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Swiss Medical Forum Offizielles Fortbildungsorgan der FMH Organe officiel de la FMH pour la formation continue Bollettino ufficiale per la formazione della FMH Organ da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly” 6 10. 2. 2016 137 G. Klein, D. König Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie: klinische Perspektive 142 S. L. Mosimann, V. Speidel, V. Wienert, A. Heise Eine folgenschwere Grippe 152 L. Klenk, E. Piechowiak, B. Brela, et al. Linksseitige Unterbauch- schmerzen – nicht immer eine Divertikulitis 130 A. E. Minder, H. Zulewski Thyreoiditiden SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

Swiss Medical Forum 6/2016 · A. E. Minder, H. Zulewski 130 Thyreoiditiden Der Begriff der Thyreoiditis beschreibt entzündliche Veränderungen der Schilddrüse, ... Unterbauchschmerzen,

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SwissMedical Forum

Offizielles Fortbildungsorgan der FMHOrgane officiel de la FMH pour la formation continueBollettino ufficiale per la formazione della FMHOrgan da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch

With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”

6 1

0. 2

. 201

6

137 G. Klein, D. KönigZwangsmassnahmen in der Psychiatrie: klinische Perspektive

142 S. L. Mosimann, V. Speidel, V. Wienert, A. HeiseEine folgenschwere Grippe

152 L. Klenk, E. Piechowiak, B. Brela, et al.Linksseitige Unterbauch­schmerzen – nicht immer eine Divertikulitis

130 A. E. Minder, H. ZulewskiThyreoiditiden

SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

Und anderswo …?

A. de Torrenté

129 Diabetische Nephropathie: positive Wirkung eines neuen Aldosteronantagonisten? Übersichtsartikel

A. E. Minder, H. Zulewski

130 ThyreoiditidenDer Begriff der Thyreoiditis beschreibt entzündliche Veränderungen der Schilddrüse, die durch verschiedene Erkrankungen hervorgerufen werden können.

G. Klein, D. König

137 Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie: klinische PerspektiveDie Anwendung von Zwangsmassnahmen ist zwar nicht spezifisch für die Psych iatrie, gleichwohl ist deren Einsatz in diesem Fachgebiet von jeher umstritten. Die Verordnung von Zwangsmass-nahmen ist stets heikel und steht in engem Zusammenhang mit der Einschätzung des Arztes, ob der Patient in der Lage ist, in eine bestimmte Behandlung einzuwilligen oder nicht.

Fallberichte

S. L. Mosimann, V. Speidel, V. Wienert, A. Heise

142 Eine folgenschwere GrippeDer 56-jährige Patient stellte sich Anfang April 2015 auf unserer Notfallstation mit Husten, Fieber, Rhinitis und leichtem Schwindel vor. Er wurde mit der Diagnose eines grippalen Infektes und mit einer symptomatischen Therapie wieder nach Hause entlassen. Am Folgetag wies er sich wiederum selbst zu wegen progredienter Atemnot, Schwitzen, Unwohlsein und Diarrhoe.

L. Chilver-Stainer, M. Schärer, M. Schlager, R. Engisch, M. Sturzenegger

145 Susac-SyndromBei einem bislang gesunden 38-jährigen Mann traten rezidivierend passagere Sehstörungen (verzerrte vi su el le Wahrnehmung und Flackern während 20–30 Minuten), multifokal verteilte Sensibilitäts störungen mit Taubheitsgefühl während jeweils zwei bis drei Mi nuten und im Verlauf Konzentrationsstörungen, leichte Kopfschmerzen und transiente Hörstörungen auf.

INHALTSVERZEICHNIS 127

Redaktion

Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska, Basel (Managing editor); Prof. Dr. David Conen, Basel; Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; PD Dr. Maria Monika Wertli, Bern

Beratende Redaktoren

Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg; Dr. Pierre Périat, Basel; Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal

Advisory Board

Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne; Dr. Sven Streit, Bern; PD Dr. Ryan Tandjung, Zürich

Fallberichte

M. Möddel, I. Schuller, W. Hosch

149 Therapeutische Lymphographie bei LymphfistelEin 57-jähriger Patient musste sich aufgrund eines Hypernephroms einer linksseitigen Nephrektomie mit radikaler Lymph-adenektomie unterziehen. Am dritten postoperativen Tag förderte eine abdominelle Drainage milchig-lachsfarbenes Sekret.

Coup d’œil

L. Klenk, E. Piechowiak, B. Brela, C. Lippeck, A. Lechleiter, B. Lehmann

152 Linksseitige Unterbauch schmerzen – nicht immer eine DivertikulitisEin 53-jähriger Patient wurde uns aus einem Regionalspital zugewiesen mit heftigen linksseitigen Unterbauchschmerzen, Nausea ohne Erbrechen sowie Hypotonie und Kaltschweissigkeit, die perakut drei Stunden vor Hospitalisation aufgetreten waren.

Extended abstracts from SMW

New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 154.

INHALTSVERZEICHNIS 128

ImpressumSwiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-ForumOffizielles Fortbildungsorgan der FMH und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin

Redaktionsadresse: Ruth Schindler, Redaktionsassistentin SMF, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 58, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.medicalforum.ch

Manuskripteinreichung online: http://www.edmgr.com/smf

Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte-verlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55, Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch

Marketing EMH / Inserate: Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin Marketing und Kommunikation, Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected]

Abonnemente FMH-Mitglieder: FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11, Fax +41 (0)31 359 11 12, [email protected] Abonnemente: EMH Schweize-rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 75, Fax +41 (0)61 467 85 76, [email protected]: zusammen mit der Schweizerischen Ärzte- zeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize-rische Ärzte zeitung 1 Jahr CHF 175.– / Studenten CHF 88.– zzgl. Porto (kürzere Abonnementsdauern: siehe www.medicalforum.ch)

ISSN: Printversion: 1424-3784 / elektronische Ausgabe: 1424-4020Erscheint jeden Mittwoch

© EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG(EMH), 2016. Das Swiss Medical Forum ist eine Open- Access-Publika tion von EMH. Entsprechend gewährt EMH allen Nutzern auf der Basis der Creative-Commons-Lizenz «Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbei-tung en 4.0 International» das zeitlich unbeschränkte Recht, das Werk zu ver-viel fältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen unter den Bedin-gungen, dass (1) der Name des Autors genannt wird, (2) das Werk nicht für kommerzielle Zwecke verwendet wird und (3) das Werk in keiner Weise bear-beitet oder in anderer Weise verändert wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur mit ausdrück licher vorgängiger Erlaub-nis von EMH und auf der Basis einer schriftlichen Vereinbarung zulässig.

Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift pu blizierten Angaben wurden mit der grössten Sorgfalt überprüft. Die mit Verfassernamen gezeichneten Ver-öffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht zwangsläufig die Meinung der SMF-Redaktion wieder. Die angegebenen Dosierungen, Indikationen und Appli-kationsformen, vor allem von Neuzu-lassungen, sollten in jedem Fall mit den Fachinformationen der verwende-ten Medikamente verglichen werden.

Herstellung: Schwabe AG, Muttenz, www.schwabe.ch

Titelbild: © Nerthuz | Dreamstime.com

Und anderswo …?Antoine de Torrenté

Diabetische Nephropathie: positive Wirkung eines neuen Aldosteronantagonisten?

FragestellungDie diabetische Nephropathie ist in den soge­nannt «entwickelten Ländern» die häufigste Ursache für terminale Niereninsuffizienz. Ein Ziel der Therapie besteht darin, die Albumin­urie zu reduzieren, um kardiovaskuläre Ereig­nisse zu verringern und das Voranschreiten der Niereninsuffizienz zu verlangsamen. Die zusätzliche Gabe von Aldosteronantago­nisten (AA) wie Spironolacton oder Eplerenon hat sich bei Patienten, die bereits Inhibitoren des Renin­Angiotensin­Aldosteron­Systems (RAAS) wie ACE­Hemmer oder Sartane einnah­men, positiv auf die Albuminurie ausgewirkt, jedoch häufig zum Preis einer Hyperkaliämie. Finerenon ist ein neuer nichtsteroidaler Aldos­teronrezeptorantagonist, der in derselben na­triuretischen Dosierung weniger Hyperkali­ämien verursacht und eine bessere Schutz­wirkung auf die Zielorgane aufweist als Spironolacton und Eplerenon. Welche Wir­kung hat Finerenon auf die Proteinurie bei Patienten mit diabetischer Nephropathie, die bereits RAAS­Inhibitoren erhalten?

MethodeAlle eingeschlossenen Patienten (Durch­schnittsalter 64 Jahre) litten an diabetischer Nephropathie unter ACE­Hemmern oder Sar­tanen mit einer glomerulären Filtrationsrate von >30 ml/min/1,73 m² und Albuminurie (Al­bumin­Kreatinin­Quotient von >30 mg/g). Sie wurden in 8 Gruppen randomisiert: eine Pla­zebogruppe und 7 Gruppen, die 1,25; 2,5; 5; 7,5; 10; 15 und 20 mg Finerenon/Tag erhielten. Pri­märer Endpunkt war der Albumin­Kreatinin­Quotient nach 90 Tagen im Vergleich zu Stu­dieneinschluss.

ResultateDie Finerenon­Gabe bewirkte einen dosis­abhängigen Rückgang der Albuminurie von 22–38%. Die glomeruläre Filtrationsrate war nicht verringert, und die Hyperkaliämie­inzidenz betrug in den Gruppen mit 7,5, 15 und 20 mg Finerenon/Tag 2, 3 und 1,7%.

ProblemeDas Follow­up war natürlich viel zu kurz, um eine positive Langzeitwirkung auf die Nieren­funktion beurteilen zu können. Ca. 25% der Patienten erhielten RAAS­Inhibitoren in der geringsten wirksamen Dosis, was den Rück­gang der Albuminurie unter Finerenon mög­

licherweise begünstigt hat. Ca. 60% der Pa­tienten wiesen eine glomeruläre Filtrations­rate von >60 ml/min/1,73 m² auf, wodurch das Hyperkaliämierisiko geringer war, was mög­licherweise den sehr geringen Kaliumüber­schuss von >5,6 mmol/l erklärt.

KommentarJedes gut verträgliche Medikament, das die Nierenfunktion von Patienten mit diabeti­scher Nephropathie verbessern kann, ist an­gesichts der epidemiologischen Katastrophe, die uns erwartet, nur zu begrüssen. Die Pro­teinurie hat verheerende Auswirkungen auf die Nierenfunktion und begünstigt eine Ent­zündung des Niereninterstitiums. Es müsste eine längere Studie, z.B. im Vergleich zu Epe­renon, durchgeführt werden, um die Langzeit­verträglichkeit von Finerenon und seine lang­fristige Wirkung auf die Nierenfunktion von Patienten mit diabetischer Nephropathie un­ter RAAS­Inhibitoren zu untersuchen. Wenn es gelänge, die Dialysebedürftigkeit von Pati­enten mit diabetischer Nephropathie um ei­nige Monate oder gar Jahre hinauszuzögern, wäre der weltweite Nutzen natürlich enorm … Bakris GL, et al. JAMA. 2015 Sep 1;314(9):884–94.

Hyperkaliämie: eine bessere Waffe?Hyperkaliämie kommt häufig bei niereninsuf­fizienten Patienten vor, die mit Inhibitoren des Renin­Angiotensin­Aldosteron­Systems (RAAS) behandelt werden. Dies ist bei Diabetes oder assoziierter Herzinsuffizienz der Fall. Die Behandlung mit Natriumpolystyrolsulfo­nat (Kayexalate) ist unangenehm und kann eine intestinale Nekrose zur Folge haben. Ein neuer Kationenaustauscher namens Patiro­mer tauscht K gegen Ca aus und bewirkt so in unterschiedlicher Dosierung von 8,4–33,6 g/Tag bei Diabetespatienten unter RAAS­Inhibi­toren eine rasche Senkung des Kaliumwerts (um 0,35–1 mmol je nach Intensität der Hyper­kaliämie). Patiromer wurde im Oktober von der FDA zugelassen.Bakris GL, et al. JAMA. 2015 Jul 14;314(2):151–61.

Lungenkrebsscreening: unerwartete Folgen!37 Patienten, bei denen ein CT­Screening auf Lungenkrebs durchgeführt worden war, wur­den telefonisch befragt. 17 hatten angesichts normaler Resultate beschlossen, weiterhin zu rauchen, da sie sich vor einem zukünftigen Karzinom geschützt fühlten und die anderen

verheerenden Auswirkungen des Tabakkon­sums ausser Acht liessen. Ein unerwartetes Er­gebnis eines Screenings, dessen Ziel es war, zur Tabakentwöhnung anzuregen. Mit einer derart unerwarteten Auslegung, die zweifels­ohne einer der stärksten bekannten Süchte ge­schuldet ist, hätte wohl niemand gerechnet …Zelladt SB, et al. JAMA Intern Med.2015 Sep 1; 175 (9):1530–7.

Elektrodenloser intrakardialer Herzschrittmacher: Realität?Die aktuellen Herzschrittmacher sind hoch­entwickelt, jedoch nicht komplikationslos: Ta­scheninfektion, Ruptur der Elektroden. Nun ist eine Studie über einen sehr kleinen, 42 mm langen Herzschrittmacher mit 6 mm Durch­messer erschienen, der mittels Katheter in die rechte Herzkammer implantiert wird. Er wird mithilfe einer winzigen Schraube im Myokard verankert. Bei 504/526 Patienten war die Im­plantation erfolgreich. Nach sechs Monaten mussten 1,7% der Herzschrittmacher (eben­falls mittels Katheter) wieder entfernt werden, bei 1,3% war eine Perforation der Ventrikel­wand erfolgt, und bei 1,7% fand keine Stimula­tion mehr statt. Die Lebensdauer der Batterie

wird auf 15 Jahre geschätzt! Zwar muss das Ge­rät noch verbessert werden, für Patienten, die lediglich einer ventrikulären Stimulation be­dürfen, stellt es jedoch einen eindeutigen Fortschritt dar.Reddy VY, et al . N Engl J Med. 2015 Sep 17;373(12): 1125–35.

Typ-2-Diabetes: Medikamente oder OP?Drei Gruppen mit jeweils 20 Typ­2­Diabetikern und einem BMI von >35 wurden entweder einem Roux­en­Y­Magenbypass, einer bilio­digestiven Diversion oder einer medikamen­tösen Behandlung unterzogen. Nach fünf Jah­ren war der Diabetes bei 50% der Patienten der OP­Gruppen in Remission, gegenüber 0% der Patienten der Medikamentengruppe. Merk­würdigerweise stand die Remission nicht im Zusammenhang mit der Höhe der Gewichtsab­nahme, was noch unbekannte Mecha nismen der OP­Wirkung auf die Diabeteskontrolle ver­muten lässt. Wie viele Patienten müssten also weltweit operiert werden? Die Antwort lässt einen schwindlig werden …Mingrone G, et al. Lancet. 2015 Sep 5;386(9997): 964–73.

UND ANDERSWO …? 129

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(6):129

ÜBERSICHTSARTIKEL 130

Symptomatik und Funktion bestimmen Diagnose und Therapie

ThyreoiditidenAnna E. Mindera, Henryk Zulewskib

a Endokrinologie und Diabetologie, Kantonsspital Baselland, Liestalb Endokrinologie und Diabetologie, Stadtspital Triemli, Zürich

Einführung

Der Begriff der Thyreoiditis beschreibt entzündliche Veränderungen der Schilddrüse, die durch verschie-dene Erkrankungen hervorgerufen werden können. Die mit Abstand häufigste Thyreoiditis-Form ist die autoimmune Thyreoiditis, die in Gebieten mit aus-reichender Jodversorgung häufiger auftritt als in Jod-mangel-Gebieten [1]. Die Prävalenz der asymptomatischen Thyreoiditis ist sehr hoch. So zeigen Autopsiestudien Hinweise für eine lymphozytäre Infiltration der Schilddrüse in bis zu 40% der erwachsenen Frauen [2]. Ebenfalls ist aus zahlreichen epidemiologischen Studien bekannt, dass positive (bzw. erhöhte) Thyreoperoxidase-Antikörper (TPO-AK) bei bis zu 20% gesunden Frauen und ca. 10% gesunden Männer [3] vorkommen können. TPO-AK treten mit zunehmendem Alter gehäuft auf, bei Frauen über 70 Jahre mit bis zu 33% [4]. Die Bestimmung von TPO-AK bei hypothyreoten (und insbesondere bei euthyreoten) Patienten hat im klinischen Alltag keine Bedeutung, da die therapeutische Entscheidung davon unabhängig anhand der Schilddrüsenfunktion ge-troffen werden muss. Positive TPO-AK erlauben im Ein-zelfall auch keine zuverlässige Vorhersage für die Ent-wicklung der Schilddrüsenfunktion, können aber zu einer nicht zu unterschätzenden Verunsicherung bei Arzt und Patienten führen.In diesem Übersichtsartikel beschreiben wir die ver-schiedenen Formen der Thyreoiditiden, ausgehend von der klinischen Relevanz. Diese ergibt sich zum einen aus der lokalen Symptomatik wie Schmerzen und Schwellung der Schilddrüse und zum anderen aus Veränderungen der Schilddrüsenfunktion, die sowohl die diagnostischen Massnahmen als auch die jeweilige Therapie bestimmen.

Schmerzhafte Thyreoiditiden

Bei einer Thyreoiditis entsteht der Schmerz in der Regel durch eine rasche, entzündliche Schwellung der Schild-drüse, die zu einer schmerzhaften Kapselspannung führt. Die Unterscheidung der beiden wichtigsten Ursa-chen, der subakuten Thyreoiditis De Quervain und der selteneren, aber dafür gefährlicheren bakteriellen Thy-reoiditis, ist besonders wichtig, da die Therapie jeweils eine andere ist (Steroide vs. Antibiotika). Eine fälsch-

licherweise verordnete Steroidtherapie bei bakterieller Thyreoiditis kann den Patienten stark gefährden.

Subakute Thyreoiditis De Quervain (subakute granulomatöse Thyreoiditis)Die subakute granulomatöse Thyreoiditis De Quervain kommt bei Frauen drei- bis fünfmal häufiger vor als bei Männern. Die jährliche Inzidenz wird mit ca. 12:100 000 beschrieben [5, 6]. Da die meisten Patienten über einen viralen Infekt der oberen Luftwege ca. zwei bis acht Wochen vor Auftreten der Thyreoiditis berichten, wird angenommen, dass sie durch einen viralen Infekt oder einen postviralen in-flammatorischen Prozess ausgelöst wird. Das Coxsackie-Virus, aber auch Mumps, Masern, Adenoviren und an-dere Viren werden als Auslöser diskutiert. Das führende Symptom sind Schmerzen über der Schilddrüse, die in Kiefer oder Ohren ausstrahlen kön-nen. Wegen der Ausstrahlung der Schmerzen stellen sich die Patienten gelegentlich erst beim ORL-Arzt oder Zahnarzt vor. Die Patienten fühlen sich oft sehr krank und klagen über grippeähnliche Symptome wie Ma-laise, Fieber, Myalgien oder Müdigkeit. Bei der Untersu-chung ist die Schilddrüse vergrössert, palpatorisch hart und druckdolent. Anna E. Minder

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(6):130–136

ÜBERSICHTSARTIKEL 131

In dieser ersten Phase der Entzündung kommt es zu einer unregulierten Freisetzung der Schilddrüsen-hormone aus den betroffenen Schilddüsenfollikeln mit resultierender Erhöhung des freien Thyroxins (fT4) und Trijodthyronins (T3) sowie Suppression des Thy-reotropins (TSH). Obwohl fast alle Patienten eine hy-perthyreote Stoffwechsellage aufweisen, präsentieren sich nur ca. 50% der Patienten mit klinischen Zeichen der Hyperthyreose. Zusätzlich findet sich im Labor eine deutliche Erhöhung der Blutsenkung und des CRP. Sonographisch imponiert eine meist fokale oder diffuse Hypoechogenität. Die Behandlung erfolgt symptomatisch mit nicht-ste-roidalen Antirheumatika gegen die Schmerzen. Bei feh-lender Verbesserung nach zwei bis drei Tagen oder bei initial starken Schmerzen kann Prednison (0,5 mg/kg/Tag) eingesetzt werden [7]. Unter Steroidtherapie sollte es nach ein bis zwei Tagen zu einer deutlichen Verbes-serung der Symptomatik kommen. Fehlt ein entspre-chendes Ansprechen, muss die Diagnose nochmals kritisch hinterfragt werden. Nach Verbesserung der Schmerzen kann die Prednisontherapie alle fünf bis sieben Tage um 5–10 mg reduziert werden, um die tiefstmögliche Dosis zu finden, die für 14 Tage belassen wird, bis ein erneuter Reduktionsversuch erfolgen kann. Typischerweise folgt eine zwei- bis achtwöchige Therapie mit Steroiden. Die Steroidtherapie hat keinen protektiven Effekt auf die Schilddrüsen-Dysfunktion (in einer Studie haben sogar mehr Patienten eine tran-siente Hypothyreose entwickelt) [6], aber es gibt Hin-weise auf eine kürzere Krankheitsdauer unter Steroid-therapie [8].Falls der Patient initial unter stark störenden Hyper-thyreose-Symptomen leidet, können diese ebenfalls symptomatisch mit Propranolol behandelt werden. Meist ist dies jedoch nicht notwendig.Wenn die Schilddrüsenhormon-Reserven nach ca. zwei bis acht Wochen aufgebraucht sind und die akute Ent-zündung abgeklungen ist, folgt eine meist transiente hypothyreote Phase von ca. vier bis sechs Wochen (ge-legentlich auch länger), bevor es in >90% der Patienten

wieder zu einer Euthyreose kommt. Die Schilddrüsen-funktion sollte bis zum Erreichen einer stabilen Euthy-reose alle zwei bis acht Wochen kontrolliert werden. Die transiente Hypothyreose ist meist mild und kurz und Bedarf daher häufig keiner Therapie, allerdings kann bei symptomatischen Patienten mit einem TSH >10 mU/l eine passagere Substitutionstherapie mit L-Thyroxin (z.B. 50 μg/d) für vier bis sechs Wochen ein-geleitet werden.

Bakterielle ThyreoiditisDie wichtigste Differentialdiagnose zur Thyreoiditis De Quervain ist die akute bakterielle Thyreoiditis, die sehr viel seltener ist und unbehandelt eine Mortalität von bis zu 12% aufweist [9]. Sie wird meist durch Sta-phylokokken oder Streptokokken verursacht. Es kön-nen aber auch andere Keime als Auslöser vorkommen [9]. Sie erreichen die Schilddrüse entweder durch eine Fistel des Sinus piriformis (meist bei Kindern) oder hämatogen, was vor allem bei immunsupprimierten Patienten beschrieben wurde. Mykobakterien, Pilze oder opportunistische Erreger (z.B. Pneumozysten) ver-ursachen oft chronische Thyreoiditiden und kommen ebenfalls vor allem bei Immunsupprimierten vor. Bei der akuten infektiösen Thyreoiditis findet sich häufig ein schnell aufgetretener, meist einseitiger Hals-schmerz, begleitet von Fieber, Schüttelfrost und Ent-zündungszeichen. Meist ist einseitig über der Schild-drüse eine schmerzhafte, oft fluktuierende Masse tastbar. Im Labor besteht in der Regel eine Euthyreose, sehr selten auch eine hyperthyreote Stoffwechsellage [9]. Bei der chronischen infektiösen Thyreoiditis ist oft bilateral eine Masse palpabel, die Symptomatik ist viel diskreter, und es kann gelegentlich eine Hypothyreose vorliegen.Eine Sonographie der Schilddrüse kann bei einer kli-nisch nicht eindeutigen Situation bei der Unterschei-dung einer Thyreoiditis De Quervain von einer infek-tiösen Thyreoiditis oder auch von einer eingebluteten Schilddrüsenzyste, die sich ebenfalls als schmerzhafte Schwellung des Halses präsentieren kann, helfen. Hier-

Tabelle 1: Thyreoiditis De Quervain vs. bakterielle Thyreoiditis.

Thyreoiditis De Quervain Bakterielle Thyreoiditis

Anamnese Schmerzhafte Schilddrüse mit Ausstrahlung in Kiefer oder Ohr mit Myalgien, Malaise, Müdigkeit, Fieber

Schnell aufgetretener einseitiger Halsschmerz, Fieber, Schüttelfrost, gelegentlich Rötung/ Überwärmung

Klinik Vergrösserte, harte, druckdolente Schilddrüse Schmerzhafte, oft fluktuierende einseitige Halsschwellung

Schilddrüsenfunktion Hyperthyreose Meist Euthyreose

BSG, CRP BSG ↑, CRP ↑ CRP ↑, BSG ↑

Sonographie-Befund Unscharf begrenzte diffuse oder fokale Hypo-echogenität

Scharf begrenzte fokale Hypoechogenität

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(6):130–136

ÜBERSICHTSARTIKEL 132

bei kann auch eine Punktion erfolgen, welche die jewei-lige Diagnose bestätigen kann und auch die Möglich-keit bietet, einen auslösenden Keim zu identifizieren. Bestätigt sich die Diagnose der infektiösen Thyreoiditis, soll diese durch (meist intravenöse) Antibiotikathera-pie und allenfalls Drainage-Einlage resp. chirurgische Sanierung behandelt werden. Die wichtigsten Merk-male zur Unterscheidung zwischen einer De-Quervain- Thyreoiditis und einer bakteriellen Thyreoiditis sind in Tabelle 1 zusammengefasst (Anamnese, klinische Befunde, Schilddrüsenfunktion, BSG oder CRP, Sono-graphiebefund).

Schmerzlose Thyreoiditiden

Die schmerzlosen Thyreoiditiden umfassen eine Gruppe von Erkrankungen, die durch eine lymphozytäre Infil-tration der Schilddrüse gekennzeichnet sind. Klinisch präsentieren sich die meist weiblichen Patienten mit einer Funktionsstörung der Schilddrüse (Hypothyre-ose oder gelegentlich auch passagere Hyperthyreose) oder, sehr viel seltener, mit einer Struma. Die Beschrei-bung einer ausgeprägten lymphozytären Infiltration der Schilddrüse bei Patienten mit einer Struma erfolgte 1912 durch den japanischen Arzt Hashimoto [10]. Der durch diese Arbeit geprägte Begriff der Hashimoto-Thyreoiditis wurde zum Sammelbegriff für alle Formen der Autoimmun-Thyreoiditis, mit oder ohne Struma und bei alleinigem Nachweis von Schilddrüsen-Auto-antikörpern (TPO-AK oder Thyreoglobulin-Antikörper). Obgleich die Pathophysiologie dieselbe ist und in >90% der Fälle Schilddrüsen-Autoantikörper gefunden wer-

den, kann sich die klinische Ausprägung dieser Thyreoi-ditiden sehr stark unterscheiden. Die inflammatorische Zerstörung der Schilddrüsenfollikel kann passager zu einer Thyreotoxikose führen, die aber meist mild ist und gelegentlich gänzlich unbemerkt verlaufen kann. Die typische Laborkonstellation besteht in einem prä-ferentiell erhöhten fT4 (da 80% der in der Schilddrüse produzierten Hormone das fT4 ist) und einem weniger stark erhöhtem T3 bei supprimiertem TSH. Nach Er-schöpfung der Schilddrüsenhormon-Reserven führt die Inflammation nach einer kurzen euthyreoten Phase zu einer hypothyreoten Phase (Abb. 1). Dauer und Aus-prägung dieser Hypothyreose können sich je nach Ätio-logie unterscheiden. Die Hashimoto-Thyreoiditis führt z.B. oft zu einer chronischen Hypothyreose, insbeson-dere bei hohen TPO-Antikörper-Titern und bei stark ausgeprägter Hypothyreose-Phase, während es bei der Postpartum-Thyreoiditis nur selten zu einer chroni-schen substitutionsbedürftigen Hypothyreose kommt.

Hashimoto-ThyreoiditisDie Hashimoto-Thyreoiditis ist durch eine lymphozy-täre Infiltration der Schilddrüse und hohe TPO-AK-Titer charakterisiert [11]. Sie ist die häufigste Thyreoiditis und kommt bei Frauen 10–20× häufiger vor als bei Männern [12]. In Jod-suffizienten Gebieten ist sie die häufigste Ursache für eine Hypothyreose [13]. Klinisch präsentiert sich die Hashimoto-Thyreoiditis meist als feste, knotige Struma, bei ca. 10% der Patienten ist die Schilddrüse aber atroph [14]. Bei Diagnosestellung besteht meist eine Euthyreose oder eine subklinische Hypothyreose, selten kann eine manifeste Hypothyre-ose bestehen. Eine initiale hyperthyreote Phase kann zwar vorkommen, verläuft aber meist asymptoma-tisch. Bei 3–5% pro Jahr entwickelt sich im Verlauf eine manifeste Hypothyreose [15, 16]. Diese Progression zur Hypothyreose muss nicht irreversibel sein, norma-lisiert sich doch die Stoffwechsellage in bis zu einem Viertel der Patienten nach Jahren wieder [17]. Bei man-chen Patienten kann es zu alternierenden hypo- und hyperthyreoten Phasen kommen (sog. Hashi toxikose), wahrscheinlich aufgrund eines wechselnden Vorkom-mens von Schilddrüsen-stimulierenden (Thyreotropin-Rezeptor-Autoantikörper, TRAK) und -blockierenden Antikörpern [18]. Eine Therapieindikation mit Substitution von L-Thyro-xin besteht bei einer manifesten Hypothyreose, einem Schwangerschaftswunsch (wenn TSH auch nur leicht erhöht ist), einer subklinischen Hypothyreose mit Sym-ptomen oder einem TSH >10 mU/l [19]. Ebenfalls kann eine Therapie bei grosser Struma erwogen werden, da diese unter Substitutionstherapie insbesondere bei jungen Patienten deutlich schrumpfen kann. Wenn

Abbildung 1: Laborchemischer Verlauf und Radioiod-Uptake bei schmerzloser

Thyreoiditis, postpartaler Thyreoiditis und Thyreoiditis De Quervain: initiale Hyper-

thyreose gefolgt von Hypothyreose vor Normalisierung der Schilddrüsenfunktion.

Adaptiert nach Pearce, et al. NEJM. 2003;348:2646–55.

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(6):130–136

ÜBERSICHTSARTIKEL 133

eine Substitutionstherapie initiiert wurde, sollte diese auf ein TSH-Ziel im unteren Normbereich angepasst werden.Die Hashimoto-Thyreoiditis kommt im Rahmen poly-endokriner Autoimmunsyndrome gehäuft mit anderen Autoimmunkrankheiten vor [20], so z.B. mit einer Viti-ligo, einem Diabetes mellitus Typ 1, Morbus Addison, oder seltener einem primären Hypoparathyreoidis-mus und primären Hypogonadismus. Ebenfalls gibt es eine Assoziation mit primärem und sekundärem Sjö-gren-Syndrom [21].

Schmerzlose Thyreoiditis mit primär einer Hyperthyreose Die schmerzlose Thyreoiditis (stumme Thyreoiditis, silent thyroiditis) entsteht bei einer lymphozytären In-filtration der Schilddrüse, wahrscheinlich entspricht sie einer subakuten Präsentationsform der Hashi-moto-Thyreoiditis. Oft können positive TPO-AK nach-gewiesen werden, meist jedoch mit niedrigeren Titern als bei der Hashimoto-Thyreoiditis [22]. Die schmerz-lose Thyreoiditis ist ursächlich für ca. 1–5% aller Thy-reotoxikosen [23]. Die Symptomatik ist meist mild. Bei etwa der Hälfte der Patienten kann eine feste, nicht-schmerzhafte Struma palpiert werden [22]. Pathophysiologisch kommt es primär zu einer autoim-munen Destruktion der Schilddrüsenfollikel mit Aus-schwemmen der Schilddrüsenhormone und somit einer hyperthyreoten Hormonkonstellation im Labor. Nach der initialen hyperthyreoten Phase und der passage-ren hypothyreoten Phase kann sich die Schilddrüsen-funktion komplett erholen. Bei ca. 20% der Patienten persistiert eine chronische Hypothyreose [24]. Ist die Ätiologie der Hyperthyreose klinisch und laborche-misch nicht sicher zu stellen, kann die Dia gnose ein er schmerzlosen Thyreoiditis mit einem tiefen Uptake in der 123-I-Szintigraphie bestätigt und eine un nö ti ge thyreostatische Therapie vermieden werden [23].

Postpartum-ThyreoiditisDie postpartale Thyreoiditis bezeichnet eine lympho-zytäre Infiltration der Schilddrüse in den ersten Mona-ten nach Geburt. Die Pathophysiologie ist die gleiche wie bei der stummen Thyreoiditis. Sie betrifft 3–10% der Gebärenden [25, 26]. Es wird diskutiert, dass diese Thyreoiditisform eine Exazerbation der autoimmunen Hashimoto-Thyreoiditis darstellt [27]. Passend dazu kommt sie häufiger bei Frauen mit erhöhten TPO-AK und bei Frauen mit Autoimmunkrankheiten oder einer familiären Belastung für Autoimmunkrankheiten vor [28]. Der oben beschriebene typische dreiphasische Verlauf kommt bei ca. einem Drittel der Frauen vor, während bei vielen Frauen ausschliesslich eine tran-

siente Hyperthyreose oder Hypothyreose vorliegt. Die ein bis zwei Monate dauernde hyperthyreote Phase be-ginnt typischerweise ein bis sechs Monate nach der Geburt. Eine vier- bis sechsmonatige hypothyreote Phase kann postpartal folgen. Gelegentlich wird die postpartale Thyreoiditis bei Abklärung von hypothy-reoten Symptomen auch erst vier bis acht Monate nach der Geburt diagnostiziert. Die Schilddrüsendysfunk-tion ist meist passager, und 80% der Frauen haben nach einem Jahr eine normale Schilddrüsenfunktion [29]. Dennoch entwickeln ca. 50% der Frauen nach mehreren Jahren eine chronische Hypothyreose [30], so dass bei dieser Population jährliche Kontrollen der Schilddrüsenfunktion sinnvoll scheinen. Die chroni-sche Hypothyreose tritt häufiger bei Mehrgebärenden oder bei Frauen mit einem Spontanabort in der Ana-mnese auf. Das Rezidivrisiko ist mit 70% hoch. Prophy-laktisch wurde in einer Studie eine Selenium-Substitu-tion ab der 12. Schwangerschaftswoche (SSW) untersucht und ergab in der behandelten Gruppe deutlich weniger

postpartale Thyreoiditiden [31]. Eine Bestätigungsstu-die, um diese Prophylaxe generell zu empfehlen, steht allerdings noch aus.Die postpartale Thyreoiditis verläuft meist mild, und in der Regel ist weder eine Therapie der Hyperthyreose noch der Hypothyreose notwendig. Ist eine Patientin jedoch stark durch hyperthyreote Symptome gestört, kann eine symptomatische Therapie mit Propranolol (Inderal®) verabreicht werden (cave: Off-Label-Use bei stillenden Frauen) [32]. Falls es zu einer prolongierten oder schweren hypothyreoten Phase kommt, kann eine Substitutionstherapie mit L-Thyroxin für sechs bis neun Monate erwogen werden. Gelegentlich kann die Unterscheidung einer postpar-talen Thyreoiditis in der hyperthyreoten Phase und eines Morbus Basedow klinisch schwierig sein. Bei posi tiven TRAK kann die Diagnose eines M. Basedow gestellt werden. Bei negativen TRAK hilft die Dynamik der Schilddrüsenüberfunktion, da sich bei einer Post-partum-Thyreoiditis oft bereits nach vier Wochen eine Erholung der Hyperthyreose nachweisen lässt, während der M. Basedow meist unverändert aktiv ist. Sollten dia-gnostisch Unsicherheiten bestehen, kann bei inflam-matorisch-destruktivem Prozess eine Schilddrüsen- Sonographie [33] mit Nachweis einer verminderten Durchblutung oder eine Schilddrüsen-Szintigraphie mit vermindertem 123-I-Uptake die Diagnose der post-partalen Thyreoiditis bestätigen. Allerdings muss bei

Die Schilddrüsendysfunktion ist meist passager, und 80% der Frauen haben nach einem Jahr eine normale Schilddrüsenfunktion.

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stillenden Müttern während und mindestens zwei Tage nach der Szintigraphie die Muttermilch abgepumpt und verworfen werden, da das Jod in die Muttermilch über-gehen kann.

Sonderformen der Thyreoiditis

Medikamentös induzierte Thyreoiditis

Interferon-alphaSchilddrüsendysfunktionen sind bei Patienten mit chronischer Hepatitis C häufig. Viele Patienten ent-wickeln unter Interferon-alpha(IF-α)-Therapie Schild-drü sen-Autoantikörper ohne relevante Schilddrüsen-dysfunktion [34]. 5–10% der Patienten entwickeln aber eine Schilddrüsenerkrankung (Hashimoto-Thyreoiditis, stumme Thyreoiditis oder M. Basedow) [35]. In diesem Fall sollte für die Dauer der IF-α-Therapie eine entspre-chende Therapie eingeleitet werden. Die Schilddrüsener-krankung tritt meist mehr als drei Monate nach Beginn der IF-α-Therapie auf und kann bis zum Therapiestopp mit IF-α persistieren. Danach normalisiert sich die Schilddrüsenfunktion meist wieder, die Patienten ha-ben aber ein erhöhtes Risiko für autoimmune Schild-drüsenerkrankungen. Daher empfehlen wir sowohl vor

Beginn als auch unter Therapie mit IF-α sechsmonat-liche Kontrollen der Schilddrüsenfunktion. Bei Nach-weis positiver Antikörper empfehlen wir auch nach Therapiestopp mit IF-α jährliche Kontrollen der Schild-drüsenfunktion.

Interleukin-2Interleukin-2 (IL-2) kann eine Schilddrüsen-Autoim-munität induzieren oder exazerbieren, was zu subkli-nischer oder manifester Hypothyreose (und seltener Hyperthyreosen) führen kann [36, 37]. In ca. 2% der Pa-tienten kann es zu einer schmerzlosen Thyreoiditis kommen [38]. Wir empfehlen daher vor Beginn und während Therapie mit IL-2 sechsmonatliche Kontrollen der Schilddrüsenfunktion.

AmiodaronAmiodaron hemmt die 5’-Deiodinase Typ 1, die für die Bildung von aktivem T3 aus T4 zuständig ist. Dies führt zu einem leichten Abfall des T3. Das TSH bleibt dabei in der Regel im Normbereich. Neben der Enzymhemmung kann Amiodaron via einen zytotoxischen Effekt eine destruktive Hyperthyreose induzieren (Typ-2-Amio-daron-induzierte Hyperthyreose, AIH). Zudem führt die

Therapie mit Amiodaron zu einem täglichen ca. 50- bis 100-fachen Jod-Exzess [39]. Die Halbwertszeit des Amio-darons ist mit ca. 40–60 Tagen sehr lange. Diese Jod-Belastung kann bei vorbestehendem Adenom eine Hyper thyreose induzieren (Typ-1-AIH). Therapeutisch kann bei der Hypothyreose eine L-Thy-roxin-Substitutionstherapie initiiert werden. Bei der destruktiven Typ-2-AIH wird neben der symptomati-schen Therapie mit Propranolol eine Steroidtherapie empfohlen, bei der Typ-1-AIH eine thyreostatische The-rapie. Häufig sind Mischformen aus Typ-1- und Typ-2- AIH, die eine kombinierte antiinflammatorische und thyreostatische Therapie notwendig machen. Die The-rapie mit Amiodaron sollte bei der Hyperthyreose sis-tiert werden, falls dies aus kardialer Sicht möglich ist. Aufgrund der langen Halbwertszeit kann die Amioda-ron-assoziierte Toxizität auch nach Stopp von Amio-daron noch auftreten [40].

LithiumLithium kann in 40–50% der Patienten eine Struma auslösen [41–44], da Lithium die Schilddrüsenhormon-sekretion hemmt und durch den kompensatorischen TSH-Anstieg das Schilddrüsenwachstum anregen kann. Mit bis zu 50% kommen meist subklinische, gelegent-lich aber auch manifeste Hypothyreosen gehäuft vor [43], oft bei Patienten mit positiven Schilddrüsen-Auto-antikörpern [45] und chronischer autoimmuner Thy-reoiditis. Die Daten, ob Lithium selbst eine Schilddrü-sen-Autoimmunität auslösen kann, sind kontrovers. Hyperthyreosen durch M. Basedow, Autonomie oder schmerzlose Thyreoiditiden kommen unter Lithium-therapie ebenfalls gehäuft vor [46, 47]. Die erwähnten Veränderungen treten meist in den ersten zwei Jahren der Behandlung auf, weshalb Kontrollen der Schild-drüsenfunktion vor und alle sechs Monate während der Behandlung empfehlenswert sind.

Tyrosinkinase-InhibitorenTyrosinkinase-Inhibitoren lösen sehr häufig eine Hy-pothyreose aus, dies durch die Entwicklung einer destruk tiven Thyreoiditis [48, 49] oder durch eine vas-kuläre Schädigung der Schilddrüse; aber auch ein ver-minderter Jod-Uptake wurde beschrieben [50].

Post-Radiatio-ThyreoiditisFünf bis zehn Tage nach Radiojod-Therapie eines M. Basedow oder einer Autonomie kann es zu einer Radia-tio-induzierten Inflammation und Nekrose der Schild-drüsenzellen kommen. Die Schmerzen sind meist mild und nach wenigen Tagen selbstlimitierend. Transient kann es in dieser Zeit zu einer Hyperthyreose-Exazer-bation kommen.

Viele Patienten ent wickeln unter IF-α-Therapie Schild drü sen-Autoantikörper.

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Fibröse Thyreoiditis (Riedel-Thyreoiditis)Infiltrative Schilddrüsenerkrankungen, wie die Riedel-Thyreoiditis, sind selten und kommen nur in 0,05% der Patienten mit Schilddrüsenchirurgie vor [13]. Diese progressive Fibrosierung der Schilddrüse stellt oft eine lokale Manifestation eines systemischen fibrotischen Prozesses dar und betrifft auch die angrenzenden Ge-webe [51, 52]. Sie präsentiert sich meist als schmerzlose, fixierte, harte und langsam progrediente Vergrösse-rung der Schilddrüse. Heiserkeit sowie Symptome einer Trachea- oder Ösophaguskompression können vor-

kommen. Die Schilddrüsenfunktion ist meist normal, bei progredienter Erkrankung kommt es aber auch zu einer Hypothyreose. Ebenfalls kann es durch Fibrosie-rung der Parathyreoidea zu einem Hypoparathyreoi-dismus kommen. Die Diagnose wird bioptisch gestellt. Die Therapie der Wahl ist die chirurgische Sanierung, in Frühstadien kann ein Therapieversuch mit Steroi-den, Methotrexat oder Tamoxifen versucht werden. Die betroffenen Patienten sollten bezüglich Manifesta-tionen einer systemischen Fibrosierung (Mediastinum, Retroperitoneum) untersucht werden.

Palpations- oder post-traumatische ThyreoiditisIn der Literatur wird diese seltene Form der Thyreoidi-tis nach extensiver Palpation der Schilddrüse oder chirur gischer Manipulation, z.B. nach Parathyreoidea-Operation oder Schilddrüsen-Feinnadelpunktion (FNP), aber auch nach einem Trauma der Schilddrüse beschrieben. Sie manifestiert sich mit transienten Hals-schmerzen und Hyperthyreose [53–56]. Eine Therapie ist meist nicht notwendig.

Bedeutung von Schilddrüsen- Antikörpern

Die drei typischen Schilddrüsen-AK (SD-AK), die bei ver-schiedenen Schilddrüsenerkrankungen bestimmt wer-den, sind die TPO-AK, TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) und Thyreoglobulin-AK (TG-AK).

Bei HyperthyreoseBei einer hyperthyreoten Stoffwechsellage mit suppri-miertem TSH und erhöhten fT4 und/oder T3 können positive SD-AK, insbesondere TRAK oder TPO-AK, hin-weisend für eine immunogene Ursache der Hyperthy-reose sein, also für einen M. Basedow. Zudem hat die Höhe der TRAK eine gewisse prognostische Bedeutung, wenn es um die Frage geht, wie gross die Chance ist,

dass es nach einem Behandlungszyklus mit Thionami-den zu einem Rezidiv der M. Basedow kommt.

Bei Hypo- oder EuthyreoseBei Vorliegen einer subklinischen oder manifesten Hy-pothyreose werden mit der Absicht einer ätiologischen Zuordnung immer wieder die Schilddrüsen-Autoanti-körper (SD-AK) gemessen. Die Präsenz dieser Antikörper bei euthyreoten oder hypothyreoten Patienten hat aber keine klinische Relevanz, entscheidend ist alleine die Schilddrüsenfunktion. Im Folgenden werden wir dies eingehender erläutern.Bei Erwachsenen ist die Ursache einer primären Hypo-thyreose in Jod-suffizienten Gebieten (wie der Schweiz) praktisch immer eine Autoimmundestruktion des Organs (mit Ausnahme von Patienten nach einer Schilddrüsenoperation, lokaler Bestrahlung oder nach erfolgter Radiojodtherapie aufgrund einer Hyperthy-reose). Das diagnostische und therapeutische Vorge-hen wird bei der Hypothyreose primär von der Klinik bestimmt (d.h. von den Symptomen der Hypothyreose oder Auffälligkeiten bei der Palpation der Schilddrüse). Zwar wurde gezeigt, dass Patienten mit erhöhtem TSH (>6 mU/l) und positiven TPO-AK eher eine manifeste Hypothyreose entwickeln als diejenigen ohne TPO-AK [15, 57], doch sind die diesbezüglichen Unterschiede erst nach mehr als einem Jahr evident geworden. Da bei Diagnosestellung die Dynamik des Schilddrüsen-hormonverlaufs ohnehin nicht ersichtlich ist, wird sowieso eine Kontrolle des TSH nach ca. drei und sechs Monaten und anschliessend in ca. jährlichen Abständen sinnvoll. Die Indikation für eine Substitutionstherapie ergibt sich dann also unabhängig vom Antikörper-status aus dem Verlauf der Schilddrüsenhormonwerte und der klinischen Situation des Patienten unter Be-rücksichtigung der Hypothyreose-Symptomatik, des Vorliegens einer Struma, der Komorbiditäten oder eines Schwangerschaftswunsches. Somit besteht bei Diagno- se einer subklinischen oder manifesten Hypothyreose keine Notwendigkeit, die SD-AK zu bestimmen.SD-AK werden gelegentlich auch im Rahmen eines pri-mären Screenings bei Verdacht auf eine Hypothyreose bestimmt. Aus klinischer Erfahrung wissen wir aber, dass bei einigen Patienten die Bestimmung von SD-AK und die damit verbundene Diagnose einer Hashimoto-Thyreoiditis negative Konsequenzen im Erleben der Krankheit haben kann, dies mit der Folge, dass eine spezifische Therapie gesucht und gefordert wird, obwohl keine relevante Dysthyreose vorliegt. Nicht selten üben diese Patienten einen Druck auf den behandeln-den Arzt aus, um dennoch eine Therapie mit Thyroxin (gelegentlich auch ein «natürliches» Schweine-Schild-drüsen-Extrakt) zu erhalten, mit der Konsequenz einer

Es können Heiserkeit sowie Symptome einer Trachea- oder Ösophaguskompression vorkommen.

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iatrogenen Hyperthyreose. Eine sehr gute kontrollierte Studie hat jedoch gezeigt, dass bei Patienten, die bei völlig normalen TSH- und fT4-Werten Symptome einer Hypothyreose präsentieren, die Therapie mit Thyroxin zu keiner Verbesserung der Klinik führt [58].Gelegentlich werden wegen positiver SD-AK unabhängig von der Schilddrüsenfunktion weitere – bei fehlenden therapeutischen Konsequenzen unnötige – Untersu-chungen veranlasst, meist eine Schilddrüsen-Sonogra-phie und/oder -Szintigraphie. Diese wiederum können sehr relevante Konsequenzen nach sich ziehen. Hier denken wir in erster Linie an die Frage nach dem Ma-nagement eines dabei zufällig entdeckten Schilddrüsen-knotens, der durch die blosse Entdeckung Ängste bei Patienten auslösen kann. Die Bestimmung von Thyreoglobulin-AK (TG-AK ) ist bei Patienten wichtig, die wegen eines komplett operierten

differenzierten Schilddrüsenkarzinoms (evtl. zusätz-lich mit Radiojodtherapie) nachbetreut werden. Hier wird im Follow-up das Thyreoglobulin als wichtiger Tumormarker gemessen, das in Schilddrüsenzellen (und vom Schilddrüsenkarzinom) produziert wird. Die Messung des Thyreoglobulins kann von interferieren-den TG-AK verfälscht werden, weshalb diese gleichzeitig kontrolliert werden müssen. Ausserhalb dieser klaren Indikation, die TG-AK zu messen, gibt es kaum einen Grund, diesen Test zu veranlassen.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

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LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei den schmerzhaften Thyreoiditiden ist die

Unterscheidung zwischen der viel häufigeren

Thyreoiditis De Quervain und der sehr seltenen,

aber gefährlicheren bakteriellen Thyreoiditis sehr

wichtig, da sie unterschiedlich behandelt werden

müssen.

• Die asymptomatische Autoimmun-Thyreoiditis

hingegen ist bei gesunden Frauen und Männern

sehr häufig. Diese lymphozytäre Thyreoiditis ist

der Oberbegriff für die meisten autoimmun be-

dingten Thyreoiditiden wie Hashimoto, silent thy-

roiditis oder Postpartum-Thyreoiditis.

• Entscheidend für Diagnostik und Therapie sind

die Anamnese sowie die Funktion der Schilddrüse

und deren morphologische Veränderungen, wie

Struma oder Knoten.

• Die Bestimmung von Schilddrüsen-Antikörpern

in der diagnostischen Routine ist in der Regel

nicht sinnvoll, da das Prozedere primär diktiert

wird von der Schilddrüsenfunktion und der Klinik.

Der Nachweis von Anitkörpern bei euthyreoten

Patienten kann zur Verwirrung von Arzt und Pati-

ent führen und unnötige Folgeuntersuchungen

nach sich ziehen. Bei einer Hyperthyreose hin-

gegen können Antikörper helfen, die Ätiologie

der Hyperthyreose (Autonomie vs. Morbus Base-

dow) zu bestimmen, mit entsprechenden thera-

peutischen Konsequenzen.

Korrespondenz: Prof. Dr. med. Henryk Zulewski Leiter Abteilung Endokrino-logie und Diabetologie Stadtspital Triemli CH-8063 Zürich Department of Biosystems Science and Engineering (D-BSSE) ETH Zürich Mattenstrasse 26 CH-4058 Basel henryk.zulewski[at]unibas.ch Dr. med. Anna Elisabeth Minder Leitender Ärztin Abteilung Endokrinologie Kantonsspital Baselland CH-4410 Liestal anna.minder[at]ksbl.ch

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ÜBERSICHTSARTIKEL 137

Eine umstrittene Anwendung

Zwangsmassnahmen in derPsychiatrie: klinische PerspektiveGeorges Kleina, Damian Königb

Spital Wallisa Abteilung für klinische Psychiatrie und Psychotherapie des Erwachsenenalters; b Leiter Rechtsdienst und Ethik

Die Anwendung von Zwangsmassnahmen ist zwar nicht spezifisch für die Psych­iatrie, gleichwohl ist deren Einsatz in diesem Fachgebiet von jeher umstritten. Die Verordnung von Zwangsmassnahmen ist stets heikel und steht in engem Zusam­menhang mit der Einschätzung des Arztes, ob der Patient in der Lage ist, in eine be­stimmte Behandlung einzuwilligen oder nicht. Das Bild, das sich der Arzt von derpsychischen Erkrankung und dem Patienten macht, wirkt sich auf seine Entscheidun­gen aus. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass grosse Unterschiede bestehenund dass neben den Gesetzen, Richtlinien und ethischen Empfehlungen haupt­sächlich die Gepflogenheiten der Institutionen die Anwendung beeinflussen.

Einleitung

Das Thema Zwang haftet an der Psychiatrie und gibtimmer wieder Anlass zu widersprüchlichen und zwie­spältigen Vorstellungen von diesem Fachgebiet. Aller­dings ist die Verordnung von Zwangsmassnahmenkeineswegs ein normaler Bestandteil psychiatrischenHandelns und nicht Psychiatrie­spezifisch, wie auch in den medizinisch­ethischen Richtlinien der Schweizeri-schen Akademie der Medizinischen Wissenschaften(SAMW)1 festgehalten wird. Zwangsmassnahmen sind vom klinischen Standpunkt aus Massnahmen, die ge­gen den Willen des Patienten durchgeführt werden.2

Dazu zählen etwa die fürsorgerische Unterbringung,Fixierung, Isolation, das Einschliessen oder die Zwangs­medikation. Weitere Formen sind insbesondere diepsychologische Druckausübung, Einschränkungen derPrivatsphäre oder der Kommunikationsfreiheit.

Voraussetzungen für die Einschränkung der Grundrechte

Unabhängig davon, ob es sich um die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, eine Zwangsmedikation oderandere, die persönliche Freiheit einschränkende Mass­nahmen handelt, sind die verschiedenen Arten vonZwangsmassnahmen in jedem Fall ein schwerer Ein­griff in die von der Bundesverfassung,3 der EuropäischenMenschenrechtskonvention4 und vom Übereinkommen

über Menschenrechte und Biomedizin5 gewährleisteten Grundrechte. Aus diesem Grund sind Zwangsmass­nahmen, von Ausnahmen abgesehen, durch unsere Rechtsordnung untersagt.6

In der Bundesverfassung7 sind die Voraussetzungen für die Einschränkung eines Grundrechts verankert, sei es im Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage und eines

1 Paul Hoff, Zwangsmass­nahmen in der Medizin, SÄZ 2015, 96(22),pp. 773ss.

2 Zwangsmassnahmen,die aufgrund strafgesetz­licher Bestimmungen oder des Epidemien­gesetzes ausgeübt werden und der Sicherheit unddem Schutz der Bevölke­rung dienen, betreffen die klinische Praxis des psychiatrischen Spitals üblicherweise nicht undwerden in diesem Artikelnicht behandelt.

3 Art. 10 und 31 derBundesverfassung vom 18. April 1999.

4 Art. 5 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechteund Grundfreiheiten vom 4. November 1950.

5 Art. 5 bis 9 des Überein­kommens von 1997 zumSchutz der Menschen­rechte und der Men­schenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin. In der Schweiz seit Novem­ber 2008 in Kraft.

6 In Art. 26 des Gesund­heitsgesetzes desKantons Wallis vom 14. Februar 2008 wird unmissverständlichfestgehalten: «Grund­sätzlich ist jede Zwangs­massnahme gegenüberden Patienten verboten», RS/VS 800.1.

7 Art. 36 der Bundes­verfassung vom 18. April 1999.

Georges Klein

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ÜBERSICHTSARTIKEL 138

wesentlichen öffentlichen Interesses oder die Achtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit und im Ver­bot, den Kerngehalt der Grundrechte anzutasten.In der Schweiz ist sowohl in Bundes­ als auch in Kan­tonsgesetzen die Möglichkeit derartiger Einschränkun­gen vorgesehen. Ungeachtet der Unterschiede, die dies­bezüglich in den kantonalen Gesundheitsgesetzenbestehen,8 und der bisweilen widersprüchlichen bun­desgesetzlichen Bestimmungen auf dem Gebiet des Erwachsenenschutzrechts9 können sechs kumulativeVoraussetzungen aufgezählt werden, die eine Zwangs­massnahme ausnahmsweise rechtfertigen. Sind diese Bedingungen erfüllt, müssen für die korrekte Durch­führung der Massnahme darüber hinaus noch sieben weitere Verfahrensanforderungen beachtet werden10

(Tab. 1).Zwangsmassnahmen sind in der Psychiatrie nicht nurumstritten, weil sie im Prinzip untersagt sind, sondern vor allem weil die Ärzte sie nur widerwillig anwenden,da das Risiko, das Vertrauen des Patienten zu verlierenund somit den Therapieerfolg zu gefährden, hoch ist.

Entwicklung der Praktiken

In den Anfängen der modernen Psychiatrie, angetrie­ben von den Idealen der Revolution und der Erklärungder Menschen- und Bürgerrechte im Jahr 1789, empfiehlt Philippe Pinel im Hôpital de la Salpêtrière in Paris, aufKetten zu verzichten. Er verzichtet jedoch nicht aufZwangsmassnahmen, wie er im Vorwort der zweiten Ausgabe seiner philosophisch­medizinischen Abhand­lung von 1803 anmerkt. Pinel greift auf Zwangsjackenzurück, nach denen die Patienten «letztlich selbst ver­langen», und hegt fortan «keine Zweifel am Nutzen ei­ner vernünftigeren und massvolleren Repression» [1].Ein aktuelles Beispiel für den Ersatz einer Zwangsmass­nahme durch eine andere stammt aus Deutschland,wo infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts vom März 2011, wonach die Zwangsmedikationnicht zulässig ist, die Isolations­ und Fixierungsmass­nahmen zunahmen. Aufgrund dieser Feststellung und der Tatsache, dass die Patienten nicht behandelt wer­den konnten, verabschiedete der Bundestag im Ja­nuar 2013 strenge Auflagen für die Verabreichung einer Zwangsmedikation im Falle einer Selbstgefährdung, nicht aber einer Fremdgefährdung [2, 3].Laut zwei Cochrane­Reviews über die Isolation und Fixierung von Patienten mit schweren psychischenStörungen besteht keinerlei Nachweis für den thera­peutischen Nutzen dieser Zwangsmassnahmen in derPsychiatrie [4]. Einige Autoren weisen überdies darauf hin, dass die Fixierung und Isolation keine therapeuti­schen, sondern Sicherheitsmassnahmen sind, die dann

eingesetzt werden, wenn keine Behandlungsperspektivemöglich scheint, und empfehlen deren Abschaffung[5].Die Autoren der Normen des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) erkennen indes an, dass die Anwendung von Zwangsmassnahmen in der psych­iatrischen Klinik in manchen Fällen unvermeidlich ist. Sie geben zahlreiche Empfehlungen und begrüssen die Tatsache, dass «in der modernen psychiatrischen Pra­xis die Tendenz festzustellen ist, nicht mehr auf Isola­tionsmassnahmen zurückzugreifen» [6].Auch in der Schweiz existieren zahlreiche Kombinatio­nen von Zwangsmassnahmen. Manche Spitäler führengeschlossene Abteilungen und setzen weitere Formen von Zwangsmassnahmen ein (Fixierung, Isolation und Zwangsmedikation), andere Einrichtungen verfügen nur über offene Abteilungen und greifen auf Zwangs­medikation zurück.An dieser Stelle ist wohl der Hinweis angebracht, dass das neue Erwachsenenschutzgesetz den Arzt, der einefürsorgerische Unterbringung (FU) durchführt, nichtautomatisch dazu ermächtigt, eine Behandlung ohneEinwilligung anzuordnen, und dass es keineswegs vor­schreibt, dass die Unterbringung in einer geschlosse­nen Einrichtung erfolgt [7].

8 Durch das Bundes­Er­wachsenenschutzgesetz sollten die Kantonsge­setze harmonisiert werden, gleichwohl bleiben zurzeit zahlreiche kantonale Bestimmungen in Kraft.

9 Das neue Erwachsenen­schutzgesetz sieht nichtfür jeden Patientendasselbe Schutzniveau vor. Auch in Fragen derVertretung bei medizi­nischen Massnahmen,die Patienten in FU verweigert wird, ist es nicht konsequent. Oli­vier Guillod erklärt in seinem Kapitel «Petitehistoire d’une mesure ambiguë» einige Wider­sprüche der gesetzlichenBestimmungen. In: Com­mentaire du droit de la famille, Protection de l’adulte, Leuba A., Stett­ler M., Büchler A., Häfeli C., Stämpfli Verlag, Bern 2013, S. 668ff.

10 Diese sieben Bedingun­gen sind nicht immervollständig in den kan­tonalen gesetzlichen Bestimmungen ange­führt, kommen dort jedoch häufig vor; in denmedizinisch­ethischen Richtlinien der SAMW werden sie allesamtübernommen.

11 Etwa das Schweizerische Zivilgesetzbuch oder einkantonales Gesund­heitsgesetz.

12 Auch wenn eine FU im Sinne von Art. 426 des Zivilgesetzbuches eine Urteilsunfähigkeittheoretisch nicht vor­aussetzt, ist es unserer Ansicht nach nichtrechtmässig, aufgrund einer psychischen Stö­rung die FU einer urteils­fähigen Person zu ver­ordnen, wenn diese sich dem widersetzt: Ziel der FU einer Person mitpsychischen Störungen ist die Behandlung (Art. 433 des Zivilgesetz­buches), und diese kannnicht ohne die Einwilli­gung des Patienten ver­ordnet werden, ausser im Falle einer Urteilsun­fähigkeit (Art. 434 des Zivilgesetzbuches). Andere Zwangsmass­nahmen, die nicht die FU betreffen und auf der Grundlage eines Kantons­gesetzes ausgeübt wer­den, können unsererAnsicht nach lediglich beiurteilsunfähigen Patien­ten angewandt werden.

Tabelle 1: Voraussetzungen für die Ausübung einer Zwangs-massnahme.

Voraussetzungen für die Ausübungeiner Zwangsmassnahme

Ein offizielles Gesetz gestattet es11

Sie ist für die Behandlung unbedingt nötig

Andere Massnahmen, welche die persönliche Freiheit weniger einschränken, haben sich als unwirksam erwiesen oder existieren nicht

Es besteht eine ernste Gefährdung der Gesundheit oder der Sicherheit des Patienten oder anderer Menschen

Der Patient ist nicht urteilsfähig12

Der Vertreter des Patienten hat, ausser in dringlichenSituationen oder im Falle einer fürsorgerischenUnterbringung, der Massnahme zugestimmt

Voraussetzungen für die Umsetzung einer Zwangsmassnahme

Ausser in dringlichen Situationen: vorhergehendes Gespräch mit dem Patienten und seinem Vertreter

Abstimmung mit dem Pflegeteam

Verordnung durch einen Arzt

Zeitliche Begrenzung und frühestmögliche Beendigung der Massnahme

Dokumentierung der Entscheidung, Entwicklung und Beendigung der Massnahme

Verstärkte klinische Kontrolle

Berufungsmöglichkeit gegen die Massnahme

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ÜBERSICHTSARTIKEL 139

Weltweite Vielfalt – unterschiedlicheEmpfindungen und Präferenzen

Je nach Land werden Zwangsmassnahmen auf sehr un­terschiedliche Art und Weise eingesetzt: In Dänemark sind Isolationsmassnahmen verboten, in den Nieder­landen ist die Zwangsmedikation untersagt. In Gross­britannien sind Fixierungsmassnahmen unzulässig, Isolation wird nur in seltenen Fällen angewandt, wäh­rend in dringlichen Situationen die Zwangsmedika­tion bevorzugt wird. In Deutschland dagegen waren derartige Zwangsbehandlungen zwei Jahre lang (2011–2013) verboten. In Österreich war einige Jahre lang dasNetzbett das einzige zulässige Zwangsmittel [8].Der internationale Vergleich zeigt, dass zwischen derArt der rechtlichen Regelung und der Zahl der Fälle von FU keine Korrelation besteht. Länder mit unterschied­lichen rechtlichen Regelungen (die den Begriff der Ge­fährdung umfassen, die richterliche Anordnung einer FU voraussetzen, ausschliesslich auf die Behandlung ausgerichtet sind oder eine behördliche Kontrolle vor­sehen können oder auch nicht) können ähnliche Zah­len aufweisen. Umgekehrt können in Ländern mit ver­gleichbaren Regeln stark abweichende Raten von FUfestgestellt werden [9].In der Schweiz ist der Anteil der FU an der Gesamtzahlder Hospitalisierungen weiterhin der höchste in Europa,trotz einer Abnahme von 30 auf 24% zwischen 2002und 2009 [10]. Über die Zahl der insgesamt verordne­ten Zwangsmassnahmen liegen allerdings keine Daten vor. Darüber hinaus ist der Zeitraum seit dem Inkraft­treten des neuen Kinder­ und Erwachsenenschutz­gesetzes im Januar 2013 noch zu kurz, um dessen Wir­kung zu bewerten.Die Studien, in denen die Wahrnehmung und die Prä­ferenzen der Patienten im Hinblick auf die verschiede­nen Zwangsmassnahmen untersucht wurden, zeigen,dass die Wahrnehmung sehr subjektiv und wider­sprüchlich ist (Empfindung eines Zwanges, obwohl ob­jektiv keiner besteht, und umgekehrt). Unter den ver­schiedenen Arten von Zwangsmassnahmen ist die intramuskuläre Verabreichung eines Arzneimittels ge­gen den Willen des Patienten wohl die umstrittenste,da sie mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrt­heit sowie mit einer Einschränkung der Bewegungs­freiheit zum Zeitpunkt der Injektion einhergeht. Meh­rere Autoren weisen allerdings darauf hin, dass die physischen Zwangsmassnahmen (Isolation, Fixierung)negativer empfunden werden (Gefühl der Erniedri­gung und Belastung) als die Zwangsmedikation [11]. Mehrere Studien schlussfolgern, dass die «Gewohnhei­ten des Hauses» hinsichtlich dieser oder jener Zwangs­massnahme die Wahl der Zwangsmassnahme, die

Wahrnehmung der Patienten und die Tendenz der Ärzte, sie zu verordnen, bestimmen [12].

Stigmatisierung und Zwangsmassnahmen

Zwischen der Stigmatisierung der Psychiatriepatien­ten und dem Einsatz von Zwangsmassnahmen besteht nachgewiesenermassen eine Korrelation [13]. Die Zwangsmassnahmen tragen zum schlechten Ansehender Psychiatrie bei, und die damit einhergehende Stig­matisierung der Kranken legitimiert wiederum derenAnwendung. So nährt die starke Medialisierung des Ver­gehens eines Täters mit psychischer Störung die Vor­stellung von psychisch Kranken als potentiell gefähr­lichen Menschen. Daraus folgt deren Stigmatisierung, die häufig den Einsatz von Zwangs­ oder freiheitsein­schränkenden Massnahmen sowie die Judizialisierungder Therapie nach sich zieht oder zumindest fördert.Auch wenn noch nie nachgewiesen werden konnte,dass eine im Anschluss an eine FU behördlich angeord­nete, verpflichtende Behandlung die Zahl der Rückfälleverringern oder die Lebensqualität der Patienten ver­bessern kann, sieht das Zivilgesetzbuch die Anwen­dung derartiger Massnahmen vor [14].Einige Autoren vertreten die Ansicht, dass das Vorhan­densein besonderer gesetzlicher Regelungen für psy­chische Gesundheit (was in der Schweiz nicht der Fallist) die Stigmatisierung erhöht, den Einsatz von Zwangs­massnahmen erleichtert und das Risiko steigert, dass einem psychisch kranken Menschen die Freiheit ent­zogen wird [15].Die Stigmatisierung psychisch Kranker durch Ärzte istnicht zu unterschätzen und kann auf wenig offensicht­liche, ja heimtückische Weise erfolgen. Zum Beispiel: Gewalt als psychiatrische Komplikation einer akutenAlkoholvergiftung betrachten; Aufforderung, dass Polizeibeamte aus Sicherheitsgründen vor dem Betre­ten der psychiatrischen Klinik ihre Waffen abgeben, wenn sie dorthin gerufen werden; Verwechslung von Verwahrungsmassnahmen (strafrechtlich, öffentliche Sicherheit) mit FU (zivilrechtlich, Schutz der Person); systematische Einschätzung psychisch Kranker alsMenschen ohne Urteilsfähigkeit.

Urteilsfähigkeit

Der Begriff «Urteilsfähigkeit» ist von zentraler Bedeu­tung, da eine Zwangsmassnahme prinzipiell nicht an­gewandt werden kann, wenn der Patient urteilsfähig ist. Laut Zivilgesetzbuch ist jede Person urteilsfähig,der es nicht – wegen ihres jungen Alters, infolge geisti­ger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oderähnlicher Zustände – an der Fähigkeit mangelt, ver­

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ÜBERSICHTSARTIKEL 140

nunftgemäss zu handeln.13 In der Praxis obliegt es dem Arzt zu beurteilen, meist in dringlichen Situationenund angesichts von Patienten, die akute psychiatrische Symptome mit Gefährdungspotential aufweisen unddie eine Behandlung verweigern, ob allfällige Zwangs­massnahmen oder gegen den Patientenwillen verab­reichte sedierende Medikationen sachdienlich sind. Zu diesem Zeitpunkt ist die Frage nach der Urteilsfähig­keit des Patienten zu stellen.Die Urteilsfähigkeit muss stets sachlich bewertet wer­den, das heisst zu einem bestimmten Zeitpunkt undhinsichtlich einer bestimmten Angelegenheit. Sie ist stets in vollem Umfang gegeben oder nicht vorhanden,keinesfalls abgestuft. Laut Zivilgesetzbuch ist grund­sätzlich von ihrem Vorhandensein auszugehen, wes­halb im Zweifel eine Person als urteilsfähig einzu­schätzen ist.Im therapeutischen Zusammenhang stellt sich dieFrage nach der Urteilsfähigkeit folgendermassen: Ist derPatient zum aktuellen Zeitpunkt in der Lage, hinsicht­lich der vorgeschlagenen Behandlung eine Entscheidungzu treffen? Hier ist die Frage nach der Entscheidungs­fähigkeit relevant, das heisst nach der Fähigkeit, in eine Behandlung einzuwilligen oder sie abzulehnen(Ist der Patient in der Lage, einen Entschluss zu fassen und von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen?Begreift er dessen Auswirkungen? Erläutert er dessenGründe? Versteht er konkret die angebotenen Informa­tionen? Handelt er im Einklang mit den Werten, die erüblicherweise vertritt?).Die Bewertung der Urteilsfähigkeit betrifft nicht nur die Psychiatrie, und über die Unfähigkeit, in eine Be­handlung einzuwilligen, kann weder allein aufgrunddes Vorliegens einer psychiatrischen Krankheit, sei sie noch so schwerwiegend, geurteilt werden, noch auf­grund der Weigerung des Patienten, sie anzuerkennen.Die Tatsache, dass ein Patient mit psychiatrischer Er­krankung eine Behandlung akzeptiert, bedeutet umge­kehrt nicht, dass er über die Fähigkeit zu urteilen ver­

fügt.14 Ebenso wenig hängt die Urteilsfähigkeit vonallfälligen Erwachsenenschutzmassnahmen oder von der Minderjährigkeit einer Person ab.

Verordnung einer Zwangsmassnahme

Der Spitalspsychiater steht in der Mitte eines Span­nungsfeldes entgegengesetzter und widersprüchlicher Werte, welche die therapeutische Beziehung auf eineharte Probe stellen können, wenn er – meist in dringli­chen Situationen – zu entscheiden hat, ob eine Zwangs­massnahme unvermeidlich ist oder es angebracht ist, im Therapieinteresse darauf zu verzichten. Um die the­rapeutische Beziehung zu bewahren, sollte der Arzt diese Werte im Rahmen der Behandlung thematisie­ren (Abb. 1).Die Ausübung von Zwang wird in den meisten Fällentraumatisierend empfunden, kann für den Patientengefährlich sein (Verletzungen oder gar Todesfälle bei Fixierungen) und das für jede Therapie nötige Ver­trauen schädigen. Die therapeutische Beziehung geht über die Beziehung zwischen Arzt und Patient hinaus und betrifft auch das Vertrauen, das der Patient undseine Angehörigen dem Spital entgegenbringen. Durch den Verzicht auf eine Zwangsmassnahme kann sich der Arzt und die Einrichtung der Kritik aussetzen, den Kranken seinem Leid und den Gefahren seiner Krank­heit zu überlassen, etwa indem man ihn das Spital ver­lassen lässt. Handelt der Arzt, wenn er eine Zwangs­massnahme verordnet, im Interesse, zum Wohle undzum Schutz des Patienten, oder um sich gegen die Vor­würfe der Angehörigen zu wappnen? Oder aber han­delt er im Namen der öffentlichen Sicherheit, wofür er weder Legitimität noch Mandat noch Ausbildung be­sitzt? Dem Arzt obliegt eine Hilfeleistungs­ und Behand­lungspflicht, und er muss gleichzeitig die Grundrechte des Patienten achten. Ebenso muss er berücksichtigen, dass das Ziel und die Rechtfertigung der Freiheit­seinschränkung, die er durch die Verordnung einer Zwangsmassnahme vorübergehend auferlegt, nur seindürfen, um eine Behandlung zu ermöglichen. Um eine Zwangsmassnahme zu vermeiden, muss der Arzt dasVertrauen des Patienten gewinnen, sich um seine Ein­willigung bemühen und an sein Verantwortungsbe­wusstsein, das zur Wiedergenesung unabdingbar ist,appellieren.Wenn dies nicht gelingt, muss er – meist in dringlichenSituationen – die Fähigkeit des Patienten beurteilen, in eine Behandlung einzuwilligen. Ist sie nicht gegeben, kann die Anwendung einer Zwangsmassnahme unver­meidbar sein, nämlich dann, wenn der Arzt der Mei­nung ist, dass sie das einzige Mittel ist, um eine Gefähr­dung des Patienten zu vermeiden.

13 Art. 16 des Schweizeri­schen Zivilgesetzbuchesvom 10. Dezember 1907,RS 210.

14 Siehe auch: Philippe Meier, Suzana Lukic, Introduction au nou­veau droit de la protec­tion de l’adulte, Schulthess, Zürich 2011,205ff. und 721.

Abbildung 1: Relevante Faktoren bei der Verordnung einer Zwangsmassnahme.

Angehörige,Vereinigungen

Schutz der PersonVerwahrlosung

Selbstbestimmung/Verantwortungs-bewusstsein des Patienten

Achtung der persönlichen RechteWiederherstellung der Autonomie

Öffentliche SicherheitÜbermässiger Zwang

Ärztlicher PaternalismusHilfeleistungs- und Behandlungspflicht

Einschränkung der Freiheit

Medien

VielfältigeBerufskulturen

TherapeutischeBeziehung,

Einrichtung/ Gesellschaft

Vielfältigekulturelle Bezüge

Gesetze,Empfehlungen, Normen, Ethik

Politik

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ÜBERSICHTSARTIKEL 141

Abbildung 2: Entscheidungshilfe: Zwangsmassnahmen in der Spitalpsychiatrie.

Ist der Patient urteilsfähig?

Existiert eine diesbezüglichePatientenverfügung?

• Gestattet ein offizielles Gesetz die Zwangsmassnahme?• Ist die Massnahme für die Behandlung unbedingt nötig?• Haben sich andere Massnahmen, welche die persönliche Freiheit weniger einschränken,

als unwirksam erwiesen oder existieren sie nicht?• Besteht eine Gefährdung der Gesundheit des Patienten oder anderer Menschen?• Hat der Vertreter des Patienten, ausser im Falle einer FU, der Massnahme zugestimmt?

Die Entscheidung des Patienten muss respektiert werden

Die Verfügung muss respektiertwerden oder im Falle einer FU zumindest berücksichtigt werden

Die Zwangsmassnahme ist nicht zulässigDie Zwangsmassnahme ist zulässig (die sieben Bedingungen für derenUmsetzung beachten)

Ja

Nein

JaNein hinsichtlich einer einzigendieser Voraussetzungen

Nein oder es bleibt keine Zeit, um festzustellen, ob eine Patientenverfügung existiert (Dringlichkeit)

In der klinischen Praxis und besonders in Situationen, in denen rasch gehandelt werden muss, ist die Komplexi­tät der gesetzlichen Regelungen und medizinisch­ethi­schen Richtlinien nicht immer eine Hilfe für den Arzt, der nicht unbedingt die Möglichkeit hat, diese zu stu­dieren, wenn sich die Frage nach der Verordnung einerZwangsmassnahme stellt. Zur Unterstützung bei die­ser Entscheidung kann dem Arzt der vorgeschlageneEntscheidungsbaum dienen (Abb. 2).

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungenim Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

TitelbildTony Robert­Fleury, 1876. Philippe Pinel délivrant les aliénés à la Salpêtrière en 1795. http://medarus.org/Medecins/MedecinsTextes/pinelp.html, Wikimedia Commons.

LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste sowie eine Auflistung zusätzlicher hilfreicher Referenzen finden Sie als Anhang des Online­ Artikels unter www.medicalforum.ch.

Das Wichtigste für die Praxis

• Eine psychische Störung wird vom Patienten

häufig als Einschränkung der individuellen Freiheit

empfunden. Der Arzt sollte deshalb die Not des

Patienten nicht durch die Verordnung von Zwangs-

massnahmen (FU, Isolation, Einschliessen, Fixie-

rung, Zwangsmedikation) verschlimmern und

sich bewusst sein, dass deren Ausübung ein

schwerer Eingriff in die Grundrechte jedes Men-

schen ist.

• Das Thema betrifft zwar nicht nur die Spital-

psychiatrie, ist in diesem Kontext allerdings von

zentraler Bedeutung, da Zwangsmassnahmen

hier häufig eingesetzt werden, gleichzeitig aber

im Prinzip nicht zulässig sind und das Thema im

direkten Zusammenhang mit der Einschätzung

der Urteilsfähigkeit des Patienten durch den Arzt

steht.

• Auch wenn nur eine geringe Zahl der Patienten

mit schwerer psychischer Störung vorübergehend

nicht in der Lage ist, in eine Behandlung einzuwil-

ligen, sind die Einschätzung der Fähigkeit des Pa-

tienten zur Selbstbestimmung und die Frage nach

der Indikation einer Zwangsmassnahme täglich

zu stellen, da der psychopathologische Zustand

der in der Psychiatrie betreuten Patienten im

Laufe von Akutepisoden sehr variabel ist.

• Die Antworten auf diese Fragen und die daraus

resultierenden Praktiken unterscheiden sich stark

von einer Einrichtung zur anderen, sowohl was

die Einschätzung der Fähigkeit des Patienten be-

trifft, in die Behandlung einzuwilligen, als auch

hinsichtlich der Festlegung, welche Zwangs-

massnahme akzeptabel ist und welche nicht.

• Im Hinblick auf die Frage, welche Massnahme ge-

rechtfertigt, am wenigsten schädlich und der per-

sönlichen Freiheit des Patienten am wenigsten

abträglich ist, variieren die Empfindungen der Pa-

tienten, der Angehörigen sowie der Fachpersonen

deutlich. Neben den gesetzlichen Bestimmungen

und Empfehlungen spielen die in der Einrichtung

praktizierten Gepflogenheiten eine entschei-

dende Rolle bei der Entscheidung, welche Mass-

nahmen gerechtfertigt und akzeptabel sind.

• Zwangsmassnahmen führen stets zu unangeneh-

men Situationen und manchmal zu Schuld- und

Ohnmachtsgefühlen der Ärzte.

• Da jede Zwangsmassnahme die Medizinethik ver-

letzt, muss sich der Arzt dazu überwinden können,

sie im Falle der Unvermeidbarkeit zu verordnen,

und sich daran erinnern, dass jede freiheitsbe-

schränkende Massnahme nur dann medizinisch

legitimiert ist, wenn die oben genannten Voraus-

setzungen erfüllt werden.

Korrespondenz: Dr. med. Georges KleinChefarztService de Psychiatrieet Psychothérapie Hospitalière Adulte Hôpital de MalévozCH­1870 Montheygeorges.klein[at]hopitalvs.ch

Ja

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FALLBERICHTE 142

Myositis mit Rhabdomyolyse und akutem Nierenversagen

Eine folgenschwere GrippeStefanie Lea Mosimanna, Victor Speidelb, Viktor Wienertc, Antje Heiseb

a Medizinische Klinik, Spital STS AG, Thunb Intensivstation, Spital STS AG, Thunc Orthopädische Klinik, Spital STS AG, Thun

Hintergrund

Wir beschreiben den fulminanten, komplikations­reichen Verlauf einer Influenza­B­Infektion am Ende der Grippesaison 2014/15. Der nicht gegen Grippe ge­impfte Patient entwickelte eine dialysepflichtige Nie­reninsuffizienz im Rahmen einer viralen Myositis mit Rhabdomyolyse sowie eine protrahiert verlaufende Sepsis mit verschiedenen Superinfektionen einschliess­lich einer invasiven Aspergillose, an der er letztendlich verstarb. Der präsentierte Fall unterstreicht die poten­zielle Gefährlichkeit einer Influenzainfektion.

Fallbeschreibung

Anamnese Der 56­jährige Patient stellte sich Anfang April 2015 auf unserer Notfallstation mit Husten, Fieber, Rhinitis und leichtem Schwindel vor. Er wurde mit der Diagnose ei­nes grippalen Infektes und mit einer symptomatischen Therapie wieder nach Hause entlassen.Am Folgetag wies er sich wiederum selbst zu wegen progredienter Atemnot, Schwitzen, Unwohlsein und Diarrhoe.Aus der Vorgeschichte des adipösen (BMI 35 kg/m²), bis­her leistungsfähigen Patienten ist eine koronare Herz­krankheit mit einem akuten Vorderwandinfarkt 2006,

einer Koronarangiographie und PTCA des Ramus inter­ventricularis anterior sowie eine chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD) unklaren Stadiums mit fortge­setztem Nikotinkonsum von 40 Pack years bekannt. Er hat eine BIPAP(Biphasic Positive Airway Pressure)­Thera­pie wegen eines schweren obstruktiven Schlafapnoe­syndroms.

StatusAuch bei der zweiten Selbsteinweisung war der Patient in ordentlichem Allgemeinzustand, afebril (36,4 °C), kreislaufstabil und leicht dehydriert. Auskultatorisch fiel ein obs truktives Atemgeräusch mit verlängertem Exspirium auf, die restlichen klinischen Untersuchun­gen waren unauffällig.

BefundeDie Laborbefunde waren ausser einem diskret erhöh­ten CRP (5,8 mg/ml, Norm <5 mg/l) normwertig. Die Nie­renfunktion war mit einer glomerulären Filtrationsrate von 40 ml/min/1,73 m2 mittelschwer eingeschränkt.

VerlaufDer Patient wurde mit unveränderter Diagnose eines grippalen, viralen Infektes zur Rehydratation und anti­viralen Therapie mit Oseltamivir hospitalisiert. In der PCR (polymerase chain reaction) des Nasopharyngeal­abstrichs wurde Influenza B nachgewiesen.In der folgenden Nacht verschlechterte sich der Zustand dramatisch, und der Patient wurde im hypovolämen Schock mit rasch fortschreitender Rhabdomyolyse (CK 46 000 U/l am zweiten Hospitalisationstag, Maximal­wert: 187 000 U/l) auf die Intensivstation verlegt (Abb. 1).Wir haben nach erneuter Kultivierung (Blut, Tra cheo­bronchialsekret) das Oseltamivir mit Piperacillin/Ta­zobactam ergänzt.Nach Intubation, Einlage eines PiCCO®­Katheters zum erweiterten hämodynamischen Monitoring und unter forcierter Volumensubstitution sowie hochdosierten Katecholaminen (Noradrenalin, Dobutamin) blieb der Patient in den folgenden 24 Stunden sehr kreislauf­instabil. Als weitere Komplikation der Rhabdomyolyse mit Crush­Symptomatik trat ein anurisches Nieren­versagen auf. Ein hämodynamisch relevantes Vorhof­flimmern/­flattern erforderte ausser einer medika­Abbildung 1: CK-Verlauf (Referenz: 20–180 U/l).

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FALLBERICHTE 143

mentösen Aufsättigung mit Amiodaron wiederholte Elektrokardioversionen. Zusammenfassend bestand trotz initial oligosympto­matischer Influenza­B­Infektion ein rasch fortschrei­tender distributiver Schock als Folge einer viralen Myo­sitis mit Rhabdomyolyse und akutem Nierenversagen. Zunächst wurde täglich veno­venös hämodialysiert. Nach einem Monat setzte die Diurese wieder ein (Abb. 2).48 Stunden nach Verlegung auf die Intensivstation musste ein schweres Kompartmentsyndrom beider Unterschenkel fasziotomiert werden. Während der ge­samten Hospitalisation waren wiederholte operative Débridements notwendig, die zusammen mit den aus­gedehnten Muskelnekrosen zum Funktionsverlust beider Unterschenkel führten.

Aggraviert durch die anhaltende systemische Minder­perfusion und den langdauernden und hochdosierten Katecholaminbedarf sowie die einwöchige Therapie mit Hydrocortison 200 mg/d traten als weitere Kom­plikationen eine anämisierende obere gastrointesti­nale Blutung und ein tiefer sakraler Dekubitus auf.Nach mehreren Wochen Intensivtherapie und Gabe von insgesamt 27 Erythrozytenkonzentraten über die­sen Zeitraum stabilisierte sich der Zustand trotz einer schweren critical-illness­Polyneuro­ und ­myopathie. Der Patient klarte auf und wurde zunehmend koopera­tiver.Zwei Tage nach Beendigung der Therapie mit Oseltami­vir und Piperacillin/Tazobactam fieberte der Patient wieder auf. Radiologisch zeigte sich eine progrediente Bronchitis/Peribronchitis mit infiltrativen, pneumo­nischen Lungenveränderungen im rechten Ober­ und Unterlappen, die erneut antibiotisch empirisch mit Meropenem behandelt wurde (Abb. 3). Am 39. Hospitalisationstag trat eine Lungenblutung im apikalen und posterobasalen Unterlappensegment auf, die nach bronchoskopischer Applikation von Adrena­lin sistierte. Eine Biopsie aus einer weisslichen, knor­pelartigen Auflagerung im Mittellappen zeigte uni­forme und septierte Pilzhyphen, am ehesten einem Aspergillus entsprechend. Im Tracheobronchialsekret wurde bereits vor Auftreten der Lungenblutung ein­malig Aspergillus fumigatus kultiviert. Trotz des langen und komplikationsreichen Krank­heitsverlaufs konnte der Patient am 45. Hospitalisa­tionstag dekanüliert werden. Er blieb allerdings anhal­tend desorientiert und delirant. Die invasive Mykose war auch nach insgesamt 30 Tagen Therapie mit Vori­conazol nicht beherrscht mit wieder zunehmender re­spiratorischer Insuffizienz. Im Einvernehmen mit den Angehörigen erfolgte zunächst eine inhaltliche Thera­piebegrenzung und im Verlauf die Umstellung auf eine maximale Komforttherapie. Der Patient verstarb nach wenigen Tagen. Eine Autopsie wurde von den Ange­hörigen abgelehnt.

Diskussion

Zu den charakteristischen Symptomen einer Influen­za infektion zählen Fieber, respiratorische Symptome sowie Myalgien. Die Myalgien sind typischerweise eine Reaktion auf Zytokine, insbesondere TNF­α, ohne dass eine direkte virale Infektion der Muskulatur vor­liegen muss. Bei Infektionen mit Herpes simplex­ Virus (HSV), Zytomegalievirus (CMV), Epstein­Barr­Vi­rus (EBV) und auch Influenza wurden ausgeprägte Myositiden beschrieben, die in schweren Fällen zu Rhabdomyolyse führen können [1]. Der genaue Pa­

Abbildung 2: Nierenfunktion, Flüssigkeitsentzug per Hämodialyse in ml/d,

Urinproduktion in ml/d, Verlauf Kreatininwert (Referenz: 45–84 µmol/l).

Abbildung 3: Verlaufsröntgen Thorax ap liegend.

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FALLBERICHTE 144

thomechanismus ist unbekannt, vermutet wird eine direkte Schädigung der Myozyten durch das Eindrin­gen der Viren, die Ausschüttung myotoxischer Subs­tanzen sowie immunologische Phänomene. Eine Myo­sitis bei Influenza infektion ist mit erhöhter Morbidität, insbesondere pulmonalen und renalen Komplikatio­nen, vergesellschaftet. Leichte CK­Erhöhungen lassen sich in bis zu 35% der Influenzafälle nachweisen, Rhab­domyolysen mit CK­Werten über 10 000 U/l erleiden je­doch nur etwa 1% der Patienten [2]. Eine Muskelbeteili­gung ist bei Infektionen mit Influenza B deutlich häufiger als mit Influenza A. Die meisten publizierten Fälle betreffen Kinder im Schulalter [3].Im beschriebenen Fall führte die massive Myositis mit Rhabdomyolyse, aggraviert durch die initiale Volu­men therapie, zu einem ausgeprägten Ödem der Unter­schenkelmuskulatur mit einem Kompartmentsyndrom sowie zu einer Crush­Symptomatik mit Nierenversagen. Es bestand ein langandauernder therapierefraktärer, kombiniert septischer und hypovolämer Schock mit Multiorganversagen. Die sich im weiteren Krankheitsverlauf manifestie­rende und letztendlich letale invasive pulmonale Asper­gillose mit Hämoptoe war Ausdruck der anhaltenden Organdysfunktion und der Immunsuppression durch die kritische Erkrankung. Die einwöchige supportive Behandlung des septischen Schocks mit Hydrocortison am Anfang des Aufenthalts auf der Intensivstation hat wahrscheinlich zusätzlich immunsupprimierend ge­wirkt. Aspergillusarten kommen ubiquitär vor, und deren Spo­ren werden häufig eingeatmet. Ein Gewebsbefall mit einer invasiven Aspergillose ist äusserst selten. Diese

tritt in erster Linie bei schwer immunsupprimierten Patienten, vor allem bei anhaltender Neutropenie oder nach Organtransplantationen auf. Allerdings wurden in den letzten Jahren auch zunehmend Patienten auf Intensivstationen als Risikogruppe beschrieben.Die Lunge ist der häufigste Manifestationsort einer inva siven Aspergillose, die bei vaskulärer Beteiligung pleuritische Schmerzen aufgrund von Lungeninfark­ten sowie Hämoptysen verursachen kann. Bei fehlen­der Infektkontrolle kann es zu einer Beteiligung des Mediastinums sowie einer hämatogenen Dissemina­tion kommen [4]. Risikogruppen sollten gemäss den Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) konsequent gegen Grippe geimpft werden. Das Influen za­B­Virus, das nur für etwa ein Viertel der Influenzainfektionen verant­wortlich ist, weist eine geringere Mutationsrate auf als das Influenza­A­Virus. Die entsprechenden Antigene sind in der saisonalen Grippeimpfung enthalten. Den­noch muss auch nach Immunisierung bei typischen Symptomen an eine Influenzainfektion gedacht wer­den, da gegen Influenza­B­Viren gelegentlich ein unge­nügender Impfschutz besteht [5, 6].

VerdankungenWir danken Frau Dr. med. M. de Roche, Infektiologie Spital Thun, für die kritische Durchsicht des Manuskripts und dem Institut für Radio­logie, Spital Thun, für die Bereitstellung der Röntgenaufnahme.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

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Schlussfolgerungen für die PraxisObwohl der hier vorgestellte Patient letztendlich an einer invasiven pul-

monalen Aspergillose verstarb, war der Auslöser für den komplikations-

reichen Verlauf eine zunächst typisch verlaufende Influenzainfektion.

Diese bleibt eine potentiell lebensbedrohliche Erkrankung, auch für Patien-

ten mit nicht offensichtlichen Risikofaktoren, wie es Pflegeheimbewohner

oder Patienten hohen Alters sind. Im vorliegenden Fall waren es die Adi-

positas, der Nikotinkonsum und die koronare Herzkrankheit [5].

Korrespondenz: Dr. med. Antje Heise Leitende Ärztin Interdisziplinäre Intensiv­station, Spital STS AG Thun CH­3600 Thun antje.heise[at]spitalstsag.ch

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FALLBERICHTE 145

Eine seltene Form einer Kleingefäss-Vaskulopathie

Susac-SyndromLara Chilver-Stainera, Michael Schärera, Markus Schlagera, Renate Engischb, Mathias Sturzeneggera

a Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital Bern b Universitätsklinik für Neuroradiologie, Inselspital Bern

Einführung

Multifokale Symptome von Seiten des Hirns, der Augen und des Gehörs lassen besonders bei jüngeren Patienten an eine Multiple Sklerose (MS) denken. Dennoch muss in solchen Situationen immer eine Differentialdiagnose eröffnet werden, die andere entzündliche Ursachen wie zum Beispiel den systemischen Lupus, infektiöse Ursa-chen wie die Borreliose oder Lues und auch Kleinge-fäss-Vaskulopathien, beispielsweise das CADASIL(cere­bral autosomal dominant arteriopathy with subcortical infarcts and leukoencephalopathy)-Syndrom, Vasku-litiden oder das seltene Susac-Syndrom umfasst. Die Zusatzdiagnostik, besonders die zerebrale MRT, die re-tinale Fluoreszenzangiographie und gegebenenfalls se-rologische Analysen, kann entscheidende Befunde zur definitiven Diagnose liefern.

Fallbeschreibung

Bei einem bislang gesunden 38-jährigen Mann traten rezidivierend passagere Sehstörungen (verzerrte vi su-el le Wahrnehmung und Flackern während 20–30 Mi-nuten), multifokal verteilte Sensibilitäts störungen mit Taubheitsgefühl während jeweils zwei bis drei Mi nuten und im Verlauf Konzentrationsstörungen, leichte Kopfschmerzen und transiente Hörstörungen auf. Bei einer ersten Abklärung in einem Kantonsspital ca. eine Woche nach Symptombeginn zeigten sich bei un-auffälligem somatischem Neurostatus MR-tomogra-phisch multiple punktförmige Diffusionsrestrikti-onen im Sinne kleinster frischer Ischämien im supratentoriellen Marklager und vor allem im Sple-nium des Corpus callosum. Bei unauffälligen gro-ssen und mittleren hirnzuführenden Arterien in der MR-Angiographie wurde zunächst eine kardioem-bolische Genese vermutet.Echokardiographie und Herzrhythmusanalyse waren unauffällig. Auch die breite Zusatzdiagnostik hinsicht-lich seltener Ursachen von disseminierten zerebralen Mikro infarkten wie eine zerebrale Vaskulitis oder En-ze phalitis (u.a. Vaskulitis-Screening, Liquoranalyse), lieferte keine richtungsweisenden Befunde. Bei unauf-fälligem neurovaskulärem Ultraschall und fehlenden Epilepsie-typischen Veränderungen im EEG erfolgte bei anhaltend rezidivierender Symptomatik und Zu-

nahme der Läsionslast in einem Verlaufs-MRT nach ei-ner Woche die Zuweisung in die Klinik für Neurologie des Inselspitals Bern zur weiterführenden Abklärung.Hier zeigte sich immer noch ein unauffälliger soma ti-scher Neurostatus. In der detaillierten neuropsycholo-gischen Testung waren moderate bis schwer wiegende mnestische Defizite betreffend verbales Gedächtnis so-wie diskrete Wortfindungsstörungen auffällig. Wäh-rend der ersten Tage der Hospitalisation traten weiter-hin multifokale, wenige Minuten dauernde Episoden mit Taubheitsgefühl auf, ohne Sensibilitätsstörungen im Intervall.Fehlende vaskuläre Risikofaktoren, eine unauffällige konventionelle zerebrale Angiographie, fehlende hu-morale Entzündungsaktivität, blandes laborchemisches Vaskulitis-Screening, eine unauffällige transösophage-ale Echokardiographie, negative Blutkulturen, ein afe-briler Patient in gutem Allgemeinzustand, unauffällige thorakoabdominale Computertomographie und blan-des PET-CT machten initial in Betracht gezogene Diffe-rentialdiagnosen unwahrscheinlich. Zu diesen gehör-ten unter anderem ein septisch-embolisches Geschehen (u.a. im Rahmen einer Endokarditis), eine Miliartuber-kulose mit isolierter zerebraler Manifestation oder eine systemische Vaskulitis mit zerebraler Beteiligung.Verlaufs-Liquoranalysen zeigten eine zunehmende Schrankenstörung mit Proteinerhöhung (1,3 g/l) und eine diskrete mononukleäre Pleozytose (Zellzahl 9/μl), jedoch keine liquorspezifischen oligoklonalen Banden. Eine erneute MRT des Schädels ergab neben den vorbe-

stehenden punktförmigen Diffusionsrestriktionen neu zahlreiche, punktförmige Kontrastanreicherungen im gesamten Hirnparenchym sowie auch meningeal. Bei durchwegs negativen mikrobiologischen Resultaten in Liquor und Serum erschien letztendlich eine auto-immun-entzündliche Genese am wahrscheinlichsten.Bei einer Kombination von multifokaler ZNS-Sympto-matik, passageren Seh- und Hörstörungen und typi-schem MR-Befund von disseminierten zerebralen Mik-roläsionen mit Affektion des Corpus callosum wurde differentialdiagnostisch ein Susac-Syndrom in Betracht

MR-tomographisch zeigten sich multiple punktförmige Diffusionsrestriktionen im supratentoriellen Marklager und vor allem im Splenium des Corpus callosum.

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FALLBERICHTE 146

gezogen (Tab. 1). Dazu passend zeigte sich in der retina-len Fluoreszenzangiographie ein vascular leakage, ohne Okklusionen kleiner retinaler Arteriolen (Abb. 1). Hin-weise für eine cochleäre Affektion lagen gemäss Audio-metrie vorerst nicht vor.Bei klinisch relevanter Beeinträchtigung durch das ge-störte verbale Gedächtnis führten wir eine intravenöse Steroidstosstherapie mit anschliessendem peroralem Ausschleichschema durch und begannen eine Thera-pie mit einem Thrombozytenaggregationshemmer.

Verlauf

Noch während der Ausschleichphase der oralen Steroid-behandlung entwickelte der Patient eine progrediente Gangunsicherheit, Antriebsminderung, Schwindel sowi e erneut transientes Verschwommensehen und multifokale Sensibilitätsstörungen.Klinisch zeigten sich eine deutliche Verschlechterung der kognitiven Funktionen in der orientierenden neu-ropsychologischen Screening-Untersuchung (Montreal cognitive assessement, MOCA: 15 von 30 Punkten) und eine Gangataxie. MR-tomographisch fanden sich mul-tifokale neue kleine kontrastanreichernde Läsionen im gesamten Hirnparenchym, geringer auch leptome-ningeal (Abb. 2), bei stationärer leichter monozytärer Pleozytose im Liquor. Eine MRI-Untersuchung der spi-nalen Achse war unauffällig. Ophthalmologisch zeigte sich im Vergleich zur Untersuchung zwei Wochen zu-vor eine deutlich progrediente retinale Mikroangiopa-thie mit Cotton­wool-Herden (kleine retinale Infarkte aufgrund von Verschlüssen kleiner Seitenastarterien). Audiometrisch wurde neu eine leichtgradige Tiefton-perzeptions-Schwerhörigkeit links nachgewiesen.Somit konnte ein Susac-Syndrom mit der klassischen klinischen Trias Encephalopathie, visuelle Symptome und Hörstörung diagnostiziert werden, unterstützt durch die progredienten zerebralen Läsionen im MRI, Mikroinfarkte in typischer Lokalisation (Balken, Hirn-parenchym), progrediente retinale Mikroinfarkte und

Abbildung 1: Fluoreszenangiographie mit capillary leakage (Pfeile = Fluoreszenzextravasate).

Abbildung 2: Schädel-MRI: multifokale punktförmige Kon-

trastanreicherungen im Marklager, kortikal und leptomenin-

geal (Pfeile) in einer T1W-Sequenz (Siemens Avanto 1,5 T,

TR 663, TE 17; 5 mm Schichtdicke, 0,1 mmol/kg Gadovist® 1,0

[Bayer Schweiz AG, Zürich]).

Tabelle 1: Susac-Syndrom: wegweisende Zusatz-untersuchungen und typische Befunde [2, 3].

Schädel-MRI Multifokale kleine Läsionen mit Diffusions-restriktion (akut) und KM-Enhancement

– im Balken: mit «snowballs» (FLAIR), «black holes» (T1, chronisch)

– im Marklager: periventrikulär, zerebellär, subkortikal

– in der grauen Substanz: Kortex, Thalamus, Basalganglien

Leptomeningeale KM-Anreicherungen

Retinale Fluores-zenzangiographie

Verschlüsse retinaler Arterienäste

Fluoreszenzextravasate (capillary leakage)

Audiometrie Sensorineuronale Hörminderung, vor wie-gend für tiefe Frequenzen

KM = Kontrastmittel; FLAIR = fluid-attenuated inversion recovery.

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FALLBERICHTE 147

Tieftonperzeptions-Schwerhörigkeit. Anti-Endothel-An-tikörper waren beim Patienten nicht nachweisbar.Unter einer erneuten Steroidstosstherapie (Solu-Med-rol® 1000 mg/d i.v. über fünf Tage) zeigte sich eine deut-liche Besserung betreffend Antrieb und Gangataxie. Hingegen persistierte eine unspezifische kognitive Leis-tungsminderung auch bedingt durch eine Antriebs-minderung, erhöhte Ermüdbarkeit und einge-schränkte Belastbarkeit. Gemäss Literaturempfehlung [1] planten wir ein sehr langsames Steroid-Ausschleich-schema über ein Jahr sowie eine Therapie mit monat-lichen intra venösen Immunglobulinen (IVIG). In An-betracht der Verschlechterung nach raschem Ausschleichen der ersten Steroidtherapie, des guten Ansprechens auf den erneuten Steroidstoss und der Stabilisierung unter monat lichen IVIG-Zyklen im Ver-lauf wurde primär auf eine zusätzliche immunsup-pressive Therapie (z.B. mit Cyclophosphamid oder My-cophenolat mofetil) verzichtet. Nach fünf Monaten zeigte der Patient klinisch eine deutliche Verbesserung mit nur noch leichter Ermüdbarkeit bei geistigen oder körperlichen Aktivitäten. Ein MRT des Schädels zeigte in der T1-gewichteten Sequenz sogenannte «black holes» im Balken (Abb. 3). In der Retinauntersuchung waren die Cotton­wool­ Läsionen deutlich grös sen-regredient.Ein halbes Jahr nach Erstdiagnose erlitt der Patient einen erneuten Krankheitsschub mit transienten Seh-störungen und Abgeschlagenheit. MR-tomographisch zeigte sich eine Zunahme der multiplen punktförmi-gen zerebralen Kontrastmittelanreicherungen als Aus-

druck einer gestörten Blut-Hirn-Schranke sowie ein deutliches leptomeningeales Enhancement, so dass ein fünftägiger Solu-Medrol® (Methylprednisolon)-Stoss (500 mg/d i.v.) mit Eska lation (1000 mg/d über drei Tage) bei erneutem Auftreten der visuellen Prob-leme nach einer Woche durchgeführt wurde. Im An-schluss wurden eine perorale Steroidtherapie (sehr langsames Ausschleichschema) und monatliche IVIG-Infusionen beibehalten und eine im munsuppressive Therapie mit Mycophenolat mofetil begonnen. Dieses musste aufgrund einer Thrombopenie passager pau-siert, konnte aber im Verlauf bis auf 1,5 g/d aufdosiert werden ohne relevante hämatotoxische Nebenwirkun-gen. Eine audiometrische Verlaufskontrolle ergab eine linksseitige Norm akusis bei rechtsseitig diskreter Per-zeptionsschwerhörigkeit; der ophthalmologische Be-fund war stabil.Der klinische Verlauf in den folgenden Monaten war stabil mit nur noch seltenen kurzen visuellen Phäno-menen, jedoch rascher Erschöpfbarkeit und Antriebs-minderung. Eine Fluoreszenzangiographie ca. fünf Mo-nate nach dem Schubereignis zeigte keine retinalen Gefässverschlüsse oder Lecks mehr.Etwa ein Jahr nach Erstdiagnose kam es unter der eta-blierten Immuntherapie zu einem neuerlichen Schub mit passagerer Sehstörung im rechten Gesichtsfeld («leuchtender Wurm» über 30 Minuten), holokraniel-len dumpfen Kopfschmerzen und emotionaler Labili-tät. Bildgebend bestätigte sich erneute Krankheitsakti-vität mit einzelnen flauen Kontrastanreicherungen im Hirnparenchym und leptomeningeal. Eine erneute in-travenöse Solu-Medrol®-Stosstherapie wurde erfolg-reich durchgeführt.

Kommentar

Das Susac-Syndrom ist eine seltene Erkrankung der kleinsten Blutgefässe des Gehirns, der Netzhaut und des Innenohrs. Seit der Erstbeschreibung 1979 durch John Susac wurden bis 2013 ca. 300 Fälle publiziert [4]. Typische Patienten sind Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren, seltener können auch Männer und ältere oder jüngere Menschen betroffen sein. Die typische klinische Trias mit subakuter ZNS-Symptomatik (multifo kale Enzephalopathie, kognitive Symptome, Verhal tens änderung, Ataxie, Kopfschmerzen usw.), Seh-stö rungen (retinale Arterienastverschlüsse) und Hör-minderung (Schallempfindungs-Schwerhörigkeit) ist zu Beginn nur selten vorhanden (Tab. 2). Die genaue Patho physiologie ist nicht bekannt, jedoch wird eine immunvermittelte Endotheliopathie angenommen, welche die Mikrogefässe von Hirn, Retina und Innen-ohr betrifft und zu Gefässokklussionen führt. Kürzlich

Abbildung 3: Verlaufs-Schädel-MRI: in der T1-gewichteten

Sequenz «black holes» (Pfeil) im Balken (Siemens Avanto

1,5 T, TR 1720, TE 2,92; 1,0 mm Schichtdicke).

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FALLBERICHTE 148

wurden Anti-Endothel-Antikörper bei bis zu 25% der Susac-Patienten nachgewiesen; die pathophysiologi-sche und diagnostische Bedeutung ist jedoch noch of-fen [5]. Schädel-MRI, retinale Fluoreszenzangiographie und Audiometrie gelten als entscheidende Zusatzdia-gnostik und können auch subklinische Pathologien zeigen (typische Befunde Tab. 1). Weitere Zusatz-diagnostik dient dem Ausschluss von Differentialdia-gnosen wie zum Beispiel demyelinisierenden ZNS- Erkrankungen (z.B. Multiple Sklerose), anderen zerebrovaskulären Erkan kungen oder infektiösen ZNS-Erkrankungen (Tab. 3).Die Therapieempfehlungen basieren wegen der Selten-heit der Erkrankung auf kleineren Fallserien sowie auf-grund klinischer und histologischer Gemeinsamkeiten auf denen der Behandlung der juvenilen Dermatomyo-sitis [2]. Im Vordergrund steht eine frühzeitige multi-valente Immuntherapie mit Steroiden, Immunglobu-

linen, Cyclophosphamid (bei schweren Verläufen) oder Mycophenolat mofetil und einer Thrombozytenaggre-gationshemmung mit Acetylsalicylsäure [1, 4, 6]. Nach der akuten Phase sollte die immunsuppressive Thera-pie ausreichend lange erfolgen (z.B. orale Steroidthera-pie bei langsamem Ausschleichen bis zu 2,5 Jahre, da es dann meist zu einem Abklingen der Krankheitsaktivi-tät kommt). Der Verlauf ist variabel, es wurden mono-phasische, schubförmig-remittierende Formen sowie chronische Verläufe beschrieben.

Fazit

– Aufgrund der variablen klinischen Präsentation, die sich zu Beginn oft ohne das Vollbild der Trias subakute ZNS-Symptomatik, Retinaarterienastver-schlüsse (branch retinal artery occlusion, BRAO) und Hörminderung zeigt, ist eine Frühdia gnose des Susac-Syndroms meist schwierig.

– Die rechtzeitige Diagnosestellung und adäquate Therapie, die sich zum Beispiel wesentlich von der MS-Therapie unterscheidet, ist jedoch entscheidend. Bei frühzeitigem Therapiebeginn ist die Prognose gut. Ansons ten hinterlassen die progredienten Ge-fässverschlüsse irreversible Folgen. Kliniker verschie-dener Fachrichtungen sollten diese seltene Erkran-kung in die erweiterte Differentialdiagnose einer Vielzahl neurologischer, psychiatrischer, ophthalmo-logischer und otologischer Krankheiten einbeziehen.

VerdankungWir danken den Universitätskliniken für Neuroradiologie (Direktor Prof. Dr. med. J. Gralla) und für Ophthalmologie (Prof. Dr. Dr. Sebastian Wolf) des Inselspitals für das Bildmaterial.Informed consent des Patienten vorhanden.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur 1 Rennebohm RM, Susac JO. Treatment of Susac’s syndrome. Journal

of the neurological sciences. 2007;257(1–2):215–20. 2 Dörr J, Jarius S, Wildemann B, Ringelstein E, Schwindt W, Deppe M,

et al. Susac-Syndrom. Der Nervenarzt. 2011;82[10]:1250–63.3 Rennebohm R, Susac JO, Egan RA, Daroff RB. Susac’s Syndrome-

update. J Neurol Sci. 2010; 15;299(1–2):86–91.4 Dorr J, Krautwald S, Wildemann B, Jarius S, Ringelstein M, Duning

T, et al. Characteristics of Susac syndrome: a review of all reported cases. Nature reviews Neurology. 2013;9[6]:307–16. doi: 10.1038/nrneurol.2013.82. PubMed PMID: 23628737.

5 Jarius S, Kleffner I, Dorr JM, Sastre-Garriga J, Illes Z, Eggenberger E, et al. Clinical, paraclinical and serological findings in Susac syn-drome: an international multicenter study. Journal of neuroin-flammation. 2014;11:46. doi: 10.1186/1742-2094-11-46. PubMed PMID: 24606999; PubMed Central PMCID: PMC3995917.

6 Klein M, Illies T, Georgi S, Rosenkranz T, Terborg C. Aggressive Im-muntherapie beim Susac-Syndrom. Der Nervenarzt. 2009;80[12]:1502–5.

Tabelle 3: Wichtige Differentialdiagnosen des Susac- Syndroms.

Demyelinisierende ZNS-Erkrankungen

Multiple Sklerose, ADEM1

Zerebrovaskuläre Erkrankungen Hirninfarkte, TIA, CADASIL2

Vaskulitis, Kollagenosen primäre ZNS-Vasku litis, systemischer Lupus erythematodes

Andere Autoimmunkrankheiten

Infektiöse Erkrankungen Neurotuberkulose, Neuro-lues, Neuro borreliose, virale Enze phalitis

Malignome ZNS-Lymphome

Andere Mitochondriopathien (MELAS3)

1 Akute disseminierte/demyelinisierende Enzephalomyelitis 2 Cerebral autosomal dominant arteriopathy with subcortical infarcts

and leukoencephalopathy 3 Mitochondrial myopathy, encephalomyopathy, lactic acidosis,

and stroke-like episodes

Korrespondenz: Dr. med. Lara Chilver-Stainer FMH Neurologie Oberärztin Akutbettenstation Universitätsklinik für Neurologie Inselspital CH-3010 Bern Lara.Chilver-Stainer [at]insel.ch

Tabelle 2: Klinische Manifestationen des Susac-Syndroms.

ZNS/Leptomeningen Kopfschmerzen

Kognitive Einschränkungen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit), Verhaltensstörungen

Fokal-neurologische Symptome: zentrale Sensibilitätsstörungen, Paresen, Ataxie, Okulomotorikstörung

Epileptische Anfälle

Auge Gesichtsfeldstörungen (irreguläre, fleckförmige Skotome)

Flimmerskotome, Lichtblitze, Verschwommensehen

Ohr Hörminderung, Tinnitus

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FALLBERICHTE 149

Eine (fast) vergessene Indikation

Therapeutische Lymphographie bei LymphfistelMichael Möddela, Ingrid Schullera, Waldemar Hoschb

a Nephrologische Abteilung, Klinik Im Park, Zürich; b Radiologie und Neuroradiologie, Klinik Im Park, Zürich

Fallbeschreibung

Ein 57-jähriger Patient musste sich aufgrund eines Hypernephroms (TNM-Stadium: pT1a (5), L0, V0, Pn0, G1, R0) einer linksseitigen Nephrektomie mit radikaler Lymphadenektomie unterziehen. Am dritten postope-rativen Tag förderte eine abdominelle Drainage mil-chig-lachsfarbenes Sekret (Abb. 1). Die triglycerid- und cholesterinhaltige Flüssigkeit wurde im Rahmen einer diagnostischen Punktion als Lymphe identifiziert und erhärtete damit den Verdacht auf eine perioperative Verletzung des abdominellen Lymphsystems. Mit Kür-zen der abdominellen Drainage nahm die geförderte Se-kretmenge ab und die Drainage wurde gezogen. Im weiteren Verlauf kam es jedoch zu einem manifesten chylösen As zites, so dass von einer persistierenden ab-dominellen Lymphfistel ausgegangen werden musste. Bei der nachfolgenden abdominellen Punktion ent-leerten sich vier Liter chylöse Flüssigkeit. Da der kon-servative Behandlungsansatz mit einer parenteralen Ernährung auch nach zwei Wochen nicht zielführend

war und sich täglich mindestens 500 ml Lymphflüssig-keit in die Peritonealhöhle entleerten, wurde die Indi-kation zu einer diagnostischen und therapeutischen Lymphographie gestellt.

Lymphographie und CT-gesteuerte Sklerotherapie

Die Lymphangiographie wurde in standardisierter Technik [1, 2] durchgeführt: Etwa 1 ml einer 1:3-Mi-schung von Patentblau und Lokalanästhetikum wur-den in den 1. bis 3. Interdigitalraum des linken Fusses injiziert, um die Lymphgefässe zu markieren. Nach der Injektion des Lokalanästhetikums wurde auf dem Fussrücken mit der Präparation der Lymphgefässe pro-ximal des ersten Tarsometatarsalgelenks begonnen. Das prominenteste Lymphgefäss wurde punktiert und ca. 10 ml Lipiodol® injiziert (Abb. 2). Die Verteilung des Lipiodols® entlang des Lymphsystems von Bein, Leiste und Becken wurde fluoroskopisch auf dem Angiogra-phietisch überwacht (Abb. 3). Der Übertritt des Lipio-

Abbildung 1: Chylöser Aszites in abdomineller Drainage.

Abbildung 2: A: Präparation eines mit Patentblau markierten Lymphgefässes unter

Lokalanästhesie (Pfeil). B: Anschliessend Kanüllierung des Lymphgefässes mittels einer

Lymphographienadel (27G) und Fixierung mit Fadenmaterial.

A B

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FALLBERICHTE 150

dols® vom Lymphsystem in die Peritonealhöhle wurde auf Höhe des linken Nierenhilus als Lymph fistel und als Ursache des chylösen Aszites identifiziert. Am Fol-getag erfolgte die Durchführung einer Nativ-CT-Unter-suchung für die anschliessende Sklerotherapie. Die Lymphfistel wurde auch CT-morphologisch gesichert und mit dem flouroskopischen Befund korreliert (Abb. 4). Im Rahmen der Sklerotherapie wurde die In-jektionsnadel so nah wie möglich an die Lymphfistel herangeführt. Nach Sicherung der zu erwartenden Verteilung mittels Kontrastmittel sowie nach Gabe von Lokalanästhetikum wurde die Fistel mit 7 ml 95% Ethanol sklerosiert.

Verlauf

Bereits am Folgetag kam die Lymphsekretion durch diese interventionellen Massnahmen nachhaltig zum Stillstand. Auch vier Wochen post interventionem war in der sonographischen Kontrolluntersuchung keine abdominelle Flüssigkeit mehr nachweisbar.

Diskussion

Die therapeutische Lymphographie ist ein wertvolles interventionelles Verfahren mit einer niedrigen Kom-plikationsrate. Die Lymphographie wird heute nur

Abbildung 3: Kontrastierung der Lymphgefässe

nach Injektion von Lipiodol®.

Abbildung 4: Kontrastierung der retroperitonealen Lymphbahnen mittels Lipiodol® (Pfeilspitzen).

Der Kontrastmittelstopp links retroperitoneal (Pfeil) entspricht der Lymphfistel und dem Lymphaustritt in die Peritonealhöhle.

A: Projektionsradiographie. B: und C: CT-Rekonstruktion. C: Punktion der Fistel zwecks Sklerosierung mit 95%igem Ethanol.

A B

C

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FALLBERICHTE 151

noch für wenige Fragestellungen angewandt. Sie ist vor allem indiziert bei Lymphabflussstörungen wie dem chylösen Aszites oder Pleuraerguss, oder bei einer Lymphozele als Folge traumatischer oder iatrogener Verletzungen von grösseren Lymphbahnen [1–3]. Da sie nur noch selten durchgeführt wird, sind nur noch we-nige Untersucher mit der Technik der Präparation und Punktion des Lymphgefässes vertraut.Der therapeutische Erfolg einer Lymphographie beim Verschluss einer Fistel ist abhängig vom Volumen der sezernierten Lymphflüssigkeit. Der Erfolg ist am gröss-ten (ca. 70%), wenn 500 ml Lymphe/Tag nicht über-schritten werden. Bei einem Volumen von >500 ml/Tag, stellt sich der Erfolg nur in ca. 35% der Fälle ein [4, 5], weshalb die Massnahme von parenteraler Ernäh-

rung flankiert werden sollte. Bei Fisteln mit hohem Se-kretionsvolumen kann die zusätzliche CT-gesteuerte Sklerosetherapie zu einer deutlichen Verbesserung des Therapieerfolgs führen [6]. Sollte sich jedoch trotz der Kombination beider inter-ventioneller Verfahren kein Therapieerfolg einstellen, so liefert dieses Verfahren dem Chirurgen zumindest im diagnostischen Sinn sehr wichtige präoperative In-formationen über die Lokalisation, in der eine Ligatur des betroffenen Lymphgefässes zu erfolgen hat.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur1 Müller K-H,G. Lymphographie: Anatomie, Technik, Diagnostik.

1. Ausgabe, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1979.2 Kauffmann GW, Rau WS, Roeren T, Sartor K. Röntgenfibel:

Praktische Anleitung für Eingriffe in der Röntgendiagnostik und interventionellen Radiologie. 2. Ausgabe, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1995.

3 Guermazi A, Brice P, Hennequin C, Sarfati E. Lymphography: an old technique retains its usefulness. Radiographics. 2003;23:1541–60.

4 Gruber-Rouh T, Naguib NN, Lehnert T, Harth M, et al. Direct lymphangiography as treatment option of lymphatic leakage: indications, outcomes and role in patient’s management. Eur J Radiol. 2014 Dec;83(12):2167–71.

5 Kos S, Haueisen H, Lachmund U, Roeren T. Lymphography: forgotten tool or rising star in the diagnosis and therapy of post-operative lymphatic vessel leakage. Cardiovasc Intervent Radiol. 2007;30(5):968–73.

6 Kortes N, Radeleff B, Sommer CM, et al. Therapeutic lymphangio-graphy and CT-guided sclerotherapy for the treatment of refractory lymphatic leakage. J Vasc Interv Radiol. 2014 Jan;25(1):127–32.

Schlussfolgerungen für die Praxis

• Bei traumatischer Lymphfistel ist die Lymphographie ein sehr wertvolles

interventionelles Verfahren mit einer niedrigen Komplikationsrate.

• Der therapeutische Erfolg einer Lymphographie beim Verschluss einer

Fistel ist abhängig vom Volumen der sezernierten Lymphflüssigkeit.

• Die Behandlung von Fisteln mit einem hohen Sekretionsvolumen kann

die zusätzliche CT-gesteuerte Sklerosetherapie erforderlich machen.

• Sollte sich trotzdem kein Therapieerfolg einstellen, so liefert die Lym-

phographie dem Chirurgen zumindest wertvolle diagnostische Informa-

tionen über die Lokalisation, in der die Ligatur des betroffenen Lymph-

gefässes zu erfolgen hat.

Korrespondenz: Prof. Dr. med. Waldemar P. Hosch Zentrum Radiologie und Neuroradiologie Klinik Im Park Seestrasse 220 CH-8027 Zürich waldemar.hosch[at] hirslanden.ch

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COUP D’ŒIL 152

Non- oder Malrotation des Magen-Darm-Traktes

Linksseitige Unterbauch­schmerzen – nicht immer eine DivertikulitisLaurence Klenka, Eike Piechowiakb, Barbara Brelab, Christiane Lippeckc, Antje Lechleiterc, Beat Lehmanna

a Universitäres Notfallzentrum, Inselspital Bernb Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie, Inselspital Bernc Chirurgische Klinik, Spitalnetz Bern Tiefenau

Fallbeschreibung

Ein 53-jähriger Patient wurde uns aus einem Regional-spital zugewiesen mit heftigen linksseitigen Unter-bauchschmerzen, Nausea ohne Erbrechen sowie Hypo-tonie und Kaltschweissigkeit, die perakut drei Stunden vor Hospitalisation aufgetreten waren. In der Vor-geschichte des Patienten findet sich eine koronare 1-Gefäss-Erkrankung mit einem Herzinfarkt (NSTEMI) vor elf Jahren mit anamnestisch damals ähnlicher Kli-nik. In der Überwachung im Regionalspital zeigte sich zudem ein AV-Block II Typ Wenckebach mit einer Bra-dykardie von minimal 44/min, weswegen einmalig 0,5 mg Atropin i.v. verabreicht wurde. Aufgrund der kardialen Vorgeschichte und der Rhythmusstörung Zuweisung des Patienten ans Zentrumsspital. Klinisch präsentierte sich ein schmerzgeplagter, afe-briler Patient. Die Vitalparameter waren unauffällig

(BD 113/68 mm Hg, Puls 62/min). Das Abdomen war dif-fus druckdolent, jedoch ohne Peritonismus. Die Darm-geräusche waren in allen Quadranten unauffällig. Das Murphy-Zeichen war negativ und die Flanken beidseits ohne Klopfdolenz.Die Laboranalyse zeigte ein CRP von 4 mg/l (Norm <5 mg/l) und eine Leukozytose von 16,3 G/l (Norm <10,5 G/l) mit einer Linksverschiebung von 22% (Norm <18%); der Urinstatus inklusive Sediment war unauffällig.Das CT Abdomen mit Kontrastmittel (KM) konnte freie Flüssigkeit und freie Luft ausschliessen, es fand sich keine abdominelle Lymphadenopathie oder Divertiku-litis. Als Zufallsbefund fiel eine inhomogen kontrast-mittelaufnehmende weichteildichte Raumforderung am dorsalen Oberpol der rechten Niere auf, verdächtig auf ein Nierenzellkarzinom oder Onkozytom. Ein Kor-relat für die Klinik fand sich vorerst nicht.

Abbildung 1: Ultraschall Appendix längs (A) und quer (B).

A B

Korrespondenz: Dr. med. Laurence Klenk Universitätsspital Bern, Inselspital Freiburgstrasse CH-3010 Bern laurence.klenk[at]insel.ch

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COUP D’ŒIL 153

Am Folgemorgen wurde eine «point-of-care»-Abdo-mensonographie vorgenommen. Am Punctum maxi-mum des Schmerzes im linken Unterbauch stellte sich eine kokardenförmige Struktur dar mit umgebender Fettgewebsalteration (Abb. 1). Erneut wurde das CT Ab-domen mit i.v. KM beurteilt, und es konnte eine im lin-ken Mittelbauch zur Darstellung kommende blind en-dende tubuläre Struktur parakolisch links mit einem Durchmesser von ca. 14 mm bestätigt werden, verein-bar mit einer linksseitigen Appendizitis. Es fand sich das Bild einer kompletten Malrotation mit linksseiti-gem Coecum (Abb. 2). Der Patient wurde zeitnah den Kollegen der Viszeral-chirurgie vorgestellt und zur operativen Versorgung (laparoskopische Appendektomie) übernommen (Abb. 3). Im Operationsresektat konnte eine ulzero-phlegmonöse Appendizitis mit Periappendizitis ohne Hinweise für Dysplasie oder Malignität gefunden wer-den (Abb. 4). Der weitere Verlauf gestaltete sich komplika tionslos. Die Entlassung ins häusliche Umfeld erfolgte nach 24-stündiger Hospitalisation.

Diskussion

Die Strukturen des Mitteldarmes gehen in der embry-onalen Entwicklung aus der Nabelschleife hervor. Bei Rückkehr des Mitteldarmes aus dem physiologischen Nabelbruch (Auftreibung der Nabelschnur) in die Ab-dominalhöhle in der zehnten Embryonalwoche voll-zieht die Nabelschleife üblicherweise eine Drehung von 270° im Uhrzeigersinn um die Achse der Arteria mesenterica superior.Im obengenannten Fallbeispiel liegt eine Nonrotation vor. Hierbei gelangt bei abnorm schlaffem Nabelring der Dünndarm ohne die physiologische Rotation in die Bauchhöhle zurück. Der Dünndarm liegt überwiegend rechts, das in sich gedoppelte Kolon links von der Mittel-linie (Abb. 5). Üblicherweise werden Darm-Nonrotationen und -Mal-rotationen vor vollendetem erstem Lebensjahr diag-nostiziert, klassischerweise als Volvulus. Die Inzidenz einer symptomatischen Malrotation/Nonrotation liegt gemäss Literatur in bis zu 80% im ersten Lebensmonat und bis zu 90% im ersten Lebensjahr [1–4]. Die in der Kindheit nicht diagnostizierten Darm-Malrotationen führen bei der Mehrheit der Erwachsenen nicht mehr zu Symptomen [1], weshalb über die Inzidenz von Darm-Nonrotationen oder -Malrotationen beim asym-ptomatischen Erwachsenen nur spekuliert werden kann.Differentialdiagnostisch ist für den linkseitigen Unter-bauchschmerz neben der akuten Sigmadivertikulitis (Erwachsene) bei der Frau eine gynäkologische Affek-

Abbildung 2: CT Abdomen mit i.v. Kontrastmittel.

Abbildung 3: Intraoperativer Befund.

Abbildung 4: Mikroskopischer Befund der ulzero-phlegmonösen Appendizitis.

Foto: Institut für Pathologie, Universität Bern.

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COUP D’ŒIL 154

Abbildung 5: Darm-Nonrotation.

Abbildung aus: Stolte M, Rüschoff J, Klöppel G. Pathologie 3. Aufl. 2013, Verdauungs-

trakt und Peritoneum. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag; 2013. Abbildung um ge-

zeichnet nach Louw [Louw JH (1976). Embryology and developmental anomalies of the

small and large intestines. In: Bockus HL (Hrsg.). Gastroenterology, 3. Aufl. Bd 2.

Saunder s, Philadelphia]. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags.

tion (rupturierte, eingeblutete Zyste, Extrauterin gravi-dität) in Betracht zu ziehen. Weiter ist die hier beschrie-bene linksseitige Appendizitis sowie, ebenfalls selten, die Appendizitis epiploica in die Differentialdiagnose einzubeziehen.

Schlussfolgerungen

Dieser Fall illustriert den hohen Stellenwert der «point-of-care»-Sonographie bei der Abklärung akuter Abdo-minalschmerzen. Diese erlaubt eine fokussierte Beur-teilung sowohl akut lebensbedrohlicher Pathologien (z.B. rupturiertes Bauchaortenaneurysma, Extrauterin-gravidität) wie auch anderer klinisch relevanter Patho-logien (insbesondere Appendizitis, Cholezystitis, Di-vertikulitis, Urolithiasis usw.).

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur– Medizinische Embryologie / Thomas W. Sadler – Übersetzung

Ulrich Drews / Thieme Verlag.1 Filston HC, Kirks DR. Malrotation - the ubiquitous anomaly.

J Pediatr Surg. 1981;16(4 Suppl 1):614–20.2 von Flüe M, Herzog U, Ackermann C, Tondelli P, Harder F. Acute

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4 Kapfer SA, Rappold JF. Intestinal Malrotation – Not Just the Pediatric Surgeon’s Problem. J American College of Surgeons. 2004;(199)4:628–35.

5 Stolte M, Rüschoff J und Klöppel G. Pathologie 3. Aufl. 2013, Verdau-ungstrakt und Peritoneum. DOI 10.1007/978-3-642-02322-4_22. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag; 2013. Abbildung umgezeichnet nach Louw [Louw JH (1976) Embryology and developmental anomalies of the small and large intestines. In: Bockus HL (Hrsg) Gastroenterology, 3. Aufl. Bd 2. Saunders, Philadelphia].

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(6):152–154