18
Vom Hören, Zuhören und Zurechthören Reinhard Kopiez Hochschule für Musik und Theater Hannover Institut für Musikpädagogische Forschung

Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Vom Hören, Zuhören undZurechthören

Reinhard KopiezHochschule für Musik und Theater Hannover

Institut für Musikpädagogische Forschung

Page 2: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Das Grup-Tekkan-Phänomen

Live bei Stefan Raab

Page 3: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Die Wolpert-Studie

R. Wolpert (2000). Attention to key in a nondirected music listening task:musicians vs. nonmusicians. Music Perception, 18(2), 225-230

"Nondirected listening Paradigma" Hörbsp.: Jazz-Standard "You make me feel so young"

Version 1 Orig. Version 2 Melodie + Begleitung 1/2-Ton auseinander Version 3 Melodie + Begleitung 1/1-Ton auseinander

Aufgabe mit offener Antwort:"Beschreiben Sie alle Unterschiede, die Sie hören"

Inhaltsanalyse der freien Antworten (Expertenrating) „match“

vollständige Benennung des Tonartenkonliktes („clash of keys“) „possible match“

ungefähre Benennung des Tonartenkonfliktes „mismatch“

keine Benennung des Tonartenkonfliktes Hypothese:

Musiker bemerken gegenüber Nichtmusikern einen Tonartenkonflikt(clash of keys) häufiger

Page 4: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Ergebnis der Wolpert-Studie

Page 5: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Kritik

Kleine Expertengrupe (n = 10) Nur ein musikalischer Stil Keine Kontrollbedingung (gerichtetes Hören)

Modifizierte Replikation des Hörexperiments

Page 6: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Replikationsexperiment

Hypothesen Musiker bemerken den Tonartenkonflikt häufiger als

Nichtmusiker Bei zielgerichtetem Hören (“directed listening” [DL]) liegt

die Erkennensrate für alle Gruppen signifikant höherals bei nicht zielgerichtetem Hören (NDL)

Musiker erkennen den Tonartenkonflikt unter beidenBedingungen (NDL & DL) besser als Nichtmusiker

Erkennensrate unterscheidet sich bei verschiedenenMusikstilen

Page 7: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Methode

Probanden 100 Musiker (Expertengruppe)

Studenten der HMT Hannover, Alter: 19-28 148 Nichtmusiker (Laiengruppe)

Schüler im Alter von 14-21

Versuchsbedingungen Versuchsgruppe 1 (non-directed listening [NDL]), n = 184

69 Musiker 115 Nichtmusiker Aufgabe:

Bitte beantworten Sie mit wenigen Sätzen, was Ihnen an dieserInterpretation aufgefallen ist

Versuchsgruppe 2 (directed listening [DL]), n = 64 31 Musiker 33 Nichtmusiker Aufgabe:

Bitte beantworten Sie mit wenigen Sätzen, was Ihnen an dieserInterpretation aufgefallen ist und wie gut Melodie und Begleitungzueinander passen

Page 8: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Die Hörbeispiele

Gesang 100 cent ↓Begleitung 100 cent ↑

200 cent

Gesang 50 cent ↑Begleitung 50 cent ↓

100 cent

PopOriginalYou got a friendT. & M.: C. KingInterpret: Soul control

Begleitung 200 cent ↓Begleitung tiefer

Begleitung 200 cent ↑Begleitung höher

JazzOriginalYou make me feel so youngM.: J.J. MylowT.: M. Gordon

StilModifikationVersionTitel

Page 9: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Melodie 100 cent ↑Begleitung 100 cent ↓

200 cent

Melodie 50 cent ↑Begleitung 50 cent ↓

100 cent

KlassikOriginal2. Satz, Andanteaus demTrompetenkonzert in EsJ. HaydnHOB. VIIe:1.

Gesang 100 cent ↓Begleitung 100 cent ↑

200 cent

Gesang 50 cent ↑Begleitung 50 cent ↓

100 cent

RockOriginalWalking on sunshineT. & M.: K. Ch. RewInterpret: Soul control

StilModifikationVersionTitel

Page 10: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Ergebnisse

Alle Stile,alle Hörer,zwei Hörweisen

Page 11: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Verschiedene Hörweisen, verschiedene Hörxepertise

=

Page 12: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Der Einfluss verschiedener Musikstile

KlassikRock

Pop

Page 13: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Diskussion

Hören ≠ Zu-hören Was hören Nichtmusiker wirklich?

Bemerken von Ausdrucksstimmungen ("happymusic")

danach Oberflächenmerkmale zur Orientierung(Schramm, 2005)

Dynamik Rhythmik

bekannter Hörtyp: „diffuser Hörer“ (Behne, 1990) Hörstrategien sind erweiterungsfähig!

Page 14: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

... und das Zurechthören

Bewertung von Verstimmungen der Terz desMollakkords bereits in Enders, B. (1981). Studien

zur Durchhörbarkeit undIntonationsbeurteilung vonAkkorden.

Page 15: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

... und das Zurechthören

Bewertung von Verstimmungen der Terz desMollakkords bereits inDiss. von BerndEnders untersucht Enders, B. (1981). Studien

zur Durchhörbarkeit undIntonationsbeurteilung vonAkkorden.

Page 16: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5,67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von bis zu

83 cent Chorisch gesungene Töne von bis zu 90 cent Intonationsabweichungen werden nicht als störend empfunden, sondern

sogar als Ausdrucksqualitäten wahrgenommen (Vibrato!)

Psychoakustische Aspekte Intonationswahrnehmung ist nicht mit einer "Theorie des Reizes" im

Sinne einer Abbildtheorie erklärbar. Auch eine "Störtheorie" des Wohlklangs (Rauigkeit!) hat hier wenig

Erklärungswert.

Page 17: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Das Van-Halen-Desaster(Live-Mitschnitt vom Jahr 2006, falsche Sample-Rate für

Playback)

Page 18: Vom Hören, Zuhören und Zurechthören · Fricke, J. (1988). Klangbreite und Tonempfindung. Musikpsychologie, 5, 67-87: Chorisch gespielte Geigenklänge haben eine Klangbreite von

Fazit

Tonartenkonflikte werden nicht automatischerkannt, sondern bedürfen derAufmerksamkeitslenkung.

In Abhängigkeit von der Hörexpertise hörensich Personen das Nicht-Passen zurecht.

Die Auffälligkeit hängt auch ab vom Stil und istin harmonisch einfachen Stilen leichter zuerkennen als in komplexeren Jazzstücken.

Hören kann zwar jeder, nicht jedoch Zu-hören.