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Information Systems and Enterprise Modelling
ICB Institute for Computer Science and Business Information Systems
Institute for Computer Science and Business Information Systems (ICB)
Skizze eines erweiterten Theoriebegriffs
Mögliche zukünftige Welten und begründete Hoffnung als Ergänzung von Wahrheitskonzepten
Ulrich Frank
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
“You see things; and you say `Why?´
But I dream things that never were; and I say`Why not?´”
George Bernhard Shaw (Back to Methusaleh)
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
"If any problem in the philosophy of science justifiably can be claimed the most central or important, it is that of the nature and structure of scientific theories …“
Frederick Suppe
Theoriebegriffe
Merkmale und Probleme des Neo-Positivismus
Wissenschaftssoziologischer Exkurs
Ein allgemeiner Theoriebegriff
Besonderheiten der Wirtschaftsinformatik
Erweiterung des Theoriebegriffs
Begründung als Herausforderung
Aspekte einer Forschungsmethode
Abschließende Bemerkungen© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Überblick
20
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Theoriebegriffe
30
Strukturalismus: Theorien als Modellsysteme
ethymologisch: „Ausschau“
Wittgenstein: „Sprachspiel“
Formaler Theoriebegriff: axiomatisch aufgebautes System
„Strenger Positivismus“: Empirische Theorien als Modelle formaler Theorien
Dokumentation
Fortschritt
Konsistenz
"Alles, was Gegenstand des wissenschaftlichen Denkens überhaupt sein kann, verfällt, sobald es zur Bildung einer Theorie reif ist, der axiomatischen Methode und damit der Mathematik."
David Hilbert
orientiert an Theorien in den Naturwissenschaften
zielt auf Erklärung und Prognose
keine präzise Definition, orientert an Kant (Popper: “Theorien als Netze”) Hempel-Oppenheim-Schema Falsifikationismus
zentrale Bedeutung von Skeptizismus und Kritik
… aber auch ein gewisser Szientismus
Merkmale des Neo-Positivistischen Theoriebegriffs
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
40
Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Gegenstand der Naturwissenschaften und dem der Sozialwissenschaften.
„quantitativ vs. qualitativ“
fehlende Evidenz keine überzeugenden Theorien Prognosen kaum möglich
ontologische und epistemologische Grundannahmen kontingenter Gegenstand Konzept des “freien Willens” Sprachabhängigkeit der Erkenntnis
unerfreuliche Auswirkung auf Praxis der Forschung als Legimitationvehikel missbraucht (“theory fetish”) Test von Theorien als Momentaufnahme Tendenz zur Trivialisierung der Forschung Erkenntnisfortschritt kaum zu fassen
Probleme des Neo-Positivismus
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
50
fehlende Evidenz keine überzeugenden Theorien Prognosen kaum möglich
ontologische und epistemologische Grundannahmen kontingenter Gegenstand Konzept des “freien Willens” Sprachabhängigkeit der Erkenntnis
unerfreuliche Auswirkung auf Praxis der Forschung als Legimitationvehikel missbraucht (“theory fetish”) Test von Theorien als Momentaufnahme Tendenz zur Trivialisierung der Forschung Erkenntnisfortschritt kaum zu fassen
Probleme des Neo-Positivismus
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
50
"I found that I could use my data to support and refute in some degree most of the rival theories and hypotheses that I cared to generate.“
Gareth Morgan
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Einige Beispiele
60
zur opportunistischen Nutzung von Informationsasymmetrien:„Taxifahrer in Athen fahren Touristen nicht auf dem kürzesten Weg zum Ziel.“ (erschienen in renommierter VWL-Zeitschrift)
“Perceived ease of use will positively affect intended use of a business-to-consumer (B2C) Web site.”
“The perceived provider performance has a positive impact on the satisfaction with Application Service Provider.”
“The technical service guarantees of an ASP have a positive impact on perceived provider performance.”
“The functional capability of the ASP has a positive effect on the satisfaction with ASP.”
“Child’s age will moderate the relationship between utility for children and intention to adopt a PC for household use, such that utility for children increases in importance as the child’s age increases.”
MISQ
erheblicher Legitimationsbedarf der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Konstruktion von Legitimation durch Orientierung am Modell der Naturwissenschaften gesellschaftliche Akzeptanz empirischer Evidenz Reputation von Publikationsorganen
Wie kann das sein???
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
70
Ist das ein Problem?
Ja – wenn man eine Gefahr für die Attraktivität und Produktivität wissenschaftlicher Arbeit und damit für wissenschaftliche Exzellenz als Problem ansieht.
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Ein allgemeiner Theoriebegriff – 1. Fassung
80
Theorien sind Erkenntnisangebote, deren Form gewissen Konventionen entspricht und die in einem spezifischen Kontext entstehen und gepflegt werden.
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Grundlegende Merkmale
90
Erkenntnis Dokumentation Kultur
OriginalitätAbstraktionBegründung
Relevanz
StrukturTransparenz
FreiheitReflexionKontemplationKritikOffenheitVernunft
Theorien sind Erkenntnisangebote, die an expliziten epistemologischen Ansprüchen orientiert sind, deren Form gewissen Konventionen entspricht und die in einem spezifischen kulturellen Kontext entstehen und gepflegt werden.
Gestaltung und Nutzung von Informationssystemen
Untersuchung und Unterstützung von Handlungssystemen
zentrale Rolle der Sprache
anwendungsorientiert Verhältnis von Theorie und Praxis bedeutsam impliziert Vermittlung
Beitrag zur Zukunftsbewältigung insbesondere zur Bewältigung der digitalen Transformation
Besonderheiten der Wirtschaftsinformatik
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
100
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Theoriebegriff: Spezifische Erweiterung
110 Entwurf möglicher zukünftiger Welten als Erkenntnis-sangebot – für diejenigen, die die Zukunft gestalten (können) und sie leben.
Beitrag zur Aufklärung über das, was ist und das, was sein könnte.
Ausschau …
Zweckgerichtete Dokumentation von Theorien -> dediziertes Informationssystem als Objekt und Objektivierung wissenschaftlichen Wissens
Begriff der „Design Theory“ irreführend
„tautologische“ Transformation in Technologien keine Option
Korrespondenztheorie der Wahrheit unzureichend mögliche Welten gegen „Realität“ zu testen abwegig also: empirische Untersuchungen für diesen Zweck
weitgehend obsolet
außerwissenschaftliche Konstruktion von Ergebnissen emergenter Prozess erfordert sinnstiftende Vermittlung
Reicht “Design Science” nicht hin?
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
120
Erkenntnisangebote auch in Form möglicher Welten
zwei zentrale, einander ergänzende Dokumentationsformen konzeptuelle Modelle/Modellierungssprachen Narrative
Besonderheiten des erweiterten Theoriebegriffs
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
130
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Modelle: ohnehin unentbehrlich
140
“Mit Modellen machen wir uns die Wirklichkeit des Vergangenen und die Möglichkeiten des Zukünftigen zur Gegenwart.”
Bernd Mahr
“Models are proffered truths. To proffer truth is the human means of acquiring knowledge.”
Marx Wartofsky
von zentraler Bedeutung für den Entwurf und die Nutzung von Informationssystemen
entstehen durch Rekonstruktion domänenspezifischer Begriffe
… mit Hilfe von Modellierungssprachen
transformierbar/ausführbar -> Beitrag zu Machbarkeitsnachweis
von wachsender Bedeutung in einer von Software durchdrungenen und geprägten Welt
Konzeptuelle Modelle
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
150
von zentraler Bedeutung für den Entwurf und die Nutzung von Informationssystemen
entstehen durch Rekonstruktion domänenspezifischer Begriffe
… mit Hilfe von Modellierungssprachen
transformierbar/ausführbar -> Beitrag zu Machbarkeitsnachweis
von wachsender Bedeutung in einer von Software durchdrungenen und geprägten Welt
Konzeptuelle Modelle
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
150
“But besides intuition there is no other kind of cognition than through concepts.”
Immanuel Kant
“Philosophers have long wanted to understand con-cepts, but the point is to change them so as to make them serve our purposes better.”
Richard Rorty
zu entwickeln und dokumentieren unter Beachtung der Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisangebote
konzeptuelle Modelle allein nicht hinreichend um mögliche zukünftige Welten zu denken
zwei zentrale Funktionen von Narrativen Berücksichtigung symbolischen Handelns Beitrag zur sinnstiftenden Vermittlung möglicher zukünftiger
Welten und damit: zu ihrer Evaluation
nicht als „general turn against theory“ (Rorty), sondern als inhärenter Bestandteil eines erweiterten Theoriebegriffs
Ergänzung der konzeptuellen Modellierung um hermeneutische Aspekte von Bedeutung
Die Rolle von Narrativen
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
160
konzeptuelle Modelle allein nicht hinreichend um mögliche zukünftige Welten zu denken
zwei zentrale Funktionen von Narrativen Berücksichtigung symbolischen Handelns Beitrag zur sinnstiftenden Vermittlung möglicher zukünftiger
Welten und damit: zu ihrer Evaluation
nicht als „general turn against theory“ (Rorty), sondern als inhärenter Bestandteil eines erweiterten Theoriebegriffs
Ergänzung der konzeptuellen Modellierung um hermeneutische Aspekte von Bedeutung
Die Rolle von Narrativen
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
160
"Die einzige wahre Reise, der einzige Jungbrunnen wäre für uns, wenn wir nicht neue Landschaften aufsuchten, sondern andere Augen hätten, die Welt mit den Augen eines anderen, von hundert anderen betrachten, die hundert verschiedenen Welten sehen könnten, die jeder einzelne sieht, die jeder von ihnen ist."
Marcel Proust
"Narrative is a conventional form, transmitted culturally and constrained by each individual's Ievel of mastery and by his conglomerate of prosthetic devices, colleagues, and mentors.“
Jerome Bruner
Vermittlung ist nicht nur an vordergründige Praxis gerichtet!
Falsifikation von Machbarkeit als Prüfkriterium?
ansonsten: „anything goes“ Korrespondenz, Kohärenz, Konsens … ergänzt durch begründete Hoffnung
diskursive Evaluation von besonderer Bedeutung
hängt wesentlich von (wissenschaftlicher) Kultur ab
Begründung als Herausforderung
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
170
“As a coherentist, I think that if you can get agreement from other members of such an audience about what is to be done, then you do not have to worry about your relation to reality.”
Richard Rorty
Erkenntnispotential von Widersprüchlichkeiten nutzen
… und von gezielter Abstraktion
Kontemplation und „Begriffsschau“
konzeptuelle Konstruktion
… und Dekonstruktion
Forschungsmethodische Aspekte
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
180
„Human beings have a knack of getting trapped in webs of their own creation.“
Garreth Morgan
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Dekonstruktion: Quelle des Neuen … und Abenteuer
190
„Der Vorgriff auf die Zukunft ist nur in Gestalt der absoluten Gefahr möglich. Sie ist das, was mit der konstruierten Normalität vollständig bricht .. Für diese zukünftige Welt und für das, was die Werte von Zeichen, gesprochenem Wort und Schrift in ihr erschüttert haben wird .. gibt es noch keinen Begriff.”
Jacques Derrida
“Reframing operates on the level of meta reality, where [...] change can take place even if the objective circumstances of a situation are quite beyond human control.”
Paul Watzlawick, John H. Weakland, Richard Fish
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Dokumentation durch Modelle
200
Critique
Construction
Critique of Abstraction of
Intentional
Critique of Abstraction of Factual
Abstraction of Intentional
ConceptualFramework
Abstraction of Factual
Design Artefact
Interpretation
Theory Application
Theory
Language
Semi-Formal Language
Formal Language
Natural Language
Truth
Formal Truth
Conformity Test
Correspondence Theory
Adequacy
Coherence Theory
Consensus Theory
Formal Proof
Case Study
Virtual Discourse
Literature Review
Experiment
Field Study
Socio-Technical System
IS Artefact
Action System
Hypothesis
Purpose
Prototype
Refutation
Challenge
Evaluation
ApplicationDomain
Conceptual Model
Theory Application
Resource Based View
Formal Language
Quantification of Concepts
Natural Language
Correspondence Theory Field Study
Socio-Technical System
Internet Enabled Business
Transactions
IS ArtefactCorporate Information System + Interfaces to
the Internet
Action SystemBusiness Transactions
with Customers and Suppliers
HypothesisEffect of Net-
Enabled Value on Performance
Coherence Theory
Consensus Theory
Virtual Discourse
Literature Review
Conceptual FrameworkNet-enabled Resources and
their Effects
Interpretationadaptation and application of theory
motivation of hypothesesdiscussion of results
Particular Configuration A
Formal Language
Petri NetXML
Natural Language
Socio-Technical System
Internet Enabled Business
TransactionsIS Artefact
Cross-Organisational WFMS
Action SystemCross-Organisational Business Processes
HypothesisNeed for Cross-Organisational
Workflows
Conceptual FrameworkWorkflow; Workflow Control
Structures
Design Artefact
PurposeIncreased Productivity
through Cross-Organisational Workflow
Management
PrototypeImplementation
of WFMS
Adequacy
Particular Configuration B
instance of
Selection of Core Knowledge Contribution
Test of Possible Elements
Selection of Most Appropriate Elements
Refinement of Configuration
Evaluation/Reconfiguration
1
2
3
4
5
Process Model
Abstract Knowledge Contribution
Justification Criterion
Justification Process
Knowledge Contribution
Representation
Research Subject
Epistemological Objective
validated through
focussed at
supposed to justifyrefers to
represented through
refers to
specialized from
0,*0,*
refers to
specialized from
Meta Model
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
Dokumentation durch Modelle
210
Ulrich Frank - Configuration of Research Methods
is asupports
Epistemological Contribution
Abstract Knowledge Contribution
Justification Criterion
Justification Procedure
Representation
Knowledge Contribution
Critique
Construction
Critique of Abstraction of
Intentional
Critique of Abstraction of Factual
Abstraction of Intentional
ConceptualFramework
Abstraction of Factual
Design Artefact
Interpretation
Theory Application
Theory
Language
Semi-Formal Language
Formal Language
Natural Language
Truth
Formal Truth
Conformity Test
Correspondence Theory
Adequacy
Coherence Theory
Consensus Theory
Formal Proof
Case Study
Virtual Discourse
Literature Review
Experiment
Field Study
represented throughrequires
refers tosupposed to justifyvalidated through
optional
Socio-Technical System
Research Subject
IS Artefact
Action System
part of
Hypothesis
Purpose
Prototype
Refutation
Challenge
Evaluation
ApplicationDomain
neo-positivistisches Theoriekonzept durchaus nützlich sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt sind in der Wirtschaftsinformatik zumeist allerdings nicht erfüllt
erweitertes Theoriekonzept Blickwinkel auf mögliche zukünftige Welten erweitern Sinnstiftung als wichtiges Element der praktischen
Umsetzung (Konstruktion von Löstungen) von Theorien Ergänzung von Wahrheit um begründete Hoffnung
Dekonstruktion als regulative Idee – umfasst auch die Rituale und Konstruktionen institutionalisierterWissenschaft
Betonung von Freiheit, Abenteuer und intellektuellemHedonismus
Zum Schluss
© Ulrich Frank | Erweiterter Theoriebegriff
220
„Unschuld ist das Kind, ein aus sich rollendes Rad, ein Neubeginn, ein Spiel.”
Friedrich Nietzsche