997 ist er Professor am Chine-sisch-Deutschen Hochschulkolleg

(CDHK) an der Tongji-Universität in Shanghai. Von 1975 bis 1982 war er ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Essen-Gesamthochschule, wo er den Lehrstuhl für Organisation und Planung innehatte. Pfohl ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesvereinigung Logis-tik (BVL) und Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Entwicklung sowie Mitglied des Vorstands der European Logis-tics Association (ELA).

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Einleitung

Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen suchen fortwährend Möglichkeiten, Logistikprozesse effi zienter zu gestalten. Die Material- und Informations-fl üsse in der Supply Chain werden bereits durch eine Vielzahl von Methoden und Instrumenten unterstützt. Ne-ben Verbesserungen bei diesen Flüssen wird zunehmend auch nach Möglichkeiten gesucht, die fi nanzwirtschaft-lichen und rechtlichen Aspekte der Supply Chain stärker zu berücksichtigen und zu optimieren. Ziel ist es, durch das Management und die innovative Ausgestaltung aller Dimensionen der Supply Chain den Unternehmenswert der einzelnen Supply-Chain-Unternehmen und damit den Erfolg der Supply Chain als Ganzes zu steigern. Dafür ist es von besonderer Bedeutung, dass sowohl Industrie- und Handelsunternehmen als auch die in der Supply Chain be-teiligten Dienstleister gemeinsam nach neuen innovativen Logistikleistungen suchen. Um bisher ungenutzte Wert-steigerungspotenziale zu identifi zieren und freizusetzen und die Entstehung von Innovationen nicht dem Zufall zu überlassen, bedarf es einer wert- und innovationsorien-tierten Logistik.

Wertorientierung in der Logistik

Von der Kosten- zur WertorientierungDie Entwicklung der Logistikkonzeption hat sich seit jeher auf die Reduzierung der Kosten und die Verbesserung des Kundenservice konzentriert (Pfohl 1972, Ihde 1972, Kirsch 1973). Das Hauptaugenmerk lag dabei auf den material-wirtschaftlichen und informationstechnischen Aspekten, für die auf dem Gebiet des Supply Chain Managements eine Vielzahl von Methoden und Instrumenten entwickelt wurde. Während der Analyse und Steuerung von Güter- und Informationsfl üssen viel Aufmerksamkeit gewidmet wird (Baumgarten 2004), ist der „Gegenstrom“ dieser auf die zeitliche und räumliche Veränderung der Güter in der Supply Chain ausgerichteten Betrachtungsweise – der Fluss fi nanzieller Mittel – bisher eher vernachlässigt wor-den. Obwohl der Finanzfl uss in den meisten Modellen und Defi nitionen auf dem Gebiet des Supply Chain Manage-

ments berücksichtigt wird, gibt es nur wenige wissen-schaftliche Arbeiten, die sich mit den Möglichkeiten der konkreten Ausgestaltung dieses Flusses befassen (Pfohl/Elbert/Hofmann 2003, Pfaff/Skiera/Weiss 2004, Pfohl/Elbert/Gomm 2006).

Der fi nanzielle Aspekt der Logistik war jedoch schon immer im Gesamtkostenansatz verankert. Demzufolge müssen Logistikmanager alle relevanten Kosten der logis-tischen Prozesse sowie die Kosten des in den Beständen gebundenen Kapitals berücksichtigen, die einen Einfl uss auf die logistischen Gesamtkosten haben (Pfohl 2004a). Dies hat zur Folge, dass der Fokus im Logistikmanage-ment in den letzten Jahren auf Prozessoptimierungen zur weiteren Kostenreduktion lag. Diese Konzentration der Logistikmanager auf eine reine Kostenbetrachtung hat zu Berichtssystemen geführt, die sich allein auf die Erhebung und Weitergabe von Kosten und operativen Kennzahlen an das Top-Management beschränken. Die strategische Zielsetzung der Unternehmensleitung liegt auf der Wertsteigerung des Unternehmens (Wildemann 2007). Die Messung von wertsteigernden Aktivitäten durch die Unternehmensleitung erfolgt dabei durch Spitzen-kennzahlen, wie bspw. dem Economic Value Added (EVA),indem operativer Gewinn und die Kapitalkosten des Un-ternehmens einander gegenübergestellt werden. In der Betrachtung dieser Spitzenkennzahlen wird jedoch der Anteil der Logistik nur selten berücksichtigt (Pfohl/Elbert/Gomm 2006). Als Konsequenz werden die Logistik allge-mein sowie die damit verbundenen Prozesse aus Sicht der Unternehmensführung nicht als Profi t-Center, sondern vielmehr als Cost-Center wahrgenommen. Auf den Profi t-Centern liegt aber das Augenmerk der Geschäftsleitung, da diese den augenscheinlichsten Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele Wachstum, Profi t und Kundenbin-dung beitragen (ELA/BearingPoint 2002).

In Zeiten steigender Logistikkosten (ELA/A.T. Kearny 2004, Pfohl/Wang/Wilson 2005, Wilson 2007) und der Zunahme des Risikos innerhalb der weltweiten Supply Chains (Pfohl 2007) ist das Logistikmanagement gefordert, die Logistik an der Steigerung des Unternehmenswertes

Wert- und innovationsorientierte Logistik –Beitrag des Logistikmanagements zum UnternehmenserfolgHans-Christian Pfohl / Holger Köhler / Carsten Röth

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94 Wert- und innovationsorientierte Logistik - Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg

als oberstes fi nanzwirtschaftliches Ziel im Unternehmen auszurichten, um damit den potenziellen Wertbeitrag der Logistik für die Unternehmensführung sichtbar zu machen. Es stellt sich daher für das Logistikmanagement die Fra-ge, welchen Beitrag die Logistik zur Unterstützung dieser durch die Unternehmensführung priorisierten Ziele leistet.

Das Logistikmanagement als eine bereichsübergrei-fende Funktion, die alle Logistikaktivitäten integriert und optimiert sowie die Koordination der einzelnen Logistikak-tivitäten mit anderen Funktionsbereichen, wie Marketing, Vertrieb, Produktion, Finanzen und der IT, übernimmt, spielt eine essenzielle Rolle für die Erreichung der Ziele des Top-Managements. Das Supply Chain Management ist ein strategischer Ansatz des Managements von Logistik-systemen (Logistikketten, Logistiknetzwerken, Demand- und Supply Chains), der auf dem interfunktionalen sowie interorganisationalen Management über Unternehmens-grenzen hinweg basiert. Durch diesen interfunktionalen sowie interorganisationalen Charakter der Logistik beste-hen starke Einfl ussmöglichkeiten bezüglich der effektiven und effi zienten Gestaltung der Güter-, Informations- und Rechtefl üsse, aber auch gerade ein großer Einfl uss auf den Fluss der fi nanziellen Mittel sowohl innerhalb als auch außerhalb der Unternehmen.

Immer mehr Unternehmen erkennen dabei den Wert-beitrag der einzelnen Logistikaktivitäten auf die positive Entwicklung des Umsatzes und des Cash-Flows und da-mit auch den unmittelbaren Einfl uss auf den gesamten Unternehmenswert. Viele Unternehmen haben jedoch bis heute noch keine klaren fi nanziellen Ziele für ihre Logistik und messen auch nicht den Beitrag der Logistik auf den Shareholder Value (Straube/Pfohl/Günthner/Dangelmaier

2005). Es ist daher die Aufgabe der Logistikmanager, den fi nanziellen Beitrag der Logistik an die Unternehmensfüh-rung zu kommunizieren. Nur so kann die Unternehmens-führung diese Informationen in ihren Entscheidungen berücksichtigen und den Logistikaktivitäten mehr Auf-merksamkeit widmen. Um dieses Ziel zu erreichen, müs-sen Logistikmanager beginnen, in einem erhöhten Maße in wertorientierten Größen zu denken, zu handeln und zu berichten. Dies ermöglicht eine Veränderung des Logistik-managements von einer allein kostenorientierten Ausrich-tung hin zu einer eher wertorientierten Perspektive (Pfohl 2004a, Pfohl/Elbert/Hofmann 2003).

Wandel in der Ausrichtung der Supply ChainsFür Logistikmanager stellt sich die Frage, wie ihr Tages-geschäft und ihre operativen Aufgaben mit den auf die Wertsteigerung ausgerichteten Unternehmenszielen ver-einbart werden können. Dazu ist jedoch eine Veränderung in der Wahrnehmung der strategischen Ausrichtung und den Zielsetzungen innerhalb des Logistikmanagements bezüglich der Gestaltung der Supply Chains erforderlich. Diese unterschiedliche Sichtweise auf die Supply Chain kann dabei, wie in Abbildung 1 veranschaulicht, als „Alte Schule“ gegenüber der „Neuen Schule“ der Supply Chain dargestellt werden.

Unternehmen nach alter Schule sind durch eine kosten-orientierte Sichtweise der Supply Chain geprägt. Die Kennzahlensysteme sind auf die Kontrolle und Reduktion der operativen Kosten ausgerichtet. Die Erfüllung dieses Ziels wird durch fortwährende Effi zienzprogramme zur Verbesserung der operativen Prozesse in Richtung einer schlanken Supply Chain angestrebt.

Abb. 1: Alte Schule gegenüber Neue Schule der Supply Chain

Quelle: übersetzt aus Anderson/Delattre, 2002

Alte Schule

Behandlung der Supply Chain als Cost-Center

Fokus auf operationale Kostenkontrolle und -reduktion

Wahrnehmung von operativer Effi zienz als Exzellent -„Effi zienzfalle“

Maximale Verschlankung der Prozesse

Neue Schule

Nutzung der Supply Chain für:• Ertragswachstum• Steigenden Marktanteil• Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen

Ausnutzung von Potenzialen für neue Value-added Services

Investition in sehr spezifi sche Kompetenzen

Verfolgung eines klaren Geschäftsmodells

Verwendung neuer Fähigkeiten zur Veränderung der Kundenbeziehungen

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95Hans-Christian Pfohl / Holger Köhler / Carsten Röth

Unternehmen der neuen Schule sind hingegen bestrebt, die Supply Chain als das Schlüsselelement zur Umsetzung ihrer bestehenden und neuen Geschäftsstrategien einzu-setzen. Dies beinhaltet Aktivitäten zur Gewinnung von neuen Value-added Services, der Investition in spezifi sche Fähigkeiten und der Verbesserung der Kundenbeziehun-gen. Das Ziel ist die Stärkung der Wertorientierung des Unternehmens, um ein stetiges Wachstum des Ertrags und einen steigenden Marktanteil zu erreichen sowie neue Wettbewerbsvorteile gegenüber den Wettbewer-bern zu entwickeln.

Bei der Transformation von alt zu neu ist zu beachten, dass die wichtigen Aspekte – Kosten und Kundenservice in der Supply Chain – ein weiterhin wichtiger Bestand-teil des Logistikmanagements sind. Es ist demnach not-wendig, eine Balance zwischen der Kostenreduktion und der Investition in neue Potenziale in der Supply Chain zu fi nden und die Schaffung weiterer Wertbeiträge für die Unternehmen zu fördern (Anderson/Delattre 2002).

Supply Chain Finance als wertorientierte Erweiterung des LogistikmanagementsUm die Wertorientierung nachhaltig in die Aktivitäten der Logistikmanager einzubinden und somit auch der Forde-rung nach einer modernen Ausgestaltung der Supply Chain nachzukommen, ist es notwendig, die bisher vernachläs-sigte Rolle der fi nanziellen Aspekte des Logistikmanage-ments stärker in das Aufgabenfeld der Logistikmanager zu integrieren. Diese veränderte Betrachtung der Finanzfl üs-se und der damit verbundenen Aspekte der Finanzierung

und Investition innerhalb der Supply Chain erfordert eine Erweiterung des bestehenden Managements zu einem Konzept des Supply Chain Managements, das die fi nan-zielle Dimension abdeckt.

Die Lücke zwischen Logistik und Finanzen wird im Rahmen des Financial Supply Chain Managements (FSCM) thematisiert (Abb. 2). Innerhalb des FSCM wird unter-schieden nach dem Financial Chain Management (FCM) und dem Supply Chain Finance (SCF) (Pfohl/Elbert/Gomm 2006). Ersteres betrifft vorrangig die technische Opti-mierung des Finanzfl usses (bspw. die EDV-technische Gestaltung des Belegfl usses). Das Supply Chain Finance hingegen beschäftigt sich mit der Optimierung der Unter-nehmensfi nanzierung und der Verminderung der Kapital-kosten in der Supply Chain (Gomm 2008). Während beim FCM die datenverarbeitungstechnischen Probleme und die Gestaltung der Informations- und Kommunikationssys-teme im Vordergrund stehen, liegt der Fokus des SCF auf der Finanzierung des Anlage- und Umlaufvermögens und der Verkürzung des Cash-to-Cash-Cycle.

Die Betrachtung fi nanzwirtschaftlicher Aspekte in der Supply Chain im Rahmen des SCF eröffnet nicht nur neue Handlungsfelder. Vielmehr gewinnen vor dem Hintergrund der geforderten Wertorientierung neben dem Endkunden auch die Kapitalgeber an Bedeutung. Im Rahmen des SCF sind die (Re-)Finanzierungsmöglichkeiten der einzelnen Mitglieder einer Supply Chain von besonderer Bedeutung. Während großen Unternehmen über den Kapitalmarkt eine breite Auswahl an standardisierten Finanzierungsin-strumenten zur Verfügung steht, können mittelständische

Abb. 2: Konzept des Supply Chain Finance

Unternehmen(Wertorientierung)

Logistik … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … Finanzen

logistisch

SCM(Prozesseffi zienz)

Prozesse

Bestandsmanagement

Collaborative Planning

Fianzierung

Anlagenvermögen

Umlaufvermögen

IuK-Systeme

Elektronische Rechnungsstellung

Debitorenmanagement

Financial Supply Chain Management

FCM(elektr. Belegfl uss)

SCF(Kapitalkosten)

fi nanzwirtschaftlich

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96 Wert- und innovationsorientierte Logistik - Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg

Unternehmen aufgrund zu geringer Volumina meist nur auf Produkte ihres lokalen Finanzmarktes zurückgreifen. Hier bietet sich im Rahmen des SCF gerade für die Mitglieder einer Supply Chain und speziell den Logistik- und Finanz-dienstleistern die Möglichkeit, neue Geschäftsfelder zu erschließen und eigene Finanzierungsangebote zu entwi-ckeln (Pfohl/Röth/Gomm 2007). Die im Zuge des Supply Chain Finance eingesetzten Methoden bringen eine Ver-änderung der Rechtefl üsse innerhalb der Supply Chain mit sich. So führen Off-balance-Lösungen, wie bspw. das Factoring von Forderungen, Vendor Managed Inventory oder die Errichtung und Finanzierung von Logistikimmo-bilien durch darauf spezialisierte Dienstleister einerseits zur Freisetzung fi nanzieller Mittel und zur Verbesserung relevanter Bilanzkennzahlen, andererseits zu einer Ver-schiebung der Rechte und damit zu neuen Fragestellungen bzgl. Haftung, Mitsprache und Kontrolle (Pfohl/Gomm/Röth 2006).

Diese Veränderungen führen dazu, dass die Perspek-tive der „operativen“ Wertschöpfung im Rahmen des SCM durch eine Perspektive der fi nanziellen Wertschöp-fung erweitert wird. In diesem Zusammenhang werden die klassischen Parameter Kosten, Zeit und Qualität um die Aspekte Zukunft, Risiko und Markt ergänzt. Für eine zukunfts-, risiko- und marktorientierte Optimierung der Supply Chain sind jedoch alle beteiligten Unternehmen gefordert, neue innovative Produkte, Konzepte und Instru-mente zu entwickeln – und dies nicht nur im Rahmen des SCF, sondern in allen Bereichen der Logistik von Industrie, Handel und Dienstleistern. Voraussetzung hierfür ist die Etablierung einer innovationsorientierten Logistik.

Innovationsorientierung in der Logistik

Innovationsorientierte Logistik und Unternehmenserfolg Gemeinhin werden Innovationen als Schlüssel zu Wachs-tum und Wettbewerbsfähigkeit gesehen. Inzwischen hat der Innovationsbegriff neben vielen anderen Branchen auch die Logistik erreicht und breite Aufmerksamkeit erlangt. Immer häufi ger taucht im Zusammenhang mit Logistik das Attribut „innovativ“ auf. Neben den negati-ven Begleiterscheinungen einer zunehmend infl ationären Verwendung des Begriffs als Modeerscheinung ist jedoch vermehrt auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema in Wissenschaft und Praxis festzustellen (Göpfert 2001, Binnenbruck 2003, Chapman/Soosay 2003, Soo-say/Hyland 2004, Flint/Larsson/Gammelgaard/Men-tzer 2005, Göpfert/Hillbrand 2005, Juga/Pekkarinen/Kil-pala/Onkalo 2006, Wagner 2007).

Dienstleistungsinnovationen im Allgemeinen und Logis-tikinnovationen im Speziellen fi nden zunehmend mehr Beachtung, wenn das Sachgut als Primärleistung seinen Wettbewerbsvorteil verliert und die produktbegleitenden Services kaufentscheidend werden. Denn aus Produkt-sicht entsteht mit abnehmender Innovationsrate – gleich-bedeutend mit höherer Substituierbarkeit – ein zuneh-mender Rationalisierungs- bzw. Differenzierungsdruck, dem die Logistik durch unterschiedliche Ausprägungen der Innovation Einhalt gebieten kann. Dem Rationalisie-rungsdruck auf Herstellungs- und Logistikprozesse kann durch Prozessinnovationen entgegengewirkt werden, um Produktions- und Logistikkosten zu senken. Im anderen Fall kann die Logistik eine Differenzierung durch das An-gebot eines einzigartigen Lieferservice erzeugen (Logis-tikservice als Produktinnovation). Die Unternehmen Dell und Zara liefern hierfür herausragende Beispiele und las-sen vermuten, dass innovative Logistikkonzepte einen po-sitiven Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten können.

Für Produktinnovationen von Sachgütern ist längst unstrittig, dass Innovationen eine der wichtigsten Er-klärungsgrößen für den Unternehmenserfolg darstellen (Bausch/Rosenbusch 2006). Die Bedeutung industrieller Dienstleistungen für die Profi lierung gegenüber Wettbe-werbern, die Erreichung und Absicherung von Kundenzu-friedenheit, die Erweckung eines positiven Unternehmens-images und die Absatzförderung des Kernproduktes ist ebenfalls empirisch bestätigt (Stauss 1993, Hünerberg/Mann 1996, Innis/LaLonde 1994, Morris/Davis 1992). Die Erfolgswirkung von Innovationen industrieller Dienstleis-tungen hingegen ist erst in Ansätzen erforscht. Noch we-niger wurde bisher der Beitrag von Logistikinnovationen zum Unternehmenserfolg untersucht. Einen Ansatz, die Bedeutung von Logistikinnovationen für den Unterneh-menserfolg zu quantifi zieren, liefert die aktuelle Studie der European Logistics Association und Arthur D. Little (ELA/Arthur D. Little 2007). Unternehmen mit einem ef-fektiven und effi zienten Innovationsmanagement haben demnach in der Regel geringere Logistikkosten bzw. eine höhere EBIT-Marge. Nach Einschätzung der Befragten lässt sich der Unternehmenserfolg – gemessen an der EBIT-Marge – mit einem optimierten Innovationsmanage-ment in der Logistik durchschnittlich um bis zu 8,5 Pro-zentpunkte steigern.

Hinzu kommt, dass Preis und Zuverlässigkeit nicht mehr die einzigen kaufentscheidenden Kriterien für die verla-dende Wirtschaft darstellen (ELA/Arthur D. Little 2007). Sie werden zukünftig vielmehr zu Grundvoraussetzungen bei der Fremdvergabe von Logistikdienstleistungen ohne

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97Hans-Christian Pfohl / Holger Köhler / Carsten Röth

Differenzierungspotenzial. Die Bedeutung der Innova-tionsfähigkeit hingegen nimmt als kaufentscheidendes Auswahlkriterium für die Fremdvergabe von Logistik-dienstleistungen zu und gewinnt somit für die Steigerung des Unternehmenserfolgs zunehmend an Bedeutung.

Trotz des nachgewiesenen Wertbeitrags von Innovati-onen und deren hohe zukünftige Relevanz im Verkaufspro-zess logistischer Dienstleistungen werden Innovationen in der Logistik bisher kaum systematisch vorangetrieben. Dies mag daran liegen, dass der Handlungsdruck in der Logistik aufgrund guter Renditen in der Vergangenheit noch nicht hoch genug ist, operatives Denken häufi g noch dominiert und es an ausreichendem erforderlichen Know-how und Erfahrung fehlt (Giesen/Hillbrand 2006).

Um die Entstehung von Innovationen in der Logistik nicht dem Zufall zu überlassen, bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit den spezifi schen Anforderungen für ein Innovationsmanagement in der Logistik (Pfohl/Frunzke/Köhler 2007a) mit dem Ziel, einen positiv auf den Unternehmenserfolg wirkenden Innovationsbeitrag zu leisten.

Transparenz des Wertbeitrags von Innovationen Die Logistik ist häufi g noch durch ein permanentes Über-zeugen des Top-Managements über den Wertbeitrag von Innovationen geprägt, obwohl nachgewiesen ist, dass die Logistik ein hohes Ergebnispotenzial liefert (Weber/Dehler 2000). Dies resultiert zum einen daraus, dass lo-gistische Prozessinnovationen im Außenumsatz meist nicht direkt erkennbar sind und die Bewertung der logis-

tischen Produktinnovationen nicht zuletzt aufgrund des Dienstleistungscharakters des Logistikservice schwierig ist. Eine Aufgabe des Innovationsmanagements in der Lo-gistik ist somit, den Ergebnisbeitrag, die Wahrnehmung der Logistik und den damit verbundenen Stellenwert im Unternehmen sowie die Sichtbarkeit und Bewertungs-möglichkeiten zu steigern und insbesondere den Entschei-dungsträgern im Top-Management die fi nanziellen As-pekte innovativer Logistikservices klar darzustellen. Auch die aktuelle Trendstudie der BVL zeigt (Abb. 3), dass die Prozessoptimierung ein wesentlicher Bereich ist, in dem es von hoher Bedeutung ist, den Beitrag der Logistik zur Wertsteigerung transparent zu machen.

Damit Logistikmanager dem Top-Management den Wert der Logistik und insbesondere die Bedeutung logisti-scher Innovationen verständlich machen können, müssen sie deren Sprache sprechen, die stark vom fi nanzwirt-schaftlichen Vokabular der Wertorientierung geprägt ist (Pfohl/Elbert/Gomm 2006). Eine intensive Auseinander-setzung mit der Schnittstelle Logistik und Finanzen sollte daher ein zentrales Thema für den Logistikmanager sein.

Nicht nur dem Top-Management muss der Nutzen und der Aufwand logistischer Service-Innovationen transpa-rent dargestellt werden, sondern auch dem Vertrieb, der in direktem Kontakt zu den Kunden steht und somit die innovativen Logistikservices „vermarkten“ muss.

Darüber hinaus müssen Logistikdienstleister ihren Kunden den Wert innovativer Logistikservices transpa-rent darstellen können und ihnen verständlich machen, dass sie von einer Innovation profi tieren, insbesondere

Abb. 3: Gegenstand einer Wertorientierung in der Logistik

Quelle: Straube/Pfohl/Günthner/Dangelmaier 2005

In welchen Bereichen ist es von Bedeutung, dass Sie den Beitrag der Logistik zur Wertsteigerung transparent machen?

sehr hoch

hoch

niedrig

sehr niedrig

Prozessoptimierungen Logistikinvestitionen Logistikinvestitionen Logistik-Outsourcing ins Umlaufvermögen ins Anlagevermögen

Alle Unternehmen (n = 198)Unternehmen, die der Zukunfts-, Risiko- und Marktorientierung in der Logistik eine hohe Bedeutung beimessen (n = 56)

Prozessoptimierungen Logistikinvestitionen Logistikinvestitionen Logistik-Outs ins Umlaufvermögen ins Anlagevermögen

Alle Unternehmen (n = 198)Unternehmen, die der Zukunfts-, Risiko- und Marktorientierungin der Logistik eine hohe Bedeutung beimessen (n = 56)

75 % 64 % 61 % 63 %

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98 Wert- und innovationsorientierte Logistik - Beitrag des Logistikmanagements zum Unternehmenserfolg

wenn sie mit an sich funktionierenden Prozessen arbeiten und den Vorteil einer Innovation zunächst nicht erkennen. Damit wird bereits eine weitere logistikspezifi sche An-forderung für ein Innovationsmanagement in der Logistik angesprochen – die systematische Integration der Kun-den in den Innovationsprozess im Sinne einer interaktiven Wertschöpfung, um die Bedürfnisse der Kunden besser zu verstehen. Denn nur auf dieser Grundlage ist es möglich, innovative Logistikservices zu entwickeln und als „Innova-tionslieferant“ wahrgenommen zu werden. Dass dies den Dienstleistern bislang allerdings nur unzureichend gelingt, wird im Urteil der Kunden über den Innovationsbeitrag von Dienstleistern in kontraktlogistischen Beziehungen deut-lich (Pfohl/Frunzke/Köhler 2007b). Kunden stufen dem-nach den Innovationsbeitrag ihrer Dienstleister gering ein, da diese es kaum schaffen, ihre Bedürfnisse – seien es bestehende oder latent vorhandene – zu erkennen und neuartige Möglichkeiten zu deren Befriedigung zu entwi-ckeln. Daher werden viele Kunden selbst innovativ tätig, zumal sie auch keine hohen Erwartungen an die Hervor-bringung von Logistikinnovationen durch ihre Dienstleis-ter haben.

Interaktive Wertschöpfung zur Erhöhung des Innovations-beitrags Die Entwicklung innovativer Logistikservices erfordert eine genaue Kenntnis der Kundenbedürfnisse, d. h. In-formationen über die Präferenzen, Wünsche, Zufrieden-heitsfaktoren und Kaufmotive der Kunden (Thomke 2003, Reichwald/Piller 2006). Von Hippel spricht in diesem Zu-sammenhang von „sticky information“ (von Hippel 1994). Zur Lösung von Kundenproblemen müssen diese Bedürf-nisinformationen der Kunden mit den Lösungsinformatio-nen der Dienstleister zur effi zienten und effektiven Über-führung der Kundenbedürfnisse in konkrete Lösungen mittels technologischer Möglichkeiten und notwendiger Potenziale in Einklang gebracht werden.

Allerdings ist es häufi g schwierig oder sehr kostspie-lig, die notwendigen Bedarfsinformationen von Kunden auf die Dienstleister zu übertragen, da Kunden erfah-rungsbasiertes Know-how besitzen, die Bedürfnisse nur schwer erklärbar sind sowie häufi g lediglich als implizi-tes Wissen vorliegen (Herstatt 2001, Gruner/Homburg 2000). Mit einer verstärkten Integration von Kunden in den Innovationsprozess können die Markt- und Kunden-anforderungen und somit die Bedürfnisinformationen der Kunden von Dienstleistern antizipiert werden, bevor diese von Kunden explizit geäußert werden. Hierdurch kann die Reaktionszeit im Sinne eines „Sense and Respond“ auf

Kundenanforderungen signifi kant verkürzt werden (Heine-vetter/Schrecklinger/Scherf 2006).

Die positiven Auswirkungen der Integration der Kunden in den Innovationsprozess werden durch empirische Stu-dien belegt. Insbesondere in der frühen Phase der Ideen-generierung und der späten Phase der Markteinführung ist eine erhöhte Einbeziehung der Kunden Erfolg verspre-chend (Lüthje 2000). Studien von Ernst zeigen, dass die Erfolgswirkung insbesondere dann besonders hoch ist, wenn die interaktive Wertschöpfung einer hohen Marktun-sicherheit, Spezifi tät und Abhängigkeit von Kundenwissen in der Wertschöpfung entgegenwirkt (Ernst 2001).

Neben der positiven Auswirkung der Integration der Kunden in den Innovationsprozess der Dienstleister ist auch die Integration der Dienstleister in den Innovations-prozess von Kunden Erfolg versprechend. Es zeigt sich, dass innovative Unternehmen der verladenden Wirtschaft ihre Dienstleister früher in ihren Innovationsprozess ein-binden als der Durchschnitt. Top-Innovatoren der Logis-tikdienstleister werden an der strategischen Planung und dem Ideenmanagement der Kunden beteiligt (ELA/Arthur D. Little 2007). Sie können sich somit weg vom reinen Erfüllungsgehilfen hin zu einem Entwicklungspartner ihrer Kunden etablieren und sich margenträchtiger positionieren.

Effi zienz- vs. InnovationsorientierungDie individuellen Anforderungen der Kunden machen ver-mehrt spezifi sche, an die Kundenwünsche angepasste Problemlösungen erforderlich, die mit einem Standard-produkt nicht erfüllt werden können. Dies führt zu einer einzelkundenorientierten Differenzierung, indem perma-nent neue Services entwickelt werden müssen, die eine hohe Flexibilität hinsichtlich spezifi scher Kundenwünsche erfordern. Auch in der Logistikstrategie von Unternehmen macht sich diese Entwicklung bemerkbar. Wie die Trend-studie der BVL zeigt, stehen für die Mehrheit der befrag-ten Unternehmen die Flexibilität und Individualisierung der Leistungserstellung im Fokus ihrer Strategie (Straube/Pfohl/Günthner/Dangelmaier 2005).

Die steigende Nachfrage nach kundenindividuellen Problemlösungen in der Logistik stellt jedoch eine Heraus-forderung für das Effi zienzdenken in der Logistik dar (Pfohl 2004b). Wird die Zielsetzung verfolgt, Kundenwünsche möglichst individuell und fl exibel zu erfüllen, erschwert dies die Abstimmung und Auslastung der Kapazitäten deutlich, was zu einer Erhöhung der Logistikkosten führen kann.

An diesem Trade-off setzt der zweistufi ge Innova-tionsprozess an, den die Top-Innovatoren unter den Logis-

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tikdienstleistern bereits verfolgen (ELA/Arthur D. Little 2007). Inkrementelle Innovationen lassen sich demnach durch eine Weiterentwicklung kundenspezifi scher Lösun-gen zu marktfähigen Modulen und Standards erzielen. Höheres Innovationspotenzial hingegen bietet der umge-kehrte Weg: die Entwicklung von Modulen und Standards ohne ein konkretes Kundenprojekt mit anschließender kundenspezifi scher Anpassung. Dieser zweistufi ge, meist iterative Prozess ermöglicht den Top-Innovatoren unter den Dienstleistern eine hohe Kundenorientierung. Sie nutzen jedoch auch verstärkt Kosteneffi zienzen der Mo-dularisierung/Standardisierung mit dem anschließenden Mass Customizing und verbinden dadurch Effi zienz mit Innovationsorientierung.

Fazit

Bei der zukünftigen Gestaltung der Supply Chains wird ein wertorientiertes Logistikmanagement auf der Basis zusätzlicher finanzieller Wertbeiträge und der innova-tiven Weiterentwicklung der Logistikleistungen eine bedeutende Rolle spielen. Nur wenn es dem Logistik-management gelingt, den veränderten Rahmenbedin-gungen von Seiten der Kunden gerecht zu werden und sich die Erwartungen des eigenen Top-Managements an einen steigenden Wertbeitrag der Logistik erfüllen, wird sich ein langfristiger Unternehmenserfolg einstel-len. Logistikmanager müssen in der Sprache des Top-Managements ihre Anliegen vertreten können und sind daher zwingend darauf angewiesen sich mit den finan-ziellen Aspekten in der Logistik auseinanderzusetzen. Das Konzept des Supply Chain Finance bietet hierfür in Ergänzung des klassischen Supply Chain Managements den notwendigen Rahmen für zukünftige Entwick-lungen.

Innovative Konzepte wie die des Supply Chain Finance müssen in der Logistik noch weiter systematisch voran-getrieben werden. Innovation darf nicht nur eine Mode-erscheinung und Worthülse bleiben. Aufgabe eines inno-vationsorientierten Logistikmanagements ist es vielmehr, Rahmenbedingen zu schaffen, die den Innovationsbeitrag der Logistik erhöhen. Dies betrifft nicht nur organisato-rische Rahmenbedingungen. Vielmehr muss auch ein in-novationsfreundliches Klima im Unternehmen etabliert werden. Die Innovationsgenerierung darf somit nicht dem Zufall überlassen, sondern Logistikinnovationen müssen gezielt vorangetrieben werden, um einen entsprechenden Wertbeitrag zu liefern und damit die Zukunfts- und Wett-bewerbsfähigkeit sicher zu stellen.

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Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service

Michael ten Hompel

Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Förder- und Lagerwesen an der Universität Dortmund

Geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML

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Prof. Dr. Michael ten HompelJahrgang 1958Ten Hompel ist seit März 2000 Mit-glied der Institutsleitung am Fraun-hofer IML in Dortmund und führt dort den Bereich „Materialfl usssysteme“. Im Januar 2005 übernahm er die ge-schäftsführende Institutsleitung. Ten Hompel studierte Elektrotechnik mit der Fachrichtung Technische Informatik an der RWTH Aachen und promovierte

1991 an der Universität Witten/Herdecke. Seinen Berufsweg begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Förder- und Lagerwesen an der Universität Dortmund und am Fraunhofer-Institut für Transporttechnik und Warendistribution. Die von ten Hompel 1988 gegründete GamBit GmbH mit dem Hauptgeschäftsfeld „Software für Produktion und Logistik“, die er bis zum Jahr 2000 leitete, entwickelte sich mit ihm als ge-schäftsführendem Gesellschafter zu einem der erfolgreichsten Logistiksoftwareunternehmen in Deutschland.

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Die Welt, in der wir leben, ist nicht deterministisch

Zu diesem Schluss kam der Däne Niels Bohr schon vor rund 80 Jahren, als er postulierte: Vorhersagen sind schwierig, insbesondere, wenn sie unsere Zukunft betref-fen. Es folgten viele weitere Erkenntnisse bei der nicht relativistischen Beschreibung unserer Welt. Wichtige Kollegen wie Werner Heisenberg oder Erwin Schrödinger sollten fortfahren in der statistischen Beschreibung ato-mistischer Effekte. Nun wird niemand behaupten, dass sich diese Erkenntnisse auf die Welt des Supply Chain Managements und die Logistik übertragen lassen. Jedoch fi nden sich zahlreiche Analogien, die verdeutlichen, dass sich unser Modell der Prozessketten ähnlich radikal wird ändern müssen wie seinerzeit das Modell der Materie.

Die Unschärfe in der Logistik

Die Welt, in der wir leben, ist eine paradoxe. Immerzu wird sie getrieben von den Antipoden der sich im Dekaden-wechsel verändernden Maxime unseres Handelns. Konzen-tration oder Diversifi kation, Dezentralisierung oder Zent-ralisierung, Outsourcing oder Insourcing lauten nur einige der Alternativen logistischen Managements. Allen gemein ist jedoch der Versuch, Handlungsanweisungen zu geben, die ein Modell des Systems voraussetzen, das gesteuert oder gemanagt werden soll. Modelle dieser Art sind wie-derum zahlreich und nicht immer widerspruchsfrei. Sie basieren jedoch gemeinhin auf der allgemeinen Grundan-nahme, dass es möglich sei, Prozesse zu defi nieren und zu Prozessketten zu aggregieren, die vereinheitlicht, harmo-nisiert und letztlich standardisiert werden können. Hiermit verbunden wird das Ziel, durch die Standardisierung der Vergangenheit (und ihrer Prozesse) Modelle und Hand-lungsanweisungen für zukünftige Ereignisse abzuleiten.

Beides ist jedoch systemimmanent zum Scheitern verurteilt. Zunächst ist es nicht nur tägliche Erfahrung, sondern empirisch belegbar, dass sich zwar einzelne Pro-zesse – so sie denn klein genug sind – standardisieren lassen, niemals jedoch komplexe Prozessketten für eine zukünftige Anwendung. Alle Bemühungen dieser Art sind

auf die Vergangenheit nutzbringend anwendbar und er-lauben eine historische Analyse und Schlussfolgerungen für zukünftiges Handeln. Niemals jedoch kann auf Dauer der Ablauf der Prozesse mit ausreichender Exaktheit in die Zukunft fortgeschrieben werden.1

Der schon lange Zeit währende Versuch, dieses deter-ministische Management in die Tat umzusetzen, scheitert an drei wesentlichen Faktoren:

1. Eine Standardisierung logistischer Prozesse, geschweige denn logistischer Prozessketten, ist innerhalb einer Branche außerordentlich unwahrscheinlich, branchen-übergreifend unmöglich. Zu unterschiedlich sind die Abläufe, zu vielfältig die Prozesse.2

2. Je präziser ein Prozess und sein Eintreffen zu einem defi nierten Zeitpunkt bestimmt werden sollen, desto größer wird die Datenmenge, die hierzu verarbeitet werden muss.

Schon die Bereitstellung eines Artikels innerhalb einer Kommissionierzone erfordert die Pfl ege des Bestan-des, die vorherige Reservierung des Artikels selbst und der erforderlichen Betriebsmittel, die Führung ver-schiedenster Ressourcen bis hin zu dem Menschen, der den Artikel entnimmt. Hinzu kommt eine Vielzahl mög-licher Fehlerstrategien für den Fall, dass technische Komponenten ausfallen oder vorherbestimmte Ereig-nisse nicht eintreten. All dies wiederum über mehrere Stufen hinweg: vom Lieferanten über den Transport und so fort. Die mit der Genauigkeit der Vorhersage ex-ponentiell steigende Datenmenge führt auch zu einer Berechnungsgrenze, die den Zeitpunkt repräsentiert,

Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum ServiceMichael ten Hompel

1 Dies gilt insbesondere für den in den letzten Jahren intensiv betrachteten „Echtzeit-bereich“. Handeln in „Echtzeit“ setzt eine vorbestimmte Reaktion in vorbestimmter Zeit voraus. Es bezeichnet in der Logistik den unmittelbaren, steuernden Eingriff in bewegte Systeme wie Förder- und Sortiertechnik (ten Hompel und Heidenblut 2007).

2 Schon die Beschreibung des Warehouse Management im Allgemeinen erfordert über 1000 Einzelfunktionen, die wiederum applikationsspezifi sch angeordnet werden. Be-reits die verschiedenartige Anordnung einfachster logistischer Grundfunktionen wie Vereinnahmung, Lagerung, Bereitstellung und Kommissionierung ergibt millionenfa-che Variationsmöglichkeiten (ten Hompel, Wolf, Daniluk 2007).

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106 Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service

ab dem die Vorausberechnung, zum Beispiel der Rei-henfolge einer Auftragsliste (engl. batch), längere Zeit dauert als bis zum Start der vorausberechneten Abläu-fe (Prozesse) verfügbar ist – ein Phänomen, das durch stetig steigende Rechnerleistung nur insofern geheilt wird, als nicht der Wunsch nach vertikaler Integration benachbarter Akteure diese Leistung wiederum zu-nichte macht.

3. Je präziser ein Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorbestimmt wird, umso unwahrscheinlicher wird sein Eintreffen in vorbestimmter Zeit.

Letztlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis exakt zu einem vorbestimmten Zeitpunkt eintrifft, gleich Null. Da sich die Wahrscheinlichkeiten entlang einer Prozesskette potenzieren, wird deren Vorbe-stimmtheit entsprechend unwahrscheinlich.

Diese einfachen Feststellungen – zusammengefasst könnte man sie als „Unschärfe“ in der Logistik bezeichnen – fi nden in der Anwendung des klassischen Supply Chain Managements wenig Beachtung. Zu intuitiv ist der stete Wunsch nach Vorbestimmtheit, nach Harmonisierung der Abläufe und Standardisierung der Prozesse, der immer wieder zu dem Versuch führt, das Unvorhersagbare vor-herzusagen.

Mit dem Zufall leben – serviceorientiertes Design in der Logistik

Eine zielgerichtete Steuerung – nicht nur logistischer Systeme – erfordert die Nutzung von Erfahrungswissen zur Verbesserung aktueller und zukünftiger Prozesse. Die Vereinheitlichung und Standardisierung in der Logistik ist der Versuch, zukünftige Ereignisse vorherzusagen, um bei deren Eintreffen mit standardisierten Verhaltensmustern zu reagieren. Damit setzt eine sinnvolle Standardisierung eine vorhersagbare Zukunft voraus. In der Logistik führte dieses Paradoxon zur Einführung heuristischer Formalis-men, deren (Allgemein-)Gültigkeit angenommen, aber nie-mals erreicht wird.

Das serviceorientierte Design der Logistik (auch Logi-stics by Design) verfolgt einen gänzlich anderen Grund-gedanken, der, wie sich erweisen wird, jedoch eine Stan-dardisierung in viel höherem Maße erlaubt, als dies in der klassischen prozessorientierten Welt möglich erscheint.Zunächst basiert Logistics by Design auf einer service-orientierten Architektur. Anstelle atomarer Prozessketten-elemente werden ebenso kleinteilige, atomare Services3 bestimmt, die im Gegensatz zu einer relativ festgefügten

Prozesskette nur lose untereinander gekoppelt sind. Da die Reihenfolge des Aufrufs nicht vorbestimmt ist, kann eine große Menge unterschiedlicher Prozesse (bzw. „Service-ketten“) abgebildet werden, ohne die einzelnen Services selbst zu ändern. Die Präjudizierung des klassischen Pro-zessketten-Managements weicht einer Wahrscheinlich-keit der Zielerfüllung in einem gegebenen Zeitrahmen. Mit anderen Worten wird die vorgespiegelte Sicherheit eines alles vorausdenkenden Supply Chain Managements durch die hohe Flexibilität einer Logistics by Design ersetzt. Die-se Entwicklung wird getragen durch die Erkenntnis, dass es in Zukunft wesentlich wichtiger sein wird, die Flexibili-tät logistischer Systeme sicherzustellen, als ein Optimum für eine dezidierte Konstellation zu bestimmen, die niemals exakt so eintreffen wird, wie sie berechnet wurde.

Atomare Services lassen sich, ähnlich wie Prozess-kettenelemente, in ihrer Funktion standardisieren. Die Reihenfolge ihres Aufrufs innerhalb eines begrenzten Systems ist jedoch nicht mehr vorgegeben und im We-sentlichen durch die aktuelle Anordnung physischer Kom-ponenten (Topologie) bestimmt. Diese Topologie kann den wechselnden Bedarfen fl exibel angepasst werden, ohne die Services ändern zu müssen. So kann z. B. das Layout eines intralogistischen Materialfl usssystems während der Laufzeit geändert werden.

Da die Reihenfolge des Aufrufs der Services innerhalb eines Anwendungsbereichs (Domäne) nicht vorhersag-bar ist, entsteht die Herausforderung, allgemeingültige Schnittstellen zu implementieren, deren Anzahl und Kom-plexität mit der Anzahl der Services überproportional steigen wird. Eine Möglichkeit, diese Schnittstellen zu überbrücken, liegt in dem Grundgedanken, alle Informati-onen, die zum Aufruf und zur Parametrierung im echtzeit-nahen Bereich benötigt werden, unmittelbar am Gut bzw. im logistischen Objekt zu speichern. Diese in Verbindung mit RFID als Internet der Dinge (Bullinger und ten Hompel 2007) bezeichnete Steuerungsphilosophie fi ndet so ihre logische Fortsetzung.

Die Implementierung serviceorientierter Architekturen wurde in allen führenden ERP-Systemen vollzogen. Für die Logistik, die weit mehr als die Produktion in kurzen Zeit-räumen auf neue Anforderungen reagieren muss, ist es

3 Atomare, also nicht sinnvoll weiter teilbare, elementare und damit standardisierbare Services werden innerhalb einer Logistics by Design auch als Spin (service provided independent nucleon) bezeichnet. Spins werden in Sets bereitgestellt. Sets bezeich-nen eine ungeordnete, lose gekoppelte, aber vollständige Menge von Spins, die zur Ausführung eines defi nierten Funktionsumfangs benötigt werden. Spins innerhalb eines Sets sind eineindeutig bezüglich der Abbildung einer (physischen) Funktionalität wie z. B. eines Wareneingangs oder eines Kommissionierbereichs etc.

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107Michael ten Hompel

eine Frage sine qua non geworden, sich von den Fesseln eines hierarchisch vorbestimmten Supply Chain Manage-ments zu befreien.

Es ist absehbar, dass dies auch Auswirkungen auf die physische Logistik haben wird.

Die Welt ist nicht deterministisch –es ist an der Zeit, sie auch so zu gestalten.

Herausforderung Echtzeit

Die physische Seite der innerbetrieblichen Logistik ein-schließlich der verbindenden Transporttechnik und IT wird seit dem Jahr 2003 unter dem Begriff Intralogistik (VDMA) subsumiert. Sie umfasst insbesondere auch jenen Bereich, der die echtzeitnahe Steuerung und Durchführung jedwe-der logistischer Operation ausführt.

Der Begriff Echtzeit setzt wiederum in seiner ursprüng-lichen, stringenten Interpretation die Reaktion eines Sys-tems auf ein äußeres Ereignis (Event) in vorbestimmbarer Zeit voraus.4 Hierdurch ist das Verhalten, zum Beispiel eines Förderers und seiner Steuerung, vollständig deter-minierbar. Die Steuerung selbst ist klassischerweise als SPS mit einem zyklisch ablaufenden Programm ausge-führt. Der Programmzyklus, addiert mit Signallaufzeiten und vorgegebenen Latenzzeiten, ergibt eine berechen-bare Zeit, innerhalb derer das System auf ein Ereignis, zum Beispiel auf den Signalwechsel einer Lichtschranke

reagieren wird. Eine derartige Determinierbarkeit er-scheint innerhalb der Steuerungstechnik zunächst un-umgänglich und war viele Jahre ein unumstößliches Paradigma konventioneller Fördertechniksteuerung. Seit Mitte der neunziger Jahre haben jedoch zunehmend Be-triebssysteme, Netzwerke und Internettechnologien Ein-zug gehalten, die nicht im eigentlichen Sinne echtzeitfähig sind. Klassische Vertreter dieser Gattung sind das auch im Internet verwendete Übertragungsprotokoll TCP/IP oder das Ethernet Netzwerkprotokoll CSMA/CD. Obwohl keine Antwort zeiten garantiert werden können, fi nden sie Ver-wendung, da alle ankommenden Ereignisse schnell genug bearbeitet werden. In diesem Zusammenhang hat sich der Begriff weiche Echtzeitanforderung etabliert.

Untersuchungen wie das Projekt Realtime Logistics (www.realtimelogistics.com) haben den Nachweis er-bracht, dass sich die Prinzipien serviceorientierter Archi-tekturen ebenso wie die RFID-Steuerung des Internets der Dinge in diesem Sinne auf reale, intralogistische (Steu-erungs-)Systeme anwenden lassen und weiche Echtzeit-Anforderungen erfüllen (ten Hompel et al. 2007).

Abb. 1: Vision eines serviceorientierten Designs logistischer Systeme

4 Die Echtzeit-Verarbeitung (engl. realtime processing) ist die Verarbeitung schritthal-tend mit dem angeschlossenen technischen Prozess. Echtzeitverarbeitung muss den Anforderungen bezüglich der Rechtzeitigkeit der Bearbeitung von Anforderungen und der Gleichzeitigkeit der Bearbeitung entsprechender Programme genügen. Um diesen vollständig zu entsprechen, sind spezielle Betriebssysteme erforderlich. Echtzeitfähig-keit setzt die Reaktion eines Systems auf ein äußeres Ereignis (Event) in vorbestimm-barer Zeit voraus (ten Hompel und Heidenblut 2007).

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108 Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service

Auch mit einzelnen, passiven UHF-RFID-Tags ist es mög-lich, die notwendigen Informationsmengen bei üblichen Fördergeschwindigkeiten zu lesen und an Entscheidungs-stellen (teilweise) neu zu beschreiben. Es zeichnet sich eine Größenordnung von lediglich 2 KByte Informationen ab, die zur Steuerung, Parametrierung und für das inner-betriebliche Routing notwendig sind.5

Die dezentrale Auswertung und Steuerung auf Basis der Informationen, die im Tag des logistischen Objektes (Palette, Behälter etc.) gespeichert werden, erfolgt – den Prinzipien einer serviceorientierten Logistics by Design folgend – über ein Multiagentensystem6, wobei die ein-zelnen Agenten innerhalb einer Holarchie instanziiert und über die RFID-Informationen parametriert werden.

Konsequent zu Ende gedacht, führt dies zur physischen Anwendung künstlicher Intelligenz.

Intralogistik und künstliche Intelligenz

Die Wissenschaft der künstlichen Intelligenz ist ein Teilbe-reich der Informatik, dessen Wurzeln in den 1950er Jahren liegen. Im Laufe der Jahre sind aus diesem Bereich heraus viele Defi nitionen entstanden, die eine detaillierte Be-schreibung dazu bereitstellen, welche Faktoren für künst-liche Intelligenz relevant sind. Diese Defi nitionen orientie-ren sich zum einen an der Nachbildung des menschlichen Verhaltens und zum anderen an einem idealisierten Kon-zept der Intelligenz, der Rationalität. Sie unterscheiden sich dabei in der Forderung einerseits nach Systemen, die wie Menschen beziehungsweise rational denken, und an-dererseits Systemen, die sich wie Menschen beziehungs-weise rational verhalten (Russell und Norvig 2004).

Historisch gesehen hat die künstliche Intelligenz als Wissenschaftsdisziplin viele Stadien durchlaufen. Nach zögerlichen Anfängen ist sie seit Anfang der 1990er Jahre mit erfolgreichen Anwendungen in der Wirtschaft vertre-ten. Zu dieser Zeit wurde auch das Konzept der Agenten populär, welches ganzheitlich intelligente Systeme und ihre Umgebung betrachtet. Mit dem Aufkommen des Internets wurde die Vernetzung solcher Systeme immer wichtiger, sodass auch Konzepte für Multiagentensyste-me mit mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen ein-zelnen Agenten in den Mittelpunkt der Forschungsarbeit rückten. Diese haben in der Zwischenzeit in verschiede-nen wissenschaftlichen Untersuchungen unter Beweis gestellt, dass sie die Dynaxität aktueller technischer Sys-teme in besonderer Weise handhaben können.

Die Anwendung serviceorientierter Konzepte wie des Internets der Dinge vor dem Hintergrund künstlicher In-

telligenz hat auch eine hochgradige Dezentralisierung von Entscheidungen zur Folge. Ein logistisches Objekt – in Verbindung mit dem korrespondierenden Agenten – soll selbst entscheiden können, wie es sich verhält. Das Ver-halten sollte dabei von Rationalität bestimmt sein, es soll-te Intelligenz zeigen. Das Konzept des Internets der Dinge beschreibt also eigentlich die Verteilung von Intelligenz an die einzelnen Bestandteile eines logistischen Sys-tems. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um mensch-liche Intelligenz, sondern ganz allgemein um rationales Verhalten von Dingen, mit anderen Worten um künstliche Intelligenz.

Ein Objekt (auch Aware Object), welches rationales Verhalten zeigt, ein eigenes Gedächtnis besitzt und au-tonom Entscheidungen trifft, wird in der Terminologie der künstlichen Intelligenz als Agent bezeichnet. Ein Agent ist allgemein defi niert als „[…] alles, was seine Umgebung über Sensoren wahrnehmen kann und in dieser Umgebung durch [Aktoren] handelt.“ (Russel und Norvig 2004). Diese Defi -nition aus einem Standardwerk der künstlichen Intelligenz deckt sich mit den Grundlagen der Materialfl ussautomati-sierung. Hier ist es ein Automat, der einen Prozesszustand über Sensoren wahrnehmen kann und der diesen Prozess durch Aktoren verändert (ten Hompel und Schmidt 2007). Ein solcher Automat kann in manchen Zusammenhängen der Materialfl usstechnik als ein Agent gesehen werden, der selbstständig innerhalb eines logistischen Systems handelt. Diese Ähnlichkeit ist nicht zufällig, denn die „Automatisie-rung umfasst die Gesamtheit aller Maßnahmen, durch die der selbständige Betrieb eines technischen Systems […] bewirkt wird“ (ebd.). Sie kann im Grunde als ein sehr prag-matischer Teilbereich der künstlichen Intelligenz gesehen werden, da die beschriebenen technischen Systeme rational und ohne menschliche Hilfe handeln können müssen.

Der Unterschied zwischen der Wissenschaftsdisziplin der künstlichen Intelligenz und der klassischen Material-fl ussautomatisierung liegt in der Herangehensweise. Das Ziel der künstlichen Intelligenz ist es, intelligente Agenten für jegliche Arten von möglicherweise widrigen Umge-

5 Es wird vorausgesetzt, dass sich zur Steuerung ein einzelner Tag am logistischen Ob-jekt (Behälter, Palette etc.) befi ndet. BMBF Forschungsprojekt „Internet der Dinge“ 2007, s. www.internet-of-things.com

6 Ein Agent ist ein Programm, das folgenden Kriterien gerecht wird (nach Jennings und Wooldridge): Autonomie: Agenten operieren autonom, ohne Manipulation von außen; Soziales Interagieren: Agenten interagieren mit dem Anwender und mit anderen Agen-ten. Die Kommunikation erfolgt auf einer semantischen Ebene über die Ausführung eines Befehlsvorrats hinaus; Reaktivität: Agenten nehmen ihre Umwelt wahr und re-agieren rechtzeitig und angepasst auf Veränderungen; Pro- aktives Handeln: Agenten reagieren nicht nur auf die Umwelt, sondern sind auch in der Lage, zielgerichtet und initiativ zu agieren.

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109Michael ten Hompel

bungen zu schaffen. Dabei entsteht die Herausforderung, maschinelle Intelligenz zu erschaffen, ohne die Umgebung einfacher zu gestalten.

Das Ziel intralogistischer Automatisierung ist es hin-gegen, ein funktionstüchtiges Gesamtsystem zu erschaf-fen. Wenn ein Agent nicht intelligent genug ist, dann wird die Umgebung so vereinfacht, dass der Agent den-noch erfolgreich arbeiten kann. Dies führt wiederum zur Vereinheitlichung der Agenten und zur Standardisierung der (serviceorientierten) Umgebung, innerhalb derer die Agenten „leben“ (ten Hompel et al. 2008).

Neben zahlreichen Arbeiten zur Selbststeuerung7 lo-gistischer Netze und Systeme zeigen Simulationen, die diesem Prinzip folgen, dass sich diese Form künstlicher Intelligenz zur echtzeitnahen Steuerung intralogistischer Systeme eignet. Im Rahmen des Forschungsprojekts „In-ternet der Dinge“ wurde durch umfangreiche Simulatio-nen nachgewiesen, dass die echtzeitnahe Steuerung auf Basis vereinheitlichter Umgebungen und eines Multiagen-tensystems möglich ist. Betrachtet wurde die Gepäckför-deranlage eines internationalen Flughafens. Das Simula-tionsmodell enthält ca. 150 verschiedene Aufgabe- und weitere ca. 100 Zielstellen für die Gepäckstücke. Insge-samt sind mehr als 2000 Agenten erforderlich, die an den einzelnen Entscheidungsstellen instanziiert werden, um die 18 000 Förderelemente des Systems zu steuern. Alle Agenten werden automatisch instanziiert. Die Codelänge beträgt weniger als 400 Zeilen. Es existiert keine zentrale Datenbank oder Entscheidungsinstanz. Die Topologie wird auto matisch aus dem Materialfl ussgraphen analysiert. Das individuelle Routing wird über eine Adaption des Dynamic Source Routing berechnet, die das (Agenten-)Netzwerk für jedes Gepäckstück mit Routinganfragen fl utet (vgl.: Johnson und Maltz 1996). Das Ergebnis dieser Simulation zeigt,

dass es möglich ist, komplexe und dynamische Anlagen mit Multi agentensystemen in serviceorientierten Umge-bungen zu steuern (Roidl und Follert 2007). Darüber hinaus und für die Zukunft der Intralogistik wahrscheinlich noch entscheidender, gelang der folgende Nachweis: Intralogis-tische Steuerungen können automatisch aus dem Material-fl ussgraphen instanziiert werden. Mit anderen Worten:

Die Programmierung einer intralogistischen Steuerung kann automatisch aus dem Layout der Materialfl usstech-nik generiert und gestartet werden.

Autonomie im Materialfl uss – Zellulare Trans-portsysteme

Die Grundprinzipien des Internets der Dinge und die dar-aus resultierenden neuen Formen agentenbasierter Steu-erung intralogistischer Systeme sind das Mittel der Wahl zur Beherrschung steigender Dynaxität und Komplexität. Alles deutet in Richtung standardisierter, kleinskaliger, re-petitiver Wirkelemente und Fahrzeuge, die sich autonom und interaktiv in den Distributionssystemen der Zukunft bewegen werden. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um stetige Fördertechnik handelt oder um vor-gegebene Linienführungen wie schienengeführte Fahr-zeuge, die „intelligente“ logistische Objekte tragen und in der Lage sind, selbstständig einer geänderten Topologie zu folgen. Zahlreiche Entwicklungen wie Multishuttle (Dematic), HDS (Beewen und Vanderlande Industries), OSR (Knapp et al.) zeigen, dass auch auf der physischen Materialfl ussebene die Dezentralisierung und autonome Interaktion Einzug hält. Schlussendlich ist der Gedanke naheliegend, dass die logistischen Objekte, die ihre Ziele und Missionen auf ihren RFID-Tags tragen, auch selbst-ständig zum Ziel fahren. Auch auf der physischen Ebene ist das Internet einmal mehr Vorbild der Entwicklung. Die organischen Wachstumsmöglichkeiten des Internets und einige Analogien zur Anwendungsdomäne zellularer Au-tomaten führten zur Bezeichnung zellulare Transportsys-teme. Betrachtet man deren Defi nition, so wird deutlich, wie kongruent sich die Gedanken zum serviceorientierten Design in der physischen Umsetzung widerspiegeln:

[…] Zellulare Transportsysteme ermöglichen intelligen-ten logistischen Objekten wie „Smart Items“ oder „Aware Objects“, sich innerhalb ihrer Domäne zu bewegen. Hierzu

Abb. 2: Agenten bei der Arbeit – Teil einer Agentenlandschaft im Materialflussgraphen einer großen Gepäckförderanlage

7 Der Begriff Selbststeuerung wurde wesentlich durch den gleichnamigen Sonderfor-schungsbereich 637 – Selbststeuerung logistischer Prozesse geprägt (z. B. Scholz-Reiter et al. 2007).

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110 Intralogistik – Auf dem Weg vom Prozess zum Service

fordern sie bzw. die durch sie instanziierten Agenten die Dienste (Web Services) an, die zur Überbrückung einer (Teil-)Strecke des Transportnetzwerks dienen. Die hierzu notwendige Ressourcenallokation erfolgt ebenfalls durch agentenbasierte Verhandlung.

Zellulare Transportsysteme sind „topologiefl exibel“. Die Anordnung der transporttechnischen Entitäten im Raum (das fördertechnische Layout) kann jederzeit geändert wer-den. Werden den (bewegten) logistischen Objekten „Mis-sionen“ und Strategien bzw. entsprechende Koeffi zienten implantiert, so verfolgen deren Agenten in der Kommunika-tion mit der Umgebung und untereinander ein Ziel. Die letzt-endlich gewünschte Emergenz im Sinne einer ressourcen-schonenden Zielerfüllung des Gesamtsystems ergibt sich durch Interaktion zwischen den intelligenten logistischen Objekten und der durch die transporttechnischen Entitäten gebildeten (serviceorientierten) Umgebung.

Die Zukunft der Intralogistik liegt in der Anerkennung einer nicht bis ins letzte Detail determinierbaren Welt. Das unabdingbare Paradigma der richtigen Ware zur richtigen Zeit wird der Maxime beste Produktivität bei maximaler Flexibilität und Zielerreichung weichen. Die deterministische Welt der stetigen Förder-, Sortier- und Verteiltechnik wird Gruppen von intelligenten, auto-nom interagierenden Fahrzeugen weichen. Mit anderen Worten wird die Intralogistik der Zukunft den Dingen Bei-ne machen. Denn wir leben – Gott sei Dank – in einer nicht deterministischen Welt!

Literaturverzeichnis

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Abb. 3: Zellulare Transportsysteme – Intralogistik der Zukunft

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Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik

Gerd Wolfram

Geschäftsführer der MGI Metro Group Information Technology

Die Metro Group wurde 2002 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.

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Dr. Gerd WolframJahrgang 1959Wolfram ist Geschäftsführer der MGI Metro Group Information Technology GmbH. Er leitet dort die Geschäftsbereiche Advanced Technologies und Finanzen. Der pro-movierte Diplom-Kaufmann sorgt für die Auswahl und den Einsatz neuer IT-Innovationen (Research and Innovation), richtet die Informa-

tionstechnologie im Metro-Konzern an den Unternehmenszielen aus (IT-Strategy) und ist dafür zuständig, Hard- und Software sowie IT-Dienstleistungen für die Metro Group zu beschaffen (IT-Procurement). Seit Mitte 2002 leitet er eines der innovativs-ten Projekte des Konzerns: die Metro Group Future Store Initia-tive. Wolfram arbeitet zudem in nationalen und internationalen Gremien, die sich für die Standardisierung von Logistik- und Warenwirtschaftsprozessen im Handel rund um das Thema Radiofrequenzidentifi kation (RFID) einsetzen, z. B. EPCglobal und GS1 Germany.

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Branche vor neuen Herausforderungen

Jedes Jahr setzt der deutsche Einzelhandel rund 390 Mrd. Euro um. Eine beeindruckende Summe, die etwa andert-halb Mal so groß ist wie der Bundeshaushalt. Dennoch hat die Branche keinen Grund zu jubeln. Denn die Kaufl ust der Deutschen ist weiterhin gebremst, die Marktbedingungen hierzulande sind deutlich schwieriger geworden als sie es noch vor zehn Jahren waren. Parallel dazu wandeln sich die Bedürfnisse der Verbraucher. Der moderne Kunde ist preisbewusst, gleichzeitig steigen seine Erwartungen an Qualität und Service – mit der Folge, dass die Margen für die Händler sinken.

Handelsunternehmen, die in diesem Umfeld auf Dauer erfolgreich sein wollen, müssen eine Vielzahl an Herausfor-derungen bewältigen. Dazu gehört, Geschäftsabläufe effi -zienter zu gestalten und Kosten zu reduzieren. Dabei steht immer häufi ger die eigene Prozesskette im Fokus. Denn Produkte legen einen weiten Weg zurück, bevor Händler sie in ihren Verkaufsregalen präsentieren können – vom Hersteller über Zwischenhändler, Distributionszentren bis in den Verbrauchermarkt. Zudem ist ein reibungsloses Zusammenspiel unterschiedlicher Verkehrsträger erforder-lich, damit die gewünschten Waren über Ländergrenzen hinweg pünktlich ihr Ziel erreichen.

Die Prozesskette bietet erhebliches Potenzial für Kos-teneinsparungen. Mithilfe eines verbesserten Supply Chain Managements können Unternehmen

• ihre Lagerbestände senken, • die Verfügbarkeit der Produkte in den Märkten erhöhen, • Prozesse beschleunigen, • Warenschwund verringern, • fl exibler auf die Anforderungen ihrer Kunden eingehen

und • gänzlich neue Dienstleistungen anbieten.

Komplexität der ProzesseWeit fortgeschritten ist die Evolution der Prozesskette in der Automobilindustrie. Die sogenannte Just-in-time-Produktion ermöglicht es den Unternehmen, Bauteile zum exakt geplanten Zeitpunkt direkt an das Monta-

geband zu liefern. Die Lagerhaltung entfällt dabei fast vollständig.

Von solchen Idealbedingungen, wie sie in der Auto-industrie herrschen, ist die Handelsbranche noch weit entfernt. Zwei Faktoren sind dabei ausschlaggebend. Erstens schwankt die Nachfrage der Verbraucher. Die Händler müssen die gewünschten Produkte stets ver-fügbar halten, um die Erwartungen ihrer Kunden zu er-füllen. Ist ein Artikel ausverkauft, greift der Verbraucher vielleicht zu einem Konkurrenzprodukt oder sucht direkt einen anderen Markt auf. Zweitens ist die Bandbreite der Produkte in der Konsumgüterwirtschaft erheblich. Vom Jogurtbecher bis zum Fahrrad – ein SB-Warenhaus bietet durchschnittlich rund 80 000 verschiedene Arti-kel an. An jedem Tag, zu jeder Zeit. Einige Waren haben zudem ein Mindesthaltbarkeitsdatum und müssen nach Ablauf aus den Regalen entfernt werden. Bei Frischepro-dukten ist es wichtig, die Kühlkette konsequent einzuhal-ten. Die Temperatur der Ware muss beim Transport auf einem konstant niedrigen Niveau sein, um die Qualität zu gewährleisten. Zudem gilt es, zahlreiche gesetzliche Anforderungen zu erfüllen. So müssen Unternehmen bei-spielsweise seit 2005 eine lückenlose Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln bis zum Hersteller beziehungsweise Erzeuger gewährleisten. Bei einem Qualitätsvorfall kann der Handel schnell reagieren und die Artikel gezielt aus dem Verkauf entfernen.

Für Handelsunternehmen kommt es also vor allem darauf an, die Transparenz entlang der Prozesskette zu erhöhen und das entscheidende Mehr an Informationen zu gewinnen. Nur so können sie ihre logistischen Abläufe optimal planen, steuern und kontrollieren.

Welche Waren- und Datenmengen dabei zu bewäl-tigen sind, wird am Beispiel der METRO Group deutlich. Der Handelskonzern ist mit seinen Vertriebsmarken Metro Cash & Carry, Real, Media Markt, Saturn sowie Galeria Kaufhof an rund 2400 Standorten in 30 Ländern vertre-ten. Täglich muss das Unternehmen auf eine Vielzahl an Marktgegebenheiten reagieren und millionenfach Ge-schäftsprozesse abwickeln.

Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik Gerd Wolfram

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Vorsprung durch Technologie

Logistik bedeutet also nicht nur, Waren von A nach B zu transportieren. Zu ihren zentralen Aufgaben gehört es, die produkt- und prozessbezogenen Informationen zu gewin-nen, zu verwalten und den an der Prozesskette beteilig-ten Unternehmen zugänglich zu machen. Seit Mitte der 1990er-Jahre setzt die Konsumgüterbranche dafür auf den sogenannten EAN-128-Standard. Dabei handelt es sich um ein Codierungsschema für logistische Einheiten, vergleichbar mit dem Barcode auf Produktverpackungen. Am Warenein- und -ausgang des Lagers erfassen die Mit-arbeiter die Informationen mithilfe eines Scanners. Der Vorteil: Die Daten sind einheitlich und können problemlos in EDV-Systeme übernommen werden. Der Standard hat bereits zu deutlichen Verbesserungen in der Prozessket-te geführt. So haben sich beispielsweise Arbeitsabläufe beschleunigt und Fehler treten seltener auf. Allerdings erfordert das Einscannen der Strichcodes weiterhin einen hohen manuellen Aufwand.

RFID – Vier Buchstaben für mehr Effi zienz Die METRO Group hat frühzeitig erkannt, dass zukunfts-weisende Technologien für effi zientere Arbeitsabläufe wesentlich sind, und treibt Innovationen im Rahmen der von ihr gegründeten Future Store Initiative gezielt voran. Die beteiligten Partner, darunter führende Unternehmen aus der Konsumgüterwirtschaft, der IT-Industrie und dem Dienstleistungssektor, entwickeln gemeinsam neue An-wendungen für die Handelsbranche. Im Fokus steht dabei der Nutzen für die Kunden. Ziel ist es, das Einkaufen in Zu-kunft noch angenehmer und erlebnisreicher zu gestalten sowie neue Services anzubieten. Zudem sollen mithilfe von Technologien vorhandene Prozesse künftig effi zienter gestaltet werden.

Eine große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Radiofrequenz-Identifi kation (RFID). Diese Technologie ermöglicht es, Objekte entlang der gesamten Prozesskette eindeutig und berührungslos per Funksignal zu identifi zie-ren. Herzstück von RFID ist der Transponder, ein winziger Computerchip mit Antenne. Eingebettet in ein Klebeetikett, lässt er sich auf logistischen Einheiten, beispielsweise Pa-letten oder Verkaufskartons, anbringen. Auf dem Chip ist ein Elektronischer Produktcode (EPC) gespeichert – eine Weiterentwicklung des EAN-Standards. Mithilfe eines RFID-Lesegeräts können Anwender den EPC berührungs-los und ohne direkten Sichtkontakt erfassen und mit dem Warenwirtschaftssystem abgleichen. Dort fi nden autori-sierte Nutzer zahlreiche prozess- und produktbezogene

Informationen, zum Beispiel Namen, Herkunft, Lagerort und Herstellungsdatum einer Ware. Erfasst ein Lesegerät den EPC entlang der Prozesskette, wird dieser Vorgang automatisch im Warenwirtschaftssystem registriert. So können Händler und Hersteller stets nachvollziehen, wo sich die Lieferung gerade befi ndet.

Welche Vorteile ergeben sich daraus für die Unter-nehmen? Der Handelskonzern kann vor allem den Waren-ein- und -ausgang erheblich beschleunigen. Das manuelle Einscannen des Barcodes auf den logistischen Einheiten entfällt ebenso wie aufwendige Zählungen. Die Bestände lassen sich automatisch über das Warenwirtschaftssys-tem kontrollieren. Damit wird die Datengenauigkeit im Warenwirtschaftssystem entscheidend verbessert. Denn bislang waren bei dem täglichen Warenaufkommen nur manuelle Stichproben möglich.

Konsumgüterherstellern hilft RFID, weil sie ihre Ka-pazitäten besser planen und Lieferengpässe vermeiden können. Mindert sich auf Seiten des Händlers der Be-stand, kann dieser unmittelbar reagieren und neue Ware bestellen. Der Hersteller hat wiederum die Möglichkeit, bedarfsgerecht zu produzieren.

Vorreiter im Handel Als eines der ersten Handelsunternehmen weltweit hat sich die METRO Group dazu entschieden, RFID in ihrer gesamten Prozesskette einzusetzen. Bereits 2004 starte-te sie dazu ein umfangreiches Pilotprojekt und führte die Technologie gemeinsam mit mehreren Industriepartnern an ausgesuchten Standorten in Deutschland ein. Ziel war es, bereits vorhandene Erfahrungen mit RFID in die Praxis zu überführen und zu prüfen, inwieweit die Technologie für die spezifi schen Anforderungen der Handelslogistik geeig-net ist. Insbesondere galt es, technische Beschränkungen zu überwinden, die einen fl ächendeckenden Einsatz von RFID erschweren. So gab es am Anfang Schwierigkei-ten, Transponder auf Produkten mit hohem Wasser- oder Metallanteil genau zu erfassen. Auch die Frequenzregu-lierungen in Europa waren zunächst noch unzureichend beziehungsweise uneinheitlich. In Deutschland standen zum Beispiel weniger Kanäle für den Funkverkehr zur Ver-fügung als erforderlich.

Standards als ErfolgsgarantParallel zur Einführung von RFID bei der METRO Group fand ein internationaler Standardisierungsprozess für die Technologie statt, maßgeblich vorangetrieben durch die Organisation EPCglobal. Die Mitgliedsunternehmen aus der IT-Branche und der Konsumgüterwirtschaft einigten

Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik

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117Gerd Wolfram

sich unter anderem auf Spezifi kationen für die Kommuni-kation zwischen Lesegerät und Transponder. Außerdem legten sie fest, wie der Elektronische Produktcode im Detail aufgebaut sein muss, damit er unternehmens- und länderübergreifend zum Einsatz kommen kann.

Mit der Verabschiedung des Standards EPC Class 1/Generation 2 Ende 2005 wurde eine erste Grundlage für einen fl ächendeckenden Einsatz von RFID geschaffen. Die Leistungsfähigkeit des Systems konnte im Vergleich zur Vorgängergeneration enorm gesteigert werden. So hat sich beispielsweise die Leserate verbessert und es können mehr Transponder gleichzeitig erfasst werden als zuvor. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Fort-schritt leistete auch das RFID Innovation Center, das die METRO Group in Neuss bei Düsseldorf eingerichtet hatte, um ihre Industriepartner bei der Einführung der Techno-logie zu unterstützen. Im angeschlossenen European EPC Competence Center (EECC) können interessierte Unter-nehmen Transponder testen, um optimale Lösungen für ihre spezifi schen Anforderungen zu ermitteln.

Auch das 2004 gestartete Pilotprojekt der MET-RO Group trug zu einer Verbesserung der Technologie und der notwendigen Prozesse bei. Mit dem Ergebnis, dass sich Transponder heute deutlich schneller und zuverlässi-ger auslesen lassen als zuvor. Die Erfahrungen der MET-RO Group und ihrer Partner belegten zudem das Potenzial von RFID. Eine Modelluntersuchung ergab, dass das Un-ternehmen schon bei einem begrenzten Einsatz der Tech-nologie in nur zwei Prozessschritten rund 8,5 Mio. Euro pro Jahr einsparen kann.

Vorzeigeprojekt für EuropaSeit die technologischen Voraussetzungen für einen fl ä-chendeckenden Einsatz gegeben sind, führt die METRO Group RFID seit Ende 2007 bundesweit ein. Derzeit sind alle Großmärkte der Vertriebsmarke Metro Cash & Car-ry, rund 100 Real SB-Warenhäuser sowie neun Läger des konzerneigenen Logistikdienstleisters MGL METRO Group Logistics in der Lage, mit Transpondern versehene Lieferungen in Empfang zu nehmen und in ihrem Waren-wirtschaftssystem zu verbuchen. Die MGL METRO Group Logistics liefert den Metro Cash & Carry Großmärkten zu-dem nur noch Paletten, auf denen Transponder angebracht sind. Darüber hinaus beteiligen sich rund 180 Konsumgü-terhersteller an der Einführung von RFID. Sie statten ihre für die METRO Group bestimmten Warensendungen eben-falls mit Transpondern aus und übermitteln die relevanten produkt- und prozessbezogenen Informationen per elek-tronischem Lieferavis an das Handelsunternehmen. Die

METRO Group setzt damit das europaweit größte RFID-Projekt in der Handelsbranche um.

Neue Perspektiven Ein zentraler Vorteil von RFID für alle an der Prozesskette beteiligten Partner: Sie können sämtliche Arbeitsabläu-fe ohne zeitliche Verzögerung direkt in die vorhandenen EDV-Systeme übernehmen und digital weiterverarbeiten. In der Konsumgüterwirtschaft setzt sich der elektronische Datenaustausch (EDI – Electronic Data Interchange) da-bei immer weiter durch. Wichtige Daten, beispielsweise Bestelllisten und Lieferscheine, werden nicht länger auf Papier, sondern auf elektronischem Wege übermittelt. Damit alle Partner das System gleichermaßen nutzen kön-nen, verwenden sie standardisierte Nachrichtenarten.

Aufbauend auf diesen seit Jahren genutzten EDI-Stan-dards kann der Einsatz von RFID Informationen liefern, die sich unternehmensübergreifend austauschen lassen. Damit wird es Geschäftspartnern ermöglicht, in Echtzeit auf die relevanten produkt- und prozessbezogenen Daten zuzugreifen, also genau dann, wenn diese erhoben wer-den: Passiert eine Palette mit Transponder ein RFID-Le-segerät, ist dieser Vorgang in Sekundenschnelle im Sys-tem verbucht. Das ermöglicht es den Unternehmen, die eigene Aktionsgeschwindigkeit nachhaltig zu verbessern und verzögerungsfrei auf externe sowie interne Änderun-gen zu reagieren. Die Vision des sogenannten Real Time Enterprise rückt dank RFID in greifbare Nähe: Unterneh-men können ihren Mitarbeitern die benötigten Informatio-nen in Echtzeit bereitstellen.

Im aktuell laufenden RFID-Projekt der METRO Group zeigt sich, welche Vorteile sich aus diesem Informations-vorsprung ergeben. So kann das Unternehmen Fehler in der Prozesskette sehr schnell aufdecken. Falsche Liefe-rungen, nicht vorhandene Lieferavise und unzureichende Produktdaten gehören künftig der Vergangenheit an. Am Computer entsteht ein genaues Abbild der Arbeitsab-läufe, das einen neuen Blickwinkel auf die eigene Pro-zesskette eröffnet. Wie gelangen die Waren vom Her-steller bis zum Wareneingang, und wie genau sieht der Weg dieser Waren innerhalb der eigenen Organisation aus? An welchem Standort im Lager befinden sich die Paletten, die für den Versand bestimmt sind? Wo müs-sen bestimmte Waren im Hochregal platziert sein, um möglichst kurze Wege sicherzustellen? RFID gibt eine Antwort auf diese Fragen, weil die Technologie einen neuen Blickwinkel auf bestehende Prozesse eröffnet und Schwachstellen aufzeigt. Der zentrale Vorteil be-steht also nicht allein darin, Prozesse zu beschleunigen.

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118 Auf dem Weg zur Prozesskette der Zukunft – RFID in der Handelslogistik

Vielmehr hilft RFID, weiteres Optimierungspotenzial auf-zudecken und zu erschließen.

Transparenz ohne GrenzenDie METRO Group engagiert sich auch über Europa hinaus für RFID. Denn die globalen Warenströme machen heute nicht vor Ländergrenzen Halt und haben ihren Ausgangs-punkt vielfach in Fernost.

Dieser Herausforderung begegnet das Handelsunter-nehmen mit seinem 2006 gestarteten Programm Advan-ced Logistics Asia (ALA). Dabei führt es die innovative Schlüsseltechnologie RFID entlang der weltweiten Pro-zesskette zwischen China und Deutschland ein. Ziel ist es, auch im globalen Handel mehr Effi zienz und Transparenz herzustellen.

Ein Baustein von ALA ist das Teilprojekt „Cross Bor-der Visibility“. Dabei stattet ein Logistikdienstleister im Süden Chinas ausgewählte, für die METRO Group be-stimmte Warensendungen mit Transpondern aus. Ein RFID-Warenein- und -ausgangstor erfasst die Lieferungen beim Versand und prüft sie automatisch auf Vollständig-keit. Im Anschluss gelangen die Pakete per Schiff nach Deutschland. Auch die Container sind mit Transpondern versehen und lassen sich so bei der Verladung im Hafen automatisch erfassen. In Rotterdam werden die Contai-ner auf ein Binnenschiff umgelagert, wobei eine erneute Kontrolle mittels RFID erfolgt. Erst dann gelangt die Ware auf dem Wasserweg nach Dortmund, wo sie auf einen Lkw verladen wird. Im METRO Group Distributionszent-rum in Unna wird die Lieferung wieder mithilfe von RFID auf Vollständigkeit geprüft. Der Händler weiß so jederzeit, an welcher Stelle der Prozesskette sich die Ware befi ndet und wann er mit der Lieferung rechnen kann.

Seit Anfang Juni 2007 statten ausgewählte chinesische Lieferanten ihre Warensendungen zudem direkt mit Trans-pondern aus. Sie nehmen am Pilotprojekt „Tag it easy“ teil, das sich an Industriepartner mit geringem Technisierungs-grad richtet. Die METRO Group stellt diesen Unternehmen vorproduzierte Transponder zur Verfügung, über die sich alle benötigten Informationen abrufen lassen. Die Herstel-ler müssen die Etiketten lediglich an ihre Waren anbringen und am Warenausgang mit einem Handlesegerät erfassen. Die METRO Group kann aus den Daten eine präzise Pack-liste erstellen, sodass sie bereits vor dem Eintreffen der Lieferung einen Überblick über deren konkrete Zusammen-setzung hat. Auch hier sorgt RFID für Transparenz und den entscheidenden Informationsvorsprung.

Die erste Bilanz des Programms ALA fällt positiv aus. Aufwendige Zählungen sind nicht mehr notwendig, folg-

lich können die Waren wesentlich schneller und einfacher an die Märkte in Deutschland verteilt werden. Es ist ge-plant, das Projekt sukzessive auszuweiten – ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer effi zienteren Prozesskette.

Ausblick: „The Future Value Chain“

Wie sieht sie also aus, die Prozesskette der Zukunft? Genau mit dieser Frage hat sich eine Arbeitsgruppe der Global Commerce Initiative (GCI) befasst, an der auch die METRO Group beteiligt war. Die GCI, ein Zusammen-schluss internationaler Konsumgüterhersteller und Han-delsunternehmen, hat in dem Ende 2006 veröffentlichten Berichtsband „The Future Value Chain“ eine Vision für das Jahr 2016 entwickelt. Danach wird sich die Zeit, die ein Produkt von der Entwicklung über die Herstellung bis zum Verkauf benötigt, deutlich reduzieren. Die nachfrageori-entierte Prozesskette wird Realität. Händler richten ihr Angebot künftig noch stärker nach den Bedürfnissen der Verbraucher aus. Sie wissen frühzeitig, welche Produkte zu welchem Zeitpunkt benötigt werden. Das Gleiche gilt für die Konsumgüterhersteller. Sie können künftig be-darfsgerecht produzieren und ihre Lagerhaltungskosten deutlich verringern. Die Prozesskette der Konsumgüter-wirtschaft von morgen nähert sich damit immer mehr der Just-in-time-Produktion der Automobilindustrie an.

Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung sind nach Ein-schätzung der GCI neue Technologien wie RFID und der Elektronische Produktcode. Mithilfe dieses übergreifen-den Datenstandards können Unternehmen Informationen austauschen und mögliche Probleme entlang der Prozess-kette lösen, bevor diese entstehen.

Neue Services im Verkaufsraum Mithilfe von RFID wird es Handel und Konsumgüterwirt-schaft außerdem möglich sein, ihren Kunden eine Fülle an Produktinformationen im Verkaufsraum zur Verfügung zu stellen. So lassen sich in einer Datenbank weitere Infor-mationen zu den Produkten hinterlegen, beispielsweise zu deren Inhaltsstoffen. Über Info-Terminals könnten die Kunden diese Angaben künftig über den auf den Trans-pondern hinterlegten EPC abrufen. Allergiker wüssten so beispielsweise sofort, welche Inhaltsstoffe ein Produkt enthält.

Der Einsatz von RFID bringt also nicht nur Vorteile in der Logistik, sondern auch im Verkaufsraum. Die MET-RO Group testet dies im Rahmen ihrer Future Store Initia-tive. In einer Filiale ihrer Vertriebsmarke Galeria Kaufhof in Essen hat das Handelsunternehmen dafür im Rahmen

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119Gerd Wolfram

eines Pilotprojekts rund 30 000 Textilien in der Herren-abteilung mit Transpondern versehen. Mithilfe der Tech-nologie lässt sich der Weg der Ware in der Filiale genau nachvollziehen – vom Wareneingang über die Verräumung in den Regalen bis hin zum Verkauf. Hat ein Kunde einen Artikel entnommen und anschließend in ein anderes Re-gal platziert, kann das Verkaufspersonal diesen mit einem Handlesegerät wieder auffi nden. Die Mitarbeiter wissen sofort, welche Produkte noch verfügbar sind und können Kunden entsprechend beraten.

Ein zentraler Bestandteil des Pilotprojekts sind au-ßerdem innovative Anwendungen, die dem Kunden auf Wunsch zusätzliche Informationen zu den Produkten bieten. So hat die METRO Group gemeinsam mit ihren Partnern ein Intelligentes Regal entwickelt. Integrierte Lesegeräte erfassen die Transponder der verfügbaren Artikel automatisch. Ein Display zeigt dem Kunden den Warenbestand an und listet die Produkte nach Farbe und Größe auf. Wer sich schon einmal erfolglos durch mehre-re Stapel Hosen gewühlt hat, wird diesen Komfort sicher zu schätzen wissen. Ein Blick genügt, um zu wissen, ob die eigene Größe vorhanden ist. Weitere Anwendungen sind der Intelligente Spiegel und die Intelligente Umklei-dekabine. Integrierte RFID-Lesegeräte erfassen hier die Transponder der gewählten Artikel und zeigen die für den Kunden relevanten Produktinformationen auf Bildschir-

men an, beispielsweise die Größe. Außerdem bekommt er Vorschläge für Kleidungsstücke präsentiert, die das Outfi t geschmackvoll ergänzen. Durch dieses sogenannte Cross-Selling kann der Händler Impulskäufe generieren. Anwendungen wie diese sind heute noch Zukunftsmusik und allenfalls im Rahmen von Pilotprojekten umsetzbar. Noch ist die Technologie zu teuer, um sie kostendeckend auf allen Artikeln einzusetzen. Entscheidend ist zudem, welche Services der Kunde wünscht und akzeptiert. Die METRO Group wird die Bedürfnisse der Verbraucher im Rahmen von Pilotprojekten auch weiterhin ermitteln und berücksichtigen.

Schlussbemerkung

Richtig eingesetzt leistet RFID weitaus mehr, als lediglich Produktinformationen zu übermitteln. Bei der Einführung der Technologie konzentriert sich die METRO Group folge-richtig nicht nur auf kurzfristig zu erzielende Prozessver-besserungen, etwa eine beschleunigte Warenannahme im Lager. Vielmehr hilft die Technologie dem Unterneh-men dabei, etablierte Prozesse in der Logistik infrage zu stellen und neu zu gestalten. So verstanden ist RFID die technologische Voraussetzung – die „enabling technology“ – auf dem Weg zu einer schlankeren, effi zienteren, trans-parenteren und sichereren Prozesskette.

Page 102: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

Stefan Wolff

Vorsitzender des Vorstandes der 4flow AG

Vorsitzender des Förderbeirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL)

Wendelin Groß

Berater und Doktorand 4flow AG

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Dr.-Ing. Stefan WolffJahrgang 1965Wolff ist seit 2000 Vorsitzender des Vorstandes der 4fl ow AG in Berlin, die Beratung und Software im Be-reich von Logistik und Supply Chain Management anbietet. Zuvor war er stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung und Partner der Zentrum für Logistik und Un-ternehmensplanung GmbH, einer

international tätigen Logistikberatung. Von 1989 bis 1994 war Wolff wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten, Bereich Logistik, Technische Universität Berlin, bei dem er 1994 auch promovierte. Er studierte Wirtschafts-ingenieurwesen an der TU Berlin. Daneben ist Wolff seit 1998 Lehrbeauftragter für Global Supply Chain Management an der Technischen Universität Berlin und engagiert sich ehrenamt-lich als Vorsitzender des Förderbeirates der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Wolff ist verheiratet und hat vier Kinder.

Wendelin GroßJahrgang 1977Groß ist seit dem Jahr 2006 bei der 4fl ow AG in Berlin angestellt, die Beratung und Software im Be-reich von Logistik und Supply Chain Management anbietet. Neben der Tätigkeit als Berater verfolgt er seine Promotion. Wendelin Groß studierte Wirtschaftsingenieurwe-sen im hochschulübergreifenden Studiengang von TU, Universität und HAW Hamburg.

Page 104: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Motivation und Zielsetzung

Die hohe Dynamik in Beschaffung, Produktion und Distri-bution industrieller Güter führt dazu, dass sich die Rah-menbedingungen für Logistiknetze kontinuierlich ändern (Baumgarten und Thoms 2002). Um die eigene Kosten- und Serviceposition im Wettbewerb zu sichern, müssen Unternehmen schnell auf die neuen Anforderungen re-agieren.

In der statischen Gestaltung wird das Logistiknetz-werk anhand von Durchschnittswerten logistischer Kennzahlen für einen längeren Zeitraum ausgelegt. Diese Methode reicht in einer sich rasch ändernden Umwelt mit sich ebenfalls ändernden Anforderungen an das Logistik-netzwerk nicht aus. Ziel der dynamischen Gestaltung ist deshalb das Erreichen der gewünschten logistischen Leis-tung bei minimalen logistischen Kosten durch die ständige Aktualisierung des Logistiknetzwerks.

Um die Komplexität und Dynamik logistischer Netz-werke zu beherrschen, wird in führenden Unternehmen das Konzept einer ganzheitlichen, unternehmensübergrei-fenden Logistik – teilweise auch unter der aus den USA stammenden Bezeichnung Supply Chain Management (SCM) – umgesetzt (Baumgarten 2004). Das Logistiknetz-werk eines Unternehmens oder eines Unternehmensver-bundes als Abbildung einer oder mehrerer Supply Chains muss dynamisch an geänderte Anforderungen angepasst werden, weil auch die Supply Chain ständigem Wandel unterworfen ist.1

Aus der Anforderung, das Logistiknetzwerk in einem permanenten Prozess an die geänderten Umweltbedin-gungen anzupassen, ist das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken entstanden. In kurzen Zeitabständen erfolgt hier ereignisgesteuert eine Neupla-nung von Teilen des Netzwerks unter Berücksichtigung der geänderten Anforderungen. Dadurch werden sowohl Kostenreduzierung als auch Kostenvermeidung – bezogen auf ein defi niertes Leistungsniveau – erreicht.

Da die steigende logistische Komplexität und die damit einhergehende Beanspruchung der Logistikplanung zu überproportionalem Wachsen der Planungskosten der Unternehmen führt, birgt der Prozess der Gestaltung und Planung darüber hinaus zusätzliches Potenzial zur Kosten-senkung (Wolff und Nieters 2002). Dieses Potenzial zu realisieren, indem die Planungsintervalle und damit die Häufi gkeit der Planungen fl exibel gestaltet werden, ist eine weitere Anforderung an die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken.

Die Gestaltungselemente der dynamischen Netzwerk-gestaltung beinhalten zum einen die Entscheidung über die Netzwerkstruktur, also Anzahl und Lage der Standor-te, und die funktionale Ausrichtung der Standorte, also die Werkebelegung und die Aufgabenverteilung im Netzwerk. Zum anderen umfassen die Gestaltungselemente alle Transportbeziehungen im Netzwerk, die Aufteilung des Warensortiments auf die zur Verfügung stehenden Stand-orte und die jeweiligen Bestandshöhen sowie die Ent-scheidung, welcher Standort von welchem vorgelagerten Zulieferer oder Lager versorgt wird (Allokation). Bei der Bewertung von Logistiknetzwerken müssen die beiden Komponenten Kosten und Leistung berücksichtigt wer-den, die einerseits den Erfolg der Planungsanstrengungen widerspiegeln und andererseits die Vergleichbarkeit ver-schiedener Netzwerkkonfi gurationen gewährleisten.

Ereignisse, die eine erneute Gestaltung des Logis-tiknetzwerks anregen, werden als Impulsgeber einer dynamischen Regelung aufgefasst. Diese können – in Abhängigkeit vom Anwendungsfall – beispielsweise durch Änderungen im Artikelsortiment oder durch die Erschließung neuer Märkte verursacht werden. Ebenfalls zu beachten sind Änderungen im originären Bereich der Logistik wie Preise oder neue Lieferanten.

Die dynamische Gestaltung logistischer Netzwerke ist als permanenter Prozess nicht denkbar ohne die Unter-stützung durch Werkzeuge der Informationstechnologie (IT), die in der Lage sind, zum einen die Abhängigkeiten zwischen den Gestaltungselementen zu berücksichtigen und zum anderen die Vielzahl an Impulsgebern zu überwa-

Dynamische Gestaltung von LogistiknetzwerkenStefan Wolff / Wendelin Groß

1 „A Supply Chain is a dynamic system that evolves over time.“ (Simchi-Levi et al. 2000, S. 3)

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124 Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

Abb. 1: Ebenen des Supply Chain Managements

Quelle: Wolff und Nieters 2002

Supply Chain Execution

Supply Chain Planning

Supply Chain Design

Supply Chain Monitoring

chen. Deshalb werden im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur dynamischen Gestaltung logistischer Netzwerke die Anforderungen an IT-Werkzeuge sowie deren Möglichkei-ten aufgezeigt.

Statische Gestaltung von Logistiknetzwerken

Die Gestaltung von Logistiknetzwerken hat in den ver-gangenen Jahrzehnten auch im Rahmen der zunehmen-den Verbreitung des Supply Chain Managements (SCM) an Bedeutung gewonnen. Übergeordnete Zielsetzung im SCM ist üblicherweise das Lösen des sog. Bullwhip- oder Forrester-Effekts2 (Göpfert 2002), der die Verstärkung von Bedarfsschwankungen entlang der Supply Chain be-schreibt.

In diesem Zusammenhang reicht das Spektrum ganz-heitlicher Logistik von rein operativen bis hin zu stra-tegischen Aufgabenstellungen. Da dies explizit auch unternehmensübergreifende Abläufe umfasst, ist die zwi-schenbetriebliche Logistik und damit die Gestaltung von Logistiknetzwerken folgerichtig ein zentraler Bestandteil des SCM (Cooper et al. 1997).

Die Aufgabenstellungen der Logistik umfassen im lang-fristig-strategischen Bereich das Supply Chain Design, im mittelfristigen Horizont das Supply Chain Planning und kurzfristig-operativ, auf der Ausführungsebene, die Sup-ply Chain Operations (Chopra und Meindl 2004), welche sich weiter in Supply Chain Execution sowie Supply Chain Monitoring unterteilen lassen (Abbildung 1). Im Folgenden wird die Gestaltung von Logistiknetzwerken als langfris-tig-strategische und mittelfristige Aufgabe entsprechend dieser Klassifi zierung aufgefasst. Damit wird der Ansatz auch den großen Wachstumspotenzialen des IT-gestütz-ten Netzwerkdesigns gerecht (Straube et al. 2005).

Die Gestaltung von Logistiknetzwerken wird bislang in aller Regel als statische Planungsaufgabe begriffen, die einmalig oder in relativ großen, meist mehrjährigen zeitlichen Abständen stattfi ndet. Das vorgesehene Pla-nungsintervall wird dabei – außer bei drastischen Verän-derungen – in der Regel nicht unterschritten, weil die im Supply Chain Design getroffenen Entscheidungen oftmals nur unter hohen Kosten zu ändern sind. Die Länge des Pla-nungsintervalls beträgt üblicherweise mehrere Jahre (Bo-wersox 2002; Chopra und Meindl 2004). In diesen Bereich fallen die Netzwerkstrukturplanung, die Entscheidung, welche Produkte an welchen Standorten gefertigt wer-den, und die funktionale Ausrichtung der Standorte.

Die mittelfristig ausgelegten Entscheidungen des Supply Chain Planning können im Gegensatz dazu durch den Einsatz zeitgemäßer Methoden und Software auch in kürzeren Intervallen unterhalb eines Jahres angepasst werden. Damit kann die Lücke zum Supply Chain Opera-tions geschlossen werden, das Zeiträume von Tagen und Wochen umfasst. Aus unternehmerischer Sicht ist es einerseits wünschenswert, sich wechselnden Bedingun-gen möglichst rasch anzupassen, um Kosten und Leistung des Logistiknetzwerks optimal zu gestalten, andererseits müssen der Planungsaufwand und die Kosten möglicher gestalterischer Eingriffe berücksichtigt werden. Mit dem Ansatz der statischen Gestaltung von Logistiknetzwerken gelingt die Lösung dieser Aufgabe nur unzureichend.

Das Vorgehen bei der Planung und Gestaltung von Lo-gistiknetzwerken ist ein formalisierter Prozess, der mit

2 Beschrieben u. a. bei Simchi-Levi et al. 2000

Abb. 2: Vorgehen und Planungsgrößen bei der statischen Gestaltung von Logistiknetzwerken

Generierung Planungsdaten

StammdatenPlanungsdaten

Defi nition & Visualisierung Netzwerkstruktur

Geografische StrukturAufgabenverteilung

Netzwerkbelegung

Sortimentbildung

Analyse, Optimierung, Simulation

AllokationBestände

Bewertung

SzenarienbildungVergleichsanalyse

Quelle: In Anlehnung an Wolff und Nieters 2002

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125Stefan Wolff / Wendelin Groß

dem Festlegen von Planungsverantwortlichen beginnt und mit dem Ergebnis einer Entscheidung auf Basis be-werteter Alternativszenarien endet. Dieser Ansatz ist in-sofern ganzheitlich, als dass sowohl Schritte durchlaufen werden, die dem Supply Chain Design zuzuordnen sind, als auch solche, die Bestandteil des Supply Chain Plannings sind (Abbildung 2).

Die fehlende Trennung zwischen diesen beiden Ebenen hat zur Folge, dass die Netzwerkgestaltung zum einen das SCM-Konzept bislang nicht ausreichend berücksichtigt und zum anderen die Dynamisierung und den Übergang zu einem permanenten Prozess nicht ausreichend unter-stützt, weil die Planungsintervalle bzw. -horizonte zu ver-schieden sind.

Es fi ndet also keine laufende Beobachtung bestimmter Kennzahlen statt, die eine Neuausrichtung des Netzwerks nötig erscheinen lassen. Dieser Nachteil wird im Konzept der dynamischen Gestaltung überwunden.

Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

Das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logis-tiknetzwerken begegnet den Anforderungen durch die sich kontinuierlich verändernden Rahmenbedingungen einerseits und durch die Kosten der Planungsanstren-gungen andererseits, indem die Wettbewerbsfähigkeit des Netzwerks zu jeder Zeit auf einem möglichst hohen Level gehalten wird. Die Wettbewerbsfähigkeit wird als

Abb. 3: Logistiknetzwerke verlieren mit der Zeit an Wettbewerbsfähigkeit (Beispieldarstellung)

Wettbewerbsfähigkeit des Logistiknetzwerks (relativ)

Zeitto

100 %

Kosten im Logistiknetzwerk (relativ)

Zeitto

100 %

Leistung des Logistiknetzwerks (relativ)

Zeitto

100 %

Aggregation

Page 107: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

126 Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

Kombination der beiden Bewertungskriterien logistischer Netzwerke, der Kosten sowie der logistischen Leistung im Sinne der Verfügbarkeit, der Termintreue, der Qualität und anderer kundenbezogener Kennzahlen verstanden.

Logistische Netzwerke sind im Zeitverlauf wachsenden Einfl üssen aus verschiedenen Richtungen unterworfen, die sowohl zu steigenden Kosten im Netzwerk als auch zu sinkender Leistung führen können. Das Auftreten dieser Einfl üsse ist in der Mehrheit stochastisch verteilt und ent-zieht sich der Antizipation im Rahmen der Gestaltung des Netzwerks. Ursache hierfür ist der Wandel der Entschei-dungsparameter, die für die erstmalige und fortlaufende Gestaltung des Netzwerks herangezogen werden.

Da diese Parameter nicht konstant sind, sondern sich zunehmend schnell verändern, kann auch das Netzwerk nicht dauerhaft optimiert oder ganzheitlich auf zukünftig zu erwartende Ereignisse und Entwicklungen ausgerich-tet werden.

Kosten und Leistung des Logistiknetzwerks ver-schlechtern sich deshalb in vielen Fällen im Zeitverlauf und die Wettbewerbsfähigkeit als Aggregation dieser beiden Größen sinkt (Abbildung 3).

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken ist es er-forderlich, dass logistische Netzwerke nicht als festste-hendes Element betrieblicher Planung begriffen werden, sondern als ein dem ständigen Wandel unterworfener, hochfl exibler Bestandteil der Gestaltung im Rahmen des Supply Chain Managements. Daraus folgt, dass das Netz-werk der Anpassung an neue Gegebenheiten bedarf.

Da die Auslöser, die Anpassungen erfordern, nicht vor-hersehbar sind, ist die sich in vorgegebenen regelmäßi-

gen Abständen wiederholende Gestaltung des Netzwerks nicht ausreichend um die Wettbewerbsfähigkeit des Netzwerks zu optimieren und gleichzeitig die Kosten für die Planung möglichst gering zu halten. Einerseits werden dadurch Neuplanungen angestoßen, die unter Berück-sichtigung der anfallenden Kosten nicht sinnvoll sind, und andererseits werden Auslöser nicht rechtzeitig in die Ge-staltung des Netzwerks umgesetzt.

Deshalb basiert das hier vorgestellte Konzept zur dy-namischen Gestaltung von Logistiknetzwerken auf der er-eignisgesteuert ausgelösten Neuplanung des Netzwerks ohne statisch vorgegebene Aktualisierungszyklen (Abbil-dung 4).

Das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistik-netzwerken ist zum einen von der statischen Gestaltung zu unterscheiden und zum anderen von verwandten An-sätzen abzugrenzen.

Die Einbeziehung von Ansätzen der dynamischen Ge-staltung in das Supply Chain Management ist nicht neu. Die ersten Überlegungen in diese Richtung wurden unter dem Begriff System Dynamics bekannt (Forrester 1958). Dabei werden kausale Beziehungen zwischen den ver-schiedenen Objekten eines Systems hergestellt, die der Interaktion dienen. Die Anwendungen im Supply Chain Management befassen sich jedoch nicht mit Design und Planung von Logistiknetzwerken, sondern lediglich mit deren operativem Betrieb (Sterman 2000).

Das Supply Chain Risk Management, das sich mit der Krisenplanung (Contingency Planning) befasst, hat zum Ziel, für eventuelle Risiken in der Supply Chain, wie etwa Umwelt- oder Prozessrisiken, frühzeitig und vorausschau-

Abb. 4: Statische und dynamische Gestaltung des Logistiknetzwerks zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit

Wettbewerbsfähigkeit des Logistiknetzwerks (relativ)

Zeitto t1 t2 t3

100 %

Wettbewerbsfähigkeit des Logistiknetzwerks (relativ)

Zeitto t1 t2 t3

100 %

Statische Planung Dynamische Planung

Page 108: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

127Stefan Wolff / Wendelin Groß

end Gegenmaßnahmen zu entwickeln (Mason und Towill 1998; Mayer 2007). Der Einfl uss auf die Planung und Ge-staltung der Netzwerke ist bei diesem Ansatz begrenzt, weil der Fokus stark auf einem einzelnen Unternehmen in der Supply Chain liegt und diese Sichtweise den Ansprü-chen einer hoch arbeitsteiligen Supply Chain nicht gerecht wird (Jüttner 2005).

Alternative Ansätze berücksichtigen zunehmend den operativen Betrieb des Supply Chain Execution (vgl. Ab-bildung 1) unter dynamischen Gesichtspunkten (Sarimveis et al. 2007), vernachlässigen es dabei aber, die Gestal-tung von Logistiknetzwerken als dynamischen Prozess zu begreifen und zu beschreiben.

Im Rahmen dieses Konzepts zur dynamischen Gestal-tung von Logistiknetzwerken wird im Folgenden defi niert, welches die Gestaltungselemente in der Logistikplanung sind, die an geänderte Bedingungen angepasst werden müssen. Zu berücksichtigen ist, dass sich die Entschei-dungen in der Netzwerkgestaltung gegenseitig beeinfl us-sen und die Planung der einzelnen Elemente deshalb nicht sequenziell, sondern simultan erfolgen muss.

Im Anschluss wird festgelegt, welches die Impulsge-ber für die ereignisgesteuerte Neuplanung des Netzwerks sind und wie diese mit den Gestaltungselementen in Ver-bindung gebracht werden.

Gestaltungselemente

Für die Defi nition relevanter Gestaltungselemente werden in Anlehnung an die oben vorgestellte Systematik in der statischen Gestaltung die Teilprozesse Supply Chain De-sign, Supply Chain Planning, Supply Chain Execution und Supply Chain Monitoring unterschieden, wovon die ers-

ten beiden der Gestaltung zuzurechnen sind, während die beiden Letzteren rein operative Aktivitäten sind. Aus der unterschiedlichen Fristigkeit der gestalterischen Prozesse Supply Chain Design und Supply Chain Planning ergeben sich zwei getrennte Regelkreise (Abbildung 5):

• Regelkreis 1 für die Gestaltungselemente des Supply Chain Planning;

• Regelkreis 2 für die Gestaltungselemente des Supply Chain Design.

Wie oben angeführt werden die Regelkreise durch Im-pulsgeber angestoßen, die im Rahmen des Supply Chain Monitorings erfasst werden.

Regelkreis 1 – das Kernstück der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken – umfasst die Gestaltungselemente Transport, Allokation, Sortiment und Bestände. Diese vier Elemente sind also neu zu gestalten, wenn Regelkreis 1 durch einen Impulsgeber angesprochen wird. Ihre Freiheitsgrade und die untergeordneten Planungsgrößen der Entscheidung werden im Folgenden dargestellt.

Regelkreis 2 umfasst die Gestaltungselemente Struktur und Aufgabenverteilung, die größeren Planungsaufwand erfordern und höhere Investitionen nach sich ziehen können und deshalb weniger häufi g angestoßen werden.

TransportDie Transportplanung verfolgt das Ziel, die Warenströ-me zwischen den Standorten im Netzwerk zu möglichst geringen Kosten zu realisieren. Dabei wird für jede Relati-on zwischen zwei Standorten festgelegt, welches Trans-portmittel in welcher Frequenz und zu welchem verfüg-baren Tarif am besten geeignet ist. Da sich die Relationen

Abb. 5: Dynamische Regelkreise und Gestaltungselemente

Durchführung der Prozesse

Gestaltung der TransporteGestaltung der AllokationGestaltung der SortimenteGestaltung der Bestände

Gestaltung der StrukturGestaltung der Aufgabenverteilung

Regelkreis 1

Regelkreis 2

Supply Chain Execution

Supply Chain Planning

Supply Chain Design

Supply Chain Monitoring Controlling (intrinsisch und extrinsisch)

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128 Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

überschneiden und Abhängigkeiten enthalten können, wird auch das Zusammenlegen mehrerer Relationen ge-prüft. Auf diese Weise können sich zum Beispiel ein sog. Milkrun, der mehrere Zulieferer eines Kunden der Reihe nach anfährt um Ware aufzunehmen, oder eine Transport-gestaltung mit kombinierten Pickup-and-Delivery-Touren als vorteilhaft herausstellen.

AllokationDer Begriff Allokation bezeichnet im Kontext dynamischer Gestaltung von Logistiknetzwerken die Verteilung der Wa-renströme auf die Relationen zwischen den geografi schen Standorten. In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass festgelegt wird, welches Regionallager oder welcher Produktionsort einen bestimmten Kunden versorgen soll. Bei der Planung der Allokation müssen die Transportkos-ten mit Fixkosten und Bestandskosten an den Standorten sowie weitere standortspezifi sche Kosten unter Berück-sichtigung der Vorgaben zum Servicelevel abgeglichen werden, um die beste Verteilung zu fi nden.

SortimentDie Planung des Sortiments umfasst die Entscheidung, wie das Artikelspektrum auf die verschiedenen Standorte aufgeteilt werden soll. So ist es in den wenigsten Fällen sinnvoll, Produkte oder Teile von hohem Wert, die selten nachgefragt werden, an allen Distributionsstandorten vorrätig zu halten. Stattdessen werden für diese höhere Transportkosten in Kauf genommen. Die Sortimentsent-scheidung wird ebenfalls auf Basis von Transport- und Standortkosten sowie dem geforderten Servicelevel ge-troffen.

BeständeDas kurzfristigste Gestaltungselement im Regelkreis 1 ist die Höhe der Bestände. Planungsgrößen im Gestaltungs-element Bestände sind artikelgruppenspezifi sche Vorga-ben zur Sicherheitsreichweite, die unter Beibehaltung der Versorgungssicherheit minimiert wird, Bestellrhythmen und -losgrößen sowie die optimale Nutzung der Kapazitä-ten in Wareneingang und Lager.

NetzwerkstrukturIn der Netzwerkstrukturplanung wird festgelegt, wie viele Stufen das Netzwerk hat, wie viele Standorte für die An-forderungen am besten geeignet sind und an welchen geo-grafi schen Orten die Standorte im Logistiknetzwerk liegen. Teil dieses Gestaltungselements ist auch die Auswahl von Lieferanten und deren Integration ins Netzwerk.

AufgabenverteilungDas Gestaltungselement Aufgabenverteilung enthält im Ergebnis die Entscheidung, welche Rolle den Standorten zugewiesen wird, also ob es sich im Fall eines Lagerstand-orts um ein Regionallager oder ein Zentrallager handelt, und welche Prozesse an welchem Standort des Logis-tiknetzwerks durchgeführt werden. Bei Fertigungs- und Montagestandorten ist dementsprechend die Werkebele-gung zu defi nieren, also welches Werk welche Produkte herstellt. In diesem Zusammenhang werden auch Lager- und Produktionskapazitäten an den einzelnen Standorten und für die jeweiligen Produkte bestimmt.

Impulsgeber für die dynamische Umgestaltung

Über die Impulsgeber wird in der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken die Ereignissteuerung realisiert. Dadurch ist der wichtigste Unterschied zu einer statischen Gestaltung gegeben, die eine Neuplanung entsprechend fest vorgegebener Zyklen anstrebt. Die Dynamik des Kon-zepts entspringt dem Verständnis der Netzwerkgestal-tung als kontinuierlicher, permanenter Prozess, der durch die Impulsgeber bzw. die ereignisgesteuerte Neuplanung Elemente eines Regelkreises abbildet.

Die Impulsgeber entsprechen teilweise den Einfl uss-faktoren, die für die Netzwerkgestaltung in jedem Fall herangezogen werden, sind aber nicht darauf beschränkt. Wichtigste intrinsische Impulsgeber sind Kosten und Leis-tung, die auch allgemein zur Bewertung des Logistiknetz-werks herangezogen werden. Sobald im Rahmen des Sup-ply Chain Monitoring (Controlling) deutlich wird, dass die Kosten des Netzwerks stetig oder sprunghaft ansteigen, ist einer der beiden o.g. Regelkreise anzustoßen und die entsprechenden Gestaltungselemente sind neu zu planen. Gleiches gilt für die Leistung: Wenn etwa die Verfügbar-keit von Produkten oder die Liefertreue im Netzwerk nicht mehr gewährleistet ist, muss dessen Gestaltung über-prüft werden (siehe Tabelle 1).

Neben diesen beiden zentralen Impulsgebern, die ex post aus den laufenden Prozessen gewonnen werden, werden auch strategische Einflussfaktoren integriert. Solche Einflussfaktoren können auch an anderen Stel-len im Unternehmen auffallen und sind als Hinweise für zukünftigen, absehbaren oder antizipierten, Wandel (ex ante) zu verstehen. Darunter fallen eigenbestimm-te und fremdbestimmte Faktoren, die in unterschiedli-chem Maß auf die beiden Regelkreise wirken und des-halb getrennt betrachtet und überwacht werden (siehe Tabelle 1).

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129Stefan Wolff / Wendelin Groß

Den Impulsgebern sind die beiden Regelkreise und damit die Gestaltungselemente zugeordnet, um einen Anhalts-punkt zu geben, welche Elemente in der dynamischen Gestaltung neu geplant werden müssen (Tabelle 2). Die genaue Zuordnung zwischen Impulsgebern und Gestal-tungselementen ist fallabhängig und muss jeweils spezi-fi sch bestimmt werden.

Die Auslöseschwelle der Impulsgeber, also die Ent-scheidung, wann ein Regelkreis angestoßen wird, ist als Teil des gesamten Vorgangs der dynamischen Netzwerk-gestaltung zu behandeln. Wie eingangs erwähnt (siehe Abbildung 4) ist nicht nur die Höhe des Impulses, also bei-spielsweise des Kostenanstiegs, zu berücksichtigen, son-dern auch die Wirkungsdauer. So sollte eine geringe, aber dauerhafte Steigerung der Kosten ebenso zur Neuplanung in der dynamischen Gestaltung führen wie ein kurzfristig starker Kostenanstieg.

Zentrale Anforderung bei der Bestimmung der Aus-löseschwelle ist es, unerwünschtes Schwingungsver-halten im Netzwerk zu vermeiden. Ereignisse wie ein kurzfristiger Kostenanstieg dürfen nicht dazu führen, dass beispielweise eigene Standorte eröffnet werden, die nach kurzer Zeit – wenn die Folgen des Ereignisses

vorüber sind – wieder geschlossen werden müssen. Die Gewährleistung, dass nur nachhaltige Struktureffekte berücksichtigt werden, ist teilweise durch die Konzeption zweier getrennter Regelkreise gegeben, muss aber in der Umsetzung stets um sinnvolle Auslöseschwellen ergänzt werden.

Umsetzung mit IT-Werkzeugen

Werkzeuge dienen im Supply Chain Management der Im-plementierung von Methoden und Techniken (Cigolini et al. 2004). Die Umsetzung der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken als Methode erfordert den Ein-satz von Informationstechnologie als Werkzeug, um die einzelnen Techniken für die Auslegung der Gestaltungs-elemente anzuwenden und deren komplexe Abhängigkeit zu bewältigen.

Dazu muss eine Software die oben eingeführten Ebe-nen des Supply Chain Managements – Supply Chain De-sign, Supply Chain Planning, Supply Chain Execution und Supply Chain Monitoring – modular aufgreifen, weil die An-forderungen an die Software grundlegende Unterschiede in den Ebenen aufweisen. Für die dynamische Gestaltung

Tab. 1: Impulsgeber für die dynamische Gestaltung (Beispiele)

Wettbewerbsfähigkeit des Netzwerks

Handlingkosten

Zölle und Steuern

Behälterkosten

Informationsaustausch

Anwendung neuer oder anderer Technologien in der Produktion

Verwendung neuer oder anderer Behälter

Auswahl neuer log. Dienstleister

Erschließung neuer Märkte

Lieferfähigkeit/ Verfügbarkeit

Lieferqualität

Lieferflexibilität

Informationsbereitschaft

Neue oder veränderte Anforderungen der Kunden an die Distribution

Verhalten der Wettbewerber

Bestandskosten

Transportkosten

Kosten

Fusion des Unternehmens oder Ausgliederung von Unternehmensteilen

Geänderte Wettbewerbs–strategie

Eigenbestimmt

Lieferzeit

Termintreue

Leistung

Politische und makroökonomische Ereignisse und Entwicklungen

Veränderung der verwendbaren Infrastruktur

Fremdbestimmt

Maßgebliche Rahmenbedingungen

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130 Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

von Logistiknetzwerken ist die operative Ebene des Supply Chain Execution von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist, dass die beiden Paradigmen Gestaltung des Logistik-netzwerks (Gestaltungsumgebung) und Überwachung der Impulsgeber (Monitoring) softwaretechnisch abgebildet werden (Abbildung 6).

Die beiden Regelkreise, die entsprechend den vorge-stellten Impulsgebern Planungsprozesse im Supply Chain Design bzw. Supply Chain Planning anstoßen, sollten in der Softwarelösung getrennt behandelt werden. Im Supply Chain Design wird unter Berücksichtigung aller verfügbarer Daten die optimale Entscheidung über Netzwerkstruktur und Aufgabenverteilung der Standorte ermittelt. Die Verfahren, die dabei zum Einsatz kommen, basieren auf analytischen oder simulativen Vergleichen verschiedener Szenarien, in welchen die Parameter unterschiedlich ausgeprägt sind, sowie auf Optimierungsalgorithmen. Bei der Optimierung kann bei vereinfachten Modellen der Realität meistens auf bekannte und erprobte Verfahren zurückgegriffen werden, für die Optimierung realitätsnah modellierter Netzwerke mit beispielsweise sprungfi xen Kostenelementen bedarf es jedoch spezifi scher, zum Teil gänzlich neuer Lösungen.

In der Praxis wird das Datenmaterial für langfristige Planungen oftmals nicht mit der gleichen Sorgfalt gepfl egt wie die Entscheidungsgrundlagen für die nahe und mittlere Zukunft, weil damit keine unmittelbaren Auswirkungen im Betrieb verbunden sind (Meixell und Wu 2004). Im Supply Chain Planning, das auf einer bereits bestehenden Netz-werkstruktur aufsetzt, sind deshalb in der Regel Daten besserer Qualität verfügbar. Die Neuplanung der Gestal-tungselemente im Supply Chain Planning sollte in einem geschlossenen Planungssystem erfolgen, weil diese Netz-werkentscheidungen in starker Abhängigkeit zueinander

stehen (Chopra und Meindl 2004). So ist die Ausgestaltung der Allokation nicht ohne Berücksichtigung der Entschei-dung zu den Standortsortimenten denkbar. Die Ermittlung der optimalen Lösung für die einzelnen Planungsgrößen er-folgt auch hier mit bekannten und erprobten Verfahren.

Eines der vorgestellten Gestaltungselemente im Supply Chain Planning sind die Bestände, die durch das Bestellver-halten und die Bestandspolitik an den Standorten bestimmt werden. Stellvertretend für die anderen Elemente wird im Folgenden gezeigt, wie die Disposition im Rahmen der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken durchge-führt wird, wenn ein Impulsgeber anzeigt, dass die Neupla-nung erforderlich ist.

Einfl uss auf die Bestandsführung in der Disposition nehmen artikelgruppenspezifi sche Informationen zum Lie-feranten, zum Kunden, zum Transport und zur Artikel- oder Sachnummer (siehe Abbildung 7).

Aus den Eigenschaften der Artikelgruppen wird in der Planung zielorientiert eine Dispositionsmatrix erstellt, die beispielsweise Sicherheitsreichweite und Lieferfrequenz abbildet. Anschließend werden die betrachteten Artikel-gruppen entsprechend der Matrix automatisch in Cluster eingeteilt und die Parameter der Bestandsführung können festgelegt werden. Diese sind Nachschubmenge, Sicher-heitsstrategie und -reichweite sowie das Auslösekriterium für die Bestellung.

Die Überwachung der Impulsgeber stellt die Geschlos-senheit der beiden Regelkreise sicher. Nur wenn die Neu-planung ereignisgesteuert ausgelöst wird, ist die Dynamik in der Netzwerkgestaltung sichergestellt. Da die Impuls-geber zu einem Teil in verschiedenen Softwareanwen-dungen erfasst und zu einem anderen Teil außerhalb der üblichen betrieblichen Datenerfassung und -verarbeitung

Tab. 2: Zusammenhang zwischen Impulsgrößen, Regelkreisen und Gestaltungselementen

Sinkende Wettbewerbsfähigkeit

Geänderte Rahmenbedingungen

Kategorie Regelkreis 1Gestaltung der TransporteGestaltung der AllokationGestaltung der SortimenteGestaltung der Bestände

Steigende Kosten

Eigenbestimmt

Sinkende Leistung

Fremdbestimmt

Impulsgröße Regelkreis 2Gestaltung der StrukturGestaltung der Aufgabenverteilung

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131Stefan Wolff / Wendelin Groß

erkannt werden, ist eine Software, die sowohl die Gestal-tungsaufgaben als auch die Überwachung aller Impulsge-ber leistet, kaum vorstellbar.

Diejenigen Impulsgeber, die sich aus der Wettbewerbs-fähigkeit des Netzwerks ergeben, die also an Veränderun-gen bei Kosten und Leistung zu erkennen sind, werden laufend oder permanent in den Steuerungstools erfasst und können in ein zentrales System zur Überwachung und Fortschreibung des „Kennzahlenbündels“ (Mayer 2007, S. 171) übertragen werden.3

Die Überwachung derjenigen Impulsgeber, die eine Än-derung der Rahmenbedingungen beschreiben, erfordert Mechanismen zur Verbreitung der Impulse, weil diese an einer Vielzahl unterschiedlicher Stellen im Unternehmen zuerst erkannt werden können. Dazu eignen sich Metho-den zur aktiven Verbreitung von Informationen, wie sie im Wissensmanagement entwickelt wurden.

In einer zentralen Schaltstelle, die über die Entschei-dungskompetenz zur Neugestaltung des Logistiknetzwerks verfügt, laufen alle Impulsgeber zusammen. Dort werden die Auslöseschwellen bzw. -werte hinterlegt und im Falle des Überschreitens werden die jeweils zuständigen Planer aufgefordert, Vorschläge zur Neugestaltung zu erarbeiten.

Generell ist also nicht erforderlich, dass alle Metho-den und Techniken in der dynamischen Gestaltung von Lo-gistiknetzwerken in einem Softwarewerkzeug erfolgen. Unabdingbar ist aber, dass die drei Ebenen Supply Chain Design, Supply Chain Planning und die Überwachung der Impulsgeber (Supply Chain Monitoring) in sich geschlos-

Abb. 6: Aufgaben von Softwarewerkzeugen in der dynamischen Gestaltung

Gestaltung der TransporteGestaltung der AllokationGestaltung der SortimenteGestaltung der Bestände

Gestaltung der StrukturGestaltung der Aufgabenverteilung

Regelkreis 1

Regelkreis 2

Supply Chain Execution

Supply Chain Planning

Supply Chain Design

Supply Chain Monitoring LeistungsfähigkeitRahmenbedingungen

Gestaltungsumgebung

Monitoring

Software

sen arbeiten, um die Abhängigkeiten innerhalb der Ebe-nen zu erfassen.

Fallstudie

Das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logis-tiknetzwerken wurde im Ersatzteilmanagement eines großen deutschen Industrieunternehmens erfolgreich umgesetzt. Aufgrund kontinuierlichen Wachstums war das Logistiknetzwerk an die Grenzen seiner Leistungs-fähigkeit gestoßen und die Anforderungen an die Per-formance (Impulsgeber) wurden nicht mehr erfüllt. Das Netzwerk wurde deshalb im ersten Schritt entsprechend Regelkreis 2 (Supply Chain Design) in seiner Struktur grundsätzlich neu geplant und im zweiten Schritt wur-den entsprechend Regelkreis 1 (Supply Chain Planning) die Transporte, Sortimente, Allokation und Bestände gestaltet.

Die Aufgabenstellung für das Logistiknetzwerk besteht in der Versorgung von Kunden in Europa mit Ersatzteilen innerhalb relativ kurzer Zeitspannen, weil die Kunden auf die schnelle Reparatur der Produkte angewiesen sind. Die Beschaffung der Artikel ist unabhängig davon, ob die Artikel im eigenen Unternehmen produziert oder fremdbe-schafft werden, und wird zentral gesteuert.

Auf Basis dieser Ausgangslage wurde die Ist- Situation im Unternehmen erfasst und mit geeigneten Werkzeugen im Modell abgebildet. Daraufhin wurde ein Soll-Konzept für die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken im Beispielunternehmen entworfen und anschließend imple-mentiert (Abbildung 8).

Die Gestaltungselemente im Soll-Konzept wurden da-bei wie folgt entwickelt:

3 Synonym werden die Bezeichnungen Push-Philosophie, Push-Strategie, Push-Prinzip und Information Push verwendet (Gentsch 1999; Probst et al. 1999).

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132 Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

• Aufgabenverteilung der Standorte im Netzwerk: Das Netzwerk wurde vierstufi g konzipiert. Die Lieferanten sind auf der ersten Stufe angesiedelt, auf der zweiten Stufe befi nden sich ein Zentrallager und ein Außenla-ger, auf der dritten Stufe eine Reihe von Regionallagern und auf der vierten Stufe die Kunden (beispielhaft in Abbildung 9).

• Netzwerkstruktur: Das Zentrallager wurde in Süd-deutschland angesiedelt, weil so alle wichtigen Regi-onen in gleichmäßig verteilter Entfernung liegen und bestehende Strukturen genutzt werden können. Das Außenlager wurde aus Kostengründen in Osteuropa angesiedelt. Um eine schnelle Belieferung der Kunden zu gewährleisten, wurden acht Regionallager in Europa verteilt.

• Transporte: Die Transporte zwischen Lieferanten, Zent-rallager, Außenlager, Regionallager und Kunden wurden kostenoptimal als Direktbelieferung, per Gebietsspedi-tion oder über einen Milkrun realisiert.

• Sortimente: Das Artikelspektrum in den Regionallagern und im Außenlager wurde entsprechend der Parameter „Pick-häufi gkeit“ und „geforderte Lieferzeit zum Kunden“ fest-gelegt. Diejenigen Artikel, die in einem Beispielzeitraum häufi g genug nachgefragt wurden und deren Lieferung innerhalb von 24 Stunden gewährleistet werden muss, werden in den Regionallagern vorgehalten. Im Außenlager werden analog Artikel bevorratet, die selten nachgefragt werden und unkritisch in der Lieferzeit sind. Das Zentralla-ger wird mit dem gesamten Sortiment bestückt.

• Allokation: Die Zuordnung der Kunden zu Lagerstand-orten wurde im hier beschriebenen Beispiel anhand der Entfernung und anhand regional spezifi scher Artikel festgelegt, die nur in einem Regionallager bevorratet werden.

• Bestände: Die Bestände bzw. deren Höhe in den Regio-nallagern wurde wie oben beschrieben gestützt auf die Clusterung und Parametrisierung des Sortiments reali-siert.

• Überwachung der Impulsgeber: Zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Netzwerks werden die Kosten und die Leistung kontinuierlich bestimmt und überwacht. Die Logistikkosten werden in einer Standardsoftware zur Logistikplanung erfasst, die Leistung anhand der Verfügbarkeit der Produkte für den Kunden und anhand der Termintreue festgestellt. Teilweise werden diese Informationen aus der CRM-Software (Customer Re-lationship Management) übernommen, die beim Unter-nehmen im Einsatz ist. Diejenigen Impulsgeber, die auf Änderungen der Rahmenbedingungen beruhen, werden überwacht, indem Mitarbeiter auf der Führungsebene aus Logistik, Produktion, Einkauf und Vertrieb die defi -nierten Impulsgeber regelmäßig gemeinsam prüfen und dokumentieren.

Der Erfolg der umgesetzten Maßnahmen zur dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken zeigt sich zum einen da-rin, dass die Anforderungen an das Netzwerk bezüglich Per-formance erfüllt werden und dass die Kosten im Vergleich zur vorherigen Gestaltung des Netzwerks um über 10 Pro-zent und die Bestände um über 15 Prozent gesenkt werden konnten, dass also die eingesetzten Planungsmethoden und -werkzeuge geeignet sind. Zum anderen wird auch die Überwachung der Impulsgeber erfolgreich praktiziert und hat einige Zeit nach der Implementierung bereits dazu ge-führt, dass Gestaltungselemente neu defi niert wurden.

Abb. 7: Einflussgrößen auf die Bestandshöhe

Transport Kunden

• Entfernung• Transporttarife

• Bedarfsschwankung• Planungsgenauigkeit

Bestandshöhe

• Wert• Anliefervolumen

Lieferant

• Liefertreue• Lieferzeit

Artikel- oderSachnummer

Abb. 8: Vorgehen bei der Umsetzung der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken

• Fehlteile• Hoher Flächenbedarf• Hoher Dispositionsaufwand• …

• Reaktives Netzwerkdesign• Geringe Reaktionsfähigkeit• Kaum Sortimentsbereinigung• …

• Aufgabenverteilung, Netzwerkstruktur• Transporte, Sortimente, Allokation, Bestände• Überwachung der Impulsgeber

• Dynamische Gestaltung des Logistiknetzwerks

Impuls

IST-Situation

SOLL-Konzept

Implementierung

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133Stefan Wolff / Wendelin Groß

An diesem Fallbeispiel wird deutlich, dass das Konzept der dynamischen Gestaltung von Logistiknetzwerken in der Praxis eines großen Unternehmens des produzieren-den Gewerbes erfolgreich eingesetzt wird.

Neben der vorgestellten Distribution von Ersatzteilen ist die Anwendung der dynamischen Gestaltung von Lo-gistiknetzwerken in allen Unternehmen in Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsnetzwerken möglich und erfolgversprechend, wenn grundlegende Voraussetzun-gen wie ein großes Spektrum an Artikelgruppen, hinrei-chend komplexe Produktionsstrukturen und ausreichender Materialumsatz erfüllt sind.

Zusammenfassung und Ausblick

Die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken ist ein neu entwickeltes Konzept, das die Unzulänglichkeiten der bestehenden, langfristig orientierten Gestaltungsansätze überwindet, indem die Netzwerkgestaltung als kontinu-ierlicher Prozess und nicht als sporadisch auftretender, jeweils einmaliger Vorgang aufgefasst wird. Die Gestal-tungselemente Netzwerkstruktur und Aufgabenvertei-lung der Standorte im Netzwerk als Elemente des Supply Chain Design sowie Transporte zwischen den Standorten, Sortimente an den Standorten, die Allokation der Waren-ströme und die Bestände als Elemente des Supply Chain

Planning werden ereignisgesteuert neu gestaltet. Dazu werden Impulsgeber aus dem Unternehmen und aus der Umwelt überwacht und in zwei Regelkreise integriert, die sicherstellen, dass die Neugestaltung nur diejenigen Elemente umfasst, die von den geänderten Rahmenbedin-gungen betroffen sind. So werden hohe Kosten für häufi -ge Neuplanung vermieden.

Die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken ist auf den Einsatz anforderungsgerechter IT-Werkzeuge an-gewiesen, weil die Komplexität der Netzwerke und ihrer Gestaltungselemente ohne Softwareunterstützung nicht zu bewältigen ist.

In einem Fallbeispiel wurde die erfolgreiche Imple-mentierung des Konzepts gezeigt und dadurch deutlich gemacht, dass die Umsetzung auch in anderen Anwen-dungsfällen anzustreben ist. Die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken leistet einen Beitrag zur Wettbe-werbsfähigkeit von Industrieunternehmen, indem die Er-füllung der Kundenanforderungen an eine leistungsfähige, sich permanent wandelnde Logistik bei möglichst gerin-gen Kosten sichergestellt wird.

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Abb. 9: Beispiel für die dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken mit IT-Unterstützung

(Distributionsnetzwerk für Artikel eines Lieferanten)

Außenlager

Planung von Beständen im Zentrallager

Gestaltung von Lagerfl ächen im Zentrallager

Zentrallager

Regionallager

Beispiellieferant

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134 Dynamische Gestaltung von Logistiknetzwerken

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Naturinspirierte Verfahren in der Informatik –Anregungen für die Logistik

Stefan Fischer

Professor für Praktische Informatik und Leiter des Instituts für Telematik an der Universität zu Lübeck

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Prof. Dr. Stefan Fischer Jahrgang 1967Fischer ist seit 2004 Professor für Praktische Informatik und Leiter des Instituts für Telematik an der Univer-sität zu Lübeck. Er studierte Wirt-schaftsinformatik an der Universität Mannheim und promovierte dort im Jahr 1996 in Informatik. Nach einem Postdoc-Aufenthalt in Montreal, Ka-nada, wurde er 1998 Assistant Pro-

fessor für Informationssysteme an der International University in Bruchsal. Im Jahr 2001 wechselte er auf eine Professur für verteilte Systeme an der TU Braunschweig und im November 2004 schließlich an die Universität zu Lübeck. Er beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die die zunehmend allgegen-wärtige Verfügbarkeit von Rechensystemen und Kommunikati-onsmöglichkeiten mit sich bringt. Aktuelle Forschungsprojekte beschäftigen sich vor allem mit dem Gebiet der drahtlosen Sensornetze.

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Einführung

Seit einiger Zeit ist das Phänomen zu beobachten, dass virtuelle und reale Welt immer stärker miteinander verschmelzen. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die explosionsartige Verbreitung des Internets und des WWW in allen Bereichen des Lebens, die verstärkt wird durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Rechnern, die immer kleiner, aber auch immer leistungs- und kommu-nikationsfähiger werden. Notebooks und Personal Digital Assistants bilden nur den Anfang; die Informatik befasst sich in Gebieten wie Ubiquitous Computing oder „Draht-lose Sensornetze“ inzwischen mit sehr viel durchdringen-deren Technologien, die gleichsam in die reale Welt einge-woben werden und in ihr verschwinden. Mussten früher viele Benutzer einen Computer teilen, so stand spätestens Anfang der 90er Jahre jedem Benutzer ein eigener Rech-ner zur Verfügung; heute ist jeder Mensch zumindest in den Industrienationen von einer Vielzahl von Prozessoren umgeben, ohne diese überhaupt noch als solche wahr-zunehmen.

Während sich durch diese Entwicklung eine Vielzahl neuer Anwendungsmöglichkeiten ergibt, steigt gleichzei-tig die Komplexität solcher Systeme in einem erheblichen Ausmaß. Auf der einen Seite müssen sehr viel mehr Gerä-te administriert und miteinander koordiniert werden, die auf der anderen Seite über sehr viel weniger Ressourcen verfügen als traditionelle IT-Komponenten wie PC, Router oder Großrechner. Noch dazu sind diese Geräte vielfach nicht mehr in einer laborähnlichen Umgebung wie einem Büro angesiedelt, sondern sie befi nden – und bewegen – sich zum Teil in einer fremden und unkontrollierbaren Um-gebung. Dies hat zur Folge, dass die in der Informatik seit Jahrzehnten entwickelten Methoden zur Organisation von IT-Systemen bei solchen Varianten nicht mehr greifen – oftmals scheitert es allein schon daran, dass ein in einem unzugänglichen Gebiet ausgebrachtes Überwachungssys-tem schlicht nicht von einem Systemadministrator bear-beitet werden kann.

Zur Lösung dieses Problems entwickelt die Informatik seit einiger Zeit neue Ideen, Algorithmen, Protokolle und Mechanismen, die auf einer Beobachtung und Umsetzung

biologischer Phänomene und Verfahren basieren, welche durch den Selektions- und Evolutionsprozess entstanden sind. Lebewesen jeglicher Art sind in der Lage, ohne frem-den Einfl uss in einer unbekannten bis feindlichen Umge-bung zu überleben. Mit der Realisierung von Systemen mit lebensähnlichen Eigenschaften versucht die Informatik, diese Überlebensstrategien auf technische Systeme zu übertragen.

In diesem Beitrag sollen die wichtigsten biologisch ins-pirierten Methoden zur Koordination komplexer verteilter IT-Systeme vorgestellt werden. Insbesondere betrachtet der Beitrag das Thema Selbstorganisation bzw. allge-meiner die sogenannten „Selbst-X-Eigenschaften“, die in vielen heutigen Ansätzen die entscheidende Rolle spielen. Der Beitrag stellt mit „Organic Computing“ einen dieser Ansätze etwas genauer vor und geht außerdem auf das Thema Schwarmintelligenz ein, das ebenfalls auf Selbst-X-Eigenschaften aufbaut. Am Ende des Beitrags werden Vorschläge diskutiert, wie die Erkenntnisse der Informatik auf Anwendungsbereiche wie die Logistik übertragen werden bzw. diese inspirieren können.

Biologisch inspirierte Verfahren in der Informatik

Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich die Informatik mit biologisch inspirierten Verfahren, um robustere Sys-teme im obigen Sinne zu erzeugen. Dieser Beitrag wird später Selbstorganisation und Schwarmintelligenz in den Vordergrund stellen, zunächst soll aber hier ein kurzer Überblick über andere Verfahren gegeben werden.

Der wohl bekannteste und älteste Ansatz ist der der Neuroinformatik, künstliche neuronale Netze zu entwi-ckeln, die nach einem Lernprozess in der Lage sind, an-hand gegebener Eingangsmuster Objekte zu klassifi zieren bzw. gelernten Mustern zuzuordnen. Initiale Arbeiten fanden hier bereits in den 1940er Jahren statt (McCulloch u. Pitts, 1940).

In den 1960er Jahren entstand gleichzeitig in meh reren Arbeitsgruppen der Ansatz der evolutionären oder

Naturinspirierte Verfahren in der Informatik –Anregungen für die LogistikStefan Fischer

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Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik140

genetischen Algorithmen. Diese Verfahren orientieren sich an der natürlichen Evolution: Es werden zufällig neue Generationen von Algorithmen erzeugt und daraufhin be-wertet, wie gut sie das Problem lösen. Die besten Ver-sionen dienen als Basis für weitere Veränderungen. Eine Übersicht über dieses Gebiet fi ndet sich in (Fogel 1998).

Künstliche Immunsysteme erfreuen sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts großer Beliebtheit in der wissen-schaftlichen Welt. Man versucht mit solchen Systemen, das natürliche Immunsystem und seine Funktionen nach-zuahmen. Anwendungen fi nden sich vor allem im Bereich der Computersicherheit, in der man versucht mithilfe künstlicher Immunsysteme Eindringlinge abzuwehren und zu bekämpfen. Eine Übersicht über gängige Ansätze fi ndet sich in de Castro u. Timmis (2002).

Die Vorgehensweise all dieser Verfahren lässt sich insofern verallgemeinern, als der Programmierer nicht mehr wie bei der imperativen Programmierung jeden ein-zelnen Berechnungsschritt vorgibt, sondern das System sich selbstständig entwickeln lässt. Um diese Vorgehens-weise zu präzisieren, geht der nächste Abschnitt auf die sogenannten „self-x“- bzw. „Selbst-X-Eigenschaften“ eines Systems ein. Diese zu erreichen ist das Ziel vieler biologisch inspirierter Verfahren, von denen im darauf-folgenden Abschnitt die Schwarmalgorithmen vorgestellt werden. Das Kapitel schließt mit einer kurzen Vorstellung eines konkreten Projektansatzes der deutschen Informa-tik, dem Organic Computing.

Selbst-X-Eigenschaften

Im Mittelpunkt der Überlegungen zu den sogenannten Selbst-X-Eigenschaften steht der Begriff des autonomen Systems. Ein autonomes System ist ein System, das sich bei der Erbringung seiner Funktionalität autonom verhält, d. h., es wird nicht von einem Administrator gesteuert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dem System keine Ziel-vorgaben gemacht werden; vielmehr versucht das System selbstständig, die vom Administrator vorgegebenen Ziele zu erreichen. Autonome Systeme zeichnen sich durch eine gewisse Lernfähigkeit aus, durch die ihnen eine vernünfti-ge Reaktion auf unbekannte Situationen ermöglicht wird. Eine zentrale Annahme besteht darin, dass autonome Sys-teme keine Kenntnis über den Gesamtzustand des Sys-tems haben, sondern ihre Entscheidungen rein basierend auf lokal verfügbaren Informationen treffen.

Wie oben schon erwähnt kann man die gewünschten Fertigkeiten eines solchen autonomen Systems unter dem Begriff „Selbst-X-Eigenschaften“ zusammenfassen.

Allgemein beschreibt eine Selbst-X-Eigenschaft eines Systems seine Fähigkeit, eine bestimmte Leistung selbst-ständig, d. h. ohne externen Eingriff zu erbringen. Im Rah-men der später noch detaillierter beschriebenen Organic-Computing-Initiative wird auf www.organic-computing.deeine Vielzahl von Selbst-X-Eigenschaften genannt (mit ih-ren englischen Bezeichnungen): self-monitoring, self-op-timizing, self-healing, self-manageable beziehungsweise self-managing, self-confi guring, self-protecting, self-ex-plaining, self-adaptating, self-organizing und self-stabili-zing. Viele dieser Begriffe sind inhaltlich stark miteinander verwandt beziehungsweise voneinander abhängig, sodass sich eine Zusammenfassung in wenige Begriffe anbietet, wie dies etwa in (Jaeger et al., 2007) vorgenommen wird:

• Unter Selbstkonfi guration werden Mechanismen ver-standen, mit deren Hilfe ein System einen Kontrollpa-rameter selbstständig anpassen kann.

• Selbstorganisation versetzt ein System in die Lage, selbstständig seine eigene Struktur zu verändern, um eine Selbstkonfi guration vorzunehmen.

• Mit Selbststabilisierung wird die Eigenschaft eines Systems bezeichnet, (1) ausgehend von einem belie-bigen Zustand einen als akzeptabel defi nierten Zustand in beschränkter Zeit zu erreichen und (2) einen als ak-zeptabel defi nierten Zustand selbstständig zu erhalten.

• Mit Selbstheilung wird die Eigenschaft eines Systems bezeichnet, ausgehend von einem als nicht-akzeptabel defi nierten Zustand einen als akzeptabel defi nierten Zustand in beschränkter Zeit zu erreichen.

• Um überhaupt feststellen zu können, ob sich das System in einem akzeptablen oder nicht-akzeptablen Zustand befi ndet, muss es selbst beobachtend sein.

Da alle autonomen Systeme selbstständig handeln, ist nicht von vornherein klar, welches Verhalten das Gesamt-system aufweisen wird. Tatsächlich kann es sein, dass dieses Verhalten sich aus der Betrachtung aller Einzelsys-teme nicht ablesen lässt. Ein solches Verhalten bzw. eine solche nicht vorhersagbare Eigenschaft bezeichnet man als emergentes Verhalten bzw. emergente Eigenschaft. Vielfach ist diese Emergenz bei Informatiksystemen er-wünscht, wenn auch sinnvollerweise Einschränkungen bzgl. der Freiheitsgrade des emergenten Prozesses ge-macht werden. So wird man etwa häufi g Mechanismen einbauen, um die Abläufe stoppen zu können, die die emergente Eigenschaft erzeugen.

Allgemein versucht man, durch die Realisierung von Selbst-X-Eigenschaften wünschenswerte Eigenschaften

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Stefan Fischer 141

von Systemen wie Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit oder Robustheit zu erreichen. Beispielsweise sorgt die Einbe-ziehung rein lokaler Informationen in den Entscheidungs-prozess eines einzelnen autonomen Systems dafür, dass schwerwiegende Fehler in anderen Systembereichen sich nicht katastrophal auswirken.

Schwarmintelligenz

Eine zurzeit im Fokus des wissenschaftlichen Interesses stehende Umsetzungsform biologischer Algorithmen sind die sogenannten Schwarmalgorithmen. Sie basie-ren auf Verhaltensprinzipien natürlicher Schwärme. Nach (Kennedy et al., 2001) versteht man unter einem Schwarm eine beliebige Ansammlung lose strukturierter, interagie-render Agenten. Ein Schwarmsystem ist eine Menge von Individuen (Agenten), die in der Lage sind, sowohl mit-einander als auch mit der Umgebung zu kommunizieren und zu interagieren. Dabei verändern sie die Umgebung oder die Population selbst. Die Individuen des Schwarms sind dabei im Prinzip autonome Systeme, die in der Lage sind, zumeist einfache Aktionen durchzuführen. Erst durch die Interaktion und dadurch entstehende Kooperation der Individuen entsteht ein neues emergentes Verhalten, man spricht dann insgesamt von Schwarmintelligenz (Beni u. Wang, 1989). Wurden damals zunächst zelluläre Roboter mit diesem Begriff benannt, so beschreibt er heute das Verhalten bzw. Ergebnis von Algorithmen, deren Funk-tionsweise dem kollektiven Verhalten sozialer Organis-men wie Menschen, Fischen, Bienen oder Ameisen nach-empfunden ist.

Schwarmalgorithmen werden vor allem zur Lösung von Optimierungsverfahren eingesetzt, indem mithilfe lokaler Aktionen lokale Lösungen erzeugt werden, aus denen eine Gesamtlösung entsteht. Individuen lernen aus den kom-munizierten Erfahrungen anderer und modifi zieren darauf-hin ihr eigenes Verhalten.

Einer der bekanntesten Schwarmalgorithmen ist die Ant Colony Optimization (ACO). Hier werden Agenten eingesetzt, die dem Verhalten von Ameisen nachemp-funden sind. Auf der Futtersuche markieren Ameisen mit Geruchsstoffen, sogenannten Pheromonen, ihren Weg. Je besser die Futterquelle ist, desto mehr Pheromone schei-det die Ameise auf dem Rückweg zum Nest aus. AndereAmeisen orientieren sich an den Geruchsstoffen und folgen dem gefundenen Weg zur Futterquelle, wobei sie auch wieder Pheromone ausscheiden. Dadurch verstärkt sich der Anreiz für weitere Ameisen, dem Weg zu folgen. Ist die Futterquelle erschöpft, verdampfen die Pheromone mit der Zeit, sodass der Weg nicht mehr als attraktiv er-kannt wird und die Ameisen nach neuem Futter suchen.

Der ACO-Algorithmus wurde erfolgreich zur Lösung des Kürzeste-Wege-Problems eingesetzt. Gibt es meh-rere Wege zum Ziel (also der Futterquelle), dann kehren die Ameisen über den kürzeren Weg natürlich schneller zum Nest zurück als über den längeren. Dadurch erhöht sich die Konzentration der Pheromone auf dem kürzeren Weg schneller und mehr Ameisen verwenden ihn. Die-ser Algorithmus bzw. das zugehörige Zwei-Brücken-Ex-periment wurde in (Goss et al., 1991) vorgestellt. Einen Eindruck von der Funktionsweise gibt Abbildung 1, in der der Großteil der Ameisen den direkten Weg von der

Abb. 1: Kürzeste-Wege-Suche mit Ameisenalgorithmen

Ameisennest

Futterquelle

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Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik142

Futterquelle zum Bau verfolgt; dies wird durch die hohe Pheromonkonzentration auf diesem Weg erreicht.

Ameisenalgorithmen werden generell vor allem zur Lösung kombinatorischer Optimierungsprobleme einge-setzt. Einen guten Überblick über existierende Ameisen-Algorithmen gibt (Dorigo u. Stützle, 2004).

Eine zweite Gruppe von Algorithmen basiert auf dem Verhalten von Bienen. Im Gegensatz zu Ameisen kom-munizieren Bienen direkt miteinander und nicht über das Hinterlassen von Informationen in der Umgebung. Bienen verwenden drei Arten von Tänzen, um anderen Individuen Informationen über Nahrungsquellen bzw. notwendige Organisationsänderungen zukommen zu lassen. Dabei be-obachten Bienen, die auf der Suche nach einer Nahrungs-quelle sind, immer mehrere Tänzerinnen und wählen dann jeweils zufällig eine aus, deren Anweisungen sie folgen. So werden immer mehrere Nahrungsquellen erschlossen.

Eine interessante Anwendung für solche Algorithmen wurde in (Nakrani u. Tovey, 2004) beschrieben. Die Autoren setzen Agenten ein, die sich entsprechend dem oben be-schriebenen Schema verhalten, um die Lastverteilung auf einem Cluster von Web-Servern durchzuführen. Der Algo-rithmus soll entsprechend den veröffentlichten Ergebnissen anderen Algorithmen um bis zu 50 Prozent überlegen sein.

Neben diesen (und noch weiteren) heute schon reali-sierten Verfahren inspiriert die Schwarmintelligenz Wis-senschaftler wie auch Romanautoren zu sehr viel weiter reichenden Visionen. So wurde etwa in Berkeley die Idee des „Smart Dust“ entwickelt (Kahn et al., 1999). Die Vision geht davon aus, dass Rechnersysteme immer kleiner und leichter werden und sich irgendwann wie Staub praktisch unsichtbar in der Luft bewegen können und dennoch in der Lage sein werden, miteinander zu kommunizieren. Inzwi-schen ist man bei Geräten mit einem Volumen von ca. 1 cm3 angekommen. In einem Aufsehen erregenden Artikel be-schrieben (Zambonelli u. Mamei, 2002), welche Herausfor-derungen zu bewältigen seien, um eine Tarn kappe im Sinne der Nibelungensage zu implementieren. Eine wesentliche Rolle spielen kleinste Objekte, die Kameras und Bildschir-me vereinigen und mit ihren Pendants auf der anderen Seite des Mantels interagieren. Noch sehr viel stärker in den Bereich der Fiktion gehen Romanautoren wie Stanis-law Lem in seinem Buch „Der Unbesiegbare“ oder Micha-el Crichton in „Prey“, in denen angriffslustige künstliche Schwärme den Menschen das Leben zur Hölle machen.

Der nun folgende Abschnitt beschreibt zum Abschluss der Betrachtung biologisch inspirierter Verfahren eine weit beachtete deutsche Forschungsinitiative, das Orga-nic Computing.

Organic Computing

Die Organic-Computing-Initiative (OCI) geht von der an-fangs schon erwähnten Prognose aus, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft von einer Vielzahl von Geräten (auto-nomen Systemen im obigen Sinne) umgeben sein werden, von denen ein Großteil miteinander interagiert. Selbstver-ständlich wird es weder genügend Personal geben, um die-se Geräte zu betreuen, noch wird diese Betreuung möglich bzw. gewünscht sein. Die Systeme müssen also genau die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Selbst-X-Eigen-schaften aufweisen, um in ihrer Umwelt zu „überleben“ und die entsprechend gewünschten Dienste zu erbringen. Die Mission der OCI besteht deshalb darin, Systeme zu bau-en, die diese Eigenschaften besitzen und damit ihre Aufga-ben in robuster, sicherer, fl exibler und vertrauenswürdiger Art und Weise erledigen, sodass der Mensch sich auf sie verlassen kann (Schmeck, 2005). Die OCI spricht dabei von „lebensähnlichen“ Systemen bzw. Systemen mit lebens-ähnlichen Eigenschaften; ein klares Ziel der Initiative ist die wirkliche Realisierung solcher Systeme.

Im Kern ist die OCI ein Ansatz der technischen Infor-matik und beschäftigt sich deshalb vorrangig mit neuen Hardware-Architekturen für eingebettete Geräte. Die Ideen haben inzwischen jedoch auch Eingang in andere Bereiche der Informatik wie z. B. die verteilten Systeme gefunden. Hier geht es dann nicht um das Zusammenspiel von Bauteilen auf einer Platine, sondern von größeren autonomen, aber kooperierenden Systemen.

Die deutsche Forschungsgemeinschaft hat vor gut zwei Jahren ein Schwerpunktprogramm zum Thema Organic Computing gestartet. In zurzeit 19 Projekten werden ver-schiedenste Aspekte sowohl von theoretischer wie auch praktischer Seite beleuchtet. Neben dem praktischen Systembau hat sich das Schwerpunktprogramm vor allem eine Festlegung der wichtigsten Begriffe und ihre genaue Analyse auf die Fahne geschrieben. So steht bspw. zur-zeit der oben schon diskutierte Begriff der Emergenz ganz oben auf der Tagesordnung.

Übertragung auf die Logistik

Die Logistik hat mit ähnlichen Entwicklungen bzgl. der Komplexität der Systeme zu kämpfen wie die Informatik (Branke, 2007):

• Durch die Globalisierung nehmen Zahl und Länge der Transportwege fortwährend zu, da immer mehr Güter zwischen allen Teilen der Welt ausgetauscht werden.

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Stefan Fischer 143

• Gleichzeitig ist eine starke Entwicklung hin zur Perso-nalisierung von Gütern und Dienstleistungen festzustel-len. Vielfach kaufen Kunden keine Ware von der Stange, sondern stellen sich ein Produkt exklusiv mithilfe von entsprechenden Internet-Anwendungen zusammen. Dadurch kann nicht mehr irgendein Exemplar eines Pro-duktes ausgeliefert werden, sondern es muss ein ganz bestimmtes sein.

• Durch die gleichzeitige Erwartungshaltung der Kunden, Waren immer schneller und kostengünstiger geliefert zu bekommen, müssen sich die Taktzeiten in den Pro-duktionsprozessen stetig verkürzen.

Es bietet sich also an, sich die Lösungen der Informatik zur Realisierung komplexer, aber verlässlicher Systeme anzuschauen. Einige Technologien, deren Vorhandensein zur Lösung unabdingbar ist, existieren bereits bzw. sind in breitem Einsatz (Branke, 2007):

• RFID-Chips werden zur Identifi kation von Waren ein-gesetzt. Sie sind wesentlich robuster und leichter zu handhaben als bspw. Barcodes.

• Mithilfe des GPS-Systems sind Transportmittel und im Zweifel auch Waren jederzeit zu orten. Damit lassen sich bspw. jederzeit aktuelle Prognosen für das Ein-treffen von Waren am Bestimmungsort berechnen.

• Dies wird gefördert durch die Verwendung drahtloser Kommunikationstechnologien wie GSM oder UMTS. Mobile Einheiten können jederzeit Verbindung unterei-nander oder mit einer Zentrale aufnehmen und so nicht nur Informationen dorthin liefern, sondern auch neue Anweisungen entgegennehmen.

• Schließlich steht eine immer leistungsfähigere IT-Infra-struktur zur Verfügung, die es gestattet, auch sehr kom-plexe Algorithmen, Berechnungen und Simulationen durchzuführen.

Das Ziel muss es nun sein, auf dieser Basis neue Lösun-gen für die typischen Logistikprobleme etwa für Standort-planung, Tour- und Flottenmanagement oder die Optimie-rung von Lagerbeständen zu fi nden.

Aus den obigen Beschreibungen zu Schwarmalgorith-men bzw. evolutionären Algorithmen wird schnell klar, dass sich viele Optimierungsprobleme der Logistik damit lösen lassen. Ganz offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen Ant Colony Optimization und der Suche nach kürzesten Transportwegen. Aber auch evolutionäre Algo-rithmen lassen sich sehr schön zur Lösung von Aufgaben mit mehreren Optimierungskriterien einsetzen, da man zur

Bewertung einer neuen Generation von Lösungen einfach mehrere Kriterien heranziehen kann. Ein Ansatz zur Lösungdes Standortplanungsproblems wird in Branke et al. (2002)vorgestellt.

Auch von der technischen Seite, in diesem Fall von der Organic-Computing-Initiative, könnten interessante Lösungen kommen. So werden bspw. im OC-Schwer-punktprogramm der DFG zwei Projekte durchgeführt, die sich eine Optimierung des Verkehrsfl usses und damit eine Verkürzung der Transportwege zum Ziel gesetzt haben.

Im von den Universitäten Hannover und Karlsruhe durchgeführten Projekt „Organic Traffi c Control Collabo-rative“ (Rochner et al., 2006) wird ein System zur opti-mierten Schaltung von Ampeln im Stadtgebiet vorgestellt bzw. erforscht. Dabei wird u. a. ein Ansatz untersucht, der von einer völlig dezentralen Steuerung der einzelnen Sig-nalanlagen ausgeht: Jede Ampel beobachtet den Verkehr in ihrem Bereich und kommuniziert mit den direkten Nach-barn. Dadurch soll eine robuste und fl exibel auf Verkehrs-änderungen reagierende Ampelsteuerung entstehen.

Die Universitäten Lübeck und Braunschweig koope-rieren im Projekt „AutoNomos“ (Fekete et al., 2006). In diesem Projekt geht es darum, Staus auf Autobahnen zu erkennen und wesentlich schneller melden zu können, als dies heute der Fall ist. Zu diesem Zweck werden die Fahrzeuge in die Lage versetzt, mit ihren Nachbarn auf der Strecke zu kommunizieren und z. B. die per Sensorik erfassten Daten auszutauschen. Durch die rein lokale In-teraktion der autonom agierenden Fahrzeuge können die notwendigen Informationen sehr viel schneller bei ihren Adressaten (Fahrzeuge in der Nähe) ankommen als dies bei der heute üblichen Datenerfassung über zentrale bzw. fest installierte Systeme der Fall ist. Staus, die sich schon gebildet haben, aber noch nicht im Radio gemeldet wurden, können so erkannt und z. B. rechtzeitig umfahren werden.

Die im Projekt entwickelte Technologie wird als „hovering data clouds“ bezeichnet. Die Vorstellung besteht darin, dass sich in dem geografi schen Bereich, in dem eine interessante Situation festgestellt wird, automatisch durch die Interaktion der Fahrzeuge eine Datenstruktur (eine „Da-tenwolke“) bildet, die nicht wie bisher üblich an einen be-stimmten Rechner gebunden ist, sondern an die Situation. Mit anderen Worten, wenn die Situation ortsfest bleibt, die sie tragenden Rechner (also die Fahrzeugcomputer) sich jedoch bewegen, dann muss die Datenstruktur stän-dig ihren Gastrechner wechseln. Der Vorteil besteht jedoch darin, dass die Fahrzeuge, die in den Bereich der interes-santen Situation kommen, sofort darüber informiert sind.

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Naturinspirierte Verfahren in der Informatik – Anregungen für die Logistik144

Zusammenfassung

Dieser Beitrag gab einen Überblick über die Verwendung biologisch inspirierter Verfahren in der Informatik und sich daraus möglicherweise ergebende Inspirationen für die Logistik. Als Kernaufgabe wurde vor allem die Selbst-organisation von Computersystemen diskutiert, mit den grundlegenden sogenannten Selbst-X-Eigenschaften, der Kooperation selbstorganisierter Systeme in Schwarmal-gorithmen und schließlich die praktische Umsetzung in einer größeren Forschungsinitiative, dem Organic Compu-ting. Anhand einiger Beispiele wurde aufgezeigt, wie die Logistik von diesen Ideen profi tieren kann.

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Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt –Logistik und Evolutionsmanagement

Klaus-Stephan Otto

Geschäftsführer der Dr. Otto Training & Consulting

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Dr. Klaus-Stephan Otto Jahrgang 1949Otto leitet seit über 25 Jahren die Dr. Otto Training & Consulting. Das Beratungsunternehmen begleitet große Unternehmen, Mittelständler, aber auch Nonprofi t-Organisationen bei komplexen Veränderungsprozes-sen. Otto hat den Ansatz des Evolu-tionsmanagements entwickelt, bei dem Erkenntnisse aus der Natur und

aus Evolutionsprozessen auf die Weiterentwicklung von Orga-nisationen und die Innovationsentwicklung angewandt werden. Dazu leitet er Veränderungsprojekte und führt Workshops und Ausbildungen zu diesem Thema durch. Er ist Autor des 2007 im Hanser Verlag erschienenen Buches „Evolutionsmanagement“. Otto hat an der TU Berlin Psychologie studiert. In Deutschland hat er maßgeblich den Aufbau des Zivilen Friedensdienstes unterstützt.

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Einleitung

Eine moderne Logistik ist in ihrer Ausrichtung ganzheitlich, systemisch und integrativ (Baumgarten 2004). Die Natur hat genau auf der Basis dieser Prinzipien in ihrer Millionen Jahre alten Geschichte herausragende Logistik-Leistun-gen hervorgebracht. So transportieren die Blattschnei-deameisen zur Errichtung ihrer unterirdischen Bauten, die eine Fläche von bis zu 50 Quadratmetern einnehmen kön-nen, rund eine Milliarde Ladungen Erdreich an die Ober-fl äche und bewegen dabei bis zu 40 Tonnen Boden, sie selber aber sind nicht größer als ein bis zwei Zentimeter (Harf und Bischoff 2007). Es ist daher sinnvoll, für die Wei-terentwicklung der Logistik auf die Natur zu schauen und von der hier entwickelten Vielfalt an Lösungen zu lernen. Diese Herangehensweise, die Natur zu analysieren und als Vorbild für wirtschaftliche und organisatorische Pro-zesse zu nutzen, ist die Vorgehensweise des Evolutions-managements (Otto et al. 2007). Im Folgenden wollen wir diesen Ansatz näher erläutern und auf das Handlungsfeld der Logistik anwenden.

Grundlagen des Evolutionsmanagements

Ein Grundgedanke des Evolutionsmanagements ist die Annahme, dass Organisationen lebende Organismen sind (Otto et al. 2007). Viele der Funktionen in Unternehmen können mit Funktionsweisen von Organismen verglichen werden: Der interne Materialtransport im Unternehmen ist beispielsweise vergleichbar dem Herz-Kreislauf-Sys-tem bei den Wirbeltieren, die Informationsverarbeitung mit dem Nervensystem, die Lagerung von Material kann den Funktionen von Fett- und Speichergewebe, die zen-trale Steuerung dem Gehirn zugeordnet werden. Unter-nehmen sind komplexe lebende Systeme genau wie Orga-nismen; sie entwickeln sich in einer Wechselbeziehung zu ihrem Umfeld und beide erhalten innerhalb ihrer Grenzen einen höheren Organisationsgrad aufrecht als außerhalb. Je komplexer das Umfeld eines Unternehmens ist, umso weniger kann es linear gesteuert werden und es muss die Regeln komplexer lebender Systeme zur Steuerung an-wenden.

Organismische Ansätze bringen neue Denkweisen und Lösungsstrategien in die moderne Organisationstheorie und überwinden technische und mechanistische Ansätze in der Organisationsentwicklung, die an ihre Grenzen ge-stoßen sind. Sie beziehen das Umfeld in die Betrachtung mit ein und betonen das Überleben als Schlüsselziel jedes Unternehmens. Kundenorientierung und Rendite dienen diesem Ziel, sind ihm aber untergeordnet. Interagierende Prozesse, die sowohl intern als auch in ihrer Beziehung zur Umwelt ausgewogen sein müssen, rücken in den Fokus.

Der Verhaltensbiologe Günter Tembrock benutzt zur Unterscheidung dessen, was einen Organismus zu einem lebenden Subjekt macht, drei grundlegende Prozesse: Formwechsel, Informationswechsel und Stoffwechsel (Tembrock 2004). Dies sind auch die basalen Prozesse in und zwischen Unternehmen. Stoffwechsel und Informa-tionswechsel sind dabei der Kern logistischer Prozesse. Beide gehen wiederum oft einher mit einem Formwechsel.

Eine gängige Unterscheidung, die für logistische Pro-zesse in Unternehmen verwendet wird, ist die in Inbound, Inhouse und Outbound. Diese Einteilung entspricht der Organisation des Stoffwechsels von Organismen in der Natur und charakterisiert bereits den Stoffwechsel des Einzellers. Inbound ist die Aufnahme von Nahrung und an-deren Stoffen in die Zelle, Inhouse entspricht dem Trans-port in der Zelle, der, wie man heute weiß, so kompliziert ist, dass die Zellforscher ihn immer noch nicht genau er-klären können, Outbound entspricht den Ausscheidungs-prozessen der Zelle. Bei mehrzelligen Lebewesen geht es hier oft um Produkte, die in anderen Zellen des Organis-mus gebraucht werden, wie z. B. verarbeitete Zuckermole-küle für den Energiehaushalt.

Interessante Transportbeispiele in der Natur

Transport in der ZelleIn der Zelle existiert ein sehr komplexer Stofftransport, der oft verbunden ist mit einer kontinuierlichen Weiter-verarbeitung der Stoffe. Die Produkte aus dem endoplas-matischen Retikulum (ein Netz aus Membransäckchen

Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt –Logistik und EvolutionsmanagementKlaus-Stephan Otto

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Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement150

und -röhren, das an der Membransynthese und anderen Synthese- und Stoffwechselvorgängen mitwirkt) werden durch den Golgi-Apparat durchtransportiert und zeitgleich dort weiterverarbeitet.

Der Golgi-Apparat hat eine cis- und eine trans-Seite; durch Erstere werden die Stoffe aufgenommen und durch Letztere werden sie wieder entlassen. Dazwischen wan-dern sie durch einzelne Zisternen (Kammern) und werden in jedem Schritt zu komplexeren Proteinen angereichert (Campbell und Reece 2003). Der Transport erfolgt durch die Diffusion. Dabei wird vorteilhafterweise von der Zelle für den Transport keine zusätzliche Energie aufgewendet, sondern die Transportenergie ist die Bewegungsenergie der Moleküle. Zwar kann die Diffusion nur auf den Trans-port kurzer Strecken angewandt werden, trotzdem ist es interessant zu überlegen, wie eine solche energiesparende Transportform auf logistische Prozesse übertragen wer-den könnte. Wir werden später sehen, dass dieses Prinzip oft für den Transport in der Natur angewandt wird.

Bemerkenswert an diesem Vorgang ist auch, dass im Golgi-Apparat während eines ständig fl ießenden Trans-ports die Verarbeitung des Produkts stattfi ndet. Dies passiert auch bei logistischen Prozessen in der Fabrik durch den Einsatz eines Fließbandes. Es hat Sinn, zu prü-fen, ob dieses Prinzip in der Logistik für die Zukunft nicht eine noch viel größere Rolle spielen sollte. Kann nicht die Transportzeit noch stärker dafür genutzt werden, den Wertschöpfungsprozess weiterzuführen, können nicht Transportprozesse sehr viel stärker kontinuierlich im Fluss erfolgen?

Ein gutes Beispiel für den Einsatz dieses Prinzips ist die Fischproduktion. Hier wird der gefangene Fisch oft noch auf dem Meer direkt auf Schiffs-Fischfabriken verladen und dort auf dem Weg in die Häfen weiterverarbeitet, so-dass bei der Anlandung das Produkt fertig verpackt direkt an den Handel ausgeliefert werden kann.

Der zweite, sehr interessante Aspekt, den wir hier kurz beleuchten möchten, betrifft die Frage, wie der Stoff in den Golgi-Apparat transportiert wird. Die Stoffe (Proteine) werden in eine Membran, genannt Vesikel, eingehüllt. Sie besteht aus demselben Material wie die Außenmembran des Golgi-Apparates. Wenn das Vesikel auf die Oberfl ä-che des Golgi-Apparates trifft, verschmilzt es mit dessen Oberfl äche und die einzelnen Proteine werden von dem Or-ganell aufgenommen. Innerhalb des Organells werden die Proteine von Zisterne zu Zisterne weitergereicht und dabei jedes Mal zu komplexeren Eiweißen weiterentwickelt.

Was kann dies für logistische Prozesse bedeuten? Für die Logistik ist die Überwindung von Unternehmens-

schnittstellen und die Findung von Lösungsansätzen an diesem Punkt eine sehr wichtige Aufgabe (Baumgarten 2004). Die Vesikel sind eine hoch innovative Lösung der Natur, Schnittstellenprozesse zu verbessern. Die Subs-tanz, mit der das Transportgut verpackt ist, besteht hier aus der gleichen Substanz wie die Eingrenzung der Pro-duktionsstätte selbst. Dadurch können Transportverpa-ckung und Eingrenzung des Produktionsortes miteinander verschmelzen und das Transportgut taucht problemlos in die Produktionsstätte ein.

Darüber hinaus ist der Stofftransport ein komplett ge-schlossener Transportweg, da die Weitergabe der Stof-fe nie mit einem Öffnen und Schließen von Organellen verbunden ist, sondern diese Sicherheitslücke durch den direkten Verschmelzungsprozess umgangen werden kann. Solche organismischen Transportketten sollten auch in den Logistikprozessen, wo möglich, stärker genutzt wer-den. Dies passiert auch bereits, z. B. wenn organische Verpackungsmaterialien genutzt werden, die leichter re-cycelt werden können.

Transport von Samen Der zweite Bereich in der Natur, der hier als anregende Lernmöglichkeit für logistische Vorgänge dargestellt wer-den soll, ist die Art und Weise, wie innovationsreich die Natur das Problem der Samenverbreitung gelöst hat: Ne-ben der sehr häufi g anzutreffenden Windbestäubung (bei einem Fünftel der in Europa wachsenden Samenpfl anzen) gibt es die ebenfalls häufi g vorkommende Tierbestäubung (beispielsweise durch die Insekten), außerdem manchmal auch eine Mischform aus beiden Bestäubungsarten (Am-philie) und seltener die Wasserbestäubung, die auch noch einmal sehr unterschiedliche, spezialisierte Erscheinun-gen für die Übertragung im See, über das Meer und durch den Regen hervorgebracht hat (Müller und Müller 2003).

Besonders innovativ ist in diesem Zusammenhang die Lösung einiger Pfl anzen, die sich durch Selbstverbreitung vermehren, nämlich durch ihre Eigenschaft, als „lebende Abschussrampen“ (Müller und Müller 2003, S. 253) zu fungieren. Die Diasporen werden durch die Mutterpfl an-zen ohne Einwirkung äußerer Kräfte verbreitet, indem sie sich drei verschiedener Mechanismen bedienen. Manche haben eine spezielle Schleudervorrichtung, andere spe-zielle Ablegevorrichtungen, die durch positiven Gravitropis-mus (mit der Schwerkraft) oder negativen Phototropismus (der Sonne abgewandt) ausgelöst werden. Wieder andere haben spezielle Fallvorrichtungen für Früchte und Samen entwickelt, indem die Fruchtstiele mit Trenngewebe aus-gestattet sind, sodass die Früchte abfallen können und

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dann am Boden aufplatzen, wodurch die Samen auf dem Boden verteilt werden.

Eine weitere Gruppe von Pfl anzen verbreitet sich als „blinde Passagiere“ (Müller und Müller, 2003, S. 245). Die-ser Name steht für verschiedene Ansätze, wie Samen mit-hilfe unterschiedlicher „Träger“ über teilweise sehr weite Strecken hinweg transportiert werden können. Säugetie-re und Vögel verbreiten über den Verzehr von Früchten die Samen, die durch ihre besonders konstruierte Hülle nicht im Magen zersetzt, sondern unbeschadet ausgeschieden werden und dann erst im Boden anfangen zu keimen. Wie-der andere Früchte und Samen kleben und heften sich an Feder- und Haarkleid und werden auf diese Weise weit transportiert. Eine weitere Möglichkeit ist die Verbreitung durch Ameisen und Menschen. Viele dieser Lösungen sind außerordentlich energiesparend. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise man noch stärker verschiedene logis-tische Transporte und Prozesse kombinieren, oder noch konkreter, die Möglichkeiten zu Ladungskombinationen verstärken kann. Die Möglichkeiten in diesem Bereich sind noch lange nicht ausgereizt. Hier sind weniger neue technische Lösungen gefragt als vielmehr neue Formen der Zusammenarbeit und ein anderer Umgang mit den bei-den notwendigen Polaritäten von Konkurrenz und Koope-ration. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen können durch Kooperationen bei der Ladungsauslastung einen Wettbewerbsvorteil erzielen und besser mit großen Unternehmen konkurrieren.

Die Natur löst ein Problem also nicht auf einem Weg, sondern sie hat dafür teilweise völlig unterschiedliche Lö-sungen gefunden. Gleichzeitig taucht in der Natur eine be-stimmte Lösungsmöglichkeit parallel an mehreren Stellen völlig unabhängig voneinander auf, wenn der Augenblick für diesen Entwicklungsschritt reif ist. So hat sich das Auge bei verschiedenen Tierarten unabhängig mindestens 50-mal an verschiedenen Orten der Erde entwickelt.

Es ist richtig, logistische Prozesse zu standardisieren und zu vereinheitlichen, gleichzeitig sollte man aber auch mehr Vielfalt entwickeln und zulassen: eine Vielfalt, die den vielen verschiedenen, völlig unterschiedlichen logis-tischen Anforderungen entspricht. Komplexe logistische Netzwerke können so mehrere unterschiedliche Dienst-leister vernetzen, die mit einem sehr spezifi schen Leis-tungsangebot kleine spezifi sche Nischen im Logistikmarkt besetzen.

Transport in Pfl anzen/BäumenJede Pfl anze hat zwei getrennte Leitungen: eine für Was-ser, Xylem genannt, und eine für Nährstoffe (Phloem). In

ihrem Xylem können Bäume Wasser bis auf eine Höhe von 120 Metern transportieren. Diese beachtliche Leistung kann durch eine Kombination aus drei verschiedenen Lö-sungen für den Wassertransport realisiert werden: Die Kapillarkraft ermöglicht es, Wasser 80 cm hoch zu beför-dern (durch die Adhäsion des Wassers an den winzigen Schläuchen), mit dem Wurzeldruck, der als Folge des ak-tiven Ionentransports entsteht, kann es zusätzlich zehn Meter hoch befördert werden. Erst in der Kombination mit dem Transpirationseffekt können so enorme Höhen wie 120 Meter erreicht werden.

Das Erstaunliche an diesem Prozess ist, dass der größte Anteil dieser multifaktoriellen Leistung durch die Transpiration ermöglicht wird. Interessanterweise ist diese für den Baum ohne eigenen Energieverbrauch mög-lich. Mithilfe von Sonne und Wind verdunsten die Was-sertröpfchen von den Blättern und erzeugen auf diese Weise einen Wassersog nach oben. Die Natur nutzt also physikalische – manchmal auch chemische – Gesetzmä-ßigkeiten, um ihre Transportprobleme energieeffi zient zu lösen. Auch den Transport anderer Stoffe, z. B. Sauerstoff und Kohlendioxid, regeln Pfl anzen – wie schon in der Zelle gesehen – mit einem die eigene Energie schonenden Pro-zess. In diesem Fall wird das Transportproblem vollständig über die Diffusion der Stoffe der Luft in die Pfl anze und umgekehrt gelöst.

Gerade in Zeiten der Klimadebatte und erhöhter Ener-giepreise stellt sich für die Logistik die Frage, wie vorhan-dene Energien aus dem Umfeld besser für den Transport genutzt werden können. Eine aktuelle Entwicklung ist z. B. die Einführung von riesigen Drachen auf Frachtern, die mithilfe des Windes, der sich in dem Drachen fängt, den Energieverbrauch des Frachters herabsetzen. Auch heute noch wird in vielen Urwaldregionen die Strömungsenergie der Flüsse genutzt, um Baumstämme zu den großen Häfen am Meer zu fl ößen. Wenn die Preise für Treibstoff weiter steigen, wird die Bedeutung der Geschwindigkeit zuguns-ten einer Kostenreduzierung zurückgehen und die Energie von Wind und Strömungen kann für den Verkehr wieder wichtiger werden.

Einige Charakteristika von logistischen Prozes-sen in der Natur

Es ist davon auszugehen und auch sinnvoll, dass sich die Entwicklung in der Logistik zunehmend an natürlichen Pro-zessen orientieren wird. Diese natürlichen Prozesse haben sich evolutionär über Millionen von Jahren entwickelt und bewährt. Einige typische Charakteristika von logistischen

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Prozessen in der Natur wollen wir im folgenden Abschnitt darstellen und erläutern, wie diese auf die Logistik über-tragen werden können.

Zentrale und dezentrale SteuerungIn der Natur werden sehr viele Transportprozesse dezent-ral gesteuert. Ein zentrales Nervensystem ist in der Natur erst sehr spät entstanden und auch nur bei wenigen Lebe-wesen vorhanden. Das Zentrale Nervensystem ist wiede-rum stark dezentral organisiert. Es gibt keine starke Zent-rale, sondern viele dezentrale Knotenpunkte, wodurch es bei Ausfällen von Teilbereichen weniger gefährdet ist. Das bedeutet, dass die meisten Prozesse dezentral gesteuert werden und über Selbstorganisation funktionieren. Ein Fischschwarm hat einige wenige Regeln, an die sich jedes Schwarmmitglied hält. Über diese können harmonische und einheitliche Aktionen erreicht werden, ohne dass es eine zentrale Führung gibt.

Nach Baumgarten (2004) ist es für logistische Prozes-se sinnvoll, „kleine und fl exible Unternehmenseinheiten zu schaffen, die in einem dezentral gesteuerten Netzwerk miteinander kooperieren“ (S. 6). Die dezentrale Steuerung hat den Vorteil, dass auf Störungen besser reagiert wer-den kann. Außerdem ist sie in vielen Fällen effektiver, weil die Komplexität des Teilsystems geringer ist als die des Gesamtsystems. Allerdings muss auch in Betracht gezogen werden, dass zusätzlicher Aufwand für die Koor-dination der Teilsysteme entsteht. Die Stärkung dezentra-ler Steuerung in logistischen Prozessen fi nden wir in der Kanban-Systematik realisiert: „Das Kanban-System ist in erster Linie ein dezentrales Steuerungssystem auf der Basis der selbststeuernden Regelkreise“ (Ehrmann 2005, S. 449). Hier soll eine Robustheit der Prozesse dadurch erreicht werden, dass nicht über ein zentrales Eingreifen gesteuert wird. Auch in der Debatte über zentrale oder dezentrale Lager sind die Vorteile riesiger zentraler Lager nicht mehr unumstritten. Eine gute Darstellung der jewei-ligen Vor- und Nachteile von zentraler und dezentraler La-gerung fi ndet sich bei Gleißner und Femerling (2008).

Dem Logistiker stellt sich folgende Frage: Wo kann ich durch Zentralisierung Ressourcen gewinnen und wo schränke ich dadurch aber auch Kreativität ein, werde leichter verwundbar und schränke Spezifi tät bzw. die An-gepasstheit der Teilsysteme ein?

Stetige Veränderung von Mengen und GeschwindigkeitDie Natur gestaltet ihre Prozesse in den seltensten Fällen in einer einheitlichen Geschwindigkeit, und damit verbun-den gibt es auch oft Volumenschwankungen.

Ein Beispiel ist der Winterschlaf einiger Tiere. Bei schlechten Umfeldbedingungen und bei Mangel an Nah-rung fallen diese Tiere in einen mehrmonatigen (aber un-terbrochenen) Schlaf, wodurch die Geschwindigkeit ihres Stoffwechsels auf ein Minimum reduziert werden kann und dadurch das Überleben gesichert wird. Ähnliches ge-schieht auch bei starker Trockenheit und Wassermangel in der Wüste.

In der Wirtschaft ist ein entsprechendes Verhalten auch oft sinnvoll. So wurde es beispielsweise nach dem 11. September 2001 für die Lufthansa notwendig, ihren Personenfl ugverkehr drastisch zu reduzieren und dafür eine große Anzahl von Flugzeugen vorübergehend in der Wüste zu parken. Als sich der Markt wieder erholt hatte, konnten die Flugzeuge dann in den Verkehr zurückgeholt werden.

Schon heute wird in der Logistik bei der Entscheidung für ein Transportmittel die Abwägung zwischen Kosten und Dringlichkeit (also der Geschwindigkeit eines Trans-portes) immer wichtiger. Während bisher die Geschwin-digkeit oft das entscheidende Marktargument war, wird bei weiter steigenden Energiepreisen die Bedeutung der Wirtschaftlichkeit zunehmen, was dazu führen wird, dass langsame und ressourcensparende Transporte wieder eine wichtige Nischenfunktion bekommen.

Einfaches und Komplexes bestehen nebeneinanderDie Stärke der Natur ist es, auf der einen Seite eine Kom-plexitätsentwicklung zu durchlaufen und auf der anderen Seite Einfaches bestehen zu lassen. So hat die Natur nach den einzelligen Bakterien – Fossilfunde von ihnen datieren 3,5 Mrd. Jahre zurück – durch Zellzusammen-schlüsse komplexere Lebewesen wie Fische, Reptilien, Säugetiere, Vögel und den Menschen entstehen lassen. Die Bakterien sind so erfolgreich in ihrer Überlebensstra-tegie, dass sie auch heute noch in jeder Handvoll Erde in größerer Anzahl vorhanden sind, als es Menschen auf der Erde gibt.

Für die Logistik bedeutet dies, nicht immer modernste und komplexeste Logistikprozesse einsetzen zu müssen, sondern bei guter Eignung auch bei traditionellen Lösun-gen zu bleiben. Für den Transport von Kohle ist das alte Binnenfrachtschiff beispielsweise immer noch bestens geeignet. Auch hier wird zu überlegen sein, ob nicht ver-gangene Logistiklösungen, die abgeschafft wurden, wie-der reaktiviert werden können, weil sich die Bedingungen verändert haben. Ein Versuch, der allerdings bisher nicht erfolgreich gewesen ist, war die Wiederbelebung des Luftschiffes für den Transport.

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Flow – Im Fluss seinOft sind Transportprozesse in der Natur fl ießend und kontinuierlich. Dabei werden Stoffe eher in geringeren Mengen aber mit hoher Frequenz transportiert als niedrig frequentiert in größeren Mengen. Viele Millionen Flim-merhärchen sorgen beim Menschen für die Reinhaltung der Lunge. Der Schleim bindet eingeatmete Staubteil-chen, die dann fl ießend über die Luftröhre in den Schlund befördert werden.

Nach Kummer et al. (2006) besteht auch „das Ziel [der] Logistik […] darin, das Leistungssystem des Unterneh-mens fl ussorientiert zu gestalten“ (S. 203). Der Wandel von der funktionsorientierten zur fl ussorientierten Be-trachtungsweise war schon in den 80er Jahren ein wichti-ger Trend in der Logistik (vgl. Baumgarten 2004), aber noch heute ist dieses Ziel eine Herausforderung. Es gibt zahlrei-che aktuelle Beispiele, wo ein kontinuierlicher Transport sehr sinnvoll eingesetzt wird. In den Pipelines werden beispielsweise durchgehend große Mengen Öl über weite Strecken befördert – in verhältnismäßig kleinen Rohren. Das Entscheidende ist nicht der Durchmesser der Rohre, sondern der andauernde Fluss des Transportgutes.

Ein weiteres gutes Beispiel ist die Just-in-Time-Pro-duktion. Hier wird der ganze Prozess der Wertschöpfungs-kette in einen Fluss umgestaltet. Lagerbestände werden reduziert, weil angeliefertes Material gleich weiterverar-beitet wird. Darüber hinaus kann unnötige Mehrfachbe-wegung vermieden werden. Der Nachteil ist allerdings, dass die Versorgungssicherheit stärker durch unvorherge-sehene Störungen in der Kette gefährdet ist.

Eine besondere Form der fl ießenden Bewegung sind Kreislaufsysteme. In der Logistik sind Kreislaufsysteme noch viel zu wenig anzutreffen, teilweise wurden sie sogar wieder abgeschafft. Rohrpostsysteme werden meistens nur noch in Krankenhäusern für den Blutprobentransport eingesetzt und Paternoster-Aufzüge sind auch mittlerwei-le eher Relikte aus einer anderen Zeit. Allerdings sind so-wohl die häufi g in Großstädten eingesetzten Ringbahnen (z. B. in Berlin, London u. a. Städten) als auch viele Förder-techniken wie die Rolltreppe und Förderbänder Beispiele für Kreislaufsysteme im Transport.

Mit großer Wahrscheinlichkeit werden solche Kreis-laufsysteme in Zukunft wieder zunehmen, denn die Hin- und Herbewegung von Fahrzeugen und Behältern bringt den Nachteil mit sich, dass Geschwindigkeit aufgebaut, dann abgebremst und letztlich in einen Richtungswech-sel überführt werden muss. Dieser Ablauf ist energieauf-wendiger als die Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen Bewegung.

Bewährtes bewahren und Neues entstehen lassen99 Prozent aller Arten, die jemals auf der Erde lebten, sind bis heute ausgestorben. In der Natur fi ndet also ein dau-ernder Veränderungsprozess statt, wo Bestehendes aus-stirbt, um Neuem Platz zu machen. Gleichzeitig bewahrt die Natur Bewährtes: So sind 98 Prozent der Gene von Maus und Mensch – zwei völlig unterschiedliche Lebewe-sen – identisch.

Diese beiden Beispiele verdeutlichen, dass es Sinn hat, eine Grundhaltung einzunehmen, die einerseits die Bereitschaft beinhaltet, sich auf ständige Veränderung einzustellen und andererseits auch das zu bewahren, was sich bewährt hat.

Wir können dies bei der Umstellung der Postdienste in Deutschland verfolgen. Hier ist es zu enormen Umstruk-turierungen gekommen, aber trotzdem trägt der Briefzu-steller der Pin seine Briefe genauso auf dem Fahrrad aus wie sein Kollege von der gelben Post – es ist einfach das passendste Transportmittel für die Endauslieferung bei kleinen Sendungen, kurzen Transportwegen und vielen unterschiedlichen Empfängern.

Flexible Absicherung von Prozessen in der NaturDer Hormontransport im Blutkreislauf funktioniert nach einem faszinierenden Prinzip, das ein Höchstmaß an Si-cherheit gewährleistet. Die verschiedenen Hormone ge-langen durch das Schlüssel-Schloss-Prinzip wirklich nur an die Orte, wo sie benötigt werden. Jedes Hormon ist durch einen Marker kodiert, der auf eine ganz bestimm-te Weise beschaffen ist, wodurch es nur an bestimmten Zellen „andocken“ kann, die das passende Gegenstück hierfür an ihrer Membran aufweisen.

Ein anderes Beispiel für die Absicherung von Prozes-sen ist der Umgang des Körpers mit Verkalkungserschei-nungen in Gefäßen im Bereich des Herzens. Wenn diese auftreten, werden entweder neue Gefäße gebildet oder bestehende werden in ihrer Kapazität erheblich ausge-weitet, wodurch die Blockade erfolgreich umgangen wer-den kann.

In unserer heutigen Welt werden Prozesse zunehmend komplexer und damit nimmt auch ihre Fehleranfälligkeit zu. Es kommt nicht so sehr darauf an Störungsfreiheit zu ge-währleisten, sondern in der Lage zu sein, mit Störungen um-zugehen. Um es mit den Worten von Liker und Meier (2006) zu sagen, die viele Prozessoptimierungen mithilfe des „Toyota-Weges“ durchgeführt haben: „Process stability should have a reason – to support value-added fl ow“ (S. 59). Die Prozessstabilität ist demnach nicht Selbstzweck, sondern dient der Unterstützung des Wertschöpfungsprozesses.

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Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement154

Gerade Störungen von außen können von einem „Pro-cess Owner“ nur bedingt beeinfl usst werden. Aus diesem Grund wird es immer wichtiger, bei logistischen Prozessen darauf zu achten, dass Vorsorgestrategien zur schnellen Entwicklung von „Bypass-Lösungen“ entwickelt werden, damit auftretende Blockaden notfalls schnell umgangen werden können.

Durch die Streiks der Lokführer bei der Deutschen Bahn wurde genau dieses Denken von den Logistikverant-wortlichen in vielen Unternehmen abverlangt. Sie waren gezwungen, viele logistische Prozesse plötzlich auf ande-re Transportmittel zu verlegen.

Netzwerke organisieren: Collaborative Supply Chain Management

Netzwerke haben schon immer eine wichtige Rolle in der Logistik gespielt, aber seit Ende der 1990er Jahre ist das bewusste und systematische Organisieren von Netzwer-ken eine ganz zentrale Aufgabe in der Logistik. Ihr An-spruch ist die „übergreifende und ganzheitliche Koordina-tion zwischen Unternehmen“ (Baumgarten 2004, S. 5).

Die Prozesse in der Natur sind hoch vernetzt. Hier las-sen sich Netzwerke auf verschiedensten Ebenen und in verschiedenster Form fi nden, die gute Anregungen bieten: Molekulare Netzwerke innerhalb von Zellen, das neurona-le Netzwerk im Gehirn, Netze aus organischer Materie wie Spinnennetze, soziale Netzwerke von Lebewesen oder die Vernetzung aller beteiligten Lebewesen eines Ökosystems. Um noch einmal das menschliche Gehirn aufzugreifen: Es besitzt Schätzungen zufolge ca. 100 Mrd. Nervenzellen, welche durch ca. 100 Billionen Synapsen eng miteinan-der verbunden sind. Das bedeutet, dass jedes Neuron im Schnitt mit 1000 anderen Neuronen verbunden ist. Diese hohe Vernetzung hat den Vorteil, dass im Prinzip jedes be-liebige Neuron von jedem Startneuron aus in höchstens vier Schritten erreichbar ist. Dadurch können sehr schnel-le Rückkoppelungsprozesse stattfi nden und sind schnelle Reaktionen möglich. Auch das Ökosystem Wald besteht aus einer Vielzahl hoch vernetzter Informations- und Transportprozesse. Sehr komplexe Stoffkreisläufe dienen der Absicherung der Nahrungsketten und gewährleisten damit das Funktionieren des Gesamtökosystems.

Dieses Vorgehen fi nden wir auch in der Idee des Col-laborative Supply Chain Managements wieder. Durch die Vernetzung verschiedener Dienstleister wird eine mög-lichst kostengünstige und schnelle logistische Leistung ermöglicht. Dabei kommt es darauf an, eine Win-Win-Situation zwischen allen Beteiligten herzustellen.

Die in den 90er Jahren gegründete Star Alliance, der an-fänglich nur Air Canada, United Airlines, Lufthansa, SAS und Thai Airways angehörten, ist heute ein erfolgreicher Zusammenschluss von 17 Fluglinien. Ziel dieses Zusam-menschlusses war es, in der Luftfahrtkrise Anfang der 90er Jahre Effi zienzsteigerung durch Abstimmung der Routen, gemeinsame und kompatible Angebote, gemein-same Lounges, gemeinsame Streckenrechte u. a. zu errei-chen. Es wurde nicht die Konkurrenz erhöht, sondern durch die Entwicklung neuer Formen der Kooperation die Krise gemeistert. Hier waren es Vertreter der gleichen Branche, die sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam erfolgreicher ihre Prozesse durchführen zu können. Noch größere Potenziale können erschlossen werden, wenn sich Partner aus verschiedenen Bereichen zu einem Netz-werk zusammenschließen.

Die Komplexität des Gesamtlogistiksystems und die Vernetzung zwischen den Akteuren wird weiter anstei-gen. Diejenigen, die eine hohe Kompetenz besitzen, sol-che Vernetzungen zu steuern und zu organisieren (und dabei Win-Win-Situationen herzustellen), werden davon stark profi tieren.

Baumgarten (2004) benutzt ein Bild aus der Natur für die Darstellung von Unternehmensnetzwerken, in dem das Unternehmen „die Spinne im Netz“ (S. 6) ist. Aus Sicht des Unternehmens mag dies zutreffen, aus Sicht des Gesamtnetzwerks hat das einzelne Unternehmen aber keine so zentrale Rolle. Aus dieser Perspektive passt eher der Vergleich mit dem netzwerkartigen Aufbau des Gehirns und seinen vielen dezentralen Knotenpunkten. Man kann ein solches Netzwerk zwar so darstellen, dass einer der Knoten im Mittelpunkt erscheint, aber wenn man aus dem Bild „herauszoomt“, verliert er seine zen-trale Stellung.

Praktische Anwendung des Evolutionsmanage-ments in der Logistik

Im Folgenden wollen wir die fünf grundlegenden Herange-hensweisen des Evolutionsmanagements darstellen und konkrete Anwendungsgebiete für die Logistik aufzeigen.

Lernen aus Prozessen der Evolution Entwicklungen in der Wirtschaft laufen vergleichbar und nach ähnlichen Mustern wie Evolutionsprozesse in der Natur ab. Die evolutionäre Entwicklung des Transports hat viele verschiedene Stufen durchgemacht, z. B. vom Floß, über das Pferd, hin zum Zug, dem Auto und dem Flugzeug. Die von Baumgarten (2004) dargestellten verschiedenen

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Klaus-Stephan Otto 155

Phasen der Logistik stellen diese Entwicklung für die letztenJahre auf der prozessualen Ebene dar. Sie beschreiben denWeg von der klassischen Logistik (ab ca. 1960) über die fl ussorientierte Betrachtungsweise hin zur unternehmens-übergreifenden Integration bis zum derzeitigen Trend, Wert-schöpfungsketten zu globalen Netzwerken zu integrieren.

Gerade für strategische Prozesse in der Logistik ist es sehr hilfreich, aus der Evolution zu lernen. Folgende Überlegungen sind hier sinnvoll: Woraus hat sich etwas entwickelt? Wo stehen wir in der Entwicklung? Wo wird die Entwicklung hingehen? Auf dieser Basis können Road-maps und Szenarien entwickelt und daraus nächste Hand-lungsschritte abgeleitet werden. Dies kann für einzelne Prozesse, für Abteilungen, Unternehmen oder Gesamtsys-teme erfolgen. Die Betrachtung von Evolutionsprozessen der Natur bereichert die Kreativität für die Entwicklung neuer Wege. Dies kann hilfreich sein bei der Abwägung des Einsatzes zukünftiger Verkehrsträger, beispielsweise bei der Entscheidung für die Erweiterung oder Nichter-weiterung einer Container-Flotte.

Man kann daraus lernen, wie Komplexitätsentwicklung in der Natur (Anagenese) stattfi ndet, um dann die daraus abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten auf die Weiterentwick-lung der Logistikprozesse zu übertragen.

Lernen aus einzelnen Naturvorgängen An vielen Stellen der Natur gibt es interessante Einzellö-sungen für logistische Problemstellungen. Insektenvölker haben faszinierende Lösungen entwickelt, aber auch die Zugvögel bieten mit ihrer Leistung über Tausende von Kilometern zu wandern hilfreiche Anregungen. In der Bionik werden Lösungen der Natur auf die Entwicklung techni-scher Lösungen für die Industrie angewandt, u. a. wurde dies auch für die Entwicklung neuer Fahrzeugoberfl ächen genutzt.Die mikroskopisch fein geriffelten Längsrillen in der Außen-haut des Airbus A310 sind den Haien und Delfi nen nach-gebaut. Dadurch werden pro Jahr 150 000 Liter Sprit ein-gespart (Blüchel 2005). Die Übertragung sollte aber auch auf der Prozessebene erfolgen. Sie kann hier wichtige Anstöße zur Erhöhung der Steuerungs-, Planungs- und Informationsver-arbeitungskompetenz geben. Dazu werden im Team verschie-dene Prozesslösungen in der Natur dargestellt und danach in einem Analogieprozess neue logistische Lösungen erarbeitet.

Wie Innovationen in der Natur geschehen, kann anhand des VAB-Modells (Abbildung 1) nachempfunden werden: Erst wird Vielfalt hergestellt, dann eine Auswahl getroffen und daraufhin die guten Lösungen bewahrt (Otto et al. 2007). Dieses Modell eignet sich auch für die Anwendung auf logistische Innovationsentwicklung.

Die Evolution passiert und kann gestaltet werdenAuf der einen Seite geschieht dem Menschen die Evolu-tion, auf der anderen Seite kann er sie aber auch mitge-stalten. Dies gilt auch für die Logistik. Einerseits lässt sich beobachten, wie sich durch die Globalisierung logistische Prozesse verändern, andererseits kann jeder Logistiker aber auch aktiv in den Globalisierungsprozess eingreifen und er leistet seinen Beitrag für die Weiterentwicklung der Logistik. Einige Automobilhersteller (z. B. VW) haben im Zuge der stärker werdenden Kritik an Lkw und Pkw als umweltschädliche Produkte erhebliche Teile ihrer Trans-portleistungen auf die Schiene verlegt. Neben den wirt-schaftlichen Gesichtspunkten soll auf diese Weise auch das angeschlagene Image der Autohersteller wieder ver-bessert werden. Sie wollen sich als ökologisch verantwor-tungsbewusst handelnde Unternehmen präsentieren und reduzieren darum ihren CO2-Ausstoß. Für den Manager ist es in vielen Entscheidungsprozessen für seinen Erfolg aus-schlaggebend, zu erkennen, ob er eine bestimmte Entwick-lung hinnehmen muss oder ob er sie aktiv gestalten kann.

Neurobiologische Erkenntnisse anwendenFür in der Logistik tätige Manager ist es bedeutsam, die immer konkreter werdenden Ergebnisse der Neurobiologie auf das menschliche Handeln in diesem Bereich anzuwen-den (Abbildung 2). Die durch moderne medizinische Ver-fahren gefundenen neurobiologischen Erkenntnisse ge-ben Aufschluss darüber, wie das Gehirn funktioniert und welche Konsequenzen dies für das Denken und Handeln des Individuums hat. Wie oben beschrieben, besteht das menschliche Gehirn aus vielen dezentralen Knotenpunk-ten, wodurch jedes Neuron im Schnitt mit 1000 anderen Neuronen verbunden ist. Durch diese Vernetzung kann im Prinzip jedes beliebige Neuron von jedem Startneuron aus in höchstens vier Schritten erreicht werden. Dadurch

Abb. 1: Das VAB-Modell

Quelle: Entnommen aus Otto et al. 2007

Bewahren(Ordnung schaffen)

Vielfalt herstellen(Altes zerstören)

Auswählen(bewerten)

Der Innovations-verlauf im VAB-Modell

B V

A

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Die Natur zeigt, wie man intelligent Stoffe bewegt – Logistik und Evolutionsmanagement156

können schnell auftretende Störungen umgangen werden. Nach klassischen Rationalitätsgesichtspunkten beurteilt, genügt diese Mehrfachabsicherung nicht den Kriterien der Effi zienz. Allerdings haben gerade Logistiker oft die Erfahrung machen müssen, dass es sich lohnt, zusätzliche Absicherungen einzuplanen, auch wenn dies den Einsatz weiterer Ressourcen erfordert.

Ein weiterer Ansatzpunkt für die Übertragung neuro-biologischer Erkenntnisse auf wirtschaftliches Handeln ist die Optimierung der Arbeitsprozesse von Menschen, die in Steuerungswarten arbeiten oder Fahrzeuge führen. Es kann aber auch darum gehen, das individuelle Verhalten von Managern bei der Führung des Unternehmens und für ihr Selbstmanagement durch neurobiologische Erkennt-nisse leiten zu lassen (ausführlicher dazu Otto et al. 2007, Kap. 8). Eine Möglichkeit kann hier sein, die Forschungs-ergebnisse zum Verhältnis von Körperwahrnehmung und geistiger Tätigkeit auf die eigene Leistungsfähigkeit an-zuwenden.

Langfristig und nachhaltig handelnEvolutionsmanagement hat auch eine ethische Dimen sion, indem es für die Einbindung wirtschaftlicher Prozesse in langfristige evolutionäre Entwicklungen der Natur ein-tritt. Wirtschaftliches Handeln soll nicht gegen, sondern im Einklang mit der Natur stattfi nden. Dies gilt auch für die Logistik. Diese Herausforderung stellt sich z. B. im Rahmen der Klimadebatte, der Gewährleistung von Ar-tenvielfalt oder der Zerstörung ökologischer Räume durch überdimensionierte Transportwege. Wir werden hierauf im nächsten Abschnitt genauer eingehen. Dieses Thema wird in den nächsten Jahren erheblich an Bedeutung ge-winnen.

Nachhaltige Entwicklung in der Logistik

Wie im vergangenen Abschnitt dargestellt, ist im Ansatz des Evolutionsmanagements der Gedanke zentral ver-ankert, wirtschaftliches Handeln nicht gegen die Natur, sondern im Einklang mit ihr zu gestalten. Dies ist auch für das Handlungsfeld Logistik von großer Bedeutung.

An der aktuell geführten Klimadebatte kann man die-se Auseinandersetzung sehr gut verdeutlichen. Anfangs wurde sie noch als ethische Diskussion geführt – es war in gewisser Weise ein Luxus, ökologische Aspekte in der Ökonomie beachten zu wollen. Heute gewinnt der wirt-schaftliche Aspekt der Klimaentwicklung allerdings im-mer stärker an Bedeutung. Die Unternehmensberatung Accenture hat in einer Befragung festgestellt, dass 70 Prozent der Verbraucher interessiert, wie viel Kohlendi-oxid bei Produktion und Transport eines Produkts anfällt. Auch Wal-Mart strebt an, die Emissionen entlang der Lieferkette zu reduzieren. Zulieferer, die dazu beitragen, den CO2-Verbrauch zu reduzieren, sollen durch prominen-te Stellflächen in den Märkten belohnt werden (Bialluch und Reppesgaard 2007, S. 126).

Die Debatte um den Klimawandel wird in nächster Zeit noch stärker geführt und logistische Dienstleistun-gen werden immer mehr danach hinterfragt werden, welche Auswirkungen sie auf den Klimawandel haben.

Das Kriterium der ökologischen Qualität des Trans-ports wird gegenüber den Kriterien des Kosten- oder Zeitvorteils verstärkt an Bedeutung gewinnen.

Darüber hinaus werden die Verbraucher und Bürger zunehmend mehr Einfl uss auf logistische Prozesse nehmen. Dies zeigt sich heute schon in Konflikten, wie den Aus-einandersetzungen um neue Landebahnen an Flughäfen

Abb. 2: Ansätze des Evolutionsmanagements

Quelle: Otto et al. 2007

Unternehmensebene Verhaltensebene

Erkenntnisse aus der Evolution der Arten

Erkenntnisse aus der Neurobiologie

Wie haben sich Arten in der Evolution entwickelt? Konsequenzen für die Unternehmensentwicklung

Wie funktionieren neuro-biologische Prozesse?Konsequenzen für die Steuerungs-prozesse von Unternehmen

Wie hat sich der Mensch in der Evolution entwickelt? Konsequenzen für das Managementverhalten

Wie funktionieren neuro-biologische Prozesse?Konsequenzen für das Managementverhalten

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Klaus-Stephan Otto 157

oder um Nachtflugrechte für Frachtflugzeuge.Deutschland hat bereits heute einen überproportional

hohen Anteil am europäischen Logistikmarkt. Durch die lange Tradition der Auseinandersetzung mit Umweltfra-gen und die herausragenden Leistungen in der Entwick-lung von Umwelttechnik besteht die Chance, den Markt einer umweltschonenderen Logistik noch stärker zu be-setzen. Dadurch können international Wettbewerbsvor-teile errungen und das Klima geschont werden.

Aufbauend auf diesen Überlegungen kommen wir zu dem Schluss, dass in der Logistik in Zukunft sehr viel stär-ker gegenüber den maschinellen/technischen Lösungen biologische Logistiklösungen an Bedeutung gewinnen werden. Diese sind sehr viel energieschonender und natur-gemäßer, sie werden leichter Akzeptanz in der Gesellschaft und dadurch auch bei den Kunden fi nden. Wir stehen hier allerdings noch am Anfang einer Entwicklung. Wer diese Entwicklung aktiv unterstützt, wird zuerst eventuell höhere Kosten und mehr Aufwand, langfristig aber größeren Markter-folg haben – und er hat dadurch auch einen Beitrag zur Lösung unserer ökologischen Herausforderungen geleistet.

Literaturverzeichnis

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3. Strategien – Entwicklung einer logistik- orientierten Unternehmensführung

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Entwicklungspfade der Logistik

Horst Wildemann

Professor und Leiter des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre – Unternehmensführung,

Produktion und Logistik, TU München

Geschäftsführer des TCW, Management Consulting München

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Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Horst WildemannJahrgang 1942Wildemann leitet den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre – Unter neh-mensführung, Logistik und Produk tionan der TU München. Er studierte in Aachen und Köln Maschinenbau (Dipl.-Ing.) und Betriebswirtschafts-lehre (Dipl.-Kfm.). 1974 promovierte er zum Dr. rer. pol., Auslandsaufent -

halte am Internationalen Management Institut, Brüssel, und an amerikanischen Universitäten schlossen sich an. 1980 habilitierteer sich (Dr. habil.) an der Universität Köln. Seit 1980 lehrte Wildemann als Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Bayreuth, Passau und seit 1988 ist er an der TU München. Ehrungen: Staatsmedaille des Freistaates Bayern (1998), Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (2001), Ehrendoktorwürde der Universitäten Klagenfurt (2003) und Passau (2004), Aufnahme in die Logistik Hall of Fame (2004) und Bayerischer Verdienst-orden (2006).

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Problemstellung

Unterschiedlichen Logistikkonzeptionen zufolge wurde in den 80er Jahren in Japan sowie in den 90er Jahren verstärkt in den USA Ausschau nach neuen Denkansätzen gehalten. Seit Beginn des neuen Jahrtausends sind jedoch auch eigenständige Ansätze in Europa wiederzufi nden. Als Ursache kann angeführt werden, dass hierdurch auf Fehler in der Vergangenheit reagiert wurde: Vielfach wur-den japanische und amerikanische Logistikkonzepte unre-fl ektiert auf die deutsche Industrie übertragen. Ohne den konkreten Anwendungsfall zu kennen, wurden japanische Produktionskonzepte wie das JIT-Konzept auf Ad-hoc-Entscheidungen basierend eingeführt.

Wenn man den Aussagen all derer Glauben schenken darf, die das Toyota-Prinzip vor Ort kennengelernt haben, hätte Toyota mit der Durchführung von Firmenbesuchen und Seminaren ein eigenes profi tables Geschäftsfeld er-öffnen können. Mancher Logistiker hat zudem die Auffas-sung vertreten, es reiche, ein Buch von Ohno – wohlge-merkt die original japanische Fassung – zu lesen, um dann im eigenen Unternehmen zügig mit der Umsetzung der dort beschriebenen Konzepte zu starten. Diese „Hemds-ärmlichkeit“ hat dazu geführt, dass bei einigen Unterneh-

men die Probleme ansteigen und Konzepte für Jahre nicht mehr zur Anwendung kommen.

Eigene Erfahrungen des Verfassers in den letzten 20 Jahren zeigen, dass die Potenziale der Logistik in Un-ternehmen, die Ad-hoc-Entscheidungen getroffen haben, nicht hinreichend realisiert wurden. Empirisch lässt sich dies daran belegen, dass der Durchdringungsgrad etablierter Methoden einerseits und die Zahl der Pilot-projekte innovativer Methoden andererseits geringer sind als bei erfolgreichen Unternehmen. Die Logistik ist aber im Gegensatz zu anderen Disziplinen eine pragmatische, was sich darin zeigt, dass viele der dort tätigen Mitar-beiter ihre Prozesse selbst auf der Aktivitätenebene sehr genau kennen. Den Beteiligten ist eine hohe Kompetenz zuzuschreiben, was die Beurteilung der Wirksamkeit der Logistikkonzepte betrifft.

Die Entwicklungslinien in der Logistik sind daher als Antworten auf die einem Wandel unterliegende Umwelt zu verstehen. Basierend auf einem sich kontinuierlich weiterentwickelnden Verständnis der Logistik wurden in Wissenschaft und Praxis entsprechende Konzepte disku-tiert, die unternehmensübergreifende Formen der Zusam-

Entwicklungspfade der LogistikHorst Wildemann

Abb. 1: Entwicklungslinien in der Logistik

Logistikverständnis

Formen derZusammenarbeit

IT-Unterstützung

Controlling

Leistungstiefe

Funktionsorientierung Managementorientierung

Trends Entwicklungslinien

JIT ECR CPFR

PPS SCM-Systeme eTechnologie RFID

KLR BSC EVA

Outsourcing 3PL / 4PL Betreibermodelle

Markt und Kunde

Entwicklung und Produkt

Produktion und Beschaffung

1985 1995 Zeitachse

Them

enfe

lder

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164 Entwicklungspfade der Logistik

menarbeit zum Gegenstand hatten. Ein wesentlicher Beitrag für diese zügige Entwicklung wurde durch die IT-Architekturen und IT-Applikationen geschaffen, die sich heute bereits vielfach durch hohe Interoperabilität und Kompatibilität auszeichnen. Logistikkonzepte und -metho-den werden zunehmend nicht nur hinsichtlich operativer, sondern vielmehr strategischer Relevanz diskutiert. Die Wertorientierung hat zudem mittlerweile Einzug in die Bewertung logistischer Leistungen gefunden. Diese bilan-zielle Betrachtung der Logistik zeigt sich insbesondere bei der Fremdvergabe logistischer Leistungen. Mit Betreiber-modellen in der Logistik wird heute ein Maximum an Flexi-bilität hinsichtlich der Befriedigung von Kundenwünschen bei gleichzeitig bilanziertem Einsatz des Vermögens, d. h. des Anlage- und Umlaufvermögens, erzielt (vgl. Abb. 1).

Vom funktionsorientierten zum management-orientierten Logistikverständnis

Die Konzeption der Unternehmenslogistik stützt sich auf systemtheoretische Erkenntnisse. Sie umfasst die ganz-heitliche, Funktions- und Unternehmensgrenzen überwin-dende Gestaltung, Steuerung und Koordination der Mate-rial- und Produktfl üsse sowie der hierzu komplementären Informationsfl üsse von den Lieferanten durch das Unter-nehmen bis hin zu den Kunden. Aus diesem Gegenstands-bereich heraus haben sich vier Konzepte der Logistik her-ausgebildet (vgl. Wildemann 2005) (vgl. Abb. 2):

• Instrumentelle Logistikkonzeption: Diese Dimension beinhaltet das betriebswirtschaftlich-technologische

Instrumentarium, welches zur Durchführung logistischer Aufgaben eingesetzt wird. Neben der Entwicklung und Anwendung von Verfahren zur Planung, Steuerung und Koordination logistischer Prozesse oder Systeme be-fasst sich der instrumentelle Logistikansatz mit dem Einsatz und der Nutzung von Materialfl uss-, Informa-tions- und Kommunikationstechnologien.

• Funktionale Logistikkonzeption: Die funktionale Sichtweise betrachtet die Unternehmenslogistik als Aufgabenkomplex, der sich aus sämtlichen zur bedarfsgerechten Versorgung einer Unternehmung erforderlichen operativen, administ-rativen und dispositiven Aktivitäten zusammensetzt. Die Logistik tritt in dieser Betrachtung als eigenständiges funk-tionales Subsystem neben traditionellen Unternehmens-funktionen wie Forschung und Entwicklung, Einkauf, Pro-duktion und Vertrieb auf.

• Institutionelle Logistikkonzeption: Sie behandelt die Einord-nung der Unternehmenslogistik in das Organisationssystem und die aufbauorganisatorische Strukturierung der Logis-tik. Obwohl die primär funktionsintegrierende Sichtweise der Logistik die Bildung eigenständiger organisatorischer Strukturen nicht präjudiziert, wird die Reorganisation beste-hender Organisationsstrukturen als wesentliche Schlüssel-größe zur erfolgreichen Umsetzung der Logistikkonzeption angesehen. Durch die Bündelung von Aufgaben und Kom-petenzen in selbstständigen Organisationseinheiten sollen die Voraussetzungen für eine ganzheitliche Optimierung der Material- und Informationsfl üsse geschaffen werden.

• Managementorientierte Logistikkonzeption: Die ma-nagementorientierte Perspektive betrachtet die Unter-nehmenslogistik als Führungskonzept und stellt stra-

Abb. 2: Das Logistikverständnis im zeitlichen Ablauf

operativ Zeit

Phase 1

Phase 2

strategisch

1985 1995 2008

Phase 3

Phase 4

InstrumentellesLogistikverständnis

Logistik als Unternehmensfunktion

Logistik als Management-Konzept

Logistik als institutionelles Konzept

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165Horst Wildemann

tegische Gestaltungsaspekte in den Vordergrund. Die Logistik wird nicht als eine auf die Steuerung, Abwick-lung und Überwachung von Material- und Informations-fl ussaktivitäten beschränkte Dienstleistungsfunktion angesehen, sondern als querschnittsorientierte Grund-haltung zur zeiteffi zienten, kunden- und prozessorien-tierten Koordination von Wertschöpfungsaktivitäten. Das managementorientierte Logistikverständnis geht über den eigentlichen Logistikbereich hinaus. Dieses Verständnis impliziert logistisches Denken und Handeln in sämtlichen Unternehmenseinheiten und Hierarchie-stufen.

Die konzeptionellen Alternativen spiegeln nicht nur die in der Literatur anzutreffenden Abgrenzungen des Logistikbegriffs wider. Sie können auch als Stufen eines Entwicklungspfades verstanden werden. Während zu Beginn der Auseinandersetzung mit logistischen Phä-nomenen die Lösung von operativen Transport-, Versor-gungs- sowie Distributionsproblemen im Vordergrund stand, traten mit zunehmendem Erkenntnisfortschritt aufgabenbezogene Gestaltungsaspekte in den Mittel-punkt der Betrachtung. Dabei wurde deutlich, dass zur durchgängigen Umsetzung der Querschnittsfunktion Logistik eine institutionelle Aufwertung logistischer Aufgaben erforderlich ist. Als Weiterentwicklung des organisationsorientierten Logistikverständnisses kehrt die managementorientierte Logistikkonzeption den strukturoptimierenden Entwicklungstrend um, indem sie darauf abzielt, den institutionellen Einfluss der Logistik auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken, aber gleichzeitig fordert, dass sämtliche an der Wertschöp-fung direkt oder indirekt beteiligten Prozesse nach logistischen Prinzipien ausgerichtet werden müssen, wenn ein Gesamtoptimum erreicht werden soll. Für die-se These einer konzeptionellen Weiterentwicklung der Logistik sprechen außerdem die bei einzelnen Autoren im Zeitverlauf zu beobachtenden terminologischen Dif-ferenzierungen. So definierte Ihde (Ihde 1980) Logistik zunächst als „Sammelbegriff für alle ökonomischen Prozesse, die die räumliche und zeitliche Verteilung von Realgütern bestimmen, und zwar von Materialien und Produkten“, während er in einem späteren Stadium der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit logistischen Fragestellungen eine von einer Managementkonzeption geprägte Position einnimmt: „Die Logistik ist eine wis-senschaftliche Denkhaltung, eine Führungskonzeption, die durch die übergreifende Betrachtung der gesamten unternehmerischen Wertschöpfungskette und – bei kon-

sequenter organisatorischer Umsetzung – die Zuständig-keit für alle damit verbundenen Güterbewegungen und -bestände gekennzeichnet ist“ (Ihde 1987).

Von Just-In-Time (JIT) zu Collaborative Planning, Forecasting & Replenishment (CPFR)

Der zunehmende Konkurrenzdruck, steigende Kosten und die Forderung des Marktes nach Flexibilität zwangen die europäischen Unternehmen bereits zu Beginn der 80er Jahre zur Ausschöpfung vorhandener Rationalisierungsre-serven. In der Ausgangssituation organisierten japanische Unternehmen ihre Produktion nach anderen Prinzipien als europäische Unternehmen, sodass das Just-In-Time (JIT)-Konzept zunächst analysiert und anschließend eine den europäischen Verhältnissen angepasste Konzep-tion entwickelt und in der Produktion vieler europäischer Unternehmen implementiert wurde. Später erfolgte die Ausweitung des Konzeptes über die Unternehmensgren-zen hinweg über den Bereich der Zulieferung bis hin zum Kunden über die gesamte unternehmensübergreifende Wertschöpfungskette. Im Zusammenhang mit einem managementorientierten Logistikverständnis wurden da-mit die JIT-Prinzipien über die gesamte Wertschöpfungs-kette angewandt.

Die Umgestaltung der Produktion und Zulieferung nach JIT-Gesichtspunkten orientiert sich an vier Erkenntnissen (vgl. Wildemann 2005):

• Erkenntnis 1: Bestände in der Produktion und im Fertig-warenlager stellen gespeicherte Kapazitäten dar.

• Kapazitäten sind nicht als Umlauf-, sondern als An-lagevermögen zu speichern. Dies erfordert eine Um-schichtung in der Bilanzstruktur. Anzustreben ist eine Erweiterung des Anlagevermögens zugunsten des Umlaufvermögens mit dem Ziel kurzer Durchlaufzeiten und hoher Flexibilität. Zusätzliche Kapazitäten ermög-lichen die Verringerung der zeitlichen Verzögerung zwischen auftretender Nachfrage und betrieblicher Reaktion.

• Erkenntnis 2: Bestände verdecken Fehler.• Bestände verdecken in einer Produktion, die sich am

Fließprinzip orientiert, störanfällige Prozesse, unabge-stimmte Kapazitäten, mangelnde Flexibilität, Ausschuss und unzureichende Lieferbereitschaft. Bestandssenkun-gen machen diese Probleme transparent. Darüber hinaus entsteht der Zwang zur Lösung dieser Probleme. Dadurch wird eine permanente Rationalisierung des Produktions-geschehens initiiert.

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166 Entwicklungspfade der Logistik

• Erkenntnis 3: Zur Beurteilung der Effi zienz in der Ferti-gung sind neben Kosten und Produktivität die Durch-lauf- und Wiederbeschaffungszeiten heranzuziehen.

• Kurze Durchlaufzeiten und kurze Wiederbeschaffungs-zeiten verringern den Prognosezeitraum, verbessern die Lieferfähigkeit und erlauben eine hohe mengenmäßige Flexibilität bei Marktänderungen. Die anzustrebende Durchlaufzeit muss sich an der Prognosesicherheit orientieren.

• Erkenntnis 4: Nicht Funktions-, sondern Flussoptimie-rung ermöglicht eine JIT-Produktion.

• Zielsetzung ist die Nutzung der Vorteile der Fließfertigung auch in der Losfertigung. Dies bedeutet eine Verkleinerung der Losgrößen bei gleichzeitiger Erhöhung der Wiederauf-lagehäufi gkeit. Der ständige Wechsel der Produktion er-fordert Rüstzeitminimierungsstrategien und Investitionen in eine fl exible Produktionstechnik als Voraussetzung zur Erlangung einer Synchronisation der Kapazitäten. Klei-nere Losgrößen mit geringem Bestand verlangen sichere Produktionsbedingungen. Daher sind Strategien zur Erhö-hung der Qualitätssicherheit unbedingt erforderlich.

Just-In-Time ist eine Produktions- und Logistikstrategie. Unter der Forderung der Bedarfserfüllung zum richtigen Zeitpunkt, in richtiger Qualität und Menge am richtigen Ort erfolgt eine Neuorganisation des betrieblichen Ab-laufs, die sich auf den Material- wie auch auf den Infor-mationsfl uss mit dem Ziel erstreckt, die Aktivitäten des Wertschöpfungsprozesses an engen Marktbedürfnissen auszurichten. Zur Implementierung einer JIT-Produktion und -Zulieferung ist eine ganzheitliche Betrachtung des Wertschöpfungsprozesses vom Rohstoff bis zum Kunden erforderlich. Der Materialfl uss verläuft von den Zulieferun-ternehmen zu den Abnehmern. Der zur Koordination not-wendige Informationsfl uss verläuft entgegengerichtet und zeitlich vorgezogen vom Abnehmer zum Zulieferanten.

Mitte der 90er Jahre wurden die JIT-Prinzipien auch auf die indirekten Bereiche übertragen. So zielt JIT in F&E und Konstruktion auf Zeiteinsparungen und Flexi-bilitätssteigerungen mit der Folge von Kostenreduzie-rungen und Qualitätsverbesserungen ab. Das Ergebnis intensiver Forschungsarbeiten unter Einbezug mehrerer Fallbeispiele führte zur Defi nition von fünf tragenden Gestaltungsprinzipien des Konzeptes Just-In-Time in F&E und Konstruktion zur Steigerung der Effi zienz von Innova-tionsprozessen:

• Vorverlagerung von Erkenntnisprozessen,• Erhöhung des Anteils deterministischer Prozesse,

• Parallelisierung von Aktivitäten,• Integration von Aktivitäten und• Beschleunigen von Aktivitäten.

Ziel ist die (Vor-)Verlagerung von Erkenntnisprozessen vom Ende an den Anfang der Innovationskette. Ergebnis ist die Reduzierung der Änderungen und Schleifen im Ablauf, die teilweise bis zu 40 Prozent des gesamten Zeitanteils beinhalten. Das traditionelle Kapazitätsverteilungsprofi l eines Entwicklungsprojektes hat einen progressiv zu-nehmenden Verlauf, der erst sehr spät einsetzt. Ursache dafür ist die sequenzielle Abarbeitung der verschiedenen Themen durch die verschiedenen Disziplinen. Das Konzept des Simultaneous oder Concurrent Engineering ermöglicht die Vorverlagerung dieser Informationsprozesse durch geeignete Abläufe, Strukturen und Methoden. Entwick-lungsprozesse enthalten planbare, also deterministische, und nur mittelbar planbare, also stochastische Prozesse. Ziel muss es sein, die Planbarkeit der Prozesse und damit den deterministischen Anteil zu erhöhen. Die Determi-nierbarkeit wird maßgeblich von der Geschwindigkeit und Häufi gkeit der Lernprozesse beeinfl usst. Gelingt es, durch Installation kurzer Regelkreise die Zahl der Lernprozesse zu erhöhen, steigt die Frequenz und Qualität der Rückkop-pelungen. Die Reduzierung der Informationsbearbeitungs-zeiten geht einher mit kurzen Informationsliegezeiten und führt zu einem Informationsgewinn je Zeiteinheit. Die dadurch verbesserte Planungsbasis führt zur Reduktion stochastischer Prozessanteile.

Ein weiteres Prinzip ist die Parallelisierung von Aktivi-täten. Diese Art der Vorgehensweise stellt die üblichen Sequenzen im Ablauf infrage. Die Parallelisierung von Aktivitäten ist nur bei voneinander unabhängigen Tätig-keiten möglich. Der Grad der Abhängigkeit wird von den relevanten Informationen und der personellen Verteilung determiniert.

Drittes Prinzip ist die Zusammenfassung und Inte-gration von Aktivitäten. Dieser auf eine Reduzierung der Arbeitsteilung abzielende Aspekt setzt bestimm-te Qualifikationen bei den Mitarbeitern voraus; dabei sind insbesondere die Qualifikationen, die sich nicht auf bestimmte Tätigkeitsinhalte beziehen, sondern im Bereich der sozialen Kompetenz liegen, wie Verständ-nis für die Verflechtung der individuellen Leistungspro-zesse, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbe-reitschaft sowie Lernfähigkeit und Lernbereitschaft von Bedeutung.

Weiteres Prinzip zur Realisierung der JIT-Ideen in der Innovation ist die Beschleunigung von Aktivitäten durch

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167Horst Wildemann

Sachmittel und Tools. Ziel ist die Verkürzung der Ver- bzw. Bearbeitungszeiten. Besonders in der Entwicklung liegen in diesem Zusammenhang Potenziale, die durch den Ein-satz neuer Technologien erschlossen werden können. Bis-her relativ zeitkritische Aktivitäten wie das Erstellen von Zeichnungen, das Ändern sowie die Defi nition von Stück-listen können durch Einsatz geeigneter Tools wesentlich beschleunigt werden.

Die Umsetzung der JIT-Prinzipien erfolgt durch das Bausteinkonzept Just-In-Time, bestehend aus der inte-grierten Informationsverarbeitung, Fertigungssegmen-tierung und produktionssynchronen Beschaffung (vgl. Wildemann 2001a).• Integrierte Informationsverarbeitung: Die an der Fluss-

optimierung orientierte kundennahe Produktion erfor-dert neue Planungs- und Steuerungskonzepte, die eine Vereinfachung der Informations- und Koordinationsauf-gaben zum Ziel haben. Der für die Produktion notwen-dige Informationsfl uss wird eng mit dem Materialfl uss verknüpft und bewegt sich in entgegengesetzter Rich-tung. Es werden selbststeuernde Regelkreise gebildet. Dabei erfolgt eine Umkehrung der Bringschuld in eine Holpfl icht durch die potenziellen Verbraucher. Der Auf-trag zur Nachfertigung wird von der verbrauchenden an die produzierende Stelle gegeben. Die Einführung der Holpfl icht erfordert eine detaillierte Planung der orga-nisatorisch zu verbindenden Kapazitätseinheiten, eine Gestaltung dezentraler, im Fertigungsbereich angeord-neter, physisch begrenzter Pufferlager, die Einhaltung von Verfahrensregeln durch den Mitarbeiter und einen fl exiblen Personal- und Anlageneinsatz zur Anpassung an Beschäftigungsschwankungen. Die Implementie-rung des Holprinzips orientiert sich an einer Nachfra-ge-Angebots-Situation. Der Kunde fragt Teile „just in time“ nach, die Produktion und Zulieferung stellt dafür ein Kapazitätsangebot bereit. Hierdurch wird die zent-rale Steuerung durch ein marktwirtschaftliches Prinzip ersetzt. Eine zentrale Kontrolle ist nur für die Über-wachung des Gleichgewichtszustandes des gesamten Systems erforderlich. Eine detaillierte Ablaufregelung ist nicht mehr nötig. Das Kontrollkonzept nach dem Holprinzip prüft gleichermaßen alle Aspekte der Kun-denbelieferung wie Mengen, Qualität und Zeit. Die Informationsverarbeitung des Just-In-Time-Konzeptes erfordert aus Gründen der Komplexität einen Metho-denmix, der unterschiedliche Planungs- und Steue-rungsmethoden kombiniert.

• Fertigungssegmentierung: Die Realisierung einer kun-dennahen Produktion nach JIT-Prinzipien setzt Struk-

turveränderungen im Wertschöpfungsprozess voraus. Die Strukturveränderungen im Sinne der Fertigungsseg-mentierung orientieren sich an den Merkmalen Markt- und Zielausrichtung, Produktorientierung, mehrere Stufen der logistischen Kette eines Produkts in einer Organisationseinheit, Übertragung indirekter Funktio-nen in das Segment sowie Kostenverantwortung. Ziel der Fertigungssegmentierung ist die weitgehende Ent-fl echtung der Kapazitäten. Dies lässt sich nicht durch Insellösungen, sondern nur durch eine ganzheitliche Be-trachtung der logistischen Kette und deren bewusste Gliederung in organisatorische Einheiten nach Produkt und Technologie erreichen. Die produktionswirtschaft-lichen Ziele wettbewerbsfähiger Kosten, Lieferzeit, Flexibilität und Qualität stehen dabei gleichrangig ne-beneinander. Zur Flussoptimierung werden Techniken wie die Produktion von Tageslosgrößen, Reduzierung der Rüstzeiten und Verknüpfung der Operationen ein-gesetzt. Das Just-In-Time-Konzept beeinfl usst wesent-lich die Qualitätssicherung im Unternehmen. Durch un-mittelbare Rückmeldung, die durch niedrige Bestände ausgelöst wird, Beschränkung auf Produktionsraten, die eine permanente Anlaufkontrolle benötigen, und die Möglichkeiten des Mitarbeiters zur direkten Prob-lemlösung wird die Qualitätssicherung unterstützt (vgl. Wildemann 1998).

• Produktionssynchrone Beschaffung: Die produktions-synchrone Beschaffung nach Just-In-Time-Prinzipien be-inhaltet mehrere Bausteine. Dazu zählen Teileauswahl, Lieferantenbewertung- und -auswahl, die Analyse des Informationsfl usses zwischen Lieferant und Abneh-mer und der einsetzbaren Informations- und Kommu-nikationstechnologien sowie Qualitätssicherungs- und Speditionskonzepte. Zulieferunternehmen sichern ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch, dass sie Produkte kos-tengerecht und mit kurzen Lieferzeiten anbieten. Die Lieferzeit ist in der Regel geringer als die für die Leis-tungserstellung notwendige Herstellungszeit. Es ist je-doch ein Trend zu kürzeren Lieferfristen festzustellen. Der Abnehmer bestellt so spät wie möglich, um bei der Disposition die Unsicherheiten zu minimieren. Eine kurz-fristige Lieferfähigkeit kann sich auch aus der Vorhaltung von Rohmaterial sowie Zwischen- und Fertigprodukten ergeben. Dieses Umlaufvermögen verursacht Kapitalbin-dungskosten. Die Einführung des Just-In-Time-Konzeptes ermöglicht durch bessere und schnellere Informations-übermittlung, Fertigung nur auf Kundenbedarf sowie die Implementierung des Holprinzips eine Senkung dieser Bestände. Die dafür nötige Prognosequalität orientiert

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168 Entwicklungspfade der Logistik

sich an der Durchlaufzeit des Zulieferers. Durch eine partnerschaftliche Kundenbeziehung kann die hierfür erforderliche frühe Informationsbereitstellung gewähr-leistet werden. Bei der Auswahl der Zulieferunterneh-men für eine produktionssynchrone Beschaffung werden nicht nur die Kriterien Preis, Qualität, Zuverlässigkeit und Service betrachtet, sondern auch ihre Anpassungsfähig-keit hinsichtlich gewünschter Anlieferungsfrequenz, ex-akter Termine und eines steigenden Qualitätsstandards berücksichtigt. Spezialisierte Zulieferunternehmen, wel-che die gesamte fremdvergebene Produktion abdecken und sich in räumlicher Nähe zum Abnehmer befi nden, werden bevorzugt. Durch die Vergabe der Fertigung an ein Zulieferunternehmen entsteht ein Verhältnis beidsei-tiger Abhängigkeit, welches aber auch Vorteile für beide Partner aufweist. Größere Stückzahlen und eine länger-fristige Kapazitätsauslastung erlauben dem Zulieferer die Realisierung von Kostendegressionseffekten und ermöglichen dem Abnehmer eine fast bestandslose Fer-tigung mit einer Konzentration auf die strategisch wich-tigen Produktionsbereiche. Für den Abnehmer eröffnet sich die Möglichkeit einer Fertigungstiefenreduzierung und gleichzeitig die Nutzung neuester Technologie in den verbleibenden Bereichen des eigenen Unternehmens zur Akkumulation von Erfahrungen und zur Gewinnung wei-terer Marktanteile.

Mitte der 90er Jahre wurde das Effi cient Consumer Res-ponse-Konzept als erste Weiterentwicklung des JIT-Kon-zepts diskutiert (vgl. Abb. 3). Das ECR-Konzept basiert auf der erfolgreichen Kombination logistischer und marketing-orientierter Ansätze (vgl. ECR 1997; Wildemann 2008).

Voraussetzung zur Entwicklung eines leistungsfähi-gen Konzepts war der Aufbau eines effi zienten Informati-onsmanagements. Ein wesentliches Anwendungsfeld für ein derartiges, auf der Zusammenarbeit von Logistik und Marketing beruhendes Konzept bot die Lebensmittel- und Non-Food-Konsumgüterwirtschaft, die durch weitge-hend gesättigte, fragmentierte Märkte sowie zyklische Nachfrageschwankungen besonders hohe Anforderun-gen an diese beiden Disziplinen stellt. Ausgangssituati-on in diesen Branchen waren die bisher nur jeweils bei Hersteller- und Handelsunternehmen unternehmensin-tern durchgeführten Prozessoptimierungen, die gerade bei den gewaltigen diskontinuierlichen Materialfl üssen zu erheblichen Ineffi zienzen in den Distributionssyste-men führten. Ein hoher Servicegrad konnte aufgrund der wachsenden Variantenvielfalt und dem kaum prog-nostizierbaren, stark schwankenden Nachfrageverhalten der Kunden nicht durch den Aufbau von Lagerbestän-den erreicht werden. Es ergaben sich erhöhte Logistik-kosten durch die überdimensionierten Lagerbestände beiweiterhin auftretenden Lieferengpässen aufgrund reali-

Abb. 3: ECR- und CPFR-Konzept als Weiterentwicklung des JIT-Konzepts

Just-in-Time-Konzept

Efficient-Consumer-Response-Konzept

Form

en d

er Z

usam

men

arbe

it

1985 1995 2008 Zeitachse

CRM

APS

ERP

II: Integrierte Informationsverarbeitung FS: Fertigungssegmentierung PB: Produktionssynchrone Beschaffung

HändlerOEM

JIT

FS PBII

schneller, papierloser Informationsfluss

CPFR

Minimierung der Kosten entlangder gesamten Versorgungskette

Standortbezogene Maximierungder Filialleistung

Warenversorgung Nachfrage

Hersteller Logistik Handel Konsument

AbschätzungBedarf

„Auffüllen”

Dokumentation,Performance

Bedarf

Vorgaben,Anforderungen

Kundenspezif.Fertigung

VerbrauchPrognosePOSBestände

VerbrauchPrognoseBestellung Lieferung

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169Horst Wildemann

tätsferner Prognosen und fehlender Informationsfl üsse über die tatsächliche Kundennachfrage am Point of Sale. Außerdem führte der mangelhafte Informationsfl uss und -austausch von Basisinformationen, Berichts- und Bewegungsdaten zwischen den Herstellerunternehmen als Produktspezialisten sowie den Handelsunternehmen als Servicespezialisten zu Ineffi zienzen in Logistik- und Marketingprozessen.

Der Ausgangspunkt des ECR-Konzepts liegt eindeutig in der Fokussierung aller Aktivitäten auf den Kunden, in-dem zunächst möglichst genau die Kundenerwartungen erfasst und anschließend die Nachfrage weitgehend befriedigt wird. Aus dieser marktnahen Gestaltung von Produkten und Leistungen sollen über eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit die entscheidenden Wettbewerbs-vorteile resultieren. Damit die kundenorientierten Leis-tungssteigerungen jedoch nicht zu Lasten des Preises erfolgen, bleibt die effi ziente und damit kostengünstige Prozessgestaltung ein wesentlicher Schwerpunkt des Konzepts. Als übergeordnete Zielsetzung verfolgt das Konzept die ganzheitliche Prozessoptimierung in koope-rativen Distributionssystemen bei einer Steigerung der Umsätze und Erträge in den beteiligten Unternehmen.

In der Logistik verfolgt das Konzept grundsätzlich eine Reorganisation des Distributionsprozesses von einem stark vergangenheitsbezogenen planorientierten Bring-Prinzip zu einem fl exibel reagierenden, nachfragegesteu-erten Hol-Prinzip, das sowohl zur Prozessgestaltung als auch zur Steuerung im operativen Geschäft Ansätze des Marketings kontinuierlich mit einbezieht. Diese Leitlinie spiegelt sich in mehreren spezifi schen Methoden wider, die unter ECR-Gesichtspunkten alle relevanten Bereiche im Distributionsprozess abdecken.

Die „kontinuierliche Nachschubsteuerung“ als Metho-de des Bestands- und Bestellmanagements verfolgt die Zielsetzung, durch eine strikte Orientierung der Nach-schubversorgung an der tatsächlichen Kundennachfrage am Point of Sale die bisherigen losgrößenorientierten Bestellungen des Handels durch einen fl exiblen und kon-tinuierlichen Nachschubprozess zu ersetzen. Um die Be-standssenkungen beim Handel als direkte Auswirkung der nachfragegesteuerten Belieferung nicht mit zusätzlichem Transportaufwand durch Erhöhung der Lieferfrequenzen bei kleineren Liefermengen zu erkaufen und das Versor-gungsrisiko mit dem resultierenden Bestandsaufbau nicht einfach dem Hersteller zu übertragen, muss das Bestands- und Bestellmanagement auch vor dem Hintergrund eines Gesamtoptimums grundlegend umgestaltet werden. Bei der konsequenten Umsetzung erhält der Hersteller eine

möglichst durchgängige Verantwortung über den Versor-gungsprozess und steuert selbstständig die Nachschub-versorgung. Der Hersteller generiert auf Basis der aktuell verfügbaren Lagerbestandsdaten und Abgangsdaten der Distributionszentren und Filialen und mit Informationen des Marketing über Verkaufsprognosen und Verkaufs-förderungsmaßnahmen die Bestellungen für die einzel-nen Distributionsstufen sowie für seine Produktion. Er bestimmt damit über die Liefermengen und -termine die Prozessparameter im Distributionskanal.

Die Verknüpfung von Logistik und Marketing in neu-artigen prozessorientierten Organisationsformen führt zu signifi kanten Effi zienzsteigerungen. Bisher trennen Abteilungs- und Unternehmensgrenzen als funktiona-le historisch gewachsene Organisationsstrukturen aus Prozesssicht zusammengehörige Funktionen durch zahl-reiche Schnittstellen. Diese Strukturen widersprechen wesentlichen Leitlinien moderner Managementansätze wie Prozessorientierung, eindeutige Verantwortung und wirkungsvolles Controlling. Um im internationalen Wett-bewerb bestehen zu können, sind die Unternehmen zuneh-mend gezwungen, auch über branchenfremde neuartige Organisationsformen Prozessverbesserungen zu realisie-ren. Neben dem globalen Ansatz der Prozessorientierung bietet das ECR-Konzept eine wirksame Möglichkeit, auf die sich verändernden Marktbedingungen einzugehen. Das ECR-Konzept ermöglicht die Implementierung von JIT-Prinzipien über die gesamte Wertschöpfungskette. Es er-weitert das JIT-Konzept um den Marketingaspekt und geht im strategischen Bereich über das JIT-Konzept hinaus.

Eine erweiterte strategische Sichtweise geht nun mit dem seit Beginn des neuen Jahrtausends etablierten Col-laborative Planning, Forecasting & Replenishment-(CPFR)-Konzept einher (vgl. Stölzle 1999) (vgl. Abb. 4).

Planning Collaboration (Collaborative Planning) (vgl. Dudek 2004) beinhaltet die lang- bis mittelfristige Planung der Wertschöpfungsaktivitäten. Dies betrifft insbesondere die Festlegung der allgemeinen Rahmen-bedingungen der Kooperation und der Entwicklung eines gemeinsamen Geschäftsplanes unter Berücksichtigung der Geschäftsentwicklungsplanung der einzelnen an der Supply Chain beteiligten Unternehmen. Ziel ist neben der frühzeitigen grundsätzlichen Abstimmung der Ver-antwortlichkeiten die Herstellung einer qualitativen und quantitativen Planungsgrundlage, die insbesondere auch in die unternehmensspezifi sche Kosten-, Leistungs- und Investitionsplanung einfl ießt.

Zumindest hinsichtlich der langfristigen Bedarfsprog-nosen geht die Phase der gemeinsamen Planung nahtlos

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170 Entwicklungspfade der Logistik

in die Phase der gemeinsamen Prognose über (Collabo-rative Forecasting). Diese beinhaltet insbesondere die Erstellung und synchrone Aktualisierung der Verkaufspro-gnosen in unterschiedlichen Zeithorizonten unter Berück-sichtigung von Besonderheiten, wie bspw. Promotions. Ohne eine zugrunde liegende Collaboration-Philosophie führen derartige Aktionen regelmäßig zu Engpässen in der Supply Chain. Die Collaboration im Rahmen der Progno-se hat schwerpunktmäßig einen mittel- bis kurzfristigen Charakter. Zur Vermeidung von Engpässen in der Supply Chain ist neben dem Abgleich der Verkaufsprognosen ins-besondere auch der unternehmensübergreifende Abgleich der zur Verfügung stehenden Kapazitäten unerlässlich. Im Rahmen der Collaboration bei der Planung der Kapazitä-ten erfolgt daher die Bestimmung des auf der Basis der zur Verfügung stehenden technischen und personellen Kapazitäten realisierbaren Outputs.

Aufgabe der Collaboration bei der Bestandsplanung ist eine unternehmensübergreifend optimierte Planung der Bestände. Ziel ist die Realisierung einer hohen Effektivität im Sinne der Realisierung der geforderten Lieferfähigkeit und -qualität bei gleichzeitiger hoher Effi zienz im Sinne ei-ner bestandsarmen Sicherstellung der Marktanforderun-gen. Neben der Transparenz der Bestandssituation in der Supply Chain sind in diesem Zusammenhang insbesonde-re Kennzahlen für Bestandsgrößen sowie Bestandsanaly-sen und -kontrollen zu realisieren. Parameter wie bspw. Lagerhaltungskosten und -kapazitäten sowie Sicherheits-bestände sind hierbei zu beachten. Konzepte des Vendor Managed Inventory (VMI) und der Bestandskonsignation gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Im Rahmen der Collaboration bei der Auftragsabwick-lung gilt es, die Zusammenarbeit bei aktuell abzuwickeln-

den Aufträgen zu optimieren. Neben dem Tracking und Tracing gewinnt dieser Aspekt mit zunehmender Kunden-individualisierung und unternehmensübergreifender Parallelisierung der Aktivitäten im Rahmen des Änderungs-managements zunehmend an Gewicht. Ein wesentlicher Teilbereich der Collaboration bei der Auftragsabwick-lung besteht damit in der friktionsfreien Integration von Produktänderungen während der Phase der Auftragsab-wicklung.

Schließlich dient die Collaboration bei der Planung von Transportkapazitäten der unternehmensübergreifen-den Abstimmung der Transportkapazitäten auf der Basis der Planungs- und Forecasting-Vorgaben. Dabei steht die kostenoptimale und termingerechte Produktdistribution im Vordergrund der Betrachtungen. Im Rahmen der Col-laboration bei der Planung von Transportkapazitäten sind insbesondere auch unerwartete Ereignisse, die bspw. zu Sonderfahrten führen, zu berücksichtigen. Dieser Teilas-pekt zielt vor allem auf die Integration von Logistikdienst-leistern in die Supply Chain.

Zusammenfassung und Ausblick

Logistikmanagement steht heute im Spannungsfeld weltweiter und lokaler Märkte. Unternehmen sehen sich konfrontiert mit einem anhaltenden Preisdruck, steigenden Kundenerwartungen hinsichtlich Individua-lisierung, Komplexität und Lieferzeit des Produktes, der zunehmenden Konzentration auf Kernkompetenzen und der weiteren Globalisierung von Produktion und Beschaf-fung. Angesichts dieser Anforderungen befi ndet sich das Wissenschaftsfeld Logistikmanagement in einem Wand-lungsprozess. Zusätzlich zur traditionellen Zielsetzung

Strategische Planung

vom CPFR-Konzept zusätzlichabgedeckter Bereich

Abb. 4: Abgrenzung der Logistikkonzepte

vom ECR-Konzeptabgedeckter Bereich

Logistik

vom JIT-Konzeptabgedeckter Bereich

Marketing

stra

tegi

sch

oper

ativ

C - Collaborative

P - Planning

C - Forecasting

C - Replenishment

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171Horst Wildemann

der effi zienten Material- und Informationsfl ussgestaltung wird die Entwicklung und Verfügbarkeit zukunftssicherer Logistiksysteme immer mehr zu einem entscheidenden Wettbewerbs- und Erfolgsfaktor. Im Einklang mit dieser Entwicklung steht daher die Gestaltung und Steuerung vielstufi ger, vernetzter Prozesse zur Sicherung und Stei-gerung der Wettbewerbsfähigkeit zunehmend im Mittel-punkt betriebswirtschaftlicher Untersuchungen, die nicht mehr auf einer funktions-, sondern auf einer manage-mentorientierten Logistikkonzeption basieren. Durch die Anwendung von Konzepten und Instrumenten der Just-in-Time- und der Collaborative Planning-, Forecasting & Replenishment-Ansätze hat sich die Logistik in Theorie und Wissenschaft unternehmensintern und dann -über-greifend kontinuierlich weiterentwickelt. Die zukünftigen Herausforderungen der Logistik werden ihrerseits durch einige wesentliche Entwicklungslinien bestimmt:

Die weltweiten Verfl echtungen von Beschaffung, Entwicklung, Produktion und Distribution werden weiter zunehmen. Technologietreiber für diese Entwicklung ist in erster Linie der zunehmende Einfl uss der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Supply Chain. Stationäre Technologien werden dabei mit mobilen Tech-nologien zunehmend verzahnt werden. IT-Architekturen und IT-Applikationen werden sich durch verbesserte Portabilität und Interoperabilität auszeichnen.

Webbasierte Informationstechnologien in Zusammen-hang mit der RFID-Technologie werden noch stärker eine Real-time-Verfügbarkeit von Informationen und Wissen sowie Transparenz in der Supply Chain ermöglichen. IT-Technologien haben nicht nur entscheidende Wirkungen auf die bereits bekannten Erfolgsfaktoren Kosten, Reakti-onsgeschwindigkeit oder Kundenservice, sondern stellen darüber hinaus neue, kollaborative Verbindungen zwi-schen Zulieferern und Abnehmern her.

Die Wirtschaftsräume der Welt werden sich neu gruppieren, wie das Aufkommen neuer Niedriglohnl änder sowie die Diskussion um den osteuropäischen Wirt-schaftsraum zeigen. Der sich verschärfende internatio-nale Kostenwettbewerb erfordert ein Ausschöpfen des Innovations- und Servicepotenzials seitens der Unterneh-men. Der kollaborative Ansatz in der Logistik ist für die organisatorische Weiterentwicklung der Unternehmen zu nutzen. Der wirtschaftliche und technische Wandel wird schneller. Neue Wertschöpfungsketten und Geschäfts-modelle werden entstehen. Das kollaborative Logistik-Management verbindet dabei die digitalen Fantasien der new economy mit den realen Werten der old economy. Am Ende jedes Geschäftsvorgangs steht nach wie vor die

Sicherstellung einer schnellen und pünktlichen Lieferung, welche zum Wettbewerbserfolg von Unternehmen nach-haltig beitragen wird.

Die Bewertung des Nutzens der Logistik hat sich bis-lang auf quantitative Aspekte erstreckt. Es ist daher zu-künftig Gegenstand der Logistikforschung zu analysieren, wie groß die Zahlungsbereitschaft der Kunden für die jeweilige Logistikleistung ist. Hier können Anleihen zur Conjoint-Analyse getätigt werden. Weiterhin ist zu dis-kutieren, ob auch qualitative Aspekte wie die Steigerung des Vertrauens und die Verbesserung der Transparenz in der Supply Chain zu bewerten und deren Kosten sowie Nutzen zwischen den Akteuren aufzuteilen sind.

Insgesamt wird die kontinuierliche Weiterentwicklung und Professionalisierung der Logistik, insbesondere unter Berücksichtigung der zukünftigen Trends, zu einer Wertstei-gerung für Unternehmen führen. Dabei wird ein zweifacher Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswerts angestrebt. Die erfolgreiche Rationalisierung logistischer Prozesse äu-ßert sich in verbesserten Kunden-Lieferanten-Beziehun-gen, reduzierten Beständen, verkürzten Durchlaufzeiten, erhöhter Produktivität und verbesserter Qualität und wirkt so positiv auf Kostenstrukturen ein. Andererseits erweitert ein hohes logistisches Leistungsniveau die Basis für die Generierung von Umsatzerlösen und sichert sie nachhaltig ab. In diesem Zusammenhang zielt Logistikmanagement auf die Optimierung von kaufentscheidenden Faktoren wie Lieferfl exibilität, Servicequalität oder Lieferzuverlässigkeit. Durch diese doppelte Wirkung auf das Unternehmenser-gebnis steigt die Logistik zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensführung auf.

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Page 148: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Innovative Logistiklösungen des Handels –Auf dem Weg zur Logistikführerschaft

Joachim Zentes

Professor und Direktor des Instituts für Handel & Internationales Marketing (H.I.MA.)

Geschäftsführender Direktor des Europa-Instituts, Sektion Wirtschaftswissenschaft,

Universität des Saarlandes, Saarbrücken

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Univ.-Prof. Dr. Joachim ZentesJahrgang 1947Zentes ist seit 1991 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschafts-lehre, insbesondere Außenhandel und Internationales Management, der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Zugleich ist er Direk-tor des Instituts für Handel & Inter-nationales Marketing (H.I.MA.) und Geschäftsführender Direktor der

Sektion Wirtschaftswissenschaft des Europa-Instituts der Uni-versität des Saarlandes, Saarbrücken. Er ist Mitherausgeber der Zeitschriften „Marketing – Zeitschrift für Forschung und Praxis“ und „Marketing – Journal of Research and Management“ sowie Mitglied in mehreren Aufsichts-, Verwaltungs- bzw. Beiräten im In- und Ausland.

Page 150: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Logistikführerschaft als strategische Stoßrichtung des Handels

Die zunehmend kompetitiver werdende Wettbewerbsare-na, in welcher der Handel – hier vorrangig mit Blick auf die Konsumgüterwirtschaft – agiert, führt dazu, dass Handels-unternehmen sich nicht nur in einem horizontalen Sinne ge-genüber ihren Wettbewerbern positionieren und profi lieren, sondern auch ihre Rolle in der vertikalen Wertschöpfungs-kette neu defi nieren müssen. In den vertikalen Wertschöp-fungsbeziehungen hat der Handel über viele Jahre eher eine passive Rolle eingenommen (Zentes 2006). Aus dieser passiven Position als „verlängerter Arm“ der Industrie hat sich der Handel herausbewegt. In diesem Kontext steht die eigenständige Profi lierung am Markt mit einem eigenstän-digen Retail-Branding im Vordergrund. Handelsunterneh-men verfolgen damit ein ganzheitliches Marketingkonzept, das mit einem eigenständigen kommunikativen Auftritt auf dem Markt verbunden ist (Schramm-Klein 2007, S. 465).

Der Handel strebt aber nicht nur im Marketing nach Wertschöpfungsdominanz, sondern auch in der Logistik ist dies für ihn ein wichtiges Ziel. Diese Zielsetzung steht in engem Zusammenhang mit der im horizontalen Wett-bewerb angestrebten Wettbewerbsposition als Kosten- und/oder Qualitätsführer (siehe Abb. 1).

Dabei spielen Zielsetzungen wie Kosten- und Effi zienz-orientierung sowie Vermeidung von Regallücken am Point-of-Sale („Out-of-Stocks“) eine besondere Rolle. Um diese

Ziele zu realisieren, strebt der Handel zunehmend danach, logistische Aktivitäten selbst zu übernehmen oder zu steuern. Diese Rückwärtsintegration, die z. B. anhand der Errichtung von Zentrallagern, Warenverteilzentren oder Cross-Docking-Systemen erfolgt, wird von der zunehmen-den Professionalisierung der logistischen Aktivitäten im Sinne eines Strebens nach „Logistikexzellenz“ begleitet (Schramm-Klein 2007, S. 465). Abbildung 2 zeigt in sche-matisierter Form die aufgezeigten Tendenzen der Vertika-lisierung des Handels.

Die aufgezeigten Tendenzen, die als strategischer „Mainstream“ betrachtet werden und sich insbeson-dere im Food- und Near-Food-Handel zeigen, schließen nicht aus, dass auch „Gegenbewegungen“ in anderen Handelsbranchen festzustellen sind, so in der Fashion-Branche, die durch ein herstellergetriebenes Supply Chain Management charakterisiert ist (Janz 2007, Janz und Swoboda 2007).

Ansätze zur Wertschöpfungsdominanz in der Logistik

ÜberblickDie Hauptzielsetzungen der Optimierung der logistischen Prozesse im Handel liegen in zwei wesentlichen Bereichen.

Innovative Logistiklösungen des Handels –Auf dem Weg zur LogistikführerschaftJoachim Zentes

Abb. 1: Wettbewerbsstrategische Ausrichtung des Handels

Quelle: Hertel et al. 2005, S. 16.

Logistikführerschaft

Marketingführerschaft

HandelKostenführerschaft Qualitätsführerschaft

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178 Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft

Das erste Zielbündel ist ausgerichtet auf die Effi zienz lo-gistischer Prozessabläufe. Dabei stehen v. a. Aspekte der Kostenreduzierung im Vordergrund. Die Realisierung opti-maler Logistiklösungen zielt dabei nicht auf die Erreichung von Flexibilität, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit in der Supply Chain, sondern sie dient auch der Implementierung möglichst einfacher Lösungen zur Erreichung niedriger Bestände, niedriger Transport- und niedriger Kommissio-nierkosten (Schramm-Klein 2007, S. 468).

Der zweite Komplex logistischer Zielsetzungen ist nicht unabhängig von diesen in erster Linie auf Kostenre-duktionen ausgerichteten Ansätzen zu sehen: Hier steht die Erreichung einer hohen Kundenzufriedenheit im Vor-dergrund. In diesem Zusammenhang hat die Logistik die Aufgabe, die Kundennachfrage zu erfüllen. Sie muss dafür Sorge tragen, dass die von den Kunden nachgefragten Produkte auch in den Regalen der Verkaufsstellen des Handels verfügbar sind. Neben generellen Bestandsredu-zierungen und der Vermeidung von Überbeständen ist v. a. die Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen eines der Hauptziele (Schramm-Klein 2007, S. 468).

Ansatzpunkte der Logistikoptimierung sind die Beschaf-fungslogistik, die Distributionslogistik – einschließlich der Filiallogistik im stationären Handel und der „Logistik der letzten Meile“ im Versandhandel/E-Commerce – sowie die Retrodistributionslogistik. Mit Retrodistributionslo-gistik sind die Prozesse der Rückführung angesprochen, neben der Entsorgungslogistik in erster Linie Einweg- oder Mehrweg-Pfandsysteme sowie Warenretouren, die im Versandhandel/E-Commerce von großer Bedeutung sind.

Die folgenden Ausführungen fokussieren auf die Beschaf-fungs- und die Distributionslogistik (siehe Abb. 3), wenn-gleich auch im Bereich der Retrodistributionslogistik in den letzten Jahren herausragende innovative Lösungen erstellt und implementiert wurden, so im Versandhandel (Witten und Karies 2003).

Im Rahmen der strategischen Überlegungen zur Logis-tikoptimierung stellt sich als „Querschnittsdimension“ zu-gleich die Frage eines etwaigen Outsourcing logistischer Prozesse zur Effi zienzsteigerung. So kann – wie im Folgen-den aufgezeigt wird – das Streben nach Logistikführer-schaft einhergehen mit dem Outsourcing des „operativen Fulfi llment“ (z. B. der Lager- und/oder der Transportpro-zesse) an Logistik-Dienstleister: Die Steuerung der logis-tischen Prozesse bleibt dagegen ein Kernbestandteil der handelsbetrieblichen Wertschöpfung.

Zwischen den polaren strategischen Ausrichtungen des „make“ oder „buy“ zeichnet sich zunehmend eine dritte Option ab, die der kooperativen Realisierung logisti-scher Aktivitäten bzw. Prozesse im Rahmen strategischer Allianzen. Auch auf diesen innovativen Aspekt wird im Folgenden kurz eingegangen.

Ansatzbereiche der LogistikoptimierungBeschaffungslogistikDie Beschaffungslogistik steht am Anfang der Supply-Chain des Handels und bezieht sich auf die physische Ver-sorgung mit Waren. Bedeutende Ansätze zur verstärkten Übernahme von Aufgaben im Rahmen der Beschaffungs-logistik stellen die bereits vielfach implementierten Zent-rallagerkonzepte des Handels dar. Sie haben dazu geführt,

Abb. 2: Vertikalisierung des Handels

Quelle: Zentes und Schramm-Klein 2004, S. 1701

Handelsdominanz

Industriedominanz

früher heute/zukünftig

Forschung und Entwicklung

Produktion

Beschaffungslogistik

Lagerhaltung

Distributionslogistik

PoS-Marketing

Sortimentspolitik

Page 152: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

179Joachim Zentes

dass der Handel der Industrie einen Teil der logistischen Versorgungsfunktion bzw. Wertschöpfungsfunktion ab-genommen hat. In den Zentrallagern des Handels erfolgt eine Bündelung der Lieferungen unterschiedlicher Her-steller an die Filialen bzw. Outlets (siehe Abb. 4).

Bei diesen Konzepten verbleibt die Primärlogistik, d. h. der Warenfl uss vom Hersteller zum Zentrallager des Han-dels, weiterhin in der Verantwortung der Industrie, und die Sekundärlogistik, d. h. die Belieferung der Filialen des Handels, wird durch den Handel koordiniert.

Unter den Gesichtspunkten der Lagerbestandsreduk-tion und der Prozessoptimierung – letztlich dem Just-in-time-Gedanken folgend – wandeln sich die Zentrallager zunehmend zu „bestandsarmen“ oder gar „bestandslosen“ Warenverteilzentren (oftmals auch als Transit-Terminals bezeichnet) oder zu Cross-Docking-Plattformen. In Cross-Docking-Systemen übernimmt der Hersteller bzw. der Lie-ferant (z. B. ein Großhändler) die fi lialspezifi sche Kommis-sionierung der Behälter (z. B. Rollcontainer oder Paletten), was dann eine Bündelung der vorkommissionierten Ware mehrerer Hersteller/Lieferanten auf diesen Plattformen und die Weiterleitung an die Verkaufsstellen ermöglicht (vgl. hierzu Hertel et al. 2005, S. 128 ff.).

An den Vorteilen, die sich durch die Konsolidierung im Rahmen der Sekundärlogistik für den Handel ergeben, setzen die Konzepte der „Selbstabholung“ der Ware beim Hersteller durch den Handel an. Sie gehen von der Frage aus, warum nicht bereits auf der ersten Stufe eine Bün-delung unter Koordination des Handels erfolgen soll, also eine Bündelung der Warenströme ab der Herstellerrampe (Schramm-Klein 2007, Prümper et al. 2006, Bretzke 1999).

Die Selbstabholung des Handels führt zugleich – wie bereits auch die Zentrallagerkonzepte – zu veränderten Preis- bzw. Konditionensystemen: Factory-Gate-Pricing ist die preispolitische Konsequenz (Zentes et al. 2007b) (siehe Abb. 5).

DistributionslogistikInstore-LogistikDie Distributionslogistik umfasst alle logistischen Aktivi-täten, die im Zusammenhang mit der Verteilung der Ware an die Kunden stehen (siehe Abb. 3). Im stationären Han-del kommt in diesem Kontext der Instore-Logistik oder der Filiallogistik eine besonders hohe Bedeutung zu, weil i. d. R. die in Verkaufsstellen verfügbaren Flächen mit den höchsten Raumkosten belastet sind. Häufi g fi nden sich in den Verkaufsstellen auch die wichtigsten Quellen für Out-of-Stocks. Daher stehen Ansätze zur Optimierung der Regalpfl ege oder zur Reduktion von Warenhandlingspro-zessen in den Verkaufsstellen im Vordergrund der Instore- bzw. Filiallogistik.

Optimierungspotenziale der Filialprozesse bestehen nicht nur in den Filialen selbst, sondern sie setzen bereits auf den Vorstufen der Filialbelieferung an. Die Basis der Filialbelieferung bilden meist spezielle Ladungsträger wie z. B. Rollcontainer, auf denen die Artikel angeliefert und die dann im Laden auf bzw. in die entsprechenden Warenträger (z. B. Regale, Kühltheken, Kleiderständer) einsortiert werden. Um die Prozesse der Warenträger-befüllung in den Filialen zu optimieren, werden auf den Vorstufen (z. B. in den Zentrallagern des Handels) spezifi -sche Verfahren zur fi lialgerechten Kommissionierung der

Abb. 3: Ansatzbereiche der Logistikoptimierung im Handel

Lieferant

Beschaffungslogistik Distributionslogistik

Die „letzte Meile“

Handel Filiale Konsumenten

Filiallogistik

Page 153: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

180 Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft

Ware eingesetzt. Dabei erfolgt die Kommissionierung z. B. in die Rollcontainer nicht entsprechend des Layouts des Zentrallagers, sondern entsprechend des Layouts der zu beliefernden Verkaufsstelle (Roll-Cage-Sequencing).

Ein weiterer Optimierungsansatz in der Instore-Logis-tik, der ebenfalls auf den Vorstufen ansetzt, stellt Shelf Ready Packaging (SRP) dar. Hiermit sind regalgerechte Verpackungen bzw. Umverpackungen der Ware gemeint, welche die Prozesse der Verräumung in den Verkaufs-stellen beschleunigen. Im weiteren Sinne können auch die neueren Konzepte des Supply Chain Managements (SCM), wie bspw. Continuous Replenishment (CR) als An-satzpunkte zur Optimierung der Instore-Logistik, so durch automatische Nachschubversorgung zur Bestandsredu-zierung und Vermeidung von Out-of-Stocks, betrachtet werden. Sie werden jedoch hier nicht näher beleuchtet, da in diesem Beitrag die „physischen“ Prozesse der Lo-gistik (Physical Distribution) im Mittelpunkt stehen, nicht dagegen die informatorischen Prozesse bzw. darauf ba-sierende SCM-Konzepte (vgl. hierzu Hertel et al. 2005, Zentes et al. 2007b).

Distributionskonzepte im E-CommerceDie zunehmende Bedeutung des E-Commerce im Business-to-Consumer-Bereich („B2C“), so in Form des Internet-Shopping oder des TV-Shopping, bringen für die neuen Player in diesem Markt das zentrale Problem des logisti-schen und administrativen Fulfi llments mit sich. Während

der traditionelle Versandhandel – letztlich die „Urform“ des Distanzhandels – diese Prozesse (einschl. des Retou-renhandlings) seit vielen Jahren in der Regel professionell beherrscht, so über die Einschaltung von KEP-Diensten oder einen eigenen Lieferservice, erproben die neuen Player, „pure player“ wie auch etablierte Unternehmen in Multi-Channel-Konzepten, unterschiedliche Formen. Ne-ben der naheliegenden Einschaltung von Logistik-Dienst-leistern wie KEP-Unternehmen werden der Aufbau von Pick-up-Stationen wie auch die Implementierung eigener Lieferdienste „für die letzte Meile“ getestet. Beispielhaft können die Food-Lieferservices des britischen Marktfüh-rers Tesco und das System Coop@home in der Schweiz herausgestellt werden.

Wesentliche Merkmale des Lieferservice der Coop (CH) sind:

• Sortiment eines normalen Supermarktes• heute bestellt, heute geliefert (vormittags bestellt,

abends geliefert)• Lieferung in festen, wählbaren Zeitfenstern (Liefertole-

ranz: +/- 30 Minuten)• Lieferung durch Coop-Mitarbeiter bis an die Wohnungs-

tür• Zahlungsmöglichkeit online oder beim Ausliefer-Mitar-

beiter• Retourenhandling (z. B. Leergut, Verpackungen) durch

Mitarbeiter.

Abb. 4: Zentrallagersysteme – Bündelung der Warenströme

Lieferant B

Lieferant C

Lieferant D

Lieferant E

Lieferant ....

Lieferant A

ZENTRALLAGER

Filiale I

Filiale II

Filiale III

Filiale IV

Filiale V

Filiale ...

Page 154: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

181Joachim Zentes

Outsourcing und Kooperation als Ansatzpunkte zur Logistik-optimierungDie Übernahme der Systemführerschaft durch den Han-del, mit der im Übrigen der Logistik im Handel auch unter-nehmensintern eine neue Rolle zukommt (Prümper et al. 2006, Kolodziej 2006), ist – wie bereits erwähnt – nicht gleichzusetzen mit der vollständigen Durchführung aller logistischen Prozesse durch den Handel selbst. Zuneh-mend lagern Handelsunternehmen „klassische“ Logis-tikaktivitäten wie Transport-, Lager- und Umschlagspro-zesse an logistische Dienstleister aus (Baumgarten und Thoms 2002). Dieses Outsourcing führt dazu, dass der Handel letztlich die Logistik in einem strategischen Sinne steuert.

Handelsunternehmen, die dieser Tendenz folgen, entwickeln sich damit immer stärker in Richtung eines „Fourth Party Logistics Providers“ (4PL), der in erster Linie die Steuerung der Supply Chain übernimmt. Immer häu-fi ger werden die Logistikaufgaben der Handelsunterneh-men, so bei Unternehmen mit mehreren Vertriebslinien, in eigenen Querschnittsgesellschaften im Sinne von Shared Services gebündelt (Prümper 2003). Diese „Internal 4PL“ übernehmen auch Steuerungsaufgaben in der Logistik für externe Handelskunden. Dies ist zugleich ein Ansatzpunkt für kooperative Arrangements im Rahmen der Logistik (Zentes et al. 2007b).

Optimierungspotenziale moderner Informa-tions- und Kommunikationstechnologien

Die Optimierung der Logistikprozesse erfordert eine umfassende Unterstützung durch Support-Systeme. Im

Vordergrund stehen dabei in erster Linie Informations-systeme, die den mit dem Warenfl uss verbundenen In-formationsfl uss optimal steuern. Hiermit ist zugleich der Aspekt der Standardisierung angesprochen. „Hersteller-, handels- und anwendungsübergreifende Standards bilden die notwendige Voraussetzung des Waren- und Daten-austauschs zwischen den Partnern in der Supply-Chain“ (Schramm-Klein 2007, S. 480).

Standards dieser Art haben in der Konsumgüterwirt-schaft eine lange Tradition. Zu erwähnen ist in diesem Kontext der EAN-Barcode, der vor 30 Jahren den Handel „revolutioniert“ hat: „Am 1. Juli 1977 erteilte die Deutsche Landesgesellschaft CCG, heute GS 1, den Startschuss für den ersten elektronisch gescannten Artikel: eine Gewürz-mischung der Firma Gebrüder Wichartz aus Wuppertal“ (Dachser aktuell, 3/2007, S. 4).

Heute stehen wiederum Kommunikationsstandards zum Datenaustausch zwischen Unternehmen in der Wert-schöpfungskette in der Diskussion. Sie beziehen sich auf die neuen Technologien auf Radiofrequenzbasis (RFID). Gerade die RFID-Technologie eröffnet jedoch nicht nur neue warenbezogene Informations- und Kommunikations-systeme, so Systeme der integrativen Warenrückverfol-gung (Biesiada et al. 2007), sondern auch neue Formen der Automatisierung logistischer Prozesse, so u. a. durch Pulkerfassung (vgl. hierzu Schramm-Klein 2007).

Wie auch beim EAN-Barcode, der heute eine brei-te Anwendung nicht nur in der Handelslogistik, sondern generell in der Logistik gefunden hat, verläuft die Akzep-tanz bzw. die Diffusion von RFID zunächst „schleppend“. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass die heutige Ver-breitung von EAN und die zwischenzeitlich erreichten

Abb. 5: Selbstabholung des Handels

Quelle: in Anlehnung an Bretzke 1999, S. 90.

Handelsgetriebene BeschaffungslogistikLieferanten-Logistik

Lieferant

Lieferant

Lieferant

Lieferant

Lieferant

Lieferant

Lieferant

Filiale

Filiale

Filiale

Filiale

Filiale

System-Dienstleister Handels-Zentrallager

Filiale

Filiale

Page 155: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

182 Innovative Logistiklösungen des Handels – Auf dem Weg zur Logistikführerschaft

organisatorisch-prozessualen Möglichkeiten, so mit EAN 128, weitreichende Effi zienzverbesserungen erbracht ha-ben. Der Grenznutzen, den RFID-Anwendungen ermögli-chen, rechtfertigt für viele Handelsunternehmen (noch) nicht die erheblichen Investitionen, die zugleich risikobe-haftet sind, da ständig technologische Verbesserungen erfolgen.

Die größten Potenziale von RFID sehen Handelsunter-nehmen gegenwärtig eher im Marketingbereich. Ihre Aus-schöpfung setzt jedoch die Verfügbarkeit der Tags auf den Produkten voraus, und nicht nur auf Umverpackungen und Behältern, was sich heute jedoch noch nicht „rechnet“.

Global Sourcing, Corporate Social Responsibility und neue Wertschöpfungsarchitekturen als Herausforderungen an die Handelslogistik

Wenngleich der Handel – wie aufgezeigt – in den letzten Jahren/Dekaden eine Vielzahl technologischer, konzepti-oneller und organisatorischer Innovationen in der Logistik hervorgebracht hat, steht er vor fundamentalen Heraus-forderungen mit Blick auf die Zukunft.

So nimmt nicht nur das ausländische Beschaffungsvo-lumen im Rahmen der Globalisierung absolut und relativ zu, der Handel verstärkt zugleich in beachtlichem Ausmaß seine ausländischen Direktbezüge (Zentes et al. 2007a). Dieses Direct Sourcing „verlängert“ die Supply-Chain in einem geografi schen Sinne. So steuert der Handel den Warenfl uss künftig von den ausländischen Produktions-stätten bis in die Verkaufsstellen.

Zugleich ist sich die Handelslogistik – wie die Logistik generell – zunehmend der gesellschaftlichen, im engeren Sinne ökologischen Verantwortung bewusst, so im Hinblick auf den Klimaschutz. Nachhaltige Logistik erfordert dann auch ein Überdenken der gegenwärtigen Systeme, was zu verstärkter Bildung von strategischen Allianzen in der Logistik führen kann und damit die Tendenz hin zu Coopetition, d. h. Wettbewerb und Kooperation fördert (Magin et al. 2005).

Gleichermaßen zeichnen sich im Handel neue weitrei-chende Veränderungen der Wertschöpfungsarchitekturen ab, die logistische Konsequenzen mit sich bringen. So entwickeln sich Handelsunternehmen im Zuge der auf-gezeigten strategischen Orientierung der Vertikalisierung von dem Wertschöpfungsmuster des passiven „Buyer“ hin zu einem aktiven „Coordinator“, der nicht nur eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in seine Wert-schöpfungskette integriert, sondern auch die F&E-Pro-zesse, die Beschaffung und selbst die Produktion seiner Lieferanten im Rahmen seines Innovations- und Qualitäts-

managements steuert, so im Zusammenhang mit der Ent-wicklung und (Kontrakt-)Produktion von Eigenmarken.

Verknüpft man die up-stream-orientierten Aktivitäten mit den vielfältigen down-stream-orientierten Aktivitäten, so der Filialisierung und dem Franchising auf der Verkaufs-ebene oder dem Angebot logistischer Dienstleistungen für andere Handelsunternehmen, selbst für Wettbewer-ber, so entwickeln sich Handelsunternehmen zu fokalen Unternehmen in komplexen Netzwerkstrukturen, d. h. zu „Value-Net-Integrators“ (Zentes und Pocsay 2007).

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183Joachim Zentes

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Page 157: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie

Ernst-Hermann Krog

Leiter der Markenlogistik der Audi AG

Katsiaryna Statkevich

Doktorandin in der Abteilung Benchmarking und Konzeptentwicklung

der Markenlogistik der Audi AG

Page 158: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Katsiaryna StatkevichJahrgang 1980Statkevich ist Doktorandin in der Abteilung Benchmarking und Kon-zeptentwicklung der Markenlogis-tik der Audi AG. Sie studierte 1997 bis 2002 Betriebsmanagement an der Fakultät für Wirtschaftswis-senschaften an der Belarussischen Staatlichen Universität in Minsk. 2002 bis 2005 absolvierte sie das

Aufbaustudium Logistik an der Fakultät Maschinenbau der Universität Dortmund. Anschließend war sie in verschiede-nen Projekten in den Bereichen Logistikstandortmarketing und Bahnlogistik am Fraunhofer-Institut für Materialfl uss und Logistik (IML) in Dortmund tätig. Seit November 2005 promo-viert Statkevich an der Fakultät Maschinenbau der Universität Dortmund über das Produktionssteuerungskonzept Perlenkette. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Produktionssteuerungs-systeme in der Automobilindustrie, insbesondere die Perlenket-tenkonzepte, sowie Supply Chain Management.

Dr. Ernst-Hermann KrogJahrgang 1950Krog ist seit 2001 Leiter der Marken-logistik der Audi AG. Nach seiner wissenschaftlichen Mitarbeit und Promotion an der Universität Göt-tingen im Jahr 1979 begann Krog seine berufl iche Laufbahn im Volks-wagenwerk Kassel. 1984 übernahm er die Leitung der Logistikplanung in Emden. Ab 1986 leitete er dort

die Beschaffungsdisposition und ab 1988 zusätzlich die Mate-rialwirtschaft. Ab 1989 war Krog Leiter Technical Staff bei VW do Brasil. Ab 1991 leitete er im Werk Wolfsburg die Zentrale Produktionsprogrammplanung. Ab 1992 leitete Krog die Kon-zernlogistik im Top-Management. Zu seinem Verantwortungs-bereich zählten Planen und Steuern der logistischen Aktivitäten der Konzernmarken VW, Audi, Seat, Skoda und der Überseere-gionen, Erstellen und Abstimmen der Konzernproduktionspro-gramme, Steuern des Fertigungsverbundes und Optimieren der markenübergreifenden Materialströme.

Page 159: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Die Automobillogistik gilt traditionell als Vorreiter für anspruchsvolle innovative Supply-Chain-Lösungen. Mit mehreren Tausend Zulieferteilen, die rechtzeitig an den Verbauort angeliefert werden, hat die Automobillogistik eines der komplexesten Zuliefernetzwerke mit vielstufi gen Wertschöpfungsketten. Die Koordination und die Steue-rung dieses Netzwerks unter Berücksichtigung der viel-fältigen Anforderungen der Teilnehmer eines automobilen Wertschöpfungsprozesses erfordern heute eine stärkere Positionierung der Logistik in ihrer Integrationsfunktion, um eine maximale Kundenzufriedenheit zu erreichen.

Die Kundenanforderungen auf dem Automobilmarkt beziehen sich heutzutage nicht mehr ausschließlich auf die funktionsbezogenen Eigenschaften der Fahrzeuge, sondern darüber hinaus auf die Erfüllung der vielsei tigen und ständig wachsenden Kundenerwartungen nach meh-reren Kriterien. Vor allem schnelle Lieferzeiten und zuver-lässige Liefertermine in der Neufahrzeugdistribution so-wie Flexibilität gegenüber den Änderungswünschen der Kunden spielen bei den Kaufentscheidungen und der Kun-denzufriedenheit eine bedeutende Rolle. Die anspruchs-vollen Kundenanforderungen haben einen weitgehenden Einfl uss auf die Ausrichtung der Ziele der modernen Au-tomobillogistik und fordern zunehmend eine verstärkte Kundenorientierung der Logistik.

Herausforderungen der Automobilindustrie

Die Automobilindustrie in ihrer Rolle als etablierter An-triebsmotor der deutschen Wirtschaft muss sich seit Jahren den vielfältigsten und größten Herausforderungen stellen. Die nachhaltige Entwicklung des Marktumfeldes der Automobilindustrie vom Verkäufermarkt hin zu einem Käufermarkt setzt sich fort und fordert eine umfassende Kundenorientierung auch in der Supply Chain. Die Effi -zienz und die Kostenminimierung in der Produktion, die lange Zeit als der entscheidende Wettbewerbsvorteil in der Automobilbranche galten, reichen heutzutage allein nicht mehr aus. Die Fahrzeughersteller, die Zulieferer und der Handel sind mit den sich ständig verschärfenden Rahmenbedingungen konfrontiert, die von wachsenden Kundenanforderungen über eine drastische Zunahme

der Wettbewerbsintensität bis hin zu den Anstiegen der Materialrohstoff- und Energiepreise reichen.

Steigende KundenanforderungenDer Wertschöpfungsprozess jedes Unternehmens orien-tiert sich in erster Linie an der Erfüllung der Kundenwün-sche, die nicht zuletzt über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheiden. Auf dem Automobil-markt herrscht seit Jahren der anhaltende Trend zur kun-denindividuellen Massenfertigung (mass customization). Die Kunden wollen heutzutage keine Standardprodukte mehr, sondern erwarten Fahrzeuge, die deren indivi-duellen Bedürfnissen und Wünschen genau entsprechen (Holweg 2004).

Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der AutomobilindustrieErnst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich

Abb. 1: Zunahme des Modell- und Derivatenspektrums der Audi AG

A2 A3 TT A4A5 A6 A8 QR

24

21

18

15

12

9

6

3

Fahrzeugmodelle und Varianten

Limousine CabrioCoupéAvantRS2

LimousineAvantallroad

Limousine AvantCabrio

CoupéRoadster

CoupéRoadster

KurzheckSportback

Limousine AvantCabrio

LimousineAvantRS Limo.RS avantallroad

Limousine Limo. lang

CoupéRoadster

KurzheckSportback

LimousineAvantCabrioRS Limo.RS AvantRS Cabrio

LimousineLimo. langAvantAllroadRS Limo.RS Avant

Limousine Limo. lang

A5 Coupé

Q7R8

1996 2000 2004 2007

Page 160: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

188 Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie

Um diesen vielfältigen und ständig steigenden Erwar-tungen gerecht zu werden, weiten die Automobilhersteller ihr Produktspektrum aus, um einerseits den individuellen Kun denwünschen zu entsprechen und andererseits in der Lage zu sein, alle Marktsegmente zu bedienen (s. Abbildung 1).

Eine derartige Variantenexplosion wird unter anderem durch die neuen gesellschaftlichen Trends geprägt, die sich durch eine extreme Vielfalt und zum Teil auch ent-gegengesetzte Anforderungen auszeichnen. Um Kunden mit unterschiedlichen Kaufmotivationen zu gewinnen, wie beispielsweise die starke Erlebnis- und Freizeitorientie-rung, das ausgeprägte Mobilitätsstreben oder das hohe Umweltbewusstsein, ist heutzutage eine viel stärkere De-rivatvielfalt innerhalb eines Fahrzeugsmodells notwendig, als noch vor einigen Jahren (Mercer 2004).

Die vielfältigen und komplexen Marktanforderungen spiegeln sich auch in dem immer breiteren Spektrum an Ausstattungsvarianten wider, das von der automobilen Zulieferindustrie verlangt wird. Sehr deutlich wird das am Beispiel der automobilen Schlüsseltechnologie Elektronik, in der die Forderung nach der ständigen Erweiterung und Weiterentwicklung der Funktionen seit Jahren einen extre-men Zuwachs an Komplexität bewirkt hat (s. Abbildung 2). Die Kunden wollen dabei nicht nur zwischen mehr Aus-stattungspaketen auswählen können, vielmehr wollen

sie die Ausstattungsoptionen und die gewünschten Funk-tionen ihres individuellen Fahrzeugs weitgehend selbst aussuchen und zusammenstellen.

Steigende Kundenansprüche beziehen sich nicht mehr ausschließlich auf funktionsbezogene Eigenschaften der Fahrzeuge, sondern ebenfalls auf weitere Anforderungen, wie schnelle Lieferzeiten, verlässliche Liefertermine, Fle-xibilität gegenüber Änderungswünschen der Kunden, hohe Servicequalität und umweltschonende Technologien. Die Kaufentscheidungen auf dem modernen Automobilmarkt werden nur durch Erfüllung dieser vielseitigen und stän-dig wachsenden Kundenerwartungen nach mehreren Kriterien getroffen.

Steigender Wettbewerbsdruck und Globalisierung Die globalen Markt- und Wettbewerbsstrukturen haben sich in den letzten Jahren weitgehend verändert. Die wachsende Zahl neuer leistungsfähiger Wettbewerber, die Sättigung der reifen Triademärkte und der Verdrän-gungswettbewerb auf neuen wachsenden Emerging Markets sind eine Entwicklung, mit der die europäischen Hersteller sich heute auseinandersetzen müssen. Die Markenloyalität der Kunden nimmt ab (Accenture 2001), und der Preiskampf um den Kunden ist heutzutage inten-siver denn je. Hinzu kommt noch, dass die neuen Wett-

Mögliche Variantenanzahl

Abb. 2: Funktionszuwachs im Bereich der Elektronik

K-Line-DiagnoseFunkfernbedienungTeilelektron. AußenlichtSitzmemory 8 WegeVollautom. KlimaKombi-Instrument inkl. Gateway

K-Line-DiagnoseCAN-Diagnose, TP2.0Wegfahrsperre 4MFLGRA +Teilelektron. AußenlichtFunkfernbedienungLicht/RegensensorAFS IITeilelektron. AußenlichtSitzmemory 8 WegeVollautom. KlimaKombi-Instrument inkl. Gateway

ACCSWALDWADSCar FunktionenWegfahrsperre 4KomponentenschutzEnergiemanagementCAN-Diagnose, ISO-CANMFLGRA +Advanced Key IIFunkfernbedienungElektron. WischersteuerungLicht/RegensensorAFS IIVollelektron. AußenlichtSitzmemory 8 WegeVollautom. KlimaGatewayKombi-Instrument

A4 (2000) A4 Facelift (2004) A4 / A5 (2007)

Page 161: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

189Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich

bewerber ihre standortbedingten Produktivitäts- und Kostenvorteile intensiv nutzen. Beispielsweise ist China 2006 zum drittgrößten Automobilproduktionsstandort nach Nordamerika und Japan geworden.

Darüber hinaus wird der Wettbewerbsdruck durch die aktuellen Entwicklungen auf dem Devisenmarkt, z. B. der Wechselkurs Euro/US-Dollar sowie durch die erheblichen Überkapazitäten vieler Fahrzeughersteller verstärkt – die durchschnittliche Auslastung eines Produktionswerkes in der Automobilindustrie beträgt derzeit zwischen 80 und 85 Prozent (Garcia 2007).

Ein intensiver Wettbewerb zwischen den Automobil-herstellern fi ndet längst nicht nur um den Kunden statt. Vielmehr ist der Wettbewerb auf die gesamte Wertschöp-fungskette ausgedehnt.

Auch der Wettbewerb um die besten Mitarbeiter ist bereits in vollem Gange. Der steigende Bedarf an quali-fi zierten Mitarbeitern, die rückgängigen Absolventenzah-len, der demografi sche Wandel und die Abwanderung von Spitzenkräften machen den Fachkräftemangel auch in der Automobilbranche spürbar.

Knappe Ressourcen und zunehmende UmweltbelastungDie Automobilindustrie steht vor gravierenden Entwick-lungen: Der Weltenergieverbrauch steigt ungebremst an,

die Materialrohstoffe und die fossilen Brennstoffe werden knapper und teurer, die Verkehrswege sind zunehmend überlastet. Der Anstieg der Börsennotierungen für Kupfer, Nickel, Zink und Aluminium wird zwar teilweise in den zwi-schen Herstellern und Zulieferern vereinbarten Preisklau-seln berücksichtigt, die Gesamtkostenbelastung für die Wertschöpfungskette bleibt jedoch immens (VDA 2007).

Der steigende Energiebedarf und die intensive öffent-liche Debatte um die zunehmende Belastung der Umwelt und um den CO2-Wert eines Fahrzeugs fordern die Auto-mobilindustrie zu neuen zukunftsorientierten Strategien in der Produktentwicklung auf.

Fahrzeugentwickler suchen intensiv nach neuen We-gen, Schadstoffemissionen und Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge zu reduzieren. Langfristig gilt es für die Au-tomobilbranche, nicht nur energiesparende Technologien auf Basis konventioneller Motoren, sondern alternative Lösungen und innovative Antriebstechniken zu entwi-ckeln.

Konsequenzen für Automobilhersteller

Die nachhaltige Erweiterung der Produktpalette bei Auto-mobilherstellern führt einerseits zur besseren Kundenzu-friedenheit, andererseits hat sie die immens gestiegene

Abb. 3: Das Spannungsfeld der Logistik in ihrer Integrationsfunktion

Vertrieb

· Erfüllung kurz-, mittel- und langfristiger Marktbedarfe

· Wunschgerechter Liefertermin

· Hohe Änderungsfl exibilität

· Hohe Liefertreue

· Qualität

marktgerecht

Produktion

· Auslastung der Produktionskapazitäten

· Effi zienter Mitarbeitereinsatz und Kostensenkung

· Kurze Durchlaufzeiten

· Gleichmäßige Taktung

· Geringe Änderungsfl exibilität

produktionsgerecht

Lieferanten

· Nutzung der Kapazitäten

· Qualität

· Kosten

· Geringe Änderungsfl exibilität

kapazitätsgerecht

Integration der unterschied-lichen Anforderungen im Kundenauftragsprozess (KAP) unter Berücksichtigung eines kurz-, mittel- und langfristigen Planungshorizontes

Aufgabe der Logistik:

Page 162: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

190 Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie

Komplexität sowie sinkende Stückzahlen je Produktvariante zur Folge. Der steigende Kosten- und Effi zienzdruck sowie der intensive Wettbewerb erfordern von allen Teilnehmern des automobilen Wertschöpfungsnetzwerkes eine perma-nente Optimierung der Gestaltung der Geschäftsprozesse.

Die Kaufentscheidungen auf dem Automobilmarkt werden heutzutage nicht nur von den funktionsbezoge-nen Eigenschaften der Fahrzeuge, sondern zunehmend auch von anderen Faktoren beeinfl usst. Die Qualität der logistischen Leistung der Fahrzeughersteller gegenüber Kunden, beispielsweise schnelle Lieferzeiten, zuverlässi-ge Liefertermine und Flexibilität gegenüber kurzfristigen Änderungswünschen, gewinnt zunehmend an Bedeutung und ist eine unabdingbare Komponente der Kundenzufrie-denheit. Vor dem Hintergrund der Ressourcenverknap-pung und Umweltdiskussion gewinnen die Entwicklung verbrauchsgünstigerer Produkte sowie die Berücksichti-gung der Umweltschutzaspekte bei der Prozessgestaltung immer mehr an Bedeutung.

In Zeiten extrem gestiegener Wettbewerbsintensität in der Automobilbranche werden nur diejenigen profi tie-ren können, deren Produkte die steigenden Anforderun-gen auch maximal erfüllen können.

Anforderungen an die Automobillogistik

Die grundlegende Herausforderung der Automobillogistik in ihrer Integrationsfunktion ist es, im Spannungsfeld der

vielseitigen und teilweise konkurrierenden Anforderun-gen seitens der Produktion, des Vertriebs, aber auch der Lieferanten zu bestehen und diese Anforderungen unter Berücksichtigung eines kurz-, mittel- und langfristigen Planungshorizonts im gesamten Kundenauftragsprozess, d. h. von der Fahrzeugbestellung und Auftragseinplanung über die Beschaffung und Produktion bis hin zur Distribu-tion und Fahrzeugübergabe, zu integrieren (s. Abbildung 3).

Die anspruchsvollen Anforderungen des Marktes, und somit auch des Vertriebs, stellen die Logistik vor eine große Herausforderung. Die Kunden erwarten eine hohe Liefertreue bei gleichzeitiger Verkürzung der Lieferzeit. Bei kurzfristigen Auftragsänderungen dürfen die Versor-gungssicherheit der Produktion und somit die Lieferter-mintreue an den Kunden nicht beeinträchtigt werden.

Im Gegensatz zu der Forderung des Vertriebs nach ma-ximaler Flexibilität gegenüber den Änderungswünschen der Kunden wird von der Produktion, genauso wie vom vorgelagerten Wertschöpfungsnetzwerk, eine möglichst langfristige Stabilität der Auftragsdaten zur Kapazitäts-planung verlangt.

Die ebenfalls durch die Marktanforderungen gestiegene Produktkomplexität und die Ausweitung der Nischenmo-delle haben einen wachsenden Aufwand zur Koordination des Wertschöpfungsnetzwerkes zur Folge. Häufi gere und schnellere Fahrzeuganläufe, wachsende Modularisierung mit zunehmend komplexeren Modulen und die Steigerung des Anteils großvolumiger Teile tragen zur Komplexität

Abb.4: Veränderung des Belieferungsnetzwerkes

· Zunahme des Transportvolumens weltweit um 25 %

· Wandel von der zentralen Belieferung zum globalen Produzenten- und Liefernetzwerk

· Erforderlicher Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie

· Schaffung standardisierter Logistikprozesse und -systeme

90er Jahre heute

China

Thailand

Südafrika

Mexiko

Argentinien

Brasilien

Europa

China

Thailand

Südafrika

Mexiko

Argentinien

Brasilien

Europa

Page 163: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

191Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich

bei. Konkret bedeutet das für die Logistik die Bewältigung der zunehmenden Teile- und Behältervielfalt in immer kür-zerer Zeit, die Zunahme der anzuliefernden Teile an den Verbauort und den steigenden Flächenbedarf bei gleicher Grundfl äche.

In Zeiten extremer Wettbewerbsintensität steht die Logistik heute wohl stärker als jede andere Unterneh-menssparte vor der Forderung nach permanenter Kosten-optimierung und Kostensenkung. Die Forderung der Pro-duktion nach einer ständig effi zienteren Logistikleistung und möglichst vollständiger Entlastung der Mitarbeiter im Produktionsbereich von jeglichen logistischen Tätigkeiten verstärkt den bereits durch die hohen Marktanforderun-gen und die Globalisierung gestiegenen Kosten- und Effi -zienzdruck weiter.

Zeitgleich mit der Forderung nach Kostenreduzierung sieht sich die Logistik heute mehr als je zuvor mit der An-forderung nach einer hohen Prozessqualität sowie nach einer kontinuierlichen Prozessqualitätsverbesserung kon-frontiert. Der Begriff Logistikqualität wird heute sehr breit defi niert: Er reicht von der Unterstützung der Produktqua-lität durch eine effi ziente Materialfl ussorganisation bis hin zu Servicequalität beim Handel und umfasst noch weitere Anforderungen, beispielsweise eine ökologische Transportabwicklung.

Darüber hinaus erfordert die fortschreitende Globali-sierung von der Logistik die Beherrschung der weltweiten Wertschöpfungs- und Liefernetzwerke mit zunehmend komplexeren Logistikketten. Die neuen Belieferungsnetz-

werke zeichnen sich durch den Wandel von einer zent-ralen Belieferung zu einem globalen Produzenten- und Liefernetzwerk aus (s. Abbildung 4). Die verstärkte Pro-duktionsansiedlung im Ausland sowie das Erschließen der internationalen Belieferungsquellen tragen zur Komplexi-tätssteigerung bei.

Die sich daraus ergebende neue Prozesskomplexität erfordert zunehmend eine steigende Rolle der Integra-tionsfunktion der Logistik zwischen allen prozessbeteiligten Bereichen des Unternehmens. Das bedeutet eine Positio-nierung der Logistik sowohl in ihrer Querschnittsfunktion über alle Bereiche hinweg, als auch in ihrer Funktion der zentralen Anlaufstelle für die Planung und Steuerung des zunehmend komplexeren Wertschöpfungsnetzwerkes. Eine durchgängige und fl exible Supply-Chain-Organisation ist unabdingbar für die Beherrschung dieser neuen Her-ausforderungen der automobilen Wertschöpfungskette.

Zentrales Steuerungsmodell der Logistik

Die neuen Herausforderungen der Automobillogistik machen die Integration der vielfältigen Bedürfnisse der Teilnehmer des Wertschöpfungsprozesses sowie das Synchronisieren des Kundenauftragsprozesses vom Auf-tragseingang über Einplanung, Einkauf und Fertigung bis hin zur Distribution zu einer essenziellen Aufgabe der Lo-gistik. Die wichtigsten Integrationsaufgaben der Logistik sind im zentralen Steuerungsmodell der Logistik darge-stellt (s. Abbildung 5).

Abb. 5: Zentrales Steuerungsmodell der Logistik

Einplanung Produktion Distribution

Öffnen derBestellsysteme

BestellungHandel/Kunde

Änderungs-fl exibilität

Detailplanung/Lieferabruf

synchroneProduktion

Übergabe des bestellten Fahrzeugs

FreigabeProgrammplanung

Einsatzterminplanungund -steuerung

Kapazitätsplanung

Mengenplanung

Kunde/Handel

Zulieferer/LDL

OEMKundenauftragsprozess

Synchroner Materialfl uss

Informationsfl uss

Page 164: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

192 Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie

Das zentrale Steuerungsmodell der Logistik beinhaltet vier Handlungsfelder. Die Logistik ist bereits vor Produktions-start eines Fahrzeugsmodells in die Planung der Produk-tionsversorgung eingebunden. Das gilt für die Planung der Materialfl üsse wie für die Absicherung von Kapazitäten. Nach dem Start-of-Production (SOP) eines Fahrzeugmo-dells werden von der Logistik die Auftragseinplanung, die Kapazitätssteuerung der Zulieferer und die Sicherstellung der Änderungsfl exibilität koordiniert. Die synchrone Ma-terialfl usssteuerung und die Steuerung der Distribution sind zwei weitere grundsätzliche Aufgaben der Logistik. Im Folgenden wird auf die einzelnen Handlungsfelder der Logistik im Rahmen des zentralen Steuerungsmodells de-taillierter eingegangen.

Handlungsfeld 1: Planung und Steuerung von Markteinsatz-terminenDie Logistik hat in den letzten Jahren zunehmend eine wichtigere Rolle übernommen. Hierzu gehören neben dem Planen von Abläufen und dem Festlegen von Verpackun-gen für den physischen Materialfl uss insbesondere die Aufgaben der Teileversorgung und der Teil-für-Teil-Verfol-gung von Neuteilen für die Produktion. Dies dient neben der Versorgung für die Fertigung von Vorserienfahrzeugen auch der Kapazitätsabsicherung für den Hochlauf des spä-ter folgenden Serienanlaufs. Aus dieser tiefen Kenntnis eines Projektstandes in der eigenen Produktion sowie im Zuliefernetzwerk leitet sich die Rolle der Logistik ab, die Steuerung und Verfolgung von Einsatzterminen zu über-wachen und sicherzustellen.

In dieser Funktion ist die Logistik für die Synchronisa-tion der technischen Einsatztermine, der Hochlaufkurven und des Kapazitätsaufbaus im Wertschöpfungsnetzwerk verantwortlich, indem sie einen proaktiven und voraus-schauenden Bedarfs- und Kapazitätsabgleich durchführt und somit die spätere Produktions- und Marktversorgung sicherstellt.

Handlungsfeld 2: Auftragseinplanung, Kapazitätssteuerung und Änderungsfl exibilitätAuch hier hat sich die Rolle einer modernen Logistik deutlich verändert:

• Die Aufgabe des Vertriebes ist es, sicherzustellen dass Aufträge in der Vertriebsorganisation entstehen können.

• Ist ein Auftrag entstanden, so wird dieser Auftrag von der Logistik übernommen und durch einen verbindlichen Liefertermin online bestätigt.

Diese Auftragseinplanung und der Auftragsabgleich, also die terminliche Zuordnung von Aufträgen aus der Vertriebsorganisation zu den verfügbaren Fertigungsres-sourcen unter Berücksichtigung der vorhandenen Kapazi-täten und Restriktionen, werden bei einem ständig breiter werdenden Modellspektrum zu immer anspruchsvolleren Aufgaben.

Die heute installierten Verfahren erlauben es, die Aufträ-ge den geplanten Bauterminen online zuzuordnen und dabei

1. die Möglichkeit der technischen Realisierung eines komplexen Bauauftrages am Fahrzeug zu überprüfen und

2. die Terminierung unter Beachtung der Restriktionen vorzunehmen.

Die Leistungsfähigkeit und Qualität dieser Verfahren ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, um den Kunden termintreu beliefern zu können.

Aus den Aufgaben der Auftragseinplanung und dem Wissen um Bedarfsstrukturen leitet sich die Aufgabe der Kapazitätssteuerung der Logistik ab. Durch permanenten Abgleich von Bedarfsverläufen mit Kapazitätsverläufen werden Unter- und Überdeckungen von Kapazitäten er-kannt. Die Logistik veranlasst dann Anpassungsmaßnah-men über die Fertigungsplanung bei Eigenfertigung bzw.

Abb. 6: Beispiel der Erhöhung der Änderungsflexibilität

2004

2006

12 Arbeitstage

3–5 Arbeitstage

Distribution

Distribution

Produktion

Produktion

FertigstellungFahrzeug

StartKarosseriebau

Ende Änderungs-möglichkeiten

Händleran-liefertermin

Page 165: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

193Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich

über den Einkauf bei Zulieferteilen, um mit einer bedarfs-gerechten Kapazitätsbereitstellung kurze Lieferzeiten für die Kunden sicherzustellen.

In den letzten Jahren wurde durch die Einführung von Änderungsfl exibilität die Funktionalität des Kundenauf-tragsprozesses (KAP) weiter ergänzt (s. Abbildung 6).

Darunter versteht man, dass bereits von der Ver-triebsorganisation abgegebene Aufträge noch möglichst lange geändert werden können. Die Motivation, eine sol-che Änderungsfl exibilität zur Verfügung zu stellen, fi ndet man in folgenden Punkten:

1. Ein Kunde möchte von sich aus bestellte Eigenschaften eines Fahrzeugs ändern (z. B. Außenfarbe).

2. Ein Händler nutzt die Änderungsmöglichkeit, um aus einem für sein Lager bestellten Fahrzeug ein Kunden-fahrzeug zu machen, indem er noch alle Wünsche des Kunden berücksichtigen kann. Das führt in der Regel zu einem höheren Transaktionspreis als bei einem Lager-fahrzeug.

3. Als Marketinginstrument eingesetzt, bietet die Ände-rungsfl exibilität die Möglichkeit, durch gezielte An-sprache von Kunden, die schon ein Fahrzeug bestellt haben, noch ein Upgrade der Ausstattung zu erhalten (z. B. große Navigation statt kleiner Navigation).

Die hohe Flexibilität hat hier sowohl die fl exiblere Anpas-sung an den Markt und somit die erhöhte Kundenzufrie-denheit als auch eine signifi kante Verkürzung der Durch-laufzeit zur Folge.

Handlungsfeld 3: Materialsteuerung synchron zum Ferti-gungsfl ussDie Logistik steuert synchrone Materialfl üsse vom Ver-bauort bis zum Lieferanten und stellt damit die Marktver-

sorgung pünktlich und fl exibel bei minimaler Durchlaufzeit und geringen Beständen sicher.

Damit wird auch die fristgerechte Fertigstellung der Kundenaufträge gewährleistet. Die zunehmende Synchro-nisierung der Supply Chain ermöglicht die Reduzierung der Durchlaufzeit vom Lieferanten bis zum Verbauort und die Re-duzierung der Bestände in der gesamten Logistikkette (s. Ab-bildung 7), was essenzielle Voraussetzung eines wertschöp-fungsorientierten synchronen Unternehmens (WSU) ist.

Für das Einrichten eines getakteten Materialzufl usses mit minimaler Durchlaufzeit und geringen Beständen ist eine hohe Vorhersagegenauigkeit des Bedarfes von gro-ßer Bedeutung. Zur konsequenten und wirtschaftlichen Umsetzung der geforderten Steigerung des Synchroni-sationsgrades der Wertschöpfungsnetzwerke sind daher zunehmend innovative Produktionssteuerungskonzepte gefragt, die eine hohe Stabilität bei der Bedarfs- und Ka-pazitätsplanung gewährleisten können.

Das Konzept der Perlenkettensteuerung bietet in diesem Zusammenhang eine Lösung an, die geforderte Stabilität und Transparenz im komplexen Kundenauftrags-prozess zu schaffen. Die Grundidee dabei ist es, das Pro-duktionsprogramm unter Berücksichtigung der Kapazitäts- und Restriktionskriterien frühzeitig festzulegen, in der Regel bereits mehrere Tage vor Montagestart, und dieses Programm später bei Montageeinlauf der Fahrzeuge ex-akt einzuhalten. Im Zeitraum zwischen der Auftragsein-planung und dem Verbau, der als „frozen zone“ bezeichnet wird, werden die geplanten Kriterien Produktionstermin, Produktionsreihenfolge und Produktionsinhalt konstant gehalten (Weyer 2002). Die Bedarfsdaten werden an die internen und externen Zulieferer sowie an die beteiligten Logistikdienstleister vermittelt.

Durch die im Vergleich zu konventionellen Konzepten wesentlich längere Vorlaufzeit haben die externen und

Langfristige Integration und Qualifi zierungder Lieferanten(Wertschöpfungs-partnerschaften)

Wertschöpfungs-orientiertes, synchrones Unternehmen

Schlanke Logistikprozesse

Niedrige BeständeGeringerer PersonaleinsatzKostenreduktionLiefertreue/Zuverlässigkeit

Reduzierung derDurchlaufzeitenvom Lieferanten bis zum Verbauort

· Transportvolumen

· Lieferantenqualität

· Lieferantenprozesse

Abb. 7: Synchroner Material- und Fertigungsfl uss in der Supply Chain

Page 166: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

194 Kundenorientierung und Integrationsfunktion der Logistik in der Supply Chain der Automobilindustrie

internen Zulieferer eine Möglichkeit, wesentlich früher ihre Fertigungs- und Logistikprozesse zu planen. Dadurch kön-nen die Material-, Flächen- und Personalkosten sowie die Anzahl der Materialhandlingstufen in der Wertschöpfungs-kette deutlich verringert werden. Die erhöhte Transparenz über die Bedarfe, der durchgängige Informationsfl uss und die verstärkte Synchronisierung des Fertigungs- und des Materialfl usses ermöglichen eine weitgehende Reduzie-rung der Sicherheitsbestände. Durch die Verlängerung der JIS-Vorlaufzeit wird es ermöglicht, dass der Radius für die bedarfssynchrone Beschaffung und Anlieferung ausge-weitet und somit die Standortabhängigkeit der Zulieferer verringert wird. Ferner können durch das Konzept die Be-lieferungsfrequenz und -mengen optimiert werden.

Handlungsfeld 4: Distributionssteuerung und VersandabwicklungDie effi zienten Distributionsnetzwerke leisten einen ent-scheidenden Beitrag zur marktgerechten Belieferung. Die Hauptaufgabe der Logistik im Distributionsbereich ist es, eine hohe Liefertreue bei minimalen Durchlaufzeiten und niedrigen Fahrzeugbeständen sicherzustellen.

Um auch unter erschwerten Bedingungen einen sta-bilen Distributionsprozess sicherzustellen, werden in der Automobilindustrie sogenannte adaptive Distributions-modelle eingesetzt, die eine hohe Reaktionsfähigkeit auf die Änderungen ermöglichen. Beispielsweise werden in der Neufahrzeugdistribution die beschleunigten Sonder-prozesse installiert, um auch bei den rückständigen Fahr-zeugen den vereinbarten Termin vor Kunde einzuhalten.

Auch hier kommt die Idee der Änderungsfl exibilität zum Einsatz. Natürlich kann ein gebautes Fahrzeug nicht mehr geändert, sondern höchstens durch Anbauteile ergänzt werden. Aber die Änderung von Adressen, d. h. die be-darfs- und nachfragegerechte Zusteuerung von schon ge-bauten Fahrzeugen im Sinne einer Feinverteilung in einer Vertriebsregion hilft, Kunden fl exibel zu bedienen.

Die unter anderem durch die Globalisierung und die ho-hen Kundenansprüche gestiegenen Anforderungen an die Neufahrzeugdistribution erfordern intelligente Konzepte, die eine Fahrzeugübergabe an Kunden innerhalb kürzester Lieferzeiten auch bei großen Entfernungen ermöglichen. Ein Beispiel aus der Praxis ist hierzu das Auftragstausch-konzept des Pipeline-Tradings, das bei Audi bei den USA-Fahrzeugen zur Verkürzung der Lieferzeit und Stei-gerung der Änderungsfl exibilität angewendet wird. Beim Pipeline-Trading werden sämtliche Fahrzeuge, die sich im Distributionsprozess befi nden und für den Zwischenhan-del freigegeben sind, entsprechend markiert. Wenn ein Händler das vom Kunden gewünschte Fahrzeug in seiner eigenen Pipeline nicht fi ndet, kann er nachprüfen, ob ein solches oder ein ähnliches Fahrzeug in der Pipeline bei den Händlern derselben Region oder landesweit vorliegen. Bis zum Eintreffen der Fahrzeuge in einem Hafen in den USA erhöht sich damit das bereits bei der Auftragseingabe an Endkunden verkaufte Volumen von etwa 10 Prozent um weitere knapp 20 Prozent.

Zusammenfassend über alle Handlungsfelder des zen-tralen Steuerungsmodells ist das Hauptziel der Logistik

Abb. 8: Ziele der Logistik

Hauptziel: Permanente Verbesserung der Leistung gegenüber den Kunden

Hohe Änderungsfl exibilität

· Minimierung der Durchlaufzeit in der gesamten Supply Chain

· Synchrone Materialsteuerung mit getakteten Routenverkehren in kleinen Losgrößen

· Niedrige Materialbestände

· Kostenreduzierung

Schlanke Logistikprozesse

· 100 % Liefertermintreue bei minimalen Lieferzeiten und Fahrzeugbeständen

· Hohe Flexibilität bei Auftragsänderungen bis kurz vor Produktionsstart

· Hohe Reihenfolgestabilität in der Fertigung

Versorgungssicherheit/Lieferbereitschaft

· Termingerechter Einsatz in allen Märkten

· Hohe Lieferbereitschaft durch bedarfsgerechte Kapazitäten

Perlenkettenfertigung

100 % Liefertreue

Page 167: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

195Ernst-Hermann Krog / Katsiaryna Statkevich

eine permanente Verbesserung der Leistung gegenüber den Kunden, mit dem Zweck, die maximale Kundenzufrie-denheit zu erreichen (s. Abbildung 8).

Die Verantwortung der Logistik liegt darin, eine ma-ximal hohe Liefertreue bei minimalen Lieferzeiten und schlanken Prozessen mit Beibehaltung einer hohen Fle-xibilität im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk sicherzu-stellen.

Fazit und Zukunftsperspektive

Der kontinuierlich steigende Wettbewerbsdruck, die Glo-balisierung, die wachsenden Kundenanforderungen und die fortschreitende Verknappung der Ressourcen werden auch weiter einen weitgehenden Einfl uss auf die Automo-bilindustrie ausüben. Die resultierenden Anforderungen an eine permanent steigende Effi zienz der Logistik und zugleich der kontinuierlichen Verbesserung der Prozess-qualität der logistischen Dienstleistung, die aus den neu-en Rahmenbedingungen resultieren, erfordern innovative Lösungen.

Um diesen Forderungen nachzukommen, stellt die Lo-gistik durch ihren integrativen Ansatz ein Netzwerk zur Steuerung und Synchronisation von Informations- und Materialfl uss in der gesamten Supply Chain zur Verfügung. Die Integrationsfunktion der Logistik zwischen den Betei-ligten des Wertschöpfungsnetzwerks ermöglicht schnelle und fl exible Marktreaktionen und eine durchgängige Steu-erung von marktbezogener Kapazitätsbereitstellung über Auftragseinplanung bis zur Auslieferung an den Kunden.

Der Begriff der Kundenorientierung in der Logistik ist heute so breit defi niert wie nie zuvor. Die logistische Leistung eines Automobilherstellers gegenüber seinen

Kunden spielt bei den Kaufentscheidungen auf dem vom intensiven Wettbewerb geprägten Automobilmarkt eine essenzielle Rolle. Der Kundenorientierungsgrad der Au-tomobillogistik hat einen bedeutenden Einfl uss auf die Kundenzufriedenheit und somit langfristig auch auf den Erfolg oder Misserfolg aller Beteiligten des Wertschöp-fungsnetzwerks.

Die aktive Gestaltung von Wertschöpfungspartner-schaften gewinnt aufgrund der international verteilten Wertschöpfung und dem zunehmenden Globalisierungs-trend in der Automobilindustrie auch weiter an Bedeutung. Die Notwendigkeit zur kooperativen Zusammenarbeit mit den Lieferanten aller Wertschöpfungsstufen löst zuneh-mend die traditionell hierarchisch geprägte Zusammenar-beit ab und führt zu einer Neudefi nition der Kooperation zwischen Fahrzeugherstellern und deren Zulieferern auf allen Ebenen. Literaturverzeichnis

Accenture GmbH (2001) Studie Auto 2010, Experimentierbefragung zur Zukunft der Automobilindustrie, Kronberg im TaunusGarcia Sanz, F. J. (2007) Ganzheitliche Beschaffungsstrategie als Be-standteil der strategischen Ausrichtung der globalen Netzwerkintegra-tion in der Automobilindustrie. In: Garcia Sanz, F. J. et al. (Hrsg.), Die Automobilindustrie auf dem Weg zur globalen Netzwerkkompetenz: Effi -ziente und fl exible Supply Chains erfolgreich gestalten, Springer, BerlinHolweg M., Pil, F. K. (2004) The Second Century: Reconnecting Customer and Value Chain Through Build-To-Order; Moving Beyond Mass and Lean Production in the Auto Industry, MIT Press, CambridgeMercer Management Consulting (2004) Fraunhofer Gesellschaft, Future Automotive Industry Structure (FAST) 2015 – die neue Arbeits-teilung in der Automobilindustrie, FrankfurtVerband der Automobilindustrie e.V. (VDA) (2007) VDA-Jahresbe-richt 2007, VDA, FrankfurtWeyer, M. (2002) Das Produktionssteuerungskonzept Perlenkette und deren Kennzahlensystem, Hermesverlag, Karlsruhe

Audi AG©

Page 168: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor

Michael J. Kolodziej

Geschäftsführer dm-drogerie markt

Mitglied des Beirates der Bundesvereinigung Logistik (BVL)

Petra Mostberger

Leiterin des Bereichs Supply Chain Management bei dm-drogerie markt

Michael Sternbeck

Doktorand dm-drogerie markt im Bereich Zentrale Logistik

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktionswirtschaft und

Logistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

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Michael J. Kolodziej Jahrgang 1947Kolodziej ist Geschäftsführer bei dm-drogerie markt und für das Res-sort Logistik und darüber hinaus für über 100 Filialen im Raum Köln/Bonn/Aachen verantwortlich. Nach einer Ausbildung zum Industrie-kaufmann und dem Studium der Be-triebswirtschaftslehre ist Kolodziej seit 1976 bei dm-drogerie markt in

unterschiedlichen Funktionen tätig. Seit 2006 ist er Mitglied des Beirats der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL).

Petra MostbergerJahrgang 1973Mostberger ist seit 2003 die Leiterin des Supply Chain Management bei dm-drogerie markt. Nach dem Studi-um der Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes mit den Schwerpunkten internationales Management und Handel erfolgte 1999 der Direkteinstieg beim jetzi-gen Unternehmen. Sie beschäftigt

sich maßgeblich mit der Transparenz und Analyse der Supply Chain. Schwerpunkt bildet das Supply Chain Controlling, wel-ches die Verantwortung der logistischen Belange des dm-Extra-net beinhaltet. Seit 2005 ist Mostberger Mitglied des Förderbei-rats der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL), um bestehende Forschungsdefi zite auf dem Gebiet der Logistik aufzudecken und daraus wichtige und notwendige Projektinhalte abzuleiten.

Michael SternbeckJahrgang 1979Sternbeck ist seit 2007 Doktorand bei dm-drogerie markt und wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Lehr-stuhl für Produktionswirtschaft und Logistik an der Katholischen Univer-sität Eichstätt-Ingolstadt (Prof. Dr. H. Kuhn). Während des Studiums der Betriebswirtschaftslehre in In-golstadt und Dunedin, Neuseeland

mit dem Schwerpunkt Logistik konnte Sternbeck Erfahrungen bei verschiedenen Handels- und Konsumgüterunternehmen sammeln.

Page 170: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Kooperation im Wettbewerbsumfeld des fi liali-sierten Lebensmittel-Einzelhandels (LEH)

Der deutsche Einzelhandel zeichnet sich seit Jahren durch eine Erhöhung der Wettbewerbsintensität und eine Um-satzkonzentration auf immer weniger Unternehmen aus. Um sich nachhaltig in einem solch kompetitiven Umfeld behaupten zu können, rücken verstärkt die Konsumenten in den Mittelpunkt der Betrachtung. Geprägt von einer negativen demografi schen Prognose über die Bevölke-rungsentwicklung sowie der Tendenz zu hybridem Konsu-mentenverhalten müssen täglich die Fragen gestellt wer-den, wie es gelingt, neue Konsumenten zu gewinnen, die Kunden mit dem Unternehmen zu verbinden und wie deren Bedürfnisse besser und günstiger erfüllt werden können.

Die Logistik beziehungsweise das Supply Chain Ma-nagement (SCM) als die Kernfunktion des Handels kann erheblich zum Ausbau und zur Generierung von Wettbe-werbsvorteilen beitragen. Agilität und Flexibilität einer Lieferkette sind genauso gefordert wie Ressourcenscho-nung und Kostenminimierung. Die Logistikkonzeption einer Handels-Supply-Chain muss also in der Lage sein, den Spagat zwischen Effektivität und Effi zienz zu leisten. Dabei geht es nicht um ein „entweder oder“, sondern viel-mehr um ein „sowohl als auch“. Die Komplementarität der beiden Konzepte wird durch die mittlerweile unzähligen ECR-Projekte (Effi cient Consumer Response) bestätigt, die genau darauf gerichtet sind, die differenzierten Kunden-anforderungen besser und mit weniger Ressourcenver-schwendung und Ressourceneinsatz zu erfüllen.

Zentrales Element sowohl des Gedankens des ECR als auch des Konzeptes des Supply Chain Management ist die Kooperation, insbesondere vertikaler Natur, also entlang der Wertschöpfungskette. Kooperation wird dabei als ein freiwilliges Aufeinander-Zugehen rechtlich selbstständi-ger Unternehmen zur Verfolgung gemeinsamer Ziele ver-standen, die gemeinsam besser erreicht werden können als allein (vgl. Hirsch 2002, S. 33).

Das Unternehmen dm-drogerie markt misst Kooperati-onen und dabei insbesondere einer hohen Kooperations-intensität mit den Industriepartnern einen sehr großen Stellenwert bei. Deren weiterer Ausbau zum Nutzen der

Kundinnen und Kunden wird auch künftig eine wichtige Herausforderung sein. Der wirkliche Wille zur Kooperation und die Realisierung einer hohen Kooperationsintensität kann als ein zentraler Erfolgsfaktor der Logistikkonzeption der Arbeitsgemeinschaft dm und daher als eine Art „Unique Logistics Proposition“ (Mostberger 2008) betrachtet werden.

Im Folgenden soll das SCM-Verständnis des Unterneh-mens ausgehend vom theoretischen Konzept abgeleitet und der Stellenwert sowie die Vorteile der Kooperation für dm und die Partner dargelegt werden. Darauf folgend werden die Instrumente und Mechanismen erläutert, mit deren Hilfe langfristige unternehmerische Partnerschaf-ten bei dm-drogerie markt unterstützt werden.

Verständnis und Entwicklung des Supply Chain Management

In nahezu allen Branchen und den meisten Betrieben hat sich – dem Konzept des Supply Chain Management fol-gend – die unternehmensübergreifende Perspektive bei der Gestaltung logistischer Prozesse durchgesetzt.

Dabei geht es im SCM in seiner ausgeprägtesten ide-alen Form, folgt man den Lehrbuch-Defi nitionen, um das Management der gesamten Wertschöpfungskette – vom Lieferanten des Lieferanten bis zum Kunden des Kunden. Das theoretische Ziel besteht in einer voll integrativen und ganzheitlichen Planung mit dem Ziel einer netzweiten Optimierung.

Vergegenwärtigt man sich bei einem Optimalitätsan-spruch die hinter diesem idealen Konzept stehenden Pla-nungsprozesse, so kann man laut Bretzke (2006) schnell zu der Auffassung gelangen, dass das SCM mit einer Reihe enorm schwieriger und bislang unzureichend beantworte-ter, wenn nicht gar praktisch unlösbarer Fragen verbunden ist. Bretzke (2007) verweist in seinen Ausführungen unter anderem auf die Nichtexistenz linearer Wertschöpfungs-ketten, die organisatorischen und planerischen Probleme sowie das Außerkraftsetzen von produktiven Marktme-chanismen.

Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als ErfolgsfaktorMichael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck

Page 171: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

200 Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor

Im Endeffekt geht es um die Frage, wie weitgehend das Konzept des Supply Chain Management ausgelegt wer-den soll und ob es sinnvoll erscheint, einen (analytisch begründbaren) Optimierungsanspruch der gesamten Ket-te beziehungsweise des Netzwerkes unter Aufgabe der Planungsautonomie mit formal ableitbaren Parameterbe-stimmungen an den Tag zu legen. In einem solchen Fall wäre nicht nur eine Kooperation zwischen den am Wert-schöpfungsprozess Beteiligten notwendig, sondern eine vollständige planerische Integration, was mit den oben genannten Problemen verbunden ist.

Das große Ganze zu realisieren erscheint auf den ers-ten Blick utopisch. Die Kunst liegt nämlich genau darin, eine für das jeweilige Unternehmen passende Ausprä-gung vertikaler Kooperationsformen zu gestalten und in einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit eine „schwächere Integrationsvariante“ (Bretzke 2006) umzu-setzen. Gelingt die konsequente Umsetzung und Weiter-entwicklung, so liegt in den Augen von dm-drogerie markt in diesem Ansatz erhebliches Potenzial zur Generierung neuer Ideen und zur Leistungssteigerung.

Kooperation auf verschiedenen Ebenen trägt dazu bei, den spezifi schen Ausschnitt des Gesamtkonstruktes für die Partner einerseits transparenter zu machen und an-dererseits um viele Aspekte zu bereichern. Damit wird der zunehmenden Komplexität begegnet. Die eigenen Hand-lungen und Vorgehensweisen können so bei verbesserter Informationslage refl ektiert und entsprechend justiert werden. Dies resultiert in spürbar verbesserter logisti-scher Leistung bei gleichzeitiger Schaffung einer für beide Seiten spannenden und interessanten Lernumgebung.

Diese Auffassung von SCM wird bei dm-drogerie markt gelebt. Der gleichnamige, dem Ressort Logistik zugeordnete Bereich im Unternehmen fungiert als un-ternehmensübergreifend agierende Informations- und Datendrehscheibe zwischen den Fachabteilungen und

den Industriepartnern des Unternehmens. Zielsetzung ist es, die Vernetzung sowie den Austausch zwischen den an der Supply Chain beteiligten Partnern voranzutreiben und Informationen, Daten und Wissen mit den Partnern zu teilen. Anpassungen auf beiden Seiten können die Folge sein. Insofern fungiert der Bereich SCM auch als Sprach-rohr der Industriepartner für logistische Fragestellungen in die Arbeitsgemeinschaft dm.

Somit stellt der Bereich SCM bei dm-drogerie markt eine institutionelle Bedingung für ein erfolgreiches Koope-rationsmanagement dar. Die Strukturen und Leistungen, die heute angeboten werden, wurden über viele Jahre aufgebaut und werden permanent weiterentwickelt. dm-drogerie markt folgte dabei einem Ansatz, der sich mithilfe der in Abbildung 1 dargelegten SCM-Kaskaden beschrei-ben lässt. Diese repräsentieren einen möglichen, den von dm-drogerie markt absolvierten Weg hin zur innovativen Ausgestaltung des unternehmensübergreifenden Aus-tauschs. Wird diesem Ansatz gefolgt, so steht zunächst nicht die sofortige Vernetzung im Vordergrund, sondern vielmehr der Aufbau adäquater Strukturen und Prozesse. Erst wenn diese effektiv und effi zient implementiert sind, kann aus einer Vernetzung auch ein Nutzen zum Wohle des Kunden gezogen werden. Somit können Beziehungen nicht nur um ihrer selbst willen intensiviert werden. Wei-terentwicklungen, die auf einem solchen Fundament und einer großen gewachsenen Vertrauensbasis aufbauen, können sich zu Innovationen mit hohem Stellenwert für die beteiligten Unternehmen entwickeln.

Abbildung 2 zeigt im Zeitverlauf die Entwicklung der kooperationsorientierten Organisation bei dm-drogerie markt und der konkreten Kooperationsaktivitäten. Es zeigt sich, dass die eingesetzten Mittel und Methoden konse-quent weiterentwickelt und einerseits den Situationen und andererseits den technischen Möglichkeiten ange-passt wurden. Über die Zeit ist so durch die vielen ge-

Ineinander übergehende Entwicklungsphasen erhöhen stetig den Umsetzungsgrad des SCM Zeitverlauf

Umsetzungsgrad und Vertrauensbasis

StrukturEffektivität

Qualität

Innovation

Effizienz

Vernetzung

Quelle: Mostberger (2008), S. 35

Abb. 1: Kaskaden des Supply Chain Managements

Page 172: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

201Michael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck

meinsamen Entwicklungszyklen das entgegengebrachte und in die Partner gesetzte Vertrauen angestiegen. Dies korrespondiert mit der Auffassung, dass Kooperation und Vertrauen nicht verordnet werden können, sondern über die Zeit wachsen und sich entwickeln müssen.

Kooperationen sind ein Mittel zur gemeinsamen Leis-tungssteigerung zweier wettbewerbsfähiger Unterneh-men und nicht dazu bestimmt, Wettbewerbsdefi zite aus-zugleichen. Die Erhöhung der Kooperationsintensität mit den Industriepartnern und weiteren am Wertschöpfungs-prozess beteiligten Dienstleistungsunternehmen geht deshalb einher mit einer permanenten Weiterentwicklung und Anpassung der internen logistischen Prozesse. Denn nur wer sich seiner eigenen Leistungsfähigkeit bewusst ist, wird auch zielgerichtete Kooperationen eingehen und Nutzen für den Kunden generieren können. Je höher die Effektivität und Effi zienz der internen Lieferkette, umso höher der Leistungszuwachs, der durch die Kooperation erwartet werden kann, da der dadurch erzielte Erfolgs-beitrag intern in einem höheren Maße bis an den End-verbraucher weitergereicht werden kann. Eine zu starke Fokussierung auf die unternehmensübergreifenden Ver-antwortungsübergänge und eine Vernachlässigung der internen Kommunikations- und Koordinationsaufgaben er-scheint genauso wenig erfolgversprechend wie eine aus-schließliche Konzentration auf die internen Strukturen.

Aufbauend auf diesen den Rahmen aufspannenden Überlegungen sollen im Folgenden die Motivation und die von dm-drogerie markt verfolgten Kooperationsansätze beleuchtet werden.

Die Motivation zur Kooperation

Die Motive, mit den Industriepartnern in möglichst hohem Maße und auf lange Sicht zu kooperieren, sind bei dm-drogerie markt primär normativer Natur und logische Fol-ge der gelebten Unternehmenskultur.

Orientierung bieten hierfür die Unternehmensgrund-sätze, die dm-drogerie markt als eine Wirtschaftsgemein-schaft beschreiben mit der ständigen Herausforderung, ein Unternehmen zu gestalten, durch das die Kundenbe-dürfnisse veredelt werden können, indem Entwicklungs-möglichkeiten geboten und so ein vorbildliches Wirken der Gemeinschaft ermöglicht werden.

Ein Bemühen in der Organisationsgestaltung besteht darin, jedem Mitarbeiter die Freiräume zu unternehme-rischem Handeln zu überlassen, sodass Lösungswege selbstständig gefunden werden können und somit die Tragweite des eigenen Handelns für jeden spürbar wird. Dies hat zur Folge, dass die Mitarbeiter aus eigener Ein-sicht zum Wohle des Kunden handeln (vgl. Werner 2002, S. 69). Damit unausweichlich verbunden ist das perma-nente Lernen des Einzelnen und damit der gesamten Orga-nisation. Dieser Führungsstil und die daraus resultierende Kultur der internen Zusammenarbeit strahlen nach außen und damit neben den Kundinnen und Kunden auch auf die Industriepartner aus (vgl. Werner 2007, S. 118).

Die feste Verankerung der Mitarbeiter in dem eigenen Unternehmen und die Bestärkung im Unternehmensleit-bild erleichtern die interorganisationale Prozessoptimie-

Vertrauensindexim Zeitverlauf

Daten- undInformations-austausch

SupplyChainControlling

dm-Organisation

niedrig

hochho

SCM

SC-GesprächLogistikdialog

INVOICORDERS Extranet DESADV

Industrie-kommunikation

1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Beziehungs-controlling

Abb. 2: Entwicklung der kooperationsorientierten Organisation und der Kooperationsaktivitäten bei dm-drogerie markt

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202 Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor

rung. Wenn Personen verschiedener Unternehmen im Arbeitsalltag aufeinandertreffen, so begegnen sich auch unterschiedliche Unternehmenskulturen. Um in einen produktiven Austausch zu gelangen ist es notwendig, die Unternehmenskultur des Wertschöpfungspartners anzuerkennen und der aus dem Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Kulturen resultierenden Komplexität gezielt zu begegnen. Daher lauten die Partnergrundsätze bei dm-drogerie markt bereits seit 1981: Erkennen seines Wesens, Anerkennen seiner Eigentümlichkeiten. Wird eine solche Haltung auch von den Industriepartnern ein-gebracht, eröffnet sich eine von gegenseitiger Achtung geprägte Arena der Zusammenarbeit.

Aufbauend auf diesen Gedanken lässt sich der intrinsi-sche Wille zur Kooperation mit den Partnern in der Wert-schöpfungskette ableiten: Voneinander zu lernen ist das gemeinsame Ziel, um sich selbst zu entwickeln und dadurch überlegene Leistungen zu produzieren. Das bewusste Auf-nehmen von Problemen auf vor- und nachgelagerten Wert-schöpfungsstufen schärft die eigene Wahrnehmungs- und Antizipationsfähigkeit und rückt damit die eigenen Hand-lungen in einen breiteren Kontext. Nicht kooperieren hieße bewusstes Verzichten auf Lerninhalte und damit auf eige-nes und organisationales Entwicklungspotenzial.

Aufgrund der durch Kooperation geschaffenen erwei-terten Lernumgebung dient diese in erheblichem Ausmaß der Erreichung der oben beschriebenen Unternehmens-ziele. Diese sind für dm wichtiger als das Erreichen einer ex ante geplanten Ausprägung einer fi nanziellen Erfolgs-kennzahl. Es wird die Auffassung vertreten, dass gerade aufgrund des Fehlens einer Kosten-Nutzen-Rechnung im Kooperationsmanagement so werthaltige Beziehungen resultieren. Die Rendite ist also das Ergebnis echter Ko-operation und des Bemühens um loyale Kunden, nicht aber gedanklicher Ausgangspunkt des Eingehens von Wertschöpfungspartnerschaften.

Echte und auf den Kunden ausgerichtete Kooperation

heißt für dm-drogerie markt auch, stets gemeinsam das Maximum für den Kunden erzielen zu wollen. Kontrakte mit Service-level-Agreements oder Sanktionen gegen-über Wertschöpfungspartnern bei Nichteinhaltung sind kaum zu fi nden. Die Einbettung von Konventionalstrafen in einzelwirtschaftliche Kalküle kann zur Folge haben, dass eben nicht das Maximum für den Kunden erzielt wird. Nachhaltige Verbesserungen in der Wertschöpfungskette werden viel eher durch gegenseitiges Prozessverständnis und kooperative Maßnahmen erzielt als durch eine ver-traglich ausgefeilte Sanktionspolitik.

Sich die Probleme des anderen zu Eigen machen, mag zunächst ungewohnt, unwirtschaftlich und ambitioniert wirken (Kolodziej 2006, S. 804). Im Hinblick auf die Erfül-lung der Bedürfnisse der Kunden zahlt sich dieses Engage-ment jedoch aus. Das Ziel gemeinsamen Handelns muss grundsätzlich der Konsument sein. dm möchte, dass die Industriepartner erkennen, dass dm ein Partner ist, mit dem sie gemeinsam dieses und damit ihr eigenes Ziel ver-wirklichen können.

Konkrete Ausgestaltung von Kooperationen

Nach diesen allgemeinen, die Kooperation betreffenden Gedanken werden im Folgenden die konkreten Ansätze dar-gelegt, die dm-drogerie markt verfolgt (vgl. Abbildung 3). Dabei wird analog zu Magnus (2007, S. 23) auf eine Dif-ferenzierung zurückgegriffen, derzufolge Kooperations-aktivitäten in zwei grobe Formen untergliedert werden können: zum einen in die Kooperation durch Daten- und Informationsaustausch, zum anderen in die Kooperation durch interorganisationale Gestaltung.

Kooperation durch Daten- und InformationsaustauschDas transparente Offenlegen relevanter Daten gegen-über den Industriepartnern enthält erhebliches Potenzial zur Prozessverbesserung und Steigerung der Leistung

Supply-Chain-Kooperation bei dm-drogerie markt

Kooperation durch interorganisationale Gestaltung Kooperation durch Daten- und Informationsaustausch

Standardisierte Kommunikation via EDI

Informationsaustausch via Extranet

Gemeinsame Verpackungs-gestaltung

Gemeinsame Prozessgestaltung

StandardisierungIndividualisierung

Abb. 3: Supply-Chain-Kooperation bei dm-drogerie markt

Page 174: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

203Michael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck

der Lieferkette. Dies lässt sich sowohl empirisch (vgl. Magnus 2007) als auch theoretisch belegen. Werden die im Handel aufgrund der Nähe zum Endkunden qualitativ besseren und in feinerer Granularität erzeugten, zum Teil zukunftsbezogenen Daten in den hierarchischen Produk-tionsplanungsprozess des Industriepartners eingebettet, so resultiert ein Potenzial zur Planungsverbesserung. dm-drogerie markt forciert den effi zienten Daten- und Informationsaustausch mithilfe zweier Instrumente, dem standardisierten Elektronischen Datenaustausch (EDI) und dem dm-Extranet.

Hohe Kommunikationseffi zienz durch EDIWährend der im folgenden Abschnitt beschriebene Da-tenaustausch via Extranet auf eine verbesserte Steu-erung und Planung der Supply-Chain-Aktivitäten zielt, dienen die angewandten EDIFACT-Nachrichtenarten ins-besondere der Erhöhung der Effi zienz der Kommunikation zwischen den Unternehmen. Durch einen mittels EDI ohne Medienbrüche realisierten Datenaustausch können die Geschwindigkeit des Austauschs erheblich gesteigert und die Fehler deutlich reduziert werden. Mittlerweile ist ein erheblicher Anteil der Industriepartner in der Lage, Nach-richten per EDI zu senden und zu empfangen. Abbildung 4 zeigt für die EDIFACT-Nachrichtenarten ORDERS (elek-tronische Bestellung), INVOIC (elektronische Rechnung) und DESADV (elektronisches Lieferavis) den Anteil der Industriepartner, der die jeweilige Nachrichtenart im Aus-tausch mit dm-drogerie markt produktiv nutzt. Darüber hinaus ist der aussagekräftigere Anteil der Nutzung der jeweiligen Nachrichtenarten im Verhältnis zu den jeweils durchgeführten Transaktionen aufgezeigt. Stand Januar 2008 kann dm-drogerie markt ca. 90 Prozent der Bestel-lungen und 97 Prozent der Rechnungen via EDI absetzen. 63 Prozent der Wareneingangspaletten werden elektro-nisch avisiert, sodass dieser Anteil in den Verteilzentren automatisch vereinnahmt werden kann, was den Waren-eingangsprozess erheblich verschlankt.

Das Ziel besteht in einer weiteren Erhöhung der EDI-Anteile, wobei eine Ausweitung mit der entsprechenden Qualität erreicht werden soll, die nur über eine klassische EDI-Vernetzung mit eigener X.400-Anbindung oder über die Nutzung von Clearing Centern erreicht wird.

Das dm-ExtranetMit der Einführung des dm-Extranets im Jahr 2000 schaffte dm-drogerie markt ein internet-basiertes Infor-mationsportal für Industriepartner mit dem Ziel, durch den Austausch von zielgerichteten Informationen und Daten

die Wertschöpfungskette zu verbessern. Der oben be-schriebene partnerschaftliche Ansatz wurde auch bei der Entwicklung dieses gemeinsam genutzten Werkzeuges deutlich. So waren bei der Konzeption nicht nur die dm-Fachabteilungen, sondern auch Pilotlieferanten vertreten, um die Anforderungen zu bestimmen. In multifunktionalen Teams wurden über Unternehmensgrenzen hinweg die Inhalte und Kennzahlendefi nitionen bestimmt und dis-kutiert, was in einer hohen Akzeptanz des Instrumentes resultierte.

Das dm-Extranet ermöglicht allen Industriepartnern von dm-drogerie markt dynamisch aktualisierte Daten und Informationen abzurufen oder per E-Mail bei Erreichen von Schwellenwerten zu empfangen (Exception Manage-ment). Die hohe Transparenz, die durch die Zusammenar-beit via Extranet erzielt wird, resultiert in einer erhöhten Handlungssicherheit für die Partner und eröffnet zugleich die Möglichkeit, sich noch aktiver an der Prozessgestal-tung zu beteiligen.

Neben Neuigkeiten, Informationen wie dem Kommuni-kationsplan, dem Regallayout oder einem Filialverzeichnis, relevanten Downloads, Saisonverläufen und täglich aktu-alisierten Abverkaufs- und Warenbestandsdaten in den Filialen und Verteilzentren werden den Industriepartnern auch wöchentlich aktualisierte Prozess-Performance-Kennzahlen zur Verfügung gestellt. In einer Supply Chain Scorecard werden beispielsweise die beiden wichtigsten logistischen Qualitätskennzahlen, die Liefertermin- und

EDIFACT-Nachrichtenart

ORDERS

INVOIC

DESADVmit NVE

Nutzung der Nachrichtenart in % der Industriepartner

Nutzung der Nachrichtenart in % der jeweils durchgeführten Transaktionen

0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

59 %

90 %

52 %

97 %

24 %

63 %

Abb. 4: Stand der EDI-Umsetzung bei dm-drogerie markt (Januar 2008)

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204 Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor

die Liefermengentreue, wahlweise für einen Zeitraum von einem, drei, sechs oder zwölf Monaten dargestellt. Darüber hinaus ist bereits in dieser Übersichtsabfrage die Reichweite in den dm-Verteilzentren aufgeführt. Um dem Wertschöpfungspartner nicht ausschließlich seine Leistung zu spiegeln, sondern auch die Leistung der dm-internen Lieferkette, wird die Liefermengentreue der dm-Verteilzentren an die Filialen aufgeführt, um den Blick auf den gesamten Prozess bis zum Kunden zu ermöglichen.

Um die Daten schnell und eingehend analysieren zu können, wird dem Industriepartner die Möglichkeit einge-räumt, in den ausgeführten Berichten von einer überge-ordneten Kennzahl auf die Detailausprägungen einzelner Attribute auf unterschiedlichen Informationsebenen zu schließen. So geben die Abverkaufsberichte Aufschluss darüber, wie sich bestimmte Artikel und Warengruppen in den einzelnen Bundesländern, Nielsen-Gebieten oder ein-zelnen Filialen entwickeln. Bereits nach dem ersten Tag einer Produkteinführung stehen die Absatzdaten der dm-Filialen dem Hersteller zur Verfügung, sodass er Launch-Erfolge mit realen Verkaufszahlen früh bewerten kann.

Diese Funktion ermöglicht unter anderem eine fun-dierte Schwachstellenanalyse, indem beispielsweise von einer Servicekennzahl einfach auf die einzelnen Anliefe-rungen geschlossen und bei den entsprechend negativen Detailausprägungen die jeweiligen spezifi schen Situatio-nen in die Analyse einbezogen und Verbesserungspoten-zial abgeleitet werden kann.

Der Industriepartner kann mithilfe des dm-Extranets seine selbst erhobenen Kennzahlen mit denen von dm-drogerie markt vergleichen und so beispielsweise auf Unzu-länglichkeiten in Transportprozessen aufmerksam werden. Die Werte geben somit Aufschluss über Leistungsdefi zite, die bei rein interner Messung verschleiert blieben. Dies re-sultiert in einer unmittelbar erfolgswirksamen Prozessver-besserung. Je höher die Liefertermin- und die Liefermen-gentreue, desto geringer können die Sicherheitsbestände in den Verteilzentren angesetzt werden und umso geringer sind die Lagerhaltungskosten und die Kapitalbindung.

Ein weiterer Vorteil dieser B2B-Anwendung ist, dass der Industriepartner und dm-drogerie markt die „gleiche Sprache“ sprechen, da sie auf denselben Informationspool zugreifen. Der Wertschöpfungspartner weiß so im Vorfeld von Gesprächen, welche Performance-Daten dm-drogerie markt vorliegen, sodass auf dieser im Vorfeld bekannten Gesprächsgrundlage diskutiert wird.

Kooperation durch interorganisationale GestaltungDer oben beschriebene Daten- und Informationsaus-

tausch zielt auf eine bessere und günstigere Erfüllung der Kundenbedürfnisse, insbesondere aufgrund einer hö-heren Visibilität und einer damit verbundenen besseren Planbarkeit von Produktions- und Logistikprozessen durch geringere Prognosefehler auf übergeordneten Stufen der Supply Chain. Neben einem kontinuierlichen Daten- und Informationsaustausch engagiert sich dm-drogerie markt auch in der gemeinsamen Gestaltung von Produkten und Prozessen, die außerhalb des eigenen Autonomiebereichs liegen. In den beiden folgenden Abschnitten wird auf die gemeinsame Verpackungsgestaltung und die gemeinsame Prozessgestaltung eingegangen.

Kooperation durch gemeinsame VerpackungsgestaltungDas Competence Center Packaging (CCP) innerhalb des Bereiches Supply Chain Management bei dm-drogerie markt unterstützt die Industriepartner bei der Optimierung der Transportverpackungen. Das CCP geht gemeinsam mit ihnen in einen Gestaltungsprozess, um einerseits eine ausreichende Stabilität der Packstücke im Distributions-prozess sicherzustellen und andererseits Effi zienzvorteile im Bereich der Filiallogistik zu realisieren. Insbesondere in Zusammenarbeit mit kleineren Industriepartnern können so regelmäßig für beide Seiten wertbildende Verbesse-rungen erzielt werden.

Zielsetzung ist dabei, dass die Transportverpackung alle Anforderungen auf den einzelnen Stufen der Supply Chain besser erfüllt. Die Erfordernisse resultieren zum einen aus den Produktions- und Kommissionierprozessen beim Industriepartner. Zum anderen erfolgt im Bereich der Verteilzentren des Handels durch die Einlagerung, Kom-missionierung und den anschließenden Transport in die Filialen eine weitere Beanspruchung der Transportverpa-ckung. In spezifi schen Fällen wird eine Lösung angestrebt, die es erlaubt, die Transportverpackung auch in der Filiale zu nutzen (Regalgerechte Verpackung, Trays). Neben Effi -zienzgesichtspunkten wie einer einfachen und schnellen Identifi kation und dem leichten Öffnen treten somit die einfache und schnelle Regalbefüllung sowie Kommunika-tionsaspekte des Industriepartners, die die Produktwahr-nehmung durch den Konsumenten erheblich beeinfl ussen können (vgl. Institute of Grocery Distribution 2005).

dm-drogerie markt bringt die Erfahrungen aus den Verteilzentren und Filialen in die Verbesserung und Wei-terentwicklung der jeweiligen artikel- oder artikelgrup-penspezifi schen Verpackungsgestaltung ein. Aus dieser komplexen Gestaltungsaufgabe resultieren Kooperations-vorteile sowohl für den Industriepartner als auch für dm-drogerie markt. Neben weniger Bruch und den effi zien-

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205Michael J. Kolodziej / Petra Mostberger / Michael Sternbeck

ten fi liallogistischen Prozessen tritt zugleich eine höhere Warenverfügbarkeit und ein ordentliches Regalbild auf, das dem Konsumenten eine bessere Orientierung bietet und absatzsteigernd wirkt.

Kooperation durch gemeinsame ProzessgestaltungÜber die beschriebenen Tätigkeiten hinaus unterstützt SCM selektiv Industriepartner bei der kundenorientierten Prozessgestaltung. So erfolgte beispielsweise mit einem Industriepartner die gemeinsame Untersuchung der Sup-ply Chain, angefangen von den Rohstoff- und Packmittel-lieferanten bis zur Bereitstellung der Produkte am Point-of-Sale, um daraus Handlungsempfehlungen für diese und weitere Kooperationen ableiten zu können.

Die im Rahmen der gemeinsamen Untersuchung er-kannten Probleme bei der Packmittelbereitstellung und dem Bestand an Fertigwaren wurden gemeinsam analy-siert, bewertet und Verbesserungspotenzial abgeleitet. dm-drogerie markt bringt auf diese Weise die Anforderun-gen des Handels direkt in den Gestaltungsprozess beim Industriepartner ein. Im konkreten Fall wurden die lange Wiederbeschaffungszeit und die produktionssynchrone Anlieferung der Packmittel als Defi zite ausgemacht. Die Wiederbeschaffungszeit wurde daraufhin teilweise er-heblich verkürzt und eine Vorratshaltung eingeführt, so-dass die Produktionsfl exibilität des Partnerunternehmens und die Leistung gegenüber dm-drogerie markt erheblich gesteigert werden konnten. Bei innovativen Produkten wurde durch diese Maßnahmen eine Bestandsverlage-rung auf die Rohstoffebene möglich. Unter Berücksichti-gung der sich aus der Nachfragevariabilität ergebenden Sicherheitsbestände konnten die Fertigwarenbestände, auf Kosten einer Erhöhung der erheblich günstigeren Pack-mittelbestände, deutlich gesenkt werden. Die Folge waren niedrigere Gesamtkosten der Supply Chain bei gleichzeitig besserer Warenversorgung für den Endverbraucher.

Derartige Verbesserungen erfordern eine Beschäfti-gung mit vielen Prozessdetails, die jedoch zu beantworten sind, wenn man sich eine kontinuierliche Verbesserung und eine operative Exzellenz als Ziel setzt. Der Lohn für das Engagement von dm-drogerie markt auf diesem Ge-biet besteht im verbesserten Leistungsaustausch.

Ein sehr umfangreiches Projekt, das die Erhöhung der vertikalen Kooperationsqualität durch eine gemeinsame Prozessgestaltung auf beiden Seiten zum Ziel hatte, ist das im Jahr 2003 abgeschlossene und vom Bundesministe rium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Vertikale Kooperation zwischen Industrie und Handel“ (VertiKo). Ausgangspunkt dieses Verbundprojektes, an dem neben

den Partnerunternehmen Henkel und dm-drogerie markt auch die VDI/VDE-Technologiezentrum Informationstech-nik GmbH, die Gerhard-Mercator-Universität Duisburg so-wie die Sozialforschungsstelle Dortmund beteiligt waren, war eine gemeinsame SWOT-Analyse. Aufbauend auf den gemeinsam ermittelten Kooperationsdefi ziten wurden Lösungsansätze, die strukturelle Änderungen in beiden Unternehmen zur Folge hatten, gemeinsam entwickelt, erprobt und zum Teil umgesetzt. Die Projekttätigkeiten führten zum einen zu einem deutlich verbesserten Neulis-tungsprozess und zum anderen zu einer verbreiterten Ver-trauensbasis, die die Grundlage für weitere gemeinsame Projekte im Sinne des ECR-Gedankens darstellte.

In den vorangegangenen Abschnitten wurden die bei dm-drogerie markt angewandten konkreten Koopera-tionsaktivitäten dargestellt. Diese werden nur dann nach-haltig erfolgreich sein, wenn sie von beiden Parteien als Bereicherung empfunden werden. Im folgenden Abschnitt soll daher abschließend auf die Problematik der Wahrneh-mungsunterschiede zwischen den Supply-Chain-Partnern hingewiesen und die Antwort von dm-drogerie markt da-rauf vorgestellt werden.

Messung der Wahrnehmung der Kooperation durch die Partner

Von einer hohen Beziehungsqualität zwischen Handel und dem Industriepartner kann nur dann gesprochen werden, wenn beide Partner die Kooperation aus ihrem jeweiligen Blickwinkel als gut funktionierend einstufen und somit eine objektivierbare Win-win-Situation vorliegt. Die sub-jektive Bewertung der Kooperation durch das eigene Un-ternehmen ist also nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite, die Wahrnehmung der Güte der Zusammenarbeit durch den Industriepartner, versucht dm-drogerie markt mit einem systematischen Beziehungscontrolling zu erfas-sen. In einem aus dem zentralen ERP-System an die In-dustriepartner versandten Fragebogen werden regelmäßig Sichtweisen, Meinungen und Einschätzungen zu wichtigen Aspekten der Kooperation eingeholt und mit den eigenen Einschätzungen abgeglichen. Die sich eventuell dadurch ergebenden Wahrnehmungsunterschiede in der Koopera-tionsqualität werden mit dem Industriepartner diskutiert und analysiert, sodass die Gründe des Abweichens für bei-de Seiten verständlich werden. Daraus ergeben sich An-haltspunkte für die weitere Verbesserung der Beziehung.

Im Fragebogen werden neben einigen operativen Fra-gestellungen insbesondere die „weichen Faktoren“ zu erfassen versucht, wie Aspekte der Erreichbarkeit der An-

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206 Gemeinsam statt einsam – Kooperationsmanagement als Erfolgsfaktor

sprechpartner, der Zufriedenheit mit der Kommunika tion oder der Reaktion in Konfl iktsituationen. Die Einschätzung der Verlässlichkeit und des Vertrauens als Säulen einer erfolgreichen Kooperation sowie Vorschläge und Hin-weise, wie eine höhere Vertrauensbasis gemeinsam er-arbeitet werden kann, sind das hauptsächliche Ziel des Beziehungscontrollings bei dm-drogerie markt. Damit ist das Vertrauen in den Wertschöpfungspartner Vorausset-zung und Ziel des Beziehungscontrollings gleichermaßen. Denn nur bei einer vorhandenen Vertrauensbasis wird ein Industriepartner ehrliche Antworten auf die Fragen zu den weichen Faktoren abgeben und kein opportunistisches Verhalten des Partnerunternehmens fürchten. Hat der Partner einmal erkannt, dass die durch das Beziehungs-controlling gewonnenen Erkenntnisse in die Verbesserung der Kooperationsbeziehung einfl ießen, so wird das Ver-trauen mit jedem Controllingzyklus weiter wachsen (vgl. Weber et al. 2003, S. 36–37).

Mehrfach wurde in den obigen Ausführungen die für so wichtig erachtete Vertrauensbasis erwähnt, die das Fundament einer erfolgreichen kooperativen Leistungser-stellung darstellt. Diese Vertrauensbasis gilt es auf- und auszubauen, denn Vertrauen ist eine entscheidende Quel-le für messbare Effi zienz einer Supply Chain.

Literaturverzeichnis

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Page 178: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen

Tony Van Osselaer

Mitglied des Executive Committee von Bayer MaterialScience, Leiter „Industrial Operations“

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Dr. Tony Van OsselaerJahrgang 1954Van Osselaer gehört seit 2002 den Vorstandsgremien des Bayer-Poly-mergeschäfts an. In allen Stadien der Weiterentwicklung des Unter-nehmens war er im Schwerpunkt für die Bereiche Produktion und Techno-logie verantwortlich, seit März 2007 als Mitglied des Executive Commit-tee von Bayer MaterialScience und

Leiter „Industrial Operations“. Zusätzlich zu diesen Aufgaben koordinierte Van Osselaer von Februar 2006 bis August 2007 als Leiter der Bayer Polyurethanes (Shanghai) Company Ltd. die Investitionsmaßnahmen des Unternehmens in Shanghai, Chi-na. Er studierte Chemie an der Universität Antwerpen, Belgien und begann 1980 seine Bayer-Laufbahn bei Bayer Antwerpen N.V., Belgien. Nach verschiedenen Stationen als Betriebs- und Projektleiter wurde ihm 1997 die globale Leitung des Ressorts Produktion und Technik des Geschäftsbereichs Kunststoffe der Bayer AG übertragen.

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Bedeutung der Kunststoffi ndustrie

Kunststoffe in allen Varianten und Anwendungen sind heute zentraler Bestandteil eines nachhaltigen und auf das Wohl des Menschen ausgerichteten Lebensstils. Vie-le der vom Endverbraucher wahrgenommenen positiven Eigenschaften eines Produktes gehen auf den Einsatz und Anteil von Kunststoffen zurück. Auch aktuelle ener-gie- und klimapolitische Diskussionen unterstreichen die Bedeutung von Kunststoffen heute und in der Zukunft mit großem Nachdruck, da deutlich wird, wie sehr gerade der Anteil hochwertiger Materialien aus der Klasse der Kunst-stoffe einen Beitrag zur Lösung der großen Herausforde-rungen der Menschheit leisten kann.

Im Jahr 2006 wurden weltweit etwa 245 Mio. Tonnen Kunststoffe produziert, wobei von einem weiteren robus-ten Wachstum dieser Menge auch in der Zukunft ausge-gangen werden kann. Der enorme Anstieg der Nachfrage

nach Kunststoffen sei veranschaulicht am Beispiel der dynamischen Nachfrageentwicklung für Polycarbonat, einem besonders hochwertigen Kunststoff, der von Bayer MaterialScience als Weltmarktführer unter dem Namen Makrolon® vertrieben wird (siehe Abbildung 1).

Diese Produktionsmengen bedeuten ein Vielfaches an Warenströmen und Werteströmen.

Daher hat eine erfolgreiche Logistik neben allen an-deren unternehmenstypischen Herausforderungen we-sentlichen Einfl uss auf den unternehmerischen Erfolg. Die effektive und effi ziente Einbindung von Logistikdienst-leistern ist wiederum ein wesentlicher Erfolgsfaktor und Voraussetzung für leistungsfähige, effi ziente Supply Chains. Eine bedarfsgerechte Bereitstellung zuverlässiger Lager-, Umschlags- und Transportkapazitäten ist in die-sem Zusammenhang unverzichtbar. Somit nimmt die Be-

Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von LogistikdienstleistungenTony Van Osselaer

Abb. 1: Strategieelement Innovation: Wachstumstreiber Polycarbonat

1972 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

2.900

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

Weltverbrauch Polycarbonat [kt]

Polycarbonat für Blends

Polycarbonat ohne Blends

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212 Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen

schaffung von Logistikdienstleistungen einen besonderen Stellenwert für den unternehmerischen Erfolg ein. Am Beispiel des Bereiches Bayer MaterialScience, der Sparte für hochwertige Materialien innerhalb des Pharma- und Chemiekonzerns Bayer, werden daher wichtige Aspekte und damit verbundene Lösungsansätze und Perspektiven zu diesem Thema beschrieben.

Bayer MaterialScience als ein führender Anbieter hochwertiger Materialien

Im Zeichen des Leitbilds „Science For a Better Life“ setzt Bayer auf Innovation und Wachstum in den drei Arbeits-gebieten Gesundheit, Ernährung und hochwertige Mate-rialien. Diese Arbeitsgebiete operieren unter dem Dach einer strategischen Managementholding als eigenständi-ge Teilkonzerne. Unterstützt werden die Teilkonzerne von drei Servicegesellschaften bei Technologie, betriebswirt-schaftlichen Prozessen und Standortbetrieb (siehe Abb.2).

Bayer MaterialScience repräsentiert das Arbeitsgebiet hochwertige Materialien und ist ein führender Hersteller von innovativen Werkstoffen und Systemlösungen, die in zahlreichen Produkten des täglichen Lebens Anwendung fi nden. Hauptabnehmer sind die Automobil- und Bauin-dustrie, die Elektro- und Elektronikbranche, Hersteller von Sport- und Freizeitartikeln, Verpackungen und medi-zintechnischen Produkten. Das Produktportfolio basiert wesentlich auf Polyurethanen und Polycarbonaten und wird weltweit an über 40 Standorten hergestellt.

Die Versorgung dieser Standorte mit Rohstoffen und Verbringung der Fertigprodukte in die weltweiten Märkte ist eine gemeinsame Aufgabe von Beschaffung und Logis-tik mit strategischer Bedeutung.

Struktur der Beschaffung im Konzernverbund

Um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderun-gen der drei Arbeitsgebiete bei Beschaffung und Logistik gerecht zu werden und gleichzeitig vorhandene Synergien konsequent zu nutzen, wurde die Beschaffung konzern-weit dezentral in Form einer Procurement Community organisiert ist. Dabei verteilen sich die rund 1100 Mitar-beiter, die ein Beschaffungsvolumen von 15 Mrd. Euro im Jahr 2006 verantworten, auf sechs einzelne Bereiche, die jeweils einem Teilkonzern bzw. einer Servicegesellschaft zugeordnet sind. Die direkte Anbindung an jeweils eine Unternehmenseinheit sorgt für Nähe zum operativen Be-darfsträger und erlaubt den intensiven Dialog mit ihm. Der Beschaffungsorganisation liegt das Instrument des Community Management zugrunde und sie basiert auf dem Qualifi ed-Major-User-Prinzip (Hauptnutzerprinzip). Das Community Management erarbeitet, verabschiedet und implementiert gemeinsame Prinzipien, Richtlinien sowie harmonisierte und standardisierte Abläufe und stellt eine konzernweite Personalentwicklung sicher. Das Hauptnutzerprinzip besagt, dass der Teilkonzern (und dessen Einkaufsorganisation) die Verantwortung für ein synergistisches Beschaffungsgut übernimmt, in der

Abb. 2: KonzernstrukturDrei leistungsstarke Teilkonzerne

Holding

Teilkonzerne Servicegesellschaften

Konzernvorstand

Bayer AGCorporate Center

BayerHealth Care AG

BayerCropScience AG

BayerMaterialScience AG

Bayer Business Services GmbH

Bayer Technology Services GmbH

Bayer Industry Services GmbH & Co. OHG

Page 182: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

213Tony Van Osselaer

Regel derjenige Teilkonzern, der den größten Anteil am jeweiligen Beschaffungsvolumen in einem Beschaffungs-feld hat und damit den Hauptbedarfsträger darstellt.

Diese beiden Elemente sichern zeitgleich die Vorteile einer zentralen und dezentralen Organisationsform.

Anwendung des Community Managements und des Hauptnutzerprinzips auf die Beschaffung von Logistikdienstleistungen

Beispielsweise wurde mittels Community Management in dezentralen Strukturen konzernweit die Sicherung einer nachhaltigen Beschaffung durch ein systematisches Lie-ferantenmanagement etabliert. Diese Nachhaltigkeit um-fasst auch das Ziel, in der Beziehung mit den Lieferanten gesetzmäßiges und verantwortliches Handeln – Respon-sible Care – für beide Geschäftspartner zu einer ständigen Verpfl ichtung zu machen.

Mittels Lieferantenmanagement werden einheitliche Bewertung, Auswahl und Optimierung von Lieferantenbe-ziehungen sichergestellt. Neben der Einhaltung von tech-nischen Standards und wirtschaftlichen Kennzahlen sind soziale oder ökologische Parameter wesentliche Kriterien. Ein aktueller Schwerpunkt in diesem Zusammenhang liegt

bei Bayer derzeit auf einer Evaluierung von Lieferanten aus Nicht-OECD-Ländern mit dem Bayer Sustainability Survey. Die angewendeten Kriterien wurden in der Community gemeinsam erarbeitet und werden weltweit dezentral in den beschaffenden Einheiten standardisiert angewendet. Erfahrungswerte fl ießen zur ständigen Verbesserung des Prozesses über die Community zurück.

Zu den so ausgewählten Lieferanten gehören auch die Anbieter von Logistikdienstleistungen. Hieran lässt sich das Prinzip des Hauptnutzers aufzeigen. Da das Arbeits-gebiet Gesundheit wesentlicher – aber nicht alleiniger – (Gesundheit ist ein synergistisches Beschaffungsgut) Bedarfsträger von Luftfracht im Konzern ist, ist es auch Hauptnutzer und tritt demzufolge als Lead Buyer auf. Land- und Seetransporte werden hauptsächlich von Bayer MaterialScience genutzt und werden daher in der dorti-gen Einkaufsorganisation verantwortet.

Das Aufgabengebiet des Lead Buyers ist entsprechend vielfältig und umfasst alle Aktivitäten, die mit dem syn-ergistischen Beschaffungsgut und den entsprechenden Lieferanten zusammenhängen. Bei Bedarf beruft der Lead Buyer in solchen Fällen ein Sourcing Team ein, in dem die entsprechenden Experten der Bedarfsträger vertreten sind. Das Beschaffungssegment Logistikdienstleistungen

Abb. 3: Globales ProduktionsnetzwerkBayer MaterialScience – Ausgewählte Produktionsstandorte 2007

Brunsbüttel

Bitterfeld

UerdingenMA = MassachusettsWV = West VirginiaOH = OhioGA = GeorgiaTX = Texas

DormagenLeverkusen

Maasvlakate, NED

Cuddalore, IND

Sakai, JPNNiihama, JPN

Shanghai, CHNLin Yuan, TPE

Map Ta Phut, THAAnyer, INA

Antwerp, BELFros-sur-Mer, FRAEl Prat, ESPTarragona, ESP

Filago, ITA

Santa Clara, MEXBaytown, TXChannelview, TXColumbus, GANew Martinsville, WVNewmark, OHSouth Charleston, WVSouth Deerfi eld, MA

Belford Roxo, BRA

Leverkusen

Page 183: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

214 Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen

repräsentiert einen Wert von mehreren hundert Mio. Euro und verteilt sich zu etwa zwei Dritteln auf Straßen- und Intermodaltransporte, zu etwa einem Viertel auf See-fracht und Binnenschifffahrt und schließlich auf sonstige Transportmodi, zum Beispiel Luftfracht.

Bei der Entscheidung für einen bestimmten Lieferan-ten steht immer stärker die ganzheitliche Betrachtung der Supply Chain im Vordergrund, und in diesem Zusammen-hang die Frage der prozessseitigen Integrationstiefe der Logistikdienstleister, z. B. durch Integration der IT-Syste-me zwecks Sendungs- und Auftragsverfolgung oder aber der Übertragung von Kontroll- und Koordinationsfunktio-nen auf die Logistikdienstleister. Es gilt, die angesichts zunehmender Globalisierung wachsende Komplexität der Lieferketten zu bewältigen. Wesentliche Elemente sind End-to-End-Transparenz entlang der Lieferkette und Total Cost of Ownership bzw. Total Cost to Serve. Das beinhaltet neben den Produktions- und Logistikkosten konsequenterweise den wichtigen Hebel der Reduktion des Umlaufvermögens im eigenen Unternehmen. Das Umlaufvermögen zu optimieren erfordert neben einer in-tegrierten Produktions- und Absatzplanung insbesondere eine Optimierung der Logistikinfrastrukturen und Bereit-stellung von Transportkapazitäten, sprich einer State-of-the-art-Logistikdienstleistung. Dieses erfordert zum einen die Standardisierung von Leistungen und Abläufen – dem Schlüssel zu mehr Effi zienz –, zum anderen auch Differenzierung und Flexibilisierung, sprich kurzfristig und fl ächendeckend auf zuverlässige Logistikdienstleistungen zugreifen zu können. So ist es zum Beispiel wünschens-wert, Produkte in standardisierten Tankcontainern oder Tankwagen zu verladen. Unterschiedliche chemische und

physikalische Eigenschaften der Produkte erfordern aber unterschiedliche Spezifi kationen von Tankbehältern in Merkmalen wie z. B. Größe, Werkmaterialien, Betriebs-druck oder Ausstattungen (Anschlusskupplungen oder Heizvorrichtungen). Verladebetriebe wie auch Waren-empfänger können in diesem Zusammenhang oft sehr individuelle Anforderungen stellen. Derartige Anforde-rungen haben zur Folge, dass die Austauschbarkeit und universelle Einsetzbarkeit von Transportbehältern nur bedingt gegeben ist, was den Auslastungsgrad, sprich die Effi zienz reduziert und damit den Fixkostenanteil pro Transport erhöht. Bei der Etablierung eines effi zienten Logistiknetzwerkes steht neben Kostenaspekten zuneh-mend die Zuverlässigkeit von Transport bei gleichzeitig effi zientem Ressourceneinsatz im Vordergrund. In diesem Zusammenhang stellen Lkw und Fahrer die relativ wohl wichtigsten Logistikressourcen dar: Etwa die Hälfte von ca. 9,5 Mio. Tonnen in der Region Europe, Middle East, Africa transportierten Güter werden intermodal oder nur auf der Straße transportiert. Vor dem Hintergrund des in Europa deutlich zu erkennenden Fahrer- und Equipment-mangels, getrieben von einem konjunkturbedingten über-proportionalen Anstieg der Nachfrage nach Ladungsraum, ist der optimale Einsatz knapper Logistikressourcen ein ausgesprochen wichtiges Thema. Dieses wiederum erfor-dert ein noch höheres Maß an Integration zwischen Bayer MaterialScience und seinen Logistikdienstleistern, als es bereits heute der Fall ist.

Noch grundlegender in der Bedeutung ist nur noch das Thema Sicherheit: Der adäquate Umgang mit Risiken aus dem Transport und den transportierten Gütern an sich und die Abwehr von bewusst herbeigeführten Gefährdungen

Abb. 4: Synergistische Beschaffungsgüter „Lead Buyer“-Zuordnung nach dem Hauptnutzerprinzip

Synergiebereich

Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer MaterialScience ernennt Lead Buyer

Seefracht

Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer HealthCare ernennt Lead Buyer

PR/Werbung

Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer CropScience ernennt Lead Buyer

C1-C4 Amine

Leiter Procurement der Servicegesellschaft BayerBusiness Services ernennt Lead Buyer

Beratungs-leistungen

Leiter Procurement des Teilkonzerns Bayer MaterialScience ernennt Lead Buyer

Toluol

etc.

Nicht synergistischeBeschaffung

SynergistischeBeschaffung

Page 184: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

215Tony Van Osselaer

durch Dritte hat höchste Priorität. Dieser Gesamtkontext ist die Rationale bei der Forde-

rung nach möglichst effektiver Zusammenarbeit zwischen Einkäufer und Anbieter von Logistikdienstleistungen ent-lang aller betroffenen Prozesse mittels Durchgängigkeit, Transparenz und Automatisierung. Den multimodalen, unternehmensübergreifenden Logistik- und Supply-Chain-Lösungen gehört hier eindeutig die Zukunft. Die-ses Zukunftskonzept trifft bei der Umsetzung der Bayer MaterialScience-Wachstumsstrategie in Asien allerdings auf ganz andere Fragestellungen als in den etablierten Märkten.

Investitionen in Asien als neue Herausforde-rung an bekannte Prinzipien beim Einkauf von Logistikdienstleistungen

Der Standort Shanghai ist mit rund 1,8 Mrd. Euro bis 2012 das größte Investitionsprojekt von Bayer MaterialScience. Während die rund 1 Mio. Tonnen Rohstoffe vorwiegend per Tankschiff, aus Tanklagern und über Rohrleitungen zu den Betrieben gelangen, wird für die Produkte fast aus-schließlich der Straßentransport genutzt – jährlich über 63 000 Lkw-Transporte (siehe Abb. 6).

Diesem Bedarf steht in China ein immer noch stark entwicklungsbedürftiger Infrastruktur-Status gegenüber. Dies gilt gleichermaßen für Straßen- und Binnenwasser-wege wie für den Schienenverkehr. Die chinesische Re-gierung begegnet dieser Situation bereits seit Langem mit verstärkten Investitionen in Infrastrukturprojekte,

der Weg zu einer fl ächendeckend befriedigenden Situa-tion ist aber noch lang. Dies wird besonders deutlich im Vergleich zu den USA, einem Land ähnlicher Flächen-ausdehnung: China verfügt derzeit noch über ein 70 Pro-zent kürzeres Schienennetz und ein 90 Prozent kürzeres Fernstraßennetz, bei einer Bevölkerungszahl, die rund viereinhalb Mal so groß ist. Weiterhin ist der technische Zustand der Fahrzeugfl otten, seien es nun Lkw, Schienen-fahrzeuge oder Schiffe, noch stark entwicklungsfähig, verbessert sich aber schrittweise. Gerade bei den Lkw liegt die „Noncompliance“-Quote nach den von uns ein-geforderten Standards im internationalen Vergleich heute noch sehr hoch. Auch bei der Ausbildung der Fahrer, der Einhaltung zu Vorgaben bei der Beladung der Fahrzeu-ge und bei der Einhaltung der maximalen Lenk- und Ar-beitszeiten ist China weiter um Verbesserungen bemüht. Laut Angaben der United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacifi c sind 70 Prozent der Straßentransportunfälle verursacht durch Überladen und/oder Geschwindigkeitsüberschreitung. All dies trägt dazu bei, dass Logistik in China noch deutliches Potenzial zur Verbesserung von Effi zienz und Sicherheit gegenüber Eu-ropa oder den USA aufweist. Verstärkt wird dies durch behördliche Regulierungen, z. B. für Gefahrguttransporte auf der Schiene oder Autobahnen, dahingehend, dass der Gefahrguttransport teilweise gänzlich untersagt ist. Ana-loges setzt sich fort beim Marktzugang für ausländische Logistikanbieter: Auch wenn die Anzahl der Direktinves-titionen internationaler Transport- und Logistikunterneh-men seit Chinas Beitritt zur WTO stark zugenommen hat,

Abb. 5: Beschaffung von LogistikleistungenFrachtkosten bei Bayer und Bayer MaterialScience

Bayer-KonzernFrachtkosten nach TeilkonzernTotal ~ 600 Mio. € (2006)

Bayer MaterialScience Frachtkosten nach BeförderungsartTotal ~ 380 Mio. € (2006)

~ 64 %

BMS Straße/Intermodal

Ozean

Bahn

Binnenschiff

Luft/Kurier-Express-Paket

BHC

BCS

~ 13 %

~ 23 %~ 8 %

~ 10 %

~ 1 %

~ 17 %

Page 185: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

216 Ansätze und Perspektiven in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen

erfordert der uneingeschränkte Zugang insbesondere zum innerchinesischen Transportmarkt derzeit noch die Grün-dung eines Joint Ventures mit einem chinesischen Part-ner. Die Vergabe der dafür u. a. erforderlichen A-Lizenzen wird restriktiv gehandhabt, muss von Provinz zu Provinz neu beantragt werden und ist in der Regel verbunden mit der Gründung eines neuen Joint Ventures mit einem weiteren chinesischen Partner. Außerdem kann erst nach Jahresfrist eine weitere Lizenz in einer anderen Provinz beantragt werden.

Diese Beispiele zeigen bereits deutlich, dass die Um-setzung eines globalen Standards im Bereich der Be-schaffung von Logistikdienstleistungen in Asien, speziell China, nicht vergleichbar mit Europa ist, wo in der Regel die richtige Auswahl aus der ausreichend großen Anzahl qualifi zierter Partner im Vordergrund steht. Vielmehr gibt es einige verbesserungsfähige Umfeldfaktoren, die sich nur langfristig verändern – insbesondere auf dem Gebiet der Regulations- und Infrastrukturthemen.

Mitwirken an dieser langfristigen Entwicklung und opportunistischer Modalmix sind daher Teile von Maß-nahmen – z. B. großvolumige Transporte auf Schiene oder Wasser zu verlagern. Dazu wollen wir, entsprechend unse-rer globalen Beschaffungsstrategie, vorrangig mit großen, wirtschaftlich stabilen und serviceorientierten, vorzugs-weise chinesischen Partnern zusammenarbeiten. Keine

Kompromisse werden bei unseren Standards zu Umwelt, Gesundheit, Sicherheit und Qualität gemacht. Um dieses sicherzustellen, werden alle Logistikdienstleister von Bayer MaterialScience umfassend auditiert. Ein beson-deres Augenmerk wird auf die sicherheits- und umwelt-relevanten Aspekte gelegt, wie z. B. das Vorhandensein und die effektive Umsetzung von Fahrerauswahlverfahren und Schulungskonzepten. Bayer MaterialScience treibt gemeinsam mit anderen Unternehmen die Einführung des europäischen „Safety & Quality Assessment Sche-mes“ (SQAS) für Transport- und Logistikdienstleister in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Verband der Che-mischen Industrie (Cefi c) und der Association of Internati-onal Chemical Manufacturers (AICM) voran. Damit leistet Bayer MaterialScience einen wichtigen Beitrag, die Ent-wicklung der lokalen Transport- und Logistikindustrie im Hinblick auf sicherheits- und umweltrelevante Aspekte zu beschleunigen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ergibt sich für den Logistikdienstleis-tungseinkauf daher, dass fünf wesentliche globale The-men zugleich auch die wesentlichen künftigen Herausfor-derungen in China sein werden:

• Nutzung der Chancen einer globalisierten Logistik-dienstleistungsbeschaffung unter Beibehaltung unse-rer Standards

• Implementierung regionaler Beschaffungsstrategien in Bezug auf regionale Transport- und Logistikdienstleis-tungen bei Aufrechterhaltung globaler Synergien

• Nachhaltige Sicherung der Versorgung für und der Dis-tribution aus unseren Standorten

• Verstärktes Lieferantenmanagement mit dem Ziel, weltweit mit den besten Partnern zusammenzu-arbeiten

• Noch stärkere Integration unserer Logistikpartner in die Supply Chain zwecks Maximierung von Effi zienz und Zu-verlässigkeit für unsere Kunden.

Abb. 6: Bayer Integrated Site ShanghaiEine Herausforderung für unsere Logistikbeschaffung

Ab 2008: Jährlich über 63 000 beladene Lkw; Stoßstange an Stoßstange würde die entsprechende Lkw-Schlange von Shanghai nach Nanjing und zurück reichen.

Zahl der Lkw pro Tag

ca. 75ca. 110

ca. 210 ca. 210ca. 220

2006 2007 2008 2009 2010

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Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene

Norbert Bensel

Vorstand für Transport & Logistik der Deutschen Bahn AG

Page 187: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Dr. Norbert BenselJahrgang 1947Bensel ist seit 2005 Vorstandsmit-glied für Transport & Logistik der Deutschen Bahn AG. Er studierte Chemie und Ingenieurwissenschaf-ten in Berlin und promovierte 1977 zum Dr. rer. nat. Seine berufl iche Laufbahn begann im Schering-konzern und führte über leitende Funktionen bei R+V Versicherungen

und der Daimler-Benz Aerospace AG 1996 zur Ernennung zum Vorstandsmitglied der Daimler-Benz InterServices (debis) AG, zuständig für das Ressort Personal. 2002 wechselte Bensel in den Vorstand der Deutschen Bahn AG und verantwortete hier zunächst den Bereich Personal, bis er im März 2005 das Ressort Transport und Logistik übernahm. Mit einem weltweiten Netz-werk von 80 000 Mitarbeitern in 150 Ländern an 1500 Stand-orten erzielte das Ressort Transport und Logistik 2007 einen Umsatz von ca. 18 Mrd. Euro und erwirtschaftete damit nahezu 60 Prozent der Erlöse der Deutschen Bahn AG.

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Grundlagen multimodaler Transport- und Logistikketten

BegriffsbestimmungJede Transportaufgabe hat den Zweck, Personen oder Waren von einem Punkt zu einem anderen zu bewegen, ist also ein Transferprozess zwischen einer Quelle und einer Senke (vgl. Pfohl, H.-C. (2003), S. 5 ff.). Im einfachsten Fall erfolgt dieser Transferprozess als eingliedrige Kette auf direktem Wege. Demnach wird das Gut an der Quelle ver-laden und ohne weitere Umlade- oder Behandlungsschrittezur Senke transportiert. Bei mehrgliedrigen Ketten exis-tiert zwischen der Quelle und der Senke mindestens ein weiterer Punkt, an dem das Gut umgeschlagen wird. Die-se Punkte werden typischerweise als Konsolidierungs- bzw. Dekonsolidierungspunkte bezeichnet. Der gesamte Prozess von der Quelle zur Senke wird als Transportkette bezeichnet. Die Logistikkette basiert im Wesentlichen auf den Merkmalen der Transportkette, die jedoch um trans-portnahe oder wertschöpfende Tätigkeiten erweitert wird (vgl. Krieger, W. (2000), S. 321).

Wie vorstehend erläutert können Transportketten unterschiedlich aufgebaut sein. Eingliedrige Ketten nut-zen nur einen Verkehrsträger, wohingegen mehrgliedrige Ketten auch mehrere Transportmodi nutzen können. Ver-kehre, die zwei und mehr Verkehrsträger nutzen, werden als multimodale Verkehre bezeichnet. Hier ist neben dem Wechsel des Verkehrsträgers auch ein Wechsel des Trans-portbehälters möglich. Eine Sonderform des multimodalen Verkehrs stellt der intermodale Verkehr dar, wobei das Gut bei allen Modi im gleichen, standardisierten Transportbe-hältnis (z. B. Container, Wechselbrücke oder Sattelaufl ie-ger) verbleibt. Eine Unterform hiervon ist der kombinierte Verkehr – hier wird der Hauptlauf auf der Schiene abgewi-ckelt (vgl. Brandenburg, H. et al. (2006), S. 185).

Schnittstellen bei der Kombination von VerkehrsträgernBei der Kombination zweier Verkehrsträger kommt es im Ablauf einer Transportkette zwangsläufi g zu einem Bruch, der mit Verzögerungen verbunden ist. In vielen Fällen wer-den Verkehrsträger miteinander kombiniert, da ein durch-gängiger Transport von der Quelle zur Senke physisch nicht

möglich ist. Oftmals lassen sich aber auch durch eine Kom-bination von Verkehrsträgern und die dadurch mögliche Ausnutzung ihrer jeweils spezifi schen Stärken Effi zienzge-winne erzielen und die Anforderungen der Kunden besser erfüllen. Neben den Eigenschaften des Gutes spielen hier-bei die Faktoren Kosten, Zeit und Qualität und zunehmend auch die Umweltverträglichkeit die wichtigste Rolle.

Systemeigenschaften der VerkehrsträgerAlle Verkehrsträger haben sehr individuelle Systemeigen-schaften, die bei einer Einsatzentscheidung gegeneinan-der abgewogen werden müssen.

StraßeDie starke Position des Lkws im Modal Split ist nicht nur mit der insbesondere in Deutschland sehr gut ausgebau-ten Infrastruktur zu erklären, sondern muss auch seinen spezifi schen Eignungsvorteilen zugeschrieben werden. Da der Lkw netzungebunden operiert, ist der Einsatz sowohl im Nahbereich als auch im Regional- und Fernbereich mög-lich. Es ist keine Abstimmung mit Fahrplänen oder einem übergeordneten Netzbetreiber notwendig – bei der Straße handelt es sich um eine öffentliche Infrastruktureinrich-tung, die von jedem zu jeder Zeit genutzt werden kann.

Der Lkw ist ständig einsatzbereit, im Kurz- und Mit-telstreckenbereich sehr schnell und hat eine Kapazität von bis zu 26 t bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h. Der Lkw wird zur Erschließung der Fläche, also zum Transport von Waren auch in die entlegensten Regionen genutzt. Hierbei ist besonders zu bemerken, dass auch Haus-zu-Haus-Verkehre ohne zeitintensive Umladevor-gänge möglich sind. Der Lkw besitzt eine hohe Anpas-sungsfähigkeit an die zu befördernden Gütermengen und -arten. Es gibt keine besonderen Einschränkungen, was die Lademittel betrifft. Es können sowohl Massengüter in loser Schüttung oder in gasförmiger und fl üssiger Form als auch Container und palettierte Ware transportiert wer-den. Auch sperrige oder schwere Güter können auf der Straße befördert werden.

Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der SchieneNorbert Bensel

Page 189: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

222 Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene

SchieneBeim Schienenverkehr ist zunächst das Rad-Schiene-Sys-tem zu erläutern, also die sehr enge Beziehung zwischen Infrastruktur (dem Verkehrsnetz) und den Verkehrsmitteln, aus der zahlreiche Besonderheiten resultieren. Durch die Bindung der Bahn an die Infrastruktur ist hier ein Netzbe-treiber für die zentrale Steuerung erforderlich, der für eine planvolle Nutzung der begrenzten Teilabschnitte sorgt. Für durchgängige Transporte vom Versender zum Empfänger sind auf beiden Seiten Gleisanschlüsse notwendig.

In der Produktion wird zwischen Einzelwagen- und Ganzzugverkehren unterschieden. Anders als bei Ganz-zügen sind bei Einzelwagenverkehren Rangiervorgänge in Zugbildungsanlagen notwendig. Für schienengebundene Systeme ist eine Kostenstruktur mit hohen Fix- und nied-rigen variablen Kosten typisch. Gerade im Transport von Massengütern hat die Eisenbahn mit einer Nutzlast von bis zu 3000 t und Geschwindigkeiten von 80 bis zu 120 km/h pro Zug deutliche Systemvorteile, die insbesonde-re auf langen Relationen zum Tragen kommen. Auch auf der Schiene können alle gängigen Lademittel und fast alle Güter befördert werden. Darüber hinaus zeichnet sich die Schiene durch eine sehr gute Umweltbilanz aus.

LuftTransporte mit dem Flugzeug stehen für kurze Beförde-rungszeit auf langen Distanzen mit einem geringen Trans-portrisiko bei vergleichsweise hohen Kosten. Die für den kommerziellen Frachttransport eingesetzten Flugzeuge haben eine Reisegeschwindigkeit von 850 bis 1000 km/h und eine Nutzlast von max. 125 t. Aufgrund dieser Eigen-schaften werden hauptsächlich wertvolle und/oder zeit-kritische1 Güter mit Luftfracht transportiert.

Zu den Nachteilen zählen die geringen Beförderungs-kapazitäten, die begrenzten Möglichkeiten für den Trans-port sperriger Güter und die sehr geringe Netzdichte (vgl. Vahrenkamp, R. (2002), S. 2; Jaeger, G./Laudel, H. (2004), S. 29). Im Flugzeug werden die mit Abstand spezifi schsten Lademittel verwendet. Wegen der runden Form des Lade-raums der Flugzeuge sind die verwendeten Ladeeinheiten auf diese Gegebenheiten angepasst, sodass nur in einigen wenigen Fällen kubische Formen zu fi nden sind.

WasserHochseegewässerDas Hochseeschiff eignet sich für fast alle Gutarten und hat sehr große Laderäume. Die wohl wichtigste Gattung

ist das Containerschiff; darüber hinaus gibt es zahlreiche Spezialschiffe. Containerschiffe können bis zu 14 000 TEU bzw. 140 000 t Fracht laden und haben eine Reise-geschwindigkeit von bis zu 45 km/h. Wegen der enormen Größe und Länge können Hochseeschiffe nur an beson-ders geeigneten Hafenanlagen festmachen, zur Be- und Endladung werden passende Terminalanlagen benötigt.

BinnengewässerDas kommerziell nutzbare Netz der Binnengewässer ist auf große Flüsse und Kanäle beschränkt, und der Be-trieb ist auf nicht staugeregelten Wasserstraßen vom Wasserstand und generell weiteren Witterungsfaktoren abhängig. Mit einer Kapazität von bis zu 3000 t und Ge-schwindigkeiten von max. 20 km/h können Binnenschiffe nur kleine Teile des Landes erreichen. Für die Be- und Ent-ladevorgänge sind besondere Anlegestellen mit entspre-chenden Umschlageinrichtungen notwendig. Die Beförde-rung von Fracht auf Binnengewässern ist insbesondere für Sendungen mit hohem Gewicht und/oder mit sperrigen Ausmaßen passend, da Binnenschiffe über große Lade-räume verfügen.

Marktumfeld und Erfolgsfaktoren für multimodale Transport- und LogistikkettenMit fortschreitender internationaler Arbeitsteilung wird das Wachstum im Güterverkehr in den nächsten Jahren anhalten. Bis zum Jahr 2012 ist mit hohen einstelligen Wachstumsraten in den Bereichen Luft- und Seefracht, aber auch Landverkehr und auf der Schiene sowie be-sonders im Bereich Kontraktlogistik zu rechnen. Die fortschreitende Deregulierung der europäischen Güter-verkehrsmärkte, insbesondere im Schienengüterverkehrs-markt, gibt dabei zusätzliche Impulse. Gleichzeitig führt die verstärkte Sensibilisierung der Nachfragerseite für Klimawandel zu einer Erhöhung der Nachfrage nach um-weltfreundlichen Transportlösungen.

Zur Bewältigung des Wachstums und zur Berücksich-tigung der steigenden Anforderungen der Logistikkunden, zum Beispiel mit Blick auf die Umweltfreundlichkeit von Transport- und Logistiklösungen, ist die intelligente Ver-knüpfung der verschiedenen Verkehrsträger zu multimo-dalen Transport- und Logistikketten von zunehmender Be-deutung. Dem Verkehrsträger Schiene kommt dabei eine wachsende Bedeutung zu.

Bei der Ausgestaltung von multimodalen Transport- und Logistikketten ist – basierend auf den Kundenanforderun-gen – eine Reihe von Kriterien zu berücksichtigen. So ist zum Beispiel die Möglichkeit des effi zienten Umschlags 1 z. B. Lebensmittel, lebende Tiere, Ersatzteile, Modeartikel oder Zeitungen

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223Norbert Bensel

unter Einsatz von standardisierten, kompatiblen Behältern und Ladehilfsmitteln von hoher Bedeutung. Ebenfalls er-folgsentscheidend für multimodale Transport- und Logis-tikketten ist das Erreichen der für den Transport mit einem bestimmten Verkehrsträger notwendigen kritischen Mas-se oder Sendungsgröße. Die Optimierung der Transport-kette erfolgt im Spannungsfeld zwischen Auslastung des Transportmittels, der Bündelungsfähigkeit der einzelnen Sendungen und der Abfuhrfrequenz. Ein weiteres wich-tiges Kriterium ist darüber hinaus auch die Fähigkeit zur durchgängigen Steuerung über alle Verkehrsträger und Schnittstellen hinweg aus einer Hand.

Effi ziente Vernetzung der Transportsysteme in der Praxis durch DB Schenker unter besonderer Berücksichtigung der Schiene

Im Folgenden soll anhand von vier ausgewählten Praxis-beispielen von DB Schenker ein Einblick in verschiedene mögliche Formen der Vernetzung von Transportsystemen gegeben werden. Alle Beispiele zeigen, wie durch die Ver-knüpfung den speziellen Markt- und Kundenanforderun-gen Rechnung getragen wird. Die Schiene fi ndet dabei in drei Beispielen besondere Berücksichtigung.

Kurzvorstellung DB SchenkerDB Schenker, das Transport- und Logistikressort der Deut-schen Bahn, bietet seinen Kunden vom Massengut bis zum Stückgut weltweite Lösungen über alle Verkehrsträger entlang der gesamten Logistikkette an. An 1500 Stand-orten in 150 Ländern sorgen die 80 000 DB Schenker-Mit-arbeiter für den reibungslosen Ablauf vor Ort. Mit einem Umsatz von ca. 18 Mrd. Euro gehört DB Schenker zu den führenden Logistikanbietern weltweit. Dabei verknüpft DB Schenker seine führenden Positionen im europäischen Schienengüterverkehr und im europäischen Landverkehr mit seinen führenden Positionen im weltweiten Luft- und Seefrachtgeschäft sowie Kontraktlogistik und Supply Chain Management. Wie kein anderer Anbieter ist DB Schenker in der Lage, durch integrierte Vernetzung der Verkehrsträger effi ziente und nachhaltige multimodale Transport- und Logistikketten anzubieten.

Railports als Verknüpfungspunkt Schiene – StraßeIm konventionellen Massengüterbereich kann DB Schen-ker mit seinen Railports multimodale Transport- und Logis tikketten anbieten: Als in der Regel bimodale Logis-tikzentren ermöglichen Railports den direkten Umschlag der Güter zwischen Schiene und Straße, aber auch deren

Zwischenlagerung sowie andere logistische Zusatzleis-tungen. Grundsätzlich können nahezu beliebige Gutarten, vor allem aber Massengüter unter Nutzung von Railports transportiert werden.

Ein typischer Distributions-Railportverkehr beginnt im Gleisanschluss eines Großverladers mit der Direktverla-dung aus der Produktion unmittelbar in Bahnwaggons – im Idealfall unter Umgehung des sonst üblichen Versand-lagers. Nach der Abholung der zum Versand bereitge-stellten Waggons oder Waggongruppen werden diese in vorbestimmten Rangierbahnhöfen für den anschließenden Hauptlauf auf einen Ziel-Railport zu Ganzzügen gebündelt. Die Empfänger, häufi g kleine oder mittlere Unternehmen „in der Fläche“ ohne eigenen Gleisanschluss, werden ent-weder beliefert, nachdem die Ware im Railport vom Bahn-waggon auf einen Nahverkehrs-Lkw direkt umgeschlagen worden ist. Oder die Ware wird zunächst zwischengela-gert, um später „just-in-time“ zugestellt zu werden. Im Fall der Just-in-time-Zustellung, die von den meisten Kun-den bevorzugt wird, fungiert der Railport zusätzlich als Regionallager, welches ein eigenes Beschaffungslager des Empfängers zumindest in Teilen ersetzen kann.

Die Leistungsfähigkeit und das Serviceniveau von Railportverkehren resultieren also aus der Bündelung von Mengen für den Hauptlauf auf der Schiene bei reduzier-tem Handling-, Transport- und Administrationsaufwand, der Entkopplung des Schienenhauptlaufs vom Nachlauf auf der Straße durch den Railport in seiner Pufferfunktion als Regionallager sowie dem möglichen Wegfall von Ver-sand- und Beschaffungslagerkapazitäten, verbunden mit der Möglichkeit, diese alternativ zu nutzen (Abbildung 1). Dabei kann die Schiene im Streckentransport, vor allem bei großen Entfernungen im grenzüberschreitenden Gü-terverkehr und hohem Mengenaufkommen, ihre System- und Effi zienzvorteile ausspielen, während die Flexibilität des Lkws bei der Bedienung der Kunden in der Fläche voll zum Tragen kommt. Das macht Railport-Verkehre attraktiv, vor allem auch für diejenigen Verlader, die bisher mangels eines eigenen Gleisanschlusses ausschließlich auf den Lkw setzen mussten.

Derzeit gibt es zwölf Railports in Deutschland und neun Railports im europäischen Ausland, davon alleine vier Railports in Italien. Mit Ausnahme von Transitver-kehren ist das deutsche Einzelwagennetz Ausgangs- und Endpunkt und damit Basis aller Railport-Verkehre. Die Be-sonderheit der Railports im Ausland ist jedoch, dass diese in der Regel ab einem grenznahen Bahnhof in Deutschland im Ganzzug, dem sogenannten Railport-Shuttle unter der Regie von DB Schenker, direkt angefahren werden. Dies

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224 Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene

kann je nach Land eine Einbeziehung verbundener Unter-nehmen von DB Schenker, der jeweiligen Staatsbahn oder privater Eisenbahnverkehrsunternehmen bedeuten. In je-dem Fall werden durch die Railport-Shuttles im Vergleich zum konventionellen europäischen Einzelwagenverkehr sehr kurze Wagenumlaufzeiten erreicht. Sendungen sind hierdurch schneller beim Empfänger und die Waggons ste-hen schneller wieder für neue Transporte zur Verfügung.

Aufgrund der hohen Nachfrage und der sehr positiven Kundenresonanz zu den bereits bestehenden Railports wird DB Schenker sein Railport-Angebot in Europa ge-meinsam mit ausgewählten Kooperationspartnern weiter ausbauen.

Seehafenhinterlandverkehr/Drehscheibe DuisburgDie bestehenden Prognosen gehen von deutlichen Men-genzuwächsen im Seehafenhinterlandverkehr aus. Der-zeit liegt der Containerumschlag in den Westhäfen bei 18 Mio. Ladeeinheiten p. a., und bis 2015 ist ein Wachs-tum von 9 Prozent p. a. auf dann fast 40 Mio. Ladeein-heiten zu erwarten. Aktuell ist der Anteil der Schiene am Modal Split aus den Westhäfen mit nur 10 Prozent sehr niedrig (Straßengüterverkehr: 60 Prozent; Binnenschiff: 30 Prozent). Verglichen mit dem Modal Split Schiene in Hamburg von 32 Prozent bestehen hier für die Schiene er-hebliche Chancen.

Die Häfen nehmen Kapazitätserweiterungen vor, um die steigenden Mengen abfertigen zu können. Beispielsweise erweitert der Hafen Rotterdam seine Kapazitäten bis 2015 um 20 Prozent, der Hafen Antwerpen wird seine Kapazi-täten um 16 Prozent erweitern. Neben den Kapazitäts-erweiterungen in den Häfen bildet eine funktionierende Hinterlandanbindung die Voraussetzung für das seeseitige Wachstum. Prognosen gehen davon aus, dass die Schiene ihren Anteil an den Hinterlandverkehren der Westhäfen

ausbauen wird. Dabei gibt es bereits Maßnahmen, um den Anteil der Schiene am Modal Split zu erhöhen. Auf niederländischer Seite wurde zur Verbesserung der Bahn-anbindung des Hafens Rotterdam die Betuwe-Linie gebaut. Doch trotz des hohen Containeraufkommens in Rotterdam von 9,8 Mio. TEU p.a. gibt es nur für wenige Empfangs-regionen hinreichende Mengen für Ganzzugsysteme, die auch die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen KV erfüllen (z. B. lange Transportläufe, ca. ab 450 km).

Um einen wirtschaftlichen Transport der Container in Ganzzugsystemen zu ermöglichen, strebt DB Schenker an, Duisburg gemeinsam mit der Hafengesellschaft duisport zum zentralen Hinterland-Hub für die Westhafenverkehre auszubauen und über diese Drehscheibe den Anschluss an das KV-Netz sicherzustellen. Die notwendigen Investi-tionen befi nden sich zum Teil bereits in der Realisierung.

Mit diesem Drehscheibenkonzept können die anfallen-den Containervolumina rascher aus den Seehäfen abgezo-gen werden, da es keiner ganzzugfähigen relationsreinen Mengen bedarf. In Duisburg werden die Container dann für den Weitertransport via Zug oder Binnenschiff zielrein gebündelt. Mit der Drehscheibe können kurze Schienen-vorläufe durch Umladen der Ladeeinheiten auf andere Züge mit längeren Schienenhauptläufen kombiniert wer-den. Außerdem wird eine höhere Bedienungsdichte für die Sendungen bzw. Relationen erreicht, für die keine ausreichenden Mengen für regelmäßige Direktzüge vor-handen sind. Die Drehscheibe verbessert damit auch die Anbindung an die kleineren Häfen und hafennahen Auf-kommensregionen.

Das Konzept sieht vor, die maritimen Verkehre mit den kontinentalen Verkehren zu bündeln, die in Duisburg pri-mär über das PKV-Terminal umgeschlagen werden. Durch die Bündelung werden die wirtschaftlichen Voraussetzun-gen für einen europaweiten Schienentransport erfüllt.

Abb. 1: Railports verknüpfen Straße und Schiene intelligent

Hauptlauf Nachlauf

Transport auf der Schiene Umschlag und Straßentransport

Optional: Pendelzug Optional: Lagern/Puffern, Services

Direktverladung Bündelung Railport Bedarfsgerechte ZustellungVersender Empfänger

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225Norbert Bensel

Aufbau eines Terminalnetzwerks für kombinierten Verkehr in China Der Transportmarkt in China wächst mit hohem Tem-po. Die von China ausgehenden Handelsströme werden hauptsächlich in Containern über die Seehäfen in die Welt verschifft. Die Verbindung der Produktionsstätten mit den Häfen stellt eine besondere Herausforderung dar, da in China noch keine leistungsfähigen Produktionssysteme im Hinterlandverkehr existieren. Der Transport der Container erfolgt hauptsächlich mit dem Lkw, in geringem Umfang auch über die Binnenwasserstraßen im Gebiet des Pearl River Delta und des Jangtse.

Bei schienenbasierten Hinterlandverkehren sind die Produktionssysteme derzeit nicht aufeinander abge-stimmt, sodass Verkehre häufi g zum An- und Abkuppeln von Einzelwagen und Wagengruppen angehalten und teil-weise neu rangiert werden mit der Konsequenz einer ho-hen Verlängerung der Transportzeit. Der Anteil von Con-tainertransporten am nationalen Transportvolumen liegt mit 0,4 Prozent deutlich unter dem europäischen Markt (1,3 Prozent). Wachstumshemmende Faktoren sind hier neben fehlenden Containern eine zu lange und zum Teil unzuverlässige Transportdauer, unattraktive Preise, keine festen Fahrpläne, die fehlenden Möglichkeiten für tra-cking und tracing sowie elektronischen Datenaustausch. Aktuell wird das Angebot damit insgesamt den Bedürfnis-sen der Versender nur unzureichend gerecht.

Zur Optimierung der Verkehrssysteme wurde vom chinesischen Eisenbahnministerium ein Joint Venture (JV) namens „China United International Rail Containers Co., Ltd.“ zwischen einem Tochterunternehmen des Ei-senbahnministeriums und DB Schenker sowie weiteren Unternehmen als Partner gegründet, das im Kontext des Fünfjahresplans 2006 bis 2011 der chinesischen Regierung die Entwicklung und den Betrieb eines Terminalnetzwerks für den kombinierten Verkehr zum Ziel hat. Hierfür sind Investitionen in die Infrastruktur mit insgesamt 18 Stand-orten geplant, von denen heute (Anfang 2008) bereits zwei Terminals in Shanghai und Kunming in Betrieb sind und weitere sieben Standorte bis 2011 betriebsbereit sein werden. Der Aufbau dieser Terminals soll das bestehen-de schienenbasierte Containervolumen von 2 Mio. TEU innerhalb des Fünfjahresplans bis 2011 auf 10 Mio. TEU steigern. Das JV wird im Terminal Leistungen wie Um-schlag und Lagerung sowie Services erbringen, als Opera-teur ein Netzwerk von Ganzzügen zwischen den eigenen und den Terminals Dritter betreiben sowie den Vor- und Nachlauf organisieren und logistische Zusatzleistungen anbieten. Ergänzend wird ein IT-System etabliert, das die

den Transport begleitenden Informationen verarbeitet und so einen optimalen Informationsfl uss für alle Beteiligten sicherstellen wird.

Nutzung verschiedener Verkehrsträger zur Lager- und Produktionszyklenoptimierung im multimodalen Logistik-Hub DubaiIn Branchen mit kurzen Produktlebenszyklen ist der schnelle und zuverlässige Transport vom Produktionsort zum Kunden von besonderer Bedeutung, da hier nur ein begrenztes Fenster zum Verkauf der Waren zur Verfügung steht. Aufgrund der begrenzten Planbarkeit der Abver-kaufszahlen müssen neben den Produktions- auch die Transportprozesse in der Lage sein, fl exibel auf die jewei-ligen Situationen zu reagieren, um die Verfügbarkeit der Waren gewährleisten zu können.

Insbesondere in der Textilindustrie, aber auch bei ver-derblichen Waren hat sich für Transporte aus Asien und dem Mittleren Osten eine Transportkette mit einer Kom-bination aus See- und Luftfracht etabliert. Die Nutzung verschiedener Verkehrsträger dient dabei zur Lager- und Produktionszyklenoptimierung. Im Textilbereich werden die Läden in monatlichem Turnus – teilweise auch häu-fi ger – mit neuen Kollektionen beliefert. Der Versand der fertigen Waren erfolgt aus strategischem Kalkül mit See- und Luftfracht unter dem Gesichtspunkt der Kollek-tionsrotationen. Die nächsten zwei bis drei Kollektionen werden nahezu zum gleichen Zeitpunkt vom Produktions-standort mit Seefracht nach Dubai versendet. Die Trans-portkette wird bewusst mit einem Bruch organisiert, um so auf die jeweilige Verkaufssituation fl exibel reagieren und die Transportzeit bewusst als „bewegtes Lager“ nut-zen zu können. Je nach Bestand der Kollektionen in den Läden werden dann die Waren in Dubai weiterversendet. Bei geringen Beständen werden die Folgekollektionen mit Luftfracht transportiert, bei ausreichenden Beständen wird der Transport mit dem Containerschiff fortgesetzt. Analog kann im Bereich der verderblichen Waren bspw. anhand verschiedener Reifegrade der versendeten Früchte disponiert werden.

Im Bedarfsfall sind die Fahrpläne der Containerlinien und Frachtmaschinen mit den Umschlagzeiten in Dubai abgestimmt, sodass eine nahezu nahtlose Verbindung gewährleistet werden kann. Aufgrund der eigenen Flight Operations von DB Schenker ex Dubai können den Kunden ausreichende Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Nach Ankunft in Europa werden die Luftfrachtsendungen im Schenker-Landverkehrsnetz an den Bestimmungsort gebracht. Durch die intelligente Verknüpfung der bei-

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226 Multimodale Transport- und Logistikketten unter besonderer Berücksichtigung der Schiene

den Transportmodi im Hauptlauf kann im Bedarfsfall die Laufzeit gegenüber reiner Seefracht um bis zu 50 Prozent verringert werden, bei im Vergleich zur reinen Luftfracht deutlich geringeren Kosten. Darüber hinaus organisiert DB Schenker den gesamten Transport aus einer Hand und kontrolliert damit vom Versand- bis zum Bestimmungsort die gesamte Supply Chain.

Ausblick

Die Logistikbranche steht vor einer Reihe von Herausforde-rungen. Das hohe Wachstum der Transportmärkte infolge der weiter zunehmenden Globalisierung hält an. Gleichzei-tig steigen die Kundenanforderungen zum Beispiel in Bezug auf Schnelligkeit, Flexibilität und Service, aber auch bezüg-lich Kosteneffi zienz und Umweltverträglichkeit.

Dies berücksichtigend, wird die intelligente Kombina-tion verschiedener Verkehrsträger und dadurch optimale

Ausnutzung ihrer spezifi schen Einsatzstärken künftig wei-ter an Bedeutung gewinnen. Dabei macht es insbesonde-re die verstärkte Sensibilisierung der Nachfragerseite für Klimawandel für Logistikanbieter notwendig, die Poten-ziale der Verkehrsträgerverknüpfung zur Steigerung der Energieeffi zienz gezielt zu nutzen. Der verstärkten Einbin-dung des umweltfreundlichen Verkehrsträgers Schiene in integrierte multimodale Transport- und Logistikketten wird damit in Zukunft eine erhöhte Bedeutung zukommen.

Literaturverzeichnis

Brandenburg, H. et al. (2006) Güterverkehr – Spedition – Logistik, 37. Aufl .Krieger, W. (Hrsg.) (2000) Gabler Logistik Lexikon, 2. Aufl ., WiesbadenPfohl, H.-C. (2003) Logistiksysteme, 7. Aufl ., Berlin u. a.Jaeger, G./Laudel, H. (2004) Transportmanagement. Bd. 1. 5. Aufl ., HamburgVahrenkamp, R. (2002) Die Rolle der Luftfracht in der internationalen Logistik, Kassel

Page 194: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte

Michael Kubenz

Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV)

Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Kube & Kubenz Internationale Speditions- und

Logistikgesellschaft mbH & Co. KG

Page 195: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Michael KubenzJahrgang 1957Kubenz ist seit 2006 Präsident des Deutschen Speditions- und Logistik-verbandes (DSLV). Kubenz studierte BWL in Hamburg. Er brach das Stu-dium ab, um nach dem Tod seiner Eltern den Familienbetrieb Kube & Kubenz Internationale Speditions- und Logistikgesellschaft mbH & Co. KG zu führen, der sich auf den Trans-

port und die Logistik spezieller Gefahrgüter und sonstiger Pro-dukte in Tankzügen und Containern spezialisiert hat. Von 1995 bis 1998 war er Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union, Brüssel, als Mitglied der Gruppe der Arbeitgeber. Er ist seit 1983 Mitglied im Aufsichtsrat der Verei-nigung Deutscher Kraftwagenspediteure (VKS), dessen Vorsitz er 1995 übernahm. Er ist in verschiedenen Verwaltungs- und Beiräten tätig, so unter anderem bei der BLG Logistics Group, Kombiverkehr Deutsche Gesellschaft für kombinierten Güterver-kehr und der DEKRA.

Page 196: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Einführung

Für die Defi nition von Logistik fi ndet in der Praxis häufi g die Seven-Rights-Defi nition nach Plowman (Grosvenor E. Plowman (1964)) Anwendung:„Logistik heißt, die Verfügbarkeit des richtigen Gutes, in der richtigen Menge, im richtigen Zustand, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, für den richtigen Kunden, zu den richtigen Kosten zu sichern.“

Schon diese Defi nition zeigt, dass eine Logistikdienst-leistung auch immer etwas mit Ortsveränderung zu tun hat. Der Transportlogistik kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die Transportlogistik im eigentlichen Sinne beschäftigt sich mit der physikalischen Verbringung von Gütern (fest, fl üssig, gasförmig) zwischen verschiedenen Orten innerhalb von Logistiknetzwerken (Transportnetz-struktur).

Der Transport wird dabei durch einen Frachtführer oder durch einen Spediteur im Selbsteintritt durchgeführt. Die Transportorganisation übernimmt der Spediteur als Logis-tikdienstleister, der in der Regel zusätzliche Leistungen rund um die Transportlogistik anbietet.In diesem Beitrag wird versucht, die besondere Bedeu-

tung des Straßengüterverkehrs für die Transportlogistik darzustellen, auf Probleme des Straßengüterverkehrs einzugehen, eine Prognose für die Zukunft abzugeben und besonders innovative Konzepte vorzustellen.

Die Bedeutung des Straßengüterverkehrs

DeutschlandVor allem die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und das Bundes-amt für Güterverkehr (BAG) führen amtliche funktionale Verkehrsstatistiken durch. Amtliche Verkehrsstatistiken orientieren sich relativ streng an der Tätigkeit „Trans-port“ (funktionale Berichtskreisabgrenzung) und den da-für erforderlichen unmittelbaren Voraussetzungen. Sie erfassen dabei alle wichtigen Angaben, insbesondere zu Verkehrsleistungen (beförderte Güter), zu den Beför-derungsunternehmen, zu den Verkehrsmittelbeständen, zur Verkehrsinfrastruktur sowie zum Unfallgeschehen. In amtlichen Verkehrsstatistiken werden dabei konsequen-terweise diejenigen deutschen Unternehmen einbezogen,

Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative KonzepteMichael Kubenz

Tab. 1: Verkehrsleistungsstatistik Beförderungsleistung 2005 bis 2007

Verkehrsträger Verkehrsleistung in Mrd. tkm Jahr 2005

Jahr 2006 Veränderungen in % Jahr 2007 Veränderungen in %

Rohrfernleitungen 16,7 15,8 - 5,1% 16,1 1,6%

Eisenbahnen 95,4 105,8 10,8% 116,9 10,5%

Binnenschifffahrt 64,1 64,0 - 0,2% 65,7 2,6%

Straßengüterverkehr 404,5 442,7 9,4% 456,6 3,1%

Deutsche Unternehmen 271,8 288,9 6,3% 302,8 4,8%

Gewerblicher Verkehr 212,6 226,2 6,4% 242,3 7,1%

Werkverkehr 59,2 62,7 5,9% 60,6 - 3,4%

Verkehr im Nahbereich 25,6 27,3 6,6% 29,9 9,7%

Verkehr im Regionalbereich 49,9 52,7 5,7% 57,3 8,7%

Verkehr im Fernbereich 196,3 208,9 6,4% 216,0 3,4%

Ausländische Lkw 132,7 153,8 15,9% 153,8 5,5%

Alle Landverkehrsträger 580,7 628,3 8,2% 655,2 4,3%

Page 197: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

232 Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte

die eine bestimmte Transporttätigkeit ausüben, unabhän-gig davon, ob diese Transporttätigkeit die Haupttätigkeit, eine Nebentätigkeit oder eine Hilfstätigkeit (z. B. Werk-verkehr von Unternehmen des Handels) der Unternehmen darstellt. Die Verkehrsleistungsstatistiken weisen die Be-förderungsmenge bzw. das Beförderungsaufkommen im Güterverkehr (Tonnen) sowie die Beförderungsleistungen (Tonnen/Kilometer) nach und werden bei den Betrieben stichprobenhaft direkt per Fragebogen erhoben. Bei den Ergebnissen ist aber zu beachten, dass in unbekannter Höhe Mehrfachzählungen durch Umsteigen oder Umladen enthalten sind und dass das Beförderungsaufkommen ausländischer Unternehmen des Straßengüterverkehrs im Transit durch Deutschland und im Kabotageverkehr nur durch das Statistische Amt der Europäischen Gemein-schaften, kurz EUROSTAT, erhoben werden kann. In die Tabellen sind daher die Daten des Statistischen Jahrbuchs 2007 für die Bundesrepublik Deutschland (Statistisches Bundesamt, September 2007) und der BAG-Marktbe-obachtung Bericht Herbst 2007 (Bundesamt für Güter-verkehr, 16.11.2007) sowie der BAG-Marktbeobachtung Güterverkehr, Jahresbericht 2006 (Bundesamt für Güter-verkehr, 31.05.2007) eingefl ossen, sowie für den Anteil ausländischer Unternehmen die gleitende Mittelfrist-prognose für den Güter- und Personenverkehr, Mittel-fristprognose Winter 2006/2007 im Auftrag des Bun-desministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung FE-Nummer 96.0809/2004/ (Seltz et al., Januar 2007) angenommen worden. Die Zahlen 2007 basieren auf Hochrechnungen der Halbjahreszahlen und Befragung von Marktteilnehmern. Prognosezahlen werden hell hin-terlegt dargestellt.

Deutlich ist festzustellen, dass der Straßengüterverkehr die dominante Rolle unter den Verkehrsträgern darstellt.

EuropaEine ähnliche Dominanz hat auch der Straßengüterver-kehr in Europa. In Europa muss aber noch der Anteil des Luftverkehrs und des maritimen Verkehrs berücksichtigt werden. Allerdings treten hier statistische Schwierigkei-ten auf, da der Luftverkehr für Güter in Europa zum Teil auf der Straße abgewickelt wird (Luftfrachtersatzverkehr) und bei den Mengen, die über die Häfen ein- und ausge-hen, nicht zwischen intra-europäischen Mengen (Binnen-markt) und Drittlandsverkehr unterschieden wird. Daher liegen zurzeit nur Zahlen bis 2005 vor.

Prognosen für die Zukunft des Straßengüter-verkehrs

Die Verkehrsprognose des Bundesverkehrswegeplans 2003 (Projektgruppe Bundesverkehrswegeplanung, Be-schluss Bundeskabinett vom 2. Juli 2003) geht für den Zeitraum von 1997 bis 2015 von massiven Steigerungen der Verkehrsleistungen im Güterverkehr um 64 Prozent und im Personenverkehr um 20 Prozent aus.

Auch für den Zeithorizont bis 2050 zeichnet sich keine grundlegend andere Entwicklung ab: Die Güterverkehrs-leistung insgesamt wird sich bis dahin ab heute von ca. 650 Mrd. Tonnenkilometer (tkm) auf dann über 1200 Mrd. tkm nahezu verdoppeln. Der Anteil der Güterverkehrsleistung wird auf der Straße gegenüber heute um zwei Prozent-punkte auf 72 Prozent zunehmen. Die Straße wird also auch in der langfristigen Perspektive die Hauptlast des Güterverkehrs tragen.

Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur für Deutsch-land in einem größer werdenden Europa ist angesichts der dynamischen Entwicklung der Wirtschafts- und Handels-beziehungen innerhalb der EU unverzichtbar. Ein wichtiger

Abb. 1: Modal Split-Anteile der Landverkehrsträger nach der Verkehrsleistung (Straße: nur Verkehr > 50 km)

Quelle: Selz et al. (Januar 2007)

Straße (>50km) Eisenbahn Binnenschiff Rohrleitung

2005 2006 2007 2010

68,3% 68,8% 69,0% 69,7%

17,2%11,5%

3,0%

17,9%10,7%

2,7%

17,9% 10,5%

2,6%

17,9%9,9%

2,5%

Page 198: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

233Michael Kubenz

Gesichtspunkt ist dabei der Ausbau der europäischen Verkehrswege zu einem grenzüberschreitenden Netz-werk. Mit den von den Staaten der Europäischen Union beschlossenen Leitlinien für transeuropäische Verkehrs-netze (TEN-V) (Entscheidung Nr. 1692/96/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996) wurde ein Orientierungsrahmen für den Auf- und Ausbau der in-ternational bedeutsamen Verkehrsinfrastruktur in der EU bis zum Jahr 2010 geschaffen.

Das transeuropäische Straßennetz TERN (Trans-Euro-pean Road Network) als Teil des gesamten transeuropäi-schen Verkehrsnetzes soll:

• dem internationalen Fernverkehr dienen,• die Umgehung von Ballungsräumen ermöglichen,• Verbindungen zu den Netzen anderer Verkehrsträger

herstellen und• die Anbindung und die Integration der Randgebiete der

Union verbessern.

Die Europäische Gemeinschaft kann die Mitgliedstaaten beim Ausbau der Transeuropäischen Verkehrsnetze un-terstützen, dies tut sie durch die Trans-European Trans-port Network Executive Agency (TEN-TEA). Sie baut aber selbst keine Infrastruktur. Voraussetzung und maxi-male Höhe eines Zuschusses sind in der EG-Verordnung Nr. 807/2004 (Verordnung (EG) Nr. 807/2004 des Euro-päischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur

Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2236/95 des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszu-schüssen für transeuropäische Netze) geregelt.

Die Probleme im Straßengüterverkehr

Das Problem InfrastrukturLeider fi ndet dieses Verkehrswachstum und die Schaffung eines transeuropäischen Straßennetzes kein adäquates Abbild in der Entscheidung der Volksvertreter in den Par-lamenten.

Wie aus den Zahlen des Finanzplanes des Bundes 2007 bis 2011 entnommen werden kann, ist sogar eine Reduzie-rung der Finanzmittel für die Bundesfernstraßen vorgesehen. Als Lösung des Problems schlägt die Bundesregierung vor: „Das heutige Verkehrswachstum kann nur mit dem Einsatz neuer, zukunftsweisender Technologien effi zient und umweltgerecht bewältigt werden. Vor diesem Hinter-grund kommt verkehrsbezogenen Kommunikations-, Leit- und Informationssystemen (Telematik im Verkehr) ein stei-gender Stellenwert in der Verkehrspolitik zu.“ (Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011, S. 30)

Verkehrsleitsysteme sollen also davor bewahren, im Dauerstau zu enden.Auf europäischer Ebene sieht es nicht besser aus:

Die Mitglieder der Gemeinschaft müssten für den Zeit-raum 2007 bis 2013 über 300 Mrd. Euro aufbringen. Dies werden die Staaten nicht leisten können, daher haben

Abb. 2: Modal Split EU 25

Anmerkungen: Luft und See: ausschließlich Inlandstransport und Transporte innerhalb der EU 25Straße: Nationale und internationale Beförderungen durch in der EU 25 zugelassene FahrzeugeQuelle: Europäische Kommission 2006

Anmerkungen: Luft und See: ausschließlich Inlandstransport und Transporte innerhalb der EU 25

Straße Schiene Binnenschifffahrt Pipelines See Luft

2005 44,2 10,0 3,3 3,4 39,1 0,1

2004 44,1 10,3 3,4 3,4 38,9 0,1

2003 43,4 10,1 3,3 3,5 39,6 0,1

2002 43,6 10,0 3,6 3,5 39,2 0,1

2001 43,1 10,2 3,6 3,7 39,4 0,1

2000 42,9 10,8 3,7 3,6 38,8 0,1

1999 43,4 10,8 3,7 3,7 38,3 0,1

1998 42,9 11,5 3,9 3,8 37,9 0,1

1997 42,0 12,1 3,9 3,7 38,2 0,1

1996 42,3 12,0 3,8 3,9 38,0 0,1

1995 42,1 12,1 3,9 3,8 38,1 0,1

Modal Split (Inland)

Page 199: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

234 Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte

Europäische Kommission und Europäische Investitions-bank (EIB) am 11. Januar 2008 eine Kooperationsverein-barung über ein Kreditgarantieinstrument für transeuro-päische Verkehrsnetzprojekte (LGTT) unterzeichnet. Das LGTT ergänzt die anderen Finanzierungsinstrumente der Europäischen Kommission für TEN-Verkehrsvorhaben, die eine stärkere Beteiligung des privaten Sektors zum Ziel haben. Private Investoren sollen gewonnen werden, um die Infrastruktur zu fi nanzieren.

Das Problem der Unterfi nanzierung der Infrastruktur ist nicht neu. Schon 1999 hat der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen (BMF) eine unab-hängige Kommission „Verkehrsinfrastrukturfi nanzierung“ (Pällmann-Kommission) berufen. Die Kommission hatte den Auftrag, konkrete Empfehlungen für die zukünftige Fi-nanzierung der Bundesfernstraßen, der Bundesschienen-wege und der Bundeswasserstraßen zu geben. Sie kam schon im Jahr 2000 zu folgendem Ergebnis: „[...] besteht eine Finanzierungslücke im Bereich der drei Verkehrsträger von mindestens 7,5 Mrd. DM p. a. bis über das Jahr 2010 Jahr hinaus (Bundesfernstraßen 4,0 Mrd. DM; Bundes-schienenwege 3,0 Mrd. DM; Bundeswasserstraßen 0,5 Mrd. DM). Im Bereich aller drei Verkehrsträger haben die Instandhaltungsdefi zite zwischenzeitlich ein Ausmaß an-genommen, dass von einer Instandhaltungskrise gespro-chen werden kann“.

Das Problem staatlicher EingriffeDie MautDie Pällmann-Kommission hat auch die Umstellung der Infrastrukturfi nanzierung von einer Umlage-Finanzierung (Kraftfahrzeugsteuer) auf eine Nutzer-Finanzierung (Stra-ßenbenutzungsgebühr) vorgeschlagen. Am 1. Januar 2005 ist in Deutschland eine Straßenbenutzungsgebühr für Last-kraftwagen über 12 t Gesamtgewicht eingeführt worden. Die

Mautpfl icht beginnt grundsätzlich mit der Auffahrt auf allen Bundesautobahnen (BAB) einschließlich Rastanlagen.Die Mautumsätze betrugen im Jahr 2005 insgesamt 2,86 Mrd. Euro (brutto), im Jahr 2006 waren es rund 3,08 Mrd. Euro (brutto). Bis einschließlich August 2007 sind bereits über 2,18 Mrd. Euro an Mauteinnahmen erzielt worden (Internetauftritt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung). Durch die Lkw-Maut erhöhen sich die Kosten für den Gütertransport auf den Bundes-autobahnen. Ausgehend von einem 40-Tonnen-Lkw mit einer Fahrleistung von 100 000 Kilometern pro Jahr auf dem deutschen Autobahnnetz und einer durchschnitt-lichen Mauthöhe von 12,4 Cent pro Kilometer kommt es zu einer Nettobelastung von jährlich etwa 11 000 Euro pro Lkw. Hinzu kamen noch die indirekten Kosten der Maut, die durch interne Organisations-, Informations-, Schulungs- sowie Controlling- und Finanzierungskosten entstanden sind. Diese beliefen sich schätzungsweisenochmals auf 10 bis 20 Prozent der direkten Mautkosten und verteuerten jeden mautpflichtigen Kilometer zu-sätzlich um durchschnittlich 1,9 Cent. Diese Erhöhung musste im Markt an die Auftraggeber (Verlader) weiter-gegeben werden. Dies gelang zum größten Teil bei den Lastkilometern (Fahrten mit Ladung), aber nicht bei den Leerkilometern (Fahrten ohne Ladung) (Bundesamt für Güterverkehr, 15.11.2006).

Das Problem der Wettbewerbsbedingungen in Europa„Der Deutsche Bundestag stimmt mit der Bundesregierung überein, dass a) aufgrund der Wettbewerbsbedingungen im europäischen Güterkraftverkehr ein Harmonisierungsvolu-men in Höhe von 600 Mio. Euro jährlich gewährleistet wird und dazu b) folgende Maßnahmen umgesetzt werden sollen:Mautermäßigungsverfahren/Mineralölsteueranrech-nungsverfahren, Änderung des Kfz-Steuergesetzes, lnnovationsprogramm oder jede andere geeignete Har-

Tab. 2: Die Ausgaben des Bundesfinanzplanes bis 2011

Verkehr Ist 2006

Soll 2007

Entwurf 2008

Finanzplan 2009

Finanzplan 2010

Finanzplan 2011

Eisenbahnen des Bundes 9 269 9 412 9 178 9 565 9 608 9 718

Bundesfernstraßen 6 124 5 653 5 633 5 520 5 469 5 466

Bundeswasserstraßen 1 553 1 668 1 748 1 792 1 791 1 790

Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden; Regionalisierungsgesetz 1 693

1 672 1 672 1 672 1 672 1 672

Sonstige Maßnahmen im Verkehrsbereich 1 370 1 762 1 680 1 677 1 543 1 499

Die Ausgaben des Bundes 2006 bis 2011 nach Aufgabenbereichen [in Mio. Euro]

Page 200: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

235Michael Kubenz

monisierungsmaßnahme einschließlich der Änderung der Emissionsklassenzuordnung.

Mautermäßigungsverfahren/Mineralölsteueranrech-nungsverfahren sind prioritär zu verfolgen, um die ange-strebte Harmonisierung umfassend und zeitnah zu erreichen.“

Dies hat der Deutsche Bundestag am 22. Mai 2003 be-schlossen. Die Einführung der Maut ist auch mit der Har-monisierung der Wettbewerbsbedingungen in Europa begründet worden.

Nachdem das gemäß dem Kompromiss prioritär zu verfolgende Mautermäßigungsverfahren (MEV) im Ja-nuar 2006 von der Europäischen Kommission im Rahmen des Beihilfeprüfverfahrens nicht genehmigt wurde, ist gemeinsam mit den Verbänden entschieden worden, ge-gen die Entscheidung nicht zu klagen und die anderen im Mai 2003 vereinbarten Harmonisierungsmaßnahmen zu realisieren. Dazu zählen die Absenkung der Kraftfahr-zeugsteuer und das Innovationsprogramm zur Förderung der Anschaffung besonders emissionsarmer schwerer Lkw. Das Innovationsprogramm ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften genehmigt worden; das Gesetz zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften ist am 17. August 2007 verkündet worden. Es trat am 1. September 2007 in Kraft. Das darüber hinaus von den externen Rechts-experten der Verbände und des BMVBS entwickelte Mautbonussystem (MBS) ist nach Auffassung der Euro-

päischen Kommission – wie das MEV – ebenfalls nicht mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Über alternative Har-monisierungsmaßnahmen im Sinne des Mautkompromis-ses laufen Gespräche zwischen den Bundesministern für Verkehr und Finanzen.

Die Besteuerung von DieselÜber Jahre hinweg gab es in Deutschland deutliche Anhe-bungen der Mineralölsteuer. So wurde die Mineralöl steuer mit dem Begriff Ökosteuer allein in den Jahren 1999 bis 2003 fünfmal angehoben und kletterte von 32 auf rd. 47 Cent pro Liter. Das politische Versprechen, die Einnahmen aus der Ökosteuer in voller Höhe zur Senkung der Lohnneben-kosten zu verwenden, wurde dabei nicht eingehalten. Und bei jeder Erhöhung der Mineralölsteuer verdient der Staat auch noch zusätzlich über die Mehrwertsteuer mit. Ver-stärkt wurde diese Entwicklung noch durch die Explosion der Kraftstoffpreise in den vergangenen zwei Jahren. Die Unternehmen mussten mit Preissteigerungen von über 35 Prozent im Zeitraum Januar 2005 bis Januar 2008 beim Dieseltreibstoff fertig werden.

Auf Ebene der Europäischen Gemeinschaft würde eine Bandbreite mit einem Mindest- und einem Höchst-steuerbetrag eingerichtet. Die Mitgliedstaaten hätten ihre Verbrauchsteuersätze auf gewerblich genutzten Diesel innerhalb dieser Bandbreite festzulegen. Diese würde – nach und nach verengt – im Jahr 2010 dann 100 Euro ausmachen. Damit sich die Mitgliedstaaten, für

Page 201: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

236 Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte

die Übergangszeiten gelten, auf diese Regelung einstellen können, schlagen die Kommissionsdienststellen vor, die gegenwärtigen Mindeststeuerbeträge der Energiesteu-errichtlinie bis 2013 als Untergrenze der Bandbreite zu verwenden. Ab 2012 soll der Mindestsatz für Diesel auf 359 Euro erhöht werden und dann weiter auf 380 Euro im Jahre 2014. Außerdem haben die Mitgliedstaaten keine Obergrenze zu beachten. Den Mitgliedstaaten, die zu einem höheren Satz als dem Mindestbetrag besteu-ern wollen, steht dieses frei. Mit diesem Vorschlag ist eine einheitliche Besteuerung in Europa in weite Ferne gerückt.

Die Lenk- und Ruhezeiten und die Arbeitszeitregelungen von FahrernSeit dem 1. September 2006 gilt in Deutschland ein neu-er § 21a Arbeitszeitgesetz. Dieser Paragraf reduziert die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit von Kraftfahrern um 15 Prozent. Ab 11. April 2007 gilt die neue Verord-nung über Lenk- und Ruhezeiten der Europäischen Union (Verordnung (EG) Nr. 561/2006, 11.4.2006). Das bisheri-ge System wird nur im Grundsatz beibehalten, denn die Flexibilität bei der Planung von Ruhezeiten (Pausen) geht verloren. Die Umsetzung der neuen Sozialvorschriften hat eine Kostenlawine ausgelöst. Klaus hat in der Studie

Abb. 4: Lkw-Mauterhebung in Deutschland

Manuelle Einbuchung im Internet oder am Mautstellen-Terminal

Automatische Einbuchung

Fahrzeuggeräte

1. EinbauFahrzeuggerät

2. EingabeFahrzeugdaten

8. Zentrale rechnet Gebühren mit dem Unternehmen des Güterkraftverkehrs ab

7. Betrag wird per Mobilfunk (GSM) an die Mautzentrale gesendet

3. GPS erfasst die Position

Satellit für GPS (Global Positioning System)

4. Fahrzeuggerät erkennt maut-pfl ichtige Straße

5. Kontrolle(stationär und mobil)

6. Fahrzeuggerät berechnet Mautgebühren

Unterneh-men des Güterkraft-verkehrs

1. Einbuchung über Internet oder Terminal

4. Bei Internet-Einbuchung rechnet die Zentrale Gebührenmit dem Unternehmen des Güterverkehrs ab

2. Fahrzeug fährt auf mautpfl ichtiger Straße

3. Kontrolle (stationär und mobil)

Unterneh-men des Güterkraft-verkehrs

Ziel

Ziel

Quelle: www.TollCollect.de

Page 202: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

237Michael Kubenz

„Das neue Fahrpersonalrecht in der Europäischen Union“, die im Jahr 2007 im Auftrag des DSLV erstellt wurde, die Kostenauswirkungen im Straßengüterverkehr untersucht. Für Lkw mit mehr als 3,5 t betrug bisher das Kostenvolu-men 50 Mrd. Euro. Jetzt, nach vollständiger Umsetzung des neuen Fahrpersonalrechts, wird gegenüber 2006 ein zusätzlicher Kostenschub von 4,7 Mrd. Euro auf die Logis-tikwirtschaft zukommen. Das ist eine prozentuale Steige-rung um 9,4 Prozent.

Das Problem „Fahrermangel“Ein immer akuter werdendes Problem ist der Fahrerman-gel (Marktbeobachtung Güterverkehr – Sonderbericht, 24.5.2007). Deutsche Kraftwagenspediteure und Trans-portunternehmen suchen händeringend nach qualifi ziertem Fahrpersonal, und das trotz der hohen Arbeitslosigkeit bei Lkw-Fahrern. Gründe hierfür sind zum einen der konjunktu-relle Aufschwung, die steigende Transportnachfrage aus den neuen Mitgliedstaaten der EU sowie das altersbeding-te Ausscheiden einer zunehmenden Anzahl von Fahrern aus dem Beruf. Hinzu kommen die geänderten Arbeitszeitrege-lungen (siehe oben), die seit Herbst 2006 einen verstärk-

ten Fahrpersonalbedarf ausgelöst haben, und die deutlich zurückgegangene Fahrerausbildung durch die Bundeswehr. Den bis zu 15 000 ausgeschriebenen offenen Stellen ste-hen knapp 120 000 bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg arbeitslos gemeldete Fahrer gegenüber, darun-ter mehr als 30 000 Berufskraftfahrer. Dass die mittelstän-disch geprägte Branche kein geeignetes Personal fi ndet, ist kein Quantitätsproblem, sondern vielmehr ein Quali-tätsproblem. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die ar-beitslos gemeldeten Fahrer oftmals nicht ausreichend qua-lifi ziert und auch nicht hinreichend motiviert sind, um eine Fahrertätigkeit im Fernverkehr mit den nicht zu leugnenden strapaziösen und familienunfreundlichen Arbeitszeiten zu bewältigen. Hinzu kommt der Umstand, dass viele der von der Agentur für Arbeit empfohlenen Fahrer nicht über die notwendige Erfahrung verfügen. Auch die Bereitschaft potenzieller Fahrer, für eine Stelle umzuziehen, ist gering. An das Fahrpersonal werden heutzutage hohe Anforde-rungen gestellt. Als Aushängeschild des Unternehmens ist der Fahrer verantwortlich für ein hochwertiges Fahrzeug und entsprechend hochwertige Waren. Er muss die Tech-nik des Fahrzeugs beherrschen sowie über entsprechende

Abb. 5: Energiesteuer auf Dieselkraftstoff in Europa

in Euro-Cent pro Liter Stand Kurse: 2.Juli 2007

(in B, FIN, IRL,PL auf schwefelarmen Diesel; in A, D, GB, H, L, NL, S auf schwefelfreien Diesel; in DK, FIN, N, S, einschl. CO2-Steuern) * niedrigerer Steuersatz auf gewerblich genutzten Dieselkraftstoff („Gewerbediesel“) durch Erstattungsregelung** niedrigerer EU-Mindestsatz gilt für EST, GR, L, LT, LV, M, P und PL mit unterschiedlichen Übergangsfristen (für BG und RO gelten erst ab 2008 Mindestsätze)*** EU-Mindestsatz gem. Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Energiesteuerrichtlinie 2003/96/EG vom 13.3.2007 (z. T. Übergangsfristen bis 2017)Quellen: Europäische Kommission und eigene Recherchen des BGL

20,00

40,00

60,00

10,00

80,00

70,00

50,00

30,00

0,00 A B* BG CH CY CZ D DK E* EST F* FIN GB GR H I* IRL L LT LV M N NL P PL RO S SK SLO ø EU ** ab

EU Min 2014 27 ***

34,7

0

33,9

133

,11

30,2

0

42,6

4

42,3

0

27,3

5

46,6

9

24,4

8

34,6

2

47,6

4

36,4

9

29,3

0

24,5

4

39,4

5

31,9

4

71,5

6

27,6

0

36,8

1

29,0

4

18,7

3 25,5

5

33,2

4

44,6

7

37,0

8

36,4

4

31,7

0

29,5

2

40,1

5

43,2

0

32,3

3 37,6

6

30,2

0

24,5

0

36,0

0

34,5

2 41,3

0

Page 203: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

238 Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte

Sprachkenntnisse bei Einsätzen im grenzüberschreitenden Verkehr verfügen. Hinzu kommt – wie schon erwähnt – die Motivation, um auch über längere Zeiträume insbesondere im Auslandseinsatz mit entsprechenden Abwesenheitszei-ten vom Wohnort Transporte durchzuführen.

Angesichts der prekären Situation am Arbeitsmarkt – im Übrigen kein rein deutsches Problem, sondern auch in vielen anderen west-, aber auch osteuropäischen Ländern zu beobachten – bemüht sich der DSLV zusammen mit dem BGL darum, auch Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaa-ten legal einstellen zu dürfen, was in Deutschland zurzeit aufgrund der eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber zehn der zwölf neuen Mitgliedstaaten unter-sagt ist, auch im Rahmen eines begrenzten Kontingentes. Die Bundesagentur für Arbeit hat sich bereit erklärt, enger mit den Verbänden des Verkehrsgewerbes zusammenzu-arbeiten, um offene Stellen für Fahrer im Fernverkehr zu besetzen. Falls die regionalen Arbeitsagenturen vor Ort keine geeigneten inländischen Bewerber für offene Stel-len benennen können, könnten dann auch Arbeitsgeneh-migungen für Fahrer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten und auch aus Drittstaaten erteilt werden.

Umweltschutz und CO2-ReduktionDie Bundesregierung bietet als deutschen Beitrag für ein internationales Klimaschutzabkommen nach 2012 an, die

Emissionen bis 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 zu reduzieren. Dieses Angebot steht unter der Vor-aussetzung, dass die Europäische Union im selben Zeit-raum ihre Emissionen um 30 Prozent gegenüber 1990 re-duziert und andere Staaten vergleichbar ehrgeizige Ziele übernehmen. Dafür sieht die Bundesregierung vor allem zwei Schlüssel: Energie muss weit effi zienter eingesetzt werden als heute, und wir brauchen mehr CO2-arme Ener-gien (Das Integrierte Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung, Dezember 2007).

Lkw haben schon durch die verbindlichen EU-Emissi-onsgrenzwerte (EURO 0 bis EURO 5) eine erhebliche Ab-senkung der Emissionen erreicht.

Allerdings stiegen bei der Einführung der Emissions-klassen teilweise die Kraftstoffverbräuche. Neue Emissions-klassen müssen also auch den Kraftstoffverbrauch und den damit verbundenen CO2-Ausstoß berücksichtigen.

Innovative Konzepte in der Transportlogistik auf der Straße

Neue Maße und GewichteAuf der 61. IAA Nutzfahrzeuge 2006 in Hannover präsen-tierten die im VDA vertretenen Nutzfahrzeughersteller erstmals mit den innovativen Nutzfahrzeugkonzepten EuroCombi ihren Lösungsvorschlag, um das prognostizierte

Abb. 6: EU- Emissionsgrenzwerte für Dieselmotoren (Straße)

EU-Emissionsgrenzwerte für Dieselmotoren (Straße)Zulässiger Schadstoffanteil gegenüber Euro 0

0 %

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

60 %

70 %

80 %

90 %

100 %

CO

HC

NO3

Rußpartikel

Quellen: Europäische Kommission, Brüssel, Umweltbundesamt Dessau und Berechnungen des BGLBundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e. V.

1990Euro 0

1993Euro I

1996Euro II

2001Euro III

2006Euro IV

2009Euro V

Page 204: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

239Michael Kubenz

steigende Straßengüterverkehrsaufkommen in Zukunft zu bewältigen (Jahresbericht „Auto 2007“ (Juli 2007)). Die 25,25 m langen EuroCombis bieten mit ihrem höheren Ladevolumen die Möglichkeit, mehr Güter mit weniger Verkehr und damit weniger Kraftstoffverbrauch und Schad-stoffemissionen zu transportieren. Zugleich verfügen sieüber neueste Technik und die höchsten verfügbaren Sicherheitsfeatures.

Zwei EuroCombis können durch die innovative 25,25m-Kombination drei herkömmliche Lastzüge ersetzen. Seit einigen Jahren werden in Europa andere Lkw-Kombina-tionen als der in Deutschland erlaubte 40t-Zug mit einer Maximallänge von 18,75 m eingesetzt. Die längeren Kom-binationen basieren auf den existierenden Vorschriften für Abmessungen und Gewichte der EG-RL 96/53/EG. Vor allem in Skandinavien sind mittlerweile langjährige posi-tive Erfahrungen mit den Lkw bei einer Gesamtlänge von bis zu 25,25 m gemacht worden. Auch die Niederlande haben 2006 einen mehrjährigen Feldversuch abgeschlos-sen, bei dem der Einsatz dieser Fahrzeugkombinationen im Detail untersucht wurde und das Resultat durchweg positive Ergebnisse waren – sei es unter Sicherheits-, Effi zienz- oder Umweltgesichtspunkten. So ist es möglich, dass diese Fahrzeuge eventuell künftig auf dem nieder-ländischen Straßennetz zum Alltag gehören bzw. weitere Länder in vergleichbare Großversuche einsteigen werden. Das Konzept wurde in zwei Varianten vorgestellt:

Bei der volumenorientierten Variante zieht eine her-kömmliche zweiachsige Sattelzugmaschine (4x2) einen 13,60m-Standard-Sattelaufl ieger, an den ein Tandem-achs-Anhänger angekoppelt ist. So wird eine Gesamt-fahrzeuglänge von 25,25 m und ein Gesamtgewicht von

48 t erreicht. Haupteinsatzgebiete sind die Belieferung von Produktionsstandorten, Lebensmitteltransporte und Stückgutverkehre.

Die gewichtsorientierte Variante besteht aus einem Motorwagen mit drei, davon zwei angetriebenen (6x4) Achsen und einem bis zu 7,82 m langen Fest- oder Wech-selaufbau, dem mittels eines sogenannten Zweiachs-Dolly ein herkömmlicher 13,60m-Standard-Sattelaufl ieger angehängt wird. Diese Variante, die besonders für die Be-lieferung von Produktionsstandorten, Teilladungsverkehr und den Transport von Haushaltsgeräten sowie Getränke- und Papiertransporte geeignet ist, beinhaltet eine Länge von 25,25 m und ein maximales Gesamtgewicht von 60 t.Für den Einsatz dieser neuen Fahrzeugkonzepte konnten folgende Vorteile identifi ziert werden:

• 2,2 Mrd. eingesparte Lkw-Kilometer bei deutschland-weiter Zulassung von EuroCombi;

• 13 Prozent weniger gefahrene Kilometer bei europa-weiter Zulassung;

• durchschnittliche Reduktion des Kraftstoffverbrauchs bei jeder transportierten Tonne je Kilometer um 15 Pro-zent und damit weniger Treibhausgase;

• 6 Prozent reduzierte Kosten für die Volkswirtschaft bei deutschlandweiter und 12 Prozent reduzierte Kosten bei europaweiter Zulassung;

• 25 Prozent weniger Verkehrsraum

Diese Argumente hätten zählen sollen, aber leider haben sich der Bundesminister und seine Kollegen aus den Bun-desländern gegen einen Feldversuch in Deutschland aus-gesprochen (Die Welt, 10. Oktober 2007).

Abb. 7: EuroCombi und Straßenlänge

Quelle: VDA

Standard-Zug

EuroCombi EuroCombi

Standard-Zug Standard-Zug

ca. 150 m

ca. 100 m

GesetzlicherMindestabstand50 m

GesetzlicherMindestabstand50 m

GesetzlicherMindestabstand50 m

Page 205: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

240 Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte

Alternative TreibstoffeMit dem verabschiedeten Biokraftstoffquotengesetz ist der Ausbau der Biokraftstoffe in Deutschland festge-schrieben. Das zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Biokraftstoffquotengesetz verpfl ichtet die Mineralölwirt-schaft, einen wachsenden Mindestanteil von Biokraft-stoffen, bezogen auf die jährliche Gesamtabsatzmenge eines Unternehmens an Otto- und Dieselkraftstoff (ein-schließlich des Biokraftstoffanteils), in Verkehr zu bringen (Biokraftstoffquote). Der Biokraftstoffanteil im Diesel soll

ab 2007 mindestens 4,4 Prozent betragen, im Jahr 2007 bei Benzin 1,2 Prozent mit einer jährlichen Erhöhung um weitere 0,8 Prozent auf mindestens 3,6 Prozent im Jahr 2010. So beträgt der Biokraftstoffanteil bis zum Jahr 2012 in Deutschland 8 Prozent. Bis zum Jahr 2020 soll er auf 12 Prozent ausgebaut werden. Nach Berechnungen des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) führt diese Bio-kraftstoffquote im Jahr 2012 zu einer CO2-Einsparung von 7,5 Mio t. Umgerechnet auf den Fahrzeugbestand bedeu-tet dies eine spezifi sche CO2-Reduktion von zirka 6 g/km.

Gleichzeitig entfällt die bislang geltende steuerliche Förderung von Biokraftstoffen für die innerhalb der Quote in den Markt gebrachten Biokraftstoffe. Eine Ausnahme bilden die sogenannten Biokraftstoffe der zweiten Gene-ration, die auch weiterhin von der Mineralölsteuer befreit bleiben. Im Gegenzug wird die steuerliche Förderung für Biokraftstoffe in Reinform sukzessive bis zum Jahr 2012 abgebaut. Für viele Transportunternehmen und Kraftwa-genspediteure, die ihre Fahrzeugfl otten auf den Betrieb mit Biodiesel (Rapsmethylester RME) umgestellt haben, bedeutet diese Besteuerung wieder die Rückkehr zum Ein-satz von fossilem Diesel.

Flottenmanagement und FahrersteuerungFür den Marktauftritt von Logistikdienstleistern hat Baumgarten (Baumgarten et al. 2004) vier Dimensionen herausgearbeitet:

1. Verständlichkeit der Produkte 2. Hervorheben des Kundennutzens

Abb. 8: EuroCombi – Varianten

Volumenorientierte Variante

Gewichtsorientierte Variante

Quelle: VDA

Abb. 9: Biokraftstoffbesteuerung

Biodiesel

Angaben in ct/l

Pflanzenöl

Quelle: VDA

40

35

30

25

20

15

10

5

2007 2008 2009 2010 2011 2012

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241Michael Kubenz

3. Modularität des Produktprogramms 4. Standardisierte Leistungserstellung

Für die Verständlichkeit der Produkte ist sicherlich, auch vor dem Hintergrund des Infrastrukturproblems, die Infor-mation an den Kunden das hervorragende Problem.

Kunden erwarten verlässliche Information über An-kunft- und Abholtermine. Auch der Kundennutzen wird hier deutlich, wenn man bedenkt, dass die Ver- und Entlade-Einrichtungen bei den Kunden ebenfalls eine knappe Res-source sind („Engpass Rampe“).

Eine Modularität im Straßengüterverkehr ist nur zu erzielen, wenn die Ressource Fahrer mit all ihren Problemen (siehe oben) konsequent von der Ressource Fahrzeug getrennt wird. So kann erreicht werden, dass Strecken im Begegnungsverkehr (zwei Fahrzeuge tref-fen sich an einem definierten Punkt auf der Strecke und die Fahrer wechseln das Fahrzeug, um z. B. mit dem Fahrzeug wieder zurückzufahren) oder im Stafettenver-kehr (ein Fahrzeug wird zu einem definierten Platz von einem Fahrer gefahren und dort an einen anderen Fah-rer übergeben) zurückgelegt werden und damit ein Mo-dul erstellt wird. Dieses Verhalten führt dann auch zu einer standardisierten Leistungserstellung; es können Fahrpläne angeboten werden. Die Verbreitung solcher standardisierter Leistungserstellung ist heute bei dem Verkehr zwischen großen Lagern (Umschlagspunkte, Hub) der Fall.

Zur Überprüfung der Arbeitszeit des Fahrers und der Verlässlichkeit des Fahrplanes kommen Telematikdienste zum Einsatz.

Abb. 10: Nutzfahrzeug-Telematikdienste

Quelle: Visality Consulting GmbH, 2004

Grobeinteilung der Nutzfahrzeug-Telematikdienste

Telematikdienste

Technische Basis

Dezentrale Funktionen(Fahrzeug)

Zentrale Funktionen(Disponent, Controller)

Fahrzeugmanagement

Automatisch erfasste Betriebsdaten des Fahrzeugs und Datenkommunikation (z. B. SMS)

· Überwachung Betriebszustände· Lenkzeitüberwachung· Ladungsüberwachung

· Fahrerbewertung· Wartungsplanung· Transportgutüberwachung und Dokumentation

Transportmanagement

Kommunikation (z. B. SMS, Funk)Fahrzeugortung (GPS)

· Fahrerkommunikation· Verkehrsinformation· Navigation

· Auftragsverfolgung· Positionsbestimmung und Ankunfts-Forecast· Tourenauswertung

Industrialisierung des gewerblichen Straßengüterverkehrs? – Das Advanced-Truckload-Geschäftsmodell in den USAMüller hat bei ihren Untersuchungen des Marktes in den USA (Müller, Vorlesung) sechs Merkmale für erfolgreiche Anbieter im Ladungsverkehr auf der Straße festgestellt. Diese sind:

1. Geografi sch verteilte Kundenbasis2. Größere Zahl von Service- und Operationsbasen3. Kundenkontakte und Disposition zentralisiert und com-

putergestützt („Single Point“)4. Standardisiertes Equipment, professionelles Fuhrpark-

management5. Einsatz moderner Informations- und Lokalisierungs-

technologien6. Intelligentes Leistungsportfolio

Alle Merkmale verlangen nach einer großen Struktur; dies ist in den USA auch gegeben. Die untersuchten Fir-men haben mehr als 8000 ziehende Einheiten pro Firma. In Deutschland ist die Situation anders. Nach der aktuellen Unternehmensstatistik des Bundesamts für Güterverkehr (BAG – Bundesamt für Güterverkehr, 2005) waren im Jahr 2001 56 500 Unternehmen mit 635 528 Beschäftigten (da-von 447 939 Fahrer) im gewerblichen Güterkraftverkehr tä-tig. Das Güterkraftverkehrsgewerbe wird von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt. Zwei Drittel aller Unter-nehmen beschäftigen nur bis zu fünf Mitarbeiter. Der mit-telständische Charakter dieses Wirtschaftszweiges wird auch dadurch unterstrichen, dass gut die Hälfte aller Un-ternehmen (54 Prozent) nur bis zu drei Lastkraftfahrzeuge

Page 207: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

242 Straßengüterverkehr – Bedeutung, Probleme und innovative Konzepte

einsetzt. Wenn die Unternehmen gezählt werden, die bis zehn Fahrzeuge einsetzen, steigt die Zahl auf 86 Prozent. Das Produktionsmodell ist daher sehr bedarfsorientiert und die Unternehmen sind vielfach als Subunternehmer für Spe-diteure tätig. Eine Industrialisierung mit standardisierter Leistungserstellung ist daher kaum möglich. Neue Formen von Kooperationen am Beispiel „E.L.V.I.S“Eine Möglichkeit, um Vorteile aus dem Einsatz großer Flot-ten zu ziehen, ist die Kooperation. Ein solches Kooperations-modell ist E.L.V.I.S. Unter dem Dach der E.L.V.I.S. Aktienge-sellschaft (www.elvis-ag.de) haben sich mittelständische deutsche Speditions- und Frachtführerunternehmen zusam-mengeschlossen. Das Netz verfügt derzeit über eine Flotte von 3481 Lkw mit einer zentralen Flottensteuerung.

Fazit

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass der Straßen-güterverkehr sowohl in Deutschland als auch in Europa die dominante Rolle unter den Verkehrsträgern darstellt. Auch für den Zeithorizont bis 2050 zeichnet sich keine grundlegend andere Entwicklung ab: Die Güterverkehrs-leistung insgesamt wird sich bis dahin von heute knapp 600 Mrd. Tkm auf dann über 1200 Mrd. Tkm mehr als verdoppeln. Der Anteil der Güterverkehrsleistung wird auf der Straße gegenüber heute um zwei Prozentpunkte auf 72 Prozent zunehmen. Dieses enorme Wachstum wird nur mit massiven Investitionen in die Infrastruktur, der Imple-mentierung intelligenter Telematikdienste sowie innova-tiven Fahrzeugkonzepten zu bewältigen sein.

Page 208: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Assessing the State of Supply Chain Management

Thomas W. Speh

Rees Distinguished Professor of Distribution, Miami University, Oxford, Ohio, USA

Page 209: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Prof. Dr. Thomas W. Spehborn 1944Speh is the James Evans Rees Dis-tinguished Professor of Distribution at The Richard T. Farmer School of Business, Miami University in Ox-ford, Ohio. He teaches courses in Logistics and SCM. He was the Di-rector of the Warehouse Research Center at Miami University from 1986–2000. Speh has published

numerous articles in a variety of outstanding academic and professional journals. He is a frequent speaker at conferences worldwide. He has conducted numerous research and consul-ting projects. He is a member of the Advisory Board for the EU Bestlog project. Speh was the 2003 President of the Council of Logistics Management and a past president of the Warehousing Education and Research Council. In October of 2007 Speh re-ceived the Council of Supply Chain Management Professional’s Distinguished Service Award.

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The great promise of supply chain management has al-ways been that fi rms working collaboratively in their re-spective supply chains will be able to leverage the strong relationships that have been created to build quantum leaps in performance for the entire supply chain. As we survey the landscape of supply chain management we do fi nd many instances of companies who have achieved suc-cess in delighting their customers with excellent logistics services delivered in a very effi cient manner. However, as we examine the broad spectrum of companies, industries, supply chains and different countries, it can be concluded that we have barely scratched the surface in realizing the potential benefi ts associated with the supply chain man-agement mandate. This article will examine the state-of-the-art in supply chain management in 2008, looking at how we measure supply chain success for individual companies as well as for entire supply chains. We will fi rst examine the short history of supply chain manage-ment as a discipline and assess where it stands as a dis-cipline. Next, we will explore key metrics for assessing supply chain performance at the company level and then at the supply chain level. Once the assessment has been explained, we will conclude by examining the key steps necessary to realize the full potential of the supply chain management discipline.

The Evolution of Supply Chain Management

In the overall scheme of things, the supply chain manage-ment (SCM) discipline is very young. The earliest use of the term SCM was believed to have occurred in the early

1980’s having been coined by a consulting fi rm in the lo-gistics arena. Prior to the 1980’s a variety of management disciplines focused upon the several functional areas that we now have come to ascribe to SCM: logistics, operations management, procurement/purchasing, customer service and some aspect of sales and marketing. The premise of SCM was that the critical link to effi cient and effective satisfaction of customers was the integrated actions of all the functions and fi rms that are involved in bringing a product to market. Thus, SCM was often referred to as a “seed to table” or “cradle to grave” discipline in that there is a need to manage and control all the processes, compa-nies, product movements that occur from where the basic raw materials and components that will make up a prod-uct reside to the time that the fi nished product is placed in the hands of the ultimate consumer. Given the extent and complexity of the supply chain, there are many processes that can be managed rather effi ciently and effectively across the vast reaches of the supply chain, yet that does not assure that the entire supply chain has succeeded in its mission. At the same time, selected companies in the supply chain can be very successful, yet the other mem-bers of the supply chain may suffer as a consequence or alternatively, they may not be able to operate effectively, unless all supply chain efforts are coordinated.

Thus, the SCM discipline, being very ‘young’ is really just learning how to fulfi ll the promise of the great ben-efi ts that are possible through coordinated efforts by all those ‘players’ involved in a typical supply chain. That said, it is possible for many individual fi rms to be very suc-cessful, profi table and responsive, yet the entire supply

Assessing the State of Supply Chain ManagementThomas W. Speh

Fig 1. The Evolution of the Supply Chain Management Concept

B.C. ??? 2006

1950 1982 2???

How long will it take?Warehousing and Transportation

PhysicalDistribution

Logistics Inception of SCM

Full Implementation of Collaborative SCM

Page 211: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Assessing the State of Supply Chain Management248

chain may not experience the same benefi ts. There are many reasons for this situation, and these will be explored later in the paper.

Figure 1 depicts the evolution of the SCM concept and suggests that given the relatively immature nature of the discipline it is not surprising that full implementation of SCM has not be fully realized, and it may indeed take con-siderable time before we realize the full potential of the supply chain management approach.

Supply Chain Metrics: Measuring Firm Success in Supply Chain Implementation

A major premise of this article is that individual fi rms can be successful in managing many supply chain processes, activities and functions, yet the effectiveness of the over-all supply chain may not be achieved because of the many factors that impede effective supply chain integration and collaboration. These are aspects of SCM that need to be thoughtfully addressed by SCM practitioners, educators and consultants in the years to come. That said, there has been considerable effort by academics, consultants and practitioners to develop processes, approaches and specifi c metrics for assessing the competency of organi-zations in managing their supply chain networks and op-erations. This section of the article will examine the key metrics that seem to enjoy relatively broad acceptance by the supply chain community as effective markers of sup-ply chain performance.

There is a plethora of performance metrics that have been advanced over the years as ways to assess the ex-tent to which supply chain operations and processes are being managed. The range of metrics is vast, but generally they can be looked at as effi ciency focused, effectiveness focused or asset utilization focused. Thus, when looking at effi ciency we encounter metrics that look at logistics cost per unit, cost per order, inventory carrying cost, cash-to-cash cycle, and many similar measures. In the ef-fectiveness realm, companies evaluate customer service measures like percent of on-time deliveries, percent of orders damaged, or more encompassing metrics like the “perfect order.” For the asset utilization measures, fi rms typically assess the rate of return on logistics assets man-aged, or inventory days of supply.

Although these traditional measures are worthwhile and play an important role in the supply chain control process, we are witnessing more sophisticated attempts to develop supply chain metrics that seem to distinguish the very best supply chain fi rms from those which are not so effective.

In the United States, two highly acclaimed and ac-cepted evaluations of company supply chain performance are those conducted by AMR Research and MIT. The goal of the work done by each of these organizations is to de-velop a process for assessing the very best supply chain companies and then use the process to compare and eval-uate companies on the basis of their prowress in supply chain management.

Lessons Learned from the AMR Approach1

AMR’s basic approach is that the best supply chain com-panies are those who manage “demand-driven supply net-works.” To be selected as a “best practice“ supply chain company, a fi rm must manage their supply chain with the premise that demand shapes their SC operations. A de-mand-driven supply network is a system of technologies and processes that senses & reacts to real-time demand signals across a supply network of customers, suppliers, & employees. So, in short, AMR’s belief is that excellent supply chain fi rms are those that are most effective at understanding and then managing the demand for their products.

With the basic premise that fi rms need to manage de-mand and let demand drive their supply networks, AMR applies several criteria to assess specifi c aspects of sup-ply chain performance. These measures include:

1. Overall fi nancial performance 2. Demonstrated ability to orchestrate the supply chain

(e.g., the demand driven supply chain network)3. Four key metrics are looked at to evaluate how well

fi rms manage their supply chains:

A. Demand forecasting accuracyB. Perfect order fulfi llment C. Total supply chain costD. Time-to-value for new products

The very best supply chain fi rms, as measured by these criteria, have these characteristics in common:

1. They deliver 20% more perfect orders2. They hold a third less inventory3. They have lower costs equal to 5% of revenue

than companies that do not measure well on AMR’s

1 This section is based on the report of AMR’s research as shown on their website at http://www.amrresearch.com/supplychaintop25/. In addition, several interviews with AMR personnel helped to elaborate on the nature of their work.

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Thomas W. Speh 249

supply chain criteria. AMR found that in 2006, the top fi ve supply chain leaders were Nokia, Apple Compu-ter, Procter & Gamble, IBM, and Toyota Motor.

Lessons Learned from the MIT Approach3

MIT sought to investigate the factors that are related to excellent supply chain performance, and their approach is very much different than the approach and metrics pro-vided by AMR. This is a good situation in that it provides supply chain professionals different ways to view supply chain excellence based upon the basic conceptual under-pinnings of each approach. MIT’s approach specifi es that there is no such thing as a “best practice” in supply chain management. The key is that the supply chain strategy and “practice” needs to be based on the company’s corporate strategy. The very best supply chain companies are those whose supply chain strategy supports, enhances and is an integral part of the company’s corporate strategy.

MIT’s research suggests that the most effective sup-ply chain companies are those that

1. Have a clear business strategy, supported by supply chain strategies and operations

2. Have a complementary operating model that enables the strategy, and they then execute very effectively

3. The operating model and strategy are aimed at achiev-ing a balanced set of objectives.

4. Follow a limited number of tailored supply chain strate-gies.

The excellent supply chain fi rms tend to follow one of three operating strategies based on their type of prod-uct, competition and their customer requirements. Thus,

some fi rms will follow a “customer responsive” operating strategy whereby the emphasis is on speed and timeli-ness. This approach makes sense in industries like fash-ion and high tech. Other fi rms may follow an operating strategy based on “effi ciency.” Here the focus is on de-veloping the lowest cost supply chain due to the nature of the product. This approach makes sense in industries where margins are low and effi ciency is absolutely es-sential like coal, groceries and industrial supplies. Finally, a fi rm may follow an operating strategy of “asset utiliza-tion,” where the emphasis is leveraging assets in capital intensive industries like automotive, steel and chemicals. Figure 3 provides a way to conceptualize company op-erating strategies on the basis of their product/market characteristics.

Supply Chain Performance

The interesting aspect of the performance measurement assessments conducted by AMR and MIT is that they are focused on company supply chain performance, not the entire supply chain. There is indeed an impressive array of fi rms that are identifi ed by each study which have mas-tered many of the key processes associated with manag-ing their own supply chain operations. An important ques-tion remains, and that is “just how well we are doing in accomplishing the critical outcomes embedded in the sup-ply chain management concept.” The essential element to consider in this regard is just how well are companies within a given supply chain collaborating for the benefi t of all of them as well as for the good of the total sup-ply chain – suppliers, producers, distributors, third-party fi rms and the ultimate customer. The underlying factor that will play a signifi cant role is the extent to which col-laboration and relationship building and maintenance is being accomplished. Unfortunately, much of the evidence suggests that the collaborative concept of supply chain management is quite far from being accomplished.

Some of the evidence includes the following:• A study completed by a major consulting fi rm concluded

“There are really no companies in the world today that have developed this totally seamless supply chain be-tween vendors and their ultimate customers!”

2 From the 2006 AMR study.3 This material is based on the work done at MIT and published by Larry Lapide in, “The

Essence of Excellence,” Supply Chain Management Review; April 2006, Vol. 10 Issue 3, p18–24.

Fig 2. An Example of a Demand-Driven Supply Chain,Based On The Research Conducted By AMR

Anheuser-Busch has created a sophisticated demand signal depository, called BudNet. The online database provides extraordinary visibility for Anheuser-Busch all the way through the distributor network to the retail outlet, so the company can see exactly what is selling, to whom and through which retail chain. This tool allows Anheuser-Busch to be extremely responsive with replenishment, new products, promotions and other demand management requirements.

The system handles millions of transactions that are stored in a data warehouse. It pulls the data from A-B’s order system, from point-of-sale data and from other order and transaction systems throughout the supply chain. The data is available throughout the fi rm’s SC network, so A-B can make very refi ned decisions about what they sell into which regions and into which channels.

Page 213: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Assessing the State of Supply Chain Management250

• In another consulting study, the researchers concluded that “of the fi rms that claim to embrace supply chain management, only 2 percent were able to achieve sup-ply chain success.”

• In another study completed in the UK, it was found that “55% of all strategic partnerships fall apart within three years of their inception.”

• Relationships frequently do not live up to expectations. A major 3PL supplier in a “supply chain relationship” won supplier of the year awards and lost money on every unit shipped!

• A recent study completed by Supply Chain Manage-ment Review 4 concluded that:

• “The idea of collaboration has eluded most fi rms – the traditional, largely adversarial business model still holds in most organizations.”

• Supplier and Customer Relationship Management were dead last in terms of level of sophistication among a variety of processes reviewed within partner fi rms.

• Only 25 percent of the fi rms they studied had a supply chain strategy, and of this 25 percent, only 15 percent shared their supply chain strategy with their partners!

The magazine went on to conclude that “The real busi-ness benefi ts of advanced supply chain management re-main largely untapped.”

Making Collaborative Supply Chain Manage-ment a Reality: Key Steps

To speed the process of achieving the full benefi ts of col-laborative supply chain management, there are a number of things companies can focus upon. However, it should be realized that this process will be slow and may take many years of frustrating failures laced with few success stories. After all, the supply chain model is very challeng-ing with its strong focus on the sharing of information, strategic alignment, trust, team-based problem solving, sharing of risks and rewards, and interfunctional collabo-ration within the fi rm. These are new initiatives for many individuals and fi rms, and it will take a long time to build these approaches into the company cultures. Hence, the full benefi ts of collaborative supply chain management may not be noticed until very much in the future.

Here are some of the key steps that companies need to take to speed up the process of implementing the supply chain management collaborative model.

1. The fi rst place to start is within our own fi rms to insure that internal processes are integrated and that dif-ferent functions are collaborating effectively. Essentially, companies with rigid hierarchies that separate distribu-tion, manufacturing, engineering and other functions trap themselves into functional silos that can never develop and execute an integrated strategy.

If we cannot make collaboration work within the fi rm, there is little hope of it working across several different fi rms in the supply chain.

2. Educate top management on the importance of SCM and the need for collaboration to drive it. Collaboration cannot happen without top management’s blessing. Many supply chain initiatives have failed miserably because, although the middle managers of several companies were aligned, their top management did not understand the value of collaboration and how to make it work. Top management would therefore not support collaborative initiatives. To get top management attention they must be convinced of the role and value of collaborative sup-ply chain management. Several studies exist to show that collaboration does translate to the bottom line, and top management must be introduced to this line of thinking. One consulting study indicated that fi rms that are adept at collaborative supply chain management are 12 times more

4 This is based on “How Are We Doing?” Poirier, Charles C. and Quinn, Francis J., Supply Chain Management Review, Nov/Dec 2004, Vol. 8 Issue 8, p24–31.

Firms should look at these metrics in terms of the relative focus of their supply chains.

Source: MIT 2020 Council

Airline

Fashion Apparel

Grocery Chain Steel company

Customer Responsive

Effi ciency Asset Utilization

Fig 3. Examples of the three different supply chain operating strategies

Page 214: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Thomas W. Speh 251

profi table than those fi rms who are not good at these ef-forts. Figure 4 shows the impact that top management directives and support can have on driving supply chain success.

3. Use performance metrics that focus on creating sup-ply chain value and collaborationMetrics drive behaviors, and without metrics that are agreed to among all members of the supply chain, there is little hope that fi rms will work together effectively. We need to be creative and develop metrics that work across the supply chain, ones that are visible to the participating fi rms, and ones that all companies buy into. In short, per-formance measures must motivate managers and workers to do those things that foster collaboration and add value to the supply chain as a whole. The situation presented in Figure 5 is an excellent example of how well-conceived performance metrics really do drive management behavior to create favorable supply chain results. As shown, once Hewlett-Packard introduced the IDC metric that focused on reducing inventory costs, managers were incented to care-fully reduce materials, work-in-process and fi nished goods inventory. These results reverberated across the supply chain as well, as HP witnessed large scale reductions of fi nished goods inventories at resellers and retailers.

4. We need to ‘Educate’ SC partners both upstream and downstream in the supply chain. Companies that have the expertise in relationship management or a particular aspect of supply chain management need to share that expertise so that all fi rms in the supply chain can benefi t from that knowledge. A powerful example is the way that Toyota works with suppliers to make them more effi cient through understanding many of the processes used by

Toyota in their internal operations. Toyota never uses re-verse auctions and they generally source from the country in which they manufacture. These initiatives are powerful as Toyota claims that 60% of the innovations that go into their automobiles are generated from their suppliers.

5. A critical factor in fostering collaborative supply chain relationships is to develop effective ways to meas-ure the economic value of partnerships. Business operates on the basis of key KPIs that are related to profi tability, and one of the missing ingredients in supply chain rela-tionships is that we have not perfected a way to absolute-ly demonstrate how partnering and sharing can translate to the bottom line of each of the participants in the supply chain. It is easy to pontifi cate on the virtues of working closely with suppliers – sharing risks, rewards, and infor-mation. However, for that to happen we need to be able to demonstrate the dollar and cents value to collaborating. This is not an easy task, and because it is not easy, very little has been done to create models which clearly show the bottom line value of a partnership.

6. For many fi rms, a good fi rst place to start is to cre-ate a supply chain strategy. This strategy should articulate what the fi rm hopes to accomplish, the operating objec-tives and strategies and how the rest of the supply chain fi ts into this strategy. Once created, the strategy must be discussed, revised and agreed on by the other fi rms in the supply chain. In this way, the key partners are working from a common base against common objectives.

7. Educate all levels of management on how to build relationships. Relationship building skills should be em-phasized throughout the supply chain, so that all parties are working jointly to understand the essence of good re-

Fig 4. The importance of top management in driving the implementation of SCM

An example of the power of top management to drive Supply Chain enhancement …

COO created a company-wide supply chain project. He sought to show how everyone had a hand in the problem of a supply chain ineffi ciencies, and to provide the motivation to change.Here was the outcome of the project:

Radio Shack

Company-wide key performance indicators on the SCThe adoption of key strategic sourcing toolsSimplifi cation, rationalization and automation of key supply chain processesCreation of a new role: EVP of Supply Chain MgtExecutive offi ce backing to achieve the new SC improvement mandate

Page 215: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Assessing the State of Supply Chain Management252

lationship management. Most managers are very good at managing their functions, but not many are equally adept at developing and then managing a relationship. Thus, fi rms need to provide development programs that will allow their middle and top level managers to learn how to build and sustain business relationships. This type of education can spill over to suppliers and customers, and perhaps fi rms can bring suppliers and customers together in joint sessions so that they all learn together in an at-mosphere of sharing and trust.

It is recognized that strong, long-lasting collabo-rations and partnerships are built upon several criti-cal foundations. Figure 6 depicts these key areas. As this figure suggests, strong, long-lasting relationships among supply chain entities happen only after consider-able effort is put into understanding the key underpin-nings of the relationship. Hence, relationships will not last long when the companies do not understand the underlying reason for entering into an alliance or part-nership – there are either no or improper expectations. Importantly, it is necessary to invest a great deal of time in “due diligence” surrounding the initial establishment of the relationship. It takes considerable time and ef-fort to understand a potential partner’s corporate cul-ture, strategic focus, expectations for the relationship and corporate values. If these elements are not aligned,

the chances that the collaboration will be effective are greatly diminished.

Once again, performance metrics become a focal point for any good relationship in the supply chain. If the metrics are not carefully spelled out, then the chance for misunderstanding and disagreement over the partner’s performance are bound to occur. One of the major issues between third-party logistics providers and their clients is the high management turnover associated with third-par-ty companies. The problem is that once managers begin to understand one another and feel comfortable, all that history is lost if there is frequent turnover. So, to mitigate the impact of management turnover at both partner com-panies, the partnership mentality has to be ingrained in the culture of both companies. Finally, trust is probably the most critical ingredient to a solid relationship, and it should develop if all of the above mentioned elements are in place.

8. Examine methods that can be employed within the supply chain so that costs, risks, and rewards of doing business are distributed fairly across the network, not necessarily evenly.

Not all members of the supply chain have the same level of “investment” or risk in the supply chain, so it is not necessary to create approaches for all fi rms to share equally. The important thing is that there is an approach

Fig 5. How performance metrics can impact supply chain effectiveness

Key Performance Measures in Action: HP

HP was being crucifi ed by: Materials devaluation, scrap, write-offs, price protection for retailers, and discounts• These negative factors were driven by rapid product life cycles of PCs and their components• Bottom line: The longer they held inventory, no matter where or in what form in the SC, the less profi ts were made• SOLUTION: A new performance metric: IDC, or Inventory Driven Cost.• PURPOSE: Focus everyone’s attention on managing inventory throughout the SC. Because inventory costs are nebulous and not easily

captured by accounting systems, it forced them to go out and fi gure out what these costs were.• They quantifi ed and tracked such costs as devaluation of materials, price protection for retailers, fi nancing cost of inventory, warehousing

cost, fi re sale of end-of-life inventory, returns cost, write off of obsolete products• Changed the income statement to include IDC: IDC no longer invisible!! All functional areas shared a common understanding of the metric and

its impact

The impact of IDC

It was a cross-functional metric and got everyone’s attention. It created transparency in the SC by showing costs that were hidden It helped HP adjust their supply chain to reduce IDC: Total inventory was reduced by 50%!

Page 216: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Thomas W. Speh 253

in place that allows the supply chain participants to share rewards and risks in a way that is fair and equitable, which does not imply that all fi rms will benefi t equally.

Conclusion

Managing a relationship is harder than managing a func-tion, it is more complex and requires a different set of skills. There is a tendency in supply chain management that it is “business as usual” when managers begin to assess the possibility of creating supply chain collabora-tions with the companies aligned in their supply chain. Unfortunately, this is not the case, and a much different set of skills is required. There is a strong need to focus on creative ways to integrate goals, people, cultures, per-formance measures, and visions amongst those fi rms both upstream and downstream within the supply chain.

There are many companies who are very effective when it comes to managing many of the key aspects of their supply chains, and the success they have achieved is impressive. However, the success attributed to entire supply chains has not paralleled that achieved by individ-ual fi rms. The major problem is that supply chain success is dependent on establishing key collaborations among suppliers, 3 PLs, manufacturers, distributors, and retail-ers, and this is where the major problem lies. The ability to form, maintain and sustain strong partnerships is chal-

lenging, and many fi rms are not yet equipped to do it. To be able to benefi t from some of the very impressive supply chain operations focused on demand planning, informa-tion sharing, operating models which support key corpo-rate strategies, and sophisticated collaborative planning forecasting and replenishment models, fi rms must fi rst focus on understanding how to collaborate effectively. This will require educating top management, fi nding ap-propriate supply chain-wide metrics, measuring the value of partnerships and sharing risks and rewards equitably. Because these are new approaches to many managers, the full benefi ts of collaborative supply chain manage-ment may take many years to accomplish.

A successful supply chain collaboration happens when …

The companies in the supply chain understand why they are partnering

The culture, strategic focus, expectations, values of the companies are aligned

The fi rms have developed agreed-upon performance metrics and they are in place

Relationships transcend management changes at both companies Trust exists between managers at each fi rm

Fig 6. Factors underlying successful supply chain collaborations

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4. Umsetzungen – Unternehmen im kooperativen Transformationsprozess

Page 218: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Die Fabrik von heute für das Auto von morgen

Nikolaus Bauer

Hauptabteilungs- und Werkleiter für die Produktion Fahrwerks- und Antriebskomponenten

bei BMW in Dingolfing

BMW wurde 1991 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.

Page 219: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Nikolaus BauerJahrgang 1957Bauer ist seit Mai 2006 Hauptabtei-lungs- und Werkleiter für die Produk-tion Fahrwerks- und Antriebskompo-nenten bei BMW in Dingolfi ng. Bauer wurde 1957 in Garmisch-Partenkir-chen geboren. Nach Beendigung der Schulzeit mit dem Abitur und dem Wehrdienst von 1977 bis 1979 be-gann er ein Maschinenbaustudium

an der TU München. Im Juni 1985 startete Bauer seine Lauf-bahn bei der BMW AG in verschiedenen Funktionen an den Standorten München, Landshut und Leipzig. Bauer ist verhei-ratet und Vater von zwei Kindern. In seiner Freizeit interessiert er sich für Skifahren, Jogging, Radfahren und Segeln. Seit März 2002 hält er zahlreiche Vorträge vor allem zum Thema Logistik. Zum Sommersemester 2007 hat er einen Lehrauftrag an der TU München im Fachbereich Logistik übernommen.

Page 220: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Die BMW Group: Weltweites Netzwerk

Die BMW Group ist in mehr als 160 Ländern der Erde präsent und produziert derzeit an 22 Standorten in zwölf Ländern. Zum Produktionsnetzwerk zählen acht Fahrzeug-werke für BMW-Automobile und -Motorräder sowie das Werk Oxford für MINI und die Rolls-Royce-Manufaktur in Goodwood (England), weiterhin Motorenwerke in Ös-terreich und Großbritannien sowie die Motorenfertigung im BMW-Werk München. Ergänzt wird das Produktions-netzwerk durch die Komponentenfertigungen in Berlin, Dingolfi ng, Landshut, Eisenach und Swindon (Großbritan-nien). Wo sinnvoll, bindet die BMW Group auch externe Partner in die Serienfertigung einzelner Fahrzeugtypen ein, so zum Beispiel Magna Steyr Fahrzeugtechnik in Graz bei der Produktion des BMW X3. Die Strategie der Produktion bei der Wahl der Standorte lautet dabei: „Die Produktion folgt dem Markt“. Einerseits erleichtern loka-le Produktionsstätten den Zugang zu neuen Märkten mit einem langfristigen Wachstumspotenzial. Andererseits sorgen internationale Produktionsstandorte durch ein hohes lokales Einkaufsvolumen mit unterschiedlichen Währungen für einen Ausgleich der Warenströme sowie der Währungsschwankungen und -risiken. Eine wesent-liche Voraussetzung für die Umsetzung dieser Strategieist also ein effi zientes, fl exibles und agiles Produktions-netzwerk.

Hohe Flexibilität durch „atmende“ Strukturen

Das Unternehmen kann dem Anspruch gerecht werden, der führende Premiumhersteller zu sein, wenn das Pro-duktionsnetzwerk durch sogenannte „atmende“ Strukturen schnell und fl exibel auf Marktveränderungen und indivi-duelle Kundenwünsche reagieren kann. „Atmend“ sind die Strukturen eines Produktionsnetzwerkes dann, wenn Nachfrageschwankungen im Rahmen der strategischen Werkebelegung ausgeglichen werden können. Denn im zunehmend härter werdenden Wettbewerbsumfeld ist ne-ben der Produktsubstanz und der Qualität entscheidend, wie schnell neue Produkte auf den Markt gebracht und wie zuverlässig Kundenwünsche bedient werden können.

Ein leistungsfähiges Produktionsnetzwerk muss zudem der wachsenden Nachfrage nach individuell produzier-ten Fahrzeugen sowie der großen Variantenvielfalt und Komplexität der Produkte und Prozesse Rechnung tragen. Flexible Strukturen sorgen für eine hohe Auslastung der Werke. Jedes Fahrzeugwerk der BMW Group kann in der Regel mindestens zwei Modelle oder Varianten bauen, um das Werk bei Nachfrageschwankungen einzelner Modelle möglichst gut auszulasten. Die Werke sind zudem prinzi-piell so ausgelegt, dass sie aufgrund der fl exiblen Struk-turen weitere Modelle zusätzlich in die laufende Produk-tion aufnehmen können.

BMW-Werk Leipzig

Mit Beginn der Produktion am 1. März 2005 erweiterte das jüngste Mitglied des Produktionsnetzwerkes, das Werk Leipzig, die Produktionskapazität des Konzerns noch einmal deutlich. Die Ausrichtung auf eine konsequente Premiummarken-Strategie und die im Jahr 2000 angekün-digte Produktoffensive machten für die BMW Group trotz weltweiter Überkapazitäten in der Automobilproduktion zusätzliche Fertigungskapazitäten erforderlich, insbeson-dere bei den kleinen Modellen (BMW 1er, BMW 3er), für die Europa der Hauptabsatzmarkt ist.

Die Entscheidung für den Standort Leipzig

Als in den führenden europäischen Tages- und Wirt-schaftszeitungen der Standort für ein neues Werk ausge-schrieben wurde, erhielt das Unternehmen in kurzer Zeit über 250 Bewerbungen aus ganz Europa. Eine Vorgabe dabei: Der Standort sollte logistischen Strukturen gerecht werden, wie sie sich zum Beispiel aus den Prämissen des späten Orderfreeze und maximaler Kundenindividualität ergeben. Daran mussten sich die Standorte messen las-sen. Weiterhin galt es, auf über 200 Hektar in urbaner Lage ein Automobilwerk zu errichten, dessen mittelfris-tige Tagesproduktion bei 650 Fahrzeugen liegen sollte. Angesichts der Anforderungen an den neuen Standort er-

Die Fabrik von heute für das Auto von morgenNikolaus Bauer

Page 221: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

260 Die Fabrik von heute für das Auto von morgen

wies sich nach Abwägung aller Kriterien und nach einem mehrstufi gen Auswahlverfahren Leipzig als der Standort, der für das Vorhaben die besten Realisierungschancen versprach. Für Leipzig sprachen unter anderem:

• Wirtschaftlichkeit und Flexibilität hinsichtlich der Ar-beitsstrukturen und

• der Anbindung an den Werkeverbund,• die ideale Beschaffenheit und Lage des Werksgeländes,• die Verfügbarkeit von qualifi ziertem und motiviertem

Fachpersonal,• die Möglichkeit der Nutzung vorhandener Zulieferer-

und Logistikstrukturen,• eine gute Infrastruktur für Verkehr, Versorgung und Dis-

tribution,• eine schnelle Umsetzung des Projektes.

Der Automobilmarkt: Dynamik des Wandels

Eine zentrale planerische Aufgabe besteht darin, die stra-tegische Ausrichtung für die Handlungsfelder von morgen zu defi nieren und die Ausrichtung auf die Erfolgsfaktoren der Zukunft einzuleiten bzw. Freiräume zu bieten für nicht oder nur schwer abschätzbare Entwicklungen. Der Kanon der Einfl ussgrößen ist breit. Er reicht von globalen bis nationalen Aspekten, daher hier nur ein Auszug: Neben den Qualitätseigenschaften, dem Image und den Kosten tragen unter anderem der Innovationsgrad der eingesetzten Tech-nik, die angebotene Variantenvielfalt und die Termintreue zum wahrgenommenen Wert des Automobils und somit zur Kaufentscheidung bei. Die zunehmende Technologiedyna-mik bei Bauteilen erfordert kürzere Produktlebenszyklenund kurze Produktanlaufzeiten. Dabei erfordern zukünfti-ge Technologien wie alternative Antriebe oder Werkstoffe andere oder zusätzliche Arbeitsschritte und Prozesse in derFertigung. Die Versorgung der einzelnen Bandabschnitte mit Zulieferteilen, -modulen und -systemen wird komplexer und vielfältiger. Eine zukunftsfähige Fabrik muss also pro-aktiv neuen Bedürfnissen begegnen und neue Technologi-en und Materialien in bestehende Prozesse integrieren.

Flexibilität wird zum Wert an sichDie BMW Group hat sich für die Herstellung individueller Fahrzeuge entschieden. Die damit einhergehende hohe Komplexität im Produkt, aber auch im Prozess wird ge-nutzt, um die für den Kunden beste und innovativste Lö-sung zu realisieren. Der Umgang mit Komplexität ist eine Kernkompetenz des Unternehmens geworden.

Die Dynamik des Wandels, die mit der stetig zunehmen-den Komplexität einhergeht, wird als Chance begriffen, um einen Mehrwert für den Kunden zu generieren. Die Logistik ist dabei ein zentrales Element zur Verknüpfung des Kundenorderprozesses mit der Supply Chain und dem termintreuen Auslieferungsprozess.

Der Kunde: Anspruchsvoll und individuell

Angesichts der schon heute ausgeprägten Individualität des Kunden und die dadurch stetig steigende Zahl von Varianten und Konfi gurationsmöglichkeiten ist davon aus-zugehen, dass das Kundenverhalten von morgen an Indivi-dualität zunimmt. Schon heute verbirgt sich hinter nahezu 100 Prozent aller Fahrzeuge bei Produktionsstart bereits der Auftrag eines Endkunden oder Händlers. Durch diese Built-to-Order-Strategie erhöht sich die Kundenzufrieden-heit aufgrund der kundenspezifi schen Individualität des Fahrzeugs, Rabattaktionen werden seltener, Kapitalkos-ten niedriger und – ein nicht unbeträchtlicher monetärer Aspekt – die Fahrzeugausstattungen werden hochwerti-ger. Denn der Kunde, der bis zu sechs Tage vor Montage-start seine Bestellung ändern kann, nimmt diese Orderän-derung in der Regel mit dem Trend zur hochwertigeren Ausstattung vor. Jeden Monat werden zwischen 120 000 und 140 000 Orderänderungen vorgenommen, das sind im Durchschnitt 1,2 je Fahrzeug. Dem Kundenwunsch kann entsprochen werden, weil der Produk tionsprozess selbst stabil und von Marktschwankungen freigehalten wird.

Prinzip Wandel – Strukturen im Einklang mit heutigen und zukünftigen Produkten und Prozessen

Der Wettbewerb um Innovationen und der Kostendruck in der Automobilindustrie wird angesichts weiter steigender weltweiter Überkapazitäten noch intensiver werden. Da-bei leistet die Logistik einen wichtigen Beitrag, Zukunft zu gestalten. Mit der wachsenden Anzahl von Modellen und Varianten, der kundenindividuellen Fertigung und der Verkürzung von technischen Innovationszyklen steigt auch die Komplexität der Logistikplanung und der Materialver-sorgung weiter drastisch an. Die nachhaltige Bewältigung von Komplexität und Dynamik wird zu einem der wesent-lichsten Erfolgsfaktoren der Zukunft. Komplexität ist nicht allein das Resultat steigender Produkt- und Kundenan-forderungen, denn sie wird insbesondere dann stärker wahrnehmbar, wenn sich Prozesse verändern, um Produkt-innovationen für den Kunden verfügbar zu machen. Denn

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261Nikolaus Bauer

so sicher die Einführung neuer Produkte und Prozesse im Lebenszyklus eines Werkes prophezeit werden kann, so vage können von Beginn an die daraus resultierenden An-forderungen an Produktion und Logistik abgeschätzt wer-den. Sind im späteren Verlauf Strukturanpassungen erfor-derlich, besteht latent die Gefahr von Effi zienzverlusten, die aus den Begrenzungen der existierenden Prozesse und Strukturen resultieren. Das Ergebnis sind historisch bunt und uneinheitlich zusammengewachsene Werksstruk-turen, die keine durchgängig effi zienten Prozesse mehr zulassen. Die Struktur einer Fabrik muss daher nicht nur hocheffi ziente Prozesse für die Gegenwart ermöglichen, sie muss auch hochfl exibel auf neue Anforderungen der Produkte und Prozesse reagieren können.

Die Logistik ist zur langfristig optimalen Erfüllung ihrer Aufgabe auf wandlungsfähige Strukturen in der Fabrik an-gewiesen. Will die Logistik ihren wesentlichen Prinzipien gerecht werden, so müssen diese bereits in der Fabrik-planung berücksichtigt werden. Die zentrale Dimension der Wandlungsfähigkeit liegt dabei in der Mobilität und Flexibilität von Gebäudeelementen, Technik, Personal und Wissen.

Strukturen – Prinzip der Modularität und Flexibilität

Die Wandlungsfähigkeit einer Fabrik muss nicht nur orga-nisatorisch verankert, sie muss auch auf dem Grundstück,

in den Gebäuden und an den Arbeitsstationen umsetzbar sein. Voraussetzung für eine höhere Strukturdynamik der Produktionssysteme ist dabei grundsätzlich erst einmal eine hohe Nutzungsneutralität und Erweiterbarkeit der Gebäude und der Produktionsfl ächen sowie eine hohe in-nere Mobilität der Anlagen und Ressourcen. Einheitliche Schnittstellen im Material- und Informationsfl uss sowie modulare Fabrikbausteine verringern die Komplexität bei Erweiterungsvorhaben, erhöhen die Integrationsge-schwindigkeit und ermöglichen so die aufwandsarme Anpassung der Strukturen ohne Störung des laufenden Fabrikbetriebs.

Prozesse – Prinzip der Standardisierung und Stabilität

Gilt es, die Mitarbeiter in ihrer Flexibilität, Individualität und Kommunikation zu fördern, um ihr volles kreatives Potenzial zur Geltung zu bringen, ihre Veränderungsbe-reitschaft zu erhöhen sowie die Bausteine der Fabrik mög-lichst modular, nutzungsneutral und mobil zu gestalten, so sollten Informationsfl üsse, Materialfl üsse und Prozesse in hohem Maße standardisiert und stabil organisiert sein, damit wiederum ihre einfache Veränderungsfähigkeit ge-währleistet ist. Durch einen hohen Grad der Vereinheitli-chung können die Folgekosten von Prozessveränderungen deutlich reduziert werden. Gleichzeitig erhöhen Standards in Segmenten die Transparenz, verringern die Komplexität

Abb. 1: Die Werksstruktur leitet sich aus den Prozessen ab

Mitarbeiter/Besucher

Erweiterungsfläche

Lackiererei

Karosseriebau

z.B. für alternative Fertigung

z.B. für Presswerk

z.B. für Presswerk

Montagez.B. für alternative Werkstoff-lackierung

VZSüd

VZOst

Mitarbeiter

AuslieferungFertigfahrzeuge

Teileversorgung

Page 223: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

262 Die Fabrik von heute für das Auto von morgen

und sind somit Voraussetzung für eine langfristige Stei-gerung der Effi zienz. So kann zum Beispiel dadurch, dass einer bereits lackierten Karosserie erst bei Montagestart der spezifi sche Kundenauftrag zugeordnet wird, über Standard-Produktionsabrufe der JIS-/JIT-Anteil erhöht werden, wodurch sich Bestände, Handling, Flächen- und Behälterbedarf im Werk verringern.

Architektur und Gebäude – das ganze Werk ist Logistik

Aus dem Planungsprozess für das Werk Leipzig ergab sich eine Vielzahl von logistischen Prämissen für die Umset-zung, von denen sich wiederum eine Vielzahl in den reali-sierten Strukturelementen wiederfi ndet. Sinngemäß kann man sagen: „Das ganze Werk ist Logistik“, stellt es doch ein architektonisches Flussdiagramm dar.

Die Entkopplung von Material- und Personenströmen war eine der Planungsprämissen im Werk Leipzig. Und so wurde das Central-Core-Prinzip nicht nur material-fl ussorientiert, sondern insbesondere auch mit Blick auf eine Entzerrung der Personen- und Material- beziehungs-weise Produktströme ausgeplant. Der Karosseriebau, die

Lackiererei und die Montage grenzen jeweils direkt an das Zentralgebäude, womit ein sternförmig angelegter Gesamtkomplex entstanden ist. In den Versorgungszent-ren werden Komponenten von internen und externen Lie-feranten vormontiert und in der für die Produktion benö-tigten Reihenfolge, also „sequenzgenau“ für die Montage bereitgestellt. Diese Strukturen bieten einerseits die not-wendige Flexibilität, andererseits stellen sie die Entkopp-lung von den Fertigungsbereichen und -prozessen dar.

Von den 208 Hektar des Werksgeländes sind mit über 30 Hektar aktuell nur circa 15 Prozent der Fläche bebaut. Verlängerungen oder sogar Spiegelungen von Produk-tionshallen sind bei wachsendem Kapazitätsbedarf prob-lemlos möglich.

Ein detaillierter Flächennutzungs- und -entwicklungs-plan stellt sicher, dass unterschiedlichste technische Entwicklungsszenarien ohne Effi zienzverluste integriert werden können.

Vier Finger für eine optimale Versorgung

Eine der Besonderheiten des Werkes Leipzig stellt die etwa 600 Meter lange Montagehalle dar. Deren vier

Abb. 2: Die hochflexible Struktur der Montagehalle ist einzigartig

Erweiterbarkeit

Integration neuerTechnologien möglich

Anordnung der Fixpunkteauf einer Achse

Problemlose Erweiterbarkeitzwischen den Fixpunkten

Optimale Zugänglichkeit der Bänder für Direktbelieferungsumfänge

Sozialachse als robustes Elementzwischen den Bändern

Page 224: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

263Nikolaus Bauer

Gebäudefl ügel, die sich fi ngerartig ausstrecken, prägen den Charakter des Werkslayouts. Diese bislang in der Branche einmalige Fertigungsstruktur erlaubt es, Zulie-ferteile und vormontierte Module auf kürzestem Wege direkt an die Fertigungsbänder zu transportieren. Jeder Montageort kann durch Direktanlieferung versorgt werden. Wie bei der gesamten Werksplanung wurde auch hier die Wandlungsfähigkeit besonders berücksichtigt.

So ist beispielsweise die Integration zusätzlicher Montageinhalte durch das Verlängern einzelner Finger problemlos möglich. Selbst eine Verdopplung der Mon-tage- und Logistikfl ächen ist bei vergleichsweise niedri-gen Investitionen realisierbar: Die Fixpunkte, die durch kurze, komplexe und nur mit hohem Aufwand verlagerbare Automatikstationen entstehen, liegen entlang der Haupt-achse. So müssen sie nicht verlagert werden, sollte ein-mal der Bedarf bestehen, die Produktionskapazität durch Verlängerung der Finger oder mittels einer Spiegelung des Montagegebäudes zu erhöhen. Selbst dann besäße das Montagegebäude nach wie vor eine Struktur, die logis-tisch optimale Prozesse ermöglicht.

Besondere Aufmerksamkeit fand die Planung der Di-rektanliefertore: Auch sie sollten möglichst einfach zu verlagern sein. Durch Standardisierung der für die JIS-/

JIT-Versorgung vorgesehenen Tore und durch die Gestal-tung der Verbindungszunge für die Höhenjustierung der Lkw nach außen sind die Tore versetzbar. Falls sich der Verbauort eines Lieferteils am Band verlagert, kann auch das Tor schnell und kostensparend verlagert werden – wenn es sein muss, an nur einem Wochenende.

Um die für die logistischen Tätigkeiten erforderlichen Wege möglichst kurz zu halten, die Reproduzierbarkeit undStabilität der Versorgungsabläufe sicherzustellen, wurdenaus der Vielzahl denkbarer und in der Industrie üblicher Versorgungsabläufe genau drei defi nierte Standardbeliefe-rungsformen ausgewählt. Diese sorgen während des Produk -tions prozesses für die sequenzgenaue und zuverlässige Ver -sorgung der Montage mit vormontierten Modulen, Systemen und Einzelteilen. Dieses Konzept führt in der Umsetzung zueiner für die Logistik bedeutsamen und vorteilhaften Entzer-rung der Produktkomplexität sowie zur Verringerung der Vari-anz und Erhöhung der Stabilität im Hauptmontageprozess.

Bei der EHB (Elektrohängebahn) gibt es nur einen Trans-portkreislauf für Module und Türen zwischen den Versor-gungszentren und der Montage im Einbahn-Ringverkehr. Dadurch entfallen Überholvorgänge, und die Störanfällig-keit wird reduziert.

Damit die EHB auch künftige Verbauorte erreicht, die nicht in die aktuelle Linienführung integriert sind, wurden die Hallenhöhe der Montage sowie der Transportkorridor zu den Versorgungszentren einheitlich oberhalb von neun Metern freigehalten.

Das FTS (Fahrerloses Transportsystem) fi ndet auf einer Gesamtstrecke von bis zu acht Kilometern mit mittler-weile 79 fahrerlosen Transportfahrzeugen seinen Weg zum exakten Verbauort. Die Besonderheit: Es gibt keine festen Fahrwege über Induktionsschienen. Die Fahrzeuge sind durch Trägheitsnavigation frei programmierbar und navigierbar. Zusätzlich sind Magnete im Boden eingelas-sen, die den Fahrzeugen als Referenzpunkte dienen.

Die geringe und überaus stabile Andienzeit für die Ver-sorgung der Bandabschnitte bewirkt eine Versorgungs-sicherheit, die ein „Hamstern“ von Verbauvorräten und damit den Bedarf an montagenahen Lagerfl ächen obsolet macht. Diese Prozesssicherheit ermöglicht darüber hin-aus eine fast staplerfreie Fabrik und somit die ungestörte Konzentration auf die Montagetätigkeiten.

Der Lieferant im Werk

Die strukturelle Entkopplung der Vormontagen wird im Werk Leipzig auch durch die Eigenleistungsgrenze unter-stützt. Entsprechend der Kerneigenleistungsstrategie von

Abb. 3: Die drei Versorgungswege für die Montage

Direktanlieferung per Lkw

Große Teile von geringer Komplexität, aber hoher Variantenvielfalt.

Beispiel: Kofferraumverkleidung, Kabelbaum

15 Prozent des Gesamtvolumens

Versorgungsvolumen Montage gesamt: circa 10.000m3/Tag

Modulanlieferungen per Elektrohängebahn

Große, komplexe Baugruppen in hoher Variantenvielfalt, die in Versorgungszen-tren auf dem Werksgelände vormontiert werden.Beispiel: Cockpit, Sitze, Türen

70 Prozent des Gesamtvolumens

Lagerware per fahrerlosem Transportsystem

Teile, die nicht täglich einen Lkw füllen würden, werden im Versorgungszentrum Ost gelagert, (geringer Wert, geringes Lagervolumen)Beispiele: Batterie, Lenkrad, Rückspiegel

15 Prozent des Gesamtvolumens

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264 Die Fabrik von heute für das Auto von morgen

BMW montieren interne und externe Lieferanten Kompo-nenten und Module. Zur Beschleunigung der Qualitätsre-gelkreise und Intensivierung der Zusammenarbeit sind die wichtigsten Modullieferanten in Versorgungszentren auf dem Werksgelände angesiedelt. Der Abruf durch BMW und die Bereitstellung für den Verbau im Fahrzeug erfolgen sequenzgenau, das heißt in genau der Reihenfolge, in der die kundenspezifi schen Fahrzeuge gebaut werden. Die Produktion erfolgt dabei synchron mit der Fertigungsbe-standsreichweite von 20 Minuten.

Fremdvergabe der physischen Logistik

Die physische Logistik wird vollständig von Dienstleistungs-partnern übernommen. Mitarbeiter der Firmen Schenker, Rudolph und AFG leisten alle Aufgaben im Rahmen der physischen Logistik. Die Vorteile eines Logistikdienstleis-ters sind offensichtlich: Know-how und Kostenvorteile steigern nicht nur die eigene Effi zienz, sondern vor allem auch die Flexibilität. Daher galt es lange vor Erreichen der Kammlinie, frühzeitig ein zentrales Partnermanagement zu implementieren. Übergeordnete Ziele des Partnerma-nagements sind die stetige Prozessoptimierung und die

Festigung der Geschäftsbeziehung. Im Rahmen des Dienst-leistereinsatzes wurden für geeignete Umfänge Flächen an Dienstleistungspartner vermietet. Dadurch konnte dieEinstiegsbarriere für den Logistikdienstleister verringert werden. Außerdem können einzelne Umfänge jederzeit ausgegliedert werden, da die Vergabe an einen Dienst-leister mit geeigneten Vertragslaufzeiten, Vereinbarun-gen über Ausstiegsmöglichkeiten und dementsprechend getrennten Eigentumsverhältnissen der Ausrüstung er-folgte. Ausschreibungsprozess und Vertragsgestaltung unterlagen standardisierten Modulen.

Produktionssteuerung

Im Werk Leipzig werden alle Teilversorgungs- und Produktions-prozesse mithilfe der IT gesteuert. Nach diesem Verständnis ist die IT der Logistik zugeordnet. Die Leipziger IT-Land-schaft wird hierbei durch drei organisatorisch getrennte, jedoch fachlich und im Alltagsgeschäft eng miteinander verzahnte Fachbereiche repräsentiert. Das IT-Management verantwortet die Verfügbarkeit von über 180 eingesetzten Produktivsystemen von der Auftragssteuerung bis zur Erfas-sung der Abfallmengen im Werk. Die Leipziger IT garantiert

Abb. 4: Die Module-EHB versorgt die Montage sequenzgenau mit großvolumigen Bauteilen aus den Versorgungszentren

Ausbau Türen

Leitungspaket

Cockpit

Himmel

Einbau SitzeEinbau Türen

Hochzeit

FrontendFrontend

Antriebsmodul

Himmel

Cockpit

Sitze

Separate Türenmontage

Leitungspaket

VZ Ost

VZ Süd

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265Nikolaus Bauer

Stabilität in den Prozessen und Flexibilität durch schnelle Re-aktionszeiten sowie eine von allen Arbeitsplätzen jederzeitabruf bare transparente Visualisierung des gesamten Produk-tionsprozesses einschließlich des Störgeschehens in der Fertigung. Ziel ist es, eine maximale Verfügbarkeit der Sys-teme bei gleichzeitiger Minimierung der Risiken und Kosten sicher zustellen. Dabei wird durch den Einsatz innovativer Technologien und schlanker Prozesse die ideale Verbindung von Mensch, Technik und Prozess geschaffen.

Das Resultat

Während die europäische Automobilindustrie aktuell durch Überkapazitäten gekennzeichnet ist, lastet die Kunden-nachfrage das Produktionsnetzwerk der BMW Group voll aus. Und so stellt das Werk Leipzig bereits heute unter Beweis, dass es ein verlässlicher Partner im Produk-tionsnetzwerk ist. Dank der fl exiblen Strukturen steht neuen Herausforderungen nichts im Wege. So wurden mittlerweile zwei der vier Finger der Montagehalle ver-längert, um neuen Montagetakten Platz zu bieten. Auch die Teile- und Modulversorgung kann problemlos er-weitert werden: Alle Umfänge lassen sich im Rahmen

der drei defi nierten Standardversorgungsprozesse abbilden.Nur wenige Monate nach Produktionsstart wurdedie vereinbarte Stückzahl erreicht. Bis Dezember 2007wurden im Werk Leipzig 331 049 Automobile produziert –alle auf dem Qualitätsniveau der anderen BMW-Werke. Im BMW-Werkevergleich verzeichnet die Logistik des Werkes Leipzig allerdings eine deutlich verbesserte Kostenstruktur: Die Kostenvorteile ergeben sich u. a. aus dem umfassenden Dienstleistereinsatz, den standardi-sierten Automatisierungsumfängen, aber nicht zuletzt auch durch die Direktanlieferungen mit verbauortnaher Heckentladung.

Ausblick

Auch nach einem störungsfreien Anlauf muss die Zukunfts -fähigkeit neu hinterfragt werden. Dabei gilt es einerseits, die einmal gesetzten Prämissen immer wieder aufs Neue auf den Prüfstand zu stellen. Andererseits dürfen neue Ansätze das Gesamtssystemverhalten nicht aus dem Gleichgewicht bringen.

So ergab eine im Jahr 2007 durchgeführte sorgfäl tige Untersuchung der Werksstrukturprämissen sowie der

Abb. 5: Werk Leipzig

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266 Die Fabrik von heute für das Auto von morgen

Logistikstandards, dass die in der Planungsphase des Werkes definierten Prämissen und Standards auch sechs Jahre nach Entscheidung für den Standort Leipzig nichts an ihrer Aktualität verloren haben. So wurde z. B. die früh-zeitige Entscheidung für die Ansiedlung von Vormontagen großvolumiger und variantenreicher Module wie z. B. der Türen und Achsen bestätigt. Die logistisch optimierte Anbindung dieser Module aus den Versorgungszentrenauf dem Werksgelände ermöglicht kurze Wege zum Verbauort, die taktsynchrone Produktion und JIS-Versor-gung der Montage sowie eine variierbare Fertigungstiefe. Direkt am Hauptband sind Vormontagen nur dann zulässig, wenn sie umtaktungsflexibel sind und keinen zusätzlichen Strukturbedarf erfordern. Sind diese

Kriterien erfüllt, können kleinere Montagetätig-keiten auch in unmittelbarer Hauptbandnähe durch-geführt werden.

Ebenfalls bestätigt wurden die drei Versorgungs-prozesse. Pilothaft untersucht wird derzeit die Fluss-optimierung der Direktanlieferungsumfänge durch eine Verkürzung der Liefer- und Bereitstellfrequenzen (realisierbar durch Milkrun, Lkw-Taktung, bedarfs- orientierte Bereitstellung etc.). Insbesondere dieBereitstellung beinhaltet derzeit noch nicht gänzlichausgeschöpfte Potenziale: Die Integration von bandnahenSupermärkten und Durchlaufregalen verspricht weitereBestands minimierungen am Verbauort sowie die Reduzie-rung von Wegezeiten für die Montagemitarbeiter.

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Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung

Ekkehard Gericke

Vorstand Order Fulfilment Management der Festo AG

Festo wurde 2003 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.

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Dr.-Ing. Ekkehard GerickeJahrgang 1947Gericke ist seit 2001 Vorstand für das Order Fulfi lment Management bei der Festo AG, Esslingen. Nach dem Studium des Maschinenbaus und Industrial Engineerings an der Technischen Universität Hannover, der Universität Stuttgart und der Oregon State University, Corvallis, USA erfolgte 1980 die Promotion

zum Dr.-Ing. an der Universität Stuttgart. Anschließend folgte der Einstieg bei BMW in der Produktionsplanung und schließ-lich die Fertigungsleitung Montage im Werk Dingolfi ng. In ver-schiedenen deutschen Maschinenbauunternehmen war Gericke Vorstand.

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Ausgangslage

Der Weltmarkt für pneumatische und elektrische Automa-tisierungstechnik zeichnet sich seit Jahren durch zuneh-mende Komplexität der Kundenanforderungen aus. Dies geht einher mit der wachsenden Segmentierung in Teil-märkte für Spezialanwendungen. Zu den volumenstärks-ten Absatzmärkten von Festo zählen die Automotive- und die Elektronikindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau sowie die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie, seit geraumer Zeit auch die Prozessindustrie. Alle diese Bran-chen sind durch die folgenden Trends gekennzeichnet:

• fortlaufende Globalisierung der Investitions-, Einkaufs- und Projektstrategien,

• Verlagerung der Massenproduktion in Regionen mit niedrigen Lohnkosten,

• steigende Ansprüche der Kunden an die Technologie-kompetenz des Lieferanten,

• perfektes Fulfi lment,• integrative Zusatzleistungen, • Vor-Ort-Präsenz und• Bereitschaft zu dauerhafter Systempartnerschaft.

Das Unternehmen – FestoDas Familienunternehmen Festo mit Hauptsitz in Esslingen hat sich zum Ziel gesetzt, diese Herausforderungen anzu-nehmen. So ist es Festo in den letzten Jahren in einem an-spruchsvollen Umfeld gelungen, seinen Anteil am Pneumatik-weltmarkt kontinuierlich auszubauen. Das Umsatzwachstum von Festo lag in den letzten Jahren über dem durchschnittli-chen Wachstum des deutschen Maschinenbaus. Das global ausgerichtete Unternehmen hat sich durch Innovationen und Problemlösungskompetenz in der pneumatischen und elektrischen Antriebstechnik zum Leistungsführer seiner Branche entwickelt. Abgerundet wird das Leistungsspek-trum mit einem weltweit einzigartigen Angebot an Aus- und Weiterbildung in zahlreichen Sprachen. Neben dem innova-tiven und breiten Produktportfolio sind die Erfolgsfaktoren von Festo die Problemlösungs- und Beratungskompetenz des Vertriebes, eine durchgängige globale IT-Struktur, eine schnelle und zuverlässige Marktversorgung, eine hohe Kun-

denorientierung und qualifi zierte, zufriedene Mitarbeiter. Weltweit beschäftigt Festo 12 000 Mitarbeiter, der Umsatz für das Geschäftsjahr 2007 liegt bei rund 1,6 Mrd. Euro.

ProdukteDas Basisangebot von Festo bilden pneumatische und elektrische Antriebe, Ventile, Ventilinseln, installations-sparende Anschlusstechnik, Handhabungs- und Monta-getechnik, Druckluftaufbereitung, Verbindungstechnik, Vakuumtechnik, Lage- und Qualitätsprüfung, Sensorik und Steuerungstechnik in Verbindung mit einem umfassenden Aus- und Weiterbildungsangebot. Darüber hinaus gehören einbaufertige Subsysteme ebenso zum Programm wie ab-gestimmte Branchenlösungen für die Automobil-, Elektro-nik-, Nahrungs mittel- und Verpackungs- und die Prozessin-dustrie, spezialisierte Lösungen für regionale Märkte und individuelle Lösungen für Einzelkunden.

Neben 25 000 Katalogprodukten bietet Festo auch kunden-spezifi sch gefertigte Systemlösungen an. In der Vergangenheit bestellten die Kunden die notwendigen 200 verschiedenen Teilenummern einzeln und mussten diese Komponenten dann vereinnahmen, lagern, montieren, aufeinander abstimmen, in Betrieb nehmen, Änderungen verwalten und aufwendige Rechnungen prüfen. Der Vorteil des komplett montierten Handlings für den Kunden liegt auf der Hand: eine Teile- und Bestellnummer, defi nierte Schnittstellen (Mechanik, Pneu-matik und Elektrik), geprüft, dokumentiert und einbaufertig.

Festo bietet auch weiterhin einzelne Komponenten an. Betrachtet man jedoch den kompletten Prozess, so ist der Bezug einbaufertiger Subsysteme hochgradig wirtschaft-lich. Die Komplexität solcher Subsysteme kann durch den Hersteller Festo wesentlich besser beherrscht werden als durch den Kunden, der Handlingsysteme nur projektbezo-gen konstruiert, montiert und einzeln in Betrieb nimmt.

Logistik- und Produktionsstruktur

LieferquellenstrukturLieferquellen sind alle Erzeuger von Waren, die für die Versorgungskette benötigt werden:

Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierungder MarktversorgungEkkehard Gericke

Page 231: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

272 Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung

• externe Lieferanten für Material und Komponenten für die interne Produktion

• Lieferanten für Handelsware, also verkaufsfähige Zu-satzprodukte

• Global Production Centre (GPC): interne Lieferanten von Komponenten und Produkten

• Unterlieferanten: externe Lieferanten zur Unterstüt-zung der GPC

• Regional Service Centre (RSC): interne Logistikcenter inklusive der Produktion kundenspezifi scher Baukasten-produkte zur Versorgung eines transnationalen Wirt-schaftsraums

• National Service Centre (NSC): interne Produktion zur Versorgung nationaler Märkte.

Die Grundstruktur der Vernetzung der Lieferquellen zu einer Marktversorgungskette zeigt Abbildung 1. Die End-kunden werden von den ineinander gestaffelten externen und internen Lieferquellen bedient. Die Distributionslogis-tik zum Endkunden hin wird von externen Dienstleistern übernommen. Schnittstelle ist dabei die Auslieferrampe des jeweiligen Logistikstandorts (RSC oder NSC).

LieferantenLieferanten sind externe Partner, die Materialien und Komponenten für die Produktion oder Handelswaren lie-fern. Festo steuert über sein Global Purchasing Network (GPN) ca. 650 Lieferanten, die je nach strategischer Be-deutung in vier Klassen eingeteilt sind.

• Strategische Lieferanten (A-Lieferanten) sind hoch qua-lifi zierte Schlüssellieferanten, mit denen auch Produkt-neuheiten entwickelt werden können.

• Bedingt strategische Lieferanten (B-Lieferanten) sind bewährte Lieferanten, die das Potenzial besitzen, sich zu einem strategischen Lieferanten zu entwickeln.

• Sonstige Lieferanten (C-Lieferanten) sind vielfach klei nere, lokale Partner von Festo, die Festo bei der

Sicherstellung der Versorgung, der Abdeckung von Kapazitätsengpässen und dem C-Teile-Management unterstützen.

• Die Beziehungen zu Auslaufl ieferanten (D-Lieferanten) werden aktiv oder passiv beendet.

Nur 40 Prozent der Einkäufer arbeiten in der Zentrale – der restliche Mitarbeiterstamm ist in den Auslandsgesell-schaften, um weltweit nahe an den Beschaffungsmärkten zu sein. Durch diese Aufteilung konnte das Einkaufsvolu-men außerhalb Deutschlands in sechs Jahren verdoppelt werden.

Global Production Centre (GPC)Die Festo-internen Lieferquellen, Global Production Cen-tres (GPC), liefern primäre Komponenten und lagerhaltige Endprodukte für die Regional Service Centre (RSC). Diese erhalten ihr Vormaterial und ihre Komponenten von Lie-feranten. Zum Kapazitätsausgleich greifen die GPCs auf Unterlieferanten zu.

Die GPCs werden in Leit- und Versorgungswerke un-terschieden. Ein Leitwerk hat die Aufgabe, für die ihm zugeordnete Produktgruppe oder Technologie alle im Wett bewerb relevanten Merkmale wie Lieferzeiten, Lie-fertreue, Bestände, Technologie und Qualität für den glo-balen Produktionsverbund zu sichern und auszubauen. Für jede Produktgruppe und jede Technologie gibt es jeweils ein GPC mit Leitwerkfunktion. Für diese Aufgaben erhält ein Leitwerk Ressourcen und Ansprechpartner, die für die Herstellung der Produkte des Leitwerkes nicht herstell-kostenrelevant sein dürfen. Das Leitwerk verfügt über ei-nen vollständigen Überblick über die Anwender der Tech-nologie im Werks- und Lieferantenverbund. Das Leitwerk hat den Überblick über Kapazitäten, Betriebsmittel und Prozesse aller Versorgungswerke und hat hinsichtlich der Technologie Richtlinienkompetenz. Kapazitätserweiterun-gen an allen Standorten sowie die Auswahl des Standor-tes für eine neue Technologie erfolgen über das Leitwerk.

Abb. 1: Marktversorgungsstruktur

Lieferanten für Handelsware

Lieferanten für Material und Komponenten

Endkunden

Regional Service Centre (RSC)

National Service Centre (NSC)

Unterlieferanten

Global Production Centre (GPC)

Page 232: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

273Ekkehard Gericke

Ein Versorgungswerk ist ein GPC-Werk ohne Leitwerk-funktion, ein RSC oder ein NSC.

UnterlieferantenUnterlieferanten sind externe Partner, die Teilprozesse (z. B. Oberfl ächenbehandlung) innerhalb der Produkther-stellung für ein GPC übernehmen.

Regional Service Centre (RSC)RSCs sind die Versorgungsquellen der Vertriebsgesell-schaften und, wenn es die Verkehrsinfrastruktur und Zoll-/Währungsgrenzen erlauben, auch Versorgungsquel-le direkt für die Endkunden in den großen Währungs- und Wirtschaftsräumen. Die RSC verfügen über Lagerware und eine kundenspezifi sche Fertigung und Montage für die Baukastenprodukte ihrer Region. Endprodukte werden lagerhaltig bevorratet oder kundenauftragsspezifi sch ge-fertigt. Ziel ist es, einen möglichst hohen Anteil der in-ternen Wertschöpfung erst nach Eingang oder nahe am Kundenauftrag in der Region zu erstellen.

RSCs werden von den Lieferquellen des Produktions- und Beschaffungsverbundes beliefert, zunächst über die Logistikfunktion des RSC Europa, bei wirtschaftlichen Liefermengen dann direkt aus den Produktionsstandorten oder von Lieferanten. Übergeordnetes Ziel ist es, alle End-kunden direkt aus den RSCs zu beliefern, d. h. ohne Zwi-schenlagerung der Ware in den Vertriebsgesellschaften, weil damit die kürzestmöglichen Lieferzeiten bei minima-ler Kapitalbindung erreicht werden können. Die Vertriebs-gesellschaften in den Ländern haben nach dem Kunden-auftrag mit der physischen Auslieferung nichts mehr zu tun; das Auftragsmanagement, die Verpackung und die Belieferung durch einen Dienstleister erfolgen in Verant-wortung der Zentrale und direkt an die Eingangsrampe

des Endkunden. Festo ist in Europa in der Lage, rund 95 Prozent des Umsatzes direkt aus dem europäischen RSC im Saarland an die Endkunden in West- und Ost-europa auszuliefern.

Voraussetzung für die Direktbelieferung sind hohe Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, schnelle Auftrags-durchlaufzeiten und eine gute Verkehrsinfrastruktur, um den Nachteil größerer Entfernungen zu neutralisieren. Gleichzeitig muss die begleitende IT-Struktur in der Lage sein, Material-, Informations- und Geldströme getrennt zu steuern. Eine Direktbelieferung zum Endkunden ist die schnellstmögliche Auslieferform im Verbund mit einer hochproduktiven Zentrallagerstruktur. Dezentrale Bestän-de schmelzen ab, durch die verringerten Schnittstellen sinkt die Fehlerwahrscheinlichkeit.

Abbildung 2 verdeutlicht den Unterschied zwischen ei-nem Global Production Centre (GPC) und einem Regional Service Centre (RSC).

Die weltweiten Standorte (GPC und RSC) sind in Abbil-dung 3 dargestellt.

National Service Centre (NSC)Kunden, die auftragsspezifi sche Ware in kleinen Men-gen mit kürzester Lieferzeit benötigen und selbst über Expressbelieferung aus einem RSC nicht marktgerecht bedient werden können, erhalten ihre Ware aus dem NSC (Produktionsstätte mit minimalistischer Ausstattung) der Festo-Vertriebsgesellschaften.

Komplexitätssteuerung durch selbststeuernde Regelkreise

Die Herausforderung an die Marktversorgung eines Global Players besteht darin, alle Kunden zuverlässig mit hoher

Abb. 2: Unterscheidung Global Production Centre und Regional Service Centre

Rohmaterial und Komponenten

Unikat mit Kernkompetenz

kundenauftragsneutral,Supply Chain, Mindestgröße, Währung, local content, Transport, Zoll

Optimierungsziel: Herstellkosten

Handelsware

Multipler Werkstyp, benchmarkfähig

kundenspezifi sch, Warenbestand für 85 % des regionalen Umsatzes,Direktbelieferung für Länder der Region

Optimierungsziel: Marktbedienung

lieferzeit-kritisch

Beschaffungsmarkt Absatzmarkt

Global Production Centre (GPC) Regional Service Centre (RSC)lieferzeit-unkritisch

Page 233: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

274 Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung

Termintreue bei niedrigen Beständen zu bedienen, und das angesichts des breiten Produktspektrums, der weltweiten Präsenz mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen über unterschiedliche Zoll-, Zeit- und Währungsgrenzen hinweg.

Die Steuerung globaler Netzwerke lässt sich entwe-der durch zentrale Administration oder durch dezentrale „Selbststeuerung“ nach globalen Regeln und Standards bewältigen. Festo verfolgt den zweiten Weg. Dabei werden zunächst Ziele und Rahmenbedingungen für die selbststeuernden Regelkreise durch ein übergeordnetes Zielsystem mittels der Balanced Scorecard synchroni-siert. Das Zielsystem hat die notwendige Balance zwi-schen monetären und nichtmonetären Zielen zu gewähr-leisten. Globale Netzwerke benötigen zentrale Vorgaben und Standards, damit dann die operative Selbststeuerung dezentral oder automatisch nach einheitlichen Regeln ab-laufen kann.

Produktionssteuerung der internen Lieferquellen (GPC)Die Stärke einer Kette wird von ihrem schwächsten Glied bestimmt. Das schwächste Glied einer Prozesskette wird im Folgenden als Engpass bezeichnet. Der Schlüssel zum Optimieren einer Prozesskette liegt darin, sich auf diesen Engpass zu konzentrieren. In der klassischen Fertigungs-organisation wurde jeder Prozessschritt für sich lokal betrachtet und optimiert, die gesamte Produktionskette geriet aus dem Blick. Bei der Konzentration auf den Eng-

pass werden hohe Losgrößen, lange Durchlaufzeiten, lan-ge Qualitätsregelkreise, schlechte Termintreue und hohe Bestände bei geringem Kapitalumschlag vermieden. Da-durch, dass in das richtige „Kettenglied“ investiert wird, steigert sich der gesamte Durchsatz.

Wenn die Prozessschritte, die Engpässe darstellen, maximal genutzt werden, ist auch die gesamte Produk-tionskette maximal produktiv. Die vorgelagerten Prozess-schritte arbeiten dem Engpass optimal zu. Sie steuern immer nur so viel Material in den Prozess ein, wie der Engpass verarbeiten kann. Dadurch werden die Durch-laufzeiten minimal und beschränken sich im Idealfall auf die Bearbeitungszeiten.

Die Entscheidung, welche Aufträge eingelastet wer-den, liefert das Replenishment (Wiederauffüllung). Im Replenishment werden für alle lagerhaltigen Teile obere (grüne) und untere (rote) Bestandsgrenzen definiert. Im Unterschied zu traditionellen statischen Dispositionsver-fahren sind diese Bestandsgrenzen dynamisch und passensich automatisch dem Marktbedarf an. Die Dimensionier-ung dieser Linien wird in Form von Algorithmen im IT-Steuerungssystem hinterlegt. Dieses Verfahren wird alsengpassorientierte Organisation (EOO) bezeichnet nachder Theory of Constraints (TOC) des Physikers EliyahuGoldratt. Nach Einführung dieses Steuerungssystems,das zu variablen Losgrößen führt, wird zunächst die Kapazität aller fabrikinternen Engpässe erhöht, danachwerden zukünftig auch externe Lieferquellen eingebunden.

Abb. 3: GPC- und RSC-Standorte

GPC Sao Paulo

GPC ShanghaiGPC Bangalore

GPC SimferopolGPC Ceska Lipa

GPC Budapest

Global Production Center

Regional Service Center

RSC SAM

RSC NAFTA

RSC EuropeGPC Rohrbach

GPC AarauGPC Biel GPC Berkheim

RSC ASEAN

Page 234: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

275Ekkehard Gericke

Dank des Engagements und der professionellen Kom-petenz der hauseigenen IT besitzt Festo in der SAP-Um-setzung weltweit eine Vorreiterrolle. Dieses Projekt zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der internen Liefer-quellen von Festo wurde stufenweise über mehrere Jah-re eingeführt und ausgebaut. Obwohl die Einführung von EOO im ersten Werk noch nicht vollständig abgeschlossen ist, sind bereits deutliche Erfolge sichtbar (Abbildung 4).

Der Kapitalumschlag stieg innerhalb von drei Jahren um 40 Prozent. Die Durchlaufzeit in der Montage konn-te um durchschnittlich 50 Prozent reduziert werden. Die Durchlaufzeit der (spanenden) Eigenfertigung ist sogar um 55 Prozent gesunken. Der Rückstand der Produktion konn-te um über die Hälfte reduziert werden.

Ausliefersteuerung der internen Lieferquellen (GPC)Traditionell geben die Bedarfsträger RSC den Produktions-standorten GPC das Produktions- und Lieferprogramm vor. Jedes RSC wird von mehreren GPC beliefert. Auch hier erweist sich eine dezentrale operative Selbststeuerung verteilter Produktionsstandorte als vorteilhaft gegenüber einer zentralen Steuerung. Dazu kann das Produktions-werk den Lagerbestand seiner Produkte im RSC selbst-ständig permanent erkennen. Die Standorte bestimmen daher selbst die Reihenfolge der Produktionsaufträge und steuern den Bestand auf ihren Lagerstufen und im zentra-len Lager selbst. Die Produktionsstandorte haben damit Dispositionsverantwortung für das von ihnen produzierte Teilespektrum im RSC. Durch die ganzheitliche Verantwor-tung für Qualität, Liefertreue, Verfügbarkeit und Kosten optimieren die Produktionsstandorte ihre Lieferleistung in eigener Regie. Die Leistung der einzelnen Standorte wird auf einem aggregierten Level an Rendite, Kapitalum-schlag, Qualität, Liefertreue und weiteren Kennzahlen ge-messen. Die operative Abwicklung und Kontrolle erfolgt selbstständig vor Ort.

Interne Lieferanten-Kunden-Beziehungen zwischen den Produktionsstandorten GPC und dem zentralen La-ger entlasten den Kunden RSC durch Übertragung von Dispositionsverantwortung, Kompetenzen und Aufga-ben. Dadurch wird die für eine zentrale Steuerung ty-pische Komplexität aufwandsminimal beherrscht. Die Selbststeuerung einer Lieferquelle kann aufgrund der informatorischen Nähe der Mitarbeiter innerhalb ei-nes Standortes sehr viel schneller zu Korrekturen bei Abweichungen führen. Beispielsweise konnte der Be-stand eines bestimmten Produktspektrums im RSC bei unveränderter Liefertreue zum Markt hin um mehr als 40 Prozent gesenkt werden (Abbildung 5). Ausliefersteuerung der externen Lieferquellen (Lieferanten)Der Aufbau eines weltweit einheitlichen IT-Systems für nahezu alle Unternehmensfunktionen ist ein zentraler Be-standteil der Unternehmensstrategie der Festo-Gruppe. Festo hat als einer der ersten Kunden von SAP sehr früh die Basis für eine Standardplattform gelegt und diese – mit wichtigen Impulsen für SAP – kontinuierlich selbst weiterentwickelt. Heute arbeiten nahezu alle Landesge-sellschaften auf einem einheitlichen Enterprise-Resource-Planning-System (ERP-System) und greifen dabei auf ge-meinsame, zentrale Stammdaten zu. Bereits in den 80er Jahren wurden Lieferanten mit elektronischem Datenaus-tausch (EDI) angebunden. Ab dem Jahr 2000 konnten die Lieferanten ihre aktuelle Bewertung im Supplier Rating System (SRS) abrufen.

Für die strategisch angestrebte Integration der Lie-feranten wurde gemeinsam mit einem IT-Partner der Inventory Collaboration Hub (ICH) erarbeitet. Festo stellt im ICH lieferantenspezifi sch seine Bedarfs- und Bestands-informationen zur Verfügung. Aufgrund dieser Daten disponiert der Lieferant den Nachschub seiner Teile ei-genverantwortlich. Die komplette Verantwortung für die

Abb. 4: Veränderung durch engpassorientierte Organisation

Kapitalumschlag

Durchlaufzeit

38 %

Rückstand

-80 % -60 % -40 % -20 % 0 % 20 % 40 % 60 % 80 %

-56 %

-63 %

Page 235: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

276 Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung

Lagerbefüllung, die Festlegung der Losgrößen sowie die Anzahl und Frequenz der Anlieferungen liegt ebenso beim Lieferanten wie die Auslösung der Beschaffungsvorgänge und die Umwandlung der geplanten Zugänge in Liefer-avise (Abbildung 6).

Der zuständige Disponent bei Festo gibt nur noch ei-nen Mindest- und einen Maximalbestand vor. Die Kom-plexität der Fertigung von zahlreichen verschiedenen Teilen wird damit direkt an der Quelle, beim Lieferanten, bewältigt. Die Vorteile für den Lieferanten sind eine lang-fristige Wertschöpfungspartnerschaft, ein Höchstmaß an Transparenz bezüglich der Geschäftsprozesse sowie die optimale Glättung der eigenen Fertigung und internen Prozesse durch die Entkopplung von fest vorgegebenen Lieferterminen. Für Festo und den Lieferanten lassen sich Prozesskosten reduzieren und Lagerbestände signifi kant senken. Die Anliefertermintreue verbesserte sich durch ICH um 16 Prozent (Abbildung 7).Festo trug damit wesentlich zur Entwicklung eines an-wenderfreundlichen, web-basierten Systems bei und ist

heute Pilotanwender auf diesem Gebiet. Der elektroni-sche Informationsaustausch wird über die Anbindung ent-weder mittels internetbasierter Plattformen oder direkt an das Festo-SAP-System realisiert: schnell, zuverlässig, fehlerfrei und zeitunabhängig. Damit folgt Festo auch bei der Lieferantenanbindung dem Prinzip selbststeuernder Regelkreise.

Steuerung der globalen MarktversorgungDie Vertriebsgesellschaften von Festo hatten in der Ver-gangenheit ihre eigenen Lagerbestände. Ab 1996 wurden die lokalen Lagerbestände in den einzelnen Vertriebsge-sellschaften wesentlich reduziert und die Belieferung der Endkunden mit Schwerpunkt Europa erfolgte durch die RSCs.

Die fortgeschrittene Vernetzung mit IT-Systemen er-möglichte es, in einer zweiten Stufe die Bestandshoheit der Vertriebsgesellschaften zentral zu steuern. Jede Teile-nummer ist global einem Disponenten zugeordnet, der die weltweite Bestandshoheit verantwortet. Vertriebsgesell-schaften werden nur beliefert, wenn ein Kundenauftrag vorliegt oder der Lagerbestand aufgefüllt werden muss. In diesem Fall erfolgt die Bestellung automatisch über die vernetzten ERP-Systeme. Alternativ kann der Disponent den Lagerbestand in Rücksprache mit der Vertriebsge-sellschaft aus strategischen Gründen erhöhen (z. B. bei Akquise, Wettbewerber lieferunfähig, kurzfristige Lie-ferzeiten gefordert). In diesem Fall muss kein Kundenauf-trag vorliegen. Gleichzeitig kann der Disponent zwischen Kundenauftrag und Nachschubauftrag unterscheiden mit

Abb. 5: Bestandsveränderung durch Ausliefersteuerung

Bestand

-60 % -40 % -20 % 0 % 20 % 40 % 60 %

-41,67 %

Abb. 6: Prinzip des Inventory Collaboration Hub

LieferantFesto

VertriebssystemInventory Collaboration Hub (ICH)SAP/RE

Bestand/BedarfMin- / Max-Bestände

Geplante Anlieferung

Lieferung Lieferavis

Wareneingang Bestand

Kundenauftrag

Alert

Page 236: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

277Ekkehard Gericke

eindeutiger Priorität für Kundenaufträge. Damit kann die Lieferquelle unterschiedlich reagieren, der Kundenauftrag hat immer Vorrang gegenüber einem Lagernachschubauf-trag, selbst wenn der schon länger platziert wurde. Dieses Steuerungssystem heißt Capable-to-Match (CTM).

Durch die Zentralisierung der globalen Liefer- und Nach-schubsteuerung von Festo kann der globale Lagerbestand deutlich gesenkt werden. Die Liefertreue bei CTM-Teilen konnte im Vergleich zu den klassisch disponierten Teilen um 5 Prozent verbessert werden (Abbildung 8). Zusätzlich ist jederzeit Transparenz über alle Lagerorte hinweg ge-währleistet. Zwischen den Lagerorten können unerwarte-te Bestellungen weltweit ausgeglichen werden.

Ergebnisse

Die von Festo gewählte Marktversorgungsstruktur er-möglicht eine hohe Lieferfähigkeit durch kurze Reaktions-zeiten, schnelle, zuverlässige und transparente Prozesse sowie globale Präsenz. Wesentliche Leistungskennwerte der globalen Marktversorgung konnten weiter deutlich verbessert werden (Abbildung 9).

In Regionen mit günstiger Verkehrsinfrastruktur wie z. B. Europa kann sogar ein 24h-Service für Kunden mit spezifi schen Produktanforderungen angeboten werden. Der Kunde bestellt ein konfi gurierbares Produkt (z. B. eine kundenspezifi sche Ventilinsel oder einen kunden-

Abb. 7: Veränderung durch Inventory Collaboration Hub (ICH)

Liefertreue

-80 % -40 % 0 % 40 % 80 %

16,2 %

Abb. 8: Veränderung durch CTM

Liefertreue

-10 % -5 % 0 % 5 % 10 %

5 %

Abb. 9: Veränderungen wesentlicher Kennzahlen 2001 – 2007

-100 % -80 % -60 % -40 % -20 % 20 % 40 % 60 % 80 %0 %

Kapitalumschlag

Anzahl Einkaufsteile [Teilenummern]

Verpackte Positionen

Lieferleistung

Supply-Chain-Mitarbeiter Deutschland

Umsatz pro Supply-Chain-Mitarbeiter

Auslandsbeschaffungsanteil

Lagerbestand Pneumatic

ppm-Rate

Non-quality costs

ppm-Rate Lieferanten - 86 %

- 52 %

- 47 %

- 13 %

12 %

12 %

18 %

32 %

39 %

64 %

78 %

Page 237: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

278 Hochgeschwindigkeitslogistik zur Optimierung der Marktversorgung

spezifi schen Zylinder) und erhält dieses innerhalb von 24 Stunden (Auftragseingang bei Festo bis Anlieferung beim Kunden europaweit). Für die Auftragsbearbeitung inklusive Produktion verbleiben dabei nur vier Stunden. Die Produktionmuss also im „Kundentakt“ fertigen und entsprechende freie Kapazitäten vorhalten. Anschließend wird das fertige Produkt verpackt, adressiert und einem Logistikdienstleister übergeben, der die Zustellung zum Kunden übernimmt.

Auch für Katalogprodukte ist eine hohe Lieferfähigkeit unabdingbar. Festo ist mit der erreichten Lieferfähigkeit Klassenbester in der pneumatischen und elektrischen Auto-matisierungstechnik. Mit einer hohen Termintreue der zu-gesagten Lieferungen haben Kunden von Festo den Vorteil einer verzögerungsfreien Produktion, niedriger Prozesskos-ten und hoher Kundenzufriedenheit. Denn auch die Lieferfä-higkeit von Kunden bildet die Grundlage ihrer Profi tabilität.

Page 238: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Extremlogistik im Landmaschinenbau

Ulf Leinhäuser

Leiter Produktionsentwicklung der CLAAS KGaA

Josip T. Tomasevic

Leiter Konzerneinkauf der CLAAS KGaA

Bülent Ileri

Leiter Transportlogistik der CLAAS KGaA

Peter Rudzio

Leiter Ersatzteillogistik der CLAAS KGaA

CLAAS wurde 2007 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.

Page 239: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Bülent Ileri

Jahrgang 1975Ileri leitet seit März 2004 die Trans-portlogistik der CLAAS Gruppe. Er lebt mit seiner Familie (ein Kind) in Harsewinkel (Ostwestfalen). Nach einer Ausbildung zum Spe-ditionskaufmann sowie einem Europäischen Studiengang zum Diplom-Wirtschaftsingenieur für

Logistikmanagement an der Hochschule Niederrhein und Hogeschool Venlo (Niederlande) arbeitete er von 2000 bis 2004 bei KPMG Consulting als Consultant für Supply Chain Management.

Peter Rudzio

Jahrgang 1970Rudzio ist seit 2004 als Leiter Lo-gistik in der CLAAS Service & Parts GmbH für das Bestandsmanage-ment, die Lager- und Distributions-logistik sowie die Steuerung des weltweiten Servicelogistik-Netz-werkes zuständig. Er begann seine berufl iche Laufbahn mit einem Stu-

dium zum Dipl.-Ing. für Maschinenbau im dualen System an der Berufsakademie Stuttgart. Seit 1994 ist er in verschiedenen Funktionen der Ersatzteillogistik bei CLAAS tätig und war un-ter anderem mit der Planung, Realisierung und Inbetriebnah-me des weltweiten Ersatzteillogistikzentrums von CLAAS in Hamm befasst. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Dr. Ulf Leinhäuser

Jahrgang 1965Leinhäuser leitet seit Januar 2005 die Produktionsentwicklung der CLAAS Gruppe. Er lebt mit seiner Familie (zwei Kinder) in Hamm (Westfalen). Nach Maschinenbau-studium und Promotion an der Uni-versität Hannover mit Schwerpunkt Produktionsorganisation sowie

einem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Leibniz-akademie Hannover arbeitete er bis 1999 als Berater bei A.T. Kearney Management Consultants als Experte für Supply Chain Management im Automotive-Bereich. Nach zwei Jah-ren beim amerikanischen SCM Softwarehouse i2 Technologies wechselte Leinhäuser 2001 zur Boston Consulting Group als Manager für Supply Chain Management und Produktionsent-wicklung.

Josip T. Tomasevic

Jahrgang 1967Tomasevic ist Leiter Konzerneinkauf der CLAAS Gruppe. Er studierte Maschinenbau-Fertigungssysteme an der FH für Technik in Esslingen. Seit 2004 ist er Leiter Konzernein-kauf der CLAAS KGaA mbH mit dem Aufgabengebiet Gesamtkoor-dination aller gruppenweiten, stra-

tegischen Beschaffungsaktivitäten. 2000–2004 war er Leiter Zentrale Beschaffung der Gildemeister AG. Davor konnte To-masevic sieben Jahre Erfahrung in den Bereichen Projektma-nagement und Materialwirtschaft gewinnen.

Page 240: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Die CLAAS Gruppe hat durch eine konzernweite Supply-Chain-Initiative ihre Strategie des profi tablen Wachstums nachhaltig umgesetzt und im Markt für Landmaschinen eine Spitzenposition im globalen Wettbewerb erreicht. Die Notwendigkeit zur Globalisierung entsteht durch das Wachstum der Weltbevölkerung – alle zwei Tage um die Einwohnerzahl einer Weltstadt wie Frankfurt am Main. Für CLAAS als Markt- und Technologieführer in der Agrar-technik erwächst der unternehmerische Auftrag aus der gesellschaftlichen Verantwortung, die stark wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft zu ernähren. Das Unter-nehmen hat diese Herausforderung angenommen und die globalen Absatz- und Beschaffungsmärkte durch Produk-tionswerke in Nordamerika, Russland und Indien weiter durchdrungen. Die operativen Produktgesellschaften und die Geschäftsführung der CLAAS Gruppe haben gemein-sam erkannt, dass nur ein weltweit integriertes Einkaufs-, Produktions- und Servicenetzwerk die Basis für profi tab-les Wachstum auf globaler Ebene bildet. Folglich wurden

in einer konzernweiten Supply-Chain-Initiative die glo-balen Wertschöpfungsprozesse ganzheitlich hinterfragt, neu gestaltet und konsequent aufeinander abgestimmt. Logistik ist für CLAAS zum Enabler für profi tables, globa-les Wachstum geworden.

Ausgangslage und Anforderungen an die Logistik

Als August Claas im Jahr 1913 die Firma CLAAS gründete, hatte er sicherlich noch keine Vorstellung von der Notwen-digkeit anspruchsvoller Logistiksysteme. Trotzdem setzte er bereits damals mit Teamarbeit, Anpassungsfähigkeit, Service-Verständnis und Innovationen Maßstäbe für die Logistik von heute.

Der Erfolg der Produkte machte es notwendig, die Produktionskapazitäten international auszubauen. So begann bereits 1962 die Internationalisierung mit einem Pressenwerk im französischen Metz. Es folgten weitere

Extremlogistik im LandmaschinenbauUlf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio

Abb. 1: Geschäftsentwicklung CLAAS Gruppe

Umsatz [in Mio. Euro] Ergebnis vor Steuern [in Mio. Euro] Umsatzrendite [in %]

2003 2004 2005 2006 2007 2003 2004 2005 2006 2007

1 496

1 928

2 175

2 351

22,6

36,1

86,4

130,7

175,8

6,6 %

5,6 %

4,0 %

1,9 %

1,5 %

2 659

Page 241: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

284 Extremlogistik im Landmaschinenbau

Produktionsstandorte wie 1992 in Indien oder 1999 in den USA, dem Heimatmarkt der großen Wettbewerber, wo die Eröffnung eines eigenen Werks in Omaha die logische Konsequenz war. 2003 wurde der französische Trakto-renhersteller Renault Agriculture übernommen, wodurch CLAAS sein Produktportfolio um eigene Traktoren erwei-terte. Somit werden nunmehr Systemlösungen „aus einer Hand“ angeboten.

Der Unternehmensstandort Harsewinkel ist heute das Zentrum eines globalen Produktionsnetzwerkes mit weit diversifi zierten Baureihen. Aufgrund der speziellen Produkt- und Kundenstruktur, der Globalisierung und vor allem aufgrund des kontinuierlichen, signifi kanten Wachs-tums werden extreme Anforderungen an die Logistik ge-stellt. Dabei gilt es vor allem die Herausforderungen der Landmaschinenindustrie an die Logistik zu beherrschen. Dies sind

• die Saisonalität des Marktes und die Ersatzteilversor-gung bis aufs freie Feld,

• die Komplexität und Größe der Produkte,• die gleichzeitige Integration von Renault Agriculture in

die CLAAS Gruppe.

Saisonalität des MarktesErntemaschinen, als Beispiel seien hier Mähdrescher mit ihrer extremen Saisonalität genannt, kommen nur inner-halb eines begrenzten Erntezeitfensters von maximal zwei Monaten des Jahres zum Einsatz. Dabei beträgt die Netto-Einsatzzeit bei Mähdreschern maximal 25 Tage. Entsprechend müssen sie möglichst zeitnah im Vorfeld der Ernte produziert und zur Verfügung gestellt werden, wäh-rend nach diesem Zeitpunkt kaum noch Marktbedarf be-steht. In der Praxis bedeutet dies eine Verdichtung von ca. 80 Prozent des Produktionsbedarfs in den Monaten April bis Juli, anschließend ein unmittelbarer Abfall der Produk-tionsleistung auf unter 20 Prozent der Jahresmenge über den Rest des Jahres. Das Bestellverhalten der Kunden im Hinblick auf Bestellzeitpunkt, Mengen und Produkttypen ist außerordentlich volatil. Kleinste Klimaschwankungen können direkte Auswirkungen auf den kurzfristigen Auf-tragseingang haben. Dies führt zu einer schwierigen Prog-nose der zu erwartenden Verkäufe der Fertigprodukte.

Je nach Wetterverlauf und Entwicklung der Erntequa-lität werden mehr oder weniger Maschinen benötigt. So kommt es, dass die Abnahmemengen einzelner Kunden sehr kurzfristig zwischen 10 und 100 Erntemaschinen schwanken können. Dabei ist die Toleranz hinsichtlich der Lieferzeit gering. Die Kunden fordern die Lieferung oft-

mals sofort – oder gar nicht mehr. Aufgrund der beschrie-benen engen Erntezeitfenster müssen die Landmaschinen bestmöglich genutzt werden.

Üblicherweise bleibt nur wenig Zeit für Wartung und Instandhaltung und natürlich kommt es bei der Arbeits-belastung zu Verschleiß und gegebenenfalls auch zu Ma-schinenstillständen. Diese bedeuten für die erntenden Unternehmer unmittelbare Umsatzverluste und sind daher schnellstmöglich zu beheben. Dabei befi nden sich die Ma-schinen dann nicht in der Werkstatt, sondern buchstäblich auf „freiem Feld“.

Die beschriebenen Anforderungen an die Extremlo-gistik sind tägliche Rahmenbedingungen, in denen sich CLAAS sicher bewegen muss. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in allen Bereichen der Logistik des Un-ternehmens besondere Anforderungen bestehen, wie sie vermutlich in dieser Kombination in keiner anderen Bran-che der Welt auftreten.

Komplexität und Größe der ProdukteBei der Betrachtung der Beschaffungslogistik muss man berücksichtigen, dass es sich um Maschinen im „XXL-Format“ mit einer sehr hohen Teilevielfalt und Varianz handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die gefertigten Stückzahlen geringer als beispielsweise bei einer Lkw-Produktion ausfallen. So verließen im Jahr 2007 ca. 7200 Einheiten das Werk in Harsewinkel – ein vergleichsweise kleines Volumen.

Ein Großteil dieser „Industrieanlagen auf Rädern“ wird nach dem Make-to-order-Prinzip kundenindividuell pro-duziert und macht folglich das Customizing der Produkte notwendig. Daher gilt es pro Maschine ca. 20 000 Sach-nummern gezielt zu beherrschen mit Bauteilen, die von der Dimension einer Unterlegscheibe bis hin zum zugekauften 1000-Liter-Tank oder der Fahrerkabine reichen. Hinsicht-lich der Variantenzahlen haben Kunden beispielsweise die Möglichkeit, gemäß ihren Anforderungen zwischen ca. 80 verschiedenen Felgentypen zu wählen, dies wiederum in Kombination mit 100 verschiedenen Reifentypen – mit ei-nem Felgendurchmesser von bis zu 38 Zoll. Hier signifi kan-te Skaleneffekte und konsolidierte Eingangstransporte zu erreichen, beschreibt eine anspruchsvolle Aufgabe.

Die Beschaffungsmärkte sind heute auch für CLAAS global und reichen neben den Zulieferländern in Osteuro-pa inzwischen bis nach Asien und in die USA, mit entspre-chenden Konsequenzen für Lieferzeiten, -frequenzen und logistische Qualitätsanforderungen.

Auch die Herausforderung an die Distributionslogistik stellt eine Klasse für sich dar. Die fertigen, „Dinosaurier“-

Page 242: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

285Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio

ähnlichen Maschinen müssen schnell und sicher zu den Kunden transportiert werden, um sofort einsatzbereit zu sein – und das weltweit in mehr als 140 Ländern. Die-se sind meist nur über Spezialtransporte zu beherrschen. CLAAS setzt dabei auf alle gängigen Verkehrsträger wie Lkw, RoRo-Schiffe, Bahn oder Flugzeuge. Die Entwickler haben dazu bei der Neukonstruktion von Maschinen auch stets die Einhaltung des Bahnprofi ls im Produktlastenheft verankert. Am Transportmarkt sind die verfügbaren Res-sourcen hierfür generell begrenzt. In Verbindung mit der extremen Saisonalität stellt jede Auslieferung das Koor-dinationsvermögen der Logistiker vor große Herausforde-rungen. Schließlich ist auch auf die Kosten der Transporte höchstes Augenmerk zu legen, um die Wettbewerbsfähig-keit besonders gegenüber nationalen Wettbewerbern zu gewährleisten.

Integration von Renault AgricultureDie Integration von Renault Agriculture, der Traktoren-sparte des französischen Renault-Konzerns, stellte sich als besondere Herausforderung dar. Nicht zuletzt muss-ten hier zwei Unternehmen mit deutlich unterschiedlichen Unternehmens- und Landeskulturen zusammengebracht werden. Es galt, innerhalb kürzester Zeit gegenüber Liefe-ranten und Kunden als ein einheitliches Unternehmen auf-zutreten und sich als Systemanbieter in der Landtechnik zu positionieren. Ein signifi kanter Anteil an Sachnummern und Komponenten wurde von gleichen Lieferanten bezo-gen, jedoch mit unterschiedlichen logistischen Prozessen. Durch Harmonisierung der Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Ersatzteillogistik wuchsen die beiden Organisationen schnell zusammen und arbeiten heute als eine Einheit. So konnte bereits im Jahr 2006 – nach nur drei Jahren der Integration – mit dem AXION der erste

vollständig von CLAAS entwickelte Traktor auf den Markt gebracht werden.

Die internationale Supply-Chain-Initiative

Als ein Baustein der globalen, profi tablen Wachstumsstra-tegie bei CLAAS wurde die gruppenweite Koordination der Logistik über alle Standorte defi niert. So wird Logistik nicht als „Hype-Thema“ verstanden, sondern als grundso-lides „logistisches Gesamtwerk“. Internationales Wachs-tum und zunehmend globale Beschaffungs-, Produktions- und Vertriebsnetze haben die Logistik zur Kernkompetenz werden lassen. Es sollte daher ein Logistiksystem entwi-ckelt werden, welches einerseits die operativen Aufgaben effi zient bewältigt und andererseits durch Universalität und globale Vernetzung eine Plattform für die Integrationder Standorte bildet. Daher wurde „Zusammenwachsen – um zusammen zu wachsen“ zur erklärten Mission aller Beteiligten.

Die Supply-Chain-Initiative wurde als grundlegende Reorganisation der weltweiten Unternehmenslogistik gestartet. In diese Initiative wurden die Bereiche Ein-kauf, Produktion, Transportlogistik und Ersatzteillogistik samt Service gleichermaßen einbezogen. Die logistische Roadmap wurde gemeinsam entwickelt und in einzelnen, bereichs- und unternehmensübergreifenden Initiativen in nur drei Jahren umgesetzt.

Supplier Relationship ManagementDie Intensivierung der Zusammenarbeit mit Lieferanten gilt als einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren, um das Wachstum der Gruppe beherrschen zu können. Neben Innovationskraft, Technologie, Qualität und Kostengestal-tung ist die Vereinheitlichung der Logistikschnittstellen

Abb. 2: Die CLAAS Supply-Chain-Initiative

Lieferant CLAAS Kunde

Initiative

Zielsetzung

Supplier Relationship Management

Inbound Logistics

Manufacturing Logistics

Outbound Logistics

Service Parts Network Optimization

Steigern von Qualität,Flexibilität und Senkung von Kosten,durch Lieferantenpart-nerschaften und Koordination der globalen Beschaffung

Transparente, effiziente und beherrschte Inbound-Logistik durch standardisierte und konsolidierte Transporte

Senken von Bestand,Fehlteilen, Vorgaben und Durchlaufzeitendurch flexible Produktionslogistik

Nutzen von Kostenvorteilen durch strategische Allianzen und gezieltes Outscourcing

VerbesserteService-Leveldurch Integration derErsatzteilnetze

Page 243: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

286 Extremlogistik im Landmaschinenbau

mit den Lieferanten eine wesentliche Aufgabenstellung. Im Rahmen der Supplier-Relationship-Management-Initia-tive wurde die Regelkommunikation mit den Prozesspart-nern mit höchster Geschwindigkeit etabliert.

Direkte Regelkommunikation per EDI erfolgt mit iden-tifi zierten A-Lieferanten. Zusätzlich wurden ca. 100 wei-tere Lieferanten auf das CLAAS-Lieferantenportal (clip.claas.com) aufgeschaltet, das in kürzester Zeit in Betrieb genommen wurde. Das Portal erleichtert den automati-sierten Daten- und Informationsaustausch über Web-EDI, erlaubt die Übernahme von Prognosedaten für die kollabo-rative Planung und stellt die inzwischen standardisierten Logistik-Vereinbarungen mit Anlieferregelungen, Behäl-tervorschriften und Prozessbeschreibungen für die Zulie-ferpartner zur Verfügung.

Die Lieferantenintegration bündelt alle Methoden und Vorgehensweisen zur Integration der Entwicklungs- und Lieferpartner in die Wertschöpfungs- und Logistikkette. Bei der Entwicklung neuer Produkte werden die Lieferan-ten frühzeitig über sogenannte Konzepttage integriert. Dabei bringen sie ihr Entwicklungs- und Produktionswis-sen ein, um CLAAS bei seiner Technologieführerschaft zu stärken.

In den letzten zwei Jahren wurden über 20 Konzeptta-ge durchgeführt. Je nach Phase im Produktlebenszyklus konnten dabei Kostensenkungspotenziale von bis zu 30 Prozent erzielt werden. Als konsequente Weiterführung dieses erfolgreichen Ansatzes werden aktuell Lieferanten aus unterschiedlichen Produktbereichen zusammenge-bracht, um gemeinsam ganze Systemketten zu optimie-ren. Damit wird der Grundstein für Innovation gelegt.

Diese Initiativen setzen innovative und hochmotivierte Lieferanten voraus, die über das Lieferantenmanagement identifi ziert werden. Die standort- und funktionsübergrei-fende Lieferantenbewertung bildet hierbei die Grundlage zur gezielten Lieferantenqualifi zierung und Weiterent-wicklung sowie zur Ableitung von Lieferanten- und Wa-rengruppenstrategien.

Um die strategischen Lieferpartner immer wieder zu Höchstleistungen zu motivieren, werden auf den interna-tionalen Lieferantentagen ausgezeichnete Lieferanten-leistungen prämiert. An dem Lieferantentag 2006 nahmen mehr als 150 strategische Lieferanten aus 21 Nationen teil. Währenddessen werden in Top-Lieferantenmeetings auf Vorstandsebene die Anforderungen der Kunden und des Unternehmens direkt vermittelt: So wird zum Beispiel auch „in Gummistiefeln“ auf dem Feld gemeinsam erlebt, was eine CLAAS-Maschine letztendlich für den Kunden ausmacht.

Ein weiterer Bestandteil des Supplier Relationship Ma-nagements stellt das „Best Cost Country Sourcing“ dar. Best Cost Country Sourcing bedeutet, nicht nur dort zu beschaffen, wo die entscheidenden Absatzmärkte sind, sondern auch dort, wo unter Sicherstellung der hohen Qualitäts-, Innovations- und Serviceansprüche die besten Einkaufsbedingungen zu realisieren sind.

Um Bauteile für Best Cost Country Sourcing zu iden-tifi zieren, werden mithilfe der Werkzeuge der Lieferan-tenintegration, beispielsweise der Wertanalyse, nicht nur Volumina von CLAAS, sondern auch Lieferantenvolumina analysiert, um gemeinsam deren sinnvolle Verlagerung zu prüfen. Auch hier greift wieder das Lieferantenmanage-ment um geeignete Lieferanten zu fi nden. So verschwim-men in speziellen Kooperationsprojekten zunehmend Unternehmensgrenzen, sodass partnerschaftlich gemein-same Verbesserungspotenziale realisiert werden können.

Zur Steigerung von Qualität, Flexibilität und Kosten durch Lieferantenpartnerschaften und zur besseren Koor-dination der globalen Beschaffung wurde die Inbound-Lo-gistik direkt in die Logistikvereinbarungen aufgenommen. Diese beruht auf sechs Säulen und umfasst die Kommu-nikation, das Versorgungsklassen-Konzept sowie das Transport-, Ladungsträger-, Bestands- und Performance-Management.

Das gesamte CLAAS-Einkaufssystem zielt auf den Aufbau langfristiger Lieferpartnerschaften, um Technolo-

Abb. 3: Best Cost Country SourcingDirektes Material

2003

Zeitraum

2006 +76 %

in Mio. EUR 0 20 40 60 80 100

Abb. 4: Die sechs Säulen der CLAAS Inbound-Logistik

Kommunikation

Versorgungsklassen-Konzept

Transport-Management

Ladungsträger-Management

Bestands-Management

Performance-Management

Page 244: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

287Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio

gieführerschaft und profi tables Wachstum nachhaltig zu sichern. Mit Value Sourcing hat der Einkauf den Wandel vom Warengruppenmanager hin zur Schlüsselfunktion für das Management von Technologien vollzogen.

Inbound LogisticsIm Rahmen der Inbound-Logistik-Initiative wurden Trans-port und Lagerung im gesamten Produktionsverbund ad-ressiert. Nach Erfassung der Transportkosten der Werke und ihrer Wareneingangsprozesse wurde offensichtlich, dass nachhaltige Kosteneffekte nur durch eine Struk-turänderung der gesamten Prozesskette zu realisieren waren. Um das angestrebte Wachstum zu ermöglichen, galt es, die Anzahl der anliefernden Spediteure von 244 auf nur zwei zu verringern. Synergieeffekte durch Volu-menbündelung und effi ziente Steuerung der Eingangs-verkehre werden nun durch einen strategischen Partner für das nationale und einen strategischen Partner für das internationale Geschäft erreicht.

Nach Erstellung des Konzeptes und der Ausschreibung wurden an nur einem Tag 650 Lieferanten auf die beiden neuen Logistikpartner umgestellt. Nach entsprechender Planung erfolgte die Umstellung ohne Reibungsverluste, bei voller Gewährleistung der Versorgungssicherheit.

Parallel dazu wurden zu den bestehenden „ab Werk“-Lieferanten weitere Lieferanten mit „frei Haus“-Liefer-konditionen auf „ab Werk“ umgestellt. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als 150 Lieferanten (80 Prozent des Beschaffungsvolumens) auf „ab Werk“-Lieferkonditionen umgestellt – verbunden mit weiteren Einsparungen im Transportbereich. Durch die Übernahme der Transportver-antwortung konnten Bündelungseffekte erzielt und somit die Fahrzeugauslastung erhöht werden. Zusätzlich wurde

die Komplexität des Anlieferprozesses durch direkte An-lieferung in Standardbehältern und standardisierte Aus-zeichnung der Eingangsfrachten wesentlich reduziert. Die Auszeichnung der angelieferten Sendungen und Waren erfolgt nach VDA-Standard und ermöglicht eine direkte Übernahme der Informationen in SAP. Dank des partner-schaftlichen Verhältnisses von CLAAS zu seinen Liefe-ranten konnte hier eine unerwartet hohe Umsetzungsge-schwindigkeit erreicht werden.

Neben der reinen Transportausschreibung und den sich ergebenden Skaleneffekten wurden die Eingangsverkehre auch strukturell optimiert. Die konsequente Einführung von Milkrun-Verkehren erlaubte nun die volumenkonsoli-dierte Anlieferung aus ausgewählten Regionen.

Manufacturing LogisticsZur Standardisierung der Anlieferprozesse und der Band-versorgung wurden für alle Werke verbindliche Ver-sorgungsklassen defi niert. Jede Sachnummer ist einer entsprechenden Versorgungsklasse zugeordnet und sys-temtechnisch in SAP hinterlegt. Nach der Systemerfas-sung im Wareneingang folgt jedes Teil dem der Versor-gungsklasse zugeordneten Prozess (z. B. JIS/JIT). Durch Prozessverbesserungen und selektive Einführung von Konsignationslagerung konnte die Umschlaghäufi gkeit des Umlaufbestandes in den letzten drei Jahren um 70 Prozent gesteigert werden.

Zusätzlich wurde die Anzahl der im Umlauf befi ndli-chen Behältertypen innerhalb eines Jahres von 493 auf 26 reduziert. Dieser Prozess wird weiter vorangetrieben bis zum fi nalen Ziel von acht Behältertypen in der Grup-pe. Die Verwendung von Standardbehältern erhöht die Behälterverfügbarkeit, unterstützt die Prozessvereinheit-

Abb. 5: Bündelung der Inbound-Logistik auf zwei strategische Partner

Situation 2003

Strategischer Partnernational

Strategischer Partnerinternational

Situation 2006

CLAAS Lieferanten

CLAAS Gruppe Produktgesellschaften

Page 245: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

288 Extremlogistik im Landmaschinenbau

lichung und erlaubt die effi zientere Nutzung von Flurför-dergeräten. Zeitgleich wurde ein KLT-Ladungsträgerpool in Betrieb genommen, der mithilfe der internetbasierten Abrechnung eine neue Qualität der Kostentransparenz schafft und dabei hilft, die jährlichen Behälterinvesti-tionen und laufenden Kosten für Reinigung, Wartung und Instandhaltung signifi kant zu senken.

Outbound LogisticsDer Handlungsspielraum der Distributionslogistik für CLAAS-Produkte ist traditionell begrenzt. Aufgrund der Dimensionen der zu versendenden Produkte kommen nur Tiefl ader bzw. Spezialbahnwaggons infrage. Hier weist der Transportmarkt aufgrund der hohen Kosten und schlechten Auslastung der Fahrzeuge bei Rücktranspor-ten nur begrenzt zur Verfügung stehende Ressourcen auf. Erschwerend kommt die extreme Saisonalität hinzu, die eine kontinuierliche Nutzung der Fahrzeuge über den Jah-resverlauf unmöglich macht.

Deshalb wurde ein strategisches Portfolio entwickelt, um sowohl für die kontinuierlichen Versandtransporte zu Spitzenzeiten, als auch für das auftretende Spot-Geschäft jederzeit einen Pool an Transportpartnern zur Verfügung zu haben, die über Rahmenverträge mit CLAAS verbun-den sind. Auf diese Weise ist eine hohe Verfügbarkeit der Fahrzeuge gewährleistet, bei maximaler Flexibilität und konstant niedrigen Kosten. Ergänzend wurden direkte Verträge mit Reedereien für RoRo-Transporte geschlos-sen, um sich die knappen Ressourcen zu sichern.

Darüber hinaus forciert CLAAS auch Innovationen auf dem Transportsektor. So wurde beispielsweise gemein-sam mit einem Spediteur ein Multifunktions-Lkw entwi-ckelt, der durch seine Flexibilität den Transport sowohl für Mähdrescher auf dem Weg nach Frankreich als auch für Traktoren auf dem Rückweg nach Deutschland ermög-licht.

Parallel dazu wurden die Outbound-Prozesse vom Ende der Montagelinien bis zum Versand aufgenommen

und detailliert analysiert. Daraufhin wurde im Traktoren-werk in Le Mans die gesamte Versandabwicklung neu gestaltet und an einen Logistikdienstleister vergeben. Insgesamt konnten in den letzten drei Jahren die Kosten für Outbound-Transporte erheblich reduziert werden.

Service Parts Network OptimizationDie Anforderungen an die Ersatzteillogistik sind in den letzten Jahren rasant angewachsen. Immer weniger Ern-temaschinen bearbeiten immer größere Flächen, da die Ernteleistung der Maschinen immer weiter gestiegen ist. Natürlich führt die hohe Arbeitsbelastung zu Verschleiß und gegebenenfalls auch zu Maschinenstillständen, die schnellstens behoben werden müssen. In der Regel bleibt nur wenig Zeit für Reparatur, Wartung und Instandhal-tung. Die global agierenden Kunden fordern unabhängig von der geografi schen Lage ihrer Standorte einen welt-weit einheitlichen Service. Darüber hinaus sind die Kun-denerwartungen für die Beschaffung von nicht bei den lokalen Händlern vorrätigen Ersatzteilen in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Wurde vor 15 Jahren noch eine Lieferung am nächsten Tag akzeptiert, ist die Erwartung von einer Over-night- und In-night- zu einer Same-day-Lieferung heutzutage gestiegen.

Der Service hat sich hier durch seine Leistungsfähig-keit seit vielen Jahren eine besondere „Allzeit-bereit“-Reputation verdient – und zwar auch außerhalb sonst üblicher Arbeitszeiten, am späten Abend und auch am Wochenende. Das Ersatzteillogistikkonzept von CLAAS und seinen Vertriebspartnern kombiniert auf einzigartige Weise die Vorteile einer zentralen Organisation (Kosten, Bestände) mit den Stärken einer dezentralen Struktur (Kundennähe, Servicevorteile).

Das weltweite Ersatzteildistributionsnetzwerk be-steht aus zwei europäischen Zentrallagern, weiteren Regionallagern zur Übernachtversorgung speziell in den Kernmärkten sowie weiteren dezentralen Servicezen-tren. Dadurch werden die Importeure und die lokalen Händler im Ersatzteilservice und -vertrieb optimal un-terstützt. Bemerkenswert ist dabei, dass die defekten Maschinen in der Regel nicht in einer Werkstatt stehen, sondern teilweise auf vollkommen menschenleeren Flä-chen ohne Infrastrukturanbindung – sprichwörtlich „al-lein auf weiter Flur“. Hier sind Ersatzteillieferungen auch gelegentlich mit dem Hubschrauber notwendig, um die Maschinen schnellstmöglich wieder betriebsbereit zu machen.

Abb. 6: Anzahl MilkrunsEingangstransporte

2003

Zeitraum

2006 +25

Anzahl Milkruns 0 5 10 15 20 25

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289Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio

Das Parts Logistics Center (PLC) in Hamm-Uentrop ist ein hochmodernes, intelligent automatisiertes Ersatzteildis-tributionszentrum und bildet das Fundament der weltwei-ten Ersatzteilversorgung. Zum Beispiel vergehen hier zwi-schen Eingabe des Kundenauftrags online beim Händler und der Bereitstellung zur Abholung im PLC weniger als 30 Minuten.

In der Übernachtversorgung aus den Zentrallagern setzt CLAAS auf individuelle, gemäß den Bedürfnissen des Marktes maßgeschneiderte Transportlösungen, die späte Bestellschlusszeiten und Lieferung während der Nacht bzw. am frühen Morgen ermöglichen. Von ent-scheidender Bedeutung ist insbesondere die Verfügbar-keit der Teile in der Nähe des Einsatzes, um die Maschine möglichst am selben Tag wieder nutzen zu können. Zur weiteren Differenzierung vom Wettbewerb und um die ständig wachsenden Anforderungen an den Service für Landmaschinen zu erfüllen, werden zusätzlich zum Be-stand beim Händler funktionswichtige, langsam drehende Teile in regionalen Kompetenzzentren vorgehalten. Erklär-tes und erreichtes Ziel ist es, ein breites Spektrum von Ersatzteilen innerhalb von drei Stunden Fahrzeit für jeden Kunden in den Kernmärkten bereitzuhalten. So kann über diese Teile auch dann verfügt werden, wenn die norma-len Transportnetze nicht genutzt werden können, d. h. am Abend und am Wochenende.

Unterstützt wird das Konzept durch die Integration aller Bestände der Zentral- und Regionallager im CLAAS-SAP-System sowie durch internetbasierte Tools zum Austausch von Bestandsinformationen bei unabhängigen Händlern und Importeuren. Auf diese Weise lassen sich die Bestände im Ersatzteillogistiknetzwerk als ein „vir-tuelles Lager“ nutzen.

Somit kann durch das Zusammenwirken der verschiedenen Distributionsstufen exzellenter Service geboten werden, ohne Bestände und Logistikkosten steigen zu lassen.

Erfolgsfaktoren und Ergebnisse

Zu den Erfolgsfaktoren ist bei CLAAS ganz eindeutig zu zählen, dass die Logistik bereichsübergreifend von Einkauf, Produktion, Transportlogistik bis hin zur Ersatzteillogistik samt Service gemeinsam vorangetrieben wird. Natürlich gibt es für die Einzelinitiativen eindeutige Projektverant-wortungen, aber der übergreifend gelebte Gedanke der Gesamtwertschöpfung stellt einen wesentlichen Erfolgs-faktor der Initiative dar. Jeder Projektteamleiter erhielt sowohl quantitative als auch qualitative Ziele im Sinne der Gesamtzielsetzung mit enger Terminplanung. Diese wurden durchgehend nach konsistenten Controlling-Vor-gaben anhand von Kennzahlen verfolgt.

Ein weiterer Erfolgsfaktor der effi zienten Umsetzung ist die Unterstützung durch das Top-Management. Die Geschäftsführer der Business Units sowie die Geschäfts-führer für Einkauf und Produktion sind Sponsoren der Ini-tiative und können so bereichsübergreifende Ziele setzen und in den Zielvereinbarungen der Mitarbeiter verankern. Die Einkäufer werden heute nicht mehr nur an Material-preisen, sondern auch an der gesamtlogistischen Leistung eines Lieferanten gemessen.

Eine weitere wichtige Rahmenbedingung für die strin-gente Umsetzung war es, während der Konzepterarbei-tung auch gezielt „Quick Wins“ zu realisieren, um sofort wirksame Einsparungen und qualitative Prozessverbesse-rungen zu erreichen. Auf diese Weise konnte eine hohe Motivation der beteiligten Projektteammitglieder und

Abb. 7: Versorgungsklassen der CLAAS Gruppe

Versorgungsklasse 1JIS (Just in Sequence)

Versorgungsklasse 2Fließteile/JIT (Just in Time)

Versorgungsklasse 3Lagerteile

Versorgungsklasse 4Kanban-Teile

Versorgungsklasse 5Nachfüll-Teile/Schüttgut

Materialklasse Lagerbestand Nachfülltechnik

A-/B-Teile

A-/B-Teile

B-Teile

C-/B-Teile

C-Teile

Nein

Nein

Ja

JaKanban-Puffer

Ja

MTO – Make to orderEinzelbedarfsgesteuert – JIS

MTO – Make to orderSammelbedarfsgesteuert – JIT

Bedarfsorientierte/ plangesteuerte Disposition

ZiehprinzipKanban

Behälter-Kanban

Page 247: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

290 Extremlogistik im Landmaschinenbau

-partner erreicht werden.Die beschriebenen Initiativen wurden von den Projekt-

teammitgliedern zusätzlich zu ihrem operativen Tagesge-schäft durchgeführt. In den Teams fanden Über-Kreuz- bzw. Doppelbesetzungen – mit entsprechender Belastung –statt, da die verschiedenen Themenfelder nur auf wenige Mitarbeiter verteilt werden konnten. Die mit den persönli-chen Zielvorgaben der Teammitglieder kongruente Projekt-zielsetzung, der Teamgedanke und die schnellen Erfolge bewirkten, dass alle vom ersten Tag „an einem Strang zogen“ und jedes Teammitglied über die übliche Arbeits-leistung hinaus die notwendige Extraleistung einbrachte.

In regelmäßigen Steuerkreissitzungen auf höchster Ebene – denn die Logistik ist inzwischen im Top-Manage-ment „angekommen“ – wurden Projektfortschritt und Zielerreichung überprüft.

Die im Zeitraum von 2003 bis 2006 durch die Initiati-ve erzielten wesentlichen Ergebnisse sind in Kennzahlen ausgedrückt in Abbildung 9 zusammengefasst.

Fazit und Ausblick

Betrachtet man die Aktivitäten abschließend, so lässt sich die besondere Leistung der CLAAS-Gesamtlogistik wie folgt zusammenfassen:

Trotz knapper Ressourcen wurden die Projektinhalte der relevanten Logistik-Potenzialfelder zeitgleich bearbeitet und vorangetrieben. Wo es vorher unkoordinierte Materialfl üsse ohne Prozessstandardisierung, mit geringer Transparenz und mit wenig Synergienutzung innerhalb des Produktions-verbundes gab, wurde innerhalb kürzester Zeit eine leis-tungsfähige Logistik-Gesamtkonzeption aufgebaut und um-gesetzt – ohne jedoch hierfür aufwendige Overhead-Struk-turen zu schaffen.

Die Konzepte der Logistik wurden in extrem kurzen Pro-jektphasen stets unmittelbar praktisch umgesetzt. Gelingen konnte dies nur durch eine Ausrichtung aller Beteiligten an der gemeinsamen Strategievorgabe und der Erkenntnis, dass Wachstum bei CLAAS eine funktionierende Gesamtlogistik zwingend erfordert.

Es kann heute festgestellt werden, dass die Supply-Chain-Initiative nicht nur zu einer dynamischen Entwicklung der logistischen Performance mit positiver Auswirkung auf das Geschäftsergebnis der CLAAS Gruppe führte, sondern auch eine Plattform darstellt, auf der die operative Einbin-dung neuer Tochtergesellschaften reibungsarm und schnell erfolgt ist und auch in Zukunft erfolgen wird.

Natürlich gibt es auch zukünftig viel zu tun, denn schließ-lich schreitet die Globalisierung weiter voran und bei den wichtigen Trendthemen „Welternährung“ und „alternative Energiegewinnung“ ist CLAAS durch die Technologiefüh-rerschaft seiner Produkte ein wichtiger Impulsgeber. Gera-de erst hat das Unternehmen die Grundsteinlegung für sein zweites Mähdrescherwerk in Indien vorgenommen, das

Abb. 8: Ersatzteil-VerfügbarkeitService-Level

2003

Zeitraum

2006 +4 %

91 % 92 % 93 % 94 % 95 % 96 % 97 %

Abb. 9: Ergebnisse

Von Auf

Teileverfügbarkeit von Ersatzteilen (ET): 93 Prozent 97 Prozent

Bestandsreichweite (ET) 9 Monate 7 Monate

Transportkosten vom Umsatz (ET): 7,4 Prozent 4,2 Prozent

Produktivität je Mitarbeiter: 178 T€ 287 T€

Produktivität je m² Produktionsfl äche: 4,8 T€ 7,2 T€

Umschlaghäufi gkeit (Gesamtbestand): 5,5 7,4

Anzahl Milkruns: 0 25

Anzahl Speditionen (Inbound): 244 2

Anzahl Behältertypen: 493 15

Page 248: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

291Ulf Leinhäuser / Josip T. Tomasevic / Bülent Ileri / Peter Rudzio

2008 in Betrieb gehen wird. Auch dieses gilt es logistisch effi zient anzubinden und in den bestehenden Werksverbund zu integrieren.

Zukünftig wird insbesondere die Prozessintegration mit den Lieferanten weiter vorangetrieben. Zudem erhofft sich

CLAAS Effekte durch die frühzeitige Involvierung der Logis-tik in die Entwicklungstätigkeiten. Logistikgerechtes Design wird ein weiterer Baustein für die durch die Logistik geschaf-fene Plattform des „Zusammenwachsens – um zusammen zu wachsen“.

Page 249: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Convenient Logistics

Christian Berner

Chief Executive Officer der Lekkerland AG & Co. KG

Page 250: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Christian BernerJahrgang 1953Berner führt seit Januar 2004 als Chief Executive Offi cer den Konzern Lekkerland AG & Co. KG. Er absol-vierte sein VWL-Studium an der Universität Hamburg und begann seinen berufl ichen Werdegang bei der Boehringer Mannheim GmbH. Berner assistierte von 1981 bis 1982 dem Inhaber der Unternehmens-

gruppe Gauselmann. Von 1982 an arbeitete er als Projektleiter Organisation und Controlling der Eurokai KGaA in Hamburg, bis er 1988 zu Kühne + Nagel nach Hamburg wechselte. Nachdem Berner dort den Bereich Finanzen/Controlling leitete, wurde er 1990 als Mitglied in die Geschäftsleitung berufen. 1998 übernahm er den Vorsitz der Geschäftsleitung von Kühne + Nagel mit Verantwortung für die Bereiche Marketing/Vertrieb, Personal und Logistik. Berner wurde im September 2001 zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der damaligen Lekkerland-Tobaccoland GmbH & Co. KG berufen.

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Wherever, whatever, whenever – Convenience als Megatrend

Ob frühmorgens oder spätabends: Convenience ermöglicht dem Verbraucher, sich jederzeit einfach und schnell zu versorgen, in der Tankstelle, im Kiosk, in der Kantine oder im Fastfood-Restaurant. Und der Trend zu Convenience nimmt stetig zu. Die Gründe sind vielfältig: Die Menschen werden immer mobiler, die Flexibilität im Beruf nimmt zu und die Bereitschaft, täglich selbst zu kochen, nimmt ab. Unaufhörlich steigt zudem die Zahl der Einzelhaushalte.

Doch nicht nur Singles schätzen diese Konsumform. Der typische Käufer im Convenience-Shop sucht den schnellen, bequemen Einkauf. Er hat wenig Zeit, kein In-teresse an Produktvergleichen und will deshalb von allem die optimale Auswahl. Er möchte ein spontanes Bedürfnis befriedigen, Zigaretten kaufen oder eine Kleinigkeit es-sen, belegte Brötchen oder Sandwiches beispielsweise, und dazu auch etwas trinken, ein kühles Erfrischungsge-tränk oder einen heißen Kaffee – und das alles in anspre-chender Umgebung und freundlicher Atmosphäre. Es geht um den einfachen, schnellen und bequemen Genuss.

Lekkerland – Der Genuss-Lieferant

Es gibt viele Möglichkeiten, Convenience-Produkte an den Kunden zu bringen: im Kiosk, in der Kantine oder im Fastfood-Restaurant, in der Bäckerei, im Kaufhaus und im Supermarkt, in Tabak- und Süßwarenfachgeschäften sowie in Tankstellen-Shops oder in neuen, spezialisierten Convenience-Stores. Die Struktur der Outlets reicht von international organisierten Systemkunden bis zum einzel-nen Shop-Betreiber. So profi tieren Tankstellen-Shops, die zu einer Mineralölgesellschaft gehören, beispielsweise von deren hoher Professionalität sowie vom einheitlichen Markenauftritt. Kioske hingegen gestalten ihre Auftritte individuell und vielfältig. Die Anforderungen dieser hete-rogenen Kundenklientel an Lekkerland sind sehr komplex.

Lekkerland hat sich auf dieses Segment spezialisiert. Das Unternehmen spielt eine zentrale Rolle in der Wert-schöpfungskette zwischen einerseits einer großen Zahl von Herstellern und Industriepartnern sowie andererseits

einer sehr großen Zahl von unterschiedlichsten Kunden in ganz Europa. Jeder Kunde soll mit dem auf seine Klientel zugeschnittenen Sortiment versorgt werden.

Die besondere Herausforderung in diesem Geschäft liegt in seiner logistischen Komplexität. Denn die Kunden erwarten auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Lieferungen. Häufi g ist kein Platz da, um Produkte zu lagern. Wenn ein Artikel aus dem Regal verkauft ist, entsteht eine Lücke. Hier gilt es, kleine Mengen unterschiedlicher Tempera-turbereiche auszuliefern, manchmal mehrfach die Woche und zwar an eine Vielzahl von Outlets. Allein in Deutsch-land verarbeitet Lekkerland täglich mehr als eine Million Auftragspositionen. Zudem hat das Unternehmen es mit stark ausgeprägten Saisonalitäten zu tun. So boomen im Sommer Food-Sortimente mit Getränken und Eiscreme oder auch Non-Food-Produkte wie Grillkohle. Weihnach-ten und Ostern erfordern andere Sortimentsbausteine und stellen jeweils andere Anforderungen. Eine völlig andere Verteilung der Aufträge ergibt sich auch während der Wo-che oder während des Monats. Bei vielen Artikeln, wie etwa Tabakwaren, treten beispielsweise über die Woche hinweg starke Nachfrageschwankungen auf. Bei der Be-darfsprognose hilft dem Unternehmen zwar ein Software-Tool, aber die Wettervorhersage und regionale Gegeben-heiten wie Stadt- oder Volksfeste müssen die erfahrenen Disponenten selbst mit berechnen.

Diese Supply Chain ist deshalb nie statisch und die optimale Bestandsführung erfordert die Antizipation sehr variabler Einfl ussfaktoren. Es geht darum, einerseits Out-of-Stock-Situationen stets zu vermeiden und andererseits die Kapitalbindung zu minimieren. Das Supply Chain Ma-nagement ist deshalb für Großhandelsunternehmen eine notwendige Unternehmensfunktion.

Ausgangssituation

Im Januar 2004 begann Lekkerland mit Firmenkäufen in neun europäischen Ländern seine internationale Expansi-on. Geleitet von der Vision, internationalen Großkunden wie

Convenient LogisticsChristian Berner

Page 252: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

296 Convenient Logistics

etwa Mineralölgesellschaften überall in Europa einheitliche Standards zu bieten, galt es im Logistikkonzept sowohl den unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Geschäftsmo-dellen als auch der für regionale und nationale Kunden not-wendigen Flexibilität und Nähe gerecht zu werden.

Wenn auch die Herausforderungen für die europäische Integration ungleich komplexer waren, konnte das Unter-nehmen auf den Erfahrungen aufbauen, die es in jüngster Zeit in Deutschland gemacht hatte.

Denn erst im Jahr 1999 hatten die beiden Großhandels-gesellschaften Lekkerland und Tobaccoland in Deutsch-land fusioniert. Maßgeblich für den Zusammenschluss war das Ziel, aus zwei Unternehmen, die mit komplemen-tären Sortimenten dieselbe Kundenklientel bedienen, einen Full-Service-Partner zu schmieden. Tobaccoland als Spezialist für den Sortimentsbereich Tabakwaren er-gänzte die Lekkerland-Segmente Süßwaren, Snacks und Getränke und umgekehrt.

Tobaccoland war bereits zum Zeitpunkt der Fusion ein zentral geführtes Unternehmen mit rund 25 Niederlassun-

gen und einheitlichen Belieferungsstandards. Die bis dato gesellschaftsrechtlich unabhängigen fünf Lekkerland-Re-gionalzentralen boten zwar nationale Lieferstandards, or-ganisierten diese jedoch in deutschlandweit 21 Niederlas-sungen vollkommen eigenständig. Um die Ziele der Fusion zu verwirklichen und den Kunden von der Bestellung bis zur Auslieferung einfache Prozesse bei gleichzeitig hoher Qualität zu bieten, galt es, die Logistik einem vollständi-gen Reengineering zu unterziehen. Dies betraf sowohl das Standortkonzept, die EDV-Systeme und die Materialfl uss-konzepte in den Lagern als auch die Distributionsprozesse. Die Schaffung einer Einheitsgesellschaft mit insgesamt nur noch 18 Standorten in Deutschland, einheitlichen Pro-zessen und einer IT-Plattform war bis 2003 erledigt.

Strategie

Lekkerland ist integraler und steuernder Bestandteil der Wertschöpfungskette seiner Lieferanten und Kunden. Die Anforderungen an die Logistik sind daher anspruchsvoll

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Abb. 1: Die Logistikorganisation bei Lekkerland

Page 253: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

297Christian Berner

und komplex. Die tägliche Leistung wird im Spannungs-feld zwischen Standardisierung für Großkunden und op-timalen Prozessen einerseits sowie Individualisierung für jeden einzelnen Kunden andererseits erbracht.

Zu den wesentlichen Einfl ussfaktoren bei der Konzep-tion für die europäische Integration der Logistik zählen nicht nur die jeweilige Infrastruktur und die Arbeitsmarkt-situation, sondern auch die politischen und wirtschaftli-chen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern. So hat beispielsweise ein starkes Wohlstandsgefälle Einfl uss auf die Dichte von Convenience-Shops, die Arbeitsmarkt-situation auf die Verfügbarkeit von Mitarbeitern und die Straßenverhältnisse sowie das Autobahnnetz auf die Dis-tribution und den Fuhrpark.

Nicht weniger von Bedeutung für die Logistikkonzepti-on sind die zum Teil voneinander abweichenden Geschäfts-modelle, die in den einzelnen Ländern von Lekkerland ver-folgt werden. So hat die spanische Landesgesellschaft beispielsweise einen zusätzlichen Schwerpunkt in der Belieferung von Fastfood-Ketten mit Waren aller Tem-peraturbereiche in Mehrkammer-Lkw. In Rumänien wird für Industriepartner die gesamte Distributionsfunktion inklusive diverser Value Added Services übernommen. Die Beispiele zeigen die Vielfalt möglicher Leistungen der Lekkerland-Gesellschaften, während das Basis-Ge-schäftsmodell in allen Ländern das Rückgrat darstellt. Länderübergreifend wird das Prinzip „best-out-of-all“ verfolgt. Bewährte Prozesse, Konzepte und Erfahrungen werden voneinander gelernt und übernommen. Dies gilt insbesondere für die Sicherung und weitere Verbesserung der Qualitätsstandards.

Das Ziel eines konsequent umgesetzten logistischen Gesamtkonzeptes bestand also darin, den Anforderungen nach internationalen Standards genauso gerecht zu wer-den wie den lokalen Gegebenheiten.

LogistikorganisationBasis zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist eine funktionierende Aufbauorganisation, die Lekkerland in Form einer Matrix bereits im Jahr 2002 eingeführt und im Zuge der Expansion auf europäisches Niveau gehoben hat.

Entsprechend den jeweiligen Schwerpunkten bündelt und koordiniert der Bereich Corporate Logistics eine breite Anzahl von komplexen Aufgaben und Prozessen. Fachlich verantwortlich führt Corporate Logistics die gesamten dezentralen operativen Einheiten in Europa und ist für alle Fragen der logistischen Abläufe zuständig. Spezialisten in den Bereichen Lager-, Transport- und Tiefkühllogistik sowie Materialwirtschaft sind dafür verantwortlich, die

Leistungsstandards ständig zu verbessern und europa-weit Best Practices zu etablieren.

Methodenwissen und Methodentransfer sichern Know-how und Erfahrungen im gesamten Unternehmen. Aufgabe von Corporate Logistics ist es, dieses Know-how bezogen auf die logistischen Schwerpunkte zu bündeln und um unternehmensexterne Entwicklungen, Technologien und Trends zu ergänzen. Sowohl branchenspezifi sche als auch branchenfremde Best Practices werden dabei berücksich-tigt. Der Transfer in die operativen Geschäftsbereiche er-folgt in einem dreistufi gen Konzept: Transparenz und Kenn-zahlen, Prozesse und IT sowie neue Technologien.

Transparenz und KennzahlenIn der ersten Stufe werden unternehmensweit einheit-liche Key Performance Indicators (KPIs) zur operativen Steuerung von Abläufen und Prozessen defi niert. Diese reichen von Leistungskennzahlen über Bestands- und Ver-fügbarkeitsindizes bis hin zu Qualitätskennziffern. Ziel ist eine einheitliche Steuerung der dezentralen operativen Einheiten. Bei Lekkerland beginnt dies mit der Transpa-renz von Leistungen. Mithilfe verschiedener Instrumente des Logistikcontrollings werden die monatlichen Leistun-gen je Mitarbeiter bzw. je Einheit auf Basis bereichsspezi-fi scher Kennzahlen visualisiert. In regelmäßigen Meetings werden diese Kennzahlen besprochen, um Leistungen zu refl ektieren und Anstöße zur Verbesserung zu geben. Die Transparenz der Leistungskennzahlen erlaubt eindeutige Benchmarks, auf deren Basis Ziele gesetzt und verfolgt werden.

Prozesse und ITFür die ständige Optimierung der bestehenden Prozesse und Abläufe kommen in der zweiten Stufe verschiedene EDV-gestützte Verfahren und Anwendungen zum Ein-satz. So werden im Bereich der Lagerlogistik regelmäßi-ge Lageroptimierungen durchgeführt. Dafür wurden im Tagesbetrieb Optimierungsalgorithmen in der Material-fl usssteuerung eingesetzt. Die hier verwendeten Simulati-onswerkzeuge berücksichtigen Kriterien wie Zugriffshäu-fi gkeit, Abverkauf sowie Packreihenfolge innerhalb der Warengruppen, um eine möglichst optimale Artikelplat-zierung in Bezug auf Einlagerung und Kommissionierung zu gewährleisten. Im Bereich der Transportlogistik nutzt Lekkerland Simulationsverfahren, um eine kontinuierliche Routenoptimierung durchzuführen. In Abhängigkeit von Auftragsgröße, Auftragsanzahl sowie zu fahrenden Ent-fernungskilometern wird die Anzahl der Routen mit den entsprechenden Kundenstopps geplant.

Page 254: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

298 Convenient Logistics

Neue TechnologienSind mit den bestehenden Abläufen und Prozessen keine weiteren Qualitäts- und Effi zienzsteigerungen zu erzie-len, werden in einer dritten Stufe nach Identifi zierung unternehmensexterner Best Practices neue Prozesse und Technologien etabliert. So konnte in der Lagerlogistik die Tabak- und Food-Kommissionierung von beleggeführter Kommissionierung erfolgreich auf eine beleglose Kommis-sionierung mittels Pick-by-Voice und Pick-by-Light umge-stellt werden. Lekkerland hat als erstes Handelsunterneh-men in Deutschland mit der fl ächendeckenden Einführung der Pick-by-Voice-Technologie bereits 2001 begonnen.

StandortkonzeptionDer Kunde erhält in einer One-Stop-Strategie die Produkte aller Sortimentsbereiche mit einer Lieferung. Das Stand-ortkonzept folgt Parametern wie Lieferservicegrad, Trans-port- und Umschlagkosten, Bestandskosten, Verkehrsan-bindung, Standortfl exibilität hinsichtlich Erweiterbarkeit sowie vorhandenem Mitarbeiterpotenzial. Die Anzahl, Lage und Ausstattung der Lagerstandorte ist ausschlag-gebend für Effektivität und Servicegrad der Kundendistri-bution. Die Analyse der Logistikstrukturen erfolgt nach einem festgelegten Simulationskonzept. Um einerseits fl exibel und kurzfristig auf Kundenwünsche reagieren zu können und andererseits Ressourcen zu schonen, müssen die Lagerstandorte möglichst nahe bei der Mehrheit der Kunden liegen. Dabei fl ießen alle wesentlichen Variab-len in das Optimierungsmodell ein: Empfänger, Umsätze, Stoppgrößen, Verteilung auf die Wochentage und vieles mehr. Die jeweilige Lösung wird mit dem Team vor Ort zu-sammen erarbeitet. In Polen zum Beispiel sind aufgrund mangelnder Infrastruktur und Autobahnen deutlich mehr Standorte erforderlich, um die Feindistribution auch in ländliche Gegenden zu gewährleisten. Deshalb konnten die bestehenden 14 Lagerstandorte nicht reduziert wer-den. Allerdings blieben nur acht dieser Standorte be-standsführende Lager, wobei alle baulich verändert wur-den. Weitere sechs Standorte wurden in Transshipment Points umgewandelt – ein für Polen bislang vollkommen neuer Logistikansatz.

Homogene IT-LandschaftEine schnelle Belieferung sowie die fl exible Reaktion auf die Anforderungen des Marktes sind wichtige Wettbe-werbskriterien für ein Convenience-Unternehmen. Eine hochverfügbare, homogene IT-Infrastruktur sowie ein maßgeschneidertes Warenwirtschaftssystem, das sich fl exibel an die individuellen Bedürfnisse der verschiede-

nen Kundengruppen anpassen lässt, sind für das Tages-geschäft bei Lekkerland essenziell.

Lekkerland betreibt eines der europaweit größten produktiven SAP-R/3-Systeme im Handel, das integraler Bestandteil der Logistikstrategie ist. Täglich greifen über 2000 Anwender auf hochverfügbare Systemplattformen des unternehmenseigenen Rechenzentrums in Frechen/Köln zu. Zwei Systeme in einem Metrocluster sorgen für eine Verfügbarkeit der SAP-Systeme von 99,93 Prozent. Jährlich werden über das Warenwirtschaftssystem rund 10 Mio. Aufträge mit rund 350 Mio. Auftragspositionen abge-wickelt. Die Antwortzeiten auf den Bildschirmen betragen wenige Millisekunden. Bislang sind Deutschland, Ungarn, die Schweiz und Österreich über zweifach gesicherte MPLS-Verbindungen mit den zentralen Anwendungen gekoppelt. Für die Warenwirtschaft kommt die Branchenlösung SAP Retail und für die Steuerung der Lagerabwicklung das Lo-gistics Execution System (LES) von SAP zum Einsatz. Um auch in kleineren, umsatzschwächeren Landesorganisati-onen eine einheitliche Funktionalität sicherzustellen, wird als zweiter Standard das ERP-System iScala eingesetzt.

Insbesondere überregionale Systemkunden schätzen die hohe Aussagekraft der EDV-Systeme immer stär-ker als eigenen Wert innerhalb der Gesamtleistung von Lekkerland. Die Vernetzung mit den verschiedenen Kun-densystemen ist heute elementarer Bestandteil der ope-rativen Prozesse. Um noch differenzierter, strukturierter und schneller unternehmensrelevante Informationen spei-chern und auswerten zu können, hat Lekkerland ein Busi-ness Information Warehouse auf Basis SAP BI angelegt, das alle relevanten Führungs- und Steuerungsinformatio-nen gebündelt bereitstellt.

Einführung innovativer TechnologienLekkerlands fl ächendeckendes Standortnetz ermöglicht die Auslieferung der bestellten Waren innerhalb von 24 Stunden bei nahezu 99 Prozent Lieferquote – eine Anfor-derung, die ohne intelligentes Lager- und Transportma-nagement sowie ein leistungsfähiges Warenwirtschafts-system nicht möglich wäre.

Die logistische Reorganisation erforderte eine grundle-gende Neugestaltung der bestehenden Abläufe und Pro-zesse in den Logistikzentren. Darüber hinaus sollten Quali-tät und Effi zienz weiter optimiert werden. Ein wesentlicher Baustein des logistischen Gesamtkonzepts war daher für die westeuropäischen Standorte der Übergang von einer überwiegend belegorientierten Kommissionierung zu einer beleglosen Kommissionierung. Damit sollten Prozesssi-cherheit und Transparenz bei hoher Produktivität gesteigert

Page 255: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

299Christian Berner

und Fehler minimiert werden. Gesucht waren skalierbare und fl exible Systemlösungen, die den speziellen Anfor-derungen der jeweiligen Warengruppen gerecht wurden. Die Tatsache, dass die Absatzmengen von Tabak und Food unterschiedlich starken Schwankungen unterliegen, er-schwerte die Aufgabe. Während die Volumina von Tabak-waren im Wochenverlauf bis zu 50 Prozent schwanken, unterliegt das Food-Sortiment im Jahresverlauf besonde-ren Schwankungen. So wird zum Beispiel der Getränke-bereich in den Sommermonaten stark nachgefragt. Hier beginnen die saisonalen Spitzen Mitte März und enden Anfang Oktober. Zu berücksichtigen war ebenfalls das zum Teil sehr abweichende Umsatzvolumen der Logistik-zentren. Werden in einem Lager lediglich Tabakwaren im Wert von jährlich 100 Mio. Euro kommissioniert, kommen andere Niederlassungen auf Größenordnungen von bis zu 800 Mio. Euro. Hieraus ergeben sich konkrete Anforderun-gen für skalierbare Technologien.

Tabakkommissionierung mit Pick-by-Voice und Pick-by-LightNach eingehender Analyse der Tabaklager stellte sich ein Modell heraus, das abhängig vom Absatzvolumen drei unterschiedliche Lösungen vorsieht. In der Basis-lösung ist die Kommissionierung mit Rollwagen völlig ausreichend. Für mittlere Absatzvolumina rechnet sich Pick-by-Voice (hier werden die Kommissionieraufträge elektronisch optimiert und mit elektronischer Stimme an den Lagermitarbeiter übertragen) in Kombination mit ei-ner konventionellen Bandanlage. Für Standorte mit einem sehr hohen Umsatz ist eine innovative, halbautomatische Kommissionieranlage die effi zienteste Lösung. Einer voll-

automatischen Lösung mangelt es an Flexibilität, den ho-hen Schwankungsbereichen des Tagesvolumens effi zient zu begegnen.

Für die Modernisierung der Kommissionierung fand Lekkerland in der Technisch Wissenschaftlichen Industrie-beratung GmbH (TWI), Karlsruhe, den richtigen Partner. Gemeinsam mit TWI entwickelte Lekkerland sowohl für die halbautomatische als auch für die kombinierte Tab-akkommissionierung eine maßgeschneiderte Lösung. Um die Vorteile der neuen Technologien in vollem Umfang zu nutzen, ging der Implementierung die Prüfung und Opti-mierung der Artikelplatzierung voran.

In einem Pilotprojekt wurde für die halbautomatische Kommissionierung eine modular aufgebaute Kombina-tion aus den Systemen Pick-by-Voice und Pick-by-Light entwickelt. Der Kommissionierprozess beginnt bei den sogenannten C- und B-Artikeln, wie etwa Raucherzu-behör, braune Ware oder Zigarillos mit Pick-by-Voice. Der Mitarbeiter kann pro Durchgang bis zu acht Kartons parallel befüllen. Dazu ist er mit einem sogenannten Hit-Handy ausgestattet, das zugleich Scannerfunktion übernimmt. Über das Handy mit Lautsprecherfunktion erhält der Kommissionierer zunächst die Sprachinforma-tion, zu welchem Pickplatz er sich begeben soll. Dort an-gekommen scannt der Mitarbeiter einen Code am Regal und das System bestätigt ihm, dass er sich am richtigen Platz befindet. Als nächste Information gibt das System durch, welche Menge der Kommissionierer in welchen Karton packen soll. Zur Bestätigung des Packvorgangs scannt der Mitarbeiter den Barcode des empfangenden Kartons.

Abb. 2: Tabak-Kommissionierung mit innovativer, halbautomatischer Kommissionieranlage

Materialfluss

Enterprise Resource Planning

Daten

Technologie

Kommissionierung

SAP

Materialfluss-Rechner TWI

Pick-by-Voice

Batch-Kommissionierung

Pick-by-Light

Automatische Band-anlage

ArtikelC-Artikel:Braune Ware,Zubehör

B-Artikel:Zigaretten

A-Artikel:Top 100Zigaretten

Page 256: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

300 Convenient Logistics

Flexibilität als VorteilBevor der Kommissionierer die Kartons zur weiteren Befül-lung an die Bandanlage übergibt, wird jeder Karton verwo-gen und das Gesamtgewicht mit dem Sollgewicht verglichen. Auf der Bandanlage, die nach dem Pick-by-Light-System ar-beitet, werden den Kartons noch die A-Artikel, also die Top-100-Zigaretten beigefügt. Das System zeigt über ein Display die zu entnehmende Menge unter jedem Warenschacht an, die der Kommissionierer durch Knopfdruck bestätigt.

Die Logistikzentren verfügen jeweils über eine unter-schiedliche Anzahl dieser Bandanlagen. Sie sind gespiegelt und werden je nach Auftragslage in Betrieb genommen. An schwachen Tagen laufen nur ein oder zwei dieser so-genannten TOPs (Transport ohne Palette). Das ermöglicht eine fl exible Personalplanung. Darüber hinaus hat sich die Krankenquote aufgrund des ergonomischeren Bewegungs-ablaufs um 15 Prozent reduziert. Ein weiterer Vorteil des Systems ist, dass Pickfehler nahezu ausgeschlossen sind. Die Kartons durchlaufen während der Kommissionierung ein mehrstufi ges Sicherheitskonzept, bestehend aus Wie-gen, Scannen und digitaler Verfi lmung des Inhalts. Gesteu-ert wird der gesamte Kommissionierablauf durch einen Ma-

terialfl ussrechner, der die Aufträge aus SAP als führendes Warenwirtschaftssystem entgegennimmt und nach erfolg-reicher Bearbeitung auch dorthin zurückmeldet.

In der kombinierten Tabakkommissionierung stehen die Kommissionierer zwar an einer konventionellen Bandan-lage, sie erhalten die Pick-Informationen jedoch mittels Pick-by-Voice über einen Kopfhörer und bestätigen die Artikel und die entnommenen Mengen über den EAN-Code per Scanner. Für den optimalen Einsatz dieser Tech-nik wurde nicht nur der Kommissionierprozess verändert, sondern auch der Ablauf der Endkontrolle. Jeder kommis-sionierte Karton wird wie bei der halbautomatischen An-lage am Ende verwogen. Die Freigabe erfolgt durch ein akustisches Signal. Bevor der Karton verschlossen wird, fertigt die Anlage vom Inhalt ein Foto.

Food-Kommissionierung mit Pick-by-VoiceIm Bereich Food arbeitet Lekkerland mit einem reinen Pick-by-Voice-System. Bereits seit Anfang 2002 wird die-ses System zur beleglosen Kommissionierung mit Sprach-steuerung im Unternehmen eingesetzt. Der Roll-out in die westeuropäischen Länder ist beinahe abgeschlossen.

Veränderung in % und h

Jahr

2004

2005

2006

Produktivitäts- und Qualitätsverbesserung Produktivität in Koli/h

Packfehler in %Durchschnittliche Packfehlerentwicklung

2007bis Oktober 2007

0,00 % 0,02 % 0,04 % 0,08 % 0,10 % 0,12 %

110 120 130 140 150 160 170 180 190100

0,06 %

145

0,094 %

159

0,060 %

175

0,055 %

178

0,052 %

Abb. 3: Produktivitäts- und Qualitätsverbesserung – Deutschland: Food

Page 257: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

301Christian Berner

Dabei ist die von der Firma Topsystem entwickelte Sprach-software TopSPEECH auf einem handelsüblichen Pocket-PC (PDA) installiert. Die mitarbeiterindividuelle Spracherken-nung führt zu extrem kleinen Datenübertragungsmengen und kurzen Antwortzeiten. Gesteuert werden alle Abläufe über das Lagerverwaltungssystem SAP LES.

Über einen Kopfhörer erhält der Kommissionierer An-weisungen, zu welchem Pickplatz er zu gehen hat. Dort angekommen, bestätigt er verbal über eine Prüfziffer den Platz. Nun gibt das System an, welche Mengen der Mitarbeiter entnehmen soll. Auch das bestätigt er über zuvor abgespeicherte Schlüsselworte. Nach Abschluss der Position wird der Kommissionierer vom System zum nächsten Pickplatz geleitet. Parallel dazu laufen im La-gerverwaltungssystem alle Bestandsbuchungen online. Nachschubaufträge werden umgehend ausgelöst.

Der klare Vorteil des Systems besteht darin, dass we-der Belegbearbeitung noch Scanvorgänge den Arbeits-fl uss unterbrechen und der Mitarbeiter beide Hände zum Greifen der Ware frei hat. Die ohnehin niedrige Packfeh-lerquote konnte bereits im ersten Jahr nach Einführung der beleglosen Kommissionierung um weitere 30 Prozent reduziert werden. Der Produktivitätszuwachs lag im Zeit-raum von 2002 bis 2007 bei über 20 Prozent.

Erfreulich ist auch die hohe Akzeptanz des Systems bei den Mitarbeitern. Die Kommissionierer empfi nden die Sprachsteuerung als Arbeitserleichterung und Auf-wertung. Die individuelle Sprachkennung stellt darüber hinaus jedem Mitarbeiter frei, den Dialog in seiner Mut-tersprache zu führen. Naturgemäß führt die elektronische Berechnung der optimalen Wege für den Kommissionierer auch zu einer deutlichen Effi zienzsteigerung und erhöht die Wirtschaftlichkeit des Logistikbereichs.

KundenschnittstellenIn der Distribution als einer der wesentlichen Kundenschnitt-stellen werden die Auswirkungen des logistischen Gesamt-konzepts am deutlichsten sichtbar. Der Kunde erhält in einer One-Stop-Strategie alle Teilsortimente mit einer Lieferung. Die permanente Routenplanung und -optimierung passt die Ausliefergebiete an und minimiert die Anzahl der Auslie-fertouren. Ziel ist eine deutliche Reduzierung der Kunden-stopps sowie der gefahrenen Kilometer. Zugleich werden die Belastungen für Kunden, Anwohner und Umwelt durch verringerte Anlieferfrequenzen und Abgasemissionen deut-lich gesenkt. Der hohe technische Standard der Lieferfl otte ist Garant für die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Waren-auslieferung. Sie gehört mit einem Durchschnittsalter von drei Jahren zu den jüngsten in Europa.

Bei der Auslieferung steht der menschliche Kontakt zwi-schen Kunden und Fahrpersonal im Vordergrund. Freundli-che, hoch qualifi zierte Fahrer kennen „ihre“ Kunden sehr ge-nau. Dies fördert Vertrauen, beugt Missverständnissen vor und ist somit „einfach bequem“ für Kunde und Fahrpersonal.Im Rahmen eines Risk Managements sorgen darüber hinaus kontinuierliche Fahrerschulungen und Analysegespräche für eine Sensibilisierung der Fahrer gegenüber den Gefahren im Straßenverkehr sowie bei den Ladevorgängen, um mehr Sicherheit für alle Straßenverkehrsteilnehmer zu schaffen.

Erfolg und Ausblick

Lekkerland ist heute ein bedeutender europäischer Full-Service-Anbieter für alle Absatzkanäle im Convenience-Handel. Die Vision, internationalen Großkunden überall in Europa einheitliche Standards zu bieten und zugleich den unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Geschäfts-modellen als auch der für regionale und nationale Kunden notwendigen Flexibilität und Nähe gerecht zu werden, scheint weitgehend erreicht zu sein.

Lekkerland ist es gelungen, durch eine neue logistische Gesamtkonzeption stabile und schlanke Prozesse zu eta-blieren, den administrativen Aufwand zu minimieren und zugleich Kostenersparnisse zu generieren. Der Erfolg des Unternehmens ist gleichzeitig auch der Erfolg seiner Partner, weil Lekkerland als integraler Bestandteil der Wertschöp-fungskette seine Partner am Unternehmenserfolg beteiligt. Konkurrenzfähige Preise, zuverlässige Abläufe und maß-geschneiderte Kundenschnittstellen sind das Ergebnis des komplexen Logistik-Reengineerings. Die Beibehaltung der bei nahezu 99 Prozent liegenden hohen Lieferbereitschaft und die kontinuierliche Einhaltung der Lieferzeiten bestätigen das Engagement und Qualitätsbewusstsein der Beteiligten.

Künftige Herausforderungen, auf die Lekkerland in der Logistik Antworten fi nden wird, sind beispielsweise die noch stärkere Verzahnung interner Abläufe zwischen Ein-kauf, Vertrieb und Logistik durch das integrierte Supply Chain Management oder auch eine nachhaltigere Aus-lastung des Fuhrparks durch eine eigene Beschaffungs-logistik. Auf künftiges Wachstumspotenzial in den stark wachsenden Produktbereichen Frische, Ultrafrische und Tief-kühlkost bereitet sich das Unternehmen ebenfalls durch den Aufbau einer Mehrkammerlogistik und den Ausbau seiner Lager vor. Darüber hinaus gewinnen Aspekte der Umweltver-träglichkeit und Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung.

Logistik ist und bleibt eine Kernkompetenz von Lekker-land. Deshalb muss und wird Lekkerland stets State-of-the-art-Lösungen implementieren und seinen Partnern anbieten.

Page 258: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main

Karl-Rudolf Rupprecht

Senior Vice President Hub Management Frankfurt der Deutschen Lufthansa AG

Hartmut Zadek

Professor und Leiter des Lehrstuhls für Logistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Beirat der Visality Consulting GmbH Berlin

Mitglied des Förderbeirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL)

Page 259: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Hartmut ZadekJahrgang 1968Zadek ist seit 2008 Leiter des Lehr-stuhls für Logistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er studierte Wirtschaftsingenieurwe-sen an der Technischen Universität Berlin und war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Techno-logie und Management mit Leitung praxisorientierter Forschungsprojekte

im Bereich Logistik. 1999 folgte dort die Promotion summa cum laude bei Prof. Dr.-Ing. H. Baumgarten. Er wurde mit dem Konrad-Mellerowicz-Preis ausgezeichnet. Bis Ende 2007 war er im Projektmanagement in der Beratung tätig, seit 2002 hatte er Prokura und Führungsaufgaben im Management Board inne. Er ist Mitbegründer und Beirat der Visality Consulting GmbH Berlin und Mitglied des Förderbeirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Es bestehen Lehraufträge an der Universität Dortmund und der Kühne School of Logistics and Management.

Dr.-Ing. Karl-Rudolf RupprechtJahrgang 1955Rupprecht ist seit 2004 Senior Vice President Hub Management Frank-furt der Deutschen Lufthansa AG. Er studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen und promovierte 1988. Er stieg bei der Deutschen Lufthansa AG ein. Zwischen 1989 und 1994 übernahm er verschiedene Managementaufgaben im Bereich

der Flugzeugwartung. Er leitete die Einheit Betriebsmittel Services und bereitete die rechtliche Verselbstständigung unter dem Namen der Lufthansa Engineering and Operational Services GmbH (LEOS) vor. Rupprecht wechselte 1995 nach Hamburg, war zunächst Corporate Manager für den Bereich Unternehmensentwicklung, im gleichen Jahr bis 2000 stell-vertretender Leiter Marketing & Sales der Lufthansa Technik AG. Von 2000 bis 2004 war er Geschäftsführer der Lufthansa Technik Logistik GmbH.

Page 260: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Entwicklungen im Luftverkehr

Die Luftfahrtbranche hat sich aus der schwierigen Phase zu Anfang des Jahrtausends befreit und auf den langfristigen Wachstumspfad zurückgefunden. Extreme Sicherheitsan-forderungen und hohe Treibstoffpreise nehmen aber noch immer starken Einfl uss. Die Etablierung der Low-Cost-Carrier, Konzentrationstendenzen von Fluggesellschaften und strategische Neuausrichtungen von Netzstrukturen kennzeichnen heute zusätzlich den Airline-Markt. Flughä-fen und Airport-Dienstleister müssen sich an den immer weiter steigenden Anforderungen der Airlines hinsichtlich Qualität, Flexibilität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit ausrichten (Wollschläger und Zadek 2005).

Der Wettbewerb im Luftverkehr fi ndet nicht nur in der Luft, sondern zunehmend am Boden statt. Flughäfen sind nicht selten in der Hand großer Holding-Strukturen, die ganze Ketten von Airports zu modernen Dienstleistungs-

zentren ausbauen. Deren wirtschaftlicher Erfolg hat sich längst vom eigentlichen Flugbetrieb losgelöst. Diese Ent-wicklung ist das Ergebnis eines Liberalisierungsprozesses des Luftverkehrsmarktes, der Anfang der 1990er Jahre begann. Aus den staatlichen Fluggesellschaften wurden sukzessive und zum überwiegenden Teil börsennotierte Unternehmen, die einem permanenten Auslastungs- und Kostendruck ausgesetzt sind. Daraus resultierte eine beträchtliche Anzahl an spektakulären Übernahmen, die mit dem Ziel erfolgten, Verbundvorteile in den Aviation-Netzwerken zu realisieren. Gleichzeitig mussten Unter-nehmen wie Airlines, Caterer und Flugzeughersteller ihre Kosten senken und ihr Leistungsangebot verbessern. Die Betreibergesellschaften, einstmals rein öffentliche Unter-nehmen, wurden in den vergangenen Jahren zunehmend privatisiert und müssen nunmehr im Wettbewerb mit

Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/MainKarl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek

Abb. 1: Entwicklungen im Weltluftverkehr

8000

7000

6000

5000

4000

3000

2000

1000

Prognose6 % Wachstum pro Jahr

Quelle: IACO

PKT* in Mrd.

*PKT = Passengers Kilometers Transported

1970 1990 2000 2010 2020

PKT* - Entwicklungen im Weltluftverkehr (1970–2020) Entwicklung der im Markt befindlichen Fluggeräte bis 2020

2000

0

4000

6000

8000

10 000

12 000

14 000

16 000

18 000

20 000

22 000

8235

20 997

+3,5 % pro Jahr

Anzahl Flugzeuge

11 716

Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.,Luftverkehrsbericht 2004

1995 2005 2020

Page 261: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

306 Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main

privaten Dienstleistern um Aufträge der Airlines kämpfen. In Bereichen wie der Flugzeugabfertigung, der Passage und dem Operations haben private Wettbewerber seit der Liberalisierung des Wettbewerbsrechts Zugang zur Flug-hafeninfrastruktur (Bermig 2005). Öffentlich-rechtliche Tarifstrukturen und unfl exible Beschäftigungsmodelle schwächen hierbei die Konkurrenzfähigkeit der Betreiber. Ausgründungen von Tochtergesellschaften ohne solche Beschränkungen auch gemeinsam mit Logistikdienstleis-tern sind die Folge. Dies führte zu einer verstärkten Frag-mentierung der Wertschöpfungskette Aviation, zu einer Zunahme der Komplexität und zu höheren Anforderungen an die Koordination aller beteiligten Unternehmen (Emmer-mann u. a. 2006). In diesem Umfeld kann ein Dienstleister seine Rolle nicht mehr im herkömmlichen Schnittstellen-Management zweier Wertschöpfungsstufen defi nieren. Es existieren keine einfachen Prozessketten, sondern kom-plexe Bündelungen unterschiedlicher Dienstleistungen, die häufi g an einem Punkt, dem Flughafen, konzentriert sind. So beherbergt in Deutschland ein mittlerer interna-tionaler Verkehrsfl ughafen ca. 100 einzelne Unternehmen vom Betreiber über Airlines und Dienstleister bis hin zur Flugsicherung und sorgt für ca. 10 000 Arbeitsplätze.

Die Rahmenbedingungen für Verkehrsfl ughäfen in Deutschland sind mit über 6 Prozent p. a. Zuwachs bei Passagierzahlen und Fracht von guter Entwicklung geprägt.

Einen überproportionalen Anteil daran hatten die Low Cost Carrier (LCC), die bereits fast 20 Prozent des Pas-sagieraufkommens vereinen. Deren Flugangebote machen das Flugzeug zu einem immer größeren Konkurrenten für die anderen Verkehrsträger (Emmermann u. a. 2006). Die Angebotsausweitung führt zu einem Wandel im Luftver-kehrsmarkt: vom Anbieter- zum Käufermarkt. In Summe entsteht ein heftiger Preiswettbewerb der Airlines unter-einander mit Auswirkungen auf die Kostensensitivität bei der Nachfrage nach Airport-Leistungen. Dabei befi ndet sich der Markt erst am Anfang einer nachhaltigen Ent-wicklung, die im Rahmen der Globalisierung exponentiell ansteigen wird. Innerhalb der nächsten 15 Jahre wird sich der Weltluftverkehr mehr als verdoppeln und die Anzahl eingesetzter Fluggeräte um 75 Prozent steigen (siehe Ab-bildung 1).

Für etablierte Netz-Airlines erhöht sich der Wett-bewerb massiv. In sieben Jahren hat sich in Europa die Anzahl der von LCC eingesetzten Transportgeräte auf 350 Flugzeuge verzehnfacht. Die Anzahl der mit LCC beför-derten Passagiere stieg um den Faktor 30 von zwei auf 62 Mio. Passagiere. Dabei wuchs am stärksten die Kom-plexität des Netzwerkes: Die Anzahl der angebotenen Flugrelationen stieg um den Faktor 300 (Widmann 2005). Ein Ende dieses Wachstums ist noch lange nicht in Sicht. Neue Netzwerk-Carrier aus der Golf-Region verschärfen

Abb. 2: Yield-Entwicklung im Weltluftverkehr

Quelle: IACO

*RPK = Revenue Passenger Kilometers

Lokal-verkehr

Index Index

Umsteige-verkehr

HubsDezentraleAirports P2P/P2 Hub Airports

LCCP2P-Airports

7

8

9

10

1990 2002

100 % 100 %

26–33 %

70–85 %

5 %

Yield per RPK

US-Cents Yield-Veränderung (%)

Yield-growth

- 5 %

5 %

Yield-Entwicklung Weltluftverkehr (1990–2002)* Yield/Pax Lokal- vs. Umsteigeverkehr

Stückkosten/Pax Hub- vs. dezentrale Airports

200

Quelle: LH-Benchmarks, Transport Research Labs Geschäftsberichte

105–115 %

2

Page 262: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

307Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek

den Wettbewerb auf den Top-Verkehrsströmen nach Asien-Pazifi k, Nordamerika und Nahost.

Die Profi tabilität einer Airline hängt maßgeblich von der Auslastung der Fluggeräte ab. Um eine hohe Auslas-tung zu erzielen, werden durch intelligente Buchungssteu-erungssysteme für verkehrsschwache Tageszeiten ver-stärkt preiswerte und günstige Tickets angeboten. Somit fi ndet seit Beginn der Liberalisierung ein stetiger Verfall der Yield-Raten statt. Besonders hart ist der Wettbe-werb beim Umsteigeverkehr. Zusätzliche Direktverkehr-angebote der LCC, sogenannte Punkt-zu-Punkt-Verkehre, entziehen den traditionellen Umsteigefl ughäfen, den so-genannten Hub-Flughäfen, einen Teil der Passagiere und führen zu einem stärkeren Yield-Verfall. Darüber hinaus weisen die Hub-Flughäfen aufgrund der komplexeren Infrastruktur in der Regel höhere Kosten als kleinere, dezentrale Flughäfen auf (siehe Abbildung 2).

Diese Entwicklung zwingt etablierte Airlines mit ihren traditionellen Netzangeboten über Hub-Flughäfen zum Um-denken. Neben einem immer konsequenteren Kosten mana-gement müssen über andere Geschäftsmodelle und strategische Allianzen zusätzliche Einnahmequellen erzielt werden.

Das aufgezeigte Wachstumspotenzial der Luftfahrt-branche birgt in den nächsten Jahren hohe Heraus-forderungen und Anpassungsnotwendigkeiten für die Luftfahrtindustrie und die Flughäfen im Besonderen. Die Verkehrsdichte in den Hub-Airports hat bereits heute eine Dimension erreicht, die zu erheblichen Limitierungen des

prognostizierten Wachstums führen wird, sofern Anpas-sungen an die Marktbedürfnisse ausbleiben. Flughäfen weltweit werden in den nächsten Jahren erhebliche In-vestitionen in die Erweiterung der Infrastruktur leisten müssen, um die prognostizierten Wachstumsraten und die Abfertigung neuer XXL-Flugzeugmuster möglich zu machen (Emmermann u. a. 2006). Im weltweiten Wett-bewerb der Mega-Hub-Flughäfen wird aufgrund der limitierten Möglichkeiten des Infrastrukturausbaus das Verkehrsmanagement zu einem immer wichtigeren stra-tegischen Wettbewerbsfaktor.

Die Deutsche Lufthansa AG hat auf diese Entwicklungen mit der Umsetzung von drei nachhaltigen Strategien ge-antwortet:

• Auf- und Ausbau einer weltweiten Allianz, der sogenann-ten Star Alliance mit gemeinsamen Kostenvorteilen und einem einzigartigen Angebot an Flugverbin dungen

• Ausweitung des Angebotsspektrums mit erkennbarer Differenzierung von Kundensegmenten mit Vollser-viceangeboten, spezifi schen Executive Services oder schlanken Charter- und LCC-Angeboten

• Entwicklung einer aktiven Verkehrssteuerung am Mega-Hub Frankfurt/Main, der Heimatbasis von Lufthansa, und Ausbau zum Verkehrsmanagement mit einzig-artigen Leistungen für Umsteigepassagiere bezüglich Transferzeiten, Konnektivität und Service.

Abb. 3: Arten der Netzwerkgestaltung

Liniennetz

Punkt-zu-Punkt-Netz

Hub-and-Spoke-Netz: Single-Hub

Hub-and-Spoke-Netz: Multi-Hub

Hub

Hub 2Hub 1 Hub 3

Page 263: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

308 Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main

Strategien im Management der Flugzeugfl otten

Die Planung und Gestaltung des Streckennetzes gehört zu den wichtigsten strategischen Aufgaben des Manage-ments von Flugzeugfl otten. Die Netzwerkrelationen der Airlines können auf Direkt- oder Umsteigeverbindungen basieren. Direktverbindungen können Nonstopfl üge oder Flüge mit Zwischenlandungen ohne Flugzeugwechsel sein. Grundsätzlich werden drei Arten der Netzwerkgestaltung unterschieden:

• Liniennetz,• Punkt-zu-Punkt- oder Rasternetz,• Hub-and-Spoke-Netz.

Unter Liniennetzen versteht man Systeme von Flugver-bindungen, bei denen ein am Heimatfl ughafen gestartetes Flugzeug auf dem Weg zum endgültigen Zielort mehrere Zwischenlandungen einlegt, bevor es vom Endziel aus wie-der in der Regel auf derselben Route zurückfl iegt. Linien-netze stammen noch aus den Zeiten staatlicher Airlines. Hauptgründe für die Einrichtung von Liniennetzen waren die damals geringere Reichweite der Flugzeugtypen und eine für eine getrennte Bedienung der einzelnen Flughä-fen zu geringe Nachfrage. Von Vorteil ist bei Liniennetzen die einfache Planung. Die Bedeutung von Liniennetzen insbesondere bei privatisierten, gewinnorientierten Air-lines ist jedoch aufgrund der hohen Kosten und zum Teil vorhandenen Restriktionen bezüglich der Aufnahme von Zusteigern stark zurückgegangen (Maertens 2002).

In dezentralen Punkt-zu-Punkt- oder Rasternetzen werden die einzelnen Flughäfen untereinander mit Nonstopfl ügen direkt verbunden. Im Vergleich zu Umsteigeverbindungen werden dadurch deutlich kürzere Flugzeiten insbesonde-re im Kurz- und Mittelstreckenbereich erzielt. Einerseits können damit höhere Erlöse bei zeitsensiblen Business-Passagieren erzielt werden, andererseits ist bei ent-sprechender Nachfrage eine höhere Nutzungsrate der Flugzeuge und Crews möglich. Von Nachteil sind die im Vergleich zu hoch frequentierten Umsteigeverbindungen über Hubs geringere Bedienungshäufi gkeit sowie die höheren Stationskosten. Gewinnorientierte Airlines bie-ten grundsätzlich nur solche Städtepaare als Punkt-zu-Punkt-Relation an, zwischen denen die Verkehrsströme groß genug sind, d. h. eine ausreichende Nachfrage nach Flügen besteht. Im Kontinentalverkehr ist dieses System exponentiell gewachsen und hat insbesondere eine starke Nachfrage nach Kurzreisen ausgelöst und befriedigt. Im Interkontinentalverkehr ist dieses System bislang nur ver-einzelt zwischen Weltstädten und Massentourismusorten anzutreffen.

In den letzten Jahren haben die großen interkonti-nental operierenden Airlines ihre Streckennetze zuneh-mend auf das Hub-and-Spoke-System umgestellt. Beim Hub-and-Spoke-Netz werden die von kleineren Flughäfen abfl iegenden Passagiere auf speichenförmigen Zubrin-gerstrecken (Spokes) zu einem als zentrale Drehscheibe fungierenden Großfl ughafen (Hub) gefl ogen, dort gesam-melt und entsprechend ihres Endziels auf Anschlussfl üge verteilt. Die Zubringerfl üge versorgen den Hub bzw. die

Abb. 4: Überblick zu Abfertigungsgeräten bei der Bodenabfertigung eines Flugzeuges

Quelle: Visality Consulting GmbH

Tankwagen Wasserwagen

Fluggastbrücke

Schlepper

Entsorgungsfahrzeug

Hubbühne

Zugwagen mit DolliesEnteisungsfahrzeug

Catering-Wagen

Feuerwehr

Fluggasttreppe

Tankwagen Wasserwagen

Fluggast

Entsorg

Hubbühne

Zugwagen mEnteisungsfahrzeug

Catering-Wagen

Fluggasttreppe

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309Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek

Anschlussfl üge mit Fluggästen, sodass höhere Auslas-tungen möglich werden und/oder größere Fluggeräte mit einer effi zienteren Kostenstruktur eingesetzt werden kön-nen. Dies trifft vor allem beim Interkontinentalverkehr zu.

Es werden Single-Hub-Netze und Multi-Hub-Netze unterschieden. Bei Single-Hub-Netzen leitet die Flugge-sellschaft alle Verkehrsströme über einen einzigen, zen-tral gelegenen Hub, der somit zum einzigen Knotenpunkt der Airline wird. Single-Hub-Netze werden insbesondere von Fluggesellschaften aus fl ächenkleinen Ländern wie in Europa betrieben. Bei Multi-Hub-Netzen handelt es sich um mehrere aufeinander abgestimmte Single-Hub-Netze, welche durch Flüge zwischen den Hubs miteinander ver-bunden sind. Passagiere, welche von einem kleineren Flughafen in der Ursprungsregion zu einem kleineren Flug-hafen in der Zielregion reisen wollen, müssen so in der Re-gel zweimal umsteigen, und zwar zuerst am Hubfl ughafen in der Ursprungsregion und dann am Hub der Zielregion. Den Airlines erlauben Multi-Hub-Netze zum einen eine weite fl ächenmäßige Expansion und damit eine Erhöhung ihres Passagierpotenzials und zum anderen eine verstärk-te Bündelung zwischen den Hubs (Mayer 2001). Aus Sicht der Passagiere steht dem Nachteil des doppelten Umstei-gens der Vorteil einer großen Auswahl an Flugverbindun-gen und Zielen gegenüber. Multi-Hub-Netzwerke können auch durch Airline-Allianzen entstehen. So ist der Hub Frankfurt/Main des Star-Alliance-Mitglieds Lufthansa nonstop mit den Hubs der wichtigsten Partner-Airlines wie beispielsweise United Airlines (Washington, Chicago, San Francisco), Singapore Airlines (Singapur), SAS (Kopenha-gen), Varig (Sao Paolo) und All Nippon Airways (Tokio) ver-bunden, um den Passagieren ein weltweites Streckennetz zu bieten, innerhalb dessen in der Regel maximal zweimal umgestiegen werden muss (Maurer 2006).

Hub-and-Spoke-Systeme führen bei größeren und international operierenden Linienfl uggesellschaften zu massiven betriebswirtschaftlichen Vorteilen. Produk-tionsseitig können durch die Bündelung der Verkehrs-ströme über die Hubs Economies of Density, Scale und Scope erzielt werden. Absatz- und strategiebezogen erlauben es Hub-and-Spoke-Systeme den Airlines, ihr Angebot durch zusätzliche Flüge überproportional stark zu erweitern und durch die Dominanz am eigenen Hub Markteintrittsbarrieren für potenzielle Konkurrenten aufzubauen. Diesen Vorteilen stehen nur wenige Nach-teile gegenüber. Problematisch sind in einem Hub-and-Spoke-System hauptsächlich die während der An- und Abflugwellen hohe Kapazitätsbeanspruchung der Infra-struktur und Personalressourcen des Hubs sowie die

Anfälligkeit gegenüber Verspätungen, die die Konnektivität zu Anschlussfl ügen gefährden.

Trotz der überwiegenden Vorteile des Hub-and-Spoke-Systems bedeutet dies nicht, dass an den internationa-len Drehkreuzen eine komfortable ökonomische Situation herrscht. Hier bildet sich ebenso ein Konkurrenzkampf im in-ternationalen Maßstab ab: Mega-Airports mit über 40 Mio. Passagieren p. a., zu denen in Deutschland nur Frankfurt/Main zu zählen ist, kämpfen um die Rolle als Hub in den Netzwerken der global agierenden, sich zunehmend kon-zentrierenden Passagier-Carrier. Bestehende Mega-Hubs mit Kapazitätsrestriktionen können im Wettbewerb zu neuen Mega-Hubs in der gelben Wüstenlandschaft oder auf künstlichen Inseln im blauen Meer nur durch inten sive Partnerschaften mit ihren Home-Carriern sowie einem intelligenten Verkehrsmanagement langfristig bestehen und weiter wachsen.

International agierende Airlines setzen oft auch auf die Kombination von Systemen. Air Berlin fl iegt im Sommer-fl ugplan hauptsächlich im Punkt-zu-Punkt-Verkehr, während im Winterfl ugplan die Europaziele aufgrund des geringeren Passageaufkommens über ein Drehkreuz am Flughafen Nürnberg versorgt werden.

Die Deutsche Lufthansa AG verfügt über ein Multi-Hub-Netz mit dem Mega-Hub Frankfurt/Main, den wei-teren Hub-Flughäfen München und Zürich sowie den Mega-Hubs der Star-Alliance-Partner. In Ergänzung bietet Lufthansa auch gezielt mehr Punkt-zu-Punkt-Verkehre insbesondere in Konkurrenz zu den LCC an, um das Flä-chenangebot in Europa abzusichern. In den letzten Jahren hat insbesondere der Standort Hamburg davon profi tiert. Lufthansa hat dieser Entwicklung durch eine Aufteilung der Flugzeugfl otte in drei Divisionen Rechnung getragen. Die Hubs Frankfurt/Main und München verfügen über ihre eigenen Flottendivisionen, die jeweils eigenständig im Netzeinsatz geplant und gesteuert werden. Zusätzlich gibt es für den dezentralen Verkehr eine dritte Flottendivision, die für die Punkt-zu-Punkt-Verkehre zur Verfügung steht.

Logistische Herausforderungen und Leistungs-prozesse in den Wertschöpfungsketten In- und Outbound an einem Hub-Flughafen

Hub-Flughäfen stehen vor besonderen Herausforderun-gen, die weit über das eigentliche operative Geschehen hinausgehen. Ein konkretes Beispiel: Fluggesellschaften erwarten, dass durch die Bodenabfertigung, das soge-nannte Ground Handling, die Bodenzeiten der Flugzeuge auf ein Minimum reduziert und somit unproduktive Stand-

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310 Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main

zeiten sowie Verspätungen kompensiert werden. Hierzu müssen zahlreiche Dienstleister in einer eng aufeinander abgestimmten Abfolge genau zur richtigen Zeit am richti-gen Ort die gewünschten Leistungen erbringen. Beteiligte an der Wertschöpfungskette Flugzeug sind u. a. die Flug-sicherung, die Vorfeldsteuerung des Flughafens, der Abfer-tigungsdienstleister, die Spezialunternehmen für Catering,Reinigung, Betankung und Enteisung, der Dienstleister für das Schleppen von Flugzeugen sowie die Technik (siehe Abbildung 4). Erbringt ein einzelner dieser Beteiligten sei-ne Leistung zu spät oder nicht in der gewünschten Quali-tät, so verfehlt der Gesamtprozess des Ground Handlings seine Ziele: Pünktlichkeit, Anschlusssicherheit (Konnekti-vität) und Wirtschaftlichkeit (Emmermann u. a. 2005).

Aus diesem Grunde kann die Abfertigung der Flugzeuge,aber auch das Handling der Passagiere und ihres Gepäcks sowie der Fracht an zahlreichen Airports mit einem For-mel-1-Boxenstopp verglichen werden. Die Tätigkeiten der einzelnen Dienstleister sind hochgradig spezialisiert und auf maximale Geschwindigkeit ausgelegt – wenn auch oftmals zu sehr funktional und zu wenig prozess-orientiert. Die Airlines defi nieren die zeitlichen und qualitätsbezogenen Vorgaben für den Gesamt- und die

Einzelprozesse in sogenannten Referenzmodellen. Der Turnaround eines Flugzeuges besteht aus dem Inbound- und dem Outbound-Prozess (siehe Abbildung 5). Eine der-artige Standard-Prozesskette kann hierbei 200 und mehr einzelne Prozessschritte aufweisen. Dabei ist zusätzlich nach Flugzeugtypen, Geräteeinsatz, Abfertigungsarten, Airlines, Destinationen etc. zu differenzieren.

Zusätzlich stellt sich, neben der Aufgabe der steuern-den Einfl ussnahme über zahlreiche Unternehmensgrenzen und IT-Schnittstellen hinweg, jedoch eine zentrale Her-ausforderung: der Umgang mit den zahlreichen stochasti-schen Unwägbarkeiten des Flugverkehrs wie z. B. Wetter, Pünktlichkeitssituation, Slot-Vergabe, Rollverkehr, ver-spätete Passagiere, Wiederausladung von Gepäckstücken oder technische Defekte. Keiner dieser Faktoren ist exakt planbar – damit gleicht das Ground Handling am Hub-Flug-hafen der Aufgabe, täglich mehrere Hundert Boxenstopps mit einem heterogenen, multinationalen Team und bei Nebel durchzuführen.

In Deutschland zählt Frankfurt/Main mit über 54 Mio. Passagieren pro Jahr zu den internationalen Mega-Hubs. Als Netzknoten der Deutschen Lufthansa AG ist der Flughafen auf ein Hub-Zielsystem ausgerichtet, das

Abb. 5: Wertschöpfungsketten In- und Outbound

Inbound

Outbound

Start Empfang Daten-Telex Abflughafen

Übernahme Flugsicherung

Annäherung Landung Rollführung

Annahme an Position

Einsatz Geräte Passagier-ausstieg

Entladung, Bags, Cargo, Mail, Catering

Cleaning ggf. Technik-Service

ggf. sonstige Dienst-leistungen

ggf. Ausstieg Crew

ggf. Versiegelung

ggf. Schlepp Werft oder andere Position

ggf. Rollführung

ggf. Schlepp auf Position

ggf. Entsiegelung

ggf. Einstieg Crew

Koordination Ladegruppe/ Cockpit

ggf. Betankung

ggf. Versorgungs-service

ggf. Catering

ggf. Klimaservice

ggf. sonstige Dienstleist-ungen

ggf. Enteisung (Remote, Rampe)

Beladung

Start

ggf. techn. Klarmeldung

Passagier-einstieg

Abstimmung Tower

Versand Daten-Telex

Ende

Pushout Rollführung inkl. Remote Holding

Quelle: Visality Consulting GmbH

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311Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek

bestmöglichen Service mit hoher Kundenzufriedenheit, hinreichende Sicherheit, hohe Pünktlichkeit und gute An-schlusssicherheit für den Fluggast mit wirtschaftlicher Effi zienz verbindet (siehe Abbildung 6). Diese Zielgrößen sind freilich oftmals schwer vereinbar. Ein Beispiel: Das Warten auf eine Passagiergruppe von einem verspäteten Zubringerfl ug rettet diesen Fluggästen den Anschluss, zer-stört aber die Pünktlichkeit im Abfl ug und gefährdet damit wiederum die Anschlüsse am Zielort. Wird andererseits zugunsten der Pünktlichkeit, die bei großen Flugzeug-mustern je Minute mit einem dreistelligen Euro-Betrag zu kalkulieren ist, auf die Passagiergruppe nicht mehr gewar-tet, sind zahlreiche Umbuchungen vorzunehmen und ggf. sogar Hotelübernachtungen zu disponieren, welche neben der Kundenzufriedenheit die Wirtschaftlichkeit negativ beeinfl ussen. Hier liegt ein mehrdimensionales, konkurrie-rendes Zielsystem (Krebs 2007) vor, innerhalb dessen die Zielprioritäten für jedes einzelne Flugereignis neu ausge-legt und in der Steuerung umgesetzt werden müssen.

Auch der einzelne Prozessbeteiligte im Ground Hand-ling operiert mit divergierenden Zielen. Der eigenen Auslastungs- und Produktivitätsmaximierung steht die Optimierung des Gesamtprozesses oftmals konfl iktär ent-gegen. Wenn beispielsweise der Flughafenbetreiber die Planung der Flugzeugpositionen noch kurz nach der Lan-dung eines Fluges ändert, um den Passagieren ein mög-lichst komfortables Aussteigen auf einer kurzfristig frei gewordenen Position zu ermöglichen, verursacht er damit womöglich eine „Karawane“ von Servicefahrzeugen auf dem Vorfeld, da zahlreiche Dienstleister sich bereits auf einen „Boxenstopp“ auf einer weit entfernten Position eingerichtet hatten. Wenn andererseits ein Dienstleister seine Ressourcen auf eine hinreichende Minimalverfüg-

barkeit gemäß des Flugplans auslegt, so kann er im Falle von überraschenden Verspätungen z. B. im Abend-Peak möglicherweise nicht mehr auf eine Einsatzreserve zu-rückgreifen, und es kommt zu zusätzlichen Verspätungen am Boden.

Für die Einschätzung der Gesamtprozess-Performance am Hub ist somit nicht allein der Output der genannten Haupt-Zielgrößen entscheidend, sondern in Hinblick auf die Hub-Steuerung die intelligente Anwendung einzelner Steuerungsmethoden für das konkrete Einzelereignis. Da-mit die Hub-Steuerung nicht ins Leere greift, ist bei den einzelnen Prozessbeteiligten gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität, Qualität und Zuverlässigkeit erforderlich.

Ressourcenengpass, funktionale Organisations-strukturen und Steuerungsanforderungen

Hub-Flughäfen sind einer überdurchschnittlichen Kapazi-tätsbeanspruchung der Infrastruktur und Personal-ressourcen ausgesetzt. Kritischer Engpass an vielen Hubs ist die Start- und Landebahnkapazität als hauptsächlicher Bestimmungsfaktor für die Anzahl der zu vergebenden Slots. So ergibt sich für die Flughäfen eine höchstzulässige Anzahl an Flugbewegungen pro Stunde, der sogenannte Kapazitätseckwert (Jäggi 2000). Da die Hubs als Umsteige-fl ughäfen konzipiert sind, gibt es mehrere Ankunfts- und Abfl ugwellen pro Tag, sogenannte Knoten, zu denen viele aufeinander abgestimmte Flüge starten und landen. In Frankfurt/Main beispielsweise operiert die Deutsche Lufthansa mit mehreren solcher Knoten pro Tag.

Die Verteilung der Ressourcenbelastung ist dadurch an Hub-Flughäfen üblicherweise sehr unausgewogen. Mehrere Phasen der Spitzenauslastung wechseln im

Abb. 6: Zielsystem der Deutschen Lufthansa AG für den Hub-Flughafen Frankfurt/Main

Quelle: Deutsche Lufthansa AG

Wirtschaftlichkeit

Konnektivität

Kundenzufriedenheit

PünktlichkeitZiele DLH AG

Gepäck Passagier Transferzeit Netz Rotation Bodenzeit

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312 Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main

Tagesverlauf mit Phasen sehr geringen Ressourcenbe-darfs (siehe Abbildung 7). Zusätzlich treten starke saiso-nale Schwankungen auf, z. B. aufgrund von Urlaubszeiten oder Megaevents. Um die Leistungsfähigkeit des Flug-hafens sicherzustellen, werden die Personalkapazitäten nicht selten auf die Spitzenlastsituationen ausgelegt. Hinzu kommen die Restriktionen aus dem öffentlichen Dienstrecht bezüglich der Tarifstrukturen, Arbeitszeitmo-delle und Dienstzeiten, die nicht die geforderte Flexibilität für einen derartigen Tagesverlauf mit hinzukommenden spontanen Veränderungen aufgrund von Wetterbedin-gungen und Verspätungen aufweisen. Der Airport-eigene Bodenverkehrsdienst muss nahezu an allen Flughäfen mit Schichtmodellen auskommen, die zwischen sechs und zehn Stunden variieren. Damit lassen sich jedoch einzelne Spitzenlastsituationen am Tage verteilt nicht effi zient und kostenoptimal abdecken. Aufgrund der stark schwan-kenden Belastungsverläufe sind die Mitarbeiter in einem nicht optimierten Ist-Zustand oftmals nur zu ca. 50 bis 60 Prozent, die Geräte nur zu 15 bis 25 Prozent der netto ver-fügbaren Zeit ausgelastet.

Neben den Leerzeiten, die durch das Tageslastprofi l entstehen, treten auch abfertigungs- und prozessbeding-te Leerzeiten auf. Diese resultieren aus der funktionalen Aufgabenteilung im Bodenverkehrsdienst. Die Komplexi-tät der im Ground Handling zu erbringenden Leistungen ist über die Jahre aufgrund der Kundenanforderungen, des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der ver-schärften Sicherheitsvorschriften stark angewachsen. Die Flughafenbetreiber reagierten zumeist mit einer organisatorischen und funktionalen Trennung der ein-

zelnen Bodenverkehrsdienstleistungen. Die Mitarbeiter konnten speziell auf ihren Einsatzbereich qualifiziert werden, mussten nicht die gesamte Komplexität der Leis-tungsvielfalt beherrschen und konnten so funktionsorien-tiert und dezentral für die Aufgaben geplant, disponiert und operativ gesteuert werden.

Nachteile dieser Entwicklung sind jedoch verschiedenste Schnittstellen über den Gesamtprozess der Flugzeugab-fertigung hinweg. An diesen Schnittstellen entstehen meistens Wartezeiten mit Bindung von Ressourcen sowie Informationsverluste. So bringen beispielsweise Fahrer leere Gepäckwagen zum Flugzeug, warten dort ohne ei-genes Tun, bis das Gepäck von anderen Mitarbeitern aus dem Flugzeug entladen und auf den Gepäckwagen gesta-pelt ist, und fahren dann mit dem Gepäck zur Einschleu-sung ins Flughafengebäude. Anderes Beispiel: Bei der Ge-päckeinschleusung werden Mitarbeiter abgestellt, um die ankommenden Gepäckstücke von den Flugzeugen auf das Ausgabeband einzuschleusen – jedoch unabhängig, wie viel gerade laut Tagesverlauf zu tun ist. Oder an den soge-nannten Sortierrundläufen im Gepäckverteiler: Dort neh-men Mitarbeiter die eingecheckten Koffer vom Rundlauf und beladen den Gepäck-Dollie, der später zum Flugzeug herausgefahren wird. Da z. B. bei Interkontinentalfl ügen zwei bis drei Stunden vorher der Check-in-Schalter öffnet, ist der Sortierrundlauf die ganze Zeit bis zur Abfahrt des letzten Gepäck-Dollies geöffnet und mit Mitarbeitern ver-sehen, egal wann und wie viele Koffer kommen.

Ein prozessorientierter Ansatz sowohl bei der Steue-rung des Gesamtprozesses als auch der Ausführung der Einzelprozesse kann die aufgezeigten Nachteile deutlich

Abb. 7: Beispiel zum Abflug-/Ankunftswellensystem an einem Hub-Flughafen

Departure

Arrival

Quelle: Deutsche Lufthansa AG

Uhrzeit(lokal)

05:1

5

05:5

0

06:2

5

07:0

0

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08:1

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08:4

5

09:2

0

09:5

5

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11:0

5

11:4

0

12:1

5

12:5

0

13:2

5

14:0

0

14:3

5

15:1

0

15:4

5

16:2

0

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5

17:3

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18:0

5

18:4

0

19:1

5

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20:2

5

21:0

0

21:3

5

22:1

0

22:4

0

23:2

0

Interkont Interkont Interkont

InterkontInterkontInterkontInterkont

1 2 3 4 5 6 7 8

1 2 3 4 5 6 7 8

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313Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek

reduzieren, die Auslastung der operativen Mitarbeiter auf bis zu 80 Prozent erhöhen, einen signifi kanten Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Hub-Flughafens leisten sowie den Erfüllungsgrad der oben genannten Ziele der Hub-Airline nachhaltig steigern.

Das Hub Control Center der Deutschen Luft-hansa AG mit unternehmensübergreifender Struktur

Ein dichtes Netzwerk an Flugverbindungen der Deutschen Lufthansa AG überzieht den Globus und verbindet rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr die Regionen der Welt. An dem Mega-Hub Frankfurt/Main verdichten sich die Ver-kehrsströme der Lufthansa-Flüge zu Knotenpunkten, an de-nen in möglichst kurzer Zeit täglich über 30 000 Passagiere mit ihrem Gepäck umsteigen und Fracht umgeschlagen wird. Aus der Vielzahl an möglichen Umsteigebeziehungen mit ihren jeweils spezifi schen Prozessen und Systemen so-wie der unterschiedlichen Dienstleistungspartner im Abfer-tigungsprozess und existierenden Sicherheitsrestriktionen ergibt sich eine schwer zu steuernde und kaum zu überbli-ckende Prozesskomplexität. Dieser täglichen Herausforde-rung stellt sich das Hub Control Center (HCC) der Deutschen Lufthansa AG am Standort Frankfurt/Main.

Das HCC hat das Ziel, sowohl die Flugzeuge pünktlich und sicher abzufertigen, als auch die Passagiere und deren Gepäck wunschgemäß zu befördern. Hierzu gehören Steuerungs- und Dispositionsaufgaben sowie Support-funk tionen, die die Arbeitsgrundlage für andere Bereiche bilden. Im HCC sitzen die wichtigsten Systempartner zu-sammen, um kurze Entscheidungs- und Kommunikations-wege zu haben. Durch das HCC fi ndet eine Steuerung aller Flugereignisse statt, die unter LH-Flugnummer operieren. Das „Star Connection Center“ im HCC betreut die Carrier der Star Alliance.

Die Station wird im operativen Tagesgeschäft durch den Hub Duty Offi cer (HDO) ganzheitlich geführt, der die Abläufe bereichsübergreifend, d. h. Landside und Airside mit Wirkung in das HCC sowie in alle Lufthansa-Stationsbereiche und in alle relevanten Systempartner hinein optimiert. Die Pünktlichkeitsziele liegen seinem Handeln als oberste Prämisse zugrunde. Der HDO besitzt den durchgängigen Überblick über die Verkehrssituation im Gesamtbetrieb. Er ist Ansprechpartner und Kommu-nikationsschnittstelle für das Management sowie abtei-lungsübergreifende Eskalationsstufe für den operativen Betrieb. Ihm obliegt die Verantwortung über das gesamte Betriebssystem und die Feinsteuerung der Abfertigungs-prozesse entsprechend den unterschiedlichen Betriebs-

Abb. 8: Ablauforganisation zur aktiven prozessorientierten Verkehrssteuerung

PositionierungAbzug/Bereitstellung

Fokus:Gesamtsystem

Fokus:Einzelereignisse

Fokus:Gesamtsystem

BodenabfertigungPartnersteuerung

kritische UmsteigerRampendirekttransfer

kritisches Gepäck GesamtsteuerungRessourcendisposition

Service Provider

Inbound-Koordinatoren A/C-Koordinatoren

Ramp-Koordinator

Transfer-Koordinatoren Pax

Transfer-Koordinator Baggage

Outbound-Koordinatoren

HCC

Quelle: Deutsche Lufthansa AG, Visality Consulting GmbH

ONB OFB t

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314 Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main

modi hinsichtlich Pünktlichkeit, Konnektivität, Wirtschaft-lichkeit und Servicequalität auf der Station.

Dem HDO im operativen Betrieb zur Seite stehen die Verkehrsleiter vom Dienst (VvD).

Terminal und Vorfeld werden bereichsübergreifend von den VvD qualitätsgesichert. Die VvD sind permanent im Terminal unterwegs, um die Situation vor Ort beurteilen zu können, und berichten alle relevanten Informationen an den HDO. Als Key Account für interne und externe Partner der Station steuern die VvD die Systempartner im Tages-geschäft und setzen nachhaltige Verbesserungsmaßnah-men um. Bei Unglücksfällen übernehmen sie das stations-seitige Notfallmanagement.

Das HCC wird bereichsübergreifend von den HCC Duty Managern (HDM) geführt und nach Pünktlichkeits- und Wirtschaftlichkeitsaspekten qualitätsgesichert. Den HDM obliegt die fachliche und disziplinarische Führung der Lufthansa-Mitarbeiter im HCC. Die HDM kommunizieren regelmäßig die Stations- und Verkehrs-management-Ziele an die Mitarbeiter. Sie informieren und unterstützen die Mitarbeiter bei neuen Verfahren und sind zuständig für Personalsteuerung, -ausgleich,-dispo sition, -akquisition, Umverteilung von Arbeits-paketen sowie die Tageseinteilung. Die HDM bilden somit eine Klammerfunktion über alle HCC-Aufgaben-gebiete durch regelmäßigen Informationsaustausch und Meetings, Sicherstellung der Qualität und „übergeord-nete“ fachliche Entscheidungen. Gleichzeitig steuern sie die weiteren Systempartner im HCC.

Im HCC selbst sind neben den HDM seitens Lufthansa sogenannte Koordinatoren zur prozessorientierten Steu-erung der Bodenprozesse und Service Provider für un-terstützende Leistungen vertreten. Seitens der System-partner sind mit steuernden Mitarbeitern u. a. Fraport im Bereich Landside und Airside, Lufthansa Technik, LSG (Catering), LEOS (Schleppen), Lufthansa Cargo und die Si-cherheitsbehörde vertreten.

Aktive prozessorientierte Verkehrs-steuerung der Lufthansa-Flugzeugfl otte am Hub Frankfurt/Main

Mit der prozessorientierten Verkehrssteuerung im HCC will Lufthansa dem zukünftigen Verkehrswachstum Rechnung tragen, die Nachteile funktionaler Organisationsstrukturen ausgleichen und die Infrastruktureinschränkungen am Hub Frankfurt/Main kompensieren. Somit können alle Ressourcen gemeinsam mit den Systempartnern optimal genutzt werden.

Die Ablauforganisation in der Verkehrssteuerung ist da-durch gekennzeichnet, dass es Gesamtprozessverant-wortliche für In- und Outbound gibt und diese eng mit den anderen Koordinatoren zusammenarbeiten, die für bestimmte Bodenereignisse (Flugnummern) oder Umstei-geströme verantwortlich sind.

Der Inbound-Koordinator ist zuständig für die Disposi-tion der Gates und Positionen für Lufthansa und die zu betreuenden Airlines in der Star Alliance. Er tut dies unter Berücksichtigung der gültigen Rahmenbedingungen sowie in Abstimmung mit den anderen Koordinatoren und agiert mit Hauptfokus auf Pünktlichkeit und Konnektivität. Er steuert Ressourcen, wie z. B. Schlepps, in Absprache mit den Prozessbeteiligten.

Der Outbound-Koordinator steuert den Hub-Verkehr unter Berücksichtigung von Netzaspekten und ist im Be-darfsfall Entscheider für den Gesamtprozess Verkehrssteu-erung. Sein Verantwortungsbereich umfasst fl ugübergrei-fende Entscheidungen mit dem Ziel, die Pünktlichkeit, die Konnektivität und die Wirtschaftlichkeit unter Abwägung der aktuellen Steuerungsvorgaben zu steigern. Er priori-siert und koordiniert situativ die Ressourcen der System-partner. Übergreifende Entscheidungen stimmt er mit den jeweiligen internen und externen Verantwortlichen ab.

Die A/C-Koordinatoren steuern und kontrollieren die ihnen zugeordneten Bodenereignisse (Flugnummern) eng-passorientiert mit fl ugbezogener Ausrichtung auf die Ziele Pünktlichkeit, Konnektivität und Wirtschaftlichkeit sowie auf die Sicherung der vertraglich vereinbarten Qualität der internen und externen Systempartner.

Bei fl ugbezogener Ausrichtung überwachen die Ramp-Koordinatoren vor Ort die Abfertigungsleistung kritischer Inbound-Flüge, kritischer Gepäckströme und kritischer Outbound-Flüge. Sie stellen das Bindeglied zwischen HCC und Prozessbeteiligten dar, leiten bei Unregelmäßigkeiten Gegenmaßnahmen ein und stellen deren Qualität sicher. Sie steuern ggf. die Systempartner am jeweiligen Flug-zeug (Rampe und Gate) unter den Aspekten Pünktlichkeit, Konnektivität und Wirtschaftlichkeit und sind ihnen bei Bedarf bzgl. Steuerungsanweisungen weisungsbefugt.

Die Transfer-Koordinatoren Pax identifi zieren und prio-risieren kritische Umsteigerströme. Sie steuern und koor-dinieren die Ressourcen sowie die Arbeitspakete der HCC Service Provider und regen zur Sicherung für werthaltige Umsteigeströme Steuerungsaktivitäten an.

Die HCC Service Provider stellen sicher, dass alle relevanten und korrekten Daten für den Check-in zur Ver-fügung stehen. Sie unterstützen und informieren interne und externe Partner, bearbeiten Serviceanfragen sowie

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315Karl-Rudolf Rupprecht / Hartmut Zadek

Flugunregelmäßigkeiten und sind an der Company-Fre-quenz der primäre Ansprechpartner für das Cockpit. Sie identifi zieren alternative Reisewege für Gast und Gepäck, tätigen Umbuchungen und leiten die daraus resultieren-den erforderlichen Maßnahmen ein.

Aktive Steuerung heißt agieren statt reagieren. Hierzu sind für alle Verantwortungsbereiche genaue Handlungs-optionen aus System- und Einzelsicht defi niert und deren Wirkung wird aus Gesamtsicht monetär bewertet. Soge-nannte Betriebsmodi ermöglichen, dass alle beteiligten Systempartner eine gemeinsame Zielsetzung und Aus-richtung haben. Der Betriebsmodus Standard bedeutet situatives Entscheiden des Betriebsoptimums, der Modus Pünktlichkeit fokussiert auf die On-Time-Performance zur Stabilisierung der Operations und der Modus Konnekti-vität dient der Sicherstellung von Transferprozessen für Gast und Gepäck. Des Weiteren erfolgt steuerungsseitig eine Fokussierung auf Flüge, die für das Lufthansa-Netz besonders wichtige Kunden an Bord haben und einen hohen Netzertrag bringen. Diese Flüge können bei Bedarf priorisiert gesteuert werden. Die Steuerungstools, um eine spezifi sche Situation zu adjustieren, sind in klaren Verantwortungsbereichen so abgegrenzt, dass es nicht zu widersprüchlichen Anweisungen oder Doppelarbeit kommt. Zu einer aktiven Steuerung gehört auch eine kunden orientierte, zeitgerechte Kommunikation, die da-durch ermöglicht wird, dass die Ansprechpartner genau spezifi ziert sind und durch die neuen Aufgabenvertei-lungen eine gezielte Erreichbarkeit gegeben ist. Bei den Flügen, die eine Priorität in der Produktion haben, wird ein Koordinator mit Weisungsbefugnissen gegenüber den Prozessbeteiligten vor Ort sein, um eine Sicherstellung der Steuerungsimpulse zu gewährleisten.

Zur Stabilisierung von Transferprozessen setzen die Koordinatoren des HCC verschiedene Steuerungsaktivitä-ten ein. Mit einer Connex-orientierten Positionierung wer-den Inbound- und Outbound-Flugzeug nahe nebeneinander positioniert. Dies wird in der Regel dann vorgenommen, wenn im Inbound ein großer Umsteigestrom auf den be-sagten Outbound geht. Dadurch wird die Wegezeit für den gesamten Passagierstrom auf ein Minimum reduziert. DerRamp Direct Service (RDS) wird für kritische Umsteigeströ-me bereitgestellt. Für Passagiere inklusive Gepäck, deren Umsteigezeit kürzer ist als ursprünglich geplant war, wird ein Direkttransport vom Inbound-Flugzeug zum Outbound-Flugzeug organisiert, der die Umsteigezeit in Anbetracht der Wege am Hub Frankfurt/Main deutlich reduziert und so die Konnektivität sicherstellt. Sind mehrere Umsteigegruppen auf dem Inbound-Flugereignis, die kurze Umsteigezeiten

haben, so kann ein Arrival Service organisiert werden. Hier werden die betroffenen Passagiere bereits beim Betreten des Terminals persönlich über ihre Anschlussfl üge und dazu relevanten Örtlichkeiten informiert. Ist für größere Passa-giergruppen, die verspätet landen, der Umstieg auf den An-schlussfl ug gefährdet, so kann im Ausnahmefall auch ein Connexdelay für den Outbound-Flug festgesetzt werden. Dann fl iegt der Outbound-Flug eine defi nierte Zeit später ab mit dem Ziel, dass die verspäteten Passagiere noch ihren Anschlussfl ug erreichen. Helfen alle Steuerungsaktivitäten nicht weiter, so führen die Service Provider vorausschau-end eine Umbuchung durch, d. h. Passagiere, die ihrenAnschlussfl ug aufgrund zu knapper Umsteigezeiten nicht mehr erreichen, werden auf den nächstmöglichen Flug gebucht und das Gepäck entsprechend umgeleitet. Dies sind nur einige Beispiele von einem umfangreichen Steue-rungsset des HCC, um die zeit- und ressourcenkritischen Transferprozesse am Hub Frankfurt/Main zu stabilisieren und im Vergleich zu anderen Mega-Hubs eine einzigartige Performance für die Passagiere zu erzielen.

Von der Verkehrssteuerung zum Verkehrs-management

Verkehrsmanagement bedeutet mehr als aktive Verkehrs-steuerung. Ergänzend sind Prozesstransparenz und -controlling, ein fokussiertes Partnermanagement im laufenden Betrieb sowie kontinuierliche Verbesserungen aller Bodenprozesse gefordert.

Lufthansa hat für das HCC ein mehrstufi ges Reporting-system aufgebaut und sorgt somit für Transparenz und Controllingmöglichkeiten. Tagesberichte der HDO und HDM geben einen detaillierten Überblick über den abge-laufenen Tag. Die Performance-Werte zur Pünktlichkeit und Konnektivität werden nicht nur in Summe, sondern je Verkehrsspitze separat in Verbindung mit dem jeweiligen Betriebsmodus ausgewiesen. Sämtliche Steuerungsakti-vitäten zur Performance-Steigerung werden systemseitig erfasst und im Tagesbericht gelistet. So kann im Nach-gang rekonstruiert werden, wo erfolgreich agiert wurde oder noch Verbesserungspotenzial besteht. Auf der Management-Reportingebene werden aggregierte Per-formance-Ergebnisse im Überblick dargestellt. Hier kann fl exibel zwischen einer Tages-, Wochen- oder Monats-betrachtung gewechselt werden, sodass Vergleiche in-nerhalb unterschiedlicher Perioden gezogen werden kön-nen. Sowohl Verkehrsspitzen als auch fl ottenspezifi sche Fragestellungen können ausgewertet werden. Neben der Berücksichtigung aller LH-Flugereignisse können auch nur

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316 Prozessorientiertes Verkehrsmanagement einer global agierenden Airline am Hub-Flughafen Frankfurt/Main

die Kont- oder Interkont-Ereignisse betrachtet werden. Zusätzlich kann der Filter auf priorisierte, sogenannte Top-Flugereignisse, gesetzt werden, die im Rahmen der akti-ven Steuerung durch die Koordinatoren bevorzugt bear-beitet werden. Für die Darstellung des aktuellen Zustands im Verkehrsmanagement wird im HCC ein Online-Ticker mit den wichtigsten Daten über zwei Bildschirmseiten auf Großmonitoren angezeigt und fortlaufend aktualisiert. Dieser Online-Ticker ist auch von anderen Stationsberei-chen abrufbar.

Im Rahmen der Lufthansa-Initiative „Partners for Ex-cellence“ treffen sich Stationsvertreter von Lufthansa mit ihren Systempartnern, um sich über aktuelle Fragestellun-gen aus dem laufenden Betrieb sowie Verbesserungsmög-lichkeiten auszutauschen. Kleinere Punkte werden sofort beschlossen und umgesetzt. Bei größeren Herausforde-rungen war die Initiative oft der Anstoß zu einem größe-ren Kooperationsprojekt. So können in partnerschaft licher Weise zukunftsweisende Lösungen zum Nutzen aller Betei ligten erarbeitet werden. Der Mega-Hub Frankfurt/Main erhält in Summe eine weitere Leistungsfacette, die zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit beiträgt.

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Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vor be reitung und Implementierung eines Logistikkonzepts

Niklas Wilmking

Member of the Board of Directors von Schenker China Ltd. und Schenker BITCC Logistics (Beijing) Co. Ltd.

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Niklas WilmkingJahrgang 1974Wilmking ist derzeit Mitglied im Board of Directors von Schenker China Ltd. und Schenker BITCC Logi-stics (Beijing) Co. Er studierte an der Universität Bayreuth Betriebswirt-schaftslehre und Internationales Management. Studienbegleitend arbeitete er als Werksstudent bei der Deutschen Lufthansa AG. Nach

einer Tätigkeit als Assistent des Vorstandsvorsitzenden der Stinnes AG in Berlin war er zunächst für den Bereich Corporate Development von Schenker China Ltd. zuständig. Anschließend übernahm er in Singapur die Projektleitung für die Post Merger Integration von BAX Global in 13 Ländern der Region Asien-Pazifi k. Wilmking lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kin-dern in Peking.

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Olympische Sommerspiele übertreffen die Dimensionen aller anderen Großveranstaltungen sowohl sportlicher als auch kultureller, politischer oder wirtschaftlicher Art. In Peking werden im Jahr 2008 circa 10 000 Athleten aus etwa 200 Ländern erwartet. Circa 20 000 Pressevertreter werden anreisen. 70 000 freiwillige Helfer sollen den Ab-lauf der Spiele unterstützen. Insgesamt müssen ungefähr 300 000 Personen akkreditiert werden. Während der Spie-le wird täglich mit etwa einer Mio. Besuchern in den olym-pischen Anlagen gerechnet. Weltweit werden vier Mrd. Menschen das Geschehen über Fernsehen verfolgen.

Die Grundlage für einen reibungslosen Ablauf der Spiele bildet ein effi zient funktionierendes Logistikkonzept. Hierfür ist neben dem lokalen Organisationskomitee eine sehr begrenzte Zahl von Logistikunternehmen zuständig, die sich als langjährige Dienstleister für die Nationalen Olympischen Komitees, für zahlreiche Fernsehgesell-schaften, Ausrüster, Sponsoren und Partner etabliert haben. Logistik bedeutet für diese Kundengruppen, dass die richtige Sportausrüstung, die notwendige technische Ausstattung oder auch ein zu vermarktendes Produkt in technisch einwandfreier Qualität und in der richtigen und häufi g großzahligen Menge am richtigen Ort just-in-time zur Verfügung steht.

Die Olympischen Spiele 2008 als Kombination logistischer Herausforderungen

Im Folgenden werden aus Sicht von Logistikdienstleistern zunächst die besonderen Herausforderungen betrachtet, die sich im Rahmen der Olympischen Spiele als Großveran-staltung sowie durch den Austragungsort Peking ergeben. Im Fokus steht dabei die Versorgung des Regelbetriebs der Spiele. Auf die speziellen logistischen Anforderungen, die sich im Rahmen der Eröffnungs- und Abschlussfeier sowie durch die Weltumrundung des Olympischen Feuers ergeben, wird hingegen nicht eingegangen.

Logistische Komplexität von Großveranstaltungen – die Olympischen Spiele als SonderfallDas Logistikmanagement von Großveranstaltungen stellt aus der Sicht von Logistikdienstleistern ein besonders

herausforderderndes Aufgabenfeld dar. Anders als bei der Bewirtschaftung einer industriellen Supply Chain, die nach erfolgreicher Implementierung einer spezifi schen Konfi guration über einen längeren Zeitraum hinweg nicht oder nur geringfügig modifi ziert wird, sind bei Großveran-staltungen in der Regel individuelle Logistikkonzepte für einen sehr kurzen Zeitraum zu planen. Bei internationalen Großveranstaltungen wird dies in erheblichem Umfang er-schwert durch nicht vertraute und als ungewöhnlich emp-fundene Aufgaben, die sich aus der geografi schen Lage, dem rechtlichen, politischen und insbesondere kulturellen Umfeld des jeweiligen Veranstaltungsorts ergeben. Die Bestimmung von klar defi nierten Routinen und eindeutig zugewiesenen Verantwortlichkeiten ist dabei nicht unmit-telbar möglich. Vielmehr ist ein intra- und interorganisa-tionales Informations- und Kapazitätsmanagement nötig. Die Verfügbarkeit von Ressourcen ist in der Regel nicht unmittelbar transparent; die Nachfrage nach Ressourcen, insbesondere von Transportmittelkapazitäten, übersteigt in der Spitzenzeit der Veranstaltung häufi g das vor Ort verfügbare Angebot. Die Zusammensetzung des Aufga-benspektrums aus vertrauten und neuen Tätigkeiten, die konzertierte Zusammenarbeit vieler Beteiligter vor Ort, teilweise in enger Abstimmung mit Kollegen in Übersee – all das macht das Logistikmanagement solcher Events zu einer komplexen Managementaufgabe.

Die Abwicklung von Olympischen Spielen wird aus logistischer Sicht aber insbesondere durch Sicherheits-vorschriften sehr kompliziert. Zeitlich weit vor Beginn der Spiele werden im Rahmen eines sogenannten Venue Security Sweep sämtliche olympischen Anlagen komplett von Sicherheitskräften überprüft. Diese Durchsuchung beschränkt sich nicht nur auf die Wettbewerbsstätten, sondern bezieht sich auch auf weitere Anlagen wie zum Beispiel das Olympische Dorf, das Internationale Fernseh-zentrum und das Pressezentrum. Nach dieser Überprüfung sind die jeweiligen Orte nicht mehr frei zugänglich. Sie be fi nden sich im Zustand des sogenannten Lock Down. Eintritt erhalten nur akkreditierte Personen nach einer Si-cherheitsüberprüfung. Abbildung 1 gibt einen Überblick zur differenzierten Systematik der Zugangsberechti gungen zu Sportstätten und anderen olympischen Anlagen.

Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vor be reitung und Implementierung eines LogistikkonzeptsNiklas Wilmking

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322 Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts

Die Anlieferung von Sendungen in die olympischen Stät-ten wird demzufolge wesentlich aufwendiger. Da die Lagerkapazitäten innerhalb der olympischen Anlagen sehr begrenzt sind, muss eine hochfrequente Versorgung durch externe Lager sichergestellt werden – vor dem Hintergrund der Sicherheitsvorschriften ist dies eine besondere Her-ausforderung. Ein sogenanntes Master Delivery Schedule (MDS) des Organisationskomitees gibt sämtlichen Liefer-fahrzeugen einen festen Zeitraum zur An- und Abfahrt bei der Anlieferung von Sendungen vor – vergleichbar mit Slots, die Verkehrsfl ugzeugen von der Flugsicherung zuge-teilt werden. Anmeldungen von Transporten sind seitens der Logistikdienstleister mit einer Frist von 48 Stunden vorab zu tätigen. Im Master Delivery Schedule nicht regis-trierte Fahrten sind grundsätzlich nicht möglich. Erschwe-rend kommt hinzu, dass grundsätzlich alle Fahrzeuge in ei-nem umfangreichen Prozess vorab registriert und mit einer Fahrzeugeinfahrtberechtigung ausgestattet sein müssen. Sämtliche Fahrer sind – teilweise Monate vorab – zu ak-kreditieren, was Auswirkungen auf den Auswahlprozess hat und die Zusammenarbeit mit Subdienstleistern, insbe-sondere Fuhrunternehmern erschwert. Bevor die Fahrzeu-ge in die olympischen Stätten einfahren können, müssen sie durchsucht und die Sendungen vollumfänglich durch-leuchtet werden. Um Staus auf den direkten Zufahrtstra-ßen der olympischen Einrichtungen zu verhindern, werden die Fahrzeuge in der Regel an einem geografi sch separa-ten Ort durchsucht. Nach der Überprüfung werden sie mit einem Siegel verplombt, wobei das Screening durchaus mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann.

Dieser Prozess ist als solcher nicht kompliziert. Die Schwierigkeit ergibt sich vielmehr aus der Anwendung der Sicherheitsvorschriften zum Zeitpunkt kurz vor Be-

ginn der Spiele, wenn in kurzem Zeitraum ein Maximum der Sendungen eintrifft. Das ist die sogenannte Bump-In-Periode. Dabei müssen in sehr kurzer Zeit von den Lo-gistikunternehmen Frachtvolumina in der Größenordnung von Hunderttausenden von Kubikmetern vor der Eröffnung der Spiele in die olympischen Anlagen geliefert werden. Während des Lock-Down-Zustands kommt es dement-sprechend an den Durchsuchungsanlagen für Lieferfahr-zeuge zu teilweise langen Wartezeiten. Dadurch bedingte Verzögerungen können dazu führen, dass ein Fahrzeug seinen Slot im Master Delivery Schedule verliert und nicht zeitgerecht anliefern kann bzw. darf, da der Zeitaufwand für die Sicherheitsprüfung im MDS keine Berücksich-tigung fi ndet.

In Auslaufrichtung nach Abschluss der Veranstaltung kommt es im Rahmen der sogenannten Bump-Out-Periode zu einer noch stärkeren Verdichtung von Frachtströmen. Zwar müssen ausgehende Sendungen bei Verlassen des Dorfes nicht durchleuchtet werden. Da aber der größte Teil der Frachten z. B. von internationalen Sponsoren, Nationalen Olympischen Komitees oder internationalen Fernsehgesellschaften nur temporär importiert wird, wird das gesamte Volumen in der Regel innerhalb von zwei bis drei Tagen nach der Abschlussfeier exportiert. Dies wie-derum stellt höchste Ansprüche an die Kapazitätsplanung in See- und Luftfracht.

An den Olympischen Spielen nehmen mehr als 200 Na-tionen teil, die Fracht nach China bringen lassen. In Ana-logie zur industriellen Supply Chain kann man daher hier de facto von einem globalen Sourcing- bzw. exportseitig von einem globalen Distributionskonzept sprechen. Vor die-sem Hintergrund ist es verständlich, dass nur Dienstleis-ter mit weltweiter Präsenz eine umfassende Koordination der Logistikleistung bieten können. Um hierbei logistische Ressourcen auf nationalem und internationalem Niveau effi zient steuern zu können, empfi ehlt sich intraorganisati-onal die maximale Nutzung lokal verfügbarer Kapazitäten bzw. ein selektiver und vollständig kontrollierter Einsatz von Subunternehmern.

Gut funktionierende Transportwege und Transport-kapazitäten sind zur Durchführung logistischer Aktivi-täten bei Olympischen Spielen besonders wichtig. Die Erfahrung zeigt aber, dass bei Olympischen Spielen, egal in welchem Land, regelmäßig das bestehende lokale Makro-Logistik-System, insbesondere die Straßeninfra-struktur, überlastet ist. Daher ist es für Logistikdienst-leister unabdingbar, im Vorfeld zusätzliche Transportka-pazitäten und ein fundiertes Risikomanagementsystem einzuplanen. Auf die Verkehrssituation in China wird im

Abb. 1: Akkreditierungssystematik für die Olympischen Spiele

Zone Zugangsberechtigung

Blue Austragungsstätte, Operativer Bereich (Rückseite), Allge-meiner Bewegungsbereich (Vorderseite)

Red Operativer Bereich (Rückseite), Allgemeiner Bewegungsbe-reich (Vorderseite)

White Allgemeiner Bewegungsbereich (Vorderseite)

2 Bereich für die Vorbereitung der Athleten

4 Bereich für die Presse

5 Bereich für Fernsehgesellschaften

6 Bereich für die „Olympische Familie“

R Wohngebiet des Olympischen Dorfs

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323Niklas Wilmking

Jahr 2008 trotz partieller Fahrverbote besonderes Augen-merk zu richten sein. Der folgende Abschnitt beleuchtet diesen Aspekt ausführlicher.

Komplexe makro- und mikrologistische Ausgangsbedingungen am AustragungsortAuch wenn es sich bei den Olympischen Spielen 2008 um eine lokale Veranstaltung in Peking sowie sechs weite-ren Städten handelt, ist es zum besseren Verständnis des Hintergrunds hilfreich, die Entwicklung der Transport- und Logistikindustrie in China zu kennen.

Mit Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 wurde die zentrale Planwirtschaft eingeführt. Die Regie-rung übernahm die Kontrolle über Beschaffungs-, Produk-tions- und Distributionsaktivitäten. Letztere wurden über ein Three-Tier-System, basierend auf einem Netzwerk von staatlichen Großhändlern abgewickelt (Hong et al. 2004). Jede einzelne Industrie verfügte dabei getrennt vonei-nander über ein eigenes Transport- und Lagersystem, das ausschließlich auf branchenspezifi sche Bedürfnisse ausgerichtet war, aber wegen fehlender interorganisati-onaler Synergieeffekte nicht effi zient operierte. Rückbli-ckend erwiesen sich insbesondere die strikt voneinander getrennten administrativen Bereiche, welche eine hori-zontale Integration von Logistikdienstleistungen nahezu vollständig verhinderten, als höchst problematisch. Die Nachwirkungen dieses Systems sind auch heute noch ein massives Hemmnis bei der Entwicklung der chinesischen Logistikindustrie (Luo und Findlay, 2002).

Seit Mitte der siebziger Jahre ist das Frachtvolumen auf der Straße Jahr für Jahr um durchschnittlich 1,4 Pro-zent angestiegen. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden auf der Straße mit 70 Prozent Verkehrsanteil erstmalig mehr Güter transportiert als auf der Schiene (Goh und Ling 2003). Im Jahr 2007 umfasste das Straßennetz der Volksrepublik China allerdings nur 45 000 Kilome-ter Autobahnstrecke, was einem Anteil von weniger als einem Prozent entspricht. Die Regierung arbeitet daran, das Fernverkehrsnetz auf circa 85 000 Kilometer auszu-bauen und die Anbindung ländlicher Gegenden zu verbes-sern (Dyer, 2007).

Auch im Luftfrachtbereich stehen die Zeichen auf Aus-bau: Zwischen 1978 und 2004 wurden 14,1 Mrd. Dollar in den Ausbau von Flughäfen investiert. Große Flughäfen wie Peking, Shanghai, Xiamen und Shenzhen sind bereits privatisiert. Die Nachfrage nach Luftfrachtvolumen kann zum aktuellen Zeitpunkt weder durch das zur Verfügung stehende Volumenangebot noch durch die bestehende In-frastruktur vollständig befriedigt werden (Thomas, 2006).

Die Situation in der Seefahrt sieht ähnlich aus. Circa 25 Prozent der weltweiten Containerverkehre haben ihren Ursprung derzeit in China (Kerr, 2006). Die Entwicklung von Hafenanlagen wird daher mit Nachdruck vorangetrie-ben. Im Mittelpunkt der Entwicklungsaktivitäten stehen Ningbo, Dalian, Tianjin, Shenzhen und natürlich Shanghai. Der neue Tiefseehafen Yangshan, der vermutlich 2020 der größte Hafen der Welt sein wird, ist über eine 32 Kilome-ter lange Brücke mit dem Festland verbunden.

Der Aufbau eines zuverlässigen makro- und mikro-logistischen Systems ist ein Kernziel der chinesischen Volkswirtschaft. Neben notwendigen Veränderungen in der Administration, im Zollwesen und in der einschlägi-gen Gesetzgebung ist insbesondere eine adäquate Ver-kehrsinfrastruktur die essenzielle Voraussetzung für die Entwicklung von Logistikdienstleistungen. Ungenügende Transportmöglichkeiten, insbesondere im chinesischen Hinterland, treiben Logistikkosten in die Höhe. Der Markt für Logistikdienstleistungen ist sehr stark lokal fragmen-tiert und noch nicht auf dem Niveau westlicher Industrie-nationen. Schätzungen zufolge existieren in China über zwei Mio. Fuhrunternehmer, bei denen der Inhaber in der Regel der einzige Fahrer des einzigen Fahrzeugs ist (Sowinski, 2007). Im Hinblick auf 15 000 registrierte Logis-tikunternehmen plant die Regierung eine strikte Konsoli-dierung des Marktes (Kwan und Knutsen, 2006).

Der WTO-Beitritt Chinas wird zu nachhaltigen Verän-derungen auch im Logistikbereich führen. China hat sich zu einer schrittweisen Liberalisierung und Marktöffnung verpfl ichtet, in deren Folge sich ausländische Logistik-dienstleister in der Volksrepublik niederlassen und eigene Aktivitäten aufbauen dürfen. So haben sich für die Olym-pischen Spiele 2008 neben der nationalen Fluggesell-schaft Air China mit UPS und Schenker zwei ausländische Unternehmen als Anbieter von Transport- und Logistik-dienstleistungen qualifi ziert.

Entwicklung eines Logistikkonzepts im Rahmen der Olympischen Spiele

Im Folgenden wird ein Überblick zur Zeit- und Personal-planung eines Logistikdienstleisters bei der konzeptionel-len Vorbereitung gegeben. Weiterhin werden operative Bausteine des Konzepts beschrieben.

Projekt- und Personalplanung als kritische Erfolgs faktorenAuf die Olympischen Spiele ausgerichtete weltweite Verkaufsaktivitäten fi nden in der Regel viele Monate vor der eigentlichen Veranstaltung statt. Ein effi zienter

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324 Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts

Abstimmungsprozess zwischen den beteiligten internati-onalen Organisationseinheiten ist daher unerlässlich. Als hilfreich erscheint, frühzeitig den Fokus auf ein effi zien-tes intra organisationales Schnittstellenmanagement zu legen, da die beteiligten Akteure häufi g nicht nur räumlich, sondern auch in Bezug auf den kulturellen und weltan-schaulichen Hintergrund weit voneinander getrennt sind, was zu Konfl ikten führen kann. Ein Kernteam des Projekts, bestehend aus lokalem Management und Spezialisten aus der weltweiten Organisation, nimmt etwa zwei Jahre, aber spätestens 18 Monate vor Beginn der Olympischen Spiele vor Ort die Arbeit auf. Weitere Projektmitglieder in den Herkunftsländern der Kunden arbeiten zeitgleich an der Vorbereitung der Spiele.

Mit dem Näherrücken der Veranstaltung werden zu-nehmend mehr Experten aus unterschiedlichen interna-tionalen Organisationseinheiten für einen Zeitraum von zwei bis sechs Monaten an die jeweilige Landesgesell-schaft am Austragungsort abgeordnet. Hierbei handelt es sich in der Regel um Mitarbeiter, die über langjährige Erfahrungen in den Bereichen Transportmanagement, Lagerhaltung und Venue Logistics mit spezifischem Fokus auf Großveranstaltungen im Sport verfügen und die koordinative Aufgaben wahrnehmen. Grundlage für den Aufbau entsprechender Kompetenz in einem glo-balen Netzwerk ist die Etablierung eines langjährigen Systems zum intraorganisationalen Austausch und zur gemeinsamen Koordination entsprechender Ressour-cen. Abbildung 2 gibt in diesem Zusammenhang einen Überblick zu dem generischen Management von Events als Grundlage für die Abwicklung der Olympischen Spiele.

Innerhalb des Projekts ist kontinuierlich eine Balance zwi-schen dezentralisierten und zentralisierten Management-strukturen zu fi nden. Situationsbedingt kann im Rahmen der Olympischen Spiele eine Überschreitung abgegrenzter Zuständigkeiten vor Ort erforderlich werden, um kurzfris-tig auf dringliche Kundenbedarfe einzugehen. Überlap-pende Verantwortlichkeiten und die stetige Bereitschaft, Entscheidungsbefugnisse kontrolliert neu zu delegieren, sind eher Regelfall als Ausnahme. Auf diese Weise wer-den zügige Entscheidungen unter teilweise extremem Zeitdruck möglich und das zur Veranstaltung rapide an-steigende Volumen von Informationsfl üssen bleibt be-herrschbar. Spielregeln im Sinne von reproduzierbaren Routinen und Standardprozeduren sind trotz wechselnder Rollenverteilung äußerst wichtig, um eine strukturierte Zusammenarbeit von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Organisationseinheiten sicherzustellen.

Im Hinblick auf die Kapazitätsspitzen, bedingt durch Bump-In- und Bump-Out-Periode, sehen sich Logistik-dienstleister mit der Herausforderung konfrontiert, den entstehenden Mangel an eigenen lokalen Ressourcen aus-zugleichen bzw. den Anteil intern verfügbarer Kapazitä-ten durch effektive Mobilisierungsstrategien zu erhöhen. Durch eine frühzeitige Antizipation von umzuschlagendem Volumen, beispielsweise über regelmäßige Hochrech-nungen der weltweit beteiligten Organisationseinheiten, wird der erste Grundstein für die Bewältigung des hohen Frachtaufkommens gelegt. In der Regel wird die Kapazi-tätsspitze bereits einen Monat vor dem Beginn der Spiele erreicht. Abbildung 3 zeigt in diesem Zusammenhang den Auslastungsgrad von Lagerkapazitäten. Basierend auf der Hochrechnung kann in einem iterativen Prozess der

Abb. 2: Zusammenspiel von generischem und spezifischem Event Management

Quelle: Systematik in Anlehnung an Tufinkgi, 2004

Generisches Event Management internationaler Logistikdienstleister

Spezifi sches Event Management Olympische Spiele

Know-how-Aufbau und Entwicklung

Analyse und Detailplanung

· Ziele· Kritische Erfolgsfaktoren· Kapazitätsplanung· „Masterplan“

Vorbereitung

Leistungsevaluierung

· Qualitätsmessung· Erreichung kommerzieller

Ziele

Nachbereitung

Implementierung

· Pre-Lock-Down· Lock-Down· Spiele· Post-Lock-Down· Übergang

Event

Regionen-Clusterung

Pre-Assessment

Planung und Implemen-tierung von Netzwerken

Organisations-entwicklung

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325Niklas Wilmking

Personalbedarf in den unterschiedlichen Kompetenzfel-dern relativ genau bestimmt und mit vor Ort verfügbaren eigenen Ressourcen abgeglichen werden. Aus einer mög-lichen Unterdeckung ergibt sich der Rekrutierungsbedarf, der nach Möglichkeit intern zu decken ist. Da der weltweit bestehende Mitarbeiterstamm von Logistikdienstleistern in der Regel dieselben Arbeitsprozesse und -routinen nutzt und mit identischen IT-Systemen arbeitet, entfällt auf diese Weise eine aufwendige Einarbeitung. Strukturierte Trainingsmaßnahmen bilden dennoch die Grundlage, um Mitarbeiter aus anderen Büros der jeweiligen Landesor-ganisation oder aber aus internationalen Organisations-einheiten mit den spezifi schen Gegebenheiten vor Ort ver-traut zu machen. Eine Vernachlässigung oder inadäquate Nutzung lokaler Ressourcen, die zur Entsendung kostenin-tensiver überfl üssiger Kräfte in das Zielland führt, ist aus Wirtschaftlichkeitsgründen strikt zu vermeiden.

Der Einsatz von lokalen Subunternehmern stellt eine weitere wichtige Säule bei der kapazitativen Umsetzung des Logistikkonzepts sowohl im Transportbereich als auch im Feld der Venue Operations dar. Lokale Fuhrunternehmer, mit denen im Idealfall auch im Regelbetrieb zusammen-gearbeitet wird, decken in signifi kantem Umfang Trans-porterfordernisse ab. Abbildung 4 gibt einen Überblick zum Bedarf an Fahrzeugen im Verhältnis zur Kapazitätsspitze.

Während das Vor-Ort-Handling in den olympischen Anla-gen von eigenen Kräften des Dienstleisters gesteuert und überwacht wird, stellen Subunternehmer darüber hinaus Arbeitskräfte zur operativen Abwicklung bereit. Im Vor-feld einer Zusammenarbeit sollte auch bei bestehender Kooperation im Regelbetrieb stets eine Ausschreibung stehen, nicht zuletzt um die Lieferanten von Anfang an mit besonderen Anforderungen der Olympialogistik ver-traut zu machen. Nach erfolgter Auswahl ist in der Vorbe-reitungsphase in ausreichendem Umfang auf die Schulung der Mitarbeiter des Subunternehmers zu achten. Abläufe und Prozesse müssen ebenso wie Schnittstellen eindeutig festgelegt werden. Im Idealfall stellt dies sicher, dass die Aktivitätsspektren von Stammbelegschaft und Subunter-nehmern nahtlos ineinandergreifen.

Im Mittelpunkt der Vorbereitungsphase steht zunächst eine umfassende Situationsanalyse und -bewertung. Was sind die kommerziellen Ziele der Veranstaltung? Was sind die kritischen Erfolgsfaktoren im jeweiligen Gastland? Welche Kapazitäten werden, basierend auf detaillierten Hochrechnungen, in welchem Bereich benö-tigt? Wie können diese organisationsintern bzw. -extern beschafft werden? Operative Standardprozeduren und Verfahrensanweisungen werden in der Regel kunden-spezifi sch ausgearbeitet und abgestimmt. Weiter werden

Abb. 3: Auslastungsgrad von Lagerkapazitäten im Zeitverlauf

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t-9 t-8 t-7 t-6 t-5 t-4 t-3 t-2 t-1 t0 t1 t2 t3 t4 Zeit

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326 Die Olympischen Sommerspiele 2008 – Vorbereitung und Implementierung eines Logistikkonzepts

umfassend integrierende Operationskonzepte entwickelt. Eng damit verbunden sind auch Fragen des Informations-managements und der Leistungskoordination sowie des Risikomanagements. Zum Abschluss dieser Phase wird häufi g der Vorbereitungsstand des operativen Personals überprüft, da wegen des sehr kurzen Arbeitszeitraums nur wenige Möglichkeiten zum Nachjustieren bestehen. Hier-zu können Real Time Events simuliert oder Szenarien im Detail durchgesprochen werden (“What if & what would I do in case of”).

Für die Implementierungs- bzw. Abwicklungsphase werden alle operativen Teilbereiche zeitpunkt- und volu-mengenau geplant. Konkret werden hierbei zur Verfügung stehende Mitarbeiter, auch von Subunternehmern, unter-schiedlichen Kunden, Aufträgen oder Arbeitsbereichen zugeordnet – teilweise sogar auf Stundenbasis. Parallel verläuft die exakte zeit- und ortsgerechte Disposition von Transportmittel- und Lademittelkapazitäten, sowohl im lokalen als auch im internationalen Kontext. Auch hier ist eine revolvierende Kontingenzplanung wichtig, um Unsi-cherheiten, die sich primär durch das überlastete lokale Umfeld ergeben, kontrolliert abfangen zu können.

Im Rahmen der Abschlussphase wird die Wiederein-gliederung von Mitarbeitern in den lokalen Regelbetrieb bzw. deren kontrollierte Rückführung in die entsendenden Gesellschaften geplant. Auch die Stilllegung temporär genutzter Infrastruktur kann hier Berücksichtigung fi nden. Eine umfassende Leistungsevaluierung und -dokumentati-on rundet diese Phase ab.

Operative Komponenten eines Logistikkonzepts für die Olympischen Spiele Das Serviceportfolio von Logistikunternehmen für die Olympischen Spiele umfasst weit mehr als transportaffi ne Tätigkeiten, wie aus Abbildung 5 hervorgeht. Essenziel-le Grundlage für ein operatives Konzept zur Darstellung dieser Leistungen ist eine substanzielle Hochrechnung be-nötigter Kapazitäten. Hierbei können basierend auf quan-titativen Werten früherer Veranstaltungen unterschiedli-che Methoden, wie zum Beispiel das Past-Average- oder Moving-Average-Verfahren genutzt werden. Mit entspre-chenden dimensionalen Abschätzungen kann für jede olympische Anlage ein umfassendes Arbeitskonzept, bestehend aus zwei Hauptkomponenten, der Transport- und der Venueplanung, entwickelt werden. Hinzu kommt die Planung der internationalen Transporte, einschließlich der Verzollung, das Arbeitskonzept für ein Lager sowie ein umfassendes Risiko-Management-System.

Herzstück der Transportplanung sind Bump-In- und Bump-Out-Pläne. In diesen werden die Anlieferung und die Abholung von Sendungen vollumfänglich abgebildet. Um den Anforderungen des Master Delivery Schedules gerecht zu werden, müssen unterschiedliche Koordinaten erfasst werden. Hierzu zählen in der Regel neben dem exakten Zeitfenster für Anlieferung und Entladung die während der Veranstaltung ständig wechselnden Kon-takt- bzw. Adressdetails des Empfängers, aber auch die spezifi schen Angaben zum genutzten Fahrzeug, eine Be-schreibung der Fracht und eine exakte Mengenangabe.

Da signifi kante Frachtmengen in einem kurzen Zeit-raum angeliefert bzw. abgeholt werden, ist die Planung des Bump In und Bump Out sehr aufwendig. Als korres-pondierendes Arbeitsmittel wird für die tägliche Disposi-tion jedes Fahrzeugs ein Daily Runsheet genutzt, in dem teilweise Monate im Voraus Sendungen auf Lkw zugeteilt werden. Die Sendungsgesamtübersicht mit allen Import- und Exportkoordinaten fi ndet sich im Freight Schedule. Ein Operations Manual beschreibt die genauen Verfahrensan-weisungen vor, während und nach der Lock-Down-Phase, ferner die Leistungstarifi erung und Zollbestimmungen.

Eng mit der Transportkoordination ist die Planung des Vor-Ort-Handlings in den olympischen Anlagen verbun-den, insbesondere die zeitgerechte Disposition der erfor-derlichen Anzahl an Fachkräften und des Equipments. So werden nach Zustellung in den Venues unterschiedlichste Tätigkeiten für Kunden abgewickelt, die im Kern letztlich auf der temporären Personalüberlassung und der struktu-rierten Personalsteuerung vor Ort durch das Management des Dienstleisters beruhen. Hierfür wird vielfach auch

Abb. 4: Ausnutzung der Fahrzeugflotte

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t-5 t-4 t-3 t-2 t-1 t0 t1 Zeit (Monat)

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327Niklas Wilmking

Material Handling Equipment benötigt, beispielsweise Gabelstapler, die der Logistikdienstleister bereitstellt. Vielfach werden auch Kranfahrzeuge benötigt, um Container abzuladen oder schwere Sendungen zu justie-ren. Hierbei ist vorab individuell ein Risiko-Assessment vor Ort durchzuführen, um mögliche Gefahrenpotenziale zu identifi zieren.

Lagerkapazitäten in den olympischen Anlagen sind nur sehr begrenzt vorhanden. Der Großteil des betriebsnot-wendigen Volumens wird daher in einem Satellitenlager des Logistikdienstleisters geführt. Für die Olympischen Spiele werden in der Regel vereinfachte Warehouse-Management-Systeme genutzt, da die Komplexität des Artikelbestands im Vergleich zu industriellen Kunden eher gering ist und das Lager Züge einer Cross-Docking-Anlage trägt. Bedarfsgerecht wird benötigtes Material ausgelagert, konsolidiert und zugestellt – während der Spiele im 24-Stunden-Betrieb. Werden Materialabrufe in industriellen Supply Chains in der Regel über EDI-Verbin-dungen abgewickelt, erfolgt dies im Kontext der Spiele seitens des Kunden vielfach auf Zuruf. Dabei übernehmen Mitarbeiter des Logistikdienstleisters vor Ort die Doku-mentation des Auftrags und initiieren die Abwicklung im Dialog mit Kollegen im externen Lager bzw. stellen die vollständige Abarbeitung sicher. Bei mehreren hundert

Aufträgen pro Tag ist dies eine nicht zu unterschätzende Koordinationsaufgabe. Um sämtliche Vor-Ort-Leistungen von Personal in den olympischen Anlagen transparent zu dokumentieren, werden manuelle Arbeitsaufträge vor Ort angefertigt und vom Kunden gegengezeichnet. Für den Logistikdienstleister ist es von vitaler Bedeutung, hier einen effi zienten Dokumentenfl uss festzulegen, da die Ar-beitsaufträge die Abrechnungsgrundlage gegenüber dem Kunden darstellen. Eine weitere Herausforderung ist eine kundenspezifi sch zeitgerechte Konsolidierung zahlreicher Einzelrechnungen.

Da es sich bei den meisten Sendungen um temporäre Einfuhren handelt, muss ein besonderes Augenmerk auf eine sehr saubere Dokumentation gegenüber den Zoll-behörden gelegt werden. Ein Großteil der konsolidierten Importe wird in anderer Konfi guration und teilweise über einen anderen Verkehrsträger exportiert. Wegen der zer-splitterten Zuständigkeit lokaler Zollbehörden in China müssen daher detaillierte Zollpläne entwickelt werden, um den Behörden im Detail nachweisen zu können, welche Sendungsbestandteile das Land wieder verlassen haben. Sämtliche im Land verbleibenden oder konsumierten Teile sind grundsätzlich Gegenstand der Verzollung und stellen für Kunden von Logistikdienstleistern einen beträchtlichen Kostenfaktor dar.

Abb. 5: Servicespektrum von Logistikdienstleistern im Kontext von Großveranstaltungen im Sport

Transportaffi ne Tätigkeiten Lageraffi ne Tätigkeiten Logistik am Veranstaltungsort Sonstige Tätigkeiten

Beschaffung/Einkauf von Transportkapazitäten

Lagerung On Site Storage Kommunikationssteuerung

Umfassende Transportplanung für Kunden/Veranstalter

Umschlag Power Supply Management von temporären Einfuhren

Vorlauf (Land/Schiene) Handling Inside venue deliveries/pick ups; Venue-to-Venue Deliveries

Bereitstellung von Multifunktionscontainern (Lagerung, Bürocontainer)

Internationaler Hauptlauf (Schiene/Luft/See)

Verpackungstätigkeiten Bereitstellung von Kränen Sonstige Value Added Services

Nachlauf (Land/Schiene) Etikettierung Bereitstellung von Personal

Zollabfertigung Pick & Pack Operations Bereitstellung von Material Handling Equipment

Distribution

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Sämtliche Aktivitäten und Arbeitspläne im Rahmen der Eventlogistik sind im Hinblick auf das Management von Risiken weitestgehend mit alternativen Lösungen hinter-legt. Hierzu werden zunächst mögliche Risiken orts- und situationsspezifi sch ermittelt und anschließend mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet. Verkehrsbehin-derungen sind dabei wesentlich wahrscheinlicher und werden entsprechend detaillierter berücksichtigt als bei-spielsweise Streiks in Häfen oder Aktivitäten von Extre-misten; allerdings werden auch diese unwahrscheinlichen Szenarien in der Risikoplanung berücksichtigt. In einem Risk Register werden potenzielle Risiken geführt, Kommu-nikationswege festgelegt sowie Entscheidungen für eine spätere Effi zienzevaluation festgehalten.

Zusammenfassung und Ausblick

Die erfolgreiche Abwicklung der Olympischen Spiele in Chinawird eng mit der reibungslosen Implementierung eines um-fassenden Logistikkonzepts zusammenhängen. Als Mega-Event in einem hyperdynamischen Marktumfeld stellen die Spiele besondere Herausforderungen an Organisations-komitee und Transport- und Logistikdienstleister gleicherma-ßen. Für Letztere wird der Grad des Erfolgs vermutlich auch über zukünftige Engagements im Bereich der Eventlogistik in der Volksrepublik entscheiden. Dabei stehen in Zukunft nicht nur der Sport, wie zum Beispiel bei den Asian Games in Guangzhou im Jahr 2010 im Fokus, sondern in steigendem Ausmaß auch andere große Unterhaltungsveranstaltungen wie internationale Ausstellungen oder Konzerte ausländi-scher Künstler. Mit der zunehmenden Liberalisierung des

chinesischen Marktes ist das Reich der Mitte für Logistik-dienstleister nicht nur im Hinblick auf industrielle Kunden attraktiv. Die zunehmende Kaufkraft der Bevölkerung und das stark ansteigende Interesse an Sport und Kultur stehen in den kommenden Jahren für signifi kant mehr internationale Großveranstaltungen in China. Weltweite Tourneen wer-den in Zukunft nicht mehr an China vorbeigeführt, sondern hier stattfi nden. Die erfolgreiche logistische Abwicklung erfordert somit gleichermaßen eine starke lokale Präsenz, gut ausgebaute internationale Netze sowie organisations-interne Kompetenz im Hinblick auf Großveranstaltungen. Ausländische Anbieter haben hier zum gegenwärtigen Zeit-punkt noch einen Vorsprung, den es zu verteidigen gilt.

Literaturverzeichnis

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Page 282: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

5. Logistik der Zukunft – Motor der globalen Vernetzung

Page 283: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

Peter Klaus

Leiter der Fraunhofer Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleistungswirtschaft (ATL)

in Nürnberg

Professor am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik,

an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Page 284: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Prof. Peter Klaus, D.B.A.Jahrgang 1944Klaus ist seit 1995 Leiter der Fraun-hofer Arbeitsgruppe für Technologi-en der Logistik-Dienstleistungswirt-schaft (ATL) in Nürnberg. Im Jahr 1990 wurde er an den damals neu er-richteten Lehrstuhl für Betriebswirt-schaftslehre, insbesondere Logistik,an der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Nürnberg be-

rufen. Er war nach einer Ausbildung zum Diplom-Kaufmann und Speditionskaufmann bis Ende der 1970er Jahre in der mittel-ständischen Transport- und Spe ditionswirtschaft praktisch tätig. 1982 promovierte er an der Boston University, Boston/Ma., zum Doctor of Business Administration (D.B.A.) und erlangte am Massachusetts Institute of Technology, Cambridge/Ma., den Grad eines Master of Science (Transportation).

Page 285: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

47,8 Tonnen Fracht müssen derzeit jährlich für jeden der 82,4 Mio. Einwohner Deutschlands auf Straßen, Schienen, Luft- und Binnenschifffahrtswegen bewegt werden. In ab-soluten Zahlen sind das fast vier Mrd. Tonnen und 2,6 Mrd. einzelne Transportaufträge – vom kleinen Päckchen bis zur Massengutfracht1. An jedem durchschnittlichen Arbeitstag entspräche dies ca. 800 000 voll ausgelasteten Lastzug-fahrten über eine mittlere Strecke von ca. 157 km, wenn es nur diesen einzigen Güterverkehrsträger gäbe2.

Jeder Transportvorgang ist mit mindestens einem Be- und einem Entladevorgang verbunden. Fast jeder Be- und Entladung sind weitere Hantierungen der Kommissionie-rung und Konsolidierung, der Lagerung und Beständever-waltung, der Verpackung, des Umschlags und vielfältige andere Mehrwertleistungen vor- und nachgelagert, die sich in und zwischen den Betriebsstätten der Industrie, des Handels, des Handwerks und der Serviceorganisati-onen vollziehen.

Die Gesamtzahl solcher nicht direkt mit dem Transport verbundenen Lager- und Güterordnungstransaktionen kanngrob auf 12,4 Mrd. pro Jahr bzw. 50 Mio. pro Arbeitstag geschätzt werden.

Etwa 2,1 Mio. Menschen – überwiegend gewerblich tätig – sind in Deutschland damit beschäftigt, diese Leis-tungen zu erbringen.

Die physischen Logistikaktivitäten des Transportie-rens, (Um-)Ordnens und Lagerns von Materialien und Gü-tern in der Wirtschaft sind kein Selbstzweck. Sie werden von den Konsumptionsbedürfnissen der Wirtschaft aus-gelöst und sind so nahtlos wie möglich mit den Ressour-cengewinnungs- und Produktionsprozessen zu verknüp-fen. Die dafür nötigen Transaktionen und Prozesse sind zu „administrieren“: zu planen, zu strukturieren, zu steuern,

abrechnungs- und informationstechnisch zu begleiten, kontinuierlich zu verbessern.

Dafür sind heute weitere ca. 0,5 Mio. Menschen in vor-wiegend kaufmännischen, technischen und management-bezogenen Funktionen tätig.

Was das Wachstum der Logistik treibt: erste Feststellungen

Somit beschäftigt die „Logistik“, die alle genannten Ak-tivitäten verantwortet, heute mindestens 2,6 Mio. Men-schen in Deutschland. Sie stellt mehr als 7,5 Prozent der 39 Mio. Arbeitsplätze. Nach der Gesundheitswirtschaft mit ihren mehr als 4 Mio. Beschäftigten würde die Logistik als zweitgrößte Arbeitgeberbranche rangieren, wenn sie schon als eigenständiger Wirtschaftszweig etabliert und in den amtlichen Statistiken entsprechend ausgewiesen wäre. Gemessen am geschätzten jährlichen Kostenvo-lumen (bzw. „Umsatzwert“) des nationalen logistischen Systems von über ca. 200 Mrd. Euro3 für 2007 rangiert die Logistikwirtschaft an dritter Stelle der Wirtschaftsbran-chen in Deutschland nach Gesundheits- und Automobil-bauwirtschaft.

Tab. 1 zeigt ein Mengengerippe des aktuellen Bedarfs der deutschen und europäischen Wirtschaft nach Leis-tungen des Transports, der Hantierung und Lagerung aller Güter der Volkswirtschaft. Es beschreibt die physische Nachfrage, die das „logistische System Deutschlands“ zu bedienen hat.

Den Feststellungen zur aktuellen quantitativen Bedeu-tung der Logistik, die inzwischen weite Aufmerksamkeit gefunden haben, steht eine andere, kaum im Bewusstsein der Fachleute präsente Beobachtung gegenüber:

Der physische Versorgungs- und Entsorgungsbedarf eines Durchschnittsbürgers an Gütern des täglichen Kon-sums, den die Wirtschaft bereitzustellen hat – für Essen, Trinken, Gesundheit und Hygiene, Haushalt, Heizenergie, Treibstoffe, Papier etc. –, liegt bei weniger als 10 kg pro Tag, etwa drei Tonnen pro Jahr. Selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung der anteiligen Material- und Gütermen-gen, die im jährlichen Durchschnitt für den Bau und die Un-

Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten LogistikdienstleistungswirtschaftPeter Klaus

1 Tonnagedaten von 2006 gem. Bundesministerium (ViZ 2007). Darin nicht enthalten die zusätzlichen Seeverkehrstonnagen von ca. 3,6 Tonnen pro Kopf. Die Zahl der Transport-aufträge ist geschätzt in Klaus/Kille (2006), S. 1/Tab. 9.

2 Dieser Wert ergibt sich aus der mittleren Weite aller statistisch erfassten Binnen-transporte in Deutschland von derzeit 157 km, einer angenommenen Auslastung je Lastzugfahrt von 20 Tonnen und 250 Arbeitstagen pro Jahr. .

3 Schätzung für 2007, nach 189 Mrd. Euro für 2006; 175 Mrd. Euro für 2005 und 170 Mrd. Euro im Jahr 2004 (Klaus/Kille 2007)

Page 286: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

336 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

Tab. 1: „Mengengerippe“ der Nachfrage nach Logistikleistungen in Deutschland und Europa, Datenstand 2005

Gesamtwirtschaft Einheit Deutschland EU 29

Bruttoinlandsprodukt Mrd. € 2235 11 481

… davon güterorientierte Wirtschaft (Land-/Forstwirtschaft, produz. Gewerbe und Handel)

Mrd. € 860

Gesamtaufwand (bzw. Umsatzwert) des logistischen Systems Mrd. € 175 800

Logistikaufwand pro Kopf der Bevölkerung € 2134 1587

Transport

Transportierte Gütertonnagen (ohne See) Mrd. t 3,7 21,3

Zahl Transportaufträge Mrd. # 2,6

Durchschnittliche Tonnage pro Auftrag t 1,5

Kumulativer Wert der transportierten Güter (= Umsätze der güterorien-tierten Wirtschaft)

Mrd. € 3427

Durchschnittlicher Wert pro Tonne (= Wertdichte) € 941

Arbeitsplätze Fahrzeugführer, Verkehrsbetriebsfachleute im Bereich Güterverkehr aller Verkehrsarten

Tsd. # 750

Logistikaufwand absolut für Gütertransport Mrd. € 74 343,8

Umschlag, Kommissionierung, Warenhandling

Zahl Umschlags-, Be- und Entladetransaktionen Mrd. # 4,9

Zahl vor- und nachgelagerter Kommissionierungs- und Konsolidierungs-transaktionen

Mrd. # 7,5

Arbeitsplätze Lagerarbeiter, Warenprüfer, Kommissionierer etc. Tsd. # 1150

Logistikaufwand absolut für Güterumschlag, Warenhandling Mrd. € 45 207,9

Lagerung und Beständewirtschaft

Durchschnittlicher Lagerbestand in Tonnen Mio. t 370

Geschätzte Lagerfl äche Mio. m2 740

Durchschnittlicher Wert der Lagerbestände Mrd. € 350

Durchschnittlicher Wert pro Tonne € 941

Durchschnittliche „Reichweite“ der Lagerbestände in Kalendertagen # 36

Logistikaufwand absolut für Beständewirtschaft 35 167,9

Logistik-Administration

Gesamtzahl administrative logistische Transaktionen Mrd. # 15,0

Arbeitsplätze kaufmännische Mitarbeiter, IT, Management etc. Tsd. # 600

Logistikaufwand absolut für Administration Mrd. € 17 80,0

Page 287: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

337Peter Klaus

terhaltung der langlebigen Wohn- und Alltagsinfrastruktur eines Durchschnittsbürgers bewegt werden müssen, sind es nur fünf bis sechs Tonnen pro Jahr, die die logistischen Systeme der Volkswirtschaft „auf der letzten Meile“, in geeigneten „Portionen“ und Sortimenten zu Haushalten und Bürgern verbringen.4

Dies bedeutet, dass nur wenig mehr als 10 Prozent des oben festgestellten, heutigen jährlichen Gesamtmengen-Durchsatzes des logistischen Systems von 47,8 Tonnen pro Bürger direkt zur Befriedigung von deren Bedürfnis-sen erfolgen. Fast 90 Prozent des Durchsatzes entstehen als sekundärer, „abgeleiteter“ Bedarf. Sie sind Folge der Arbeitsteiligkeit und Stufi gkeit der Wertschöpfungspro-zesse moderner Volkswirtschaften, verursacht durch die vielfachen Business-to-Business-Transaktionen zwischen Unternehmen der Urproduktion, der Rohstoffverarbeitung, Vor-, Zwischenmaterial-, Komponenten- und Endproduk-te-Fertigung, der dafür auch nötigen Bereitstellung von Investitionsgütern sowie den Distributionsprozessen bis zum Endverbraucher, Entsorgung oder „Recycling“.

In den nicht arbeitsteiligen, nur lokalen Wirtschafts-systemen des vor-industriellen Zeitalters, als Produktion, Konsum und Entsorgung vorwiegend an einem Ort, in einem einstufi gen Wertschöpfungsprozess und ohne Ver-netzung mit überregionalen, internationalen und globalen Systemen arbeitsteiliger Produktion und des Handels er-folgten, hat es 90 Prozent des heutigen logistischen Be-darfes noch nicht gegeben!

Es folgt aus dieser Betrachtung, dass die enorme Zu-nahme der Bedeutung der Logistik im Verlauf der Indus-trialisierung moderner Volkswirtschaften von mehreren Einfl üssen bestimmt war: Zuerst, natürlich, von zahlenmä-ßiger Zunahme der Bevölkerung und der immer großzügi-geren Befriedigung von deren materiellen Bedürfnissen. Noch viel stärker war und ist diese Entwicklung aber von der dramatischen Zunahme der Arbeitsteiligkeit und der weltweiten Dislozierung wirtschaftlicher Aktivitäten ge-trieben. Erst diese Entwicklung stieß die seit den 1970er Jahren eingeleitete Verselbstständigung der Logistik als eigenständigem Wirtschaftszweig, ihre Entdeckung als erfolgskritischer Funktionsbereich und Erfolgsfaktor in den Unternehmen sowie als eigenständigem Wissen-schaftsfeld an.

Fünf Fragestellungen systematischer Logistik-Market-Intelligence

Es ist ein wachsender offener Markt zwischen Anbietern und Nachfragern logistischer Leistungen aus der starken Tendenz zum Outsourcing von Logistikaktivitäten entstan-den – der Übertragung solcher Leistungen aus den Händen der primären Bedarfsträger aus Industrie, Handel, Konsum in die Hände von spezialisierten Dienstleistungsunterneh-men der Logistik.

Dieser Markt ist von hoher Komplexität gekennzeich-net: Es vollziehen sich turbulente Veränderungen der Kostenstrukturen und Wettbewerbskonfi gurationen. Technologie- und Wachstumssprünge führen zu hohen Produktivitätsfortschritten. Reglementierende – und de-regulierende – Eingriffe der Politik verändern zusätzlich die Rahmenbedingungen des Handelns für die Marktteil-nehmer. Die Vermessung und Verfolgung von Marktent-wicklungen ist außerordentlich schwierig, weil Begriff-lichkeiten und Grenzen der Logistikdienstleistungsmärkte noch wenig geklärt sind und gesicherte, zugängliche Da-ten nur lückenhaft vorliegen. Der Aufbau systematischen, quantitativ belegten Wissens über Größenordnungen, Leistungen, Trends der Logistikdienstleistungswirtschaft als Voraussetzung für die Bewertung und Prognose von Erfolgen, Erfolgstreibern und Wirkungen politischer und unternehmerischer Maßnahmen steht erst am Anfang.

Deshalb soll dieser Beitrag den aktuellen Stand der Be-mühungen um die Entwicklung systematischen Wissens für die wichtigsten Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft darstellen. Fünf Fragestellungen werden aufgeworfen und – soweit dafür derzeit Aussagen verfügbar sind – übersichtsartig beantwortet, nämlich die Fragen nach …

1. einer praxisgerechten und praktikablen Eingrenzung der Logistikdienstleistungsmärkte;

2. der absoluten Größe der Logistikdienstleistungsmärk-te und ihrer relativen Bedeutung in der Gesamtwirt-schaft – für die gesamte Weltwirtschaft, Europa und für Deutschland;

3. Kriterien der Segmentierung der Gesamtlogistik in re-levante Marktfelder;

4. Treibern, Trends, vermuteten Erfolgsfaktoren und den Zukunftsperspektiven für die weitere Entwicklung ausgewählter, besonders beachteter Logistikmarkt-segmente: weltweite Containerlogistik, die System-verkehrsnetzwerke für Paket und Expressfracht, Stück-güter und „Truckloads“ sowie für Kontraktlogistik;

4 Die vorläufi ge Schätzung dieser Zahlen erfolgte im Rahmen einer noch andauerndenForschungsaktivität der Fraunhofer Arbeitsgruppe für Technologien der Logistikdienst-leistungswirtschaft ATL in Nürnberg.

Page 288: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

338 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

5. den Herausforderungen der Abschätzung länger-fristiger Logistik-Marktentwicklungen für Politik, Logistik-Wissenschaft und unternehmerische Markt-forschungsaktivitäten sowie dem damit verbundenen weiteren Entwicklungsbedarf systematischer Market Intelligence.

Zu kritischen Begriffl ichkeiten und einer pra-xisgerechten Eingrenzung der Logistikmärkte

Zwei kritische Begriffe müssen geklärt werden, um Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienst-leistungswirtschaft eindeutig zu diskutieren und – soweit überhaupt möglich – auch quantitativ einzuschätzen: Als Markt soll hier nicht allein der Marktplatz im engeren volkswirtschaftlichen Sinne – der öffentlich zugängliche Ort des Austausches von Gütern und Dienstleistungen –,sondern im erweiterten Sinne der Betriebswirtschafts-lehre und aktueller Managementpraxis ein „Potenzial an erschließbarer Nachfrage“ für betrachtete Produkte und Dienstleistungen verstanden werden. Der Markt für Logistikdienstleistungen ist also zu beschreiben als die

Gesamtheit der Logistikbedürfnisse der Wirtschaft, wie sie annähernd in den einleitenden Ausführungen und dem Mengengerippe der Nachfrage nach Logistik-leistungen (Tab. 1) umrissen wurden.

Bisher wird nur ein – allerdings rasch wachsender – Anteil dieser Bedürfnisse über offene Marktplätze und Markt-transaktionen im engeren Sinne zwischen Nachfragern solcher Leistungen (in der Praxis zumeist Verlader oder Kontraktgeber genannt) und selbstständigen Anbietern logistischer Leistungen (den Transport- und sonstigen Logistikdienstleistern) abgedeckt.

Die zweite, schwierigere, inhaltliche Frage nach dem hier relevanten Gegenstand der Nachfrage führt zu der Pro-blematik der Defi nition von Logistik. Dem relativ jungen Wirtschafts- und Wissenschaftsfeld der Logistik, den für die Logistik sprechenden Verbänden, Wissenschaft-lern und Praktikern ist es noch nicht vollständig gelun-gen, Konsens über eine trennscharfe und für quantitative Marktanalysen geeignete Eingrenzung des Feldes herbei-zuführen.

Eine der ältesten und meist zitierten Defi nitionen des US-amerikanischen Professors Bowersox, der als einer der Väter der modernen betriebswirtschaftlichen Logistik gilt, beschreibt die Logistik anhand der Aufgabenstellung

„… to design and administer a system to control the fl ow of materials, parts, and fi nished inventory to the maxi-mum benefi t of the enterprise“ (Bowersox 1969, S. 2).

Die deutsche Bundesvereinigung Logistik (BVL) defi niert Logistik als

„… ein System, das zunächst im Unternehmen, aber auch unternehmensübergreifend mit Lieferanten und Kunden, eine optimale Versorgung mit Materialien, Tei-len und Modulen für die Produktion – und auf der ande-ren Seite natürlich für die Märkte […] zu sichern hat“5.

Für die Zwecke einer prägnanten Beschreibung von Fakten und Entwicklungen der Logistikdienstleistungsmärkte ist eine möglichst eindeutige, anhand von zähl- und messbaren Aktivitäten, Ressourcen, Marktwert- und Leistungs-Out-putgrößen orientierte Defi nition nötig. Es soll deshalb der Markt für Logistikleistungen hier eingegrenzt werden auf

5 Vgl. die BVL-Homepage <www.bvl.de>, Stichwort „Logistik“ Stand Januar 2008.

Abb. 1: Darstellung volkswirtschaftsweiter Logistiksystem-Aufwendungen

Transport 38 %

Lagerwirtschaft und Umschlag 37 %

EU

Logistikplanung, Admin. 6 %

Bestände 15 %

Auftragsabwicklung 4 %

Daten für EU 25 im Jahr 2006 auf Basis einer Stichprobe von Davis (2007)

Page 289: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

339Peter Klaus

„alle Logistikleistungen des Transports, der Lagerung, Ordnungsveränderung (Umschlag, Kommissionierung, Konsolidierung) und der Beständewirtschaft, die pro-duktionsextern zwischen den Produktions- und Ver-kaufsstätten der Wirtschaft benötigt werden, sowie die damit direkt verbundenen Administrations-, Dispo-sitions- und Planungsleistungen. Das Volumen dieses Marktes umfasst sowohl die einschlägigen Leistungen, die mit verladereigenen Mitteln (Werkverkehr, Eigenlä-ger) erbracht werden, wie auch die outgesourcten Leis-tungen, die von Dienstleistern zugeliefert werden“6.

Die in den folgenden Ausführungen diskutierten Markt-daten beziehen sich jeweils auf diese Defi nition, die kom-patibel mit einer für US-amerikanische Marktmessungen häufi g genutzten Defi nition ist7. Abb. 1 zeigt, wie damit die Aufwendungen für ein nationales Logistiksystem in fünf Kategorien eingeteilt und berichtet werden können.

Andere, expansivere Defi nitionen der Logistik, die de-ren Bedeutung der Logistik auch als „Erfolgsstrategie des Managements“ und „Weltsicht“ hervorheben, werden hier nicht näher berücksichtigt8.

Größe der Logistikdienstleistungsmärkte und deren relative Bedeutung in der Gesamtwirt-schaft

Eine systematische Auseinandersetzung mit Logistik-märkten und -entwicklungen muss mit der Feststellung eines Ist-Status beginnen.

Logistikaufwendungen der Wirtschaft weltweitNur sehr wenige Autoren sind bekannt, die es bisher gewagt haben, eine Schätzung der weltweiten Logistik-märkte zu versuchen.

Der bereits zitierte Nestor der wissenschaftlichen Logistik in den USA, Donald Bowersox von der Michigan State Universität, hat in zwei aufeinanderfolgenden Be-mühungen mit Kollegen Schätzungen der weltweiten Auf-wendungen für Logistik präsentiert (Bowersox/Calantone 1998 und Bowersox/Calantone/Rodriguez 2003):

Im Wesentlichen auf der Basis der Daten einer in den USA seit 1989 regelmäßig durchgeführten nationalen Logis-tikmarktstudie und Markttrendanalyse9 führten diese Auto-ren Hochrechnungen der weltweiten Logistikaufwendungen durch. Sie berücksichtigten für die Hochrechnung auf andere Länder u. a. dort statistisch erfasste Transporttonnagen, Ein-wohnerzahlen und Bruttosozialproduktdaten, Landesfl ächen-daten und Außenhandelsdaten. Die letzte Schätzung (Bower-

sox/Calantone/Rodriguez 2003) auf der Basis von Daten des Jahres 2000 ergibt einen weltweiten Logistikaufwand von 6380 Mrd. US-Dollar (5853 Mrd. Euro)10, entsprechend einem 13,7-Prozent-Anteil am Weltbruttosozialprodukt von 46 620 Mrd. US-Dollar (42 770 Mrd. Euro) bzw. Logistikaufwand pro Kopf der Weltbevölkerung (ca. 6,2 Mrd.) von 944 Euro.

Diese Zahlen können in Relation gesetzt werden zu der in Tab. 1 gezeigten Zahl für Deutschland „Logistikaufwen-dungen pro Kopf der Bevölkerung“ von 2 132 Euro, bzw. den sich für Deutschland ergebenden Logistikaufwen-dungen relativ zum Bruttosozialprodukt von 7,9 Prozent. Bowersox und seine Kollegen berechnen für Deutschland einen viel höheren nationalen Logistikaufwand im Jahr 2000 von 345 Mrd. US-Dollar bzw. 15,3 Prozent des BIP, was – nach detaillierten Schätzungen des Autors dieses Berichts – etwa um das Doppelte zu hoch ist.

Angesichts der enormen Probleme schwankender Wäh-rungskurse, unterschiedlichster realer Kaufkraftparitäten zwischen Entwicklungs-, Schwellen- und industrialisierten Ländern, den Systemeigenheiten etwa in China, Indien, Russland, ist es nicht überraschend, dass diese auf US-Da-tenbasis hochgerechneten Zahlen nicht als ein realistisches und zuverlässiges Ergebnis gewertet werden können.

Jüngst hat der US-amerikanische Berater Armstrong (2007) eine weitere Berechnung „Estimating Global Logistics Spending“ veröffentlicht, in die die Ergebnisse europäi-scher und anderer Landesstudien eingefl ossen sind.

Armstrongs Schätzungen (vgl. Tab. 2) mit einem Welt-logistikaufwandsvolumen, für das Jahr 2006, 5399 Mrd. US-Dollar (4217 Mrd. Euro)11, für Deutschland 230 Mrd. US-Dollar (180 Mrd. Euro), dürften wesentlich näher an der Realität liegen als die von Bowersox und seinen Kolle-gen. Sie liefern auch einen Versuch der Aufteilung in die wichtigsten Aufwandskategorien (Tab. 3).Die Aufgabe einer wirklich konsistenten und vergleichba-ren Weltschätzung der Logistikmärkte ist aber bis heute noch nicht befriedigend gelöst.

6 Diese Defi nition liegt den seit 1996 kontinuierlich durchgeführten „Top 100“-Studien der Logistik zugrunde, vgl. Klaus/Kille (2007), S. 31 f., aus der viele der in diesem Bei-trag zitierten Marktdaten entnommen sind.

7 Ursprünglich vorgeschlagen von Heskett/Ivie/Glaskowsky (1964)8 Eine ausführliche Diskussion der Entwicklung und wichtiger Interpretationen solcher

erweiterten Logistikbegriffe ist u. a. in Klaus (2002) nachzulesen.9 Die „State of Logistics Reports“, bis 2003 herausgegeben von Robert Delaney vom

amerikanischen Marktforschungsunternehmen Cass Information Systems, seitdem vom Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP) unter der Verant-wortlichkeit von Rosalyn Wilson; letzte Ausgabe, als 18. Report von Wilson (2007).

10 Der Dollar-Preis für einen Euro lag im Jahr 2000 bei etwa 1,09 (Mittelkurs 2005 etwa 1,20; Mittelkurs 2006 etwa 1,28; Jahresendkurs 2007 1,48). Quelle: <www.waeh-rungskurs.de> im Januar 2008.

11 2006 wird gem. Fußnote 10 ein mittlerer US-Dollar-Umrechnungskurs von 1,28 für den Euro eingesetzt.

Page 290: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

340 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

Die Größe des Logistikmarktes in EuropaSeit 2003 wurden im Institut des Autors dieses Beitrages Schätzungen der Logistikaufwendungen für die Europäi-sche Union durchgeführt, für die deutlich bessere – wenn auch nach wie vor schwierige – Daten- und Schätzvor-aussetzungen bestehen. Einige wesentliche summarische Ergebnisse daraus für das Jahr 2006 sind in Tabelle 4 eingefügt.

Es ergibt sich ein Gesamtaufwandsvolumen für die 15 westeuropäischen EU-Mitgliedsländer zuzüglich der Schweiz und Norwegens (EU 17) nach dem Stand von 2005 von 738 Mrd. Euro, zuzüglich eines Volumens von

61,4 Mrd. Euro für die zwölf Beitrittsländer von 2006/2007, insgesamt für EU 29 von ca. 800 Mrd. Euro.

Dies entspricht einer Relation des Logistikaufwandes zum Bruttosozialprodukt von 7,0 Prozent pro Kopf der 503 Mio. Einwohner von 1590 Euro.

Der Anteil der an Logistikdienstleister outgesourcten Logistik ist auf knapp 50 Prozent des Gesamtvolumens geschätzt. Einige Einsichten, die sich aus dem Vergleich der europäischen Länderdaten gewinnen lassen, werden unten im Zusammenhang mit der Diskussion von Treibern, Trends und vermuteten Erfolgsfaktoren der Logistikmärkte vorgestellt.

Tab. 2: Armstrongs (2007) „Global Logistics Estimates 2006“ mit Anteilen der Kontraktlogistik

Weltweite Logistikmarktschätzung und Third-Party Logistics (3PL) Kosten 2006

Region Land Logistik (US$ Mrd.) Logistik (% vom BIP)

3PL Umsätze

Nordamerika Kanada 122 10,4 10,2

Mexiko 118 15,0 7,7

USA 1305 9,9 113,6

Region 1545 10,2 131,5

Europa Frankreich 204 9,5 20,7

Deutschland 230 8,0 23,3

Italien 189 10,6 19,8

Spanien 147 13,6 14,0

Großbritannien 234 10,0 23,5

Andere 426 10,1 42,3

Region 1,43 9,9 143,6

Fernost China 529 21,1 37,1

Indien 140 17,3 7,9

Japan 425 8,7 37,4

Andere 168 10,7 11,9

Region 1.262 12,9 94,3

Südamerika Brasilien 122 14,9 7,8

Venezuela, RB 19 11,7 1,1

Argentinien 26 12,7 1,5

Region 167 14,1 10,4

Verbleibende Länder 995 16,0 37,3

Total 5399 11,5 417,1

Page 291: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

341Peter Klaus

Aktuelle Vermessungsergebnisse des Logistikmarktes in DeutschlandDie entsprechenden Daten zum Logistikmarkt Deutsch-land, die an anderer Stelle ausführlich vorgestellt wur-den12, sind in Tab. 5 kurz zusammengefasst.

Der hier gezeigte Datenstand von 2005 mit einem volks-wirtschaftsweiten Logistikaufwandsvolumen berücksich-tigt noch nicht den kräftigen Konjunkturaufschwung, der im Jahr 2006 einsetzte. Das vergleichbare Logistik-Auf-wandsvolumen ist für 2006 auf 189 Mrd. Euro, für 2007 gemäß vorläufi ger Schätzung auf über 200 Mrd. Euro ge-stiegen.

Segmentierung der Logistikdienstleistungmärkte

Für eine Segmentierung des großen, aber heterogenen Gesamt-Logistikmarktvolumens bestehen vielfältige Mög-lichkeiten: In den eher volkswirtschaftlichen und verkehrs-wissenschaftlichen Betrachtungen der Logistikwirtschaft wird eine Segmentierung vorzugsweise nach den Funktionen bzw. den wertschöpfenden Aktivitäten gewählt, die einen Schwerpunkt der logistischen Leistung darstellen, also z. B.

• Beschaffungslogistik, („Intra“-) Produktionslogistik, Distributionslogistik, Entsorgungslogistik;

• Lagerlogistik und • Transportlogistik (vgl. z. B. Abb. 1, Tab. 3 und 4),

das letztere Segment häufi g aufgeteilt in die

• Verkehrsmodi Straßen-, Schienen-, Binnenschifffahrts-, Rohrleitungs-, Seeschifffahrts- und Luftverkehrstrans-port (vgl. Tab. 2).

In der Praxis sind aber auch vielfältige andere Segmentie-rungen der Logistikmärkte üblich, wie z. B. nach:

• Art der logistischen Objekte bzw. Güterarten (z. B. Lebensmittellogistik);

• Auftraggeberbranchen- bzw. Kundentypen oder institu-tionellen Gesichtspunkten (z. B. Verlagslogistik, Logistik öffentlicher Organisationen);

• Auftrags- und Abwicklungstypen (z. B. Expressfracht); • Verkehrsnetzstrukturen (z. B. Märkte für „Netzwerksys-

temanbieter“ oder der Relationsspediteure); • Transportgefäßtypen (z. B. Tank- und Silotransporte); • Art der rechtlichen und organisatorischen Beziehungen

zwischen Auftraggebern und Logistikdienstleistern (z. B. „Kontraktlogistik“).

Die in der Praxis üblichen Marktsegmentierungen, wie sie sich z. B. durch die Mitgliederkreise von Verbandsorgani-sationen ausdrücken und durch das Verständnis der Un-ternehmen, wer ihre relevanten Wettbewerber und Bran-chenkollegen sind, vermischen nicht selten mehrere dieser Segmentierungsaspekte.

Weltweite Logistikkosten nach Modal Split (Mrd. US$)

Tab. 3: Armstrongs (2007) „Global Logistics Estimates 2006“: Aufteilung nach Transportmodi, Beständekosten, Lagerhausoperationen, Administration

Region Land Straße Schiene Wasser Luft Forwar-ding

Bestän-dekosten

Ware-housing

Logistik-planung,

Admin.

Logistik gesamt

Nordamerika Kanada 59 10 4 3 2 30 8 6 122

Mexiko 58 5 3 4 2 30 9 7 118

USA 635 54 47 38 27 345 101 58 1.305

Region 752 69 54 45 31 405 118 71 1.545

Europa Frankreich 64 13 7 19 5 40 45 11 204

Deutschland 72 14 6 12 7 45 53 21 230

Italien 72 9 8 16 6 39 18 21 189

Spanien 72 2 7 9 4 28 18 7 147

Großbritannien 82 12 8 37 7 46 31 11 234

Andere 153 29 22 43 5 72 85 17 426

Region 515 79 58 136 34 270 250 88 1.430

Fernost China 231,6 1,6 56,1 3,2 11,1 110,6 41,8 73 529

12 Vgl. insbesondere Klaus /Kille (2006 und 2007), sowie Klaus/Kille (2008).

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342 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

Tab. 4: Die Logistikmärkte Europas gemäß der „Top 100“-Schätzung, Datenstand 2005

Quelle: Klaus/Kille (2007), S. 66Quelle: Klaus/Kille (2007) S 66

Einwoh-ner in

Mio. 2005

BIP 2005 in Mrd. €

bewegte Tonnage gesamt 2005 in

Mio. t

Transport-kosten

in Mrd. € (43,0%)

plus Lager-wirtschaft/

Komm. in Mrd. € (26,0%)

Zwischen-summe

„TUL“ Kosten in

Mrd. €

plus Auftrags-

abwicklung in Mrd. €

(5,0%)

plus Logistik-planung/

Admin. (5,0%)

plus Bestän-

dekosten in Mrd. € (21,0%)

Summe Logistikkos-

ten in Mrd. € 2005

Belgien 10,5 299 592 11,0 6,7 17,7 1,3 1,3 5,4 25,7

Dänemark 5,4 208 249 5,6 3,4 9,0 0,6 0,6 2,7 13,0

Deutschland 82,5 2.241 3.703 75,6 45,7 121,2 8,8 8,8 36,9 175,7

Finnland 5,2 157 478 8,6 5,2 13,8 1,0 1,0 4,2 20,1

Frankreich 62,7 1.710 2.380 41,8 25,3 67,0 4,9 4,9 20,4 97,1

Griechenland 11,1 181 499 7,3 4,4 11,7 0,8 0,8 3,6 16,9

Großbritannien 60,2 1.792 2.342 45,6 27,6 73,2 5,3 5,3 22,3 106,0

Irland 4,2 161 314 4,3 2,6 6,9 0,5 0,5 2,1 10,0

Italien 58,6 1.417 1.830 31,2 18,9 50,1 3,6 3,6 15,3 72,6

Luxemburg 0,5 29 39 1,0 0,6 1,6 0,1 0,1 0,5 2,2

Niederlande 16,3 506 1.127 18,7 11,3 30,0 2,2 2,2 9,1 43,5

Norwegen 4,6 238 496 8,7 5,2 13,9 1,0 1,0 4,2 20,2

Österreich 8,1 245 404 5,7 3,5 9,2 0,7 0,7 2,8 13,4

Portugal 10,5 148 360 3,7 2,2 5,9 0,4 0,4 1,8 8,6

Schweden 9,0 288 498 11,0 6,6 17,6 1,3 1,3 5,3 25,5

Schweiz 7,4 294 420 6,8 4,1 10,9 0,8 0,8 3,3 15,8

Spanien 43,4 905 2.375 30,9 18,7 49,6 3,6 3,6 15,1 71,9

„Europa der 17“ 400,3 10 820 18 105 317,5 192,0 509,4 36,9 36,9 155,0 738,2

% des BIP: 2,9 4,7 6,8

Bulgarien 7,7 21 199 1 0,5 1,2 0,1 0,1 0,4 1,8

Tschechien 10,2 100 530 4 2,2 5,9 0,4 0,4 1,8 8,6

Estland 1,3 11 86 1 0,5 1,3 0,1 0,1 0,4 1,9

Lettland 2,3 13 135 1 0,7 1,9 0,1 0,1 0,6 2,7

Litauen 3,4 21 136 1 0,7 1,8 0,1 0,1 0,6 2,6

Malta 0,4 5 10 0 0,1 0,2 0,0 0,0 0,1 0,3

Polen 38,2 244 1.031 10 6,3 16,7 1,2 1,2 5,1 24,2

Rumänien 21,6 79 423 4 2,5 6,6 0,5 0,5 2,0 9,6

Slowakei 5,4 38 251 1 0,7 1,8 0,1 0,1 0,5 2,5

Slowenien 2,0 28 95 1 0,5 1,3 0,1 0,1 0,4 1,9

Ungarn 10,1 89 275 2 1,1 2,8 0,2 0,2 0,9 4,1

Zypern 0,8 14 55 1 0,3 0,9 0,1 0,1 0,3 1,2

Summe der neu-en EU-Staaten

103,5 662 3227 26,4 15,9 42,3 3,1 3,1 12,9 61,4

„Europa der 29“ 503,8 11 481 21 332 343,8 207,9 551,7 40,0 40,0 167,9 799,6

% des BIP: 3,0 4,8 7,0

Page 293: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

343Peter Klaus

Im Rahmen der „Top 100“-Studien der Fraunhofer ATL in Nürnberg hat sich eine pragmatische Segmentierung des Gesamt-Logistikdienstleistungsmarktes bewährt, die ins-gesamt 15 Marktfelder berücksichtigt. Diese sind nicht überschneidungsfrei, entsprechen aber bestmöglich den in der Praxis gebräuchlichen Kennzeichnungen.

Abb. 2 zeigt die 15 Marktfelder und deren aktuelle anteilige Größenordnungen.

Zu Treibern, Trends, Erfolgsfaktoren und Zukunftsperspektiven ausgewählter Logistik-marktsegmente

In den realen Märkten der Logistik ist eine kaum über-sehbare Vielfalt von Angebotskombinationen logis-tischer Leistungen, Architekturen und Praktiken der Leistungserstellung und Ansätzen der Ertragssicherung –Geschäftsmodelle13 für erfolgreiches Agieren in den Logistikmärkten – vorzufinden. In den folgenden Ab-schnitten dieses Beitrages werden drei große Markt-segmente und dort vorherrschende Geschäftsmodelle der Logistik skizziert, denen ganz besondere Bedeutung

wegen ihrer Größe und Wachstumsdynamik zugerech-net wird.

Weltweite SeecontainerlogistikDie Zahl weltweit im Seeverkehr beförderter Container wird 2007 auf über 143 Mio. TEU pro Jahr geschätzt. Da-für sind über 400 Mio. Containerumladevorgänge in den Häfen nötig. Die Größenordnung des weltweiten Seecon-tainermarktes für 2007 ist auf 142 Mrd. Euro geschätzt. Es ergibt sich ein durchschnittlicher Erlös für jede Ozean- und Short-sea-Containerbewegung von knapp 1000 Euro.14

Der Anteil Europas am Weltcontainermarkt dürfte bei etwa einem Viertel des Weltmarktes liegen. Der Umsatz-wert der ca. 7 Mio. Outbound-Containerbewegungen aus Deutschland kann entsprechend auf etwa 7 Mrd. Euro ge-schätzt werden.

Die weltweiten Marktführer in diesem Geschäft sind die dänische Moller-Maersk-Gruppe mit einer Umsatz-

Tab. 5: Datenübersicht zum Logistikmarkt Deutschland, Datenstand 2005

Quelle: Klaus/Kille (2007), S. 156Quelle: Klaus/Kille (2007), S. 156

Volkswirtschaftliche Kenndaten Kennzahlen Mrd. € %-Anteile EU-Durchschnitt

Bruttoinlandsprodukt (BIP in Mrd. €) 0 2.241,0 100 % 636,5

Einwohner (in Mio.) 82,5 23,5

Bruttoinlandsprodukt/Einwohner (in Tsd. €) 27,2 27,0

Erwerbstätige (in Mio.) 36,7 7,5

Landesfl äche (in Tsd. km²) 357 158,3

Bevölkerungsdichte (Einwohner pro km²) 231 114,3

Arbeitskosten (in € pro Monat) 3.973 3530

Logistische Kennzahlen

Transportmenge absolut (Mio. t p.a.) 3.703,3 1065

Transportintensität (t/Einwohner p.a.) 44,9 42,3

gesamte Logistikaufwendungen (in Mrd. €) 175,7 7,8 % 6,8 %

- davon Gütertransportaufwendungen (in Mrd. €) 75,6 3,4 % 2,9 %

- davon Straße, mittlere Entfernung (km) 74,5 62,6 2,8 % 2,1 %

- davon Schiene, mittlere Entfernung (km) 300,7 3,5 0,2 % 0,1 %

gesamte Logistikaufwendungen (€/t) 47,44 32,79

... nur Gütertransportaufwendungen (€/t) 20,40 13,98

... nur Lagerwirtsch./Komm. (€/t) 12,34 29,97

13 Vgl. dazu Stähler (2001).14 Quelle: Drewry Shipping Consultants www.drewry.co.uk, Stand Januar 2008. „TEU”

bezeichnet eine Twenty-Foot-Equivalent-Unit.

Page 294: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

344 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

größenordnung im Seecontainertransport von 20 Mrd. Euro und über 13 Mio. beförderten TEU15, die in der Schweiz be-heimatete Mediterranian Shipping Co. (MSC) mit 8,25 Mio. TEU und die taiwanesische Evergreen Marine Corp.

Die bedeutendsten Seecontainerumschlagszentren sind im Jahr 2006 die asiatischen Häfen Singapur mit ca. 25 Mio. TEU-Bewegungen, Hongkong mit 23 Mio. TEU, Shanghai mit 22 Mio. TEU und Shenzhen mit 19 Mio. TEU-Bewegungen. Hamburg und Bremen liegen mit knapp 10 bzw. 5 Mio. TEU Bewegungen und überdurchschnittlichen Steigerungsraten unter den Top-20 der weltweiten Containerhäfen.16

Die Wachstumsraten der weltweiten Seecontainer-logistik haben seit den 1990er Jahren regelmäßig im Bereich von 7 bis über 10 Prozent gelegen. Dies ist eine Folge der kontinuierlichen Steigerung des Containerisie-rungsgrades bei Seegütern, der Intensivierung der welt-weiten Arbeitsteilung als Folge der Globalisierung, des damit verbundenen starken Wirtschaftswachstums der fernöstlichen Schwellenländer und nicht zuletzt der relati-ven Verbilligung des Containertransports.17

Diese Rationalisierungserfolge im weltweiten Contai-nerverkehr sind wiederum möglich geworden durch die Ausnutzung von Skaleneffekten beim Einsatz immer grö-ßerer Schiffseinheiten, verbesserte Schiffsauslastungs-

und Einsatzplanungen. Unterstützt werden diese Effekte durch Fusionen der Containeroperateure, die Entwicklung von reinen Linien- zu netzwerkartigen Fahrtenstruktu-ren, nicht zuletzt durch kontinuierlich voranschreitende Mechanisierung und durch die Automatisierung der Um-schlagsaktivitäten.

Fast alle Seeverkehrsexperten sehen eine langfristige Fortsetzung dieser Trends. Es wird eine nochmalige Ver-doppelung der weltweiten TEU-Bewegungen bis 201518 vorhergesagt. Dies spricht für andauernde Wirkung auch der bisherigen Erfolgsstrategien der Marktführer im welt-weiten Containergeschäft: weitere Unternehmenskon-zentration durch Fusionen und Liniennetzwerkbildung, fortgesetzte Nutzung größerer Schiffseinheiten, Mecha-nisierung und Industrialisierung der Prozesse. Aus euro-päischer und deutscher Sicht bleiben dennoch Fragen zur Marktentwicklung der weiteren Zukunft offen:

Könnte der Containerboom – entgegen den verbreite-ten Prognosen – nicht in absehbarer Zeit an ein Plateau der Sättigung stoßen?

Abb. 2: Verteilung der Logistikaufwendungen in Deutschland auf Marktsegmente

Quelle: Klaus/Kille (2007), Datenstand 2005

Industrielle Kontraktlogistik, insb. industrielle Produktionsversorgung und Ersatzteilversorgung 47

KEP - Paket-, echte Kurier- und spezialisierte Expessdienste 9

Hängende-Kleider-Logistik 0,6

Grenzübersch. Transport- Speditionsleistungen, Schwerpunkt Straße u. Schiene 9,6

High-Tech-Güter, Messelogistik, Neumöbel- und Umzugstransporte 4,5

Grenzübersch. Transport- Speditionsleistungen, Schwerpunkt Seeschifffahrt u. Seehafenspedition 11

Terminaldienste, nicht integrierte Lagerei-, Umschlags- und sonstige logistische Zusatzleistungen 19

Grenzüberschreitende Aircargo-Carrier und Leistungen der Luftfrachtspedition 7

€ 175 Mrd.

Nationale Massengutlogistik 10

Nationaler allgemeiner Ladungsverkehr 14,5

Schwertransporte, Krandienste 0,8

Nationale Tank- und Silotransporte 5,5

Nationaler allgemeiner Stückgutverkehr 5,5

Nationale sonstige Ladungsverkehre mit speziellem Equipment 8,5

Konsumgüterdistribution und Konsumgüterkontraktlogistik 21,5

15 Stand 2006 lt. Geschäftsbericht des Unternehmens.16 Quelle www.hafen-hamburg.de, Stand Januar 2008. 17 Vgl. dazu Zachzial (2000).18 Vgl. dazu Zachzial (2006) und dort genannte Quellen.

Page 295: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

345Peter Klaus

Eine solche Frage begründet sich zum einen aus dem Zweifel, ob die Importmengen per Container aus Asien, die zu hohen Anteilen Waren für den privaten Verbrauch und Gebrauch betreffen, angesichts stagnierender Bevöl-kerung und geringem Wohlstandswachstum in Mittel- und Westeuropa langfristig noch so steigerungsfähig sind, wie das die Prognosen unterstellen.

Ein solcher Zweifel kann auch für die Export- und Im-portvolumen an Industriegüter-Containerfracht begründet werden, die vom Offshoring von industrieller Produktion aus Deutschland und Europa getrieben sind. Bei einer stagnierenden, eher sogar rückläufi gen hier verankerten industriellen Beschäftigung und Wertschöpfung könnten bald Grenzen der Steigerung der Arbeitsteiligkeit und Stufi gkeit erreicht werden. Die hiesigen Volkswirtschaf-ten entwickeln sich immer mehr zu post-industriellen, auf Dienstleistungen basierenden Strukturen mit quanti-tativ stagnierender materieller Industriegüterproduktion. Dürfen – vor diesem Hintergrund – die oft zweistelligen Wachstumsraten des Containerverkehrs der vergangenen Jahre noch auf weitere Jahrzehnte extrapoliert werden?

Systemverkehrsnetzwerke für Paket- und Expressfracht, Stückgüter und TruckloadsEin weiteres, ganz besonders dynamisches Feld logis-tischer Aktivitäten sind die Systemverkehrsnetzwerke. Unter diesem Begriff sollen mehrere Marktsegmente zusammengefasst werden, die aus der Sicht ihrer Leis-tungsarchitekturen, Erfolgsfaktoren, Entwicklungstrends und Zukunftsperspektiven ähnliche Merkmale aufweisen: die Märkte für Paket- und Expressfracht (KEP), für landge-

bundene Stückgutfracht, auch für die standardisierte Dis-tribution von Food- und Non-Food-Konsumgütern von den Markenartikelherstellern an den Einzelhandel und die sich entwickelnden Märkte für nicht-spezialisierte Ladungs- und Teilladungsferntransporte per Lkw.

Die gemeinsamen Merkmale dieser Märkte sind:

• ein sehr hohes absolutes Sendungs- und Tonnagevolu-men, das sich für die Abwicklung in Massenprodukti-onssystemen mit hohem Standardisierungsgrad eignet;

• eine fl ächig verteilte Nachfrage, die eine fl ächende-ckende Präsenz der Logistikanbieter bzw. die Vorhal-tung von verteilten Bedienungsdepots und lückenlos abgedeckten Bedienungsgebieten fordert;

• ein hohes Interesse der Verlader an der Möglichkeit, zur Minimierung von Transaktionskosten ihre täglich wechselnden Auftragsvolumen an einen bzw. an we-nige Netzwerkanbieter abgeben zu können (One-Stop-Shopping), dabei

• sich auf einheitliche Leistungsqualität, übersichtliche Preisstrukturen, durchgängige Sendungsverfolgung (Tracking- und Tracing) verlassen zu können.

Solche industrialisierten19 Systemverkehrsnetzwerke ha-ben sich in den wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern Schritt für Schritt entwickelt. Sie erfordern hohe Startin-vestitionen der Anbieter in Form der Depot- und Hubnetz-werke und IT-Systeme, der Sicherung täglich verfügbarer,

19 Vgl. zum Konzept der Industrialisierung von Dienstleistungen Levitt (1972, 1976).

Tab. 6: Summarische Übersicht der Ist-Daten zu den Logistikaufwendungen „global“.

Datenstand 2006 Welt(Quelle

Armstrong 2007)

Fernost (Quelle

Armstrong 2007)

USA(Quelle

Wilson 2007)

EU 29(Quelle

Klaus/Kille 2007)

davon 12 EU- Beitrittsländer

Deutschland (Quelle Klaus/

Kille 2007)

BIP (in € Mrd.) 37 600 6640 10 300 11 481 662 2241

Einwohner (EW) in Mio. 6400 3000 300 503 103 82

Logistikaufwand € Mrd. (gesamt) 4217 985 1020 800 61 175

davon "realisierte" Log.-Dienstl.:

- Container € Mrd. 142 40 35 7

- Integrator " 30 15 8 2

- Landgeb. KEP " 50 25 18 5

- Stückgut-Netze " 50 20 20 6

- Kontraktlogistik " 170 80 78 17

Hinweis: Die Segmentaufteilungen beruhen mangels präziser Daten z. T. auf freien Schätzungen.

Page 296: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

346 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

zumeist fahrplanmäßig operierender Transportkapazitäten, der Beherrschung der Komplexität und Kontinuität der Leistungsqualität solcher Netzwerke. Sie decken aufgrund überlegener Preis-Leistungs-Relationen für die Verlader wachsende Anteile der Logistik-Gesamtnachfrage ab.

Zuerst entwickelten sich industrialisierte Systemver-kehrsnetzwerke im Bereich kleinstückiger Paketfracht. Pionier dieses Marktes – zugleich einer der Pioniere in-dustrialisierter Dienstleistungssysteme überhaupt – war das US-amerikanische Unternehmen UPS. UPS begann die Strategie der Industrialisierung seit der Nachkriegs-zeit systematisch umzusetzen und gilt bis heute als Referenzunternehmen mit einem Weltumsatz von 50 Mrd. US-Dollar bzw. 33,4 Mrd Euro.20 Der Markt für industralisierte KEP-Dienste lässt sich grob in zwei Sub-segmente teilen:

• Die luftfrachtbasierten weltweiten Integratorsysteme von UPS, FedEx, DHL, TNT und einigen nationalen An-bietern mit einem kräftigen Weltumsatzvolumen von über 30 Mrd Euro.21

• Die landtransportbasierten nationalen und kontinen-talen Paket- und Expressfrachtmärkte in Nordamerika,

Europa, erst ansatzweise in Asien, in denen UPS, FedEx-Ground, DHL, aber auch europäische Organisa-tionen wie DPD, GLS und nationale Akteure tätig sind. Das kombinierte Weltumsatzvolumen landgebundener industrialisierter Paket- und Expressfracht dürfte 50 Mrd. Euro weit überschreiten.

• Europa dürfte an diesen Märkten heute etwa ein Drit-tel, Deutschland wiederum ein Viertel am europäischen Markt repräsentieren.

Das Integratorsegment wächst sehr kräftig – mit Raten oberhalb des auf gut 6 Prozent geschätzten Wachstums des gesamten weltweiten Luftfrachtmarktes.22 Treiber sind die Globalisierung und das überdurchschnittliche Wachs-tum der Logistiknachfrage für hochwertige, terminkritische

20 Pressenotiz UPS zum vorläufi gen Jahresergebnis 2007 über alle Geschäftsfelder vom Januar 2008, Umrechnung der US-Dollar-Umsätze zum aktuellen Kurs von 1,48 Dollar/Euro.

21 Die Abgrenzung zum traditionellen Luftfrachtgeschäft der Airfreight-Carrier und Forwarder ist unscharf, von denen die industrialisierten Integratoren kontinuierlich Marktanteile gewinnen.

22 Vgl. die „World Air Cargo Forecast 2006-2007“ von Boeing, Quelle www.boeing.com/Commercial/cargo/01 vom Januar 2008 und IATA, www.iata..org/economics, die das weltweite Airfreight-Carrier-Umsatzvolumen auf ca. 50 Mrd. Euro veranschlagen.

Abb. 3: Abhängigkeit der Logistikaufwendungen pro Einwohner vom Entwicklungsstand der Wirtschaft (gemessen am BIP pro Einwohner)

Quelle: Klaus/Kille (2007) S. 55, Datenstand 2005

Log. Kosten/EV

BIP pro Einwohner

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,00,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0

IND

China

BG

RO RORO

PLL-

LV

CZMT

PTSI

GRCY ES

FAUK

D

BE

NL

SE

E

CH

DK

US

IEE

Page 297: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

347Peter Klaus

Güter und das Bedürfnis der verladenden Wirtschaft nach integrierten, qualitätsgesicherten, einfach zu handhaben-den Services. Die Integratoren verdichten ihre Netze und erschließen schrittweise auch die wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen des Globus. Dadurch – sowie durch die noch auf längere Sicht möglichen Marktanteils-zugewinne von der traditionellen Luftfracht – werden sie noch auf längere Sicht überdurchschnittliche Wachs-tumsraten realisieren können. Für die landgebundenen KEP-Dienste in den „reifen“ Ländern Nordamerikas und Europas verlangsamt sich hingegen seit einigen Jah-ren das Wachstum. Die Nachfrage für diese Dienste ist weitgehend erschlossen, sodass wesentliche Marktan-teilsgewinne nicht mehr möglich sind. Das längerfristi-ge Wachstum dürfte sich in die Nähe des realen Wirt-schaftswachstums der jeweiligen Länder einpendeln. Osteuropa, Asien, später auch andere Weltregionen sind für die landgebundenen KEP-Dienste noch weitgehend zu erschließen.

Mit einigem zeitlichen Abstand wurden die Konzepte des industrialisierten Paketversandes seit den 1960er und 1970er Jahren in den USA, seit Ende der 1980er Jahre auch in Europa auf den Versand von Industriestückgü-tern (Less-than-Truckload/LTL) übertragen – paletti sierte und andere verpackte Fracht im Sendungsgewichts-bereich zwischen ca. 30 und 2500 kg. In den USA hat sich in der Folge ein dramatischer Konzentrationsprozess vollzogen. Die fünf größten Systeme mit dem heutigen Markt führer YRC halten ca. 60 Prozent des dort auf über 30 Mrd. US-Dollar geschätzten Stückgutmarktes23. In Eu-ropa kann der industrialisierte Stückgutmarkt auf 20 Mrd. Euro geschätzt werden. Davon entfallen ca. 5,5 Mrd. Euro auf Deutschland, sodass der Weltmarkt mit Japan und den sich ansatzweise entwickelnden industrialisierten LTL-Märkten in China auf 50 bis 60 Mrd. Euro zu veran-schlagen ist.

Für die langfristige Entwicklung ist in den reifen Län-dern eine Annäherung der Wachstumsraten an das reale Wirtschaftswachstum zu erwarten, jedoch eine schritt-weise Erschließung zunächst der Schwellenländer mit industrialisierten Stückgutnetzwerken zu Lasten der tra-ditionellen handwerklichen, vorindustriellen schlichten Formen der Transportabwicklung.

Zuletzt ist auf ähnliche Industrialisierungsentwicklun-gen hinzuweisen, wie sie sich bei KEP und LTL und auch für die standardisierte Distribution von Konsumgütern und im Advanced Truckload-Geschäft in den USA vollzogen haben. Gerade für das Letztere scheinen sich beachtliche Wachstumspotenziale auch in Europa aus den Tendenzen

zu stärker gebündelter und zentralisierter Logistik der Verlader und durch Abbau von Werksverkehrsfl otten und selbstständigen Trucker-Kapazitäten zu ergeben.

KontraktlogistikEin besonders dynamisches, Wachstumspotenziale ver-sprechendes, für Marktanalysen aber auch problemati-sches Segment logistischer Aktivitäten ist die Kontrakt-logistik.

Die Schwierigkeiten beginnen bei der Defi nition. Im US-amerikanischen Sprachgebrauch ist dieser Markt zumeist als „Third Party Logistics Service Provider“-Segment (3PL) bezeichnet. Es werden wechselnd aber auch Begriffe wie 4PL, „Lead Logistics Provider“ (LLP) benutzt.

Für die Zwecke dieser Diskussion sollen unter dem Be-griff Kontraktlogistik Geschäfte und Geschäftsmöglich-keiten verstanden werden, bei denen: • mehrere logistische Funktionen zu einem Leistungspaket

erhöhter Komplexität integriert sind (also nicht nur Transport, Lagerung oder Auftragsabwicklung), die

• längerfristig vertraglich abgesichert (eben durch einen mindestens einjährigen, meistens jedoch mehrjährigen schriftlich fi xierten Kontraktrahmen zwischen Auftrag-geber und dem Dienstleister) vergeben werden,

• und zwar in einer individuell den Bedürfnissen des Ver-laders angepassten und ausgestalteten Weise,

• bei einem Geschäftsvolumen, das ein erhebliches Mindest-Jahresgeschäftsvolumen überschreitet (pra-xisgerecht ist ein Kontraktumsatz von mindestens 0,5 bis 1 Mio. Euro p. a.).24

Der potenzielle Markt für Kontraktlogistik schließt somit einen großen Teil der komplexeren Logistikaktivitäten ein, die in der Vergangenheit als Inhouse- bzw. Intralogistik von Industrie und Handel selbst durchgeführt wurden. Seit den 1990 er Jahren führt die Tendenz zum Outsourcing von nicht als Kernkompetenz erachteten Leistungen dazu, dass solche Logistikaktivitäten-Leistungspakete an quali-fi zierte Logistikdienstleister übergeben werden. Die Ten-denz dazu dürfte sich in den kommenden Jahren weltweit und rapide fortsetzen.

Daraus ergibt sich ein potenziell riesiger, noch stark ausbaufähiger Markt für qualifi zierte Logistikdienstleis-ter. Dieser wird neben den damit verbundenen Wachs-tumserwartungen auch deshalb als besonders attraktiv

23 Vgl. Langenfeld/Halloran/Hartford (2006) S. 6.24 Vgl. Klaus (2007) S. 94.

Page 298: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

348 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

eingeschätzt, weil er defi nitionsgemäß langfristige Kun-denbindung und Ertragssicherheit durch erhöhte Nicht-austauschbarkeit der Partner verspricht.

Die veröffentlichten Schätzungen dieses Marktes sind zu unterscheiden in solche, die das Potenzial erfassen, und solche, die die Umsatzwerte der jeweils tatsächlich outgesourcten Logistikleistungen betreffen.

In den „Top 100“-Studien wurde das europaweite Potenzi-al für Kontraktlogistik-Geschäfte auf ca. 313 Mrd. Euro – also 39 Prozent des Gesamtaufwandsvolumens für Logistik in Eu-ropa – veranschlagt. Daraus ergäbe sich eine Schätzung für ein derzeitiges weltweites Potenzial, das zwei- bis zweiein-halbmal so groß, also 600 bis 750 Mrd. Euro sein könnte.25

Langenfeld/Halloran/Hartford (2006) schätzen das weltweit realisierte Kontraktlogistikvolumen auf 225 Mrd. US-Dollar bzw. 175 Mrd. Euro. Armstrong schätzt dieses für 2006 auf 427 Mrd. US-Dollar bzw. 281 Mrd. Euro.26 Vom englischen Beratungsunternehmen Transport Intelligence wird eine niedrigere Marktschätzung von 129 Mrd. Euro weltweit genannt.27

Die „Top 100“-Schätzung bereits realisierter Kontrakt-logistik-Volumen für Europa 2005 beläuft sich auf ca. 78 Mrd. Euro. Dazu ist ein realisierter Kontraktlogistikanteil in den USA von etwa weiteren 80 Mrd. Euro28 sowie ein kleineres Volumen in Fernost zu rechnen, sodass sich eine Schätzung derzeit im Weltmarkt realisierter Kontraktlo-gistikgeschäfte von ca. 180 Mrd. Euro ergäbe. Umsatz-stärkster Anbieter in diesem Markt ist mit deutlichem Abstand DHL mit etwa 11 Mrd. Euro.

Im Wettbewerb der Kontraktlogistikanbieter lassen sich zwei prinzipielle Erfolgsstrategien und Subsegmente erkennen:

• Eine „Multi-User-Center“-Strategie, wie sie z. B. das in Deutschland führende Unternehmen Fiege mit seinen Megacenters verfolgt. Es kehren hier Elemente der oben beschriebenen Industrialisierungsstrategie wie-der, wie die Bemühung um Gewinnung von Skaleneffek-ten aus der Bündelung von Ressourcen und Geschäften oder der kundenübergreifenden Standardisierung von Prozessen.

• Eine Strategie strikt dedizierter Kontraktlogistikangebote für jeden einzelnen Kontrakt, bei der der Grad der Anpas-sung und Integration der Dienstleisteraktivitäten in die Prozesse der jeweiligen Kontraktgeber maximal gestei-gert, damit die Nicht-Austauschbarkeit erhöht und eine verbesserte Preis-Unabhängigkeit angestrebt wird. Eine solche Strategie wird insbesondere auch von mittelstän-dischen Anbietern erfolgreich eingesetzt. Im Rahmen

solcher Kontrakte werden zunehmend auch Leistungs-elemente einbezogen, die nicht mehr logistisch sind, wie etwa leichte Montage- und Kundendienstarbeiten, Facility Management, Call-Center und Vertriebsaktivitäten.

Die Wachstumspotenziale für die Kontraktlogistik sind ange-sichts des noch relativ geringen Outsourcing-Grades selbst in den reifen nordamerikanischen und europäischen Ländern und der zusätzlichen riesigen Entwicklungspotenziale in den Schwellenländern sehr groß. Sie werden eher von der Fähigkeit der Anbieter begrenzt sein, die dafür benötigten qualifi zierten Personal- und Sachressourcen bereitzustellen und mit hoher Qualität und Effi zienz zu beherrschen. Damit ergeben sich erwartete Wachstumsraten von 10 bis 15 Pro-zent p. a. in der Kontraktlogistik für die kommenden Jahre.29

Längerfristige Entwicklungen der Logistik und die Zukunftsherausforderungen systemati-scher Market Intelligence für die Logistik

Die Vorstellung der Schätzungen und Überlegungen bis hierher hat gezeigt, dass im Bereich einiger elementarer Größenordnungen und Trendannahmen durchaus Konver-genzen bezüglich der globalen Einschätzungen bestehen.Eine zusammenfassende und ergänzende Übersicht der Ist-Daten, wie sie in den vorangegangenen Abschnitten des Beitrages berichtet wurden, ist in Tabelle 6 zu fi nden.

Es lassen sich schließlich einige Thesen zu den Trei-bern des Wachstums der Logistikdienstleistungsmärkte identifi zieren:

• Der wichtigste einzelne Wachstumstreiber für die na-tionalen Logistikaufwendungen ist der wirtschaftliche Entwicklungsstand der Länder, wie Abb. 3 nahelegt: Mit wachsendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Ein-wohner30 steigen die Logistikaufwendungen pro Ein-wohner.

25 Vgl. oben Tabelle 4 – Europa Gesamtlogistik 800 Mrd. Euro. Gem. den Schätzungen von Armstrong in Tab. 2 hat Europa einen Anteil an den Welt-Logistikaufwendungen von knapp 30 Prozent. Die Kontraktlogistikpotenziale in den wirtschaftlich weniger entwickelten Teilen der Welt sind derzeit noch wesentlich geringer zu unterstellen als in den entwickelten Regionen.

26 Es ist bei allen Dollar/Euro Umrechnungen zu beachten, dass diese stark von den Zufäl-ligkeiten des jeweiligen Kursverhältnisses beeinfl usst werden, vgl. oben die Fußnote 10. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in amerikanischen Quellen das „interna-tionale Forwarding“-Geschäft der Spediteure zur Kontraktlogistik gezählt wird, vgl. Homepage von Armstrong & Associates <www.3plogistics.com> März 2006, das nach der hier gewählten Defi nition auszuklammern wäre.

27 Vgl. DVZ Nr. 139 vom 20.11.2007, S. 1, „Kontraktlogistik wächst weltweit um 10 Prozent“.28 Das heißt um die „Forwarder“-Anteile reduzierter Umsatz.29 Vgl. dazu u. a. Langenfeld/Halloran/Hartford (2006) und Lieb (2007).30 hier als Maß des Entwicklungsstandes der Länder genutzt.

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349Peter Klaus

Dies bedeutet, dass die logistisch bereits hoch entwickel-ten, reifen Volkswirtschaften, wie die Deutschlands, aus dieser Entwicklung keine besonderen Wachstumsimpulse beziehen können, die weniger entwickelten dagegen sehr kräftige.

Weitere wichtige Treiber des Logistik-Marktwachs-tums liegen in:

• den Zugewinn-Potenzialen mehrerer Marktsegmente aus der fortschreitenden Globalisierung und Dislozie-rung. Sie treffen besonders für das weltweite Contai-nerverkehrs- und das Integrator-Geschäft zu, weniger für die nahräumig abzuwickelnden nationalen Landver-kehre und das Konsumgüter-Distributionsgeschäft.

• der Erschließung der Outsourcing-Potenziale durch weitere Umschichtung von Aktivitäten aus den primä-ren Wirtschaftsbranchen von Industrie und Handel in den Logistikdienstleistungssektor. Diese sind im Seg-ment der Kontraktlogistik noch hoch, in Segmenten wie den KEP- und Stückgutsystemverkehren der reifen Länder minimal, für das Trucking in einem mittleren Bereich.

Abbildung 4 fasst die Thesen zu den Wachstumstreibern und deren tendenzielle Wirkungen auf die in diesem Bei-trag angesprochenen Marktsegmente schlaglichtartig zusammen.

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, wie außerordentlich komplex und – in weiten Bereichen – noch

von unsicheren Datengrundlagen gekennzeichnet die Be-mühungen um bessere Market Intelligence für die Logistik sind. Unternehmerische Strategien, Infrastrukturinvestiti-onen, wirtschafts- und umweltpolitische Eingriffe sollten aber ohne solide Datengrundlagen nicht geplant und um-gesetzt werden. An die nationalen Regierungen und inter-nationalen Institutionen wie die Europäische Kommission, deren statistische Ämter, die großen Logistikverbände und auch an die akademische Community, bleibt die Forderung zu stellen, dass die Datenbereitstellung für die Logistik weiter verbessert wird. Für einen so wichtigen Bereich und Erfolgsfaktor der Wirtschaft darf es nicht dabei bleiben, dass unternehmerische Strategien, Infrastrukturinvesti-tionen, wirtschafts- und umweltpolitische Eingriffe ohne solide Datengrundlagen geplant und umgesetzt werden!

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Abb. 4: Tendenzielle Wirkungen der Wachstumstreiber auf die längerfristigen Wachstumsperspektiven der Logistik-Marktsegmente

hoch

hochniedrig

niedrig

niedrig

~ 15 %

~ 10 %

hoch

~ 12 %

~ 8 %

Wachstum aus erhöhter Arbeitsteiligkeit Wachstum aus Ausschöpfung Outsourcingpotenziale

hoch

~ 5 % ~ 10 %

~ 5 %~ 0 %

„D/EU West“ Seecontainer „EU-Ost“

„D/EU West“ Integrators „EU-Ost“

Truckload „EU-Ost“

„D/EU West“ Stückgut-Systeme „EU-Ost“

Kontraktlog. „EU-Ost“

„D/EU West“ landgeb. Parcel „EU-Ost“

„D/EU West“ Konsumgüter-Logistik „EU-Ost“

Basiswachstum: plus „reales BIP“ minus „Prod.gewinn“Wac

hstu

m a

us D

isio

zier

ung/

Glob

alis

ieru

ng

hoch

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350 Märkte und Marktentwicklungen der weltweiten Logistikdienstleistungswirtschaft

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Page 301: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia

Mark Goh

Associate Professor, Department of Decision Sciences, The Logistics Institute – Asia Pacific and

NUS Business School, Singapore

Luo Lei

Assistant Professor, Xi‘an Jiaotong School of Management, China

Robert de Souza

Executive Director, The Logistics Institute – Asia Pacific, Singapore

Page 302: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Dr. Luo LeiLei is an assistant professor with the Xi‘an Jiaotong University, School of Management. She obtained her Phd from the NUS Business School.

Prof. Dr. Robert de SouzaDe Souza is the Executive Director of The Logistics Institute – Asia Pacifi c (TLI – Asia Pacifi c). He is a Char-tered Engineer and a distinguish-ed writer, speaker, consultant and advisor in the area of supply chain management. Prior to this appoint-ment, effective May 1st 2004, de Souza served as Deputy Executive Director (Industry) and IT Director

at TLI – Asia Pacifi c. Previously, de Souza was Executive Vice President (Asia Pacifi c) for V3 Systems. His extensive tenure in the industry also includes serving as the Corporate Senior Vice President and Global Chief Knowledge Offi cer at Viewlocity Inc. and co-founder, Vice Chairman and CEO of SC21 Pte, Ltd. He has worked for numerous outstanding logistics institutes worldwide. De Souza is a member of the Editorial Boards of distinguished journals.

Prof. Dr. Mark GohGoh is with the Department of Decision Sciences, School of Business, NUS. He holds a Ph.D. from the University of Adelaide. In the National University of Singa-pore, he holds the appointments of Director (Industry Research) at The Logistics Institute – Asia Pacifi c and was a Program Director of the Penn-State NUS Logistics Management

Program. He has worked for numerous outstanding logistics institutes worldwide. His other professional affi liations include memberships of INFORMS, and the Academy of InternationalBusiness. He has been involved in executive training for various key organisations in Singapore. Goh has also acted as a consul-tant to organisations. He is currently on the editorial board of distinguished Journals.

Page 303: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Introduction

In today’s competitive business environment, the ability of a fi rm or a network of fi rms to distribute goods and services to the fi nal market quickly and at minimum cost is often the difference between securing a profi t and suffering a loss. Currently, the global cost of logistics is estimated at around USD 3.5 trillion and the average cost of logistics and movement is estimated to be about 21% of the selling price of a product respectively (http://www.bangkokbank.com/download/Update_The_Logi-stics_Business_EN.pdf). There are two basic measures of logistics performance: cost to serve and time to value (this is often interpreted as service quality).

At the macro-economic level, logistics cost as a per-centage of GDP is generally used to measure and calibrate a country’s logistics effi ciency and hence competitiveness in trade. For the advanced industrialized nations such as the U.S., the U.K., and Japan, logistics cost typically forms 10%, 7%, and 11% of GDP respectively. In Asia, however, the same cannot be said. For instance, logistics cost in Asia can vary greatly, from a low of 8.3% in Singapore to as high as 40% in similarly small sized countries such as Brunei (http://www.bangkokbank.com/download/Update_The_Logistics_Business_EN.pdf). Indeed, logis-tics cost for many countries in Asia are high compared to those of the developed countries. Some commonly cited reasons for this variance include poor transport infrastruc-ture, underdeveloped transport and logistics services, and slow and costly bureaucratic procedures for dealing with both import and export (EXIM).

In this paper, we use secondary data to investigate the logistics development of 17 selected economies in Asia and attempt to classify the logistics environment so as to provide a sense of the state of logistics maturity within the different geographies in Asia. Figure 1 places 10 countries, based on open domain data, on a graph of global competitiveness and logistics cost. The Global Competitiveness Index (GCI), published by the World Eco-nomic Forum (World Economic Forum 2007), measures the set of institutional factors, policies, and other variables that set the sustainable current and medium-term levels

of economic prosperity. The GCI can be regarded as a comprehensive metric based on PEST analysis as it is a weighted average score of over 90 variables, ranging from 1 (=least competitive) to 7 (=most competitive). The GCI provides a holistic overview of factors that are critical to driving productivity and competitiveness, and groups the factors parsimoniously into nine pillars: (1) institutions; (2) infrastructure; (3) macro economy; (4) health and primary education; (5) higher education and training; (6) market effi ciency; (7) technological readiness; (8) business so-phistication; and (9) innovation. Before developing the results any further, this paper categorically assumes that effi cient logistics can increase the cost (and hence trade) competitiveness of nations. Therefore, we would reason-ably expect a negative relationship between logistics cost and a country’s competitiveness. Our sample shows an empirical correlation of -0.902 (p < 0.001) of these two variables.

Countries lying at the North-west corner of Figure 1 are those with better competitiveness and lower logistics cost (hence higher logistics effi ciency). These countries such as Australia, Hong Kong, Japan and Singapore be-long to a Tier 1 group, with the best competitiveness and logistics effi ciency. These countries share the following characteristics: (1) exports have shifted toward high-tech-nology manufacturing and services; (2) logistics costs are at very competitive levels; (3) transport volumes are high; and (4) multimodal linkages are well developed. The chal-lenge for this logistics group is to maintain logistics cost competitiveness and to improve service quality in line with the advent of disruptive technology. In short, these countries possess superior logistics environments.

Next, Taiwan, South Korea and Malaysia are located round about the middle of Figure 1, suggesting a relatively good and acceptable logistics environment. Compared to the earlier group, this group (Tier 2) still faces logistics challenges in that policies and institutions to encourage multimodal transport are available but need further develop-ment and improvement. In short, these countries possess acceptable logistics environments for the time being.

Trade Competitiveness and Logistics Challenges in AsiaMark Goh / Luo Lei / Robert de Souza

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356 Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia

Third, China, India, Brunei, the Philippines, and Thailand are among the below average logistics environment regi-mes. For all these countries, transport policies lack con-sistency and predictability, and policy coordination among the different agencies and the various tiers of govern-ment is poor. The state of logistics is rather rudimentary, with multimodal transportation only in an early stage of development. Transportation ineffi ciencies persist, par-ticularly in rural areas. For example, in China and India, local authorities and other agencies usually mete out il-legal road tolls to increase their informal revenue. Such behavior, while socially acceptable in the local context, only serves to erode international trade competitiveness. The low penetration of the foreign Logistics Service Pro-viders (LSPs) is also an indicator of the state of infancy of logistics development and maturity in these countries. Many behind the border logistics challenges exist. First, trade documentation faces serious diffi culty when goods are transported from an inland origin or to an inland destination. Second, customs clearance is troublesome and time consuming. Freight forwarders in the interior of China highlight that inland transport costs account for about two-thirds of the total export transport costs from China (World Bank 2003). The cost of internal access to ports is greater than the costs associated with port or

international transport. This may constrain the development of rural areas to enjoy the benefi ts of trade-induced growth.

Lastly, the countries that contribute to the structurally weak logistics environment include those of Cambodia, Indonesia, Laos, Myanmar, and Vietnam. Due to data li-mitation, Cambodia, Laos, and Vietnam are excluded from our competitiveness-logistics cost analysis of Figure 1. Many countries in the Tier 4 group, especially the land-locked countries such as Laos, suffer from chronic trans-port infrastructure defi cits. Roads are frequently closed and services suspended. For example, roads in Myanmar are poorly maintained. Many roads are unpaved, and during the rainy season, some parts of the road network become impassable. Around 41% of the population of Laos live more than 6 km from a main road. Again, many dirt roads are impassable during the rainy season. Over 10% of the villages in Vietnam are inaccessible by road for at least a month each year (Country profi le, The Eco-nomist Intelligence Unit). Due to the poor road conditions, large commercial vehicles can not pass. Using the smaller vehicles and vessels imposes high operating costs.

In many Asian countries, marine transport serves about 90% of the countries’ import and export activities. As a result, freight cost forms a signifi cant component of the to-tal logistics cost. The freight cost used in this paper is the

Fig. 1: Contribution of logistics cost to country competitiveness

Thailand

Taiwan

MalaysiaSouth Korea

Hong Kong

JapanSingapore

Australia

5.80 %

Global Competitiveness Index

Logistics % GDP

5.60 %

5.40 %

5.20 %

5.00 %

4.80 %

4.60 %

4.40 %

4.20 %

4.00 %

India

China

8.0 % 10.0 % 12.0 % 14.0 % 16.0 % 18.0 % 20.0 % 22.0 %

Page 305: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

357Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza

average US dollar cost of transporting a twenty-foot container (TEU) from major ports in China to overseas destinations. Figure 2 shows the global competitiveness and freight cost relationship to measure the effi ciency of marine transport. For our sample in this study, the correlation between the GCI and freight cost is -0.640 (p = 0.018), suggesting that the higher the freight cost, the worse is the logistics effi cien-cy. As distance is a key factor for transportation cost, we expect those economies physically close to China to have a lower freight cost. However, the freight cost from China to Singapore is less than that of Malaysia, Thailand, the Phil-ippines, and Indonesia. This is attributed to the better logis-tics services offered in Singapore. Indeed, the major success factors for the ports of Singapore and Hong Kong are their transaction-cost and time-cost advantages. Other advantages include their effi cient auxiliary services (particularly cus-toms and freight forwarding), less congested road access, and better links to international transport networks.

Figures 1 and 2 suggest that economies with higher GCI scores also enjoy higher incomes and trade values. This relationship runs both ways. Economies with fewer political barriers to trade (as indicated by the lower GCI) enjoy greater returns to logistics investments, because the demand from advanced manufacturing may push the private sector to improve the logistics services. Countries with better logistics services will facilitate the free move-ment of goods and improve trade.

In general, there are two factors infl uencing logistics ef-fi ciency. The fi rst is devotion to expanding hard infrastruc-ture such as airports, highways, and shipping ports. The second is to improve other network components such as effi cient customs clearance, information system services, and quality trucking services. These can be achieved by expediting customs clearance, automating the trade do-cumentation process, and making processing times more consistent. We now compare the infrastructure of the 17 countries on an aggregated level and highlight some pro-blems faced.

Transportation Infrastructure

Infrastructure investment levels vary greatly across Asia. China, with the fastest GDP growth in the world, invests heavily in infrastructure. Since 2002, gross fi xed capital formation has averaged about 40% of GDP in China. Much of this investment has been on infrastructure. Vietnam has a very high investment rate too (30% of GDP). Thailand’s infrastructure investment is more than 7% of GDP. How-ever, Cambodia, Indonesia and the Philippines have infrastructure investments of less than 4% of GDP (Asian Development Bank 2005).

Table 1 compares the total road network of the 17 eco-nomies. Columns 2 and 3 show the length of road and road density in each country, respectively. Column 4 indicates

Fig. 2: Freight cost and country competitiveness

Hong Kong Taiwan

Singapore

South Korea Malaysia

Thailand

VietnamPhilippines

India

Indonesia

Australia

Cambodia

6.00

Global Competitiveness Index

Freight cost to the largest part

5.50

5.00

4.50

4.00

3.50

3.00

2.50

2.00 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000

Japan

Page 306: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

358 Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia

the percentage of roads paved, which is an important measure of the quality of the infrastructure.

China has the most rapid road network growth in re-cent years, at an average annual rate of 5.6%. However, its road conditions are relatively poor compared to the developed countries in Asia. Likewise, Cambodia, Laos, Myanmar and the Philippines suffer from poor basic road access. In contrast, Hong Kong, Taiwan, Singapore and Thailand have more than 95% of their roads paved. The road density is high in Hong Kong, Taiwan, Japan, and Singapore.

Figure 3 shows the infrastructure quality ranking of East Asian economies (1 = worst, and 7 = best). It would appear that sustained investment and effi ciency in ope-rations have helped some economies in Asia such as Ma-laysia and Thailand to achieve considerable competitive advantage across infrastructure related sectors. However, the performance of China, Indonesia, Vietnam and the Philippines are less impressive. This is particularly disap-

pointing for countries such as China and Vietnam, as they have invested heavily in their infrastructure. Poor coordi-nation between the planning and fi nancing agencies may explain the poorly and ineffi ciently resourced infrastructure undertakings.

On rail transport, Australia, China and India feature strongly. In 2005, China’s rail network reached 75,400 km, which surpassed India as the country with the largest rail network in the Asia Pacifi c (Country profi le, The Economist Intelligence Unit). Indeed, railways form the backbone of China’s transport system, carrying around a quarter of the total freight measured in ton-km, and a third of passengers measured by passenger-km. However, the rail network in China is congested and suffers from unreliable schedules, for both cargo and passengers, especially during the national public holidays. Many countries, including India experi-enced no expansion of the overall rail network, whereas Cambodia, Japan and Vietnam experienced a decrease in their railways. Of these countries, Vietnam experienced

Tab. 1: Road network

Source: Country Profile, The Economist Intelligence Unit. If country profile does not have required information, then we obtain the data from the country’s URL.Source: Country Profile, The Economist Intelligence Unit. If country profile does not have required information, then we obtain the data from the country’s URL.

Length of Roads (km) Road Density (km/100 km2)

Road Status

Australia 913,000 12 38.7% paved

Brunei 3,358 58 34.7% paved; over 2,525 km of good quality roads made of asphalt, concrete and other materials

Cambodia 38,300 22 11.6% paved; 28% of national road (4,800 km) paved

China 1,930,500 19 28.3% paved

Hong Kong 1,955 178 100% paved

Taiwan 36,288 101 95.5% paved

India 3,319,644 10 50% paved; national highways cover 57,700 km

Indonesia 370,516 20 59% asphalt-covered; 46.3 % paved

Japan 1,180,300 312 25.4% paved (89.9% main national roads paved, main national roads 54,100 km)

South Korea 86,990 88 74.5% paved

Lao 31,000 14 less than 20% paved

Malaysia 77,695 20 75.3% paved

Myanmar 28,200 8 12.2% paved

Philippines 201,994 68 19.8% paved

Singapore 3,200 467 100% paved; Total length of all expressways is 150 km

Thailand 63,730 12 97.5% paved

Vietnam 126,000 29 35% covered with asphalt; 25.1% paved

Page 307: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

359Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza

Fig. 3: Infrastructure quality ranking

Note: The rankings are shown for developing East Asian economies (green) and advanced East Asian economies (blue). The dark blue vertical bar is the mean for all surveyed countries.

Source: World Economic Forum, 2003.

Overall infrastructure quality

Malaysia

Thailand

China

Indonesia

Vietnam

Philippines

Hong Kong

Korea

Singapore

Taiwan

Japann

n

n

a

n

g

a

e

g

s

e

m

s

a

m

a

a

d

a

a

d

Telephones

Malaysia

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Philippines

Hong Kong

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Singapore

Taiwan

Japann

n

n

a

n

g

a

e

g

s

e

m

s

a

m

a

a

d

a

a

d

0.0 2.0 4.0 6.0 8.0

Electricity supply

Malaysia

Thailand

China

Indonesia

Vietnam

Philippines

Hong Kong

Korea

Singapore

Taiwan

Japann

n

n

a

n

g

a

e

g

s

e

m

s

a

m

a

a

d

a

a

d

0.0 2.0 4.0 6.0 8.0

Railroads

Malaysia

Thailand

China

Indonesia

Vietnam

Philippines

Hong Kong

Korea

Singapore

Taiwan

Japann

n

n

a

n

g

a

e

g

s

e

m

s

a

m

a

a

d

a

a

d

Ports

Malaysia

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China

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Philippines

Hong Kong

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Taiwan

Japann

n

n

a

n

g

a

e

g

s

e

m

s

a

m

a

a

d

a

a

d

Air Transport

Malaysia

Thailand

China

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Philippines

Hong Kong

Korea

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Taiwan

Japann

n

n

a

n

g

a

e

g

s

e

m

s

a

m

a

a

d

a

a

d

0.0 2.0 4.0 6.0 8.0

0.0 2.0 4.0 6.0 8.0

0.0 2.0 4.0 6.0 8.0 0.0 2.0 4.0 6.0 8.0

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360 Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia

the greatest decrease, at an average annual rate of 3.24% (Asian Development Bank 2005). The rail network of Indo-nesia experienced the fastest growing over the period of 1997 to 2004, at an average annual rate of 8.4%.

Given the diverse physical relief of Asia, good airport infrastructure is required to accommodate freighters out-side of the major airports. The requirement for airport infrastructure depends on the domestic traffi c, which is quite small in most Asian countries. Presently, many countries lack suffi cient airport infrastructure for rapid fi re logistics response. This lack of suffi cient airport infrastructure undeniably increases the total time and the corresponding cost of shipment. Nonetheless, countries such as Singapore, Hong Kong, Malaysia, South Korea, Thailand, Taiwan, Japan and Brunei have reasonably good airport infrastructure, particularly in their capital cities. The aircraft turnaround time in the other Asian countries is about 3-5 hours, at least double the internal norm of 1.5 hours for cargo turnaround. Aircraft are sometimes forced to alter their landing times due to the lack of apron crew to load and unload cargo.

Moving to maritime transport, ninety percent of the world’s trade in manufactured goods is now carried by containers. Table 2 presents container throughput for major

ports in selected countries in Asia. In the Asia Pacifi c, the 10 busiest ports handled 110 million TEU in 2004, accounting for 61.3% of the region’s total throughput. The world’s six busiest container ports (Hong Kong, Singapore, Shanghai, Shenzhen, Busan, and Kaohsiung) are located in this region. These six ports handled 27.4% of world container through-put, or 51.1% of the region’s total (ESCAP 2005). Further, Table 2 shows that the fastest growth of container through-put occurred in China (31% per annum from 1995 to 2003) and Vietnam (31% per annum during 2000-2003). China is now fi rmly established as the world’s most important container shipping market. The most dramatic growth has occurred in the ports of Shanghai and Shenzhen. The strong volumes growth (29%) in Malaysia during 2000-2003 mainly results from the rapid growth in transshipment traffi c at the new port of Tanjung Pelepas, often seen as a competitor of Singapore’s PSA port. Container throughput also grew at a moderate rate in Thailand. The growth in its new port, Laem Chabang is extraordinary. With the advantage of high productivity terminals and deep water berths, and backed by a policy decision to cap the throughput of the congestedBangkok port at one million TEUs, Laem Chabang’s total throughput increased from a negligible level in 1990 to 3.6 million TEUs in 2003, over 82% of the national total.

Tab. 2: Port container traffic (1994-2004)

Selected economy or area/port 1994/1995 1999/2000

2003/2004 1995-2000 2000-2003

Australia 2,279,502 3,496,751 4,769,111 8.9 10.9

Melbourne 852,282 1,273,577 1,721,067 8.4 10.6

Sydney 669,005 1,016,401 1,270,211 8.7 7.7

Brunei 71,050 61,034 n.a. -3.0 n.a.

China 4,682,262 19,373,737 41,172,500 32.8 28.6

Qingdao 600,000 2,120,000 5,139,700 28.7 34.3

Shanghai 1,527,000 5,613,000 14,557,200 29.7 37.4

Shenzhen 284,000 3,993,714 13,650,000 69.7 50.6

Tianjin 702,051 1,708,423 3,814,000 19.5 30.7

Hong Kong 12,549,746 18,100,000 20,449,000 7.6 4.2

Taiwan 7,848,695 10,510,762 12,086,734 6.0 4.8

Kaohsiung 5,232,000 7,425,832 9,710,000 7.3 9.4

Keelung 2,169,893 1,954,573 2,070,192 -2.1 1.9

Taichung 446,802 1,130,357 1,246,027 20.4 3.3

India 1,360,308 2,313,667 3,916,004 10.0 19.2

Percentage change per annum

Page 309: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

361Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza

For many economies, such as China, Hong Kong, Taiwan, India, Indonesia, Japan, and Singapore, container through-put growth slowed after the year 2000. As transshipment hubs, Hong Kong and Singapore now experience slower growth as a result of competition from the emerging regional ports of Shenzhen and Tanjung Pelepas respectively. The competitor ports, being deep water can serve the big-ger containerships albeit at a lower cost rate simply to exchange rate differences.

In general, the rapid growth in container usage re-presents both the evolution in maritime technology and a signifi cant logistics challenge to economies in the region. One challenge lies in the rapidly growing demand for berth space and the ready availability of a port’s

hinterland for container based activities such as yard storage, and container freight stations. Indeed, greater land area for container storage, road and rail links, and associated services are needed to keep up with expanded container capacity.

The increase in trade volumes have led liner services to introduce larger-container ships that require deeper ac-cess channels, which can only be provided by voluminous dredging. The existing ports in river estuaries (such as Bangkok, Haiphong, Saigon, and Shanghai) may become less competitive than coastal deep-water ports (such as Laem Chabang and Hong Kong). Some existing estuarial ports are already looking for new developments on the coast to overcome this comparative disadvantage.

Selected economy or area/port 1994/1995 1999/2000

2003/2004 1995-2000 2000-2003

Mumbai/JN Port 731,063 1,319,426 2,465,489 12.5 23.2

Indonesia 2,048,130 3,797,948 4,560,397 13.1 6.3

Tanjung Priok 1,300,126 2,476,152 3,248,149 13.8 9.5

Japan 10,604,124 13,295,701 14,566,953 4.6 3.1

Kobe 1,463,515 2,265,991 2,045,714 9.1 -3.4

Nagoya 1,477,359 1,911,919 2,150,000 5.3 4.0

Osaka 1,159,051 1,474,201 1,863,608 4.9 8.1

Tokyo 2,177,407 2,899,452 3,580,000 5.9 7.3

Yokohama 2,756,811 2,317,489 2,147,102 -3.4 -2.5

Malaysia 2,075,470 4,642,428 10,072,072 17.5 29.5

Port Klang 1,133,811 3,206,753 5,243,593 23.1 17.8

Tanjung Pelepas n.a. 418,218 4,020,421 n.a. 112.6

Philippines 1,891,639 3,042,892 n.a. 10.0 n.a.

Manila 1,668,031 2,291,704 2,629,342 6.6 4.7

South Korea 4,918,000 9,030,174 12,993,429 12.9 12.9

Busan 4,502,596 7,540,387 11,430,000 10.9 14.9

Singapore 11,845,600 17,096,036 18,441,000 7.6 2.6

Thailand 1,961,916 3,178,779 4,409,996 10.1 11.5

Bangkok 1,432,843 1,073,517 1,346,121 -5.6 7.8

Laem Chabang 529,073 2,105,262 3,624,000 31.8 19.9

Vietnam n.a. 976,546 2,195,939 n.a. 31.0

Da Nang n.a. 22,995 30,882 n.a. 10.3

Percentage change per annum

Source: Containerization International Yearbook; published data on ports. 2000, 2001; 2004 world totals from Drewry Shipping consultants, Global Container Terminals: Profits, Performance and Prospects (Drewry: London, 2002).

Tab. 2 contd.

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362 Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia

ESCAP (2002) divides the development of logistics centers in the port area into two categories, based on their pur-poses, namely “logistics center oriented” (Singapore and Japan) and “production oriented.” Pure logistics functions such as storage, assembly, labeling, exhibition, together with limited manufacturing functions are the characteris-tics of the large-scale logistics centers. They are typically equipped with huge warehouses, storage facilities, and assembly and processing services. Recently, the ports in Korea have introduced this type of logistics center as well.

Many ports in China and the Kaohsiung Port of Taiwan belong to the production oriented group. They develop production and manufacturing functions in Free Trade Zones (FTZs) so as to attract leading-edge technologies and foreign investment by offering manufacturing, trade, logistics and distribution as an integrated offering. For example, China has transformed many port areas into mo-dern FTZs, and existing ports have equipped themselves with a large FTZ in the hinterland, providing customs with one-stop shopping services that guarantee both industrial activities and logistics activities in the same place.

Despite these developments and initiatives by both the respective governments and private sector participation, fi ve major barriers to port and logistics center operations exist. These barriers are: (1) insuffi cient infrastructure; (2) lack of professionals and skilled workers; (3) confl ict between the port and local government on the allocative effi ciency of land; (4) high degree of bureaucracy; and (5) the poor services in many ports.

Bureaucratic Procedures

In addition to the inadequate transport infrastructure, underdeveloped logistics and transport services and bureaucratic (and sometimes grey) import and export procedures are the sources of high logistics cost. Much of the problem is behind the border, and indeed beyond the port. The cost of internal access to ports is greater than the costs associated with the ports themselves or with maritime transport.

A well-developed 3PL sector is the key to effi ciently and effectively operate the port logistics centers. However, the current situation in the 3PL industry in Asia, combined with the lack of professionalism in 3PL service providers has a negative impact on the development of logistics services. In some countries, companies combine their internal transport and warehousing functions and build up their internal logistics departments as 3PL services are rare. Since automated and technological equipments are

utilized more in logistics, effi cient logistics require profes-sionals who can handle these advanced equipments. The success of Singapore has heightened the importance of ensuring that the workforce has good IT capabilities.

Good logistics practices translates to shorter transit times, certainty of delivery schedules, careful handling of goods, harmonized certifi cation, standardization of pro-duct quality, and security from theft. Overly complex ad-ministrative procedures and bureaucratic attitudes among government offi cials can be a major obstacle to effi cient logistics services and fast speed to market.

Typically, LSPs are required to submit the import/ex-port documentation at the customs border of the respec-tive country. The ineffi ciency in documentation arises due to the lack of a fully automated and integrated system such as EDI or Tradenet (such as that found in Singapore). As a result, many more documents are required to be com-pleted for clearance purposes. This delay is complicated by the lack of a standard documentation format across countries and the lack of transparent regulations.

Some of the documents required to be submitted at thecustoms offi ce include the pack list, trade document, shippingdocument, regulation form and sometimes the certifi cate of origin. The import shipments to Singapore, Malaysia and Thailand are typically divided into four categories, namely, documents (no value), low value-shipments, non-dutiable shipments above a certain country-specifi c va-lue, and dutiable shipments. For the last two categories, customs usually require more information. For example, in Singapore, documents (such as mail) can be processed quickly, but dutiable cigarettes are inspected very carefully.

The customs authorities of some countries require a number of documents which inadvertently delays the documentation process. For example, the customs authori-ties of Indonesia and Thailand require a number of differentdocuments, albeit often repeated, to be fi lled which increases ineffi ciency in the documentation process. In Indonesia, customs require import licenses for any goods as well as the shipping list. If a company has licenses, it can import at any time. Apart from an import license, the other documentation needed is the shipping list (item list). In Thailand, customs specifi cally require many details on their documents. Typically, it takes 5-7 working days to clear after the goods arrive at the port. Similarly, for cross-border fl ow between Malaysia and Singapore, severallayers of documentation are required. From Singapore to Malaysia, one needs to fi ll export documentation from Singapore and nearly a similar set of import documentation to enter Malaysia (REPSF Project 06/001d).

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363Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza

In Myanmar, it requires at least 3 weeks to obtain an ex-port/import licence and other documentations for each shipment. Being time consuming, this poses the greatest impediment to trade in Myanmar. If a license cannot be obtained on time, a penalty is imposed. Likewise, in Vietnam and Laos, customs clearance takes about the same time. When documents are in good order, customs clearance (import) can be less than three days. For transit goods, it takes 3-5 working days. In Laos, one needs to obtain a number of licences. For example, fi ve forms are required to be fi lled for goods shipped between Thailand and Vietnam, transiting via Laos. In Brunei, apart from the electronic documentation, additional manual entry and printed documentation are required, although the number of documents is small (REPSF Project 06/001d).

Table 3 presents the number of documents, time and cost for imports and exports of selected economies in Asia based on the 2006 doing business survey on trading a standardized shipment of goods. As expected, Hong Kong and Singapore have the most effi cient customs clearance process, with least number of documents, shortest time,

as well as the lowest cost. India, Laos, the Philippines and Thailand are found to have high import/export costs and relatively cumbersome customs procedures.

Additional data on import/export are only available for eight of the 17 economies (Table 4). Table 4 shows that India has the longest customs clearance time while Thai-land and Vietnam are relatively shorter. A large proportion of fi rms in the Philippines, Thailand and Vietnam export and import directly. Domestic inputs are heavily used in China and India for production, and the fi nal products are for domestic consumption in general. The 2006 doing business survey also provides some empirical evidence that effi cient customs and trade transport are positively associated with a country’s export. Long delays and fre-quent demands for bribes tend to encourage many petty traders into smuggling goods across the border.

Drilling down in terms of customs clearance times for the different modes of transport, Table 5 presents the cargo clearance times in work-days for the economies covered in this study. The data is consistent with the fi ndings in Table 4, showing that Australia, Hong Kong,

Tab. 3: Trading across borders

Documents for export (number)

Time for export (days)

Cost to export (US$ per TEU)

Documents for import (number)

Time for import (days)

Cost to import (US$ per TEU)

Australia 6 9 795 5 12 945

Cambodia 6 9 795 5 12 945

China 6 18 335 12 22 375

Hong Kong 2 5 425 2 5 425

Taiwan 8 14 747 8 14 747

India 10 27 864 15 41 1244

Indonesia 7 25 546 10 30 675

Japan 5 11 789 7 11 847

South Korea 5 12 780 8 12 1040

Lao 12 66 1420 16 78 1690

Malaysia 6 20 481 12 22 428

Philippines 6 18 1336 7 20 1336

Singapore 5 6 382 6 3 333

Thailand 9 24 848 12 22 1042

Vietnam 6 35 701 9 36 887

Source: 2006 doing business survey. http://www.doingbusiness.org/ExploreTopics/TradingAcrossBorders.

Page 312: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

364 Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia

Japan and Singapore are effi cient in customs clearance for both air and sea cargo.

To be fair, the delay may sometimes be due to secu-rity reasons. For example, in Thailand, the security re-quirements are strict requiring extensive documentation especially for the import and export of new products. In Malaysia and Singapore, since the process is less com-plex, customers face fewer problems in customs clearance. Border customs clearance is strict at the Malaysian-Thailand border since there have been incidents of crime and pilferage. Table 6 shows the percentage of containers inspected for selected countries.

Tariff charges add to logistics cost. Higher costs may occur because of the lack of cost control, ineffective labor management, and/or institutional ineffi ciencies such as rigid dock labor schemes creating chronic over-staffi ng, restrictive work practices, and high wages. ESCAP (2002) undertook a comparative study of port tariffs across a

significant number of ports in the Asia Pacific, by comparing port tariffs based on two hypothetical types of container ships: 3,000 TEUs and 1,100 TEUs. Table 7 summarizes the total costs of the 3,000 TEU ships. The costs are shown in US dollar nominal exchange rates and in Purchasing Power Parity (PPP) rates.

Logistics service levels are also an important issue. Many countries have improved the quality and scope of their communication system. EDI is most effi cient in Hong Kong and Singapore. Singapore saves about 1 billion dollars (SGD) a year by use of Tradenet. In Malaysia, for example, documents can be submitted using EDI, but the payment process is manual. Similarly, in Indonesia, the Philippines and Thailand, even though EDI is in place, the documentation review process is very long and uncertain. For example, in Thailand, after the completion of the ap-proval process, one needs to bring the documents to the customs offi ce for stamping. In the case of Brunei, the

Tab. 4: Trade indicators

Cambodia China India Indonesia South Korea Philippines Thailand Vietnam

Average time to clear direct exports through customs (days)

n.a. 6.16 13.58 3.38 5.98 5.37 1.33 2.5

Longest time to clear direct exports through customs (days)

6.78 5.78 21.31 6.48 9.15 9.33 2.83 4.72

Average time to claim imports from customs (days)

n.a. 7.6 12.54 4.82 7.28 7.17 3.67 3.68

Longest time to claim imports from customs (days)

10.16 10.48 18.59 10.08 12.58 13.14 8.2 6.83

Firms that export directly (%) 13.12 17.77 10.38 38.4 18.9 31.68 54.66 38.27

Firms that import directly (%) 24.85 n.a. 7.05 n.a. 21.07 42.22 n.a. 35.14

Domestic sales (% sales) 86.4 87.49 92.79 70.81 91.97 69.25 61.57 67.94

Sales exported directly(% sales)

10.8 9 6.19 26.35 6.86 24.56 32.4 24.14

Sales exported indirectly(% sales)

2.8 3.71 1.02 2.84 1.18 6.19 6.04 7.92

Domestic inputs (% inputs) 71.84 92.25 96.22 n.a. 84.34 64.59 84.22 64.44

Inputs imported directly (% inputs)

20.83 n.a. 2.4 n.a. 11.06 27.53 n.a. 21.27

Inputs imported indirectly (% inputs)

7.33 n.a. 1.37 n.a. 4.6 7.89 n.a. 14.29

Source: 2006 doing business survey, accessed from http://www.enterprisesurveys.org/ExploreTopics/CompareAll.aspx?topic=trade&viewall=true&excel=true

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365Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza

documents can be prepared in the computer and then saved onto a disk which is then transferred for further processing. In Myanmar, EDI is not fully functional and the documents need to be prepared 5 working days in advance of the arrival of goods. Laos and Cambodia are, however, poor in EDI. In Laos, while there is a single-stop-window at the border, the inspection is done twice, one at the single-stop-window and the other with the local customs at the Lao border.

Implications

While Asia is growing in terms of trade and Asia conti-nues to feel the birth pains brought about by modern lo-gistics practices, there is much change to be wrought at the policy and institutional levels. We now provide some implications for policy makers on the above countries to improve the logistics services and further to increase trade competitiveness.

First, trade competitiveness can be achieved through the domestic integration of transportation. For this, in-

termodal transportation is highly recommended. Com-plementary institutional actions must be taken to extend and improve transport services to remote areas and to establish better fl ow conditions for domestic market de-velopment. This can be achieved through post-harvest services, cargo consolidation through farmer or business associations, up-to-date information on prices and market demand, access to fi nancial credit, and improving the skill set of the industry professionals.

Second, since the private sector is more effi cient than the public sector in providing logistics services, the pri-vatization of logistics services is a possible solution to effi cient logistics operation. Governments may be well advised to withdraw from the direct provision of logistics services while creating the right enabling environment for competition and private investment. Fostering growth in this way is more amenable to a free market practice and can encourage better trade competitiveness as the private sector is given free rein to improve logistics infrastructure as deemed fi t. Governments need to exercise market-responsive land-use policies for locating logistics infrastructure, especially ports. Security concerns should be taken into account on a regional level and governments must work closely with industry players to provide supply chain security as expeditiously as possible. Funding for the procurement of equipment, technical assistance in drafting regulations, and training for customs and security staff in implementation are needed to improve security standards.

Third, a sound regulatory environment needs to be developed for Asia especially in areas such as transport, cross-border facilitation, urban land use and management as well as security. Regulatory consolidation to make busi-nesses face uniformly consistent rules across Asia is a solution for an effective transport ministry. Governments

Tab. 5: Average days for customs clearance

Air LCL FCL

Australia 1 2 2

Brunei 3 5 5

Cambodia n.a. n.a. n.a.

China 4 30 5

Hong Kong 2 4 3

Taiwan 4 10 7

India 8 10 12

Indonesia 3 4 4

Japan 2 5 6

South Korea n.a. n.a. n.a.

Lao n.a. n.a. n.a.

Malaysia 4 4 4

Myanmar n.a. n.a. n.a.

Philippines 4 5 3

Singapore 2 3 3

Thailand 5 5 5

Vietnam 5 7 7

Source: International Exhibition Logistics Associates, http://www.iela.org.

Tab. 6: Percent of import containers inspected

Percent of Containers Inspected

Australia 10

Cambodia 70

China 5

Taiwan 50

India 100

Japan 5

Malaysia 20

Source: World Bank/IFC trade logistics database, 2005.

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366 Trade Competitiveness and Logistics Challenges in Asia

should promote an integrated planning framework for developing trade corridors, with an established hierarchy of modal interfaces (inland terminals, container stations, cargo clearance facilities with respect to customs, health inspections, and tax payments). Removing monopolies and making publicly administered transport available to everyone is another regulatory requirement. Countries need to bring their transport regulations and policies in line with the WTO.

In this regard, cross-border facilitation can be achievedby harmonizing and simplifying customs procedures, sha-ring information, modernizing information and commu-nications technology and customs administration, and establishing transparent transit rules and post-entry compliance audits. The one window concept of clearance needs to become a reality sooner than later.

Finally, regional cooperation is a key in the harmonization of national, regional, and international rules and policies relating to trade facilitation. Ongoing regional initiatives such as ASEAN, APEC and Mekong River Commission pro-vide regular opportunities to co-operate on a country level. The World Bank helps countries to promote trade facilitationwith investments and technical assistance. It also provides a knowledge-sharing forum in global best practices and capacity building. Much needs to be done for logistics in Asia before there is true renaissance for logistics and supply chain management in this part of the world.Acknowledgements: An earlier version of this paper was presented at the First International Conference on Opera-tions and Supply Chain Management held in Xian China, 2007. The authors acknowledge the fi nancial support of an NUS research grant R-385-000-017-720.

Tab. 7: Comparison of port tariff levels (3,000 TEU class ship)

Country Port Tariff (US$) Manila = 100 (Rank)

Tariff (US$) Osaka = 100 (Rank)

Australia Sydney 181,991 351 (18) 201,282 198 (9)

China Shanghai 84,033 162 (8) 366,129 361 (15)

Tianjin 75,706 146 (5) 329,848 325 (13)

Hong Kong Hong Kong 205,000 395 (20) 189,221 187 (6)

Taiwan Kaohsiung 123,926 239 (13) 228,896 226 (11)

India Mumbai 92,429 178 (9) 450,857 444 (16)

Madras 93,663 181 (12) 456,877 450 (17)

Indonesia Jakarta 77,819 150 (6) 703,060 693 (20)

South Korea Busan 92,535 178 (10) 163,809 161 (3)

Japan Osaka 144,746 279 (16) 101,435 100 (1)

Yokohama 359,882 694 (21) 252,198 249 (12)

Malaysia Port Klang 68,928 133 (4) 163,703 161 (2)

Myanmar Yangon 189,935 366 (19) 855,384 843 (21)

Philippines Manila 51,848 100 (1) 213,145 210 (10)

Singapore Singapore 157,459 304 (17) 167,497 165 (5)

Thailand Bangkok 63,424 122 (2) 199,961 197 (7)

Laem Chabang 63,769 123 (3) 201,049 198 (8)

Vietnam Saigon Port 81,836 158 (7) 482,562 476 (19)

Source: ESCAP, 2002. “Comparative Analysis of Port Tariffs in the ESCAP Region” p. 40.

Nominal exchange rate Purchasing power parity

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367Mark Goh / Luo Lei / Robert de Souza

References

World Economic Forum (2007) “The Competitiveness Indexes” Working paper, World Economic ForumWorld Bank (2003) “East Asia integrates: A trade policy agenda for shared growth,” Working paper, the World BankAsian Development Bank (2005) “Connecting East Asia: A new framework for infrastructure,” Working paper, Asian Development Bank, Japan Bank for International Cooperation and the World Bank

ESCAP (2005) “Review of developments in transport in Asia and the Pacifi c” Working paper, United NationsESCAP (2002) “Commercial development of regional ports as logistics centers,” Working paper, United NationsREPSF Project 06/001d. “An investigation into the measures affecting the integration of ASEAN’s priority sectors (Phase 2): The case of logistics”, forthcomingESCAP (2002) “Comparative analysis of port tariffs in the ESCAP region,” Working paper, United Nations

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Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market

Ludmila Simonova

Chief Analyst, Consulting Department, RosBusinessConsulting

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Dr. Ludmila N. Simonovaborn 1955Simonova is currently working as Chief Analyst with RosBusiness-Consulting, Consulting Department. Her main professional activity there is connected to transport and logis-tics. She is author of the following analytical reports: Russian Trans-portation & Logistics Market: 2006 Results & Prospects up to 2012;

International Container Shipping & Transitional Potential in Russia. She graduated from Moscow State University in 1977, Ph.D. in World Economy. Since 1977 Simonova is a senior researcher at the Institute of Latin America of the Russian Acad-emy of Science, Department of Transitional Economy. She has more than 70 publications (books, articles, analytical reports) on world, LatinAmerican and Russian economy.

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Main trends from 2005 until 2006

The development of the Russian transportation and logis-tics market from 2005 until 2006 can be characterized by the following trends:

The Russian transportation and logistics market is cur-rently at a stage of rapid growth, which can be traced to dynamic economy, industry, and trade’s higher demands for organizing and servicing foreign and domestic freight fl ows, as well as the need to reduce transportation and logistics costs through outsourcing these functions. The market’s globalization played an important part in this. This accompanied the advent of western companies, whose process fl ows involved intensive freight forwarding.

The Russian logistics outsourcing market (the revenue of companies providing transportation, freight forward-ing, warehousing and logistics management services) grew at an average annual rate of 16 % from 2004 until 2006. The increase was the highest in the segment of in-tegrated logistics services in connection with storage and distribution of goods (more than 30 % a year).

Investment in port and terminal infrastructure and warehouse facilities rose signifi cantly, which laid the foundation for forming a modern Russian transportation and logistics system.

One of the most investment-attractive market segments is container shipping, whose dynamics between 2004 and 2007 was determined by the enlargement of Russia’s foreign trade and expansion of port handling facilities. In forthcoming years, the bulk of freight and container trans-portation will shift towards the broadening of the share of imports from South and Southeast Asia, with the leading role to be assigned to China. Annual average growth in container shipping between 2004 and 2006 stood at 20 % and will exceed 20 % from 2007 until 2012.

The industry’s consolidation process has intensifi ed, which may be seen in the establishment of large transpor-

tation and logistics holdings, growth in transaction volume, the expansion of the range of services, and the geographi-cal diversifi cation of the business. The main driver for the market’s growth was the accumulation of assets by logistics companies (purchase of vehicles, rolling stock, construction or rent of warehouse facilities), as well as the expansion of leading logistics providers to the regions.

Russian Railways’ position has strengthened substan-tially, and the functions and spheres of activity of the state monopoly have broadened. Not only has Russian Railways managed to retain the dominating position in the rail freight segment, but it is also pursuing an aggres-sive policy in warehousing and terminal services, as well as port freight handling (including buying into port share-holding, establishment of transport and logistics centers and warehouse terminals).

The years 2005 and 2006 were characterized by fur-ther development of multi-functional companies provid-ing integrated logistics services (3PLs). In addition to the traditional range of functions, such as transportation and freight forwarding, 3PLs have also assisted in warehous-ing, reloading, packaging, and other supplementary value-added services, involving subcontractors.

The warehousing services market saw the advent of chain warehouse development projects and a rise in for-eign investor interest in the Russian warehouse real estate market. However, despite the announcement of logistics companies’ plans to create regional warehouse chains, the anticipated “warehouse boom” has not yet happened in the regions, and is unlikely to occur before 2008.

The growing scale of activity of western retail chains and transnational companies which heavily use 3PL services has markedly infl uenced the level of competition and the development of Russia’s transportation and logistics mar-ket in general. Over the last two years, revenue of the lead-ing western (predominantly European) logistics operators more than doubled in Russia.

The importance of logistics has undeniably become an important factor in the growth of the national economy. The last two years have shown that the development of

Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market1

Ludmila Simonova

1 This article is an abstract of the analytical report “Russian Transportation and Logis-

tics Market: 2006 Results and Prospects up to 2012” prepared in RosBusinessConsul-

ting (Russian Information Agency), Consulting Department.The research was carried

out in February-May 2007 in Moscow. See: http://marketing.rbc.ru

Page 319: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

372 Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market

transportation and logistics infrastructure was becom-ing one of the top priorities of Russia’s state policy. The mechanisms of public-private partnership are bound to play a key role in this process, as a federal law on con-cessions has been passed and the Investment Fund, a fi nancial instrument of the public-private partnership, has been created. With its help, government support will be provided for top-priority investment projects in different regions of Russia.

The key principles and trends of the national transpor-tation policy have been formulated in Russia’s Transport Strategy until 2020 and Transport Development Strategy until 2010. Corresponding measures have been detailed in the interim as part of the Russian Transport System Mod-ernization in 2002-2010 federal target program’s subpro-gram “Development of Transportation Service Exports.” The subprogram provides for the implementation of in-tegrated investment projects for the development of the transport infrastructure and technologies, airport hubs, seaports, terminal and logistics systems.2

Market size and structure

According to RBC’s estimates, the Russian transportation and logistics market size (the revenue of transportation and logistics companies operating on Russian territory, including Russian Railways) increased by 35.5 %, from $24.5bn to $33.2bn from 2004 until 2006.3 The annual average growth rate (including the infl ation component) stood at 16 %. Western experts assess the market’s po-tential to be worth $120bn-$150bn (EUR92bn-EUR115bn).

Shipping by transportation companies hold the domi-nant share of revenues according to types of services

2 Tenders have been held as part of the implementation of the subprogram “The Development of Trans-

portation Service Exports” to provide grounds for investment under seven transportation and logistics

projects: comprehensive development of transportation infrastructure on the Azov and Black Sea coast;

the development of the Novorossiysk transport hub in the Krasnodar region; comprehensive develop-

ment of the Murmansk transport hub, comprehensive development of the international trans-Siberian

transport corridor, a transportation and logistics hub in Yekaterinburg; the development of logistics

infrastructure in the Far East on the premises of the seaports Vostochny and Nakhodka; the construction

of the Central Ring Road and the establishment of a system of transportation and logistics complexes in

the Moscow region; the development of airport hubs Sheremetyevo and Pulkovo.3 EUR24.9bn, or approximately one third of Germany’s logistics outsourcing market.

Fig. 1: Russian transportation and logistics market growth 2004-2006, $ bn

Note: Transportation and logistics companies’ revenues measured in current US dollar valuesSource: corporate data, RosBusinessConsulting

Market SizeGrowth %

5

10

15

20

25

30

35

2 %

4 %

6 %

8 %

10 %

12 %

14 %

16 %

18 %

20 %

2004

24,5

28,733,2

16 %17 %

2005 2006

Page 320: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

373Ludmila Simonova

provided ($28.1bn in 2006, 85 % of which is accounted for by Russian Railways). A considerable increase in the size of this market segment since 2004 (30 % in two years) is chiefl y attributed to higher rail and road freight tariffs (a rise of over 9 % per year), as well as a wider range of serv-ices provided by automotive transport. According to Rus-sian Railways data, the company’s proceeds from shipping services measured in current ruble values and taking into account tariff indexation grew 10.9 % in 2006 compared to the previous year, up to RUR648.4bn ($23.9bn).

According to RBC’s estimates, shippers’ freight traf-fi c amounted to 2,100bn tonne-kilometers in 2006 (up 4.4 % from 2005), and their share in overall freight traffi c in terms of all sectors of the national economy combined grew to 93 %.

A large share of outsourcing in the shipping industry is explained by the distinct nature of the formation of the Russian transportation market, namely:

The predominance of rail freight in total freight traffi c across the economy and the monopolistic market position of Russian Railways as a commercial freight transportation service provider (Russian Railways’ freight traffi c reached 1,948bn tonne-kilometers in 2006, which is 4.8 % more than in 2005.). In most cases, industrial enterprises with their own railways infrastructure and rolling stock use it only to transport large-volume freight on short hauls, which is refl ected in their low freight traffi c fi gures.

Maritime, air freight and transportation along inland wa-terways is predominantly carried out by specialized ship-pers. It was not until recently that Russian production companies (primarily oil) have begun to lease or build their own inland waterways and sea transport.

Road freight is one of the only exceptions. As a rule, Russian companies, vertically integrated holdings and retail chains have their own truck fl eets, which refl ects reporting data showing a high share of freight handling by non-shipping companies. In 2006, only 73.8bn tonne-kilometers (37.1 %) of the total 198.8bn tonne-kilometers was accounted for by commercial services, while the freight traffi c of specialized shipping companies did not exceed 35bn tonne-kilometers (17.5 %).

The freight forwarding services segment expanded faster than shipping, which can be traced to the sophis-tication of tasks for shipping goods, increasing demand for integrated services, including the organization of multi-modal shipments and “door-to-door” deliveries. The freight forwarding segment is valued at $3.6bn, while the correlation of spending on shipping alone and on freight forwarding changed signifi cantly within the past two years: 8:1 in 2006 against 10:1 in 2004.

The warehousing and distribution services segment is developing rapidly (at an annual rate of 30 % in 2005 and 2006), although its market share is still quite modest (around $1.2bn, or 3.6 %). Logistics management, according

Fig. 2: Russian transportation and logistics market growth by segments 2004-2006, $ bn

Note: Transportation and logistics companies’ revenues measured in current US dollar valuesSource: corporate data, RosBusinessConsulting

2006 E

Logistics management

Warehousing and distribution

Freight forwarding

Shipping

2004

0

0,3

0,2

1,2

0,4

3,6

2,1

28,1

21,9

105 30252015

Page 321: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

374 Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market

to RBC’s estimates, is responsible for another 1 % of the total market size with around $300m (up 58 % per year between 2004 and 2006).

The capacity of the international freight market ex-ceeds $5.6bn, accounting for over 20 % of the total trans-portation market revenue.

The revenue of companies involved in forwarding in-ternational freight (including loading-unloading and han-dling, customs clearance and insurance, as well as ware-housing in ports, etc.) is estimated at $1.4bn, which is around 40 % of the total proceeds received in the freight-forwarding segment.

According to market participants, the share of value-add-ed services the revenue of freight forwarders involved in in-ternational shipping (including transportation, warehousing, customs clearance services) stands on average at 20 %.

Competitive environment

The main factors affecting the formation of a competitive environment on the Russian transportation and logistics services market include:

Domestic drivers:• Rapid market growth amid a vigorous economy and

booming consumer demand.• A gradual leveling-out of the development of various

segments, and reinforced geographic diversifi cation of the range of services provided.

• Growing infl uence of western logistics operators (espe-cially in the 3PL segment, international freight opera-tions and express delivery).

• A trend for the consolidation of Russian logistics com-panies; an acceleration in the process of establishment of large transportation and logistics holdings distinc-tive of the beginning of market consolidation.

• A lack of transparency and information disclosure in the case of most companies; a defi ciency of credible economic data about company operations (with rare exceptions).

• A highly fragmented market, the existence of a large number of small players.

International drivers:• A change in demand structure towards a higher integra-

tion and quality of services provided.• Active expansion of trade and production companies

to Russian regions acting as a driver for logistics out-sourcing growth as companies strive to optimize their logistics costs.

• Growing interest of investment companies and indus-trial holdings with considerable fi nancial resources in expanding their presence on the transportation and logistics market.

• Development of the transportation and warehousing infrastructure, including through redirecting capital from other sectors.

• Implementation of state transportation and logistics infrastructure development programs, including in Russian regions.

The competitive environment on the Russian transportation and logistics market is largely determined by the activities of Russian companies. However, it is generally accepted that the key players in the 3PL segment are western logis-tics providers with a rich experience in providing solutions for the large production and retail companies that they serve worldwide. As a rule, the scale of operations of west-ern logistics providers on the Russian market is directly linked to the activities of their regular customers in Russia.

There are over 4,000 companies represented in the competitive sector of Russia’s transportation and logis-

Fig. 3: Russian transportation and logistics market by types of services in 2006, %

Source: Russian Statistics Agency, Russian Finance Ministry, RosBusinessConsulting

Freight forwarding 11 %

Shipping 85 %

Total – US$33.2 bn

Warehousing and distribution 3 %

Logistics management 1 %

Page 322: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

375Ludmila Simonova

tics services market (road, sea, and air freight, container shipping, freight forwarding, warehousing, and logistics management, i.e. all segments except for rail freight serv-ices generally provided by Russian Railways). No more than a hundred companies, including western logistics operators, may be referred to as 3PL providers capable of rendering the full range of services (including those with high added value), according to RBC’s estimates.

According to RBC’s estimates based on corporate data, the size of the competitive transportation and logistics segment (excluding Russian Railways) amounts to $9.3bn. The top 20 transportation and logistics companies repre-sent about one third of the competitive segment, and only 9 % of the total transportation and logistics market. In addition to Russian companies, the top 20 also includes eight western 3PL providers.

There is presently a high level of competition in the freight forwarding segment, mostly due to a large number of companies operating in the area of organizing shipping services and achieving a relative balance between supply and demand on the market.

The demand for integrated logistics services, which began to develop several years ago and which are cur-rently available only the Moscow and St. Petersburg re-gions, is far ahead of supply. Competition is expected to increase in the mid term after new warehouse facilities have been launched in other Russian regions and as the supply of goods storage and distribution services grow.

The express delivery and mail segments are seeing the highest level of competition, which is not due to an excessive number of players on the market, but rather be-cause the requirements being made for the quality and comprehensiveness of the services provided is quite high. Express delivery is the typical example of services of the 3PL level. This segment is the most sensitive to the proper set-up of a logistics operating structure and interaction on both the physical and logical information level.

The largest international operators are DHL+Exel (Deutsche Post World Net), TNT, UPS, FedEx, Geopost Group (Armadillo), as well as the Russian companies Garantpost, CPCR-Express, Pony Express, EMS Russian Post, and are all currently operating on the Russian ex-press delivery market.

The growing scope of activities of western retail chains and transnational companies that assume a wide use of 3PL provider services aided the development of western logistics players on the Russian market. According to RBC, the operating revenues of western (mainly European) lo-gistics operators in Russia more than doubled to $800m

(around 9 % of the competitive market’s size) in 2004-2006. However, it is clear that despite the attractiveness and big potential of the Russian market, the operations of most 3PL operators are still rather modest in Russia, not exceeding 3 % of revenues on a global scale.

One of the latest trends is the reorientation of foreign companies’ operations from predominantly international freight services to domestic operations. Presently, the share of domestic Russian operations in Schenker’s reve-nue is already approaching 50 %. The company’s develop-ment plan is for its network to reach the cities with 80 % of the Russian population by the end of 2007.

The main short-term goals for most western 3PLs are to increase assets (including the construction of ware-houses and terminals), venture out to the Russian regions, as well as to adapt their operating methods to Russian market conditions.

In terms of revenue, the leaders are Russian transpor-tation holdings that include shipping companies and port operators as their subsidiaries, as well as considerable assets in the form of motor vehicles, terminals, and ware-house complexes, and that expand their activities though creating (or acquiring) specialized logistics divisions pro-viding 3PL services.

The revenues of leading transportation holdings (such as the transportation group FESCO, the Delo group of companies, and Eurosib SPb – TB) are estimated to be be-tween $300m and $550m. These companies are respon-sible for approximately 15 % of the competitive sector of Russia’s transportation and logistics market.

According to RBC’s estimates, of the top 20 logistics companies (including eight western 3PL providers: FM Logistics, DHL+Exel, UPS, TNT, K+N, Tablogix, Schenker, and Panalpina), ten have a revenue of between $50m and $100m (a combined 10 % of the competitive market), and the revenue of six companies is estimated at around $100m-$150m (7.5 %); the revenue of one company, Sovtransavto, is nearly $200m (2.4 %).

For the major Russian companies, their growth po-tential is linked to the creation of a modern logistics in-frastructure, increasing the integration of the services provided, as well as expanding their customer bases and geographical reach. Practically all major shipping compa-nies, forwarders and logistics operators have plans in the short term to diversify their business and set up a multi-modal freight handling system.

Most Russian companies are extremely cautious about entering into long-term alliances with western 3PLs, giving preference to such forms of interaction as

Page 323: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

376 Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market

subcontracting or agency agreements in international freight operations.

A new trend has developed to raise fi nances for devel-opment by selling a stake in the Russian company to for-eign banks and investment funds, which, in turn, speaks of an advance in the investment attractiveness of Russia’s logistics business.

For example, in 2005 Citigroup Venture Capital Interna-tional Growth Partnership L.P., Citigroup Venture Capital International Co-Investment L.P., and DTB GmbH bought a 32 percent stake in NLC from RosEvroGroup. The deal amounted to $50m, and NLC plans to use the proceeds for developing the company’s operating activities, including the construction of a regional network of logistics parks.

The Great Circle Fund LP, a US-sponsored dedicated emerging markets transportation sector investment fund, invested $20m in shares of the Russian Logistic Service (RLS) group of companies. The proceeds will be used to expand the holding’s core transportation business and develop a national network of RLS-operated terminals in major regional centers.

The majority of leading Russian transportation and logistics companies position themselves as 3PL provid-ers, and their further development and advancement of competitiveness are linked directly to expanding the list of services they provide (transshipment, packing, and other services with a signifi cant added value) and providing freight handling services at all the stages of the supply chain.

For midsize and small companies, the most promising method is to deepen their specialization, concentrating on meeting niche demand and providing specifi c services, such as transporting and forwarding non-standard, haz-ardous, and other goods. From the viewpoint of meeting higher customer requirements, there is a possibility for

cooperation both between Russian companies and with foreign logistics operators on the basis of mutual frame-work and franchising agreements. The strategies of such companies may include plans to acquire their competitors, because such takeovers can more rapidly reinforce the po-sition of such companies in specifi c market niches or on certain geographic markets.

Regional aspects of competition

An important internal growth and consolidation driver within the logistics sector is the expansion of large pro-duction and trade companies (primarily, retail chains) to Russian regions and the need to provide effi cient prod-uct distribution from depots in those regions. This market niche is currently serviced by small local companies.

Many large Russian transportation and logistics market players, including recently established logistics compa-nies claiming 3PL operator status4, have very large-scale plans for regional development, construction of ware-house, port and container terminals and establishment of regional distribution centers. Investment is planned to reach hundreds of millions of dollars.

As large market players continue to step up their ac-tivities, local companies will fi nd themselves gradually driven out of the market, leaving them three options: to depart from the market, to cooperate with the leaders and become subcontractors, or be taken over. These proc-esses help to consolidate the industry, reduce the number of companies and boost their sizes.

4 For example, Relogix is a logistics chain operator founded in 2005 by the direct investment fund

Renova Capital. Relogix, a full-cycle logistics operator, is leasing a warehouse complex in Moscow and

developing a chain of its own warehouses in St. Petersburg, Samara, Novosibirsk, and Yekaterinburg.

The company‘s 2006 revenue is estimated at $16m.

Tab. 1: Key drivers of increasing Russian regions‘ importance as consumers and producers of transportation and logistics services

Source: RosBusinessConsulting

• Growing consumer demand and retail sales in dynamically developing Russian regions (mainly in large cities).

• Industrial production growth and increasing need for modernization and technical upgrade of enterprises.

• Regions expanding their export-import operations.• Implementation of projects for the integrated development of

regional transportation and logistics hubs on the basis of port and regional centers as part of an effort to promote public-private partnership.

• The integrated development of international transportation corridors, primarily the Trans-Siberian Railway.

• A massive entry of Russian and western retail chains as well as transnational consumer goods producers and sellers to Russia‘s regional markets.

• An increase in regional imports of producer goods, consisting mainly of heavy machinery and equipment.

• The transfer of the greatest share of customs clearance, handling and warehousing functions to regional transportation and logistics centers.

• An increase in transit freight flows along Russian territory.

Page 324: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

377Ludmila Simonova

Fig. 4: Russian transportation and logistics market by types of services in 2012 (forecast), %

Source: Russian Economy Ministry, RosBusinessConsulting

Shipping 82 %

Total - US$61.5 bn

Warehousing and distribution 5 %

Freight forwarding 11 %

Logistics management 2 %

Higher business activity in the regions has been pro-ducing changes. Though Moscow and St. Petersburg still remain the chief freight traffi c generators for the logis-tics sector, there are cities that are gaining popularity as distribution hubs: Rostov-on-Don for service in south-ern Russia, Samara for the Volga River Basin (Povolzhye) region, Novosibirsk for Siberia, and Khabarovsk for the Far East.

The factors in table 1 will most likely determine the increase in the signifi cance of Russian regions as consum-ers and at the same time producers of a wide range of transportation and logistics services in the mid term.

Growth drivers

The further development of the Russian transportation and logistics market and changes in its competitive envi-ronment will depend directly on the effect of internal and external factors (table 2).

Russia’s increasing investment attractiveness, the in-fl ow of foreign capital to the country, as well as its pro-spective accession to the WTO will stimulate competition in key sectors of the economy, including in transportation and warehousing services. Trade growth with China, as well as the creation of new transport corridors to link Eu-rope and Asia, will lead to an increase in both incoming and outgoing cargo traffi c.

The development of transportation and logistics infra-structure with the help of expanding investment in the in-dustry is creating the backdrop for an increase in volumes of transportation, storage and distribution of various goods, boosting the number of large consumer product manufacturers and distributors.

However, the key growth drivers of the shipping mar-ket and the demand for logistics services will remain, as in the previous fi ve-year period, the development of in-dustrial production and trade, as well as the increase in foreign trade.

Tab. 2: Internal and external factors of Russian transportation and logistics market growth

Source: RosBusinessConsulting

• Global trade and industrial development• Russia’s prospective accession to the WTO• The expansion of the European Union• Trade growth with China and the increasing need to create

new transportation corridors, including transit freight shipping across Russian territory

• Globalization of the activities of transnational corporations and western retail chains

• The expansion of international logistics companies

• A consistently high rate of economic growth • Expanding industrial production and retail sales• Increasing export-import operations and changes in the

structure of foreign trade• Changes in the structure of demand for transportation and

logistics services• Rapid consolidation on the logistics market• The current condition of the transportation and logistics

infrastructure and growing investment in the industry

External: Internal:

Page 325: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

378 Growth Prospects of Russian Transportation and Logistics Market

A high rate of increase in annual industrial production (5 %), retail sales (10 %), and foreign trade (imports – 14 %) will consequently boost consumer demand for the entire set of transportation and logistics services during the period in question (2006-2012).Demand will be booming in transportation of goods in-tended for foreign trade, primarily machinery and equip-ment, as well as other investment products. In turn, the increase of the population’s personal disposable incomes and retail sales will trigger further growth of transported volumes and an expansion in the demand for storage space for both imported and locally-produced goods. Growth is expected to be the highest in the international container-shipping segment.

Transportation and logistics market growth forecast until 2012

According to RBC’s estimates, the market’s size (the rev-enue of companies that provide the services in current dol-lar values) is expected to increase by 1.9 times between 2006 and 2012, from $33bn to $61.5bn. The average annual rate of growth will exceed 10 %. The market’s structure is expected to change, as the development of certain seg-ments will be uneven, with the warehousing and manage-ment services segments growing the fastest (see Fig. 4).

In terms of volume (tonne-kilometers), shipping services by transportation companies will increase by 5 % annually in 2006-2012 (from 2,100bn tonne-kilometers in 2006 to 2,820bn tonne-kilometers in 2012). The exception will be with sea freight, including containerized shipping, which will grow by more than 18 % thanks to higher exports and imports of containerized goods and boosting transit shipping via Russian territory. The dynamics of interna-tional containerized shipping will depend largely on the expansion of imports of manufacturing equipment and automotive component parts for assembly lines operating in Russia. Shipping companies’ revenues are expected to increase, on average, by 10 % per year in the period in question, RBC estimates.

As for market structure in terms of tonne-kilometers, it is projected that road transport will continue to strength-en its position (from 1.7 % in 2006 to 3 % in 2012) on the back of higher physical volumes of freight moved on com-mercial basis, as well as the expansion of the segment of freight services provided by road transportation compa-nies. Thanks to rapid growth, starting in 2008 the share of sea freight by Russian transportation companies will grow signifi cantly (from 2.2 % to 4.4 %). Following slower freight traffi c growth during the period until 2012, rail and inland waterway transport’s market shares are expected narrow somewhat.

Fig. 5: Projected changes in the structure of freight traffic of Russia’s transportation companies 2006-2012, %

F - Forecast Source: Russian Statistics Agency, Transportation Ministry; RosBusinessConsulting

2012 F

Air

Inland waterways

Sea

Road

Rail

2006

0,1

0,1

2,4

3,1

4,4

2,2

3,0

1,7

90,1

92,9

0 10 10030 40 50 60 70 80 9020

Page 326: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

379Ludmila Simonova

The freight forwarding segment will grow faster than transportation services (12 % per year). Over the next six years, consolidation in the freight forwarding segment is expected to speed up amid a considerable increase in competition.

According to RBC’s estimates, the market of shipping services provided by transportation companies will in-crease from $28.1bn in 2006 to $50.3bn in 2012 and the freight forwarding segment will advance from $3.6bn to $7.0bn.

The highest rate of increase, more than 20 % per year, is expected to occur in the integrated logistics segment (warehousing and distribution services), which will be

Fig. 6: Growth forecast for Russian transportation and logistics market segments 2006-2012, $ bn

Note: revenue of transportation and logistics companies in current US dollar valuesF - Forecast Source: RosBusinessConsulting

2012 F US$ bn

Logistics management

Warehousing and distribution

Freight forwarding

Shipping

2006

0

1,2

0,3

3,0

1,1

7,0

3,6

50,3

28,1

105 30 35 40 45 50 55 60252015

triggered by large-scale construction of warehouse com-plexes in Moscow, the Moscow region, and other territo-ries. Given that at least 70 % of all construction-in-progress and planned warehouse facilities are launched, this segment may more than triple in size, from $1.1bn to $3bn (see Fig. 6).

Logistics management (services aimed at optimizing business processes), whose development is linked direct-ly to the market’s qualitative improvement and the expan-sion of 3PL operations (primarily western logistics compa-nies), will demonstrate the highest level of growth (26% annually in 2006-2012). According to RBC’s estimates, the revenue of companies that operate in this segment will in the mid term surge from $0.3bn to $1.2bn.

Page 327: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Veränderungen globaler Warenströme und die Auswir kungen auf Logistik-Mega-Hubs

Roland Zibell

Direktor der ADI Consulting GmbH, Pfäffikon, Schweiz, und Dubai, UAE, dort Projektdirektor

Dubai Logistics City im Auftrag des Government of Dubai, Department of Civil Aviation

Regionalgruppensprecher der Bundesvereinigung Logistik

Page 328: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Dr.-Ing. Roland ZibellJahrgang 1958Zibell ist seit 2003 Direktor des Schweizer Logistik- und Beratungs-unternehmens ADI Consulting, wo er die Leitung verschiedener inter-nationaler Logistik-Entwicklungs-projekte übernommen hat. Zibellstudierte Wirtschaftsingenieurwesenan der TU Berlin mit Schwerpunkt Logistik und am IIT Chicago für den

Master of Science in Operations Research. Als Wissenschaft-licher Mitarbeiter bei Prof. Dr.-Ing. H. Baumgarten arbeiteteer am Fachgebiet Materialfl usstechnik und Logistik der TU Berlin sowie in Ausbildung und Logistik-Planungsprojekten für diverse Industrieunter nehmen. Zibell promovierte 1989 an der TU Berlin zum Thema „Just-in-Time“. Prägende Stationen der folgenden Jahre waren die Tätigkeiten als Mitglied der Geschäftsleitung im Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung (ZLU), als VP Lo-gistics bei Kühne + Nagel und als Senior VP e-Business und Global Customers bei Danzas/DHL.

Page 329: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Einleitung

Die offensichtlichsten Folgen der Globalisierung sind die Zunahme und Verlagerung der globalen Warenströme. Weitaus stärker als die Inlandsprodukte der Industrielän-der wachsen die Umschlagsleistungen der Logistik-Hubs wie Shanghai, Singapur, Dubai oder Rotterdam entlang der Haupttransitstrecken zwischen Asien und Europa. Es ist anzunehmen, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzen wird; allerdings wird diese Entwicklung längerfristig von Effekten überlagert, die sich aus der demografi schen Situation einiger Weltregionen ergeben. Eine weitere Beschleunigung der Globalisierung, verbun-den mit der demografi sch verursachten Verlagerung pro-duzierender und konsumierender Märkte, wird dann eine drastische Auswirkung auf Standorte, Struktur und Größe von Logistik-Hubs haben. Dieser Beitrag soll die Trends der mittelfristigen Entwicklung aufzeigen und einen Aus-blick auf die weitere Zukunft geben.

Sehr schwierig ist die Quantifi zierung von Wachstum und Struktur zukünftiger Warenströme, weil die genauen Einfl üsse der verschiedenen Parameter auf Volumina – mangels historischer Erfahrungen in globalisierten Märk-ten – nicht ausreichend bekannt sind. Bislang wurden mit-telfristige Prognosen zum Wachstum der Warenströme in der Realität deutlich übertroffen, langfristig ausgerichtete Schätzungen dürften keine verlässlichen Planzahlen lie-fern. Da die Entwicklung der Warenströme im Hinblick auf die Frage nach ihren Auswirkungen auf Logistik- Mega-Hubs qualitativ aber ausreichend beschrieben werden kann, soll in diesem Beitrag auf neue eigene Schätzungen verzichtet werden.

Logistik-Mega-Hubs

Die Bezeichnung „Logistik-Mega-Hub“ ist eher ein Schlag-wort als ein klar defi nierter Fachbegriff in der Logistik. Dennoch charakterisiert sie sehr anschaulich den Trend zur Clusterbildung im Rahmen der internationalen Trans-portströme und Umschlagsplätze. Kern eines solchen Hubs ist die Umschlagsleistung zwischen verschiedenen Transportmodi (z. B. Schiff – Bahn) oder auch nur gleich-

artigen Transportmodi (z. B. Schiff – Schiff), zunehmend verbunden mit Lagerung und wertsteigernden Zusatzleis-tungen. Da im globalen und interregionalen Warenverkehr weit über 90 Prozent der Transporte in Containern über See abgewickelt werden, entstehen Mega-Hubs mit über-regionaler Bedeutung in der Regel nur an Hafenstandor-ten. Dennoch sollten rein „landgestützte“ Hubs, d. h. ohne eigenen Hafen, nicht völlig außer Acht gelassen werden.

Strukturell lassen sich Logistik-Hubs unterscheiden in Gateways für den Im- und Export, die über ein wirtschaft-lich starkes Hinterland verfügen, und Transithubs, bei denen die Verknüpfung von Transporten von und zu weiter entfernten Quellen und Zielen im Vordergrund steht. Wäh-rend sich im Umfeld von Gateways zumeist logistische Infrastrukturen für Lagerung und Feinverteilung befi nden (z. B. Rotterdam, im Umkreis von über 200 km), spielt sich das Geschehen in Transit-Hubs (z. B. Dubai) in einem engen lokalen Umfeld (weniger als 20 km) ab, trotz insge-samt gleicher Umschlagsleistung.

Asien – Europa: im Fokus der mittelfristigen Entwicklung

Seit nunmehr über 20 Jahren liegen die Wachstumsra-ten der asiatischen Märkte deutlich über denen Europas und Nordamerikas. Die weitgehende Öffnung der Märk-te erlaubt die Verlagerung der Produktion in die Länder mit niedrigsten Löhnen, mit der Konsequenz, dass die Handelsströme von Asien nach Europa und Nordamerika (einseitig) steigen, aber auch die Binnenmärkte in Asien kräftig gestärkt werden. Während Europa von der Ost-erweiterung der EU profi tiert und noch über eine gesun-de Substanz produzierender Industrien verfügt, zeigen die abnehmenden Warenströme aus Nordamerika des-sen schnellen Übergang zu einer Dienstleistungsgesell-schaft. Da auf dem Weg zwischen dem Fernen Osten und Europa zudem die süd- und westasiatischen Märkte mit ebenfalls hohen Wachstumsraten liegen, stehen die internatio nalen Warenströme zwischen Asien und Eu-ropa mittelfristig im Vordergrund des Interesses. Nicht

Veränderungen globaler Warenströme und die Auswir kungen auf Logistik-Mega-HubsRoland Zibell

Page 330: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

384 Veränderungen globaler Warenströme und die Auswirkungen auf Logistik-Mega-Hubs

unerheblich für die Logistik ist dabei die rasante Entwick-lung innerhalb Asiens bezüglich der Verlagerung von Pro-duktionsstätten; sie erzwingt eine hohe Flexibilität der Logistikinfrastruk turen einschließlich Alternativen zum reinen Seetransport.

Dominante Handelsströme und Logistik-Hubs

Seit dem Jahr 2007 befi ndet sich kein amerikanischer Hafen unter den weltweiten Top Ten der Container häfen. Die asiatischen Häfen Singapur, Shanghai, Hongkong, Shenzen und Pusan führten 2007 die Rangliste mit Wachs-tumsraten von bis zu über 20 Prozent an. Diese Standorte qualifi zieren sich sicherlich als Logistik-Mega-Hubs; sie stoßen zum Teil nun aber an geografi sche Grenzen ih-res Wachstums. Dies wird zur Konsequenz haben, dass weitere bestehende asiatische Häfen zur Gruppe der Mega-Hubs hinzustoßen (z. B. Guangzhou mit einer Ver-dreifachung der TEU-Umschlagsleistung auf 9,2 Mio. TEU im Jahr 2007, binnen weniger als vier Jahre) und komplett neue Häfen entstehen. An solchen neuen Standorten wird sich zeigen, ob die Planer der Logistikinfrastruktur in der Lage sind, sowohl ausreichend weit in die Zufunkt zu planen und genügend Wachstumsmöglichkeiten zu schaf-fen als auch die standortspezifi schen Anforderungen an die Verknüpfung verschiedener Transportmodi und an Flächen für weitere Logistik-Mehrwertdienstleistungen zu erfüllen. Das Fallbeispiel Dubai kann zeigen, dass es zunehmend schwieriger werden wird, den schnellen Wan-del von Märkten und Transportströmen im Rahmen einer Planung und Realisierung von Logistik-Mega-Hubs ange-messen zu berücksichtigen und zu beherrschen; so ist eine Umgestaltung eines Transit-Hubs zu einem Gateway ge-gebenenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.

Vor ganz besonderen Herausforderungen steht dabei Europa. Nur wenige der bestehenden Hafenstandorte lassen sich ohne Probleme schnell genug erweitern, um jährlich zweistellige Wachstumsraten über mehrere Jahre hinweg zu verkraften. Neue Standorte lassen sich in Westeuropa nur sehr viel schwieriger, zu hohen Kosten und mit vielen Zeitverlusten errichten. Die etablierten Logistik-Mega-Hubs werden im Bereich der Seefracht damit zunehmend ein Flaschenhals, der Warenströme auf andere Verkehrsträger zwingen kann und Hafen-standorte im Mittel- und Schwarzmeerraum stärken wird. Die zunehmende Anzahl von bedeutenden Hafenstandor-ten in Asien und Europa wird daher dem Trend zu immer größeren Containerschiffen entgegenwirken und gleich-zeitig den Transit-Logistik-Hubs noch mehr Bedeutung und Umschlagsvolumen geben.

Logistik-Mega-Hub Dubai

Die zunehmenden Warenströme zwischen Asien und Europa haben dem Standort Dubai in die Liga der Logistik-Mega-Hubs verholfen. Unterstützt von einer liberalen und weitsichtigen Politik des Emirates am Persischen Golf eta-blierte sich in den 90er Jahren zunächst der Hafen Jebel Ali zu einem Container-Transit-Hub. Er wurde im Jahr 2007 zur Nummer sieben in der Liste der größten der Welt, mit Ausbaumöglichkeit auf das Sechsfache der heutigen Um-schlagsleistung von 10,7 Mio. TEU pro Jahr. Die Transit-funktion blieb aber nicht auf die Seefracht beschränkt, sondern zeigte sich mit gleichen Steigerungs raten eben-falls in der Luftfracht und darüber hinaus auch im kombi-nierten See-Luft-Verkehr. Diese multimodale Verknüpfung gab einen wichtigen Anstoß für die Planung des weltweit ersten multimodalen Logistik-Mega-Hubs, der Seefracht (Hafen), Luftfracht (Flughafen) und Lagerung sowie logis-tische Mehrwertdienste (Dubai Logistics City, DLC) inner-halb einer Freihandelszone zusammenfasst.

In Dubai wurde erstmalig ein multimodales Logistik-Mega-Hub vom Reißbrett aus geplant. Dabei wurde sichergestellt, dass Planung und Umsetzung mit direktem Input der Logistikindustrie erfolgten. Die zwischen den Hafenanlagen und dem neuen Flughafen Al Maktoum International Airport angelegte Dubai Logistics City ent-steht derzeit auf einer Fläche von 25 km² (vgl. Abb. 1). Nur Logistikdienstleister, Logistikdivisionen aus Handel und Industrie und unterstützende Service-Unternehmen erhal-ten für diesen Standort eine Lizenz. Damit wird erreicht, dass sich ein Cluster für die Logistikindustrie entwickelt, das allen Vertretern fast unbegrenzte Wachstumsmög-lichkeiten über Jahre hinaus sichert.

Während der Planungs- und Implementierungszeit der Dubai Logistics City ergaben sich deutliche Hinweise auf mittel- und längerfristige Trends für Warenströme. Auf-grund der großen Warenströme über den Transitstandort Dubai und den vielen dort ansässigen Händlern und Logis-tikdienstleistern ergibt sich dort eine hohe Sensibilität für Veränderungen. So haben binnen dreier Jahre die Logistik-dienstleister in Summe die zunächst geplanten Flächen für Lagerhaltung, Distribution und Mehrwertdienstleistung nochmals verdreifacht (allein in der Dubai Logistics City auf 2,5 Mio. m² Lagerhallen, Stand Januar 2008). Dies refl ektiert den Wirtschaftsboom in der Region, der die Kaufkraft des Durchschnittsbürgers stärkt, aber auch für den Zuzug weiterer Menschen sorgt. Die Analyse der Lo-gistikunternehmen zeigt auch, dass ein steigender Anteil der Händler und Dienstleister die Arabische Halbinsel, die CIS-Länder im Norden und vor allem Ostafrika und den in-

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385Roland Zibell

dischen Subkontinent als Märkte für sich entdeckt haben, da auch dort – wenn auch von sehr niedrigem Niveau – hohe Wachstumsraten verzeichnet werden. Damit kommt zur ursprünglich dominanten Rolle Dubais als Transithub zunehmend auch die Funktion als Gateway hinzu. Der Lo-gistik-Mega-Hub Dubai profi tiert davon vor allem deshalb, weil es für die Warenströme derzeit wenig leistungs-fähige alternative Standorte zur Versorgung dieser neuen Märkte gibt. Gleichzeitig ist der Standort Dubai logistisch aber nicht gut dafür gerüstet, ein Hinterland zu versorgen, das hohe Zuwachsraten bei Bevölkerungszahl und Konsum verzeichnet: Da die ursprüngliche Planung des Hafens auf eine Transitfunktion ausgerichtet war, wurde keine Bahn-anbindung in den Plänen berücksichtigt und ist heute auf-grund der Ausrichtung der Piers im Hafen auch im Rahmen der Hafenerweiterung kaum noch nachzurüsten.

Alternativen für globale Warenströme

Unter der Annahme, dass das Volumen der Warenströme von Ost nach West mittelfristig weiter wachsen wird, zei-

gen sich zunehmend Überlastungserscheinungen, sowohl in europäischen als auch in asiatischen Häfen. Als Folge werden die Transportzeiten und -kosten tendenziell stei-gen, was darüber hinaus bereits heute durch die Tatsache verstärkt wird, dass in China produzierende Unternehmen ihre Werke immer weiter ins Hinterland verlagern. Da im Rahmen der Diskussion um die globale Erwärmung auch die Seeschifffahrt mit ihren Emissionen thematisiert wird, stellt sich insgesamt die Frage nach Alternativen für die globalen Warenströme.

Für Warenströme zwischen dem Hinterland Chinas und dem voraussichtlich wachsenden osteuropäischen Konsumgütermarkt bietet sich der Ausbau und die ver-stärkte Nutzung der Bahn über die transkontinentalen Routen an: die sibirische Route, die chinesisch-russische Route und die Südroute via Indien (vgl. Abb. 2). Alle drei Routen sind um mehrere tausend Kilometer kürzer als der Seeweg über den Suezkanal und noch deutlich kürzer, wenn es um die Verbindung der inländischen Standorte Chinas und Europas geht. Allerdings werden selbst im besten Fall

Abb. 1: Integration von Hafen, Flughafen und Logistikpark innerhalb einer Freihandelszone

Quelle: Dubai Logistics City/Dubai Government

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386 Veränderungen globaler Warenströme und die Auswirkungen auf Logistik-Mega-Hubs

die Kapazitäten auf dem Schienenweg nur einen geringen Anteil des Warenstromes übernehmen können, realisti-scherweise nicht einmal das aufgrund des Wachstums im Welthandel zusätzlich anfallende Volumen. Zum Ver-gleich: Die Waren eines einzigen modernen Container-schiffes erfordern (theoretisch) eine Zuglänge von 4500 Waggons. Das heißt, allein aus Shanghai müssten bereits heute mehrere Züge pro Stunde Richtung Europa fahren, um auf den Seeweg verzichten zu können. Hinzu kommt die Tatsache, dass zunehmend Produktionsstätten an vie-le verschiedene Standorte des südlichen Asiens verlegt werden, was den Einsatz der Bahn für Transporte nach Europa erschweren dürfte. Trotzdem wird die zunehmen-de Nutzung der transkontinentalen Bahnverbindungen Auswirkungen auf Standorte von Logistik-Hubs haben. Entlang der Hauptverbindungen zwischen Ost und West werden bedeutende Logistikstandorte auch ohne direkten Zugang zum Meer entstehen. Die für einen Logistik-Hub wichtige Verknüpfung verschiedener Transportmodi oder

Verkehrsträger und Flächen für Lagerhaltung, Distribution und Mehrwertdienstleistung wird allein aufgrund der im östlichen Europa entstehenden Konsumenten- und Produ-zentenmärkte entstehen.

Logistikeffekte der Demografi e

Die Globalisierung, aber auch die politische Stabilität in einer Vielzahl von Ländern, führen zu einem erhöhten Wohlstand in den Schwellenländern Asiens und sogar bereits in einigen Ländern Afrikas. Am deutlichsten wird dies in Indien mit der Herausbildung einer Mittelschicht, die heute durchaus 50 Mio. Einwohner umfasst. In ande-ren Ländern kommen die Einnahmen hinzu, die aufgrund der steigenden Rohstoffpreise erzielt und oft in der eige-nen Region investiert werden. Dieser wachsende Wohl-stand und der damit verbundene Konsum liefert bereits heute einen beträchtlichen Beitrag zum Wachstum der Warenströme (wie oben am Beispiel Dubais erläutert)

Abb. 2: Ost-West-Routen per Bahn als Alternative zum Seeweg

Page 333: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

387Roland Zibell

und leitet die Abkehr vom reinen Ost-West-Denken bezüg-lich der Warenströme ein. Zunächst profi tieren von dieser Entwicklung günstig gelegene Standorte wie Dubai, ohne dass die europäischen oder ostasiatischen Logistik-Hubs große Einbußen hinnehmen müssten.

In den Prognosen zur Struktur der globalen Waren-ströme werden gemeinhin die dramatischen Effekte un-terschätzt, die sich in den nächsten wenigen Jahrzehnten zusätzlich aufgrund der demografi schen Entwicklung ergeben werden. Zwar ist auch in der Vergangenheit die Bevölkerung in vielen Regionen stark gewachsen, in den nächsten Jahrzehnten wird dies allerdings mit einer glo-balisierten und schnell anpassungsfähigen Welt in Kombi-nation eintreten. Märkte, die heute als Versorger oder Ab-nehmer fungieren, werden – relativ gesehen – drastisch an Bedeutung verlieren, dazu zählen vor allem Europa, Amerika und sogar China. „Gewinner“ dieser Entwicklung werden Ostafrika, Westafrika und der Mittlere Osten sein, denn in diesen drei Regionen wird die Bevölkerung fast ungebremst weiter wachsen; so werden zu den heute knapp 1 Mrd. Einwohnern Afrikas bis 2050 noch einmal 1 Mrd. Konsumenten hinzukommen. Im Vergleich dazu wird die Zahl der Einwohner in China zwischen 2025 und 2050

sogar zurückgehen. Selbst in Südostasien und Indien wird sich das Bevölkerungswachstum deutlich abschwächen.

Die Zeiträume von heute bis 2025 oder darüber hinaus mögen als recht weit in der Zukunft erscheinen. Bezüg-lich der Schaffung einer erforderlichen Infrastruktur für die Logistik (Häfen, Bahnen, Straßen) allerdings ist dies nicht viel Zeit, denn allein für Afrika, das heute noch kaum über leistungsfähige Containerhäfen verfügt, sind gewal-tige Anstrengungen erforderlich, um eine Anbindung an die globalen Warenströme zu erreichen. Während heute Logistik-Mega-Hubs in Asien, insbesondere China, Korea etc., entstehen, werden solche in der Zukunft auch an den Küsten Afrikas dazukommen. Neben Standorten wie Du-bai, der künftig eher den Mittleren Osten und die nördlicher gelegenen Länder bedienen dürfte, werden Standorte wie Tanger, Tripolis, Alexandria, Dschibuti, Daressalam etc. zu Kandidaten für neue Logistik-Mega-Hubs. Durchaus könn-ten sich Investoren aus China oder dem Mittleren Osten fi nden, die bereit sind, komplett neue Logistikstandorte mit kompletten Städten zu planen und zu fi nanzieren, so wie derzeit auf der Arabischen Halbinsel zu beobachten (z. B. King Abdullah Economic City).

Beispiel Tanger: Wenn sich Produktionsstätten in Rich-tung Südasien und Afrika verlagern und sich gleichzeitig die Konsumnachfrage in Afrika erhöht, erhält der beste-hende Hafenstandort Tanger eine höhere geostrategische Bedeutung, nämlich als Transit-Hub. Hier können sich Transportströme zwischen Afrika und Europa mit denen aus und nach Asien (sowohl via Suezkanal als auch via Südafrika) treffen. Sogar die Versorgung der Ostküsten Amerikas mit Waren aus Afrika und Südasien könnte über diesen Standort erfolgen, zulasten mancher heutigen Warenströme von China über den Pazifi k an die amerika-nische Westküste.

Beispiel King Abdullah Economic City: Die im Aufbau befi ndliche King Abdulla Economic City (KAEC) liegt in Saudi-Arabien am Roten Meer direkt an der Suezkanal-Route der Seeschifffahrt. Dieser Standort verfügt über ein großes, auch per Bahn erschlossenes Hinterland mit hohen Wachstumsraten bei Konsum und Bevölkerung. Aufgrund des erwarteten Bevölkerungswachstums in Ostafrika und dem Arabischen Raum kann die KAEC für die Region um das Rote Meer und als Umschlagspunkt für die Anbindung an Afrika eine Logistik-Mega-Hub-Funktion einnehmen, so wie es heute Dubai für die Golf-Region, die CIS-Staaten und den indischen Subkontinent darstellt. Die Parallelen zu Dubai sind besonders deutlich, wenn die Rolle gesehen wird, die diese Standorte in der Ver-

Abb. 3: Prognose für das Bevölkerungswachstum nach Weltregionen, geordnet nach stärkstem Wachstum

Quelle: United Nations Population Division (2007)Quelle: United Nations Population Division (2007)

Region 2005-2025 2025-2050

Eastern Africa 59,1 % 48,9 %

Western Africa 54,9 % 46,2 %

Africa 51,2 % 43,3 %

Middle East 38,8 % 25,3 %

Indian subcontinent 29,2 % 16,8 %

SE Asia 23,7% 12,1%

South America 23,3% 12,2%

Latin America and the Caribbean 23,3% 11,8%

Northern America 18,3% 13,3%

Southern Africa 10,3% 7,4%

China 10,1% -2,6%

Northern Europe 7,5% 4,4%

Western Europe 2,4% -1,6%

Southern Europe 1,9% -4,5%

Europe -2,2% -7,1%

Eastern Europe -10,2% -17,1%

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388 Veränderungen globaler Warenströme und die Auswirkungen auf Logistik-Mega-Hubs

knüpfung hoch entwickelter Logistik – mit großen Con-tainerschiffen und moderner Umschlagtechnik – mit einer Vielzahl kleiner Standorte spielen, die heute und auch in weiterer Zukunft nur mit kleineren Schiffen, per Flugzeug und mit einfacher Umschlagtechnik erreichbar sind.

Welcher dieser Standorte sich allerdings wirklich zu einem Mega-Hub entwickeln wird, hängt stark von der jeweiligen politischen Stabilität, den wirtschaftlich-ge-setzlichen Freiheitsgraden, den Rahmenbedingungen für Wettbewerb und Kapital, von der Weitsicht der strategi-schen Planer, dem verfügbaren Kapital und der Geschwin-digkeit der Umsetzung ab.

Die Geschwindigkeit des Wandels

Im Rahmen der Veränderungen der globalen Warenströme stellt die zunehmende Geschwindigkeit des Wandels und die zunehmende Anpassungsfähigkeit der Märkte eine besondere Herausforderung dar. Kleinste Verschiebungen bei Lohnkosten und anderen Faktorkosten oder andere

Einfl üsse können schnelle und umfassende Umstruktu-rierungen verursachen, bis hin zur Verlagerung ganzer Industrien in andere Länder oder Kontinente binnen kur-zer Zeit. Als Beispiel sei genannt, dass binnen des Jahres 2006 große Teile der Textil- und Bekleidungsindustrie von China nach Bangladesch verlegt wurden, ausgelöst von der Erreichung der international festgelegten Quoten pro Land. Es ist abzusehen, dass allein China in den nächsten Jahrzehnten einen Großteil der bestehenden bzw. zusätz-lichen Produktionskapazität aus China herausverlagern wird, zunächst in das südlichere Asien, bald darauf aber in die „verlängerte Werkbank Afrika“.

Aufgrund der Geschwindigkeit und der Dimension ergibt sich für die stark an Infrastruktur gebundene Lo-gistik eine große Herausforderung. Es wird sich zeigen, ob Logistik-Mega-Hubs dies bewältigen können oder ob kleinere und in größerer Zahl entstehende Häfen, Flughä-fen etc. besser und schneller in der Lage sind, auf den schnellen Wandel zu reagieren. Es scheint aber, dass in den betroffenen Ländern in der Logistik auch in Zukunft viel improvisiert werden muss. Dies kann dazu führen, dass auf manches Optimierungspotenzial verzichtet wer-den muss und die Nachhaltigkeit der Entwicklung nicht an erster Stelle stehen wird. Allein die sich ergebenden Flexibilitätsanforderungen werden bewirken, dass die Verkehrsströme nicht allein über Bahn und Container-schiffe der Megaklasse laufen, sondern dass mittelgroße Containerschiffe und auch die Luftfracht eine ganz bedeu-tende Rolle behalten werden.

LiteraturverzeichnisDubai World Central (2007) Introduction to a Quantum Leap for Logi-stics. http://www.dubaiworldcentral.net/fi leadmin/DLC/Download_cen-ter/DLC_Bro.pdfUnited Nations Population Division (2007) The 2006 Revision and World Urbanization Prospects. http://esa.un.org/unpp/

Abb. 4: Geplanter Hafen der KAEC am Roten Meer, mit 10 Mio. TEU Kapazität

Quelle: King Abdullah Economic City/Emaar

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Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung

Detthold Aden

Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Seehafenbetriebe

Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group

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Detthold Aden Jahrgang 1948Aden ist seit 1999 Vorsitzender des Vorstandes der BLG Logistics Group. Nach Ausbildung und Praxisjahren in verschiedenen Unternehmen wurde er 1976 Gründungsgeschäftsführer des Paketdienstes UPS United Parcel Service in Deutschland. 1982 über-nahm Aden die Alleingeschäftsfüh-rung der Bertelsmanntochter VVA,

der späteren Bertelsmann Distribution GmbH. Dem Unterneh-men wurde 1987 der Deutsche Logistik-Preis verliehen. 1988 wurde er zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der Union-Transport-Gruppe berufen. Unter Adens Initiative kam es zur Gründung der Franchisekooperation Unitrans und zum Zusam-menschluss mit der Nedlloyd Gruppe. 1990 übernahm er den Vorsitz der Geschäftsführung der Thyssen Haniel Logistic GmbH und verantwortete die Fusion der Unternehmen Thyssen Trans mit denen der Haniel Spedition. 1995 wurde er Mitglied des Vorstandes der Thyssen Handelsunion AG.

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Die Globalisierung ist das ökonomische Prinzip von global sourcing, global production und global selling. Dabei wer-den diverse und teils sehr unterschiedliche Strategien ver-folgt. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie eine ständige Zunahme der internationalen Arbeitsteilung bewirken und diese wiederum das Welthandelsvolumen deutlich stärker ansteigen lassen als die weltweite Produktion – und zwar etwa mit der doppelten Jahreszuwachsrate.

Interkontinental spielt der Seeverkehr eine dominierende Rolle

Die interkontinentalen Güterströme laufen zu fast 99 Pro-zent über die Seewege. Dabei spielt das weltweit normierte Transportsystem Container eine dominante Rolle. Vielseitig-keit, Zuverlässigkeit und Preis-Leistungs-Verhältnis des Sys-tems sind in dieser Kombination ohne Parallele. Im laufenden Globalisierungsprozess bestätigt sich seit etlichen Jahren in etwa die Faustregel: Ein Prozent Wachstum der weltweiten Produktion generiert zwei Prozent Wachstum des Welthan-delsvolumens und drei Prozent Wachstum des Containerver-kehrs. 2007 wurden auf den Containerterminals weltweit rund 450 Mio. Standardcontainer (TEU) umgeschlagen. Bis 2010 wird diese Zahl auf über 500 Mio. TEU steigen.

Daneben gewinnen die Nord-Süd-Achsen ständig an Bedeutung. Dies sind Verbindungen zwischen Europa und Südafrika, Nordamerika und Südamerika sowie entlang der asiatischen Küsten. Diese Verbindungen werden mit deep sea carriers bestritten.

Zudem verkehren zahlreiche Feederschiffe (short sea carriers) zwischen den Hauptcontainerhäfen und klei-neren Terminals mit Regionalcharakter. Damit ist das System Container weltweit nach Fahrplänen vernetzt und alle Transportabläufe lassen sich exakt planen.

Das Transportsystem Container

Der Container ist der eigentliche Wegeereiter der Glo-balisierung. Als der amerikanische Spediteur Malcolm McLean Mitte der 1950er Jahre mit der „Ideal X“ das ers-te Containerschiff der Welt auf die Reise schickte, ahnte er noch nicht, welche Welle er letztlich damit auslösen

würde. McLean setzte seine Schiffe zunächst nur entlang der US-Ostküste ein. Im Vietnamkrieg leistete er mit con-tainerisierten Verkehren über den Pazifi k einen Beitrag zur Versorgung der amerikanischen Truppen. Für die Rück-wege akquirierte er Ladung in Japan.

Damit war der Beweis erbracht, dass Container auch im Überseeverkehr erfolgreich eingesetzt werden konn-ten. 1966 folgte der Schritt über den Atlantik. Bremen und Rotterdam waren die ersten Containerhäfen in Europa. In den 1970er Jahren gelang die weltweite Normierung des Transportsystems Container für den See- und Land-verkehr. Damit war der Standardbehälter universell ein-setzbar. Die großen Container-Hubs bieten heute täglich mehrere Schiffsabfahrten in die Hauptregionen der Welt-wirtschaft. Das heißt, es besteht jeden Tag mehrfach die Möglichkeit, einen Container nach Asien oder Amerika auf den Weg zu bringen. Die fahrplanmäßige Genauigkeit des Systems und das gesamte Preis-Leistungs-Verhältnis sind ohne Vergleich. Die Kosten für den Transport eines Contai-ners sind im Vergleich zu den transportierten Warenwer-ten sehr gering. Nur mit dem Container ist Supply Chain Management im interkontinentalen Maßstab realisierbar.

Tendenz zu größeren Containerschiffen

Mit den wachsenden Containerströmen nehmen auch die Schiffsgrößen zu. Bei den deep sea carriers sind die größten Schiffe gegenwärtig knapp 400 Meter lang und können in der Breite bis zu 22 Containerreihen transportieren. Bei einem Tiefgang von gut 15 Metern lässt sich daraus eine Stellka-pazität von bis zu 15 000 TEU ableiten. Der Trend zu größeren Schiffen wird von ökonomischen Parametern bestimmt – insbesondere den Kosten pro transportiertem Container.

Noch größere Containerschiffe sind technisch kein Problem. Problematisch sind Tiefgänge von mehr als 15 Metern, weil dann zu viele Häfen auf der Welt von sol-chen Schiffsgrößen nicht mehr angelaufen werden könn-ten. Nicht überall lassen sich die wasserseitigen Zufahr-ten anpassen, wenn der Grund aus Felsen besteht. Wer als großer Containerhafen (hub) auch in Zukunft bestehen will, muss den Großschiffen zumindest weitgehend tidefreien Verkehr gewährleisten. Parallel zur Größenentwicklung

Seehäfen – Logistische Netzknoten der GlobalisierungDetthold Aden

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394 Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung

der deep sea carriers werden zunehmend größere Feeder-schiffe eingesetzt.

Globalisierungsgewinner Deutschland

Im Zuge der Globalisierung spielt Deutschland eine im Vergleich zu seiner Größe sehr große Rolle. Das Außen-handelsvolumen lag vorläufi gen Berechnungen zufolge bei rund 1,8 Billionen Euro. Die Position als Exportwelt meister hat sich jedenfalls auch 2007 wieder bestätigt. Nach Ein-schätzung der Wirtschaftsforschungsinstitute werden die Ausfuhren in diesem Jahr sogar die Billionengrenze überspringen. Als Exportweltmeister werden wir 2008 allerdings höchstwahrscheinlich von China abgelöst. Auch bei den Einfuhren spielt Deutschland eine starke Rolle. Importweltmeister sind wir zwar nicht, gehören aber mit 82 Mio. Konsumenten immerhin zu den Hauptkunden auf dem Weltmarkt.

Das gegenwärtige Wirtschaftswachstum in Deutschland resultiert fast ausschließlich aus den Exporten. Von der Stärke des Außenhandels profi tiert besonders auch die Transport- und Logistikbranche. Mit rund 200 Mrd. Euro Jahresumsatz und annähernd drei Mio. Beschäftigten liegt sie nach der Automobilindustrie und dem Gesund-heitswesen auf Platz drei der Schlüsselbranchen in Deutschland. Allein die deutschen Seehäfen sorgen direkt und indirekt für rund 500 000 Arbeitsplätze. Mehr als die Hälfte davon sind allein durch die bremischen Häfen und Hamburg induziert.

Durch die Erweiterung der EU haben sich die Außen-grenzen erheblich nach Osten und Südosten verschoben. Damit ist Deutschland in eine geografi sche Mittelpunkts-lage gerückt. Da einige der neue Mitgliedstaaten keine eigenen Seehäfen haben und andere an Nebenmeeren liegen, die von großen Containerschiffen nicht direkt angelaufen werden, kommt den Nordseehäfen Bremen/

Abb. 1: Die Fairland war das erste Containerschiff, das über den Atlantik nach Europa kam. Es wurde am 6. Mai 1966 im Bremer Überseehafen entladen.

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395Detthold Aden

Bremerhaven und Hamburg sowie künftig auch Wilhelms-haven mit dem geplanten JadeWeserPort eine erheblich gewachsene Bedeutung zu. Die Hubs sind nicht nur Dreh-scheiben für die gesamte deutsche Wirtschaft, sondern auch für weite Teile Ost- und Südosteuropas.

Die Steigerung der Produktivität und Effi zienz beim Hafenumschlag setzt auch eine entsprechende Qualifi zie-rung der wachsenden Belegschaften voraus. Die Unter-nehmen in den deutschen Seehäfen werden deshalb bis 2012 insgesamt 2800 Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren und damit neue, sozialversiche-rungspfl ichtige Arbeitsplätze schaffen. Der Bund wird mit der „Qualifizierungsoffensive Seehafenlogistik“ finan-zielle Mittel dafür bereitstellen. Mit der Integration von Langzeitarbeitslosen in die Hafenarbeit werden bereits seit einigen Jahren sowohl in Hamburg als auch in den bremischen Häfen gute Erfahrungen gemacht.

Seehäfen entwickeln sich zu logistischen Netzknoten

Die großen Seehäfen sind heute nicht lediglich Bünde-lungs- und Umschlagszentren der Güterströme an der

Schnittstelle zwischen Land und See, sondern zuneh-mend auch logistische Netzknoten mit einem erheblich erweiterten Leistungsprofi l. Geografi sche Reichweite und Dienstleistungstiefe wurden zum Beispiel in den bremischen Häfen stark ausgebaut. Ein modernes, see-hafenorientiertes Logistikunternehmen hat inzwischen durchaus die Kompetenz zum Supply Chain Management im interkontinentalen Stil entwickelt und das traditionelle Hafendenken mit der Konzentration auf den Seegüterum-schlag an einem einzigen Standort überwunden.

Industrie und Handel fordern in der Globalisierung kompetente logistische Netzwerke und keine Einzellösun-gen. Die Antwort darauf sind Terminal-, Transport- und Dienstleistungsnetzwerke mit zumindest kontinentalen und besser noch interkontinentalen Reichweiten.

Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Mercedes montiert an diversen Standorten in Übersee eine breite Fahrzeug-palette, unter anderem im brasilianischen Juiz de Fora das Coupé der erfolgreichen C-Klasse. Diese Fahrzeuge sind ausschließlich für den Export bestimmt, die meisten für Europa. Die Bauteile kommen größtenteils aus den deut-schen Mercedes-Werken und von deutschen Zulieferern. Die Konsolidierung aller Teile von rund 200 Zulieferern und

Abb. 2: Containerterminal Bremerhaven heute

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396 Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung

aus den Mercedes-Werken erfolgt in einem Logistikzent-rum der BLG in Bremen. Dort werden geklebte Karosserie-teile gehärtet und für den Transport konserviert. Teilweise werden auch Vormontagen von Baukomponenten vorge-nommen. Mit diesen value-added services ist der Logis-tiker die verlängerte Werkbank des Herstellers.

Nach Maßgabe der Montagelinie in Juiz de Fora ver-packt und containerisiert der Logistiker in Bremen alle er-forderlichen Bauteile und bringt die Behälter per Binnen-schiff auf den Weg zum Containerterminal Bremerhaven zur Verschiffung nach Südamerika. In Juiz de Fora hat ein Joint Venture des Logistikers die komplette Werkslogistik übernommen. Dort entstehen mehrere 10 000 Fahrzeuge pro Jahr. Am Ende der Montagelinie werden die fertigen Fahrzeuge angenommen und über Rio de Janeiro nach Deutschland verschifft. Auf dem Autoterminal in Bremer-haven durchlaufen sie das Technikzentrum, erhalten die PDI (pre-delivery inspection) und werden anschließend per Lkw in das Händlernetz verteilt.

Damit ist die Supply Chain von der Entstehung der Fahrzeuge bis zu den Händlern komplett. Der Logistiker unterstützt den Hersteller vom Sourcing über die Produc-

tion bis hin zum Selling und hat seine eigene Wertschöp-fung damit erheblich gesteigert. Die Dienstleistungstiefe befruchtet die Logistikzentren ebenso wie die Container- und Autoterminals, zudem die Bereiche Automobiltechnik und Fahrzeugtransporte.

Ein weiteres Beispiel für die Schlüsselrolle eines see-hafenorientierten Logistik-Providers sind Dienstleistun-gen für Tchibo. In Bremen baute der Logistiker für über 100 Mio. Euro den größten und modernsten Hochregal-lagerkomplex des Kontinents. Alle Gebrauchsartikel, die unter dem Slogan „Jede Woche eine neue Welt“ in 54 000 Verkaufsstellen in Deutschland und Europa vertrie-ben werden, durchlaufen das zentrale Lager in Bremen. Zudem erfolgt die Nachversorgung aller Verkaufsstel-len direkt aus dem Bremer Logistikzentrum. Ein Großteil dieser Waren kommt per Container aus Asien über die Containerterminals des Logistikers in Bremerhaven und Hamburg. Damit profi tieren auch die Terminals von diesen handelslogistischen Dienstleistungen.

Ebenso über Bremen werden alle Kunden in ganz Europa und mehreren Ländern Afrikas direkt mit Kopierern und Faxgeräten von Konica Minolta beliefert. Dabei sorgt

Abb. 3: Die EBBA MAERSK und ihre sieben Schwestern sind gegenwärtig die größten Containerschiffe der Welt.

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397Detthold Aden

der Logistiker auch für die länderspezifi sche Konfi gurie-rung der Business Electronics und übernimmt auch tech-nische Umrüstungen. Die Geräte und das entsprechende Zubehör kommen per Container aus Japan. Im Zuge einerUmstrukturierung des Vertriebssystems ließ Konica Minolta das gesamte Leistungspaket neu ausschreiben. Eine der Bedingungen war dabei, dass das Logistik zentrum künftig am Rhein im Ballungsgebiet Nordrhein-Westfalen angesiedelt sein muss. Der Bremer Logistiker erhielt den Zuschlag, lässt gegenwärtig am Standort Emmerich ein neues Logistikzentrum mit 80 000 Quadratmetern Fläche errichten und wird das Geschäft im Sommer von der Weser an den Rhein verlagern. Damit verbunden ist die Ausweitung der Logistikleistungen auf die Druckerpalette dieses Herstellers – und etwa 200 neue Arbeitsplätze. Die frei werdenden Flächen im Logistikzentrum Bremenwerden dringend für das Wachstum in den Bereichen Autoteile- und Handelslogistik benötigt.

Die Beispiele zeigen, wie sich ein ursprünglich lokales Hafenumschlagsunternehmen auf der Basis seiner tradi-tionellen Kompetenz in die weltweite Logistik hinein ent-wickelt hat. Die geografi sche Reichweite und die Dienst-leistungstiefe umfassen zahlreiche Aufgaben, die mit dem klassischen Hafengeschäft im Grund nichts zu tun haben. Damit wurde die logistische Kompetenz ausgebaut, die Wertschöpfung deutlich gesteigert und die Beschäftigung erhöht. Das Unternehmen hatte vor zehn Jahren 2500

Mitarbeiter und bietet heute einschließlich seiner Betei-ligungen weltweit schon mehr als 13 500 Arbeitsplätze, etwa 6500 davon allein im Bundesland Bremen.

Der Logistiker bietet den globalen Märkten Dienstleis-tungen bis hin zum kompletten Supply Chain Management. Die Kunden aus Industrie und Handel nutzen diese Kom-petenz entweder komplett oder aber als individuell maß-geschneiderte Leistungspakete. Für die BLG ist es heute prinzipiell gleichgültig, welche Leistungen oder Leistungs-pakete auf welchem Kontinent von den Kunden gefragt sind. Sie müssen allerdings durch die spezifi sche Kompe-tenz der operativen Geschäftsbereiche Automobil, Contai-ner- und Kontraktlogistik passen. Zudem gibt es weitere Bemessungskriterien: den Kunden, das jeweilige Geschäft und zudem auch länderspezifi sche Aspekte. Mindestens zwei dieser Kriterien müssen erfüllt sein, wenn man eine neue Logistikdienstleistung erfolgreich realisieren will.

Die Position der deutschen Seehäfen

Die deutschen Seehäfen erreichten 2006 erstmals einen Ge-samtumschlag von über 300 Mio. Tonnen. Sie sind auch 2007 weiter gewachsen und lagen mit einem Plus von etwa sechs Prozent bei 318 Mio. Tonnen. Bis 2010 wird sich das Auf-kommen jährlich um durchschnittlich fünf Prozent erhöhen, so die aktuelle Mittelfristprognose des Bundesverkehrsmi-nisteriums. Nach der neuen Seeverkehrsprognose steigt das

Abb. 4: Karosserieteile werden im Logistikzentrum Bremen zum Transport nach Übersee vorbereitet und in Container verpackt.

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398 Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung

Aufkommen der deutschen Seehäfen bis 2025 insgesamt um das Eineinhalbfache auf 759 Mio. Tonnen. Dabei wird sich der Containerumschlag auf 45,3 Mio. TEU mehr als ver-vierfachen und der Fähr- und Ro/Ro-Verkehr der deutschen Ostseehäfen auf 71,7 Mio. Tonnen etwa verdreifachen.

Kein anderer Wirtschaftsbereich in Deutschland hat eine so erfolgreiche Entwicklung vorzuweisen und so gute Perspektiven für die Zukunft wie die Transport- und Logis-tikbranche. Und dabei spielen die Seehäfen eine heraus-ragende Rolle. Dies ist auch ein Verdienst der deutschen Seehafenpolitik. Es ist jedoch unerlässlich, diese Erfolge nachhaltig zu gestalten und dauerhaft zu sichern. Dabei ist es wichtig, zu investieren, zu optimieren und strategisch zu koordinieren. Um die Wachstums- und Beschäftigungs-chancen zu nutzen, muss konsequent in die Seehäfen und ihre Verkehrsanbindungen investiert werden.

Infrastrukturanpassung ist ein Wettlauf mit der Zeit

Bei einem durchschnittlichen Wachstum des Container-verkehrs von sechs bis acht Prozent im Jahr, was in den

90er Jahren die Regel war, verdoppelt sich der Trans-port von Containern und der Umschlag in den Seehäfen etwa alle zehn Jahre. Dieser Zeitraum reichte aus, um die Verkehrsinfrastruktur in den Seehäfen der Nachfrage anzupassen. Bei Wachstumsraten zwischen zwölf und 14 Prozent verkürzt sich der Zeitrahmen auf die Hälfte. Das heißt, die Seehäfen können der Entwicklung kaum folgen. Terminalkapazitäten sind trotz ehrgeiziger Planungen und konkreter Ausbauprojekte fast überall knapp.

Noch gravierender ist das Problem der Verkehrsinfra-struktur im Binnenland und damit auch bei den Hinterland-verbindungen der Seehäfen. Plan- und Planfeststellungs-verfahren dauern vor allem in Deutschland viel zu lange. Es gibt Verkehrsprojekte, die seit mehr als 20 Jahren in der Planung sind, und bislang wurde noch nicht einmal der erste Spatenstich vollzogen.

Für die Containerreeder sind zweistellige Wachstums-raten kein Problem. Schiffe lassen sich bei der heute üblichen Fertigung in kleinen Serien relativ schnell bauen. So hat die zum APM-Konzern gehörende Werft Odense Steel Shipyard Ltd. die EMMA MAERSK und ihre sie-ben gigantischen Schwesterschiffe in weniger als zwei

Abb. 5: Über das Hochregallager in Bremen versorgt Tchibo 54 000 Verkaufsstellen in Deutschland und Europa mit Gebrauchsartikeln.

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399Detthold Aden

Jahren fertiggestellt. Weltweit haben die Werften Ende 2007 rund 1500 Containerschiffe mit fast sieben Mio. TEU Stellkapazität zur Ablieferung bis 2010 in ihrem Auftrags-bestand. Darunter sind etwa 300 Mega-Carrier für mehr als 8000 TEU. Die Weltcontainerfl otte wächst damit im Jahresdurchschnitt um annähernd 14 Prozent.

Die Anpassung der Verkehrsinfrastrukturen der See-häfen und deren Hinterlandverbindungen ist ein Wettlauf mit der Zeit. Die deutschen Seehäfen werden 2008 etwa 17 Mio. TEU umschlagen und damit weiter zweistellig wachsen. In Bremerhaven ist die Terminalerweiterung CT 4 im Bau. Sie wird im Sommer 2008 komplett betriebs-bereit sein und das Containerterminal um 1,7 auf rund fünf Kilometer verlängern. Hamburg plant, seine Terminal-kapazitäten bis 2015 zu verdoppeln. Der JadeWeserPort in Wilhelmshaven ist in der Planung und kann frühestens 2010 den Teilbetrieb aufnehmen.

Aber auch wenn es gelingt, den Neubau von Terminals und den Ausbau vorhandener Kapazitäten einigermaßen

bedarfsorientiert voranzutreiben, bleibt ein Risiko. Denn: Der beste Hafen ist nicht besser als seine Hinterlandver-bindungen. Ein Wettlauf mit der Zeit entscheidet folglich darüber, ob Deutschland seine Chancen nutzen und die starke Position im Welthandel und als führende Logistik-drehscheibe Europas auch dauerhaft behaupten kann.

Die Bereitschaft von Hafenunternehmen, Bund und Küstenländern, in die Zukunft dieser wachstums- und be-schäftigungsintensiven Branche zu investieren, ist sehr ausgeprägt. Das Bewusstsein um die Notwendigkeit ist vorhanden, allerdings fehlt das Tempo. Zudem muss die Finanzierung der als vordringlich geplanten Maßnahmen gesichert werden. Absichtserklärungen allein reichen nicht.

Herausforderung der Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

Darüber hinaus gibt es ein weiteres Problem. Der Begriff Klimawandel und seine absehbaren Folgen sind 2007

Abb. 6: Die Überseehäfen in Bremerhaven mit den Frucht- und Fahrgastterminals im Vordergrund, rechts die Autoterminals und im Hintergrund der jetzt fast fünf Kilometer lange Containerterminal.

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400 Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung

sehr stark in das Bewusstsein der Weltbevölkerung ge-drungen. Die weltweite Wachstumsbranche Transport und Logistik muss sich dem Thema stellen.

Es ist eine Herausforderung: Die zu erwartenden um-welt- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung müssen von den Verkehrsträgern erfüllt werden. Patent-rezepte gibt es nicht, sondern bislang nur unkoordinierte Einzelvorstellungen mit teils sogar fragwürdigen Erfolgen. Sicher ist aber: Wir müssen deutlich steigende Trans-portmengen bewältigen, um die Qualität des Hafen- und Logistikstandortes Deutschland zu erhalten und weiter-zuentwickeln. Dabei müssen wir alle Möglichkeiten aus-schöpfen, um eine Reduzierung der Schadstoffemissionen zu erreichen. Die bislang bekannten technischen Mög-lichkeiten sind relativ gering und reichen allenfalls aus, um die negativen Effekte der steigenden Güterverkehre auszugleichen.

Aus Sicht der Logistikbranche ist ein koordiniertes Maßnahmenbündel erforderlich. Wesentlich dabei sind:

Vermeidung von Staus durch intelligente Verkehrsleit-systeme, zielgerichteter Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen mit straffer Bedarfsorientierung, zeitliche Entzerrung des Güterverkehrs durch Mautspreizung, fl üssigere Verkehrs-gestaltung auf den Autobahnen durch Überholverbote und automatisierte Verkehrsregelungen etc. Ferner muss die Schieneninfrastruktur verbessert werden und verstärkt den Bedarf des wachsenden Güterverkehrs berücksichtigen.Die Beseitigung der administrativen Hemmnisse im Be-reich des short sea shipping (z. B. Zollbehandlung) würde die Küstenverkehre wettbewerbsfähiger gestalten.

Hohe Investitionsbereitschaft in Politik und Hafenwirtschaft

Die deutsche Hafenwirtschaft wird bis 2012 insgesamt 3,2 Mrd. Euro in den Ausbau ihrer Terminals investieren. Die Küstenländer wollen 4,3 Mrd. Euro in den Ausbau ihrer Hafeninfrastrukturen und der Bund bis 2010 weitere

Abb. 7: So ist das Containerterminal JadeWeserPort in Wilhelmshaven geplant.

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401Detthold Aden

5,1 Mrd. Euro in den Ausbau der seewärtigen Zufahrten und der Hinterlandanbindungen investieren. Insgesamt ist damit ein Investitionsvolumen von 12,6 Mrd. Euro für den Ausbau der deutschen Seehäfen und ihrer Anbindungen geplant.

Ein großer Teil der prioritären Projekte ist Bestandteil des Investitionsrahmenplans 2010 für die Verkehrsinfra-struktur des Bundes. Von den prioritären Wasserstraßen-projekten sind alle Maßnahmen in den Plan eingefl ossen: die Fahrrinnenanpassungen von Außen- und Unterweser sowie Außen- und Unterelbe, der Ausbau der Mittelweser mit Bau der Schleusen in Dörverden und Minden sowie die Schleusen am Elbe-Lübeck-Kanal. Darüber hinaus ist auch der Ausbau der Oststrecke des Nord-Ostsee-Kanals Bestandteil des Investitionsrahmenplans. Diese Maß-nahme ist wichtig, damit der Nord-Ostsee-Kanal nicht zum Engpass für Feeder-Verkehre zwischen Nord- und Ostsee wird.

Aber auch die seewärtigen Zufahrten zu den Häfen Emden und Wismar müssen ausgebaut werden. Dafür fehlen allerdings noch die planerischen Voraussetzungen. Machbarkeitsstudien sind aber bereits in Arbeit. Beide

Maßnahmen müssen nachträglich in den Bundesverkehrs-wegeplan aufgenommen werden.

Von den prioritären Schienenprojekten wurden in den Investitionsrahmenplan aufgenommen: die Y-Trasse, die Elektrifi zierung der Strecke Hamburg – Lübeck, der Ausbau der Strecke Oldenburg – Wilhelmshaven sowie der dreigleisige Ausbau der Strecke Stelle – Lüneburg. Prognosen gehen davon aus, dass die Häfen Hamburg, Bremen/Bremerhaven und Wilhelmshaven bis 2015 täg-lich von 300 Güterzügen zusätzlich angefahren werden. Ohne die Y-Trasse würden die Straßen täglich mit 4850 Lkw zusätzlich belastet.

Nicht in den Investitionsrahmenplan aufgenommen wurde der Ausbau der Strecken Rostock – Berlin, Berlin – Pasewalk – Stralsund. Der Ausbau dieser Strecken soll jedoch im Rahmen der Investitionsmittel zur Erhaltung des bestehenden Schienennetzes erfolgen.

Von den Bundesfernstraßen-Projekten sind im Inves-titionsrahmenplan berücksichtigt: der sechsstreifi ge Aus-bau der A 1 und A 7, der Weiterbau der A 281 – Eckverbin-dung in Bremen sowie der Neubau der A 26 von Stade (A 20) nach Hamburg (A 7).

Abb. 8: Containerganzzüge verbinden fahrplanmäßig die großen Terminals mit den Wirtschaftszentren in Deutschland und Europa.

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402 Seehäfen – Logistische Netzknoten der Globalisierung

Nicht aufgenommen wurden dagegen der Weiterbau der A 20 von Lübeck (A 1) nach Stade (A 26) mit Elbquerung sowie der Neubau der Strecke A 29 Lüneburg – Wolfs-burg. Hier liegen die planerischen Voraussetzungen noch nicht vor. Dies gilt auch für die Küstenautobahn A 22 und die Hafenquerspange. Die deutschen Seehäfen benötigen diese Maßnahmen jedoch dringend und setzen darauf, dass auch diese Projekte zügig vorangebracht werden.

Um die Erfolge der deutschen Seehafenpolitik zu sichern, müssen die fi nanziellen Mittel für diese Projek-te bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden. Neben der Notwendigkeit, konsequent in den Ausbau der See-hafenanbindungen zu investieren, kommt es darauf an, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur optimal zu nutzen. Durch Innovationen soll die Leistungsfähigkeit der Supra- und Infrastruktur optimiert werden. Wir wollen daher in konzertierter Aktion mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen die Technologien im Hafen- und Terminal-bereich sowie im Hinterlandverkehr ausbauen und damit die Hafenlogistik stärken.

Der Bund fördert ISETEC II

Das Bundeswirtschaftsministerium hat dafür das neue Technologieprogramm „Innovative Seehafentechnologien II“ (ISETEC II) ausgeschrieben. Es knüpft an den Erfolg des ISETEC I-Programms der Jahre 1985 bis 1995 an, das im Zuge der ersten Containerisierungswelle im Seetransport aufgelegt wurde. Mit dem neuen Förderprogramm sollen die Flächenproduktivität gesteigert und die Intermodalitätverbessert werden. Hierfür sind Fördermittel in einer Größen ordnung von 30 Mio. Euro vorgesehen. Das Pro-gramm ISETEC II läuft von Anfang 2008 bis Ende 2011.

Zudem kommt es bei der Sicherung der Erfolge deut-scher Seehafenpolitik auch darauf an, strategisch zu koor-dinieren. Auf nationaler Ebene ist es wichtig, die Strategie für die see- und landseitige Anbindung der Häfen auf der Grundlage der „Gemeinsamen Seehafenplattform“ weiter-zuentwickeln. Dies darf jedoch nicht zu einem Hafenkon-zept führen, bei dem der Schiffsverkehr nach Tiefgängen auf einzelne Häfen verteilt wird. Die Häfen müssen für alle Schiffe erreichbar sein. Deshalb ist der Bau des Tiefwas-serhafens JadeWeserPort in Wilhelmshaven kein Ersatz für die Vertiefungen der seewärtigen Zufahrten zu den Häfen Hamburg und Bremerhaven. Er ist eine langfristige Ergän-zung der Terminalkapazitäten an der Deutschen Bucht.

Auf EU-Ebene kommt es darauf an, nationale Spiel-räume zu erhalten, um das Gewerbegebiet Hafen nach standortspezifischen Strategien weiterentwickeln zu

können. Gleichzeitig müssen durch Beihilfeleitlinien und Transparenzregelungen faire Wettbewerbsbedingungen für die europäischen Seehäfen geschaffen werden. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom Oktober 2007 zur künftigen EU-Seehafenpolitik die An-liegen der deutschen Seehäfen berücksichtigt.

Die Idee des Infrastrukturfonds

Zum Thema der Infrastrukturfi nanzierung unterstütze ich den Vorschlag, einen Infrastrukturfonds aufzulegen. Die Idee ist in der Fachwelt zwar umstritten, aber bereits bis in den Bundestag vorgedrungen. Damit ist die Chance ge-geben, dass sie in die Gespräche der Föderalismuskom-mission aufgenommen wird. Der Infrastrukturfonds sollte kein Besitzfonds, sondern ein reiner Finanzierungsfonds sein. Der Sinn ist ausschließlich, ergänzende Mittel zu den Haushalten der Verkehrsminister für die Verkehrs-infrastruktur zu generieren.

Bei einer Beteiligung des Bundes und der Länder ist ein solcher Finanzierungsfonds nicht konkursfähig und damit eine sichere Anlage für das reichlich vorhandene Kapital. Mit diesem Fonds werden dann Infrastrukturen fi nanziert, die sich beispielsweise durch die Maut in angemessenen Zeiträumen zurückzahlen lassen. Ein Beispiel für eine Fonds-fi nanzierung könnte die Küstenautobahn A 22 einschließlich der erforderlichen Brücken oder Tunnel werden.

Ich denke bei dem Fondsmodell allerdings nicht daran, Hafenterminals zu fi nanzieren, und ich denke vor allem nicht daran, dass diese Form der Finanzierung die Kosten für die Nutzung gegenüber dem Status quo verteuert. Ver-kehrsinfrastrukturen gehören zur sogenannten öffentli-chen Daseinsvorsorge, und der Besitz muss folglich immer bei der öffentlichen Hand verbleiben. Diese Form der Fi-nanzierung darf auch nicht die nutzerspezifi schen Kosten erhöhen. Besitzfi nanzierung – also PPP-Modelle – gehört für mich nicht dazu.

Fazit

Durch die Globalisierung wächst das Welthandelsvolumen etwa mit der doppelten Rate der globalen Produktion. 99 Prozent der interkontinentalen Transporte laufen über See. Der Container ist das Haupttransportsystem im Rah-men der Supply Chains von Industrie und Handel. Zuver-lässigkeit und Preis-Leistungs-Verhältnis des Containers sind ohne Alternative. Mit dem zunehmenden Welthandel hat sich die Containerschiffsgröße auf Stellkapazitäten bis zu mehr als 10 000 TEU entwickelt.

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403Detthold Aden

Seehäfen sind die Schnittstellen zwischen See und Land. In der Erweiterung der traditionellen Hafenorientierung als lokale Umschlags- und Lagerzentren wachsen die Seehäfen zunehmend in Kompetenzen der internationalen Logistik hinein. Dienstleistungstiefe und geografi sche Reichweite werden ausgebaut. Beispiele aus Bremen belegen die Kom-petenz bis hin zum Supply Chain Management.

Deutschland ist Exportweltmeister und auch einerder größten Kunden des Weltmarktes. Durch die EU-Osterweiterung und die wachsende Wirtschaft in Russland ist Deutschland zu einer logistischen Dreh-scheibe für weite Teile Zentral- und Osteuropas ge-worden. Die Wachstumsbranche Transport und Logistik beschäftigt hierzulande bereits annähernd drei Mio. Menschen und verzeichnet einen Jahresumsatz von rund 200 Mrd. Euro. Dabei spielen die Seehäfen eine zentrale Rolle. 2007 summierte sich der Gesamtumschlag auf etwa

318 Mio. Tonnen. Der Containerverkehr wächst zweistel-lig. Die deutschen Seehäfen beschäftigen direkt und indirekt rund 500 000 Menschen. Der Ausbau der See-häfen und der Verkehrswege muss sehr zügig erfolgen, um die starke Position Deutschlands als Logistikdrehscheibe in der Globalisierung und die Wachstumsbranche nicht zu gefährden. Das ist schwierig, da die Planungs- und Planfeststellungsverfahren extrem langwierig sind. Zudem muss die Finanzierung für den Ausbau der was-ser- und landseitigen Verkehrsinfrastruktur gesichert werden.

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Verkehr, Institut für Seeverkehr und Logistik, Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe, Fraunhofer Institut Nürnberg, Bundesvereinigung Logistik, diverse Fachmagazine, eigene Erhebungen der BLG LOGISTICS GROUP

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Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit

Kay Middendorf

Sprecher der Geschäftsführung der Tchibo Logistik GmbH

Tchibo wurde 2004 mit dem Deutschen Logistik-Preis ausgezeichnet.

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Kay MiddendorfJahrgang 1956Middendorf ist seit 1997 Sprecher der Geschäftsführung der Tchibo Logistik GmbH in Bremen. Er absol-vierte ein Studium der Betriebswirt-schaftslehre, das er 1984 abschloss. Von 1984 bis 1996 war er bei der EduScho GmbH & Co KG tätig, zu-letzt als Geschäftsführer mit Res-sortverantwortung für Logistik.

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Einleitung/Vorbemerkung

Der gesellschaftliche Wertewandel hinterlässt Spuren in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens. Der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, der sich schwerpunkt-mäßig mit internationalen Bemühungen zur CO2-Reduktion auseinandergesetzt hat, hat gezeigt, dass die Emissions-reduzierung nicht mehr nur Gegenstand von außerparla-mentarischer Opposition und Nichtregierungsorganisa-tionen ist, sondern Legislative und Exekutive erreicht hat – national wie international.

Gleichzeitig nimmt die internationale Arbeitsteilung we-sentlich schneller zu als die Perspektive des „alten Europa“ vordergründig sichtbar werden lässt. Während das Brutto-sozialprodukt in den Industrieländern seit drei Jahrzehnten nur noch im unteren einstelligen Bereich wächst oder gar stagniert, wächst die Volkswirtschaft in einigen „Schwel-lenländern“ seit Jahren zweistellig. China ist auf dem Weg zur stärksten Exportwirtschaft der Welt – das Wachstum wird vorrangig getragen durch Produktionsverlagerungen aus den klassischen Industrieländern (Konsumgüter). Der Arbeitskostenvorteil in China erzwingt Offshoring- und Out-sourcingaktivitäten, Produktionslinien werden verlagert. Ein später Sieg für Adam Smith: Der „Wohlstand der Nationen“ wächst aufgrund der Arbeitsteilung; in den Industrielän-dern werden Produkte auch für untere Einkommensgruppen verfügbar gemacht, die früher unerschwinglich waren (Unterhaltungselektronik, Textilien, Computertechnologie etc.), in den Schwellenländern wächst der Wohlstand, allerdings wohl nicht in allen Schichten gleichmäßig.

Damit einher geht die explosionsartige Zunahme von „Verkehr“ und Logistik, um die räumliche Distanz zwi-schen Nachfrage und Angebot zu überbrücken. Nahezu alle Werften weltweit sind über Jahre hinaus mit Auf-trägen versorgt, um den zusätzlichen Schiffsraum für das prognostizierte Wachstum des Handels bereitzustellen – insbesondere Containerschiffe.

Wachsende Arbeitsteilung induziert zusätzliche Emis-sionen, ggf. auch andere Störungen des ökologischen Gleichgewichtes. Eine Logistik – wie die von Tchibo –, die konsumentengetrieben ist und sich als unterstützendes Element des „brand building“ versteht, muss für einen

Interessenausgleich zwischen Globalisierung und Nach-haltigkeitszielen sorgen.

Zur Systematisierung der Aufgabenstellung haben wir bei Tchibo im Jahr 2007 zwei Dinge getan:

1. Wir haben unter dem Begriff „corporate responsibility“ eine eigene Organisationseinheit geschaffen, die alle unter dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ subsumierten Aktivitäten koordiniert – „Rainforest“-Projekte, ökolo-gischer Kaffeeanbau, Klimaschutz etc.

2. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität in Harburg und dem Bundesumweltminis-terium ein Projekt namens LOTOS (Logistics towards sustainability) aufgelegt, das in einem zweistufi gen Verfahren zunächst die CO2-Bilanz des Unternehmens Tchibo erstellt und anschließend in Expertenrunden Möglichkeiten und Handlungsoptionen zur Reduzie-rung der Emissionen aufzeigt. Aus Sicht des Unternehmens geht die Aufgabe noch ein Stück weiter als aus Sicht der Projektbeteiligten: „Was kann und was muss die Logistik tun, um der Marke „Tchibo“ „Flankenschutz“ zu geben (ein be-wusst gewählter Begriff aus der ursprünglichen, mili-tärisch geprägten Logistik-Begriffswelt des Generals Clausewitz).

Die Tchibo-Logistik – kurz und knapp

Prägendes Element des Geschäftsmodells von Tchibo aus logistischer Sicht ist das Nonfood-Geschäft. Obwohl die beiden übrigen Geschäftsfelder „Kaffee“ und „Service/Coffee Bar“ nach wie vor einen erheblichen Umsatzanteil repräsentieren, werden sie im Folgenden nur so weit wie nötig Erwähnung fi nden.

Tchibo war der „fi rst mover“ im wöchentlich wechseln-den Gebrauchs- und Geschenkartikelgeschäft – der Erfolg hat mittlerweile eine große Zahl von Wettbewerbern zu ähnlichen Modellen inspiriert, was zwangsläufi g für Tchibo zu der Herausforderung führt, den Wettbewerbsvorsprung zu halten, besser noch: auszubauen. Die Logistik ist einer

Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und NachhaltigkeitKay Middendorf

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408 Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit

der wesentlichen, differenzierenden Aktionsparameter; die Logistik ist Kernkompetenz. Charakteristika:

a. Breite Distribution (fünfstellige Outlet-Anzahl allein in Deutschland)

b. Kommissionsverträge mit allen Partnern im Lebensmit-telhandel und im Facheinzelhandel

c. Wöchentlich wechselnde Sortimente, heterogen, schmal, hohe Stückzahlen pro SKU (Stock keeping unit)

d. „Short time to market“: schnell abfl achende Nachfrage-kurven erfordern eine „quick response“- Organisation

Das Kommissionsmodell führt dazu, dass dem Handels-partner die Ware nicht verkauft wird. Der Kaufvertrag kommt zwischen Tchibo und dem Konsumenten zustande; der Partner erhält eine Provision.

Das führt natürlich zu einer Rücknahmeverpfl ichtung unverkaufter Restbestände aus den Regalen des Handels – mit der Auslieferung einer neuen „Phase“ (Wochensor-timent) wird gleichzeitig ein etwaiger noch vorhandener Restbestand einer alten Phase physisch zurückgeholt.

Diese sich aus dem Geschäftsmodell ergebenden Eckpfeiler führen zu folgenden strategischen Prozess-elementen:

ProzesshoheitDie aktive Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette schafft Planungssicherheit und garantiert logistikgerech-te Produkte und Prozesse. Die gezielte Auswahl und lang-fristige Integration kompetenter Partner unterstützt die hohe Qualität der Leistung.SkalierbarkeitDezentrale, modularisierte und langfristig skalierbare Lo-gistik- und IT-Netzwerke tragen einem turbulenten Markt-umfeld Rechnung.Konsequente KundenorientierungDie Trennung von Push-Erstversorgung über Cross-Docks und Pull-Nachversorgung aus dem Zentrallager sichert den maximalen Servicegrad.Category ManagementDie permanente Abstimmung zwischen Marketing- und Logistikplanung sowie ein integriertes Retourenmanage-ment schaffen Sortimentshygiene am Point of Sale und im gesamten Distributionsnetzwerk.VisibilitätReal-Time-Bestandsführung auch über Transitbestän-de in allen Stufen der Wertschöpfungskette garantiert hochpräzise Logistik-Disposition. Das Zusammenspiel von Marketing-Effektivität und Lo gistik-Effizienz

ist ein entscheidender Erfolgsfaktor von Tchibo; die Bundesvereinigung Logistik hat dieses Konzept un-ter dem Titel „Jede Woche eine neue (Logistik-) Welt“ mit dem Deutschen Logistikpreis 2004 ausge- zeichnet.

Seither ist das Konzept in wesentlichen Elementen weiterentwickelt worden. Insbesondere im Bereich des „Efficient consumer response“ (ECR) und des category managements haben informationstechnologische Wei-terentwicklungen die Möglichkeiten des Informations-austausches zwischen den Beteiligten an der Supply Chain deutlich verbessert. Seit Mitte 2007 werden alle großen Tchibo-Outlets mit einer order lead time (Zeit-spanne zwischen Datenkassenab frage und Lieferung) von weniger als 24 Stunden nachversorgt. Auslöser sind die Abverkaufsdaten, die uns aus den Kassen übermittelt werden.

Für die Beurteilung der Emmissionsbilanz von Tchibo sind folgende Aspekte des Logistikkonzeptes von beson-derer Bedeutung:

a. Berücksichtigt die Verkehrsträgerwahl systematisch auch CO2-Emmissionen? Ist die Verkehrsträgerwahl richtig?

b. Ist die Netzstruktur der Distributionszentren richtig gewählt? (ein- versus mehrstufi g, Zentral- versus Re-gionallagerkonzept)?

c. Wird der Verkehrsvermeidung ausreichend Beachtung geschenkt (Dispositionsverfahren etc.)?

d. Wird die Ware ausreichend verdichtet transportiert?

Hinter all diesen Fragen stehen naturgemäß sowohl öko-logische wie auch ökonomische Motive. Ein Handelsun-ternehmen ist nicht altruistisch; es geht ausschließlich um die Frage, welche Möglichkeiten zur nachhaltigen Ge-staltung der Supply Chain bestehen, ohne das Geschäfts-modell grundsätzlich infrage zu stellen. So wurde z. B. unterstellt, dass im Rahmen der weltweiten Arbeitstei-lung ein wesentlicher Teil des Nonfood-Sortiments auch weiterhin aus dem Fernen Osten stammt.

Ausgelöst durch diese Aufgabenstellung haben wir zu Beginn des Jahres 2007 das Projekt LOTOS aufgelegt, über dessen Fortgang im Folgenden berichtet wird.

LOTOS – Logistics towards sustainability

Die Technische Universität in Hamburg-Harburg hat dieses Projekt mit Tchibo als Praxispartner und unter fi nanzieller Beteiligung des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-

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409Kay Middendorf

schutz und Reaktorsicherheit initiiert. Tchibo war deshalb als Partner von besonderem Interesse für Wissenschaft und Politik, weil Tchibo die gesamte Supply Chain vom Produzenten (Fernost/Süd- und Mittelamerika/Ostafrika) bis zum Konsumenten kontrolliert und innerhalb der eige-nen Wertschöpfung sowohl Produktion als auch Groß- und Einzelhandel betreibt.

Aus Sicht der Wissenschaft ist die Übertragbarkeit der gewonnenen methodischen Erkenntnisse bezüglich „Wissensbündelung, Wissensanwendung und Wissens-vermittlung für die Optimierung von Transportketten unter Nachhaltigkeitsaspekten“ besonders relevant. Das Inter-esse des Unternehmens Tchibo beschränkt sich naturge-mäß auf die „Wissensanwendung“, respektive Durchfüh-rung der relevanten Maßnahmen.

Der Begriff „Sustainability“ bzw. „Nachhaltigkeit“ ist kein Begriff, der im allgemeinen Sprachgebrauch inter-pretationsfrei verwendet wird, im Gegenteil: Er wirkt oft diffus, ja widersprüchlich. Daher nachfolgend der Versuch einer Defi nition.

Nachhaltigkeit ist ursprünglich forstwirtschaftlich ge-prägt: Die Abholzung von Baumbeständen sollte nicht grö-ßer sein als das, was regenerativ nachwächst. Ziel: Erhalt der Baumbestände für nachfolgende Generationen. Der Raubbau an den Baumbeständen im Amazonas-Gebiet gilt als Verstoß gegen die Prinzipien der Nachhaltigkeit. Aus Sicht der Bundesregierung (Bundesregierung.de) heißt Nachhaltigkeit: „Jede Generation muss ihre Aufgaben lösen. Sie darf sie nicht nachkommenden Generationen aufbürden.“

Insoweit ist eine klimaveränderte CO2-Emission nicht nachhaltig, weil sie die Lebensqualität nachfolgender Ge-nerationen (möglicherweise) nachteilig beeinfl usst.

Seit der UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 gibt es die Agenda 21, die von 180 Regierungen ratifi ziert wur-de. Damit wird das Nachhaltigkeitsprinzip (Sustainability, Zukunftsbeständigkeit) völkerrechtlich verbindlich. Das Nachhaltigkeitsprinzip ist insoweit das weltwirtschaft-liche Pendant zu einem klassischen betriebswirtschaft-lichen Verhaltensmuster: „Von den Erträgen leben, nicht von der Substanz“.

Die aggressive Annexion des Begriffes durch Nichtre-gierungsorganisationen und bestimmte politische Partei-en hat in der Wirtschaft mutmaßlich zu einer Reserviert-heit geführt, die den objektiv richtigen Zielen der Debatte nicht gerecht wird; mittlerweile dürften allerdings fast alle großen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen den Begriff in ihrer Kommunikationsstrategie verwenden (Beispiele im Internet: Deutsche Post, Volkswagen).

Das LOTOS-Projekt wurde wie folgt gegliedert:

• Aufstellung einer CO2-Bilanz• Interdisziplinäre Expertenworkshops zur Ideensamm-

lung und Potenzialermittlung• Maßnahmenableitung und Prozessdesign• Implementierung

Die CO2-Bilanz

Im relevanten Zeitraum (2006) hat der Transport der von Tchibo vertriebenen Waren rund 146 000 Tonnen CO2 emittiert.

Bei der Interpretation der Zahl ist Vorsicht geboten. Die erfasste Supply Chain ist naturgemäß nicht vollstän-dig geschlossen und nur so weit erfasst worden, wie dazu Informationen vorliegen.

So sind alle einkommenden Ladungen erst auf Basis „free on board“, sprich: ab Abgangshafen im Ursprungs-land erfasst worden. In China, dem dominierenden Ur-sprungsland für Konsumgüter, hat sich zwar die Industrie – nicht zuletzt wegen fehlender Infrastruktur – in einem 500 km breiten Streifen zwischen Hongkong und Shanghai konzentriert. Damit sind die Vortransportstrecken bis zum Hafen relativ kurz – verglichen mit der Gesamtgröße des Landes. Kaffee wird jedoch nicht in Hafennähe, sondern in den Bergen produziert, sodass in Mittel- und Südamerika wie auch in Ostafrika erhebliche Transportentfernungen nicht erfasst sein dürften.

Hier gilt es künftig, das Rechenwerk zu verfeinern – möglicherweise in Zusammenhang mit dem „carbon foot-print“ (www.carbonfootprint.com).

Darüber hinaus sind naturgemäß alle Transporte für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, die der Lieferant sich für die Produktionsaufnahme zuliefern lässt, nicht erfasst.

Abb. 1: CO2-Bilanz je Verkehrsträger, Tchibo 2006

Verkehrsträger CO2-Emissionen (t) Prozentwert

Binnenschiff 113 0,1 %

Flugzeug 506 0,3 %

Schiene 4 076 2,8 %

Straße 42 072 23,9 %

Seeschiff 98 820 67,9 %

145 587

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410 Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit

Nichtsdestotrotz boten die Zahlen der CO2-Bilanz eine gute Einstiegsplattform für die nachfolgenden interdiszip-linären Expertenhearings im dritten Quartal 2007.

Auffällig ist zunächst der extrem hohe Anteil des See-schiffes an den Gesamtemissionen (68 Prozent). Auch wenn hier einschränkend gesagt werden muss, dass die Gesamtemission nach Anzahl der beförderten Container mit marktüblichen Durchschnittsgewichten gerechnet wurde, die Tchibo-Ladung aber deutlich leichter ist als der Durchschnitt und demzufolge weniger Emissionen zu verantworten hat, so ändert dieser Hinweis auf methodi-sche Unzulänglichkeiten nichts an der Kernaussage: Der wesentliche Hebel zur Reduzierung von Emissionen liegt im Seetransport.

Dieser Aspekt birgt politischen Sprengstoff, weil hier die Befürchtungen der Globalisierungskritiker und der Umweltverbände zusammentreffen. Die weltwei-te Arbeitsteilung nimmt ungebremst zu. China wird in einigen Jahren die größte Volkswirtschaft der Welt sein – getrieben von einer Produktionsinfrastruktur, die vor-rangig überseeische Märkte versorgt. Dies indiziert ein gigantisches Wachstum des Seeverkehrs, das deutlich stärker sein muss als das Wachstum der Volkswirt-schaften. An dieser Stelle stehen Politik und Wirtschaft vor einer großen Herausforderung. Allerdings entsteht hier eine Konvergenz zwischen Ökonomie und Ökolo-gie: Die Notwendigkeit zur Verbrauchs- (und Emissions-)reduzierung ergibt sich schon aus der Entwicklung der „Bunker“- (Schweröl-) -Kosten – 200 US-Dollar pro Barrel Rohöl innerhalb der nächsten zehn Jahre sind wohl wahr-scheinlich.

Das Flugzeug ist bei Tchibo ein nahezu irrelevantes Transportmittel; es wird nur eingesetzt, wenn die Produk-tion nicht termingerecht fertiggestellt wurde – der Anteil von 0,3 Prozent wurde nicht näher betrachtet.

Bahn und Binnenschiff sind zu einem erheblichen Anteil an den Tchibo-Transporten beteiligt, emittieren aber nur etwa ein Zehntel dessen, was der Straßenverkehr an CO2 emittiert.

Ideen und Maßnahmen zur CO2-Reduktion

Folgende wesentliche Handlungsfelder haben wir nach Abschluss der Bilanzierung mithilfe von externen Exper-ten identifi ziert:

• Seeschifffahrt• Standortoptimierung• Komplettladungsverkehr versus direct store delivery• Verkehrsträgerwahl• Verkehrsvermeidung

Im Folgenden wird versucht, das Potenzial und die Realisierbarkeit einzelner Maßnahmen abzuschätzen.

Seeschifffahrt

Von 146 000 Tonnen, die als Gesamtemission in unserer Bilanz ausgewiesen werden, gehen etwa 100 000 Tonnenauf das Konto der Seeschifffahrt – Containertransporte in einem oligopolistischen Markt, der nicht dem Kartel-lierungsverbot unterliegt. Die Preisbildung folgt Zyklen, die Wettbewerbsintensität ist zeitweilig „überoptimal“ (im Far East Trade machen nahezu alle Reedereien in regelmäßigen Abständen Verluste), zeitweilig wird offenbar munter „kartelliert“. Die Handelsströme sind „unpaarig“: Der Ferne Osten exportiert deutlich mehr nach Europa als in umgekehrter Richtung. Die Schif-fe werden größer: Nahezu 400 m Länge und mehr als 16 m Tiefgang sind möglich und stellen die Hafen- infrastruktur vor große Herausforderungen. Der Faktor

Abb. 2: Aktuell transportiert die Bahn nur einen verschwindend kleinen Teil der Konsumgüter in Deutschland

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411Kay Middendorf

„Mensch“ wird durch den Faktor „Kapital“ ersetzt, die Bedeutung der Kapitalbindungskosten steigt; die Folge: Man fährt so schnell wie möglich. Das Interesse der Reedereien an möglichst vielen „Umläufen“ ihrer Schiffe deckt sich mit dem Kundeninteresse: Insbesondere im Konsumgütergeschäft ist das Konsumentenverhalten volatil; „short time to market“ ist erforderlich. Aller-dings bremst die Entwicklung der Treibstoffkosten den Trend zur Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit. Der Anteil der „Bunkerkosten“ an den Gesamtkosten der Schiffe soll bereits bis zu 60 Prozent betragen.

Eine deutliche Reduzierung der Schadstoffemissionen lässt sich durch eine Reduzierung der Fahrgeschwindig-keit erreichen. Eine Reduzierung von derzeit 23,5 auf nur 20 Knoten führt zu einer Emissionsreduzierung um 50 Prozent (Behrendt, M., Der Spiegel 1/2008, S. 63) –die keine übermäßig nachteilige Wirkung auf die nachfragegerechte Konsumentenversorgung haben. Getrieben durch die Rohölpreisentwicklung werden die Reedereien diesen Weg ohnehin gehen. Ich er-warte eine solche Fahrplanumstellung spätestens 2010 – in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit des notwendigen zusätzlichen Schiffsraums und von der Bunkerpreisentwicklung. Der Vollständigkeit halber ist ein Hinweis erforderlich: Das Schiff ist – bezogen auf Tonnenkilometer – mit deutlichem Vorsprung das um-weltschonendste Verkehrsmittel.

Eine Verlängerung der Transportzeit von Hongkong nach Hamburg um drei bis fünf Tage auf dann 26 bis 28 Tage sollte möglich sein.

Standortoptimierung

Konsumorientierte Logistiksysteme sind üblicherweise ein- oder mehrstufig. Einstufige Systeme („Zentrallager-konzepte“) erkaufen sich den Vorteil höherer Waren-verfügbarkeit und geringerer Bestandsreichweiten mit längeren Transportwegen zum Kunden; allerdings ist der Verdichtungsgrad auf der beschaffungslogistischen Seite oft höher als bei mehrstufigen Systemen.

Der Lebensmittelhandel arbeitet traditionell mit dezentralen Systemen: Es gibt etwa 280 Großlager des Handels in Deutschland. Derlei Systeme haben den großen Vorteil, dass sich Bestandslücken im Regal aufgrund kürzerer Transportwege und -zeiten schneller auffüllen lassen.

Das Zentrallager von Karstadt war Vorreiter der Zentralisierung; Tchibo folgte 1996 mit der Errichtung eines Zentrallagers in Gallin/Mecklenburg-Vorpommern, beschaffungslogistisch optimiert zwischen den Kaffee-

Produktionsstandorten Hamburg und Berlin und in der Nähe des Eingangshafens Hamburg.

Von Gallin aus wurden bis 2002/2003 alle Kunden in Deutschland beliefert (direct store delivery).

In einer vergleichenden Studie wurde auf Basis realer Warenmengen ein Zentrallagerkonzept mit Regionallagerkonzepten verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Tonnen-/m³-Kilometer im Zentral-lagerkonzept wesentlich größer war als bei dezentralen Konzepten – vorrangig getrieben von der durch den Kommissionierprozess hervorgerufenen Aufblähung desTransportvolumens (heterogene Sortimente). Dabei zeigtesich, dass ein Konzept mit zwei bis drei Standorten im Norden und zwei Standorten im Süden Deutschlands deutliche Transportkostenvorteile hat.

Dieses Konzept wurde schrittweise realisiert. Mit dem Neubau eines zentralen Warenwirtschaftszentrums in Bremen und zwei regionalen Distributionszentren im Süden (Neumarkt/Oberpfalz und Gernsheim/Hessische Bergstraße) wurden die Zahl der gefahrenen Tonnenkilometer und damit die CO2-Emission erheblich reduziert.

Komplettladungsverkehre versus direct store delivery

Ein denkbarer Kritikpunkt aus ökologischer Sicht gilt vermutlich dem wöchentlichen, partiell sogar täglichen „direct store delivery“.

Der Handel versucht seine „Schnittstelle Rampe“ inseinen Outlets durch Reduzierung der Zahl der Liefer ungen zu entlasten. Das Beispiel Metro (Deutscher Logistik-preis 2002) zeigt, dass die Übernahme der Ware ex Produktion der Hersteller erheblichen Nutzen bringt.

Bei einer Evaluierung von Handlungsalternativen ist zunächst die Frage zu beantworten, an welcher Stelle der Supply Chain die outletgenaue Kommission gebildet werden soll. Wird sie weiterhin durch Tchibo gebildet und die Abwicklung über die Handelslager vor-genommen, wird die order lead time verlängert. Wird die outletgenaue Kommissionierung in den Lagern des Handels vorgenommen, erhöht sich das Absatzrisiko für Tchibo: Die vorab an die Handelslager überstellten Sortimente sind zwangsläufig fehlverteilt (keine nach-fragegesteuerte Versorgung) – Umsatznachteile sind zu erwarten.

Vor einer abschließenden Beurteilung ist beab-sichtigt, nach den Prinzipien des „efficient consumer response“ eine Transportsimulation gemeinsam mit ausgewählten Partnern im Handel durchzuführen. Ein CO2-Reduzierungspotenzial kann nur vermutet werden.

Page 355: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

412 Logistik im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit

Verkehrsträgerwahl

Die Lage der neu errichteten Distributionszentren in Bre-men, Neumarkt und Gernsheim ist mit Blick auf die geo-grafische Nähe leistungsfähiger Güterverkehrszentren für den kombinierten Verkehr gewählt worden. Es ist er-klärtes Ziel, möglichst große Teile des Komplettladungs-verkehrs auf der Bahn zu befördern – in eigens für uns entwickelten palettenbreiten und kranfähigen (45-Fuß)-Containern.

Die Versorgung der Produktionsbetriebe in Berlin und Marki (Warschau) mit Rohkaffee aus den Seehafenbetrie-ben ist bereits weitgehend von der Straße auf die Bahn umgestellt worden. Das Gleiche gilt für die Versorgung der Distributionszentren Neumarkt, Gernsheim und Bruck (Wien) aus dem Nonfood-Zentrallager in Bremen. Der Vor-transport der in Hamburg und Bremerhaven gelöschten Container nach Bremen erfolgt überwiegend mit Binnen-schiff und Bahn.

Generell bleibt festzustellen, dass die Wettbewerbs-fähigkeit der Bahn gegenüber der Straße nur teilweise und dann auch nur nach mühsamen Verhandlungen gegeben ist. Der Grund ist nach meiner Einschätzung die fehlende Rückladung. Die Bahn hat keine zielorientierte Akquisiti-onsorganisation für SPOT-Ladungen. Die fehlende Tren-nung von Netz und Betrieb wirkt hier kontraproduktiv.

Verkehrsvermeidung

Höhere Warenverdichtung, Bündelung, Einsatz größerer Fahrzeuge und nachfrageorientierte Verteilung sind iden-tifi zierte Ansatzpunkte.

Die bessere Ausnutzung der Lkw-Höhe scheitert heute an technischen Restriktionen (Rampenhöhen) und Kosten (Abpack- und Aufpackkosten bei „loser“ Verladung).

Wir arbeiten an einem Konzept, zumindest teilweise die verfügbare Ladehöhe von 2,50 m besser zu nutzen. Heute liegt die über Standards und Normen defi nierte Höhenbe-grenzung bei 2,08 m – hier schlummert ein Potenzial von rund 20 Prozent.

Unsere durchschnittliche Auslastung von Komplettla-dungs-Lkw liegt heute nur bei 90 Prozent. Unter Zuhilfe-nahme neuer Dispositionstools wollen wir unsere Leer-frachtanteile auf 5 Prozent begrenzen.

Die Vereitelung des 25-Meter-Zuges durch politische Beschlüsse, getrieben durch die unbegründete Sorge, die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn könne leiden, halten wir für kontraproduktiv im Sinne der CO2-Reduzierung. Unsere Güter sind leicht. Selbst bei einer Ladelänge von 25 m wäre keine Überschreitung des bereits heute zulässigen Gesamtgewichtes von 40 Tonnen zu erwarten. Durch die Gewichtsverteilung auf zusätzliche Achsen wäre die Punktlast auf den Straßen sogar niedriger als heute.

Die nachfragegerechte Warenverteilung ist ein Instru-ment zur Reduzierung unverkaufter Reste nach Abschluss einer Verkaufsaktion. Damit entfällt auch die Notwendig-keit zur Rückführung an unsere Zentrallager – ein weiterer

Abb. 3: 45’-Container, seit 2006 im Einsatz

Abb. 4: Transportmittel Non-Food

Vorratslager Bremen

Kunden

Port of destinationBremerhaven

Binnenschiff

Port of destinationHamburg

Bahn

Bahn

DCGernsheim

Bahn

DCNeumarkt

Bahn

DCBruck (A)

Lkw

DCGallin

Lkw

DCHerne

Nahverkehrsfahrzeuge 7,5 t

Abb. 5: Transportmittel Rohkaffee

Port of destinationHamburg

Bahn

ProduktionBerlin

Bahn

ProduktionWien (A)

Bahn

ProduktionMarki (PL)

Page 356: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

413Kay Middendorf

Baustein zur CO2-Reduzierung. Allerdings ist eine kurze order lead time Voraussetzung, um etwaige Bevorratungs-notwendigkeiten im Outlet zu umgehen.

Resümee und Ausblick

Weltwirtschaftliches Wachstum und die zunehmende Ar-beitsteilung führen zu wachsender Nachfrage nach fos-silen Brennstoffen und damit zu steigenden Preisen: ein natürliches Regulativ der CO2-Emissionen, das wir nutzen müssen.

Darüber hinaus sind im Sinne einer wohlverstandenen ethischen Verantwortung verstärkte Bemühungen aller

Prozessbeteiligten erforderlich. Wir wollen uns dieser Herausforderung stellen und haben bereits Erfolg ver-sprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Darüber hinaus müssen auch die Verbraucher stärker in den Entscheidungsprozess eingebunden werden als heute: der „carbon footprint“, eine auf Konsumgütern an-gebrachte Verbraucherinformation über die artikelindivi-duelle CO2-Bilanz und Herkunft, scheint der richtige Weg zu sein, Kaufentscheidungen im Spannungsfeld zwischen Preis und Klimaschutz zu erleichtern. Eine bewusst und in voller Kenntnis der Warenherkunft getroffene Verbrau-cherentscheidung wird helfen, der Kritik der Globalisie-rungsgegner die Schärfe zu nehmen.

Page 357: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025

Stefan Walter

Juniorprofessor und Research Director Document Logistics am Supply Management Institute (SMI)

der European Business School (EBS)

Heiko A. von der Gracht

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Innovation Center des Supply Management Institute (SMI) der EBS

Florian Schick

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektmanager am Supply Management Institute (SMI) der EBS

Page 358: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Prof. Dr. Stefan WalterJahrgang 1971Walter ist Juniorprofessor und Re-search Director Document Logistics am Supply Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) und leitet Forschungsprojekte zur Dokumentenlogistik. Als Pro-jektleiter ist er verantwortlich für die Konzeption, Planung und Umset-zung der internationalen Konferenz

FUTURE OF LOGISTICS, die am Vortag der CeMAT 2008 erst-malig in Hannover stattfi nden wird. Seit mehreren Jahren ist er Dozent und Unternehmensberater in den Bereichen Trends und Strategien in der Logistik, Supply Chain Management sowie Do-kumentenlogistik. Walter studierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin. Anschließend promovierte er an der TU Berlin bei Prof. Dr.-Ing. Baumgarten über Logistik in Dienstleistungsunternehmen. Von 2003 bis 2006 war er stra-tegischer Projektleiter des Deutschen Logistik-Kongresses der Bundesvereinigung Logistik e. V. (BVL).

Heiko von der GrachtJahrgang 1978Von der Gracht ist wissenschaft-licher Mitarbeiter im Innovation Center des Supply Management Institute (SMI) der EBS. Er studierteden europäischen Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen/Logis-tik-Management mit dem Schwer-punkt Produktionslogistik an der Hochschule Niederrhein und der

Fontys Hogeschool Venlo, Niederlande. Außerdem erwarb er einen Master of Science in International Logistics an der Uni-versity of Plymouth, Großbritannien. Von der Gracht schließt in diesem Jahr seine Promotion zum Thema Zukunftsforschung, insbesondere Szenario-Planung, in der Logistik ab. Im Rahmen der internationalen Konferenz FUTURE OF LOGISTICS zur Ce-MAT 2008 ist von der Gracht für die Planung und Umsetzung der wissenschaftlichen Konzeption verantwortlich.

Florian SchickJahrgang 1983Schick ist seit 2007 wissenschaft-licher Mitarbeiter und Projektma-nager am Supply Management Institute (SMI) der EBS und ist dort verantwortlich für die strategische Entwicklung der internationalen Konferenz FUTURE OF LOGISTICS, die am Vortag der CeMAT 2008 in Hannover stattfi nden wird. Schick

studierte General Management an der European Business School (EBS) und am Instituto Tecnológico y de Estudios Supe-riores de Monterrey (ITESM) in Mexiko-Stadt mit dem Schwer-punkt „Mergers & Acquisitions in Logistics and Supply Chain Management“. Während seines Studiums gründete er 2004 das „EBS Supply Management Forum“, das im April 2008 bereits zum dritten Mal an der EBS stattfi nden wird.

Page 359: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

Die Logistik hat die Zukunftsforschung und ihre Möglich-keiten für sich noch nicht entdeckt. Die Logistikdienst-leistungsbranche liegt im Bereich der Zukunftsforschung deutlich hinter der Pharma-, Automobil- und Telekom-munikationsbranche, die die langfristige Zukunft ihrer Branchen schon seit vielen Jahren sehr systematisch ana-lysieren, um Veränderungen zu antizipieren und Wettbe-werbsvorteile zu erzielen (Darkow, von der Gracht, 2006). Warum sollte dies nicht auch in der Logistikdienstleistung möglich sein? Das Supply Management Institute (SMI) und die FutureManagementGroup AG haben aus diesem An-lass eine Studie zur Zukunft der Logistikdienstleistungs-branche in Deutschland 2025 durchgeführt, die im Feb-ruar 2008 gemeinsam mit der Bundesvereinigung Logistik (BVL) veröffentlicht wurde (Von der Gracht et al., 2008). Mit diesem Projekt sollen die Bedeutung und Möglichkei-ten der Zukunftsforschung in der Logistik herausgestellt und ein weiter Blick in die Zukunft geworfen werden.1

Basis der Zukunftsstudie ist eine Delphi-Befragung mit 30 Experten aus Unternehmensführung und -entwicklung führender Anbieter-Unternehmen (Top 50 nach Umsatz) der Logistikdienstleistungsbranche. Die Experten bewer-teten in einer zweiphasigen Befragung Projektionen zu zukünftigen Entwicklungen nach ihrer Erwartungswahr-scheinlichkeit des Eintritts, dem Einfl uss auf die Branche und der Wünschbarkeit des Eintritts der Entwicklungen. Ziel der Zukunftsstudie ist die Untersuchung der politisch-rechtlichen, ökonomischen, soziokulturellen und technolo-gischen Rahmenbedingungen für den deutschen Logistik-dienstleistungsmarkt bis 2025.

Die Studie fi ndet weiterhin Antworten auf folgende Fragen: Wie wird sich das Marktumfeld für Logistik-Dienstleister bis 2025 verändert haben? Wo gibt es Chan-cen für Logistik-Dienstleister in der Zukunft und welche potenziellen Überraschungen sind schon heute denkbar? Zur Systematisierung wurde die Zukunft aus vier Perspek-tiven betrachtet (vgl. Micic, 2007):

• Die wahrscheinliche Zukunft• Die gestaltbare Zukunft• Die anstrebbare Zukunft• Die unerwartete Zukunft

Die fünfte Sichtweise auf die Zukunft wurde in dieser Stu-die nicht betrachtet, da sie unternehmensspezifi sch ist. Sie ist die geplante und geschaffene Zukunft in Form einer Strategie.

Grundlagen der Szenarioplanung

Die Anwendung der Szenariotechnik ist ein relativ neu-es Phänomen in der Wirtschaft. Royal Dutch Shell wurde bekannt als Pionierunternehmen, das die Szenariotechnik für die Planung und die strategische Ausrichtung des Un-ternehmens Anfang der 1970er Jahre einsetzte. So gelang es ihnen die Ölkrisen von 1973 und 1979 vorherzusehen, die sich ergebenden Konsequenzen früher abzuschätzen und sich gezielt darauf einzustellen. Andere Unternehmen wurden durch Shells durchschlagenden Erfolg aufmerk-sam auf dieses Tool zur Unterstützung der strategischen Unternehmensplanung und begannen es fortan selbst zu nutzen. Dies wird insbesondere durch Studien von Linne-mann und Klein aus den Jahren 1977 und 1981 belegt. In diesem Zeitraum verdoppelte sich die Zahl der „Fortune 1000“-US-Unternehmen, die die Szenariotechnik ein-setzten, auf 44 Prozent. Heute sind Szenarien ein fester Bestandteil in der Unternehmensplanung. Jedoch können deutliche Unterschiede in der Verbreitung in den unter-schiedlichen Industrien festgestellt werden. So besteht insbesondere in der Logistikdienstleistungsbranche noch erheblicher Nachholbedarf.

Die Szenarioplanung wird mittlerweile in verschiede-nen Anwendungsfeldern eingesetzt. Bradfi eld et al. (2005) nennen beispielsweise ihre Verwendung im Krisenmana-gement, in der Wissenschaft, als Kommunikations- und Managementtool oder aber als Zukunftsforschungsinstru-ment. Generell werden Szenarien vorwiegend von größe-ren Unternehmen, die in kapitalintensiven Industrien mit langen strategischen Planungshorizonten agieren, einge-setzt, wie z. B. Automobilherstellern.

Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025Stefan Walter / Heiko A. von der Gracht / Florian Schick

1 Die Studie und dieser Beitrag basieren auf der Forschungsarbeit im Rahmen der Dissertationsschrift von Heiko A. von der Gracht am Supply Management Institute (SMI) der European Business School (EBS) (Von der Gracht, 2008).

Page 360: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

418 Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025

Einsatz einer Delphi-Befragung für die Szenariostudie

Die Delphi-Technik ist eine der bekanntesten Methoden der Zukunftsforschung. Sie ist ein systematisches, mehr-stufi ges Befragungsverfahren und wurde Ende der 50er Jahre von der RAND-Corporation entwickelt, um allge-meine Probleme der Gruppendiskussion (Mitläufereffekt, Halo-Effekt) zu vermeiden. Sie kam erstmalig im „Projekt Delphi“ zum Einsatz, in dessen Rahmen sieben Forscher in Form einer strukturierten schriftlichen Befragung mögli-che Ziele sowjetischer Angriffe auf die USA bewerteten. Heute ist die Delphi-Technik ein wichtiges Forschungsins-trument in Wissenschaft und Praxis.

Die Delphi-Technik geht von drei Grundannahmen aus. Die erste Annahme beinhaltet, dass eine Gruppe zu einem besseren Ergebnis kommt als eine Einzelperson. Des Wei-teren wird angenommen, dass Expertenmeinungen ge-nauere Ergebnisse liefern als Einschätzungen von Nicht-Experten. Außerdem wird von einer Konsensannäherung der Experten infolge des anonymisierten, kontrollierten Feedbacks der Gruppenmeinung zwischen den Runden ausgegangen.

Annahmen – Die wahrscheinliche Zukunft

Die befragten Experten rechnen ebenso mit einem wei-teren Wachstum des Volumens im Standardgeschäft (Transport, Umschlag, Lagerung) wie mit überproportio-nalen Steigerungen der Nachfrage nach hochwertigen, individualisierten Lösungen (Kontraktlogistik, Systemge-schäft) in der Logistikdienstleistung. Sie sind somit sehr optimistisch. Der Markt wird nach ihrer Auffassung 2025 aber auch wesentlich kosten- und wettbewerbsintensi-ver, komplexer, dynamischer, schneller, digitaler, globaler, vernetzter und individueller sein als heute. Durch die zu-nehmende Komplexität müssen Innovationen in Zukunft schneller umgesetzt werden. Die verstärkte Globalisie-rung zeigt sich unter anderem in einer erwarteten welt-weiten Konsolidierung auf wenige Logistik-Dienstleister im Standardgeschäft und der großen Bedeutung, die glo-bale Netzwerke spezialisierter Anbieter in Zukunft spielen dürften. Als hemmende Faktoren für die Entwicklung der Branche werden die langfristig weiterhin ungelöste Prob-lematik der globalen Energieversorgung, überproportiona-le Kostensteigerungen beim Schutz vor Industriespionage, Kriminalität und Terrorismus sowie große Unsicherheiten bei der Zukunft staatlicher Infrastrukturinvestitionen und der Verfügbarkeit von Fachkräften gesehen.

Chancen – Die gestaltbare Zukunft

Über das erwartete allgemeine Marktwachstum hinaus bieten sich Logistik-Dienstleistern zahlreiche in dieser Studie dargelegte Optionen, ihre bestehenden Geschäfts-felder durch den Einsatz neuer Technologien, Differenzie-rungen in Marketing und Vertrieb, die Entwicklung attrak-tiver Produkte und Lösungen sowie durch Kooperationen mit Anbietern angrenzender Bereiche zu stärken. Darüber hinaus ergeben sich aus den erwarteten Veränderungen Möglichkeiten, neue Geschäftsfelder in Bereichen der Do-kumentenlogistik über Reverse Logistics bis zu Netzwerk-Beratungen zu erschließen, die bisher von vielen Logistik-Dienstleistern nicht oder nur in geringem Umfang bedient werden.

Visionskandidaten – Die anstrebbare Zukunft

Differenzierung ist eine wesentliche Quelle unterneh-merischen Erfolges. Vor diesem Hintergrund sollten sich Logistik-Dienstleister klar positionieren und sich aus Kun-densicht von ihren Wettbewerbern unterscheiden. Werden die treibenden Kräfte im Marktumfeld und die erwarteten Entwicklungen im Markt analysiert, lassen sich so Chancen im Sinne von Handlungsoptionen für Logistik-Dienstleister ableiten. Zukunft besteht meist zum kleineren Teil aus In-novation und zum größten Teil aus Diffusion. Das bedeutet, dass sich das „Neue“ langsam von den Innovatoren aus-gehend verbreitet, bis es schließlich die Mehrheit der An-wender erreicht. Es gibt eine Reihe verschiedener Visions-kandidaten, im Sinne von Rollen, die Logistik-Dienstleister im Markt der Zukunft spielen können:

Image als Technologieführer aufbauenWenn die Adaptionsgeschwindigkeit technologischer Innovationen in der Logistik zunimmt, wird es wichtiger, sich als Führer und Treiber dieser Innovationen zu positi-onieren. Durch die frühzeitige Nutzung technischer Mög-lichkeiten etabliert sich der Anbieter somit nicht nur als zuverlässiger Logistik-Dienstleister, sondern als Innova-tions-Partner für seine Kunden.

Nutzung der Vielfalt an Wissen, Kulturen und ArbeitsweisenDurch den Einsatz von Arbeitskräften aus unterschied-lichen Ländern und Kulturen können Unternehmen deutliche Vorteile ziehen. Besondere länderspezifi sche Verfahrensweisen und verschiedene Lösungsansätze aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten können in vielen Bereichen genutzt werden und sich gegenseitig

Page 361: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

419Stefan Walter / Heiko A. von der Gracht / Florian Schick

bereichern. Durch die Vielfalt der Kulturen multipliziert sich das Wissen des Unternehmens. Voraussetzung ist ein funktionierendes Diversity-Management und die interkul-turelle Kompetenz der Mitarbeiter, sodass Konfl ikte ver-mieden und kulturelle Synergien genutzt werden können.

Diversity-Management, Kultur der internationalen Mobilität schaffenGlobales Recruiting und der Bedarf an international aus-gerichteten Arbeitnehmern bringt eine multikulturelle Belegschaft mit sich. Eine ausgewogene Mischung von Expatriates und Einheimischen belebt die eigene Unter-nehmenskultur und fördert die Bereitschaft der Mitarbei-ter zur internationalen Mobilität, was wiederum für den Aufbau von globalen Netzwerken und internationalen Ko-operationen hilfreich sein wird.

Wildcards – Die unerwartete Zukunft

Nichts ist so sicher an der Zukunft, wie die Tatsache, dass sie uns in Teilen überraschen wird. Extremszenarien mög-licher Entwicklungen des Marktumfeldes dienen dazu, den Grad an Überraschung zu reduzieren. Wesentliche Dimensionen dieser Szenarien sind:

• Das Problem der Energieversorgung: Wird es 2025 ge-löst sein oder nicht?

• Die entscheidenden Standort- und Kostenfaktoren: Steht der Faktor Verfügbarkeit von Arbeitskräften oder der Faktor Rohstoffzugang 2025 im Mittelpunkt?

• Der globale Wettbewerb: Werden Entwicklungs- und

Schwellenländer auf das Niveau der Industriestaaten aufschließen oder könnten sie sogar bis zum Jahr 2025 weiter zurückfallen?

Es ergeben sich gemäß Abbildung 1 acht Extremszenari-en, die im Folgenden kurz beschrieben werden.

1. „Standortfaktor Mensch“Das Problem der Energieversorgung ist weltweit nicht gelöst. Zwar ist die Öl-Abhängigkeit nicht mehr so ver-heerend wie vor 20 Jahren, doch noch immer werden rund 80 Prozent der Transportmittel mit Öl angetrieben und 90 Prozent der Waren in den Geschäften unter Einsatz von Öl hergestellt. Trotz der verschärften Energieproblematik hat der Zugang zu Rohstoffen gegenüber dem Faktor Arbeit stark an Bedeutung verloren. Humankapital ist der knap-pe „Rohstoff“ der heutigen Wissensgesellschaft. Der Zugang zu qualifi ziertem Personal ist der einzige nachhal-tige Wettbewerbsfaktor in einer immer mobileren Welt geworden. Der Anteil an Arbeitskräften, die Tätigkeiten mit hohen Anforderungen leisten (z. B.. Führungsauf-gaben, Organisation, Management, F&E, Beratung), ist in Deutschland in den letzten 20 Jahren von 40 Prozent auf 55 Prozent angestiegen. Im Gegensatz zu den Industrie-staaten hat das qualifi zierte Arbeitskräfteangebot in den ehemaligen Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch enorm zugenommen. Im Zuge der Globalisierung haben über eine Milliarde Menschen der BRIC-Staaten in den vergangenen 20 Jahren die Schwelle zum Konsum über-schritten und verfügen somit heute über ein Jahresein-kommen von mindestens 3000 US-Dollar.

Abb. 1: Szenarioraum mit acht Extremszenarien

Abstand zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern und Industrienationen hat sich vergrößert

Arbeit = Kostenfaktor Nr. 1

Rohstoffe = Kostenfaktor Nr. 1

Entwicklungs- und Schwellenländer haben stark aufgeholtgelöstnicht gelöst

Problem der Energieversorgung

Gl.Wett

b.*

Rohs

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t

3 4

1 2

5 6

7

8

* Globaler Wettbewerb

Page 362: Das Beste der Logistik: Innovationen, Strategien, Umsetzungen

420 Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025

2. „Fabrik-Cities und Fusionsreaktoren“ Das Energieproblem gilt weltweit als gelöst. Ab 2050 soll der erste kommerzielle Fusionsreaktor saubere, ungefähr-liche und nahezu unbegrenzte Energie liefern. Dann rei-chen zwei Liter Wasser und ein halbes Pfund Gestein als Rohstoff für den jährlichen Stromverbrauch einer ganzen Familie. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zeich-net sich immer deutlicher ab, dass die kommenden Jahre weniger durch den Zugang zu Rohstoffen als durch den Kampf um „Humankapital“ bestimmt werden. Dem Defi zit an Arbeitskräften in den Industrienationen steht jedoch ein massives Arbeitskräfteangebot in Entwicklungs- und Schwellenländern gegenüber. Die Anzahl der Personen in den BRIC-Staaten, die nach lokalen Maßstäben über ein mittleres Einkommen verfügen, ist in den letzten 20 Jah-ren auf weit über eine Milliarde angestiegen. Zwei Drittel aller Megacities (Einwohner > 10 Mio.) liegen zudem in den Entwicklungsländern. Viele dieser Städte, beispielsweise Lagos, Delhi, Bombay oder Mexico City, sind inzwischen auf über 20 Mio. Einwohner angewachsen. Diese konzen-trierten Zentren der Weltwirtschaft sind Drehscheiben für Menschen, Waren, Wissen und Geld und erzeugen zum Teil bis zu 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des je-weiligen Landes.

3. „Das Zeitalter der Energiekriege und des Urban Mining“Das Energieproblem hat sich weltweit dramatisch zuge-spitzt. Aufgrund der gestiegenen Bevölkerungszahlen und des „Energiehungers“ aufstrebender Entwicklungs- und Schwellenländer hat sich der Welt-Energieverbrauch in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt. Doch sind nicht nur fossile Brennstoffe knapp. Mit dem Aufholen vieler Ent-wicklungs- und Schwellenländer sind heute über 60 Prozent der Weltbevölkerung entscheidend an der Rohstoffnach-frage beteiligt. Die Preise vieler Industrie- und Edelmetalle haben sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren vervier-facht. Diverse Rohstoffvorkommen sind bereits versiegt und können nur als Sekundärrohstoffe wiedergewonnen werden. Im Zuge der weltweiten Verknappung aller Roh-stoffe haben viele Schwellen- und Entwicklungsländer dank ihres Rohstoffreichtums wirtschaftlich aufholen kön-nen. Knapp die Hälfte der Bevölkerung Afrikas und Asiens lebt heute in Städten. Über ihre Megacities mit mehr als 20 Mio. Einwohnern sind sie fest in den Welthandel integriertund profi tieren in großem Maße von der Globalisierung.

4. „Kampf um Metallrohstoffe“Der Weg zur globalen Energiewende zeichnet sich immer deutlicher ab. Der Anteil regenerativer Energien am Welt-

Energieverbrauch beträgt heute bereits 40 Prozent. Je nach Standortvoraussetzungen nutzen Länder Sonnen-licht und -wärme, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme als Energiequelle. Die Weltbevölkerung beträgt derzeit 8,5 Mrd. Menschen, wovon etwa zwei Drittel in Städten leben. Die Zahl an Megacities mit mehr als 10 Mio. Einwohnern beläuft sich auf 30. Die meisten dieser Städte liegen in Entwicklungs- und Schwellenlän-dern. Zwar hat der Kampf um Energierohstoffe dank der Energiewende abgenommen. Der Kampf um Metallroh-stoffe hat jedoch in den vergangenen Jahren ungeahnte Dimensionen angenommen. Gründe hierfür sind vor allem die Industrialisierung und Urbanisierung in den Entwick-lungs- und Schwellenländern.

5. „Die 2-Klassen Welt“Der Anteil regenerativer Energien am Weltenergiever-brauch konnte in den letzten 20 Jahren nur langsam ge-steigert werden. Gründe hierfür sind die zum Teil immer noch mäßige Energieeffi zienz regenerativer Energien, das Problem ihrer Speicherung, die schlechte Akzeptanz der Bevölkerung und unzureichende Versorgungsnetze. Insgesamt 80 Prozent des Welt-Energiebedarfs werden folglich immer noch durch fossile Energieträger gedeckt. Die Arbeitsmarktsituation in den meisten Industrienatio-nen, insbesondere in Europa, hat sich weiter verschärft. Der fortschreitende demografi sche Wandel und der stei-gende Qualifi kationsbedarf sorgen für akuten Fachkräf-temangel. Die Urbanisierung ist insbesondere in den Ent-wicklungs- und Schwellenländern weit fortgeschritten, sodass heute etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Viele der Megacities mit über zehn Mio. Einwohnern sind unkontrolliert ohne Industrialisierung und Infrastruktur gewachsen. Sie haben sich im „Jahrtau-send der Städte“ zu Städten des Elends entwickelt. Zwei Drittel der Stadtbewohner wohnen unter inhumanen Be-dingungen in Marginalvierteln ohne die grundlegendsten Basisinfrastrukturen. Wasser- und Luftverschmutzung durch Verkehr, Industrieanlagen und fehlende Abwas-ser- und Abfallentsorgung gehören ebenso zum Alltag wie hohe Gewalt- und Kriminalitätsraten. Einer reichen Oberschicht von zehn Prozent der Stadtbevölkerung steht eine breite Unterschicht von 70 Prozent gegenüber. Die Mittelschicht ist auf lediglich 20 Prozent der Bevölkerung geschrumpft.

6. „Energiewende erfolgreich, Viren auf dem Vormarsch“Das Problem der Energieversorgung ist gelöst. Elektri-scher Strom wird zu 80 Prozent von sauberen, erneuerba-

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421Stefan Walter / Heiko A. von der Gracht / Florian Schick

ren Energien hergestellt. Kontinuierlicher technologischer Fortschritt sowie die Einsicht und Akzeptanz der Men-schen haben zur globalen Energiewende geführt. Regene-rative Energien können kostengünstig und effi zient im Mix genutzt werden. Im Zuge der globalen Energiewende ha-ben Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran an Bedeutung verloren. Stattdessen ist Humankapital zum knappen „Rohstoff“ aufgestiegen. Der demografi sche Wandel hat in Europa zu akutem Fachkräftemangel geführt.

Trotz Lösung des weltweiten Energieproblems ist der Abstand zwischen Industrienationen und Entwicklungs- bzw. Schwellenländern größer denn je. Das HI-Virus hat sich weiter ausgebreitet. Große Teile der Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern sind infi ziert. Viele afrikanische und asiatische Länder haben enorme Verluste an Arbeitskräften und Humankapital erlitten. Die Folgen sind häufi ge Ausfälle der Mitarbeiter und hohe Fluktuation. Indiens Wirtschaftswachstum ist dadurch in den letzten 20 Jahren beispielsweise um 40 Prozent ge-sunken. Auch nicht ansteckende Krankheiten haben welt-weit im Zuge der Verstädterung und der Industrialisierung zugenommen. Mehr als drei Viertel aller Diabetiker welt-weit leben heute beispielsweise in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

7. „Space Logistics“Der Anteil regenerativer Energien am Welt-Energiever-brauch konnte in den letzten 20 Jahren nur geringfügig erhöht werden. Zwar hat absolut die Nutzung dieser Energien zugenommen, zugleich hat sich jedoch auch der Welt-Energieverbrauch im Zuge der Industrialisierung Chi-nas und Indiens nahezu verdoppelt. Das Fördervolumen und der Verbrauch von Rohstoffen, insbesondere fossiler Energieträger, sind heute größer, aber auch umweltscho-nender denn je. Die Aussicht auf nahezu unbegrenzten Zugang zu Rohstoffen in den kommenden zehn Jahren hat weltweit, aber insbesondere in den künftigen Fördernati-onen, zu einem unbedachteren Umgang mit Ressourcen geführt. Mittelfristig werden wieder viele Industrien auf verstärkten Einsatz fossiler Energieträger und Rohstoffe setzen. Der Abstand zwischen den Industrienationen und den Entwicklungs- und Schwellenländern ist in den letzten Jahren durch Korruption, Geldwäsche und Gewinntrans-fer, Pandemien und Umweltkrisen immer größer gewor-den. Die erdölreichen Länder Subsahara-Afrikas haben den „Rohstoff-Fluch“ in den vergangenen 20 Jahren am deutlichsten zu spüren bekommen. Bis zu 30 Prozent der gesamten Erdöleinnahmen sind in dieser Region jährlich verschwunden. Milliarden an „Petrodollars“ aus der Erd-

ölförderung sind von internationalen Erdölkonzernen aus den Vereinigten Staaten, Europa und Asien ins Ausland transferiert worden.

Nach erfolgreichem einwöchigen Mondaufenthalt ei-nes fünfköpfi gen US-Astronautenteams vor fünf Jahren plant die NASA, entsprechend ihrer „Vision for Space Ex-ploration“, in den kommenden Monaten mit der Errichtung einer permanenten Mondbasis zu beginnen. China und Indien schmieden nach ihren erfolgreichen Expeditionen ähnliche Pläne. In den nächsten zehn Jahren soll die ent-sprechende lunare Infrastruktur und Logistik ausgebaut werden. Zukünftige Expeditionen konzentrieren sich zu-dem auf den zwei Kilometer großen, erdnahen Asteroiden Amun, dessen Gesamtwert der Rohstoffe auf über 20 000 Mrd. US-Dollar geschätzt wird.

8. „Die globale Energie- und Wasserkrise“Die globale Energienachfrage hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Bereits im Jahr 2015 wurde das welt-weite Öl-Fördermaximum erreicht und das Zeitalter des billigen Erdöls beendet. Seitdem wurde noch fi eberhafter an der Lösung des weltweiten Energieproblems gearbeitet – bislang jedoch nicht mit dem erhofften Erfolg. Bedroh-licher als die Verknappung der fossilen Energierohstoffe ist jedoch die Verknappung des Rohstoffs Wasser. Die Menschheit befi ndet sich in einer globalen Wasserkrise, die insbesondere die Entwicklungs- und Schwellenländer trifft. Zwar bedeckt Wasser etwa zwei Drittel der Erd-oberfl äche, doch lediglich 0,01 Prozent davon ist Trink-wasser, das zudem nicht verschmutzt oder als Schnee und Eis gebunden ist. Aufgrund des starken Wachstums der Weltbevölkerung ist der Weltwasserbedarf in den letzten 20 Jahren um nahezu 45 Prozent gestiegen mit der Folge, dass heute die Hälfte der Länder auf der Welt unter ernst-hafter Wasserknappheit leidet.

In Zeiten von Energie- und Süßwasserkrisen haben sich Rohstoffe zum Kostenfaktor Nummer eins entwickelt und Arbeitskosten in ihrer Bedeutung zurückgedrängt. Insbesondere der Bedarf an fossilen Energieträgern und an Agrarrohstoffen ist größer denn je. Die weltweite Nachfrage nach Getreide ist in den letzten 20 Jahren um 50 Prozent, die Nachfrage nach Milch und Fleisch sogar um 100 Prozent gestiegen.

Folgt man den Extremszenarien, besteht schon heute ein deutlicher Bedarf, z. B. für die Entwicklung eines Modells, das den Attraktivitätsgrad einer globalen Beschaffung für eine Produktgruppe direkt mit der Ölpreis-Entwicklung ver-knüpft. Hieraus ließe sich eine signifi kante Aussage über

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422 Zukunftsszenarien für die Logistikdienstleistung im Jahr 2025

die Geschwindigkeit der Globalisierung ableiten: Je stär-ker der Ölpreis ansteigt, desto höher werden die Logistik-Kosten, und zunehmend fällt eine knappe Entscheidung pro oder contra Verlagerung der Beschaffung bzw. Produktion ins Ausland zugunsten der lokalen Beschaffung aus. Eine Entschleunigung der Globalisierung könnte eintreten. In der Folge wäre eine Rückwärtsintegration in Richtung der Energieerzeuger eine ernst zu nehmende Option und die lo-kale Wertschöpfungstiefe der Unternehmen könnte wieder ansteigen. Für diese geänderten Rahmenbedingungen glo-baler Logistiknetzwerke muss der Supply Chain Manager in der Konzernentwicklung eines Logistik-Dienstleisters eine strategische Handlungsoption in der Schublade vorhalten, um Agilität und Flexibilität – und damit komparative Wett-bewerbsvorteile – auszubauen oder abzusichern.

Wildcard: Verbreitung einer Pandemie durch Logistik-Netze

Neben den Extremszenarien des Marktumfeldes sind wei-tere Entwicklungen und Ereignisse, wenn auch nicht wahr-scheinlich, so zumindest denkbar: eine weite Verbreitung des „Fabbings“ (3D-Printer für digitalisierte Produkte), Einsatz von sogenannten Personal Fabricators (ein Gerät zur Produktion (Fabrication) von Gütern im eigenen Haus), Terroranschläge auf logistische Netze, eine Rückkehr des Protektionismus, eine Diktatur des Datenschutzes oder weltweite Systemausfälle in der Informations- und Kom-munikationsinfrastruktur. All diese Entwicklungen und Er-eignisse können, auch vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Expertenbefragung, als unwahrscheinlich angesehen werden. Ihr Eintritt ist aber dennoch möglich und im Even-tualfall extrem bedrohlich. Hier wird exemplarisch auf das Gefahrenpotenzial der Verbreitung einer Pandemie durch Logistik-Netze eingegangen.

Regelmäßig entstehen weltweit neue Krankheitserre-ger. Ursache ist hauptsächlich natürliche Mutation. Dabei wird beobachtet, dass neue Erreger immer häufi ger Re-sistenzen gegenüber den vorhandenen Behandlungsmög-lichkeiten aufbauen. Die Auswirkungen einer Pandemie werden an der Spanischen Grippe deutlich, die zwischen 1918 und 1920 durch einen ungewöhnlich virulenten Ab-kömmling des Infl uenzavirus (Subtyp A/H1N1) bis zu 50 Mio. Menschenleben gefordert haben soll. Experten war-nen seit Jahren vor dem Ausbruch einer weiteren Pan-demie. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass beispielsweise bei einer Verbreitung des Vogelgrip-pe-Virus vom Typ A/H5N1 1,5 Mrd. Menschen behandelt werden müssten und 40 Mio. Tote möglich wären.

Die wirtschaftlichen Folgen wären ebenso katastro-phal. Laut aktuellen Studien ist bei einer weltweiten Epi-demie mit Verlusten von weltweit 4,4 Billionen Dollar zu rechnen. Das Potenzial für krankheitsbedingte Arbeitsaus-fälle liegt bei einer Rate von mindestens 35 Prozent. Die Weltbank hat kürzlich berechnet, dass schon das Auftre-ten der Vogelgrippe in mehreren ostasiatischen Ländern, das nur wenige Opfer forderte, Kosten in Höhe von 0,1 bis 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verursacht hat.

Die Auswirkungen auf die Logistik liegen auf der Hand. Internationale Logistik-Netze werden in diesem Zusammenhang als Risiko angesehen. Durch den Trans-port von Personen und Tieren, die Erreger in sich tragen, würde sich ein Virus sehr schnell ausbreiten. National-staaten und regionale Staatenverbünde würden sich von potenziellen Gefahrenregionen abschotten. Globale Beschaffung, Produktion und Distribution würden nicht zuletzt auch wegen der Mitarbeiterausfälle zum Erliegen kommen. Bei der Spanischen Grippe fi elen beispielsweise in den Ford-Werken in Detroit zeitweise bis zu 1000 Ar-beiter wegen einer Erkrankung an der Grippe aus. Es wür-den zudem umfangreiche staatliche Kontroll- und Qua-rantäne-Vorschriften gelten, um eine Verschärfung der Situation zu verhindern. Der Handel und der Reiseverkehr würden, wie beim Ausbruch von SARS (schweres akutes Atemwegssyndrom) in Asien im Jahr 2002/2003, ausset-zen. Die Finanzmärkte wären genauso betroffen wie die Rohstoffmärkte. Produktions- und Lieferketten würden unterbrochen. Bei Just-in-Time-Produktionen würde die Produktion stillstehen. Es wäre damit zu rechnen, dass diese Entwicklungen zwangsläufi g alle Branchen treffen würden.

Es gibt Unternehmen, die sich in den vergangenen Jah-ren auf solche Szenarien eingerichtet und Notfallpläne entwickelt haben, um den Betrieb einigermaßen aufrecht-zuerhalten. Einige große Finanz-Dienstleister planen im Ernstfall die nahezu vollständige Arbeit von zu Hause aus ein oder setzen auf den Rückgriff auf externe Dienstleis-ter. Von einigen Logistik-Dienstleistern ist zudem bekannt, dass sie über detailliert ausgewiesene Notfallpläne in Ab-stimmung mit Gesundheits- und Ordnungsbehörden verfü-gen. Damit ist die Entwicklung von robusten Health Care Supply Chains eine Möglichkeit für Logistik-Dienstleister, diesen Extremsituationen wirksam entgegenzutreten.Auch mehrere große Industrieunternehmen besitzen seit SARS Krisenpläne, um den Produktionsstopp zu vermei-den. Verschiedene Studien belegen jedoch, dass die meis-ten Unternehmen weder auf eine Pandemie vorbereitet sind, noch an entsprechenden Notfallplänen arbeiten.

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423Stefan Walter / Heiko A. von der Gracht / Florian Schick

Fazit

Der Beitrag zeigt, dass langfristige Zukunftsbetrachtun-gen für Unternehmen der Logistikdienstleistungsbranche ein wichtiges Management-Instrument sind. Sie ermögli-chen, ein klareres Bild von zukünftigen Entwicklungen des Marktes und seines Umfeldes zu gewinnen und die darin liegenden Chancen frühzeitig zu erkennen und zu nutzen. Das ganzheitliche Bild der Zukunft der Logistikdienstleis-tungen in Deutschland 2025 bietet Unternehmen einen Referenzpunkt für die eigene strategische Planung. Durch den Vergleich der eigenen Einschätzungen mit den Er-wartungen der Experten können ergänzende Sichtweisen gewonnen werden. Die Identifi kation der Eventualitäten im Markt zeigt zugleich interessante Forschungs- und Ent-wicklungsfelder auf.

Mit den Chancen und Visionskandidaten wurde ein „Katalog der Optionen“ zusammengetragen, der dazu die-nen kann, die eigene Strategie zu prüfen, zu aktualisieren und gegebenenfalls um attraktive Elemente zu erwei-tern. Die Extremszenarien bilden extreme Eckwerte einer möglichen Entwicklung – und machen Unternehmen, die in der Logistik tätig sind, auf Handlungsnotwendigkeiten aufmerksam. Die möglichen Überraschungen zeigen auf, in welchen Bereichen sich Unternehmen gegebenenfalls gegen unerwartete Entwicklungen absichern sollten.

Die der durchgeführten Studie zugrunde liegende Metho-dik und Projektionen werden derzeit um für Industrie und Handel wichtige Thesen zu Technologietrends, Cluster-Management, Energieszenarien und Health Care Supply Chains ergänzt. Ein internationales und branchenüber-greifendes Roll-out fi ndet im Mai 2008 statt und wird im Anschluss publiziert.

Literaturverzeichnis

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