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Symmetry of Crystals & Molecules Mark Ladds Buch ɒber Sym- metrie zeigt auf seinem anspre- chenden, in Weiß gehaltenen Titel- bild Kugeln mit symmetrisch arran- gierten Objekten. Bei diesen scheint es sich um eine einzige Nautilus- oder Ammo- nitenschale zu handeln, die vervielfȨltigt und nach Symmetrieprinzipien gemȨß einer Zeichnung von M. C. Escher angeordnet wurde. Will Mark Ladd etwa Symmetrie, in allen Formen und Ge- stalten mithilfe mathematischer Konzepte zum Leben erwecken? Der Titel schrȨnkt den The- menbereich zwar auf Kristalle und Molekɒle ein, doch schon beim ersten DurchblȨttern wird klar, dass das Buch auch Beispiele aus anderen Gebieten prȨsentiert. Es kann kein Zufall sein, dass im Internatio- nalen Jahr der Kristallographie 2014 ein neues Buch ɒber Symmetrie und Kristalle publiziert wird. Ƞber die Jahrhunderte wurden unzȨhlige Mono- graphien zu diesem Thema verfasst, und schon beim Anblick meiner bescheidenen Sammlung muss ich mich fragen, ob Ladds Werk etwas ande- res wȨre als eine schlichte Erweiterung? Der Inhalt ist umfangreich: Es werden Symme- trieoperationen, stereographische Projektionen, die Anwendung von Rçntgen-Beugung, Gruppentheo- rie und Spektroskopie behandelt, und alleine die Sammlung von Internet-Links zu kostenlos herun- terladbarer Software fɒr vertiefte Studien sollte dem Buch einen Platz unter den Arbeitsmaterialien fɒr jeden Kurs ɒber „Symmetrie“ sichern. Die ausge- wȨhlte Software eignet sich fɒr spezifische Anwen- dungen, die mçglicherweise fɒr den Autor interes- sant waren, ist aber nicht zwingend auf die Bedɒrf- nisse des durchschnittlichen Lesers zugeschnitten. Sehr nɒtzlich sind die Stereodarstellungen, um die 3D-Visualierung der Gitter und Molekɒle und das VerstȨndnis der wissenschaftlichen Konzepte zu erleichtern. [1] Der Leser blickt dabei mit parallel gerichteten Augen auf zwei Bilder, was allerdings ein wenig Ƞbung erfordert. Jedes Kapitel ist mit einer Aufgabensektion angereichert, die die Teil- nehmer eines Kristallographiekurses auf Trab hȨlt. Antworten sind am Ende des Anhangs nachzu- schlagen; dort findet sich auch eine Zusammen- fassung der mathematischen Konzepte. Das Buch befasst sich hauptsȨchlich mit Sym- metrieaspekten dreidimensionaler Objekte, es werden aber auch zweidimensionale Symmetrien (wichtig fɒr die OberflȨchenphysik) und Symme- trien hçherer Ordnung besprochen, wie sie fɒr die Beschreibung von Quasikristallen verwendet werden. Erfreulicherweise lȨsst der Autor eigene Vorstellungen und EinschȨtzungen in den Text einfließen, etwa indem er diskutiert, wie die Inter- national Union of Crystallography ihre Definition von Kristallen geȨndert hat, sodass nun alles, was ein erkennbares Beugungsmuster zeigt, unter diese Definition fȨllt. Mçglicherweise war das Ziel dabei, Quasikristalle als kristallographisches Gebiet zu erhalten. Dies sollte uns motivieren, so genanntes Allgemeinwissen nicht als gegeben hinzunehmen, sondern auch weithin anerkannte Konzepte immer wieder kritisch zu prɒfen. Ein detailliertes Litera- turverzeichnis am Ende jedes Kapitels hilft dabei, zwischen solchen Kommentaren und dem rein fachlichen Inhalt zu unterscheiden. Fɒr Mineraliensammler rechtfertigt bereits die bloße Schçnheit das Interesse an Kristallen. Durch ihre stark anisotrope Atomanordnungen unter- scheiden sich Kristalle aber auch in einer Vielzahl ihrer Eigenschaften von amorphen oder glasartigen Materialien. Das von idiomorph gewachsenen KristallflȨchen reflektierte Licht macht diese An- isotropie erkennbar. Viele weitere physikalische Eigenschaften von Kristallen, wie die optische Drehung (im Buch als „optical activity“ bezeich- net), hȨngen unter anderem von der Betrach- tungsrichtung ab, und die Symmetrie entscheidet darɒber, ob ein solcher Effekt ɒberhaupt auftreten kann. Ladds Buch behandelt diese physikalische Kristallographie allerdings nur oberflȨchlich. Im Vorwort des Buchs tadelt Jan Boeyens von der University of Pretoria zwar die Behandlung von Molekɒlorbitalen, er ist aber voll des Lobes fɒr den restlichen Inhalt. Er erinnert uns daran, wie wichtig SymmetrieerwȨgungen fɒr die Kristall- strukturbestimmung sind, und er verweist auf die mathematischen Prozeduren, die in den frɒhen Stadien der Strukturbestimmung eingefɒhrt wurden. In diesem Zusammenhang erwȨhnt er auch Beevers-Lipson-Streifen, im zehnseitigen Stichwortverzeichnis konnte ich aber leider keinen Verweis auf eine Definition dieser Streifen finden. Dies zeigt, dass das Buch eben keine Monographie der praktischen Rçntgen-Strukturanalyse ist. In großem Detail werden die Gruppentheorie und die Anwendung von Spektroskopie behandelt. Hier besticht das Buch mit lehrreichen Diskussio- nen verschiedener Fallbeispiele. Ich empfehle das Buch nicht als Komplettlektɒre, sondern zum se- lektiven Studium derjenigen Themen, die mancher Wissenschaftler zwar gelernt, im Laufe der Jahre aber wieder vergessen hat. Ich kann mich letztlich freuen, es in meinem Bɒcherregal zu haben. Werner Kaminsky Department of Chemistry University of Washington, Seattle (USA) DOI: 10.1002/ange.201407286 [1] J. Wai, D. Lubinski, C. P. Benbow, J. Educ. Psych. 2009, 101, 817. Symmetry of Crystals & Molecules Von Mark Ladd. Oxford Uni- versity Press, 2014. 464 S., geb., 55.00 £.—ISBN 978- 0199670888 . Angewandte Bücher A ngewandte Chemi e 10149 Angew. Chem. 2014, 126, 10149 # 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Symmetry of Crystals & Molecules. Von Mark Ladd

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Page 1: Symmetry of Crystals & Molecules. Von Mark Ladd

Symmetry ofCrystals & Molecules

Mark Ladds Buch �ber Sym-metrie zeigt auf seinem anspre-

chenden, in Weiß gehaltenen Titel-bild Kugeln mit symmetrisch arran-

gierten Objekten. Bei diesen scheint essich um eine einzige Nautilus- oder Ammo-

nitenschale zu handeln, die vervielf�ltigt undnach Symmetrieprinzipien gem�ß einer Zeichnungvon M. C. Escher angeordnet wurde. Will MarkLadd etwa Symmetrie, in allen Formen und Ge-stalten mithilfe mathematischer Konzepte zumLeben erwecken? Der Titel schr�nkt den The-menbereich zwar auf Kristalle und Molek�le ein,doch schon beim ersten Durchbl�ttern wird klar,dass das Buch auch Beispiele aus anderen Gebietenpr�sentiert.

Es kann kein Zufall sein, dass im Internatio-nalen Jahr der Kristallographie 2014 ein neuesBuch �ber Symmetrie und Kristalle publiziert wird.�ber die Jahrhunderte wurden unz�hlige Mono-graphien zu diesem Thema verfasst, und schonbeim Anblick meiner bescheidenen Sammlungmuss ich mich fragen, ob Ladds Werk etwas ande-res w�re als eine schlichte Erweiterung?

Der Inhalt ist umfangreich: Es werden Symme-trieoperationen, stereographische Projektionen, dieAnwendung von Rçntgen-Beugung, Gruppentheo-rie und Spektroskopie behandelt, und alleine dieSammlung von Internet-Links zu kostenlos herun-terladbarer Software f�r vertiefte Studien sollte demBuch einen Platz unter den Arbeitsmaterialien f�rjeden Kurs �ber „Symmetrie“ sichern. Die ausge-w�hlte Software eignet sich f�r spezifische Anwen-dungen, die mçglicherweise f�r den Autor interes-sant waren, ist aber nicht zwingend auf die Bed�rf-nisse des durchschnittlichen Lesers zugeschnitten.

Sehr n�tzlich sind die Stereodarstellungen, umdie 3D-Visualierung der Gitter und Molek�le unddas Verst�ndnis der wissenschaftlichen Konzeptezu erleichtern.[1] Der Leser blickt dabei mit parallelgerichteten Augen auf zwei Bilder, was allerdingsein wenig �bung erfordert. Jedes Kapitel ist miteiner Aufgabensektion angereichert, die die Teil-nehmer eines Kristallographiekurses auf Trab h�lt.Antworten sind am Ende des Anhangs nachzu-schlagen; dort findet sich auch eine Zusammen-fassung der mathematischen Konzepte.

Das Buch befasst sich haupts�chlich mit Sym-metrieaspekten dreidimensionaler Objekte, eswerden aber auch zweidimensionale Symmetrien(wichtig f�r die Oberfl�chenphysik) und Symme-trien hçherer Ordnung besprochen, wie sie f�r dieBeschreibung von Quasikristallen verwendetwerden. Erfreulicherweise l�sst der Autor eigeneVorstellungen und Einsch�tzungen in den Texteinfließen, etwa indem er diskutiert, wie die Inter-

national Union of Crystallography ihre Definitionvon Kristallen ge�ndert hat, sodass nun alles, wasein erkennbares Beugungsmuster zeigt, unter dieseDefinition f�llt. Mçglicherweise war das Ziel dabei,Quasikristalle als kristallographisches Gebiet zuerhalten. Dies sollte uns motivieren, so genanntesAllgemeinwissen nicht als gegeben hinzunehmen,sondern auch weithin anerkannte Konzepte immerwieder kritisch zu pr�fen. Ein detailliertes Litera-turverzeichnis am Ende jedes Kapitels hilft dabei,zwischen solchen Kommentaren und dem reinfachlichen Inhalt zu unterscheiden.

F�r Mineraliensammler rechtfertigt bereits diebloße Schçnheit das Interesse an Kristallen. Durchihre stark anisotrope Atomanordnungen unter-scheiden sich Kristalle aber auch in einer Vielzahlihrer Eigenschaften von amorphen oder glasartigenMaterialien. Das von idiomorph gewachsenenKristallfl�chen reflektierte Licht macht diese An-isotropie erkennbar. Viele weitere physikalischeEigenschaften von Kristallen, wie die optischeDrehung (im Buch als „optical activity“ bezeich-net), h�ngen unter anderem von der Betrach-tungsrichtung ab, und die Symmetrie entscheidetdar�ber, ob ein solcher Effekt �berhaupt auftretenkann. Ladds Buch behandelt diese physikalischeKristallographie allerdings nur oberfl�chlich.

Im Vorwort des Buchs tadelt Jan Boeyens vonder University of Pretoria zwar die Behandlungvon Molek�lorbitalen, er ist aber voll des Lobes f�rden restlichen Inhalt. Er erinnert uns daran, wiewichtig Symmetrieerw�gungen f�r die Kristall-strukturbestimmung sind, und er verweist auf diemathematischen Prozeduren, die in den fr�henStadien der Strukturbestimmung eingef�hrtwurden. In diesem Zusammenhang erw�hnt erauch Beevers-Lipson-Streifen, im zehnseitigenStichwortverzeichnis konnte ich aber leider keinenVerweis auf eine Definition dieser Streifen finden.Dies zeigt, dass das Buch eben keine Monographieder praktischen Rçntgen-Strukturanalyse ist.

In großem Detail werden die Gruppentheorieund die Anwendung von Spektroskopie behandelt.Hier besticht das Buch mit lehrreichen Diskussio-nen verschiedener Fallbeispiele. Ich empfehle dasBuch nicht als Komplettlekt�re, sondern zum se-lektiven Studium derjenigen Themen, die mancherWissenschaftler zwar gelernt, im Laufe der Jahreaber wieder vergessen hat. Ich kann mich letztlichfreuen, es in meinem B�cherregal zu haben.

Werner KaminskyDepartment of ChemistryUniversity of Washington, Seattle (USA)

DOI: 10.1002/ange.201407286

[1] J. Wai, D. Lubinski, C. P. Benbow, J. Educ. Psych.2009, 101, 817.

Symmetry of Crystals &MoleculesVon Mark Ladd. Oxford Uni-versity Press, 2014. 464 S.,geb., 55.00 £.—ISBN 978-0199670888

.AngewandteB�cher

AngewandteChemie

10149Angew. Chem. 2014, 126, 10149 � 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim