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Basler Münster Palmsonntag, 25. März 2018, 18 Uhr BACH in BASEL: Orgel + Tanz Passion Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Fantasia et Fuga g-moll BWV 542 Passionschoräle aus dem Orgelbüchlein: O Lamm Gottes, unschuldig BWV 618 Christe, du Lamm Gottes BWV 619 Christus, der uns selig macht BWV 620 Da Jesus an dem Kreuze stund BWV 621 Wir danken dir, Herr Jesu Christ BW 623 Hilf Gott, daß mir’s gelinge BWV 624 Passacaglia c-moll BWV 582 O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß BWV 622 Gemeindechoral: O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß (siehe p. 2) aus den sog. Leipziger Chorälen: O Lamm Gottes, unschuldig BWV 656 3 versus Praeludium et Fuga h-moll BWV 544 Tanz: Lina do Carmo An der Mathis-Orgel (2003): Münsterorganist Andreas Liebig Eintritt frei! Kollekte am Ausgang zur Fortführung der Orgelkonzerte im Basler Münster. Empfohlener Betrag: 40 CHF – Herzlichen Dank!

Programm Andreas Liebig Lina do Carmo Orgelkonzert ... · Die Choreographin und Solotänzerin LINA DO CARMO lebt und arbeitet seit vielen Jahren sowohl in Deutschland als auch in

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Basler Münster Palmsonntag, 25. März 2018, 18 Uhr

BACH in BASEL: Orgel + Tanz

Passion Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Fantasia et Fuga g-moll BWV 542

Passionschoräle aus dem Orgelbüchlein:

O Lamm Gottes, unschuldig BWV 618 Christe, du Lamm Gottes BWV 619

Christus, der uns selig macht BWV 620 Da Jesus an dem Kreuze stund BWV 621

Wir danken dir, Herr Jesu Christ BW 623 Hilf Gott, daß mir’s gelinge BWV 624

Passacaglia c-moll BWV 582

O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß BWV 622

Gemeindechoral: O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß (siehe p. 2)

aus den sog. Leipziger Chorälen:

O Lamm Gottes, unschuldig BWV 656 3 versus

Praeludium et Fuga h-moll BWV 544

Tanz: Lina do Carmo

An der Mathis-Orgel (2003): Münsterorganist Andreas Liebig

Eintritt frei! Kollekte am Ausgang zur Fortführung der Orgelkonzerte im Basler Münster. Empfohlener Betrag: 40 CHF – Herzlichen Dank!

Erläuterungen „ ... jede Note ist hier beseelt." O Mensch, bewein dein’ Sünde groß BWV 622 Die Choralbearbeitung „O Mensch, bewein dein’ Sünde groß" BWV 622 aus dem „Orgelbüchlein", das weitgehend Bachs Weimarer Jahren (1708-1717) entstammt, ist mit ihrer reichen Colorierung des gegebenen Cantus firmus und ihren avancierten Harmonien eine seiner ausdrucksvollsten, ein Beispiel par excellence für die hohe Kunst der Verzierung. Nach Hermann Keller vergeistigt Bach „diese Technik zu einer tief­innerlichen Meditation über das Lied. ... Es ist wie ein Gedicht zu sprechen, jede Note ist hier beseelt." Die Tempovorschrift „adagio assai" und ihre Steigerung „adagissimo" (wohl an dem Kreuze lange) indizieren große emotionale Innerlichkeit. O Mensch, bewein dein´ Sünde groß, Den Toten er das Leben gab darum Christus seins Vaters Schoß und legt dabei all Krankheit ab, äußert´ und kam auf Erden. bis sich die Zeit herdrange, Von einer Jungfrau rein und zart daß er für uns geopfert würd, für uns er hie geboren ward, trug unsrer Sünden schwere Bürd er wollt der Mittler werden. wohl an dem Kreuze lange. (Text: Sebald Heyden um 1530, Melodie: Matthäus Greiter 1525)

„ ... um daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen” Passacaglia c-moll BWV 582 Die Passacaglia c-moll BWV 582 ist eines der faszinierendsten Werke der Orgelliteratur. Sie ist u.a. im sog. „Andreas-Bach-Buch" als frühester Quelle überliefert und ist wohl spätestens während Bachs Weimarer Zeit entstanden. In ihrer Verschmelzung von tief bewegender Ausdruckskraft und das Material erschöpfend durchdringender kompositions-technischer Gestaltung stellt sie einen Meilenstein in Bachs kompositorischer Entwicklung dar. Sie geht weit über die Vorbilder Kerlls, Muffats und Pachelbels hinaus, auch über Buxtehudes Ostinato-Werke, von denen sie deutlich inspiriert ist. Neu ist u.a. die einstimmige Vorstellung (Unitas!) eines weit ausholenden, mehr als anderthalb Oktaven durchmessenden, cantablen achttaktigen Themas, das in den nachfolgenden Variationen eine ausführlichere motivisch-thematische Entfaltung der Begleitstimmen erlaubt, als dies bei den bis dahin üblichen kürzeren Ostinati der Fall war, und zudem Diskantfähigkeit besitzt. Die ersten vier Takte des Themas finden sich im „Christe eleison" (trio en passacaille) der „Messe du 2me Ton" aus André Raisons Livre d’Orgue von 1688. Neu ist auch die Überhöhung der Variationenfolge durch eine unmittelbar anschließende Fuge. Die kunstvolle Architektur und Proportionierung des Werkes hat zu einer Reihe teilweise einander widersprechender Analysen ihrer Formstruktur und zu mehr oder weniger nachvollziehbaren Spekulationen über ihren möglichen geistigen Gehalt geführt. Ist diese Passacaglia im „traurigen" c-moll als Hommage an Buxtehude (1637-1707) zu verstehen, den Bach 1705/06 in Lübeck besucht hatte, „um daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen"? Spitta rühmt ihren

„wunderschönen, in schmerzlicher Sehnsucht schwelgenden Anfang". Basiert sie auf dem „Vater unser" und den sog. Radical-Zahlen 1.2.3.4.5.6-8, wie Piet Kee unter Hinweis auf Andreas Werckmeisters (1645–1704) 1707 posthum erschienenes Buch „Musicalische Paradoxal-Discourse" glaubte feststellen zu können? 1 Klingt in den Variationen der Passacaglia mit unmittelbar anschließender Fuge, dem Schicksal, welches das Thema „erleidet", ein „Lebensbild", eine Meditation über das Gesetz, nach dem der Mensch angetreten, auf? Die Passacaglia2 gleichsam als stilisierter Schreittanz auf dem Lebensweg, der sich in der Fuge fortsetzt?3 Ist in den 21 Zitaten des Ostinato der Passacaglia, die in den 12 Themeneinsätzen der Fuge gespiegelt werden, eine Anspielung auf das Leben Jesu verborgen (21+12=33)? Passacaglia und Fuge im Sinne von Passion und Auferstehung? Bemerkenswert ist, wie das zweiteilige Passacaglia-Thema gleich einer Keimzelle sowohl die Großstruktur als auch die motivisch-thematische Arbeit des Werkes prägt (Mikrokosmos-Makrokosmos). Der Verlauf der Variationen kann u.a. als Diskurs über die beiden prinzipiellen Gestaltungselemente Trias harmonica und Tetrachord verstanden werden, indem diese das Thema, die einzelnen Variationen und ihre Entwicklung in vielfältiger Weise prägen.4 Fibonacci-Zahlen markieren herausragende musikalische Ereignisse wie etwa den durch einen langen Doppeltriller vorbereiteten hymnischen letzten Sopran-Einsatz der Fuge. Bemerkenswert ist auch die einfallsreiche Behandlung des Themas in der von männlich zielstrebiger Kraft durchströmten Fuge, in die sich die aufgestaute Energie der vorherigen Variationen, auf geheimnisvolle Weise verwandelt, entlädt. Das Thema ist hier auf seine ersten acht Töne reduziert. Die zweite Hälfte stellt das Ausgangsmaterial zu einem in Achtelnoten emphatisch skandierenden Kontrasubjekt bereit. Ein zweites, frei entwickeltes Kontrasubjekt ist von durchgehender Sechzehntelbewegung. Alle drei Subjekte erklingen in stets wechselnden Kombinationen im mehrfachen Kontrapunkt und artikulieren je ihr eigenes rhythmisches Profil – möglicherweise auf Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist („Der Geist, der da lebendig macht"[!]) deutend. Indem Buxtehudes Passacaglia ihr Thema auf den Stufen I, III und V bringt, liegt ihr die Trias harmonica als Proportion zugrunde und sorgt für harmonische Abwechslung. Bach erreicht eine noch eindrucksvollere Erweiterung des tonartlichen Rahmens der Gesamtkomposition durch die der Fuge immanente Möglichkeit von Einsätzen auf den Stufen I, III, IV, V und VII. Wie wohltuend und im wahren Wortsinne erhebend die Dur-Aufhellung bei der großen Es-dur-Kadenz nach 196 Takten in moll! Mit ihren Zwischenspielen verläßt die Fuge zudem die in der Zeit mehr oder weniger starr regulierte Wiederkehr des Ostinato der Passacaglia. Eine gewaltige Steigerung reißt in einem Abruptio-Ausruf auf dem neapolitanischen Sextakkord ab. Triumphal erlöst, beschließt eine frühere Bewegungen und Motive zitierende Coda diese mitreißende Fuge und klingt aus in einem strahlenden, festgegründeten siebenstimmigen C-dur-Akkord. Christoph Wolff zufolge zeugt die Entwicklung von Bachs musikalischer Sprache insgesamt „von enormer Wißbegierde, Offenheit für Veränderungen und großer Integrationsfähigkeit". Sollte nicht Bach während seines viermonatigen Studienaufenthaltes in Lübeck mit Buxtehude Fragen der Proportionierung auch im Hinblick auf weitergehende theologisch-philosophische Implikationen erörtert haben? Wie dem auch sei, mit diesem im wahren Wortsinn „Maß-stäbe" setzenden Werk legte der junge Bach seine kompositorische Meisterprüfung ab, demonstrierte in vollendeter Weise das Prinzip der Einheit in der Mannigfaltigkeit, die Entwicklung eines Ostinato von der zyklischen Gebundenheit der Passacaglia in die sich öffnende Dynamik der Fuge. Passacaglia und Fuge als tief bewegende Metapher? Den Geheimnissen dieses Werkes auf die Spur zu kommen – sei es nun hörend, spielend oder forschend – bleibt eine ewige Herausforderung. Glücklich, wem es dabei gleichfalls gelänge, „ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen”!

1 Piet Kee zufolge können folgende Prinzipien als konstitutiv für die Architektur der Passacaglia gelten: 1.) die Obertonreihe, wie sie schon den Rahmen des Themas bestimmt, das vom ersten Oberton (c) sich zum zweiten (g) aufschwingt und ihn als Höhepunkt umkreisend schließlich auf dem Fundamentalton (C) landet. Nach Werckmeister repräsentieren die ersten drei Töne der Obertonreihe Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die eine vollkommene Konsonanz bildenden Töne 1, 2, 3, 4 und 8 der Obertonreihe markieren den Beginn neuer Variationengruppen (Partes 2, 5, 7 etc.). 2.) 1 + 2 = 3 als übergeordnetes Gestaltungsprinzip etwa in der Zusammenfassung von Variationen zu Gruppen (z.B. Pars 7 aufsteigen-de Tetrachord-Figuren, Pars 8 absteigende, Pars 9 Gegenbewegung). 3.) Die Fibonacci-Zahlen als Annäherung an den Goldenen Schnitt, beson-daers deutlich in Pars 14 bei Takt 104 (104:168=13:21). 4.) Die Dreieckszahl 21, auch eine Fibonacci-Zahl: Buxtehude baut seine Passacaglia eben-falls auf einer Dreieckszahl (28) auf. 2 Aus den spanischen Wortstämmen pasar und calle. 3 Fuga hat im Deutschen auch die Bedeutung von Flucht, etymologisch mit Flug verwandt. 4 Die Zahlen 3 (Trias harmonica) und 4 (Tetrachord) scheinen neben der Anzahl der Themeneinsätze in der Fuge (3x4=12) auch das Verhältnis der Taktzahlen zwischen Passacaglia und Fuge (168:126= 4:3) und dadurch die Länge der Fuge zu bestimmen. Hierbei werden die beiden letzten Fugentakte ihrer real klingenden Länge (Adagio) entsprechend doppelt gezählt. Auffälligerweise ist die Quersumme von 168 und 294 (168+126) zudem gleich der Anzahl der Töne des Themas (8+7), nämlich 15. © Andreas Liebig

Die Choreographin und Solotänzerin LINA DO CARMO lebt und arbeitet seit vielen Jahren sowohl in Deutschland als auch in Brasilien. Nach einer Ausbildung bei Marcel Marceau folgten umfangreiche internationale Erfahrungen im Bereich Choreographie. Unterschiedlichen Körpertechniken paart sie mit ihren brasilianischen Wurzeln zu einer einzigartigen organischen Bewegungssprache, mit der sie zahlreiche abendfüllenden Solos und Ensembleproduktionen gestaltete. So erregte sie international Aufsehen durch ihre eindrucksvolle Choreographie zu Bachs Johannespassion und seiner Kunst der Fuge mit Andreas Staier. Der Ausgangspunkt ihrer Stücke ist die ursprüngliche Geste. Lina do Carmo gastierte auf internationalen Festivals und in Theatern in Deutschland, Österreich, Liechtenstein, der Schweiz, Italien, Frankreich, Portugal, Polen, und Brasilien. Sie unterrichtet Filmschauspiel an der Ruhrakademie und gibt Seminare auf Festivals, in Tanzzentren und an Universitäten. Zwischen Deutschland und Brasilien pendelnd versucht Lina do Carmo, in ihren Aktivitäten innovative Kunst, prähistorisches Erbe und machtvolle Natur miteinander zu verbinden. In den Jahren ab 2000 verlagerte sich der Schwerpunkt ihrer Forschung nach Brasilien, wo sie sich mit choreographischen Studien über

Tanz und Archäologie beschäftigte. Im Nationalpark Serra da Capivara in ihrem Heimatstaat Piauí rief sie das Kunst- und Erziehungsprojekt Pro-Arte FUMDHAM und das Festival INTERARTES ins Leben und wurde für den bedeutendsten brasilianischen Kulturpreis »Prêmio Multicultural Estadão« nominiert. Derzeit arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit »Archäologie des Ausdrucks« am Fachbereich Arts de la scène der Université Bourgogne-Franche-Comté in Besançon. Augenmerk ihrer künstlerischen Arbeit ist die Schnittstelle von Tanz und Metaphysik, wobei die Musik von Bach für Lina do Carmo eine wichtige Quelle bei der Suche nach kontrastierendem und tiefem körperlichen Ausdruck ist.

ANDREAS LIEBIG (geb. 1962 in Gütersloh/Westfalen) ist seit 2014 Münsterorganist in Basel. Nach Lehrtätigkeiten an den Musikhochschulen in Lübeck und Oslo leitete er zudem von 2013 bis 2015 als Nachfolger von Prof. Reinhard Jaud die Orgelklasse des Tiroler Landeskonservatoriums in Innsbruck. Nach einem Kirchenmusikstudium in Herford studierte er von 1983–89 Hauptfach Orgel-, Klavier- und Musiktheorie in Stuttgart u.a. bei Ludger Lohmann, Adu Frederica Faiss und Helmut Lachenmann. Weiterbildung in Köln, Paris, Wien, Lübeck und Freiburg bei Michael Schneider, Daniel Roth, Hans und Martin Haselböck, Zsigmond Szathmáry sowie bei Sergiu Celibidache in Mainz. 1988 1. Preis bei den internationalen Orgelwettbewerben Dublin und Odense. Kantor und Organist in Dänemark, Norwegen und der Schweiz. Komposition von Kammermusik, Liedern, Klavier- und Orgelwerken, Chormusik. Leitung erfolgreicher Festivals und Konzertreihen, u.a. Ostwestfälische Orgeltage 1992, Brahms-Festival Lübeck 1992, Krummhörner Orgelfrühling (2001 – 2011), Internationale Sommerkonzerte Dornum (Holy-Orgel 1710/11 - www.nachtorgel.de) und seit 2017 Orgelsommer Marienhafe (Holy-Orgel 1710-1713). Rege Konzerttätigkeit, CD-, Radio- und TV-Aufnahmen sowie Meisterkurse in Europa, Nord- und

Südamerika sowie Asien mit weitgespanntem Repertoire vom Robertsbridge Codex bis zur Avantgarde. Vielbeachtete Bach-Aufnahmen an den historischen Orgeln in Groningen, Trondheim, Oelinghausen und Dornum. Jury-Mitglied internationaler Wettbewerbe.

Herzlich willkommen zu den nächsten Internationalen Orgelkonzerten:

Sonntag, 15. April 2018, um 18 Uhr

BACH in BASEL – RESURREXIT! Domorganist Prof. Dr. Winfried Bönig (Kölner Dom)

spielt Meisterwerke von J. S. Bach im Original und in kongenialen Bearbeitungen

Sonntag, 20. Mai 2018, um 18 Uhr

FASZINATION ORGEL – VENI CREATOR SPIRITUS Prof. Juan Maria Pedrero (Granada)

spielt Alte Spanische Meister, Buxtehude, Bach Franck und Messiaen

Eintritt frei – Kollekte am Ausgang!

www.basler-muensterkonzerte.ch