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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 1994 Der vielgestaltige Gott. Die Burgdorfer Vishnu-Stele Isler, Andreas Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-51345 Book Section Published Version Originally published at: Isler, Andreas (1994). Der vielgestaltige Gott. Die Burgdorfer Vishnu-Stele. In: Aeschlimann, Trudi; Scheidegger, Fred. Das Burgdorfer Jahrbuch. Burgdorf: Verein Burgdorfer Jahrbuch, 151-157.

Der vielgestaltige Gott. Die Burgdorfer Vishnu-Stele€¦ · Vishnu hilft in seiner besonnenen, aber durehaus tatkraftigen Art, Distanz zu der anscheinend aus Saehzwangen bestehenden

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Page 1: Der vielgestaltige Gott. Die Burgdorfer Vishnu-Stele€¦ · Vishnu hilft in seiner besonnenen, aber durehaus tatkraftigen Art, Distanz zu der anscheinend aus Saehzwangen bestehenden

Zurich Open Repository andArchiveUniversity of ZurichMain LibraryStrickhofstrasse 39CH-8057 Zurichwww.zora.uzh.ch

Year: 1994

Der vielgestaltige Gott. Die Burgdorfer Vishnu-Stele

Isler, Andreas

Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of ZurichZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-51345Book SectionPublished Version

Originally published at:Isler, Andreas (1994). Der vielgestaltige Gott. Die Burgdorfer Vishnu-Stele. In: Aeschlimann, Trudi;Scheidegger, Fred. Das Burgdorfer Jahrbuch. Burgdorf: Verein Burgdorfer Jahrbuch, 151-157.

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Das Burgdorfer Jahrbuch, Jg. 61 (1994)

Aus dem Museum für Võlkerkunde Burgdorf:

Der vielgestaltige Gott Die Burgdorfer Vishnu-Stele

Andreas Isler

Vishnu , den ich hier vorstellen mõchte, ist in einer Skulptur aus rõtli­chem Sandstein verkõrpert. Geschaffen wurde die Stele vermutlich vor rund tausend Jahren in Zentralindien. Den Weg nach Burgdorf fand dieser Vishnu mit seinem Tross an begleitenden Figuren nach einem mir nicht genauer bekannten Schicksal als Tempelfigur , Fundstück und Kunsthandelsobjekt im J ahre 1979, als er vom Museum für Võlkerkunde Burgdorf als ein hõchst reprasentables Stück für die Indiensammlung angekauft wurde . Erst dank namh after Unterstützung aus õffentli cher und privater Hand wurde diese ausserordentliche Anschaffung mõglich. Das betrachtliche Alter der Skulptur hat seine Spuren hinterlassen: die Konturen sind insgesamt schon ziemlich schwach geworden, und neben anderen kleineren Beschádigungen sind zwei der vier Arme abgebro­chen , was mõglicherweise einer weltlichen Vermarktung entgegenkam. Dennoch lasst sich noch sehr vieles an der Steinfigur erkennen. Bei genauer Betrachtung finden wir sogar einen grossen Teil dessen, was für den Hinduismus wichtig und wesentlich ist , in dieser Figur vereinigt. Lassen Sie mich mit einem uralten Vishnu-Mythos beginnen: Auf der engen und fin steren Erde schafft Vishnu Raum, indem er dreimal ausschre itet. Wie e in Landvermesser teilt er den abgeschrittenen Raum verschiedenen Benutzergruppen zu. Der erste Schritt erõffnet und schafft die Unterwelt, der zweite die Menschenwelt und der dritte Schritt breitet den Himmel aus, wobei Vishnu im Eifer mit dem Kopf ein Loch ins sich drehende Firmament stõsst. Nun strõmt durch dieses Loch, d. h. durch die Sonne , Licht aus dem dahinter liegenden Feuer­himmel auf die vorher finstere Erde . So wie Vishnu in drei Schritten den ganzen Kosmos ausbreitete und erhellte , mõchte ich hier Vishnu und seine vielfal tigen Aspekte in drei Schritten darlegen. Der erste Schritt zeigt uns Vishnu als heldenhaften Erhalter der Welt. Im zweiten Schritt behandle ich Vishnu als Gott der

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Liebe in seiner Verkorperung als vielgeliebten Krishna. Mit dem dritten Sehritt moehte ieh einige Wege zur Erleuehtung, dem eigentliehen Ziel hinduistiseher Religiositat , vorstellen und die RoUe, die Vishnu als Erlosungshelfer dabei einnimmt, erhellen.

1. Vishnu als Welterhalter

Vishnu kümmert sieh um den Zustand und das Schicksal der ganzen Welt und verkorpert sich, um tatkraftig eingreifen zu konnen, in je neuen Gestalten. Einmal sagt er: «Denn immer, wenn der Dharma (d. h. die heilige Weltordnung) schwach (welk) wird, a Bharata, und der Nicht-Dharma sich erhebt, da entlasse ich mich, um die Guten zu schüfzen und die Übelttiter zu vernichten. Um den Dharma aufzurichten, werde ich van Weltzeitalter zu Weltzeitalter wiedergebaren.» (Bhagavadgita 4.7-8; naeh U. Sehneider.)

Es gibt unzahlige Verkorperungen von Vishnu; allgemein eingebürgert haben sichjedoch zehn davon. Diese Avataras (d. h. «Herabstiege») von Vishnu betten viele Gotter- und Heldengestalten im vielgestaltigen Gott Vishnu ein. Auf der Burgdorfer Stele sind einige davon figürlich dargestellt: Vahara, der Eber, ist eine der Inkarnationen Vishnus. In Gestalt eines Ebers holte Vishnu die von einem Damon auf den Meeresgrund ver­senkte Erde wieder an die Oberflaehe. Neben Vishnus linkem Arm vor der Saule ist seine Inkarnation als Eber dargesteUt. Auf der gegenüber­liegenden Seite in gleicher Hohe sehen wir den Mannli:iwen , Vishnus naehste Inkarnation. AIs ein Mannli:iwe, Narasimha, befreit Vishnu die Welt von einem übelwollenden Damon, den er, ihn auf seinen Knien haltend , tOtet. Diese Inkarnationen handeln in mythiseher Urzeit, im ersten der insgesamt vier Weltzeitalter, und betonen Vishnus Aufgabe, die Mensehenwelt gegen bose Maehte zu verteidigen und die gu te Ordnung, bzw. die riehtigen Herrschaftsverhaltnisse, wiederherzu­steUen. Es gibt Bilder von Vishnu , worauf er auf der aufgerollten Welten­sehlange liegt. Es ist die Zeit zwischen zwei Weltzeitalterzyklen. Shiva hat die alte Welt zerstort; aus Vishnus Nabel wird die neue Welt entstehen. In Vishnus Innerstem überdauert die Idee der Welt den

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Das Burgdorfer Jahrbuch, Jg. 61 (1994)

Vishnu Sthanakamurti, Sandstein, 95 em hoeh, Madhya Pradesh (Zentralindien), 10. Jh.

Museum für Volkerkunde Burgdorf

Vishnu ist eine der Hauptgottheiten des Hinduismus. Auf der Stele wird er in einem Kranz von Figuren dargestellt , die versch iedene Seiten seines Wesens il1ustrieren: andere Hauptgottheiten erweisen ihm durch ihre Anwesenheit ihre Referenz; viele seiner lnkar­nationen in tierischer und menschlicher Gestalt bezeugen ihn als einen stets sich wandeln­den Gott; seine gõttl ichen Krãfte erscheinen als personifizierte Gottheiten; seine Frau Pushti , eine Erdgõttin, zeigt se ine Verbundenheit zum Ursprung des Lebens; wei tere Himmels- und Fabelwesen gehõren zum Freundeskreis dieses freundlichen Herrschers . Als Kennzeichen hi:ilt Vishnu Keule , Musche lhorn, Diskus und Lotosblüte in den Handen. Auf der Stele sind heute nur noch Keule und Muschelhorn vorhanden. Vishnus Gestalt ist nach einer idealisierten Proportionslehre geschaffen , welche die Kõrpermasse, vom Grundmass der Gesichtslange ausgehend , aus Dreifachen und Dritteln davOI1 zusammen-

setzt. Sein Gesichtsausdruck strahlt Ruhe und Abgeklartheit aus.

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periodiseh wiederkehrenden Weltuntergang. AIs Iiegende Gestalt sym­bolisiert Vishnu die Weltordnung aIs eine Mõgliehkeit, die jederzeit Wirkliehkeit werden kann. Aufreeht stehend besehützt Vishnu die bestehende Welt. Seine hohe Herrseherkrone stelIt ihn ins Zentrum der Welt und symbolisiert die Verantwortung, die Vishnu für sein en Ein­flussbereieh übernimmt.

2. Vishnu als Gott der Liebe, Krishna

Eine andere lnkarnation Vishnus, welche dem dritten Zeitalter zuge­ordnet wird, ist diejenige von Krishna , der in einem selbstandigen KuIt verehrt wird. Auf unserer Stele wird Krishna aIs anmutiges Kind darge­stelIt. (Er steht in der untersten Figurenreihe unter der Gestalt, die eine MuseheI in der Iinken Hand halt und Vishnus Musehelkraft, namlieh das markersehütternde Trompeten damit, personifiziert.) In Krishna wird das Spielerisehe, das Anmutige und Herzliehe zu einem Gott. Von Krishna aIs kleinem Kind wird erzahlt , dass, weil er verbotenerwei­se Butter nasehte , ihn seine Mutter zur Rede stelIte und ihm, da er die Tat aueh noeh Ieugnete , in den Mund bliekte. Htiehst erstaunt sah sie da im Mund des kleinen Gottes die ganze Welt aufseheinen. AIs fltitenspielender Jüngling ist Krishna ein gõttlieher Verführer, der die Frauen der Hirten von ihren hausliehen Pfliebten wegloekt , um mit ibnen in der liebliehen Umgebung zu tanzen und zu tandeln . Krishna ist der Gott, der masslos geliebt wird, der die Liebe zu Gott anzündet und sie seinerseits aueh zurüekgibt. Dieses Phanomen der bedingungslosen Liebe zu Gott wird Bhakti genannt. Gott wird nieht aIs ein unperstinli­ehes Es erfahren , sondern aIs ein Du , zu dem eine gefühIsmassige Beziehung mtiglieh ist.

Unzahlige Gediehte besehreiben die Sehnsueht naeh Gott wie naeh einer geLiebten Person: Nicht Gewalc iiber die ganze Erde, nicht Herrschaft über die schiitzestrahlende Unterwelt, auch nicht Erlosung, das Nichtwiederkehren der vollig Befreiten, nichts begehre ich, o Golt, was mich Irennt von dir. (Bhagavata-Purana 6, 11, 25; 13. Jh.)

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Krishna , dic achte lnkarnation Vishnus , ist ein gõttlichcr Verführer, der in landlicher Gegend auf seiner Flõte spielt. Modernes Andachtsbild nach Art der von Missionaren

nach Indien eingeführten Heiligenbilder.

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Radha , die Geliebte Krishnas, versinnbildlicht diese Sehnsucht des menschlichen Herzens nach Gott. Radha sagt (in den Worten eines Dichters aus Bengalen) : Es erklang der erste Ton seiner Flote: zerstort war das Lowentor der Achtung vor den Alteren, zerst6rt war die Tür des Gesetzes, verloren war der behütete Schatz meiner Sittsamkeit, wie von einem Blitz getroffen, sank ich zu Boden.

Als Radha ihren geliebten Krishna einst in der Dunkelheit nicht finden konnte, sah sie ihn plOtzlich überall: in den Baumen, auf dem Weg, im Wasser des Flusses, im Mond. Krishna manifestierte sich in der ganzen Erscheinungswelt. Er ist die Welt in ihrer Vielzahl von Erscheinungen. In der Bhagavadgita , einem Teil des immensen Heldenepos Mahabha­rata , ist Krishna der Wagenlenker und Freund des Prinzen Arjuna . Er gibt diesem Ratschlage für die bevorstehende Schlacht und ermuntert ihn , tapfer zu kampfen , selbst wenn er dabei umkommen sollte, denn es sei die Aufgabe eines Kriegers , zu kampfen und zu siegen oder zu sterben. Schliesslich offenbart sich Krishna seinem zaudernden Freund Arjuna in seiner wahren kosmischen Gestalt. Diese AlIgestalt von Vishnu-Krish­na, Vishvarupa genannt, birgt alle einzelnen, jedoch individuell bleiben­den Erscheinungen , die ganze Welt in sich. Dargestellt wird sie als Gtittergestalt mit unzahligen Ktipfen , Armen und Beinen. Wer Krishna liebt , hat auch ein positives Gefühl allen Erscheinungen dieser Welt gegenüber. Hier setzt sich Vishnu in seiner Erscheinungs­form am starksten von Shiva, dem anderen Hauptgott des Hinduismus, ab. Sowohl Shiva , der Zersttirer der Welt , als auch Brahma, der (eh er «akademische») Schtipfergott , sind auf der Burgdorfer Stele vertreten: Sie thronen oben links und rechts auf den Saulen . Shiva ist ein Asket, der die Zerrissenheit der Welt in seinem Wesen vereinigt. Alles an ihm ist gegensatzlich : er ist absolut ruhig in der Meditation und rasend wild im Tanz. Seine E nergie sucht die Erschtipfung. Vishnu dagegen ist vaterlich mild und stets ausgeglichen. Er setzt sich für Gerechtigkeit ein und hilft allen Menschen.

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3. Vishnu a/s ErlOsungshe/fer

Unter Erltisung wird im Hinduismus hauptsaehlieh das Heraustreten aus dem steten Kreislauf von Geburt , Tod und Wiedergeburt verstanden. Eine Mtigliehkeit, die Erltisung zu erlangen , ist das Weglassen von Taten, die zukünftige Existenzen bewirken. Diese Wirkkraft wird Kar­ma genannt. In seiner Inkarnation als Buddha, auf der Stele ganz unten links , hat Vishnu die Mensehen gelehrt, Karma erzeugende Taten, insbesondere Begierde , Hass und Verblendung, aber aueh blutige Opfer an die Gtitter, aufzugeben. Auf eine andere Weise wird Erltisung als das Eingehen ins Absolute verstanden. Dies wird dureh einen Akt der Erkenntnis erreieht, namlieh der Erkenntnis, dass individuelle Existenz und umfassende Weltseele eigentJieh Eins sind . Der Welt und all ihren vereinzelten Erseheinungs­formen wird dabei keine Realitat in unserem Sinne zugebilligt: einzige Wirkliehkeit ist das allumfassende und transzendente Sein. Erltisung naeh dieser Lehre ist ein Abstreifen des gangigen Irrtums, es gabe ein individuelles Sein und somit eine individuell erfassbare Erseheinungs­welt. Die Welt ist jedoeh nur Illusion, eine seheinbare Welt, die mit dem Begriff Maya bezeiehnet wird. Vishnu hilft in seiner besonnene n, aber durehaus tatkraftigen Art, Distanz zu der anscheinend aus Saehzwangen bestehenden Welt zu finden. In seiner zukünftigen Inkarnation als Kalkin, einem Reiter auf weissem Pferd , auf der Stele ganz unten rechts zu erkennen , wird Vishnu das letzte und sehleehteste aller Zeitalter, das jetzige, aufheben. Der ganze Kosmos wird dannzumal seiner ausseren Existenz entledigt und von Vishnu verinnerlicht werden. Eine weitere , weniger philosophiseh-kosmologisehe als religitis-prak­tisehe Art, die Erlbsung zu erreiehen , stützt si eh auf die Hilfe der Gottheit, weJche in einem Akt der Gnade den erltisungsbedürftigen Mensehen aus dem Kreislauf der Geburten heraushebt. In der mysti­sehen Vereinigung mit der Gottheit findet diese Weise der Erlbsung ihren Ausdruek . Sie basiert auf der gegenseitigen Liebe des Mensehen zu Gott und der Gottheit zum Mensehen. Im Hinduismus ist diese Gottesliebe ein zentrales Thema. Besonders der Krishna-Kult baut ganz auf dieser Liebe zu Gott, die erwidert wird. Das sieh Einfühlen in eine Gottheit kann jedoeh aueh gesehehen, indem vor dem Bild ei ner Gottheit meditiert wird. Die Meditation , d. h. das

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sich Konzentrieren aufs Wesentliche, was verschiedene Versenkungs­stufen bewirkt , gilt a llgemein als der Kbnigsweg zu innerer Erleuchtung, die mit der Erlbsung einhergeht. Bis zum Erreichen dieses Zustandes muss jedoch viel geübt werden, wobei ein Gbtterbild, das die Gottheit verkbrpert, eine wesentliche Meditationshilfe darstellt . Die kul tische Verehrung des Gbtterbildes und die damit verbundene Versenkung in die Gottheit führt die G laubigen mit Hilfe der Gottheit hin zum Abso­luten. Um auf unsere Vishnu-Figur zurückzukommen: Mir scheint ei ne starke kbrperliche Prasenz des Gottes in dieser Figur ausgearbeitet zu sein, welche auf den Seelenzustand des Betrachters, des Verehrers, des davor in Meditation versunkenen Erlbsungssuchenden ausstrahlt. In der Tur­bulenz der kleinen Figuren rund um die Hauptgestalt von Vishnu steht dieser ruhig, unerschütterlich und vertrauenserweckend. Der helden­hafte Erh al ter der Welt ist darin zu sehen wie auch der geliebte und liebende Gott, der die ganze Welt in sich birgt. Schliesslich unterstützt dieser Gott durch seine Anwesenheit die Menschen auf ihrem oft beschwerlichen Gang durch den turbulenten und sich ewig erneuernden Kreislauf des Lebens und hilft auf dem Weg daraus heraus zur Erleuch­tung.

Literalur

Hansemallll, e/aus und Liselotte (Hrsg .) : Hinduismus. Bilderkanon und Deutung. Text­autor: Rellé Russek. Batte nberg Verlag, München 1986. Schleberger, Eckhard: Die indische Gõtterwelt. Gestalt, Ausdruck und Sinnbild. Ein Handbuch der hinduistischen Ikonographie. Eugen D iederiçhs Verlag, Koln 1986. SelU/eider, U/rich: Einfü hrung in den Hinduismus. Wissenschaft liche Buchgesellschaft , Darmstadt 1989. Schreiner, Peter: Begegnung mit dem Hinduismus. Eine Einführung . VerJag Herder, Freiburg i. Br. 1984 . Vogelsallger, Comelia: Indische Gottheiten. Ein 8revier . Volkerkundemuseum der Uni­versi tãt Zürich, Zürich 1987.

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