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Mathias Hamp

Die Domestizierung der Samurai

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Mathias Hamp Die Domestizierung der Samurai Die Fremdenniederlassungen und die Konsolidierung des modernen Japans

Tectum Verlag

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Mathias Hamp Die Domestizierung der Samurai. Die Fremdenniederlassungen und die Konsolidierung des modernen Japans Zugl. Diss., Universität Bonn 2013 Umschlagabbildung: © Nyord | Shutterstock Umschlaggestaltung: Tectum Verlag; nach Anregungen von Nikola Kelemen und Melita Radocaj

Tectum Verlag Marburg, 2014 ISBN 978-3-8288-6047-6 (Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3366-1 im Tectum Verlag erschienen.) Besuchen Sie uns im Internet www.tectum-verlag.de www.facebook.com/tectum.verlag

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Allen alles dankend

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Inhaltsangabe

I Einleitung: Fremdbilder im Japan des 19. Jahrhunderts ..............................1 II Theorie zu Fremden, Niederlassungen und ihrer Domestizierung ......... 15

1 Die Definition einer Fremdenniederlassung .............................................. 17 2 Andere Räume und Räume Anderer ........................................................... 32 3 Die Bewegung der Anderen ......................................................................... 45 4 Die Ontogenese des Anderen ...................................................................... 58

III Die Fremdenniederlassungen in der Tokugawa-Zeit 1799-1842 ............. 71 5 Das Japan des frühen 19. Jahrhunderts....................................................... 72 6 Die Expansion aus Übersee ......................................................................... 92 7 Die Politisierung der Gesellschaft ............................................................. 110 8 Die Reformpolitik im frühen 19. Jahrhundert ......................................... 126 9 Fazit: Die Fremden und die Tokugawa ..................................................... 139

IV Die Fremdenniederlassung im Umbruch 1842-1868 .............................. 157 10 Die partizipative Reform der Ansei-Zeit .................................................. 158 11 Die autoritäre Reafirmation der Tokugawa .............................................. 177 12 Die Legitimitätskrise der Tokugawa .......................................................... 194 13 Die Destabilisierung der Gesellschaftsordnung ....................................... 209 14 Das Ende der Tokugawa-Herrschaft ......................................................... 227

V Die Fremdenniederlassungen und das moderne Japan 1868-1899 ...... 241 15 Die Meiji-Restauration und das Erbe der Tokugawa-Zeit ...................... 243 16 Die Revolution der Gesellschaftsordnung ................................................ 257 17 Die Rolle der Vertragshäfen ....................................................................... 273 18 Die Konsolidierung des japanischen Kaiserreichs .................................. 294 19 Der Weg zum japanischen Expansionismus ............................................. 314

VI Schluss ........................................................................................................... 334 VII Annex ............................................................................................................ 351

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Vorwort

Andere sind kein Teil von einem. Sie sind Gegenstand von Fremdbildern. Jede Identitätsfindung beruht notwendigerweise auf Fremdbildern. Die-se können sich innerhalb von einer oder mehreren Generationen grund-legend verändern. Im Allgemeinen bleiben Fremdbilder in einem steten Fluss und werden je nach Situation verschieden wahrgenommen. Die Frage ist jedoch, unter welchen Umständen die Fremdheit einer Verbun-denheit in sozialen kohärenten Räumen Platz macht.

Als Gegenstand emotionaler Welten sind weder Fremdheit noch Ver-bundenheit absolut. Sie entspringen vielmehr unserer Vorstellung. 1 So beruht soziale Gemeinschaft mitunter auch auf Gefühlen, die durch Ideen, Waren und Menschen beeinflusst und damit gelenkt werden kön-nen. Die Vermittlung der Idee einer Gemeinschaft ist Gegenstand von Kommunikation. Auch Waren sind häufig Vehikel von Zugehörigkeit. Mit ihnen wird die Verbindung zu einer bestimmten Gesellschaft zur Schau gestellt. Schließlich sind Menschen die grundlegenden Träger die-ser Ideen und Waren. Je weiter sie reisen, desto weiter können Gemein-samkeiten vermittelt werden.

Aber selbst wenn eine derartige Kommunikation eine große Anzahl von Menschen erreicht, vermag sie nicht automatisch Zugehörigkeit zu generieren. In Hinsicht auf Theodor Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung ist der Grund hierfür von praktischer Natur.2 Seit das Modell der Kulturnation mit der französischen Aufklärung das Licht der Welt erblickte, ist die Legitimität der ihr zugrunde liegenden Gesellschaftsstrukturen nicht metaphysischer, sondern dezidiert physi-scher Natur. An die Stelle des Gottesgnadentums rückte damit die Be-drohung des revolutionsfeindlichen Umfelds. Seitdem fußen Recht und Ordnung nicht auf Vorstellungen von Himmel und Hölle. An ihre Stelle rückte die mehr oder weniger akute Bedrohung durch Fremde. So be-deutet die Befreiung von metaphysischen Legitimitätsdiskursen also gleichzeitig die Abhängigkeit von neuen Fremdbildern.

1 Anderson, Benedict (1991) Imagined Communities: Reflections on the Origin and

Spread of Nationalism. London: Verso. 2 Adorno, Theodor W.; Horkheimer, Max (1988) Dialektik der Aufklärung: Philo-

sophische Fragmente. Frankfurt: Fischer. 42.

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Die Entstehung der modernen Weltordnung im Laufe des 19. Jahr-hunderts führte zur Etablierung physischer Legitimationsdiskurse in Ge-stalt diverser Nationalstaaten in nahezu allen Teilen der Welt. So wurden fremde Kulturen weltweit zur wesentlichen Bedingung nationalstaatlicher Strukturen und Praktiken. Allerdings ist gegenseitiger Respekt in diesem Fall das Resultat zwingender Umstände. In der Logik des „Wir gegen die Anderen“ entstehen überregionale Identitätsräume und mit ihnen Gren-zen, die nicht durch die oben genannten Mittel transzendiert werden können.3

Dennoch haben derartige Grenzräume, also jene nationalstaatlichen Gebilde sich in Gestalt ökologischer sowie ökonomischer Probleme auch Herausforderungen zu stellen, die sich nicht aus ihrem Inneren heraus bewältigen lassen. Derartige Herausforderungen verlangen nach überre-gionaler Verständigung. Jene Anderen, die vormals die Grundlage der Legitimationsdiskurse bilden, wandeln sich unter diesen Umständen schließlich zu zukunftsträchtigen Kooperationspartnern. In diesem Mo-ment sehen sich Gesellschaftsstrukturen abermals gezwungen, sich neu zu definieren, weil sich die Fremdbilder von einst nicht mit den Gemein-samkeiten von morgen verbinden lassen.

In einer Zeit, in der die Lösung von wirtschaftlichen Herausforderun-gen und Umweltproblemen zunehmend auf die verwaltungspolitischen Grenzen verweist, bietet es sich an, in der Vergangenheit nach Beispielen überregionaler Verständigung zu suchen. Aufgrund des großartigen technologischen Fortschritts im Transport von Ideen, Menschen und Waren bietet das 19. Jahrhundert vielerorts interessante Beispiele von sich wandelnden Verwaltungsstrukturen. So zeigt sich unter anderen auch in der nationalstaatlichen Konsolidierung des modernen japani-schen Kaiserreichs ein geschichtlicher Prozess einer regionalen, kulturel-len und nicht zuletzt politischen Verschränkung heterogener Räume. Die Natur dieses Prozesses gibt der folgenden Abhandlung ihren Titel, näm-lich die Domestizierung der Samurai.

München im Juni 2013 Mathias Hamp

3 Zum Begriff der Grenze vgl. Fludernik, Monika (2000) „Grenze und Grenz-

gänger: Topologische Etüden.“ in: Fludernik, Monika; Gehrke, Hans-Joachim Hg. (1999) Grenzgänger zwischen Kulturen. Würzburg: Ergon. 99-108.

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I Einleitung:

Fremdbilder im Japan des 19. Jahrhunderts

Das moderne japanische Kaiserreich entstand im Laufe des ausgehenden 19. Jahrhunderts aus einer Gesellschaftsordnung, deren Grenzen fünf-zehn aufeinander folgende Generationen von Herrschern aus dem Ge-schlecht der Tokugawa bestimmt hatten. Seit ihrer Machtergreifung im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert prägte die Regierung dieses Herrschaftshauses über mehr als zwei Jahrhunderte das wirt-schaftliche, politische sowie kulturelle Leben in großen Teilen des japani-schen Archipels. Die Gesellschaftsordnung der Tokugawa gilt Histori-kern wie Bitō Masahide zufolge als festgefahren bzw. „eingefroren, […] um die eigene Macht zu erhalten“.1

Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert unterlagen die Verhältnisse je-doch nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen einem zunehmenden Wandel, der den Verfall der ihr zugrunde liegenden Strukturen und Ord-nung mit sich führte. Im Jahr 1868 wurde schließlich der sechzehnte und letzte Shogun gestürzt. Die Samurai hatten rebelliert und sahen sich nun mit der Herausforderung konfrontiert, die Zukunft der Gesellschaft zu bestimmen, die über zwei Jahrhunderte den drastischen Herrschafts-maßnahmen der Tokugawa unterstanden hatte. Mit dem Zerfall der to-kugawazeitlichen Gesellschaft beginnt die eigentliche Geschichte der Domestizierung der Samurai, die im Japan des 19. Jahrhunderts zu einem entscheidenden Wandel der Fremdbilder führte.

Im Zuge der Ereignisse, die zur Restauration des kaiserlichen Haus-halts als Regierungsinstanz führten, durchlief die Gesellschaftsordnung auf dem japanischen Archipel eine Phase tief greifenden strukturellen Wandels. Vor allem galt es, die Antagonismen der Vorzeit zu bewältigen. So sah sich das moderne japanische Kaiserreich erst nach einigen schwerwiegenden binnenpolitischen Krisen wie unter anderem der Satsuma-Rebellion von 1877 dazu in der Lage, mehr oder weniger ge-schlossen aufzutreten. 1895 zog Japan in den Krieg gegen die chinesische Qing-Dynastie und 1899 wurde die Extraterritorialität der Handelsstütz-

1 Bitō, Masahide (1992) Edo jidai to ha nani ka: Nihon shijō no kinsei to kindai.

Tōkyō: Iwanami. 42.

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punkte abgeschafft. Die endgültige Emanzipation als Nation vor der Weltöffentlichkeit errang das imperiale Japan schließlich durch den Sieg über das zaristische Russland im Jahr 1905.

Diese nationalstaatliche Konsolidierung im Spiegel des Wandels von Fremdbildern ist Gegenstand dieser Arbeit. Damit bietet die Dissertation eine Fortsetzung von Ikegami Eikos Zähmung der Samurai und geht der Frage nach, wie nicht nur die Samurai, sondern die Anderen im Allge-meinen domestiziert wurden. 2 Hatte Ikegami noch beschrieben, wie die Samurai in der tokugawazeitlichen Gesellschaftsordnung in ihrem machtpolitischen Einfluss eingeschränkt wurden, so widmet sich die vor-liegende Arbeit zur Domestizierung der Samurai ihrer Inkorporation in den nationalstaatlichen Rahmen.

Die Domestizierung fußt dabei auf der These, dass Zähmung unter Anwendung von Zwängen nur zur vorübergehenden Unterdrückung oppositioneller Haltung führt. 3 Die Domestizierung ist hingegen das Ergebnis eines willentlichen Aktes und zeichnet sich aufgrund des ge-genseitigen Respekts durch ihre Nachhaltigkeit aus. Die Arbeit gründet also auf einem prozessualen Geschichtsverständnis, das im Zerfall der tokugawazeitlichen Gesellschaft das Scheitern jener Zähmung sieht und an ihre Stelle die Domestizierung setzt. So hebt Gennifer Weisenfeld hervor, dass Japan gleichzeitig „Ziel und Ausgangspunkt kolonialistisch geprägter Unternehmungen“ war. Mit der Gründung neuer und der Er-weiterung bestehender kolonialer Räume im Ostpazifik wichen alte Fremdbilder neuen. Mit der Untersuchung dieser Fremdbilder leistet die vorliegende Dissertation einen Beitrag zur Erforschung der ostasiati-schen Geschichte und erklärt insbesondere die Entstehung des moder-nen japanischen Kaiserreichs im 19. Jahrhundert.

Fragestellung

Wo sind Fremdbilder also zu verorten? Wie sind sie überhaupt festzustel-len und wie geraten sie in Bewegung? Anhand dieser Fragen beschreibt „Die Domestizierung der Samurai“ wie Fremde, Andere bzw. Alterität im Allgemeinen im Laufe des 19. Jahrhunderts in das moderne japani-sche Kaiserreich eingegliedert wurden. Dabei begrenzt sich die Darstel-lung nicht nur auf die Expansion westlicher Interessenpolitik im Ostpa-zifik. Sicherlich ist die Revolution der ostasiatischen Weltordnung4 mit der Etablierung moderner Nationalstaaten wie dem japanischen Kaiser-

2 Ikegami, Eiko (1995) The Taming of the Samurai: Honorific Individualism and the

Making of Modern Japan. Harvard: Harvard University Press. 3 Vgl. Roots, Clive (2007) Domestication. Westport: Greenwood Press. 10-12. 4 Der Begriff ostasiatische Weltordnung ist u.a. durch Hamashita Takeshi ge-

prägt. Vgl. Hamashita, Takeshi (1997) Chōkō shisutemu to kindai Ajia. Tōkyō: Iwanami Shoten.

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reich von deren Vorstoß begleitet worden. Immerhin wird die national-staatliche Emanzipation Japans auch anhand der Abschaffung der kon-sularischen Rechtsprechung im Jahr 1899 gemessen. Dieses Sonderrecht garantierte den überseeischen Handelsgemeinschaften von 1858 bis 1899 Immunität vor der japanischen Justiz. Mit der Abschaffung des Systems extraterritorialer Hafenstützpunkte – auch als kyoryūchi seido bekannt5 – wurden die letzten Fremden innerhalb des japanischen Ar-chipels „domestiziert“. Allerdings ist dieser Aspekt der globalen Vernet-zung Ostasiens keinesfalls der einzige Kontext, in dem Fremdbilder ver-handelt wurden.

Die Fragestellung zielt vielmehr auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Anderen in dieser asiatischen Weltordnung im Allge-meinen. In dieser Weise soll zu einem umfassenden Verständnis der Entstehungshintergründe und des Wandels der Fremdbilder im Japan des 19. Jahrhunderts beigetragen werden. Der These der vorliegenden Arbeit zufolge verkörpern eben nicht nur die Handelsgesellschaften in den Überseehäfen Fremdbilder. Ihre Niederlassungen stellen nur eines unter vielen Fallbeispielen dar, anhand derer die Mechanismen und Hin-tergründe zu erforschen sind, welche mit der Ausbildung der modernen japanischen Kulturnation als Ganzes zusammenhängen.

Dabei stellt sich die Frage, wie Fremdbilder überhaupt näher zu defi-nieren sind. Zum einen sind sie aufgrund ihres abstrakten Charakters nur schwer zu verallgemeinern. Zum anderen ergeben sich je nach gesell-schaftlichem Kontext andere Fremdbilder. In anderen Worten sind Fremdbilder betrachtungsrelativ. Hier schlägt die Arbeit vor, Fremdbilder anhand von Fremdenniederlassungen zu untersuchen. Als klar definier-bare Heterotopien bestehen diese Orte nämlich auf der Grundlage fester Regeln und konkreter Vorgänge, während Fremdbilder abstrakt bleiben.6 Fremdenniederlassungen sind folglich nicht das eigentliche Thema der Arbeit. Sie stellen vielmehr die Variable und den Schauplatz dar, anhand derer die Domestizierung der Samurai festgemacht wird. Demnach zielt die Dissertation nicht drauf ab, ein ganzheitliches Bild der Geschichte der Fremdenniederlassungen in Ostasien wiederzugeben. Sie fokussiert vielmehr auf einige exemplarische gesellschaftspolitische und geopoliti-sche Entwicklungen, um die Domestizierung anhand der als Variable begriffenen Fremdenniederlassung nachzuzeichnen. Schließlich dient der Begriff der Fremdenniederlassung in den theoretischen Vorbemerkungen

5 Dieser Begriff war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitaus geläufi-

ger als Bezeichnungen wie Gemischte Wohnflächen im Inland (naichi zakkyo). Vgl. Taguchi, Ukichi (1893) Kyoryūchi seido to naichi zakkyo. Tōkyō: Keizai Zasshisha.

6 Zum Begriff der Heterotopie im Sinne von Foucault vgl.: Foucault, Michel (1984) „Von anderen Räumen.“ in: Dünne, Jörg; Günzel, Stephan Hg. (2006) Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt: Suhrkamp.

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als Grundlage zur Entwicklung geeigneter Kriterien zur Untersuchung des gesellschaftspolitischen Wandels.

Im historischen Teil werden diese Kriterien herangezogen, um die Fremdbilder im Japan des 19. Jahrhunderts zu identifizieren und zu cha-rakterisieren sowie ihren Wandel im Zuge der nationalstaatlichen Konso-lidierung aufzuzeigen. Im Spiegel der bestehenden Forschung entpuppen sich die Fremdenniederlassungen als entscheidendes Zeugnis, in welcher Weise der Notwendigkeit begegnet wurde, die traditionellen Maßnahmen überregionaler Integration den sich verändernden Bedingungen in der Welt des 19. Jahrhunderts anzupassen. Sie sind der wichtigste Anhalts-punkt, um zu dokumentieren, wie nicht nur in Asien, sondern weltweit Gesellschaften in Bewegung geraten. Die Fremdenniederlassungen ste-hen sozusagen an der Kreuzung zwischen der Bewegung von Individuen und Gesellschaften im Wandel.

Neben der Identifikation der Fremdenniederlassungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts möchte die folgende Arbeit weiterhin aufzeigen, von welchen Mechanismen die Etablierung extraterritorialer Rechtsräume wie Yokohama, Nagasaki oder Kōbe bestimmt wurde.7 Dabei soll die Ge-schichte der Fremdenniederlassungen im Japan des 19. Jahrhunderts mit ihren binnenpolitischen Hintergründen ergänzt werden. Die Fragestel-lung zielt dabei weniger darauf ab, den Emanzipationsprozess von kolo-nialer Bevormundung zu beschreiben, als vielmehr die Darstellung um die Dimension der endogenen Entwicklung der ostasiatischen Weltord-nung zu erweitern.8 „Die Domestizierung der Samurai“ ergänzt damit die bisherige historische Darstellung, die die überregionale Komponente der viel prominenteren Begegnung mit dem Westen unterordnet und lädt dazu ein die Konsolidierung des modernen Japan aus dem Blickwinkel der Anderen im interregionalen Kontext des Archipels zu betrachten.

7 Zum einen ist hier an eine Reihe von kritischen Beiträgen aus der japanischen

Forschung zu denken, die sich mit der Neubewertung der Idee eines verschlos-senen Japans beschäftigen. Diese umfassen unter anderem: Arano, Yasunori (2003) Sakoku wo minaosu. Tōkyō: CAB Shuppan; Kawakatsu, Heita (2000) Sakoku wo hiraku. Tōkyō: Dōbunkan Shuppan; Ishii, Takashi (1993) Meiji ishin to gaiatsu. Tōkyō: Yoshikawa Kōbunkan; Fujiwara, Akira Hg. (1990) Nihon kindai shi no kyōzō to jitsuzō. Tōkyō: Ōtsuki Shoten; Ryōzō, Doi (2000) Kaikoku e no fuseki: Hyōden, rōjū shuza Abe Masahiro. Tōkyō: Miraisha. Als kritische Stimme in den Gesellschaftswissenschaften zählen Beiträge von: Frank, André G. (1998) ReOrient: Global Economy in the Asian Age. Berkeley: University of California Press; Pomeranz, Kenneth (2002) The Great Divergence, Europe, China, and the Making of the Modern World Economy. Princeton: Princeton University Press; Said, Edward (1979) Orientalism. New York: Vintage; Wagner, Roy (1981) The Invention of Culture. Chicago: University of Chicago Press; An-derson, Benedict (1991) Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London: Verso. etc..

8 Der Begriff ostasiatische Weltordnung ist u.a. durch Hamashita Takeshi ge-prägt. Vgl. Hamashita, Takeshi (1997) Chōkō shisutemu to kindai Ajia. Tōkyō: Iwanami Shoten.

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Hintergrund der Fragestellung

Es wird häufig davon ausgegangen, die Entstehung des modernen japa-nischen Kaiserreichs im Laufe des 19. Jahrhunderts sei ausschließlich im Kontext der Konfrontation mit Zivilisationsformen aus Europa und Nordamerika zu setzen.9 Dabei finden vor allem die diversen Aspekte der Modernisierung Betonung. So wird die Übernahme von Erkenntnis-sen und Idealen fremder Kulturräume angeführt, um den umfangreichen Wandel der gesellschaftspolitischen Ordnung auf dem japanischen Ar-chipel zu erklären. Allerdings ist die Einführung weit gefächerter Kultur-güter aus Europa oder Nordamerika in ihrer symptomatischen Bedeu-tung für viele territoriale Fragen in den geo- sowie soziopolitischen Randbereichen dieser nationalen Konsolidierung umstritten.

In Hinsicht auf die neueren Forschungsergebnisse, wie von Oguma Eiji, ist das Verständnis einer „vormodernen“ aber einheitlich japani-schen Gesellschaft nicht nur in Randbereichen wie Okinawa oder Hok-kaidō zu hinterfragen.10 Die Betonung des vormodernen Zustands dieser Räume maskiert entsprechend der Problemstellung von Mary Berry und Victor Liebermann nämlich die Tatsache, dass Japan vor seiner imperia-len Konsolidierung selbst im Kern nur bedingt als ein politisch, kulturell oder wirtschaftlich einheitlicher Kulturraum zu beschreiben ist.11 Somit zeugt die Entwicklung im japanischen Inselreich eher von einer national-staatlichen Konsolidierung als von einer Modernisierung. So waren laut Bruce Batten die Grenzen Japans in den Zeiten vor seiner nationalen Konsolidierung viel offener und wenn überhaupt nicht derart rigide or-ganisiert, wie die Vorstellung dieser homogenen Kulturnation inmitten des Pazifiks vermuten lässt. 12 Was der Begriff Japan heutzutage verkör-pert, ist allerdings erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden.13 Die

9 Umemori Naoyuki zufolge lässt sich dies gut anhand von Losungen wie japa-

nischer Geist und abendländische Technologie (wakon-yōsai) veranschaulichen. Dieses Idiom verdeutlicht die Auffassung, das moderne Japan liegt im Kontakt mit okzidentalen Zivilisationsformen begründet. Vgl. Umemori, Naoyuki (2004) „Kiritsu no ryotei: Meiji-shoki keisatsu seido no keisei to shokumin-chi.“ Waseda Seiji Keizai Gaku Zasshi 354: 44-62.

10 Vgl. u.a. Oguma, Eiji (1995) Tan'itsu minzoku shinwa no kigen: "Nihonjin" no jigazō no keifu. Tōkyō: Shin'yōsha.

11 Vgl. die ausführliche Diskussion dieser Fragestellung durch: Berry, Mary Eli-zabeth (1997) „Was Japan Culturally Integrated?“ Modern Asian Studies 31(3): 547-581; Liebermann, Victor (1997) „Transcending East-West Dichotomies: State and Culture Formation in Six Ostensibly Disparate Areas.“ Modern Asian Studies 31(3): 463-546; Batten, Bruce L. (2003) To the Ends of Japan: Premodern Frontiers, Boundaries, and Interactions. Honolulu: University of Hawaii Press.

12 Vgl. Batten, Bruce L. (2003) op. cit.; Haas, Ernst B. (1997) Nationalism, Liberalism and Progress. Ithaca, London: Cornell University Press. 276

13 Bezeichnenderweise schreibt Gluck, dass obwohl „the process began in the Restora-tion years, it required the entire Meiji period to weave the emperor's new clothes and display them effectively before the people.“ Gluck Carol (1985) Japan’s Modern Myth: Ideology in

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Wahrnehmung einer Modernisierung, die sich im Bereich der japani-schen Inseln sowie im gesamten ostasiatischen Raum während des 19. Jahrhunderts einstellte, ist mitunter das Ergebnis kolonialistischer Dis-kurstraditionen, die Geschichtsforschung vor allem in nationalistischen Dimensionen betrieben wissen wollten.

Bis zum Zeitalter der Entkolonialisierung im ausgehenden 20. Jahr-hundert behinderten nationale Interessen nicht nur in Japan eine objekti-ve Aufklärung der gesellschaftspolitischen Verhältnisse auf sub- und supranationalen Ebenen. Treffender Weise konstatiert Harald Bolitho, dass „Tokugawa Japan, as it was depicted prior to 1946, was an extremely forbid-ding place in almost every respect. “ 14 Unter diesen Umständen blieben über lange Zeit überwiegend die Machtzentren dieser entstehenden Nation im Fokus historischer Untersuchungen. Und dennoch ist es erstaunlich, wie die Stadt Tōkyō und die Kantō-Region als repräsentative Orte ganz Ja-pans gelten konnten, wenn der gesellschaftliche Wandel im Zuge der na-tionalen Konsolidierung Japans selbst auf Gebiete Einfluss nahm, die nicht dem ursprünglichen Einflussbereich der vorangehenden Tokuga-wa-Herrschaft angehörten.

Die Prominenz der Stadt Tōkyō erklärt sich wohl auch damit, dass die gesellschaftspolitische Neuordnung von der Zentralisierung aller admi-nistrativen Politorgane in der neuen kaiserlichen Hauptstadt begleitet war. Andere soziokulturelle Zentren, wie die Städte der vormals autonomen Provinzen, entwickelten in diesen Zeiten nationaler Konsolidierung eine weit reichende Abhängigkeit von Tōkyō, die diese Städte bis in die Ge-genwart beibehalten haben. Im tiefen Bruch mit ihrer Rolle als zweitran-gige, aber autonome Entitäten der Gesellschaftsordnung aus den Regie-rungszeiten der Tokugawa waren die Planung und Finanzierung ihrer Integration und infrastrukturellen Anbindung nämlich zum größten Teil von den zentralen Regierungsorganen in der entstehenden Hauptstadt abhängig. Wohl auch aus diesem Grund wurde mit Ausnahme der Kan-sai-Region die Bedeutung anderer regionaler Zentren marginalisiert.

Die Vorstellung einer vormodernen aber einheitlichen japanischen Gesellschaft erklärt sich weiterhin aus den Zwängen, welchen die Welt-öffentlichkeit in ihrem Kontakt mit diesem Erdteil zunächst ausgesetzt war. Im Rahmen der staatlichen Kontrollmaßnahmen genossen Japan-Reisende bis 1899 nur begrenzte Bewegungsfreiheiten. Mit Ausnahme

the Late Meiji Period. Princeton: Princeton University Press. 73. Zu diesem Schluss kommt auch: Fujitani, Takashi (1996) Splendid Monarchy: Power and Pag-eantry in Modern Japan. Berkeley: University of California Press. Weiterhin: Craig, Albert M. (1998) „The Meiji Restoration: A Historiographical Overview.“ in: Hardacre, Helen Hg. (1998) The Postwar Development of Japanese Studies in the United States. Leiden, Boston, Köln: Brill. 115-142.

14 Bolitho, Harold (1998) „Tokugawa Japan: The Return of the Other?“ in: Hardacre, Helen (1998) The Postwar Development of Japanese Studies in the United States. Leiden: Brill. 86-87.

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der diplomatischen Vertretungen sowie den von der japanischen Regie-rung eingestellten Fachkräften waren nur einige wenige Gebiete, aber bei weitem nicht der gesamte Archipel zugänglich. Die Hauptstadt Tōkyō bot in dieser Zeit als offen stehender Handelsstützpunkt eine willkom-mene Gelegenheit zur Untersuchung des gesellschaftspolitischen Wan-dels. Aus diesem Grund wurde die Entstehung eines modernen japani-schen Kaiserreichs bis in das beginnende 20. Jahrhundert meist nur aus Sicht der Entwicklungen seiner neuen Hauptstadt und der offenen Han-delshäfen verfolgt. Die Bewilligung uneingeschränkter Bewegungsfreiheit nach der Abschaffung der Extraterritorialität im Jahr 1899 ermöglichte zwar eine gründlichere Erforschung des Archipels. Im Vorfeld der Welt-kriege war die Geschichtsforschung im ostasiatischen Raum allerdings bereits voll und ganz national gestimmt. Zudem boten die zentralen Ar-chivsammlungen sowie die zahlreichen Fallbeispiele in der Hauptstadt Tōkyō einfach „circumstances too easy and convenient to exploit“ 15, als dass die Erforschung des soziokulturellen Wandels im Japan des 19. Jahrhunderts von einer anderen Perspektive als von der seiner Hauptstadt hätte ausge-hen müssen.

Schließlich zählten alternative Blickwinkel in sub- oder supranationa-len Dimensionen über lange Zeit im Rahmen nationaler Geschichts-schreibung wohl generell zu unwillkommenen Tätigkeitsfeldern. 16 Als Zeugnis einer vor- oder ultranationalen Vergangenheit warfen sie irritie-rende Schatten auf die vorrangige Perspektive nationaler Geschichte, die laut Stefan Berger selbst im Europa des 19. Jahrhunderts noch „in the center of much historical investigation“ stand.17 Erst die postkoloniale Perspek-tive des ausgehenden 20. Jahrhunderts vermochte den Blick auf die Pa-radigmen nationaler Geschichte zu öffnen. Diese neue Freiheit greift unter anderem Kären Wigen mit ihrer Regionalforschung auf, die eben-falls lange von der vorrangigen Narrative eines modernen Japans ver-deckt war.18 Es ist aber gar nicht so einfach

to resist these representations which are endlessly reinforced and circulated by the media and other popular discourses [...]. The challenge lies in revising the modes of discourse that are used in speaking of, to, and for otherness [...].19

15 Vgl. Brown, Philip C. (2000) „Local History’s Challenge to National Narra-

tives.“ Early Modern Japan: An Interdisciplinary Journal 8(2): 41. 16 Vgl. Wigen, Kären (1999) „Culture, Power, and Place: The New Landscapes of

East Asian Regionalism.“ American Historical Review 104(4): 1187. 17 Hier sind wohl Betrachter und Betrachtungszeitpunkt von entscheidender Be-

deutung. So kann die Perspektive von außerhalb bzw. innerhalb einer Kolonie unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Vgl. Berger, Stefan; Donovan, Mark; Passmore, Kevin Hg. (1999) Writing National Histories: Western Europe since 1800. London, New York: Routledge. 6.

18 Vgl. Wigen, Kären (1999) op. cit. 1183-1201. 19 Kandiyoti, Dalia (1995) „Exotism Then and Now: The Travels of Pierre Loti

and Roland Barthes in Japan.“ History of European Ideas 20(1-3): 391.

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Die Fragestellung bei der Domestizierung der Samurai richtet sich zu-sammenfassend nicht gegen die weit verbreitete Auffassung einer Be-gegnung zwischen fremden Kulturkreisen. 20 Sie will sie aber von den monokausalen und unidirektionalen Grundtendenzen befreien, die in dieser Begegnung den ausschließlichen Grund für den soziopolitischen Wandel seit dem 19. Jahrhundert sehen. Während der unleugbaren Mo-dernisierung verdient nämlich die Domestizierung der übrigen Gesell-schaftsräume im Rahmen der nationalstaatlichen Konsolidierung min-destens genauso viel Beachtung. An dieser Stelle ergibt sich die Heraus-forderung, die Zusammenhänge zwischen den binnenpolitischen und außenpolitischen Fremdbildern näher zu problematisieren.

Übersicht und Aufbau der Arbeit

Der Aufbau dieser Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen historischen Teil. Im Rahmen der theoretischen Vorbemerkungen wer-den eingehend die Umstände untersucht, die zur Gründung von Frem-denniederlassungen führen. Dabei dient die Modellbildung zur Entste-hung von Fremdenniederlassungen der darauf folgenden historischen Untersuchung als Grundlage. Im historischen Teil der Arbeit wird zu-nächst die Frage erörtert, wo und in welcher Weise Fremdenniederlas-sungen im Japan des beginnenden 19. Jahrhunderts festzustellen sind. Ein weiteres Kapitel beschreibt ihren Wandel im Kontakt mit der Inte-ressenpolitik aus Übersee seit 1842 sowie deren weitreichenden Konse-quenzen für diese ostasiatische Gesellschaftsordnung. Das letzte Kapitel antwortet zum einen auf die Frage, welche Bedeutung den Vertragshäfen im Rahmen der Konsolidierung des modernen Japans beizumessen ist und zum anderen, welche Entwicklung alle übrigen Fremdenniederlas-sungen in dem Zeitraum von 1868 bis 1899 durchlaufen haben. Die fol-gende Übersicht dient der näheren Vorstellung der einzelnen Kapitel dieser Arbeit:

Die theoretischen Vorbemerkungen in Kapitel II zur Entstehung der Fremdenniederlassung bieten eine Betrachtung der Rahmenbedingungen, wie Migration in Richtung überseeischer Territorien überhaupt zu erklä-ren ist. Welche Merkmale weisen jene kolonialen Handelsstützpunkte auf, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Überseegebieten wie in Ostasien gegründet wurden? Die Leitfrage der Vorbemerkungen richtet sich auf die Art und Weise, wie kulturelle Räume entstehen können, die ihren Bewohnern unter anderem bei ihrer Ankunft in Übersee suggerieren, sie seien grundsätzlich von der lokalen Bevölkerung verschieden.21 Wie ent-

20 Dieses Argument findet immer wieder Bestätigung wie durch den Beitrag von:

Huntington, Samuel (2003) „The Clash of Civilization.“ Foreign Affairs 72(3): 22-49.

21 Dieser speziellen Fragestellung widmen sich unter anderem die Beiträge von:

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steht jenes Gemeinschaftsgefühl unter den Siedlern, welche die Integra-tion in dem entsprechenden Umfeld erschweren, wenn nicht gänzlich verhindern? Wieso sind in Arjun Appadurais Worten „some other more other than other others“?22 Die Modellbildung zur Entstehung von Fremdennie-derlassungen dient dabei der Klärung möglicher Mechanismen, welche die Entstehung von Lebensgemeinschaften „oberhalb der naturwüchsi-gen Formationen menschlicher Vergesellschaftung“ erklären können.“ 23 Was kann es bedeuten, in der Fremde zu leben und mit welchen Konse-quenzen ist dies verbunden? Welche Mechanismen schützen vor der Einflussnahme Dritter? In welcher Weise können territoriale Besitzan-sprüche so konsolidiert werden, dass pluralistische Formen des gesell-schaftlichen Zusammenlebens entstehen, in welchen laut John Furnivall „different sections of the community liv[e] side by side, but separately, within the same [socioenomic] unit“?24

Die Modellbildung zur Theorie der Fremdenniederlassung bietet Raum, danach zu fragen, wie dieses Modell im Fall Japans im 19. Jahr-hundert anzuwenden ist. Demnach widmet sich Kapitel III des histori-schen Teils der Frage, welche Fremden zwischen 1799 und 1842 zu den bestimmenden Kräften in dieser Gesellschaftsordnung zählten. Laut Carol Gluck hatte „Japan […] virtually no independent regional cultures within its borders.”25 Wie bereits erwähnt ist laut Berry und Liebermann die to-kugawazeitliche Gesellschaftsordnung dennoch nicht mit einem einheit-lichen Kulturraum zu vergleichen, bei dem alle Staatsgewalt in wenigen Händen monopolisiert wird.26 Im Gegenteil gründete die Vorherrschaft der Tokugawa auf einem sensiblen Mächtegleichgewicht zwischen vielen Parteien, die sich gegenseitig kontrollierten. Ihre Hegemonialstellung stützten weiterhin Maßnahmen, welche den machtpolitischen Einfluss regierungsferner Kreise steuerten und den Aufbau einer ständischen Ge-sellschaft förderten. Dabei waren autonome Territorien und die strenge ständische Ordnung die wesentlichen Bestandteile einer Gesellschafts-ordnung, die in den Worten Furnivalls am treffendsten als plurale Ge-

Todorov, Tzvetan (1982) La conquête de l’Amérique: La question de l’autre. Paris: Seuil; Sloterdijk, Peter (2005) Aus dem Weltinnenraum des Kapitals: Für eine philoso-phische Theorie der Globalisierung. Frankfurt: Suhrkamp.

22 Appadurai, Arjun (1986) „Theory in Anthropology: Center and Periph-ery.“ Comparative Studies in Society and History 28(2): 357.

23 Assmann, Jan (1999) Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: C.H. Beck. 148.

24 Furnivall, John S. (1948) Colonial Policy and Practice: A Comparative Study of Burma and Netherlands India. Cambridge: Cambridge University Press. 304.

25 Gluck, Carol (1985) op. cit. 37. 26 Über die Frage der kulturellen Integration Japans während der Tokugawa-Zeit:

Berry, Mary E. (1997) op. cit. 547-581; Liebermann, Victor (1997) op. cit. 463-546.

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sellschaft zu bezeichnen ist.27 Auf der Grundlage der im theoretischen Teil erarbeiteten Kriterien und im Abgleich mit dem Forschungsstand lassen sich in soziopolitischer und geopolitischer Hinsicht im Laufe der Tokugawa-Dynastie also eine Vielzahl fremder Niederlassungen feststel-len.28

Dieses Herrschaftssystem tritt bereits im 18. Jahrhundert in seine stagnierende Phase ein, in Folge derer politische Unruhen anwachsen, die sich in den Geschehnissen um die Restauration des Kaiserhauses schließlich entladen. Bis dahin hatte die shogunale Regierung der To-kugawa verschiedene Reformen eingeleitet, um den ernsthaften Finanz-problemen zu begegnen, die ihre defizitäre Herrschaft nach sich zog. In diesem Zusammenhang sind den Reformen während der Tempō-Zeit von 1830 bis 1842 besondere Bedeutung beizumessen: Die Zerschlagung privater Monopole, umfassende Verstaatlichungen sowie eine Ausdeh-nung bestehender Vorrechte sollten die Tokugawa in ihrem Kampf ge-gen den drohenden Machtverfall unterstützen. Diese trafen aber auf eine erstarkende Kritik aus regierungsfernen Kreisen. Auch die Expansion europäischer und nordamerikanischer Interessen im ostasiatischen Raum stellte dieses Herrschaftssystem vor neue Herausforderungen. Diesen begegnete die Tokugawa zunächst mit Bestimmtheit. Zeitgleich mit dem Sturz der Hegemonie des chinesischen Kaiserreichs von 1842 brach für die Bevölkerung des japanischen Archipels ein Zeitalter gesellschaftli-chen Wandels herein. Die weitreichenden Konsequenzen für die inneren sowie äußeren Welten des Inselreichs sind Gegenstand der beiden weite-ren Kapitel des historischen Teils.

Das Kapitel IV beschreibt die Entwicklung der Fremdenniederlassun-gen von 1842 bis 1868, dem Jahr, als die Tokugawa-Dynastie durch die Restauration des kaiserlichen Haushalts gestürzt wurde. In Folge diverser diplomatischer Zwischenfälle zu Beginn des 19. Jahrhunderts rückte der Schutz der Küsten des Archipels in das Interesse ihrer herrschenden Klassen. Nach dem Ausgang des ersten Opium-Krieges im Jahr 1842 konkretisierte sich dieses Interesse in der Einführung einer überregiona-len Küstenwache. Diese neuartige militärische Institution wurde zum Erprobungsfeld einer Entente zwischen den autonomen Domänen und ermöglichte im Jahr 1854 schließlich die Einrichtung von Schutzhäfen in Shimoda und Hakodate. Die Gründung der ersten Handelsstützpunkte in Yokohama, Nagasaki und Hakodate fünf Jahre später ist vor diesem Hintergrund als die kalkulierte Strategie des Tokugawa Shogunats anzu-sehen. In ihrer Sorge um die Wahrung ihrer Vormachtstellung strebte es die Ausdehnung ihrer Außenbeziehungen an, um sich auch gegenüber dem wachsenden Druck aus den Reihen der autonomen Domänen zu

27 Furnivall, John S. (1948) op. cit. 304. 28 Vgl. den Forschungsstand weiter unten.

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behaupten.29 Treffenderweise befanden sich alle vereinbarten Stützpunk-te auf Hoheitsgebieten der Tokugawa und wurden nach dem Vorbild von Nagasaki, das bis dahin als einziger Handelsstützpunkt der Tokuga-wa fungiert hatte, von lizenzierten Handelsgilden bevölkert, die als Mitt-ler zwischen den Händlern aus Übersee und den Interessen der Tokuga-wa geschaltet waren. Mit nur mäßigem handelspolitischem Erfolg und einer erstarkenden Opposition, die sich aus Missmut über diese einseitige Stärkung der Position der Tokugawa wie im Bombardement von Shimo-noseki oder dem Angriff der Vertretungen zu Wort meldete, geriet die beabsichtigte Reform der Handelsstrukturen unter der Tokugawa-Herrschaft ins Stocken und die Gründung der übrigen vier vereinbarten Stützpunkte in Kōbe, Ōsaka, Niigata und Edo wurde verschoben. Der Abschluss der Handelsreform erfolgte dann erst nach der Restauration des kaiserlichen Haushalts 1868. Während an der Entwicklung zwischen 1842 und 1868 also die Hintergründe festzumachen sind, die zur Grün-dung weiterer Fremdenniederlassung wie in Yokohama, Nagasaki oder Hakodate führten, fokussiert Kapitel V neben einer allgemeinen Be-schreibung des gesellschaftlichen Wandels insbesondere auf die Klärung deren Bedeutung im Zuge der Konsolidierung des modernen japani-schen Kaiserreichs.

Der machtpolitische Umbruch durch die Restauration des kaiserlichen Haushalts führte zum Aufbau eines regional übergreifenden Staatswe-sens. Dieser Aufbau konnte laut Mitani Hiroshi nicht an der sukzessiven Integration vormals distinkter geo- und soziopolitischer Entitäten aus dem tokugawazeitlichen Vermächtnis vorbeiführen; umso weniger je zentraler sie gelegen waren.30 Unter Aufsicht der Regierung des Meiji-Kaisers zielten verschiedene Restrukturierungsmaßnahmen auf die Siche-rung einer kulturellen Einheit im Einflussbereich der neuen Regierung. Im Zuge dieses Vorgangs wurden die Grenzen dieses Einflussbereichs während des 19. Jahrhunderts stetig nach außen verschoben. 31 Diese Modernisierung Japans hatte ebenso in soziokultureller wie soziopoliti-scher Hinsicht einen großen Einfluss auf das Erbe der tokugawazeitli-chen Gesellschaft. Laut Tessa Morris-Suzuki wurde dieses Erbe entlang dieses Prozesses zu einer vormodernen Vergangenheit vereinfacht, ob-wohl sie viel komplexer geartet war.32 Die Sicherung der nationalen Ein-heit war einfach das vorrangige Ziel der Meiji-Regierung. Unter diesen

29 Vgl. Tanabe, Taiichi (1898) Bakumatsu gaikō dan. Tōkyō: Toyamabō. 110. 30 Vgl. Mitani, Hiroshi (1997) „A Protonation-State and its ‘Unforgettable Oth-

er’: The Prerequisites for Meiji International Relations.“ in: Hardacre, Helen; Kern, Adam L. Hg. (1997) New Directions in the Study of Meiji Japan. Boston, Leiden, Köln: Brill. 294-310.

31 Vgl. Oguma, Eiji (1998) ‘Nihonjin’ no kyōkai: Okinawa, Ainu, Taiwan, Chōsen sho-kuminchi shihai kara fukki undō made. Tōkyō: Shin’yōsha.

32 Diese Schlussfolgerung entstammt dem Beitrag von: Morris-Suzuki, Tessa (1998) Re-inventing Japan: Time, Space, Nation. Armonk: M.E. Sharpe. 26-34.

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Umständen stand die vormalige Pluralität distinkter Rechtsräume dem Legitimitätsanspruch der Zentralregierung in Tōkyō gegenüber. Die In-tegration dieser Räume in das moderne japanische Kaiserreich und der Paradigmenwechsel im Umgang mit den Fremden und ihren Niederlas-sungen sind die Leitfragen der vorliegenden These. In Anlehnung an die Terminologie von Joseph Tobin oder Jordan Sand beschreibt die Do-mestizierung einen Inkorporationsprozess. 33 Laut Tobin bedeutet “the word domestication [...] a process that is active, morally neutral, and demystifying [which] has a range of meaning, including tame, civilize, naturalize, make familiar, bring into home.”34 Im Kontext Japans liegt die besondere Bedeutung die-ser Domestizierung in den Worten von Sand darin, dass „in defining home, the framers of Japanese domesticity, were also defining themselves.”35 Diese Domes-tizierung steht somit am Ausgangspunkt des Mythos eines homogenen Japans, das im Spiegel der Debatte über die Einzigartigkeit Japans, dem so genannten Nihonjinron , seit längerem kritisch betrachtet wird.36

Im Rahmen dieser Mythenbildung eines homogenen Japans kommt den Vertragshäfen eine besondere Bedeutung zu: Obwohl die extraterri-torialen Handelsniederlassungen in den Vertragshäfen erst willentlich geplant und bei der Einführung des nötigen technologischen Wissens – zu Zwecken der nationalen Konsolidierung – von großem Nutzen waren, stellten sie im politischen Diskurs der Meiji-Zeit ein geeignetes Mittel dar, um über den Verweis auf vermeintliche Bedrohungsszenarien die koloni-

33 Zum Gebrauch der Domestizierung im interdisziplinären Vergleich vgl. u. a.:

Hodder, Ian (1990) The Domestication of Europe: Structure and Contingency in Neoli-thic Societies. Oxford: Blackwell; Wilson, Peter (1988) The Domestication of the Human Species. New Haven: Yale University Press; Hamilton, Paul (1996) Histor-icism. New York: Routledge. 177-180; Davis, Elizabeth B. (2000) Myth and identi-ty in the epic of Imperial Spain. Columbia: University of Missouri Press; Zantop, Susanne (1995) "Domestication of the Other: European Colonial Fantasies 1770-1830." in: Gisela, Brinker-Gabler (1995) Encountering the Other(s): Studies in Literature, History, and Culture. New York: State Univerity of New York Press; Makdisi, Saree (1998) Romantic Imperialism: Universal Empire and the Culture of Modernity. Cambridge: Cambridge University Press. 118; Ivy, Marilyn (1995) Discourses of the Vanishing: Modernity, Phantasm, Japan. Chicago: The University of Chicago Press. 3; Tanaka, Stefan (2004) New Times in Modern Japan. Prince-ton: Princeton University Press; Tobin, Joseph J. Hg. (1992) Re-made in Japan: Everyday Life and Consumer Taste in a Changing Society. New Haven: Yale Universi-ty Press. 1-41; Sand, Jordan (2001) House and Home in Modern Japan: Architecture, Domestic Space, and Bourgeois Culture, 1880-1930. Harvard: Harvard University Press. 21-55.

34 Vgl. Tobin, Joseph J. (1992) op. cit. 1-41. 35 Sand, Jordan (2001) op. cit. 23, 21-55. 36 Vgl. Amino, Yoshihiko (1993) Nihonron no shiza: Rettō no shakai to kokka. Tōkyō:

Shōgakkan; Minami, Hiroshi (1980) Nihonjinron no keifu. Tōkyō: Kōdansha. Dale, Peter N. (1986) The Myth of Japanese Uniqueness. Oxford: Croom Helm.

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alen Unternehmungen der Folgezeit zu rechtfertigen.37 Ihrerseits stellten sich die vertretenen Handelsnationen natürlich gegen die Abschaffung ihrer Sonderrechte, womit sie die Meiji-Regierung in ihren Handlungs-möglichkeiten nicht nur einschränkte. Der Beschreibung im historischen Teil der Arbeit entsprechend spielte die Revision der Handelsverträge, die unter den Tokugawa die Entstehung der extraterritorialen Rechts-räume in den verschiedenen Handels- und Hafenstützpunkten ermög-licht hatten, eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die Legitimierung und Konsolidierung des modernen Japans.

Quellen und Forschungsstand

In Hinsicht auf den theoretischen Teil sind mögliche Entwicklungskrite-rien einer Fremdenniederlassung bereits in einer großen Anzahl von An-sätzen und Forschungsrichtungen erforscht. Besondere Beachtung fan-den unter anderem David Sack, Ernest Gellner, Henri Lefebvre, Urs Ur-ban, Yuri Slezkine und Bernhard Waldenfels. Der vorliegende Beitrag versucht im Rahmen einer interdisziplinären Suche nach Erklärungsan-sätzen für der / die / das Fremde und seine Niederlassungen diese zu integrieren.

Außerdem zählt Regionalgeschichte in Japan zu einem sehr aktiven Forschungsfeld. Unter den unzähligen Publikationen zum Phänomen der Fremdenniederlassungen, die in den Handelsstützpunkten des 19. Jahr-hunderts entstanden, zeichnen sich die meisten Beiträge durch die kohä-rente Auffassung aus, die Erweiterung der Handelsbeziehungen und die Gründung weiterer Fremdenniederlassungen seien ausschließlich anhand der Expansion europäischer und nordamerikanischer Interessen zu erklä-ren. Neben den repräsentativen Werken dieser regionalen Geschichts-schreibung, auf welche in der Bibliographie verwiesen wird, verdienen insbesondere die Beiträge folgender Forscher Erwähnung: Arano Yasunari, Funō Shūji, Hamashita Takeshi, William Hoare, Inoue Isao, Inoue Katsuo, Ishii Takashi, Ishizuka Hiromichi, Michael Auslin, Pat Barr, William Beasley. Richard Chang, Hugh Cortazzi, Prasenjit Duara, André Gunter Frank, Francis Jones, Kawakatsu Heita, Liu Shih-shun, William McOmie, Mitani Hiroshi, Murata Akihisa, Ōyama Azusa, M. Paske-Smith, Sakamoto Katsuhiko, Sushil Chaudhury, Ronald Toby, Om Prakash, Wang Dong sowie Harold Williams. Neben der Forschungstä-tigkeit verschiedener Institute wie den Archiven der Stadt Yokohama und Nagasaki bieten die Beiträge der genannten Autoren einen umfas-senden Einblick in die Entwicklung der überregionalen Handelsbezie-hungen dieser Epoche. Es bestehen auch kleinere Forschungsgruppen zu den Fremdenniederlassungen in Tsukiji, Kawaguchi und Kōbe, die zu

37 Vgl. Gluck, Carol (1985) op. cit.; 137; Snyder, Jack L. (1991) Myths of Empire:

Domestic Politics and International Ambitions. Cornell: Cornell University Press. 121.

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einem tieferen Verständnis der Entwicklung des Außenhandels im Japan des ausgehenden 19. Jahrhunderts beitragen.

Schließlich gründet die folgende Betrachtung auch auf Beiträgen, wie zum Beispiel von Oguma Eiji. Seine Beschreibung der Inkorporation der Randbereiche in den Meiji-Staat gehört wie die Arbeiten von Amino Yoshihiko und Arano Yasunari mittlerweile zum Kanon japanologischer Forschung postkolonialer Prägung.38 Mit seinem Beitrag zu den Grenzen der Japaner erforscht Oguma die Entwicklung der Peripherie des japani-schen Kaiserreichs und gab für die Darstellung im historischen Teil wichtige Anhaltspunkte. Neben der Erforschung des japanischen Kolo-nialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in dessen Rahmen häufig die Kritik der Theorien um das Japanertum, dem genannten Nihonjinron, formuliert wird, sind für diese Arbeit auch Amino Yoshihiko, und die ihn rezipierenden Beiträge von Bruce Batten, Befu Harumi, David How-ell, Tessa Morris-Suzuki, Emiko Ohnucki-Thierney und Michael Weiner wichtig. Sie haben zur Entwicklung eines diversifizierten Geschichtsver-ständnisses beigetragen und die Darstellung der Konsolidierung einer modernen japanischen Nation im Bereich der regionalen Geschichte we-sentlich ergänzt. Auch Daniel Botsmann, Carol Gluck, Gerald Figal, Fujitani Takeshi, Brian Platt und Umemori Naoyuki, deren Beiträge ebenfalls in der Bibliographie zu finden sind, haben die vorliegende For-schung wesentlich beeinflusst.

38 Vgl. Mitani, Hiroshi (1997) op. cit. 294-310.

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II Theorie zu Fremden, Niederlassungen und ihrer

Domestizierung

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Fremden und ihrer Niederlassungen, die im Japan des 19. Jahrhunderts unter anderem in Handelsstützpunkten wie Yokohama, Nagasaki und Kōbe bestanden, weist eine lange Tradition auf.1 Werke ganz unterschiedlicher Prägung zeigen sie als Orte von Begegnungen vielfältigster Art.2 Doch wie zeich-nen sich diese Siedlungen im Unterschied zu anderen aus? Als distinkte soziopolitische Räume beruhen Fremdenniederlassungen auf Situationen interkulturellen Kontakts, nicht nur zwischen unterschiedlichen Kultur-nationen. Fremderfahrungen sind auch jenseits kolonialer Szenarien un-ter lokalen Gesellschaftsgruppen auf innergesellschaftlicher Ebene mög-lich. Objektiv betrachtet ist somit im Japan des 19. Jahrhunderts sowohl auf geografischer als auch auf sozialer Ebene eine Vielzahl heterotoper Räume festzustellen.3

Die vorliegende Dissertation trägt dazu bei, diese Vielfalt mit ihren zahlreichen Positionen und Perspektiven zu erkunden. Mit dem Begriff der Fremdenniederlassung distanziert sich der folgende Beitrag dabei explizit von jenen konzeptuellen Engführungen, die in der Kolonialge-schichte den einzigen Kontext sehen, in dem Fremdenniederlassungen diskutiert werden. Dementsprechend trägt der historische Teil der Arbeit jenen Heterotopien Rechnung, die sich in der regionalen und sozialen Vielfalt manifestieren. Gleichzeitig wird auch die Entwicklung der Sied-

1 Eine der ersten historischen Betrachtungen der Geschichte der Fremdennie-

derlassungen geht auf den Journalisten und Begründer der Japan Gazette so-wie der The Far East John Reddie Black zurück. Vgl. Black, John R. (1883) Young Japan: Yokohama and Yedo, a Narrative of the Settlement and the City from the Signing of the Treaties in 1858 to the Close of the year 1879 with a glance at the progress of Japan during a period of twenty-one years. Yokohama: Kelly & Co.

2 Siehe die Bibliografie im Annex zu den Handels- bzw. Hafenstützpunkten in Nagasaki, Hokodate, Shimoda, Yokohama, Kōbe, Niigata, Tsukiji und Ka-waguchi, die im Japan des 19. Jahrhunderts Bestand hatten.

3 Diese Vielfalt wird seit Ende der 1990er-Jahre in einer wachsenden Anzahl regionaler Untersuchungen erforscht. Vgl. unter anderem: Wigen, Kären (1999) „Culture, Power, and Place: The New Landscapes of East Asian Re-gionalism.“ American Historical Review 104(4): 1183-1201.

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lungen in den extraterritorialen Handelsstützpunkten im Japan des 19. Jahrhunderts nachgezeichnet. Die folgenden theoretischen Vorbemer-kungen dienen der Diskussion der Entstehungshintergründe fremder Niederlassungen als Bühne von Begegnungen zwischen Fremden: Der erste Abschnitt verdeutlicht die Schwierigkeiten, die mit normativen De-finitionsverfahren im Zusammenhang mit Fremdenbildern in Gestalt von Fremdenniederlassungen verbunden sind. Die drei weiteren Ab-schnitte leisten eine Analyse der grundlegenden Bedingungen für inter-kulturelle Begegnungen. So zeigt ein erster Abschnitt wie Andere über-haupt zu Stande kommen, ein zweiter wie sie in Bewegung geraten und ein dritter wie sie sich in distinkten Räumen niederlassen.

Die Domestizierung ist in diesem Kontext unter anderem in Anleh-nung an Joseph Tobin das Ergebnis eines Integrationsprozesses, durch welchen Situationen sozialer Trennung bewältigt werden.4 Entsprechend beschreibt die Domestizierung laut Tobin einen „active, morally neutral, and demystifying [...] process that [...] has a range of meaning, including tame, civilize, naturalize, make familiar, bring into home.“5 Diese Dissertation verfolgt die These, dass die Wahrnehmung des eigenen Lebensraums und seine Pe-netration durch Fremde eben auf einer derartigen Domestizierung der Anderen basieren. Somit steht die Domestizierung am Anfang identitäts-stiftender Gedankengebäude. Sie gibt interkulturellen Begegnungen den Raum, ohne welchen sie auf der Stufe interpersoneller, aber nicht inter-kultureller Kontakte stehen bleiben. Die theoretischen Vorbemerkungen leisten einen Entwurf eines Modells, wie derartige Gedankengebäude entstehen können, und sind somit der entscheidende Ausgangspunkt der Untersuchung der Domestizierung der Anderen im Japan des 19. Jahr-hunderts.

4 Zum Gebrauch der Domestizierung im interdisziplinären Vergleich siehe u. a.:

Hodder, Ian (1990) The Domestication of Europe: Structure and Contingency in Neo-lithic Societies. Oxford: Blackwell; Wilson, Peter (1988) The Domestication of the Human Species. New Haven: Yale University Press; Hamilton, Paul (1996) Histor-icism. New York: Routledge. 177-180; Davis, Elizabeth B. (2000) Myth and identi-ty in the epic of Imperial Spain. Columbia: University of Missouri Press; Zantop, Susanne (1995) „Domestication of the Other: European Colonial Fantasies 1770-1830.“ in: Gisela, Brinker-Gabler (1995) Encountering the Other(s): Studies in Literature, History, and Culture. New York: State University of New York Press; Makdisi, Saree (1998) Romantic Imperialism: Universal Empire and the Culture of Modernity. Cambridge: Cambridge University Press. 118; Ivy, Marilyn (1995) Discourses of the Vanishing: Modernity, Phantasm, Japan. Chicago: The University of Chicago Press. 3; Tanaka, Stefan (2004) New Times in Modern Japan. Prince-ton: Princeton University Press; Tobin, Joseph J. Hg. (1992) Re-made in Japan: Everyday Life and Consumer Taste in a Changing Society. New Haven: Yale Universi-ty Press.

5 Tobin, Joseph J. (1992) op. cit. 1-41.

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1 Die Definition einer Fremdenniederlassung

Jede Fremdwahrnehmung ist grundsätzlich relativ zum Standpunkt der Betrachtung, denn was dem einen vertraut ist, ist dem anderen fremd. Die Definition einer Fremdenniederlassung erfordert demzufolge eine mehrdimensionale Sichtweise. Aus diesem Grund kann und muss auch Fremderfahrung im Japan des 19. Jahrhunderts relativiert werden. So werden die Fremden und ihre Niederlassungen im Rahmen der For-schung japanischer Historiker wie Amino Yoshihiko und Oguma Eiji in einer wachsenden Anzahl von Beiträgen thematisiert.6 Diese weisen wie-derholt darauf hin, dass die kulturelle Integrität Japans im 19. Jahrhun-dert zu hinterfragen ist.7 Fremdbilder sind nicht zuletzt auch aus postko-lonialer Sicht kritisch zu analysieren, zumal die Fremderfahrung weder im 19. Jahrhundert noch in der Vor- oder Folgezeit ausschließlich durch interkulturelle Begegnungen zwischen Kulturnationen bedingt ist. Die Geschichte vieler postkolonialer Gesellschaften bezeugt eine viel kom-plexere Realität. So bedeutet auch die Geschichte der Fremdenniederlas-sungen im Japan des 19. Jahrhunderts nicht nur die Begegnung zwischen Japan und dem Rest der Welt.

Der Begriff der Fremdenniederlassung hat im Rahmen der vorliegen-den Dissertation eine besondere Bedeutung.8 Als abstrakter Begriff und Platzhalter ermöglicht er es, die Untersuchung von einem distanzierten Standpunkt her aufzunehmen. So wird nicht eine bestimmte Niederlas-sung von Fremden, wie zum Beispiel Yokohama, sondern die Fremder-fahrung im Allgemeinen thematisiert. Die Motivation dieser Arbeit ist es, die Entwicklung und den Wandel der Fremd- und Eigenbilder der japa-nischen Gesellschaft während der Blütezeit des Kolonialismus aus einer postkolonialen Sicht umfassend zu betrachten. Die folgenden Abschnitte diskutieren herkömmliche, sprich normative Definitionen und erweitern die Perspektive jenseits der Einstellung, die ausländischen Siedlungen seien nur in den extraterritorialen Handelsstützpunkten des 19. Jahrhun-derts gegeben.

6 Vgl. u. a. Amino, Yoshihiko (1990) op. cit.; Oguma, Eiji (1998) op. cit. 7 Eine detaillierte Diskussion der Fragestellung, ob Japan im 19. Jahrhundert in

der Art eines Nationalstaates kulturell integriert war, bieten unter anderem fol-gende Beiträge: Berry, Mary Elizabeth (1997) „Was Japan Culturally In-tegrated?“ Modern Asian Studies 31(3): 547-581; Liebermann, Victor (1997) „Transcending East-West Dichotomies: State and Culture Formation in Six Ostensibly Disparate Areas.“ Modern Asian Studies 31(3): 463-546; Batten, Bruce L. (2003) To the Ends of Japan: Premodern Frontiers, Boundaries, and Interac-tions. Honolulu: University of Hawaii Press.

8 Der Term Fremdenniederlassung geht auf die beginnende Kunde überseei-scher Siedlungen zurück, die im englischen Sprachbereich eben als „foreign sett-lement“, also als Fremdenniederlassung, bezeichnet wurden. Vgl. Ōkura, Takehiko (1993) „Zakkyochi no tayōna kao.“ in: Kamiki, Tetsuo; Sakiyama, Masahiro (1993) op. cit. 55-66; Osterhammel, Jürgen (1995) op. cit. 15.

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1.1 Begrifflichkeiten

Ausgangspunkt der theoretischen Vorbemerkungen sind die Begrifflich-keiten, mit welchen die Geschichte der extraterritorialen Handelsstütz-punkte in Ostasien in verschiedenen Sprachen besprochen wird. Dem Sinn nach wird unter einer Fremdenniederlassung in den meisten Fällen das Zugeständnis extraterritorialer Rechte thematisiert, auf deren Grund-lage spezielle Wirtschaftsbereiche entstanden sind.

Im Japanischen hat sich der Begriff gaikokujin kyoryūchi eingebürgert. Nach der Erklärung von Kamiki Tetsuo bezeichnet dieser Begriff „Orte der vorübergehenden Präsenz von Ausländern“9. Ange-sichts der Relativität des Prädikats „vorübergehend“ bietet dieser Term nur einen schwachen Ausgangspunkt für weitere Überlegungen. Den Aussagen von Ōkura Takehiko zufolge muss im historischen Kontext unter „vorübergehend“ der Wunsch nach einer vorübergehenden Öff-nung des Landes verstanden werden, welchen die Tokugawa-Regierung bei ihren ersten Vertragsschlüssen mit den verschiedenen Nationen Mit-te des 19. Jahrhunderts hegte.10 Weiterhin bestehen auch Begriffe wie kaikōba bzw. kaishijō sowie zakkyochi . Die bei-den ersten Terme sprechen die Erweiterung der Handelsbeziehungen durch die weitere Öffnung maritimer kaikō bzw. städtischer kaishi Han-delsstützpunkte an. Der Term zakkyochi thematisiert hingegen die Ent-stehung von gemischten Wohngebieten. Zakkyochi kommt im Vergleich zu den beiden übrigen Begriffen allerdings zeitlich verschoben erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in allgemeinen Gebrauch, als sich die Aufga-be streng getrennter Ausländersiedlungen zugunsten gemischter Sied-lungsformen anbahnte.

Abgesehen von dem reichen Vokabular, welches Yang Sang-ho in An-lehnung an die Arbeiten von Son Chong-pok und Ueda Toshio bezüg-lich der Handelskonzessionen in Korea und China vorstellt, ist wohl der Unterschied zwischen den chinesischen Begrifflichkeiten zujie und dem japanischen kyoryūchi besonders interessant. So bezeichnet der Be-griff zujie die befristete Pacht von Flächen, wodurch die eigentlichen Hoheitsverhältnisse über die Gebiete betont werden. Im Gegensatz dazu deutet kyoryūchi lediglich die Ansiedelung von Fremden in einem entspre-chenden Gebiet an, wodurch in keiner Weise Hoheitsrechte thematisiert werden.11 Laut Yang Sangho kommen in den Vertragstexten bezüglich

9 Vgl. Kamiki, Tetsuo; Sakiyama, Masahiro Hg. (1993) Kōbe kyoryūchi no 3/4 Seiki:

Haikarana machi no rutsu. Kōbe: Kōbe Shinbun Sōgō Shuppan Sentā. 55-82. 10 Vgl. Ōkura, Takehiko (1993) „Kyoryūchi no tayōna kao.“ in: Kamiki, Tetsuo;

Sakiyama, Masahiro Hg. (1993) op. cit. 56. 11 Vgl. Luo, Suwen (2004) Shanghai chuan qi: Wen ming shan bian de ce ying, 1553-

1949. Shanghai: Shanghai Renmin Chubanshe; Ueda, Toshio (1941) Shina ni okeru sokai no kenkyū. Tōkyō: Genmatsudō Shoten.

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der Gründung von internationalen Handelsstützpunkten in China wie-derholt die Begriffe tongshang kouan , yuekai kouan , yueding kouan , shiding gekou , yuekai shangbu vor. Darüber hinaus waren im Fall von Korea auch noch die Begriffe tongshang zhi gang und kaikouan in Gebrauch. Im japa-nischen Sprachgebrauch hingegen wurde die Terminologie, welche im Vorfeld der offiziellen Öffnung von Vertragshäfen mehrere Begriffe um-fasste, bis spätestens zu Beginn der 1870er-Jahre unter der Bezeichnung kaikōba vereinheitlicht. In den entsprechenden Übersetzungen der Vertragstexte besteht neben den umschreibenden Formulierungen wie „the ports which are open to foreign commerce“ oder „the ports and places open to foreign trade“ lediglich der Begriff „the open ports“, der nicht nur in der englischen Sprache, sondern im Allgemeinen auch in anderen Sprachen die breiteste Anwendung erfährt.12

Die französische Sprache bietet mit concession étrangère eine Variante, welche die Kräfterelation zwischen den konkurrierenden Parteien betont, indem sie diese Räume als Zugeständnisse an Fremde beschreibt. Dabei entstammt der Term „Konzession“ dem Vokabular internationalen Rechts. Unter einer ganzen Reihe von Möglichkeiten, wie Hoheitsrechte transferiert werden können, bedeutet eine Zession die bedingungslose Übertragung von Hoheitsrechten über einen bestimmten Raum, wohin-gegen eine Konzession lediglich die Erlaubnis der Ausübung von be-stimmten Rechten impliziert. Die Konzession ist somit von gewissen Bedingungen begleitet, wie z. B. einer Forderung nach einer bestimmten Nutzungsweise oder entsprechenden Gegenleistungen.13

Viel jünger erweist sich das Wort „Enklave“, das wie die Begriffe „Konzession“ und „Zession“ lateinischen Ursprungs ist, aber erst viel später, im ausgehenden 19. Jahrhundert, als geografischer Term eine breitere Anwendung fand. Enklaven bezeichnen bestimmte Räume, wel-che teilweise oder ganz von anderen eingeschlossen sind. Aus ungeklär-tem Ursprung hat sich weiterhin der Begriff „Ghetto“ in den meisten Sprachen der Welt als Term eingebürgert und bezeichnet abgesonderte Stadträume mit hoher Bevölkerungsdichte, deren Bewohner aus finanzi-ellen oder politischen Gründen ausgegrenzt werden. Neben dem Begriff „Ghetto“ wird auch dem Term „Diaspora“ in vielen sozialwissenschaft-lichen Untersuchungen als Bezeichnung gesellschaftlicher Gruppen mit Migrationshintergrund besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Diaspora ist dabei eine Gruppe von Menschen, die gezwungenermaßen ihre vertraute Umgebung verlässt und in den Räumen ihrer Neuansiede-

12 Vgl. Yang, Sangho (1993) Kankoku kindai toshi no kenkyū: Kaikō jikki (1876-

1910) no gaikokujin kyoryūchi wo taishō toshite. Tōkyō: Tōkyō Daigaku PhD Thesis. 23-27; Son, Chongpok (1982) Kankoku kaikōki toshihenkakatei kenkyū: Kaikōba, kaishiba, sokai, kyoryūchi. Seoul: Hitoshisha. 54-88.

13 Vgl. Oppenheim, Lassa (2005) International Law: A Treatise, First Volume. Lon-don: Longmans, Green & Co. 376-382.