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WIENER GESCHICHTSBLATTER Anna Schirlbauer Historische Standorte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Ein Ruckblick zum 200, Jahrestag der Grundung (Teil 2) Ruprecht Kamlah Joseph Joachims Guarneri-Geigen Eine Untersuchung im Hinblick auf die Familie Wittgenstein Manfred Mugrauer Klemens Friemel (1881-1961) Zur Erinnerung an den ersten kommunistischen Bezirksburgermeister von Favoriten im Jahr 1945 Thomas Winkeibauer Postwesen und Staatsbildung in der Habsburger Monarchie im 17. und 18. Jahrhundert Alfred Palecny Aspekte der Wiener Sparkultur Bemerkungen zum 60, Weitspartog in der 2. Republik

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WIENER GESCHICHTSBLATTER

Anna Schirlbauer Historische Standorte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Ein Ruckblick zum 200, Jahrestag der Grundung (Teil 2)

Ruprecht Kamlah Joseph Joachims Guarneri-Geigen Eine Untersuchung im Hinblick auf die Familie Wittgenstein

Manfred Mugrauer Klemens Friemel (1881-1961) Zur Erinnerung an den ersten kommunistischen Bezirksburgermeister von Favoriten im Jahr 1945

Thomas Winkeibauer Postwesen und Staatsbildung in der Habsburger Monarchie im 17. und 18. Jahrhundert

Alfred Palecny Aspekte der Wiener Sparkultur Bemerkungen zum 60, Weitspartog in der 2. Republik

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Impressum

0GB Herausgeber und Verlag Verein fur Geschichte dar Stadt Wien ZVR: 219586106 DVR: 0468801

Si Redaktion Univ.-Doz. MMag. Dr Andreas Weigl Tel.:-t-431 4000 84871 [email protected] Lektorat: Mag. Dr Susanne Claudine Pils, MAS

Wiener Stadt- und Landesarchiv (MA 8) Gasometer D, Gugigasse 14,1110 Wien Postanschrift: Rathaus, 1082 Wien Zusendung von Manuskripten an o.a. Postanschrift

Fur den Inhalt der einzelnen Beitrage sind die Verfasserlnnen verantwortiich.

Briefe an Autorinnen und Autoren werden von der Redaktion weitergeieitet.

WIENERSS STADTISCHE VIENNA INSURANCE GROUP

^Bank Austria UrtOedt Group

Druck:DonauForumDruck, 1230 Wien

Gedruckt mit freundlicher Unterstutzung der Magistratsabteilung 7 - Wlssenschafts- und Forschungsforderungen

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Inhalt

Beitrage Seite

Anna Schirlbauer Historische Standorte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Ein Ruckblick zum 200. Jahrestag der Grundung (Teil 2) 1

Ruprecht Kamlah Joseph Joachims Guarneri-Geigen Eine Untersuchung im Hinblick auf die Familie Wittgenstein 33

Manfred Mugrauer Klemens Friemel (1881-1961) Zur Erinnerung an den ersten kommunistischen Bezirksburgermeister von Favoriten imJahr1945 59

Thomas Winkeibauer Postwesen und Staatsbildung in der Habsburger Monarchie im 17. und 18. Jahrhundert 69

Alfred Palecny Aspekte der Wiener Sparkultur Bemerkungen zum 60. Weitspartog in der 2. Republik 87

Biographien der Autorinnen und Autoren 97

Literatur zur Geschichte und Helmatkunde Bucherschau 98

Informaticnen und Veranstaltungen Newsletter Veranstaltungen unseres Vereins

104 104

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Ruprecht Kamlah Joseph Joachims Guarneri-Geigen Eine Untersuchung im Hinblick auf die Familie Wittgenstein

In der Biografie von Andreas Moser uber Joseph Joachim' erfahrt der Leser wenig bis nichts daruber, welche Geigen der Meister im Laufe seines Lebens gespielt beziehungswei-se besessen hat. Gleiches gilt auch fiir das aktuelle, wohl bisher ausfiihrlichste Werk iiber Joachim, die mit umfangreichen Quellenangaben und Hinweisen reich ausgestattete Dar-stellung von Beatrix Borchard.^ Dagegen kann den im Internet heute zuganglichen Ver-zeichnissen viel dariiber entnommen werden, welche beriihmten Geigen angeblich durch Joseph Joachims Hande gegangen sind. Bei einem englischen Artikel in Wikipedia sind es 24,' bei Cozio Publishing LLC 20." Auf diese Informationen stiitzt sich neben weite-ren Quellen der jiingst erschienene Aufsatz von Dieter Gutknecht.' Sehr lesenswert ist der Aufsatz von Albert Mell, „Joseph Joachim, a Connoisseur of fine Violins".® Daraus entneh-men wir, dass Joachim, wie die anderen beriihmten Geiger seiner Zeit und die Kunstler bis heute, die Geigen von Antonio Stradivari bevorzugte, von denen zum Beispiel bei Cozio elf Stuck beschrieben sind. Er beachtete aber nicht nur Instrumente fiir den Konzertgebrauch, vielmehr muss sein Interesse viel weiter gespannt gewesen sein. Der Sammlung alter Mu­sikinstrumente bei der staatlichen Hochschule fiir Musik zu Berlin spendete beziehungs-weise vermachte er zu verschiedensten Zeiten sechs originelle Musikinstrumente,^ die leider in der Sammlung im zweiten Weltkrieg bis auf eines verloren gegangen sind. Hier wollen wir uns mit der anderen beriihmten Geigenbauerfamilie befassen, der Guarneri-Famihe. Denn Joseph Joachims internationale Laufbahn begann mit einer Guarneri-Geige.

In Wikipedia heifit es: „As a child, Joachim played a Guarneri del Gesu, which he gave to Felix Schumann, after he acquired his first Stradivarius. " Der Autor zahlt dann die vielen (24) Geigen auf die Joachim gespielt und besessen haben soil. Unter anderem wird ohne Angabe eines Jahres erwahnt: „Joachim also played a Guarneri del Gesu, lo­aned by the Wittgenstein-Family, perhaps a 1737 Guarneri del Gesu?"®

Solche Aussagen kann man an anderer Stelle auch lesen, sie werden immer wie-der ohne Quellenangabe zitiert.' Dagegen ist bei Hill'" in dessen Standardwerk iiber

' Andreas MOSER, Joseph Joachim. Ein Lebensbild, Berlin 1908. ^ Beatrix BORCHARD, Stimme und Geige, Wien - Koln - Weimar 2005; desgl. Michele CALELLA und Christian GLANZ,

(Hg.) Joseph Joachim (1831-1907): Europaischer Burger, Komponist, Virtuose, Anklaenge 2008, Wiener Jahrbuch fur Musikwissenschaft, Wien 2008.

' http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Joachim (Zugriff 31. August 2011). ^ http://www.cozio.com/ Suchmaschine von Cozio Publishing LLC Boston - Rapperswil, Joseph Joachim (Zugriff

13. November 2007). ^ Dieter GUTKNECHT, Zu den Instrumenten des Geigers Joseph Joachim (1831-1907), in: Gerd NAUHAUS - Ute BAR

(Hg.), Schumann-Studien 10, Sinzing 2012, 109. ' Albert MELL, Joseph Joachim, a Connoisseur of fine Violins, in: Journal of the Violin Society of America 16 (1999),

135-155. ' Curt SACHS, Sammlung alter Musikinstrumente, beschreibender Katalog, Berlin 1922, 119, 132, 136, 140, 152, 334.

Vgl. Anhang. ® Vgl. Anm. 3. ' BORCHARD, Stimme (Anm. 2), 81; GUTKNECHT, ebd. 110; Gerhard STRADNER, Das Portrait eines jungen Geigenvirtuosen - Zur Identifikation der dargesteUten Person sovrie ihrer Violine, in: Geigen - Spiel - Kunst. Joseph Joachim und der „wahre" Fortschritt. Katalog zur Sonderausstellung im Haydn Haus, Eisenstadt 3. Marz - 11. November 2007. Burgenlandische Heimatblatter 69/2 (2007), 72 £ WiUiam Henry HILL, The Violin-Makers of the Guarneri Family, London 1931.

68, Jahrgang - Heft 1/2013

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34 Ruprecht Kamlah

Guarneri-Geigen der Name Joseph Joachim fiir eine Guarneri del Gesu-Geige nicht zu finden. Nach Hill hatte Joachim keine dieses Meisters gespielt. Wie war es wirklich? Zu-nachst soil besonders seiner ersten Guarneri-Geige nachgeforscht werden.

I. Joachims Guarneri

Von Pest iiber Wien nach Leipzig

Joseph Joachim wurde am 28. Juni 1831 in Kittsee, Ungarn, geboren, 1833 iibersiedelte die Familie nach Pest. Dort erhielt er seinen ersten Geigenunterricht von einem Stu-denten namens Stieglitz, der ihm angeblich eine Spielzeuggeige schenkte," spater vom Konzertmeister der Pester Oper, dem Polen Stanislaus Serwaczynski. Mit sieben trat das Kind im Pester Adelskasino das erste Mai offentlich auf. Bei einem Besuch der Ver-wandten aus Wien iiberredete die Cousine Fanny Figdor die Eltern, Friedrich'^ Joachim und Fanny (Franziska), geborene Figdor, den Jungen zum weiteren Studium nach Wien zu geben, wo er zunachst von Georg Hellmesberger unterrichtet werden sollte, der ihn wegen seiner zu schwachen rechten Hand als ungeeignet fiir den Beruf ablehnte. Durch Vermittlung von Heinrich Ernst kam der Junge zu Joseph Bohm, einem hervor-ragenden Geigenpadagogen. Dort wohnte er auch.'"

Anlass fiir diese Untersuchung war das von Dr. Gerhard Stradner, Wien, entdeckte Bild des jungen Joseph." Stradner nahm naturlich an, der Junge habe die Guarneri del Gesu 1737 „Joachim" in der Hand, hatte aber doch Zweifel und trat an Nachkommen der Wittgensteins heran, um die Vermutung zu iiberpriifen. Eigenartigerweise ist iiber Joachims Kindergeige in der Literatur zwar einiges, wenn auch Widerspriichliches zu erfahren, iiber die erste voile Geige dagegen wenig. Wie oben erwahnt, soil der Student Stieglitz ihm seine erste Geige geschenkt haben.'® Dagegen wird berichtet, der Vater habe ihm die Geige auf dem Jahrmarkt gekauft.'^ Vermutlich wird das nur eine halbe Geige gewesen sein. Nach allgemeiner Erfahrung werden Kinder spater auf einer %-Geige un­terrichtet, um mit circa zwolf oder 13 Jahren die erste ganze Geige zu erhalten.

Fanny Figdor war eine Tochter von Wilhelm Figdor und Amalie Veit. Die Mutter von Joseph Joachim hiefi auch „Fanny" und war eine Schwester von Wilhelm Figdor. Fanny Figdor heiratete einen Wollkaufmann aus Leipzig, Hermann Wittgenstein, und holte den Jungen 1843 nach ihrer Ubersiedlung von Wien nach Leipzig an das neu gegriindete Leipziger Konservatorium. Da war Joachim zwolf und die Zeit gekommen, eine ganze

" MOSER, Joachim (Anm. 1), 5; Joachim STRUNKEIT, Joseph Joachim, Musikgeschichte im Spiegel der Berliner Friedhofe, in: Verein fur die Geschichte Berlins, Mitteilungen 4/2003; Anderer Ansicht ist Otto GUMPRECHT, Neue musikalische Charakterbilder: Joseph Joachim, Leipzig 1876, 261; Adolf KOHUT, Joseph Joachim. Ein Lebens- und Kiinstlerbild, in: Festschrift zum 60. Geburtstag am 28. Juni 1891, o. O. [1891], 4 f Der Vater habe eine Kindergeige am Jahrmarkt gekauft; Robert W. ESHBACH, Joachim's Youth - Joachims Jewishness, The Musical Quarterly, Oxford University Press 2012, Nr. 94, 548-592, 557. „Friedrich" laut Ahnengeschichte GIULINI - WALZ, Der Ahnenkreis Figdor, privates Typoskript, laut Aufzeichnung von Chris Nohl dagegen: ,.Julius".

" GUMPRECHT, Charakterbilder (Anm, 11), 263. Otto BIBA, „Ihr Sie hochachtender, dankbarer Schiiler Peppi". Joseph Joachims Jugend im Spiegel bislang unveroffentlichter Briefe, in: Die Tonkunst 2007,200-203; Robert W. ESHBACH, (Anm. 11); ders. Joachims Jugend, Die Tonkunst 2007, 522-536. STRADNER, Das Portrait (Anm. 9), 66-68, 72-75.

" STRUNKEIT, Joachim, (Anm. 11). " GUMPRECHT, Charakterbilder (Anm. 11), 261; KOHUT, Joachim (Anm. 11), 4 f; ESHBACH, Joachims Jugend (Anm. 11).

Wiener Gesohichtsblatter

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Joseph Joachims Guarneri-Geigen 35

Abb. h Joseph Joachim, Olbild von Berthold Fischer, 1844. (Privatbesitz, mit freundlicher Erlaubnis des Eigentiimers)

Geige zu benotigen. Was liegt naher, als zu vermuten, dass Wittgensteins ihm diese Geige kauften, denn seine Eltern hatten sich eine Guarneri kaum leisten konnen.'® Als Kaufer kommt aber auch ein Onkel (die Mutter hatte acht Geschwister!) aus der Familie Figdor in Wien infrage, der ihm spater mit einem Zuschuss zum Kauf seiner ersten Stradivarius ausgeholfen hat. In Leipzig kam Joachim zu Felix Mendelssohn-Bartholdy. Er wohnte nur kurz bei den Wittgensteins, schon mit 13 Jahren bewohnte er ein eigenes Zimmer. Der Konzertmeister des Gewandhausorchesters, Ferdinand David, konnte ihm nichts mehr beibringen, auch Mendelssohn hielt seine Ausbildung fiir technisch abgeschlossen. Wittgenstein soil auf die Frage Mendelssohns, was er dem Jungen denn noch beibringen solle, gesagt haben: „Er soil Ihre Luft atmen". So war es dann auch. Mendelssohn sorgte fiir die musiktheoretische Weiterbildung. Durch Privatlehrer erhielt Joachim eine pro-funde Allgemeinbildung, bald konnte er Englisch und Franzosisch in Wort und Schrift.

Mit 13 Jahren mit IVIendelssohn in London

Mendelssohn brachte den jungen Virtuosen 1844 nach London und ermoglichte, dass er sich am 24. Mai dem dortigen Publikum ausgerechnet mit dem als absolut undankbar geltenden Beethoven-Violinkonzert vorstellen konnte. Der Riesenerfolg konnte nicht besser dokumentiert werden als in dem erhaltenen Brief Mendelssohns an Hermann Wittgenstein, wo es heifit: Ein Jubel des ganzen Publicums, eine einstimmige Liebe und Hochachtungaller Musiker [...] haben Sie Dank, dass Sie und Ihre Gemahlin die Ursache waren, diesen trejflichen Knaben in unsere Gegend zu bringen."

" Joseph Joachims Vater handelte mit Wolle. Die Familie mit sieben Kindern war nicht wohlhabend. BORCHARD, Stimme und Geige (Anm. 2), 76, 78. Nach anderer Ansicht war er ein wenig bemittelter Geschaftsmann. GUMPRECHT, Charakterbilder (Anm. 11), 261, - ein wenig bemittelter Lehrer; KOHUT, Joachim (Anm. 11), 4 f.

" Der voile Wortlaut abgedruckt bei MOSER, Joachim (Anm. 1), 63 f; BORCHARD, Stimme und Geige (Anm. 2), 87 f.

68, Jahrgang - Heft 1/2013

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36 Ruprecht Kamlah

Abb. 2: Fanny Wittgenstein, geborene Figdor mit den drei Altesten. (Besitz Ruprecht Kamlah)

Auf welcher Geige er seinen Erfolg zuwege brachte, wird in der Literatur nicht er­wahnt. Nur Beatrix Borchard schreibt - wie Wikipedia und-andere - in ihrer Biogra-phie, dass Joachim damals eine von den Wittgensteins gehehene Guarneri del Gesu hat­te und sie diese in Handen hielt.^° Das wird auf Grund der plausiblen Darstellung dann auch in anderen Abhandlungen zitiert.^'

Joseph Joachim kauft seine erste Stradivari

Im Alter von 19 Jahren kaufte Joachim seine erste Stradivari von dem Bremer Kauf-mann Eduard Moller. Der Vorgang ist in einem noch unveroffenriichten Brief an sei­nen Bruder Heinrich in Oxford dokumentiert.^^ Dieser Brief wirft ein Licht auf Josephs Verhaltnis zu seinem Vormund Hermann Wittgenstein und Fanny. Joseph beschwert sich in dem Brief, dass sie ihm den Kauf nicht erlauben wollten, weil sie die Geige als zu teuer empfanden. Zwar hatte er von seinem Onkel Bernhard eine Summe von 100 Pfund und von anderen „Wiener Oncles" 1.000,- flcm zur Verfiigung und hatte von seinem eigenen Geld noch 50 Louisdor geben miissen. Fanny wollte aber nicht erlau­ben, dass er von seinem Geld als noch nicht „majorenn" so viel dazugebe. Joachim war nach damaUgem Recht noch minderjahrig, reiste aber als Geiger schon in ganz Europa und kannte sich bestens aus." Erst in einem spateren Brief meldet er Vollzug des Kaufs und lobt Fanny: Es bleibt mir nun auch noch bei der Geige Ubrig, dir zu sagen, dass Fanny durch ihren Eifer, mir dieselbe zu verschaffen wieder gut gemacht hat, was ihr Misstrauen

BORCHARD, Stimme und Geige (Anm. 2), 81. Wenn man liest, wie die Autorin durch einen - einem Lottogewinn

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Joseph Joachims Guameri-Geigen 37

verderben konnte.^* Der Kauf kam zustande, weil er von seinem Onkel Nathan Figdor noch einen Zuschuss von 50 Louisdor bekommen hatte. Im Umkehrschluss ist daraus zu folgern, dass Joachim bis zu diesem Kauf keine Strad gespielt hat, eine Guarneri also wahrscheinlich ist. Die von Borchard besichtigte Guarneri-Geige in Karlsruhe wurde nach Angaben der Besitzer Joachim nur geliehen und nach Joachims Tod der Fami­lie zuriickgegeben. Sollte es zutreffen, dass Wittgensteins ihm diese oder eine andere Guarneri geliehen haben, dann ware sie wohl jetzt, nicht erst nach seinem Tod, wie Borchard schreibt, zuriickgegeben worden. Die von Borchard betrachtete und genannte Guarneri ist richtigerweise eine Petrus Guarnerius 11.^®

Ein Geigenkenner

Schon 1853 schreibt Joachim in einem Brief an Gisela v. Arnim: Ich bin gestort warden!! Es war ein alter Herr, den ich auf heute bestellt hatte - er war aus Osnabriick eigens ge­kommen, um mir seltene, italienische Instrumente zu zeigen?^ 1854 schreibt er an Bern-hard Cofimann: Wegen Morenas Violine miissen wir consultieren [...], mir ist doch mein Guarnerius angenehmer}^ Und April 1855 an denselben: Wie kann ich dem alten Morena wieder seine Geige zustellen, und meine wiedererlangen? [...] ich ware die Violine gerne wieder los.^ Aus Venedig Mai 1856 heifit es an Gisela v. Arnim: Graf Flemming war sehr gastfreundlichgegen mich, wahrscheinlich in Erinnerung Weimar'scher Tage [...] er hatte eine Menge italienischer Instrumente mir zu gefallen aufgetrieben, fiir die ich mich natiir-lich hdflichst interessierte, es war wirklich eines von sehr edlem Klang dabei.^^

Wie diesen Briefstellen zu entnehmen ist, wurden Joachim schon am Anfang sei­ner Karriere wertvolle Geigen von alien moglichen Seiten zum Kauf angeboten oder er als Kenner dazu befragt. So hat er unter anderem den Germanisten Herman Grimm (Sohn von Wilhelm Grimm), mit dem er befreundet war, beim Kauf einer Geige aus der Werkstatt des Gagliano beraten.'" Vor diesem Hintergrund ist unwahrscheinlich, dass er es notig hatte, von den Wittgensteins eine Geige zu leihen. Wenn das der Fall war,

Brahms-Institut, Liibeck, Autograph Nr. 1991.2.50.6: Brief „am letzten Sept. 50". Auskunft des Eigentiimers, ein direkter Nachfahre der Wittgensteins. Er hat seine Geige durch einen erstklassigen Geigenbauer restaurieren lassen und nie eine andere Angabe iiber den Hersteller des Instruments gemacht. Wenn die Angaben der Familie iiber Leihe und Riickgabe der Geige zutreffen, ist die Anonymitiit der Geige erklarlich. Denn dann wurde nie ein Kauf durch einen Geigenhandler in dessen Aufzeichnungen erfasst. Durch solche Aufzeichnungen u.a. wissen wir heute iiber die Provenienz der beriihmten Instrumente. Die Angaben der Familie beruhen auf miindlicher Uberlieferung. deren Richtigkeit nicht ausgeschlossen ist, deren Zuverlassigkeit andererseits gering ist, wie wir im Verlauf dieser Abhandlung an anderen Beispielen noch sehen werden. Zwischen der mutmaClichen Riickgabe und dem jetzigen Eigentiimer liegen drei Generationen, Schon die miindliche Ubermittlung an Borchard stimmt mit deren Wiedergabe in Borchards Buch nicht iiberein. Borchard (BORCHARD, Stimme und Geige [Anm. 2]) klart Leserinnen und Leser auf Seite 81, Anm. 40, uber die Verwandtschaftsverhaltnisse bei Wittgensteins auf und nennt die ledige Clara Wittgenstein falschlicherweise als Mutter des Philosophen Ludwig Wittgenstein und dessen Bruder Paul, dem Pianisten. Richtig ist sie die Xante, die Mutter ist Leopoldine Wittgenstein, geborene Kalmus. Bei deren Mann Karl Wittgenstein fanden Hausmusiken statt. Er war ein hervorragender Geiger. Von den elf Kindern der Wittgensteins kame er nach einer „Riickgabe" der Geige an die Familie als Geiger am ehesten als nachster Besitzer der besagten Geige infrage. Dass er diese Geige gespielt oder besessen hat, wird nicht uberliefert. Johannes JOACHIM - Andreas MOSER, (Hg.) Briefe von und an Joseph Joachim. Bd. 1, Berlin 1913, 107.

" JOACHIM - MOSER, Briefe (Anm. 26), Bd. 1, 238. ^ JOACHIM - MOSER, Briefe (Anm. 26), Bd. 1, 279. JOACHIM - MOSER, Briefe (Anm. 26), Bd. 1, 341. Ulrich WYSS - Andreas HAUSLER, Wissenschaftsgeschichte der Germanistik, in: Christoph KONIG - Hans-Harald MULLER - Werner ROCKE (Hg.), Portraits, Berlin - New York 2000, 130; GUTKNECHT,ZU den Instrumenten (Anm.5),I2, weist auf Joachims Kennerschaft hin.

68. Jahrgang - Heft 1/2013

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38 Ruprecht Kamlah

SO hatte er sie zuriick gegeben. Im Brief an Cofimann bezeichnet er sich als Eigentiimer seiner Guarnerius.''

Freundschaft mit Schumann und Brahms, Schumanns Tod 1856

Schon in Leipzig lernte Joachim Robert Schumann kennen, dem er seine Kompositionen vorlegte'^ wechselte nach Mendelssohns friihem Tod als Geiger nach Weimar an die Hofkapelle zu Franz Liszt, um unter seiner Anleitung auch zu komponieren. Dies soil ganz gegen den Willen der Wittgensteins gewesen sein, die ihn nach den Ausfiihrungen von Borchard angeblich drangten, das Leben eines reisenden Virtuosen aufzunehmen und Geld zu verdienen. Denn die Wittgensteins forderten angeblich den „Lohn fur ihre Investition".'' Auch wenn dies wenig oder nichts mit dem Anliegen dieser Abhandlung zu tun hat, muss dem entgegengetreten werden'". Lohn fiir ihre Investition war das letz-te, was Wittgensteins angesichts ihrer Bildung und Vermogenslage notig hatten. Wenn Fanny ihren Cousin als „Krone des Familiengliicks" bezeichnete, war der ideelle Ruhm angesprochen, den die Familie nach Kraften auch in der nachsten Generation forderte.'^ Fritz Busch schreibt in seinen Erinnerungen, dass er einem Wunderkind, in seinem Fal-le Jehudi Menuhin, die vollkommene Ruhe wiinsche, in der sich in gliicklichen Fallen das Wunderkind zum Meister entfalten kann. Und weiter: „solche Gnade war einmal Joseph Joachim beschieden, dem in fruher Jugend in den gefahrlichen Entwicklungs-jahren einsichtige Ratgeber die Mufie zum Ausreifen sicherten. [...] So wurde Joachim zum alle anderen iiberragenden Geiger seines Jahrhunderts."'® Diese Ruhe fand Joachim durch Wittgensteins bei Mendelssohn und nach dessen Tod bei Liszt. Joachim sollte sich aber auch schnell wieder von Liszt emanzipieren und die Stelle eines Konzertmeis-ters der Hofkapelle am koniglichen Hof in Hannover iibernehmen. Hier traf er bei des­sen erstem Auftauchen Johannes Brahms. Aus der Begegnung entwickelte sich eine der fruchtbarsten und intensivsten Kunstlerfreundschaften der Musikgeschichte.'^ Beide waren mit Schumanns sehr eng verbunden, bis zu Robert Schumanns tragischem Ende.

Fortdauernde Freundschaft mit Clara Schumann

Nach Robert Schumanns Tod blieben Brahms und Joachim aufs engste mit Clara Schu­mann verbunden, sowohl zusammen musizierend und auftretend, als auch familiar. Als der Sohn Felix Schumann 1854 geboren wurde, wiinschten Robert und Clara Schu-

JOACHIM - MOSER, Briefe (Anm. 26), Bd. 1, 238. Robert W. ESHBACH, Schumann als Mentor, Joseph Joachims „Blick auf Schumann", Die Tonkunst 2010, 352ff.

" BORCHARD, Stimme und Geige (Anm. 2), 90. ESHBACH, Joachims Jugend, Die Tonkunst 2011, 176ff, ders,, Joachims Youth, (Anm. 11) 564: Hier zeigt Eshbach auf, daC Joachims Entwicklung von ganz anderen, vornehmlich geistigen Beziehungen beeinfJufit war, als der verengte Blick auf auf finanzielle Umstande und seine jiidische Abstammung. Der Wohlstand der Familie kann wohl nicht besser dadurch belegt werden, dass die Familie bei der Ubersiedlung von Gohlis nach Wien nicht bei Verwandten in der Leopoldstadt unterkam, sondern das Schloss Vosendorf als ersten Wohnsitz benutzte. Die elf Kinder konnten von ihrem Erbe (je 1/11) als Privatiers leben, zum Beispiel die von Borchard (BORCHARD, Stimme und Geige [Anm. 2]) erwahnte Clara wohnte umgeben von standesgemafiem Personal abwechselnd im Palais Kaunitz in Laxenburg, in einer Wohnung am Opernring oder in ihrem Sommersitz, einem Land- und Waldgut Griesau in Zell am See. Die jiingste Schwester lebte unverheiratet in Paris. Dies kann der Verfasser als Nachkomme von Herman und Fanny Wittgenstein aus eigener Kenntnis beisteuern.

" Fritz BUSCH, Aus dem Leben eines Musikers, Zurich 1949, 176. Hans Joachim MOSER, Musikgeschichte in hundert Lebensbildern, Stuttgart 1958, 739.

Wiener Gesohichtsblatter

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Joseph Joachims Guameri-Geigen 39

mann, dass Joseph Joachim Pate werde. Er konnte als Jude aber die Patenschaft nicht iibernehmen. Das krankte ihn sehr, hinderte ihn aber nicht daran, sich als der eigentli-che Patenonkel des Jungen zu fiihlen. Erst spater nahm Joachim in Hannover die Prose-lytentaufe und konvertierte aus innerer Uberzeugung.

Als Felix Schumann 6 Jahre alt war, bot Joseph Joachim in einem Brief an Clara Schumann ihr seine „Guarneri" an:

(Hannover, 22. Dezember 1860) Fiir den kleinen Geiger, der doch eigentlich nach Ihrem Wunsche mein Pathchen war,

habe ich mir etwas ausgedacht, das Sie mir gewdhren miissen. Ich mochte ihm ndmlich meine Guarneri-Geige schenken, auf der ich zuerst in Leipzig offentlich gespielt habe, und die ich erst, seitdem ich die Stradivarius-Violine vor 10 Jahren bekam, nicht mehr offent­lich beniitze. Sobald seine Fingerchen nicht mehr „zu kurz" sind, soil er sie ganz in die Hande bekommen. Dann wird er hoffentlich auch mein Schiiler. Sie dUrfen aufkeinen Fall „nein" sagen, denn das Instrument ist mir so lieb, dass ich's dennoch nie verkaufen wiXrde; und ich sorge also nur, dass es auf eine edle Weise benutzt wird, da ich ja doch nicht darauf spiele.

Diese Briefstelle ist die erste ausfiihrliche Erwahnung seiner „Guarneri". Spater vollzog er dieses Angebot und liefi die Geige durch seine Frau Amalie verpacken und Felix Schumann schicken, was wir einem Brief an Amalie entnehmen konnen:

(Wien, 18. Dezember 1867) An Frau Schumann weifi ich nichts zu schicken, aber wenn Du kannst, so suche doch

mit Hiilfe von Riechers [Geigenbauer in Berlin] die Guarneri aus meinen Violinen her-vor, lasse sie gut verpacken, versichern und schicke sie an den Felix Schumann durch Grimms. Ich hatte sieja immer diesem meinem ideellen Pathchen zugedacht. Das kannst Du dabei schreiben, wenn Dir das Ganze recht ist.

Die obigen Briefzitate sind'® der interessierten Offentlichkeit bekannt. In der Liste von Joachims Geigen bei Wikipedia heifit es daher, wie oben in der Einleitung zitiert.

" Abgedruckt bei JOACHIM - MOSER, Briefe (Anm. 26).

Abb. 3: Brahms und Joachim. (Brahms-Institut an der Musikhochschule Lubeck, LubeckNr. 10160, Klagenfurt 1867)

68. Jahrgang - Heft 1/2013

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Ruprecht Kamlah

Genauer ist das nachzulesen bei Albert Mell,'' wo es abschliefiend heifit: „The subse­quent history of Felix Schumann's Guarnerius is not known. Could it be identical with the violin known today as the Joachim?"

Nein, sie ist damit nicht identisch. Aus diesen Briefstellen sind wichtige Schliisse zu Ziehen: Joachim hatte jedenfalls eine eigene Guarneri-Geige, die nicht geliehen war, son­

dern ihm gehorte. Denn eine geliehene Geige hatte er nicht verschenken diirfen. Wenn Joachim nach seinen Worten diese Geige bis zu seinem 18. Lebensjahr in

Leipzig offentlich spielte, dann hat er wohl darauf auch das Beethoven-Violinkonzert in London gespielt und diesem Werk auf diesem Instrument durch sein Spiel zur end-gultigen Anerkennung beim Publikum verholfen. So ist zu erklaren, dass er sie so liebte und nie verkaufen wollte.

Wenn er seiner Frau schrieb, sie solle zusammen mit Riechers aus seinen Geigen „die Guarneri" hervorholen, dann hatte er zum Zeitpunkt nur eine Guarneri in seinem Besitz. Hatte er daneben noch eine geliehene besessen, hatte er die eigene in seinem Brief zur Unterscheidung beschreiben miissen, damit sie nicht verwechselt wird.

Eine Leihe durch die Wittgensteins erwahnt er nicht, eine solche ist nicht belegt. Die Familie durfte ihm das Instrument zum Eigentum gegeben haben, wenn er es nicht schon vor dem Kontakt mit Wittgensteins besafi, was eher unwahrscheinlich ist.""

Felix Schumann

Wir wissen doch etwas mehr iiber die Geige von Felix Schumann. Er wollte wirklich Gei­ger werden. Doch schon friihzeitig tauchten Zweifel auf, ob seine Begabung dazu ausrei-chen wiirde. In einem Brief vom 11. Mai 1867 schreibt die Mutter an ihn, er solle sich das gut iiberlegen. Um ein Kiinstler auf der Geige zu werden, der seinem Namen Ehre mache, brauche es sehr viel: Du kannst, wie Du sagst, Deinem Namen nurgerecht werden, wenn Du ein ganz besonderes Genie als Musiker entwickelst und mit diesem enorm fleifiig studierst. Sie rat ihm ab und verlangt, dass er sich von Joachim priifen lasse."' In einem Brief an die Mutter vom 10. August 1869 hat Felix selbst Zweifel, ob er den Beruf des Geigers einschlagen solle."^ Die Mutter verlangt, dass er erst sein Abitur ablege."'

Es hat tatsachlich auch ein Vorspiel bei Joachim gegeben. Joachim berichtet iiber seinen Eindruck in einem Brief an Clara Schumann, dass Felix die Beethoven-Romanze ganz sauber und ordentlich spiele, er aber von der Begabung des Jungen noch nicht iiberzeugt sei, und ein endgiiltiges Urteil nicht abgeben wolle, bevor Felix nicht iiber eine langere Zeit bei ihm Unterricht gehabt hatte."" Dazu kam es nicht.

Felix legte ein glanzendes Abitur ab. Danach aber wurde 1872 - auch nach Rat der Arzte - entschieden, dass Felix die Ausbildung als Berufsmusiker nicht fortsetzen soll­te. Sein Gesundheitszustand war nicht befriedigend. Er schrieb sich in Heidelberg in Jura (wie sein Vater) ein und spielte weiterhin im Museumsorchester Heidelberg in der

" MELL, Connoisseur (Anm. 6), 142, Anm. 2. " Zu den Vermogensverhaltnissen bei Joachims Eltern siehe Anm. 18.

Eugenie SCHUMANN, Erinnerungen, Stuttgart 1925,115. " SCHUHMANN, Erinnerungen (Anm. 39), 119.

SCHUHMANN, Erinnerungen (Anm. 39), 125. " Eva WEISSWEILER, Nachwort, in; Eugenie SCHUMANN, Claras Kinder, Koln 1995, 328.

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Joseph Joachims Guarneri-Geigen

Abb. 4: Felix Schumann, Profilbild, Carte de Visite. (Robert-Schumann-Haus, Zwickau; Archiv-Nr.: 5296-B2v)

2. Geige mit."' 1873 erkrankte er unheilbar an einer Brustfellentzundung. Auf Rat der Arzte lebte er im Winter vorwiegend im Siiden, in Italien und der Schweiz, wohin er zum Philosophiestudium nach Zurich wechselte."® Wir miissen davon ausgehen, dass er die Geige Joachim zuriickgegeben hatte. Seiner Mutter machte er auCer durch seine Krankheit grofie Sorgen, indem er viel Geld verspielte und sie ihm aus der Klemme helfen musste.

Wann genau die Geige Joachim zuruckgegeben wurde, konnte nicht ermittelt wer­den. Sicher ist aber, dass Joachim seine Guarneri zuriickerhielt. Denn in einem Brief an ihn vom 23. April 1877 bittet Felix darum, ihm die Geige wieder zu iiberlassen:

Als Sie voriges Jahr in Meran waren, hatten Sie die Freundlichkeit mich zu fragen, ob ich vielleicht die Violine, die ich ehemals besessen, wieder haben mochte. Ich lehnte da­mals Ihr freundliches Anerbieten ab, erstens weil ich noch zu schwach war, um fleifiig ein solches Instrument zu benutzen, zweitens weil ichfiirchtete, es einem wUrdigeren Besitzer zu entreifien. Wenn nun diese Furcht auch noch dieselbe ist, so veranlasst mich doch der Plan, diesen Sommer wieder Stunden zu nehmen und technische Studien zu machen, bei Ihnen bescheiden anzufragen, ob Sie geneigt und iiberhaupt imstande sind, das Instru­ment wieder meinen Handen anzuvertrauen. Meine Mutter wiirde dann fiir die sorgfalti-ge Verpackung und Versendung Sorge tragen."^

Die bei ihm weilenden Geschwister sollen diese Bitte missbiUigt haben."® Sie haben wohl die nochmalige Schenkung verhindert. Aus Tagebuchaufzeichnungen und Brie-fen der Mutter an Brahms geht hervor, dass Felix seine Gedichte veroffentlichen wollte, wovon die Mutter abriet, von Geigenstudium ist nicht mehr die Rede."' Felix reiste nach Neapel, wo ihn Brahms mit dem Arzt Dr. Billroth besuchte, der ihn untersuchte. Die Diagnose wurde der Mutter nur angedeutet, sie schreibt aber darauf an Brahms:'" Ich habe Idngst aufjede Hoffnung resigniert. Felix Schumann kehrt todkrank nach Frank­furt zuruck und stirbt dort am 16. Februar 1879.

SCHUMANN, Erinnerungen (Anm. 39), 134. * Renate HOFMANN, Clara Schumann und ihre Sohne, in: Schumann-Studien 6, Sinzig 1997,40. " WEISSWEILER, Nachwort (Anm. 42), 328. " http://de.wikipedia.org/wiki/Felix_Schumann_(Dichter), leider ohne Angabe der Quelle (Zugriff 11.10.2011). •" Berthold LITZMANN, Clara Schumann. Ein Kunstlerleben nach Tagebiichern und Briefen, Bd. 3, Leipzig 1908, zum

Beispiel Brief 20. August 1877. ™ Ebd., Brief 7. Mai 1878.

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Ruprecht Kamlah

Marie Soldat (1863-1955)

Im Sommer 1879 kam eine begabte junge Schiilerin zu Joachim an die Musikhoch­schule in Berlin. Von ihrem Vater wurde sie zunachst in Klavier und Orgel unterrich­tet, schon mit sieben, als sie mit ihren FuCen die Pedale noch nicht erreichen konnte, durfte sie in Gottesdiensten den Vater an der Orgel vertreten. Im achten Lebensjahr begann der Unterricht an der Geige bei Eduard Pleiner, Konzertmeister in Graz, der die Begabung des Kindes erkennend, ihr intensiven Unterricht gab. Mit zehn Jahren debiitierte sie mit der Fantaisie-Caprice Op. 11 von Vieuxtemps in Graz. Kurz danach starb Pleiner. 1878 inspirierte sie Joachim durch sein Spiel in einem Konzert in Graz, ihr Violinstudium fortzusetzen, und sie hatte den heiCen Wunsch, seine Schiilerin zu werden. Nach dem Tod des Vaters war die Familie aber in fmanzieller Bedrangnis und dazu nicht in der Lage. Durch Vermittlung kam sie zu August Pott, einem Schiiler von Louis Spohr, der ihr im Sommer Konzerte in den Badeorten organisierte, um sie Geld verdienen zu lassen.'' Da traf sie dann ihr Gliick. Wie sich das ereignete, lesen wir in einem riihrenden Artikel in der Neuen musikalischen Presse?^ Bei einer Hausmusik in Portschach spielte das junge Madchen von einer Dame am Klavier begleitet das Men-delssohn-Violinkonzert. Zufallig war Brahms zugegen. Nachdem er die Begabung ent-deckt hatte, vermittelte er kurz entschlossen, dass das junge Talent schon 14 Tage spater zu Joachim nach Salzburg zum Vorspiel kam. Sie wurde 1879 Joachims Schiilerin in Berlin. Barbara Kuhnen'' schreibt in ihrer Biografie iiber die Geigerin Marie Soldat wie der Unterricht in Berlin begann und kann aus Aufzeichnungen aus derselben Nachlass zitieren: Er borgte mir auch seine Lieblingsgeige mit der Bemerkung, sie solange behalten zu konnen, bis ich mir eine bessere als die meinige gekauft hdtte.^* Es gab in der Folge lange keine Bessere zum Kauf, es war Joachims „Guarneri".

Mit Marie Soldat erhielt sie eine in Joachims Augen wiirdige Spielerin. Sie behielt die Geige nach den bis heute gefundenen Erkenntnissen des Verfassers bis 1899, als sie die Guarneri del Gesu ex-Bazzini 1742 bekam, die heute auch als „ex-Soldat" gefiihrt wird. Sie verfiigte aber auch weiter iiber Joachims Guarneri bis lange nach Joachims Tod.

Marie Soldat spielte auf dieser Geige" 1884 in Wien als erste Frau'® das Brahms-Violinkonzert in der Gegenwart des Komponisten. Brahms kommentierte den Auftritt nachher von der Galerie des groCen Musikvereinssaals mit den Worten: Ist die kleine Soldat nicht ein ganzer Kerl! Nimmt sie es nicht mit zehn Mdnnern auf? Wer will das besser machenF

Das Brahms Violinkonzert wurde im 19. Jahrhundert von nur wenigen Geigern gespielt, natiirlich von Joachim aber auch vornehmlich von Marie Soldat, die es auch in Berlin als erste Frau unter Joachims Leitung gab." Mit drei anderen Frauen grundete sie

Tully POTTER, Brahms's Understudy, in: The Strad (1996), 1315-1317. Wien, Nr. 14, 2. April 1899. Bei POTTER, Brahm's Understudy (Anm. 49), wird der Vorgang noch ausfiihrlicher und etwas abweichend geschildert. Barbara KtiHNEN, Marie Soldat-Roeger, 1863-1955, in: Kay DREYFUS - Margarethe ENGELHARDT - Margarethe KRAJANEK - Barbara KUHNEN, Die Geige war ihr Leben. Drei Frauen im Portrait, Wien 2000, 34 f.

" KUHNEN, Soldat-Roeger (Anm. 51), 35. Aufzeichnung von Josefine OSER, geborene Wittgenstein, Privatbesitz.

56 POTTER, Brahm's Unterstudy (Anm. 49), 1317. Max KALBECK, Johannes Brahms III/l, 1874-81, Beriin 1910, 158; Barbara KUHNEN, Ist die kleine Soldat nicht ein ganzer Kerl, in: Elena OSTLEITNER - Ursula SIMEK, (Hg.) Ich fahre in mein geliebtes Wien, Wien 1996,137 f.

^ POTTER, Brahm's Unterstudy (Anm. 49), dort Naheres zur Auffuhrungsgeschichte dieses Werkes und die auCerordentliche Bedeutung von Marie Soldat dabei.

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Joseph Joachims Guarneri-Geigen 43

Abb. 5: Marie Soldat. (Foto: Sammlung Ruprecht Kamlah)

in Berlin ihr erstes Damen-Quartett, das in ganz Europa viele Jahre mit grofiem Erfolg konzertierte.''

Nach Joachims Tod erbte 1907 dessen alteste Tochter Maria Joachim die Geige. Frau Soldat wollte die Geige weiter behalten, konnte sich den Kauf aber nicht leisten. Daher kaufte Josefme Oser, geborene Wittgenstein, eine Tochter von Fanny Wittgen­stein, die Geige, um sie Frau Soldat weiterhin zu leihen. Der Kaufpreis betrug 2.000 RM, wie wir aus den Belegen wissen.®" Es war eine Guarneri filius Andreae.

Im Brief von Marie Joachim an Josefme Oser heifit es: Dafi Du die Geige iiberneh­men willst, freut mich sehr. - Fr. Roeger schrieb mir, dass sie sich so schwer davon trenne, dass sie aber selbst nicht in der Lage ware sie zu kaufen. Schon im Sommer, ohne zu ah-nen, dass Vater so krank war, hatte sie Vater gebeten, die Geige noch behalten zu diirfen, da sie im Quartett so schon kldnge.

® KUHNEN, Soldat (Anm. 51), 140 f. " Brief Marie Joachim an Josefme OSER, geborene Wittgenstein, Privatbesitz.

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Abb. 6: Guarneri Alius Andreae. (Foto: Hieronymus Koestler, Stutt­gart, 1994, Sammlung Ruprecht Kamlah)

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44 Ruprecht Kamlah

Josefme Oser schreibt iiber die Guarneri fihus Andreae in einer Beschreibung, die fiir die zweite Auflage des Liitgendorff,®' bestimmt war: Auf dieser Guarnerigeige hat Joachim bis zu seinem 18. Lebensjahr offentlich gespielt und Frau Roeger-Soldat hat das Brahms-Concert zu des Meisters EntzUcken auf dieser Geige im Jahre 84 in dem Gesell-schafts-Concert gespielt, die jetzt Frdulein von Planck im Roeger-Quartett spielt.

Warum die Geige dann aber in dem genannten Werk von Liitgendorff nicht er-schienen ist, kann man nur vermuten. Vielleicht kamen die dafiir angefertigten Fotos nicht rechtzeitig fiir die geplante Neuauflage.

Die Geige wurde also beim Tod von Joseph Joachim bereits im Damen-Quartett von Maria Soldat-Roeger durch die Geigerin Else Edle von Planck gespielt. Soldat lebte damals in Graz oder Wien. Sie lehrte Privatschiiler Geige in Wien und Graz. Josephine Oser und ihre Schwester Clara Wittgenstein waren mit Marie Soldat-Roeger befreun­det. Bei Clara Wittgenstein fanden des Ofteren Hauskonzerte statt, zu denen alle Fami-lienangehorigen geladen waren.

Abb. 7: Marie Soldat und Josefine Oser, geborene Wittgenstein. (Foto: Sammlung Ruprecht Kamlah)

Eine Enkelin von Josefme Oser, Klare Nohl, studierte bei Soldat-Roeger im Jahr 1929 in Graz und Wien und erlebte ein solches Hauskonzert. Damals war Soldat-Roeger 65 Jahre alt. Es ist moglich, dass die Geige nach Abschluss des Studiums Klare Nohl gegeben wurde. Jedenfalls hatte sie diese Geige bis zu ihrem Tod 1988 im Besitz. Heute ist die Gei­ge wieder verliehen, und ihr voller Ton erklingt in einem der grofien deutschen Staatsor-chester. Frau Soldat spielte 1929 die Guarneri del Gesu 1742," namlich die „ex Bazzini".

II. Weitere Guarneri-Geigen

Die Biernacki, Harold Joachim

In den bekannten Verzeichnissen iiber Joachims Geigen fmdet sich noch eine weitere „Guarneri", namlich „Pietro Guarneri 1747".''' Sie wurde laut Cozio an Joachims Sohn

" Von Liitgendorff, Die Geigen- und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2 Bande, Frankfurt am Main 1922. " HILL, The Violin-Makers (Anm. 10), 91, 102. " http://en.wikipedia.org/wiki/josephjoachim (Zugriff 31. August 2011). Auch bei http://www.cozio.com/ unter

anderem die Biernacki ID Nr. 8294 (Zugriff 12. Oktober 2011).

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Joseph Joachims Guameri-Geigen 45

der Musikfreunde Wien, Nach-2 lass Soldat-Roeger, mit freundli-I cher Genehmigung der Erbin)

Abb. 8: K Soldat Quartett, v. 1. Soldat, von Planck, Bauer-Lechner, Gartner. (Archiv der Gesellschaft

Johannes vererbt, gelangte dann zu Harold Joachim. Harold Henry Joachim (1868-1938) ist ein Neffe von Joseph Joachim, Sohn des Bruders Heinrich Joachim, Oxford. Er war ein bedeutender Philosophieprofessor, Wykeham Professor of Logic, in Oxford. Harold war mit Elisabeth, der jiingsten Tochter Joseph Joachims, verheiratet®^. Es ist daher wahr-scheinUcher, dafi sie die Erbin der Geige war. Durch Harold Joachim wurde sie 1942 an William Lewis & Son (Chicago) verkauft. Dieser hat sie in der Folge in einem Inserat in der Zeitschrift "Violins & Violinists" gemeinsam mit anderen Instrumenten „Four Remarkeble Masterpieces", angeboten. Durch Ernest N. Doring wurde die Geige aus-fiihrlich beschrieben.®' Bei HilP® erscheint Harold dagegen nur als Voreigentiimer seiner Giuseppe Guarnerius Filius Andreae 1720c. Laut Cozio Publishing LLC besafi Harold Joachim drei Geigen, die Stradivari 1715 Cremonese und beide vorerwahnte Guarneri.'^

Jedenfalls gehorte eine Guarneri-Geige vor Joachim seinem ersten Geigenlehrer in Pest, dem dortigen Konzertmeister Stanislaw Serwaczynski.®^ Moser schildert, wie Ser­waczynski®' dem Jungen nach der Oper im Orchestergraben sein Instrument zeigte, auf dem der Lehrer vorher das Solo gespielt hatte. Wahrend des Unterrichts hat Joachim die Geige immer wieder gesehen. Dreifiig Jahre spater traf er in Stockholm den polni-schen Geiger, Komponisten und Geigenbauer Nikodem Biernacki,^" der die Geige aus Serwaczynskis Nachlass erstanden hatte.^' Dabei nahm Joseph Joachim dessen Geige in die Hand und spielte voller Riihrung darauf.

Biernacki war wie Serwaczynski vor dessen Tod Konzertmeister in Lemberg, trat 1850 in Leipzig im Gewandhaus auf, 1857 in Paris, 1862 in den USA.^^ Er bot Joachim das Instrument zum Kauf an. Joachim erwarb das Instrument, laut Moser wurde es zu-

" Robert W. ESHBACH, Joachim's Youth, (Anm 11), 553. Ernest N. DORING, Pietro Guarneri of Venice: Son of Giuseppe Filius Andreae, in: Violins & Violinists (October 1943), 225 f

" HILL, The Violin Makers (Anm. 10), 52. " http://wvm.cozio.com/ Suchwort „Owners", Harold Joachim (Zugriff 12. Oktober 2011).

1781 Lublin - 30. November 1859 Lemberg. " MOSER, Joachim (Anm. 1), 7. ™ 1826 Tarnopol - 6. Mai 1892 Sanok. " MOSER, Joachim (Anm. 1).

The New Grove. Dictionary of Music and Musicians, Oxford 2001, Stichwort „Biernacki.

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46 Ruprecht Kamlah

nachst als „hubsche, gut erhaltene Andreas Amati" bezeichnetJ' Harold Joachim hat beim Verkauf an Lewis die Provenienz genau erklart und ist auch auf die Stelle bei Mo­ser eingegangen. Er legt dar, dass Moser in einer spateren Auflage seines Buches seine Zuschreibung geandert habe und Petrus Guarnerius als den Meister bezeichnet habe/"* Moser schrieb aber dort: „ein gut erhaltenes Exemplar aus der Friihepoche der alteren Guarneri"/' Diese Angabe passt auf die Guarneri filius Andreae. Cozio Publishing LLC kennt dagegen wie auch Hill fur die Guarneri filius Andreae von Harold Joachim keinen Zusammenhang mit Joseph Joachim. Die Zuschreibung an Petrus Guarnerius diirfte zu-treffend sein, weil dies durch Zertifikate von Lewis und Wurlitzer^® bestatigt ist.

Abb. 10 und 11: Zertifikate fiir Petrus Guarneri Venice 1747 (Kopien nach den Originalen durch den Eigentiimer mit dessen freundlicher Genehmigung)

Die Ausdrucksweise bei Moser ist weniger sicher und eine Verwechslung der Gei­gen durch Harold Joachim unwahrscheinlich. Joachim hat das Instrument bis zu sei­nem Tod 1907 als eine Reliquie verwahrt.

Eine andere Nachricht uber die richtige Zuschreibung gibt Charles Beare, London, aus seinem Archiv.^^ Harold Joachim hat die J. Guarneri filius Andreae etwas vor 1907

" MOSER, Joachim (Anm. 1), in der 3. Auflage 1904 noch zu Lebzeiten Joachims." " DORING, Guaneri (Anm. 62), 226. " MOSER, Joachim (Anm. 1). " Kopien aus der Hand des Eigentiimers, folgende Abbildungen. " Brief des Eigentiimers an den Verfasser vom 2. Marz 2010.

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Joseph Joachims Guameri-Geigen 47

von W. E. Hill gekauftJ' Harold Joachim uberlieC das Instrument Hammig in Berlin zum Verkauf 1909 und es wurde moglicherweise wenig spater verkauft. Diese Angabe bestatigt, dass die Geige, die Harold Joachim 1942 an Lewis verkauft hat, die „Bierna-cki" gewesen sein muss.

Harold Joachims Stradivari 1715, die wir hier ausnahmsweise erwahnen wollen, kann die beriihmte Stradivari „ex Joachim" 1715, die Joachim von seinen Verehrern in London 1889 in einem Festakt iiberreicht wurde, gewesen sein. Die Geige gelangte zunachst an Harold Joachim^' und nach ihm in verschiedene Hande, bis sie 1962 in der Collezione Civica del Commune di Cremona landete und seitdem „Il Cremonese" genannt wird.®" Die Geige kann aber auch der Nichte Joachims, der Geigerin Adela d'Aranyi-Fachiri gehort haben.®' Wie dem auch sei: Dazu gehorte auch ein Geigenkas-ten, eine weitere Reliquie, die zufallig wieder in die Wittgenstein-Verwandtschaft ge­langte.

Josephine Oser, geborene Wittgenstein, hatte noch weitere geigende Enkel, die jiingere Enkelin Barbel und deren Bruder Christian Nohl. Dieser emigrierte 1933 als Schuler von Salem mit Kurt Hahn nach England, um seine Schulbildung in Gordonsto-un abzuschliefien. Er wurde ein angesehener Chirurg in London und ist hoch betagt 2008 verstorben. Er war - da schliefilich verwandt - befreundet mit den in Oxford und London lebenden Nachfahren Joachims, Harold Joachim, Nina Joachim und den Ge-schwistern Jelly d'Aranyi und Adela Fachiri. Im Jahr vor seinem Tod schrieb er an den Verfasser dieser Abhandlung uber zwei Joachim-Reliquien: Der Joachim-Geigenkasten war Joseph Joachim zum 50'ten Jahre seiner ersten englischen Konzert Tour gewidmet. Er enthielt aber nicht eine seiner Geigen, doch einen sehr wertvollen Bogen, gemacht in Pa­ris. Beide Gegenstande hatte Nohl in London viele Jahre im Eigenbesitz, bis er sie dort durch ein Auktionshaus versteigern liefi. Er erzahlte oft davon, dass er einen „guten Preis" erlost habe, dass der Geigenexperte bei Einlieferung zur Auktion sofort erkannt habe, welche Geige vormals in dem Kasten war. Geige und Kasten blieben sicher bis zu Joachims Tod zusammen. Vermutlich wurden Kasten und Bogen beim Verkauf der Geige zuruckbehalten und blieben ubrig. Bei dem Bogen kann es sich um den bei Wi­kipedia erwahnten „Tourte" gehandelt haben, der vorher dem Geiger Heinrich Ernst gehort haben soli, laut Mell auch dem Musikologen Kiesewetter.®^

Die „ex Soldat"

Joachim hatte sein Leben lang Kontakt zu seinen Verwandten in Wien, der Familie Wittgenstein. Auch Brahms verkehrte regelmafiig im Hause von Karl Wittgenstein in der Alleegasse (heute ArgentinierstraCe 16, 1950 nach Bombentreffer im Krieg abge-brochen). Desgleichen waren beide auch gelegentlich zu Gast in den Hausern der an­deren Geschwister Wittgenstein.®' In einem Artikel in der Chicago Tribune schreiben William Gaines und Howard Reich iiber Naziraubkunst und erwahnen, dass Karl Witt-

™ Also nicht von Joachim geerbt, Anm. des Verfassers. ™ BORCHARD, Stimme und Geige (Anm. 2), 586, Anm. 285.

MELL, Connoisseur (Anm. 6), 152. MELL, Connoisseur (Anm. 6), 148. MELL, Connoisseur (Anm, 6), 147.

" Statt aller: E, Fred FLINDELL, Ursprung und Geschichte der Sammlungen Wittgenstein im 19, Jahrhundert, in: Die Musikforschung (1969), 298, 309.

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48 Ruprecht Kamlah

genstein im Jahr 1897 eine Guarneri del Gesu 1742 von dem italienischen Geiger Anto­nio Bazzini gekauft habe, die die FamiUe vermutlich im Zuge der Verfolgung judischer Familien durch die Nazis in Osterreich verloren habe. Die genauen Umstande seien nicht mehr bekannt. Eine Riickerstattungsklage gegen den jetzigen Eigentiimer habe die Familie nicht angestrengt. Ein Familienmitglied wird dazu zitiert.®"

Karl Wittgenstein war ein bedeutender Kunstsammler, Hauptstifter bei der Wiener Secession, besafi aber auch bedeutende Musikinstrumente.®' Als sich in der Musikwelt die Nachricht®® verbreitete, dass die „ex Bazzini" an Wittgensteins verkauft wurde, wur­de naturlich angenommen, dass Karl - selbst ein sehr guter Geiger - die Geige®^ von dem Leipziger Handler Wilhelm Hermann Hammig erworben habe. Hammig hatte auch in Berlin eine Niederlassung und war zu jener Zeit der bevorzugte Geigenbauer Joachims.®® Dass diese Geige Joachim geliehen wurde, erwahnt Cozio nicht, dies wird aber bei Waugh®' ohne Angabe von Nachweisen behauptet. Es ist nicht wahrscheinlich, weil Joachim, wie schon erwahnt, wohl kaum der Leihe einer solchen Geige bedurfte, vielmehr das Spiel auf einer Stradivari bevorzugte:

Ich werde auf einer Stradivari spielen, die ich neulich gekauft, weil sie noch schdner klingt wie meine andere und ich nicht widerstehen konnte.

" William GAINES - Howard REICH, in; Chicago Tribune (28, August 2001). Paul KUPELWIESER, in: Neue Freie Presse (Wien, 21. Janner 1913).

® The Violin Times (Janner 1900), 41. 4 Laut http://www.cozio.com/ ID Nr. 445 (Zugriff 12. Oktober 2011); Alexander WAUGH, The House of Wittgenstem. A Family at War, London - New York - Berlin 2008, 32. c u 1 r- 1

«« Bei JOACHIM - MOSER, Briefe (Anm. 26), III, 462 erwahnt Joachim „Hamig" in emem Brief an semen Schuler Carl Halir. WAUGH, Wittgenstein (Anm. 84), 32. TT • • U

» JOACHIM - MOSER, Briefe (Anm. 26), III, 461 in einem Brief an Halir, und 311 in einem Brief an Heinrich von Herzogenburg, Berlin 15. Oktober 1887.

Wiener Geschichtsblatter

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Joseph Joachims Guarneri-Geigen 49

Dagegen heiCt es zutreffend in der Klatschspalte in The Violin Times: „A confidenti­al correspondent says, it may interest you to learn, that the Bazzini-Violin, which Ham­mig of Leipzig bought for 1600 francs was sold recently for a trifle over 30.000,- Marks. It was bought by a gentleman in Vienna, who has lent it Madame Soldat-Roeger for life"."

Aus der Kenntnis der Beziehungen der beteiligten Personen ist plausibel anzuneh-men, dass Hammig die Geige Joachim angeboten hat. Joachim hat den Voreigentiimer Antonio Bazzini (1818-1897) gekannt. Er hat schon als Knabe mit ihm zusammen un­ter Mendelssohns Leitung am 25. November und am 12. Dezember 1844 in Leipzig die Concertante fiir 4 Violinen von Maurer mit David und Ernst offentlich gespielt.'^ Bazzi­ni war damals einige Jahre in Leipzig beim Gewandhausorchester unter Mendelssohns Leitung." Joachim wird auf beider Lebensweg Bazzini immer wieder begegnet sein. Bazzini war - wie Joachim - spater Leiter einer Musikhochschule, namlich der in Mai-land.''' Unter Joachims Dirigat spielte eine begabte Violinspielerin 1858 das Concertino von Bazzini.'^ Joachim vermittelte das Instrument vermutlich an seinen Neffen Witt­genstein, damit Marie Soldat es spielen konnte. Nach einem Brief von Dr. Ing. Hans Salzer'® hat der Wiener Geiger Alfred Finger (1855-1936), ein Schuler Joachims,'^ die Transaktion auf Joachims Veranlassung abgewickelt. Finger war der Ehemann der Gei­gerin Ella Finger-Bailetti (1866-1945), die bis 1898 im Soldat-Quartett 2. Geige spielte. Soldat war also die Leiherin der Geige.'® So erklart sich leicht, dass Soldat die von Joa­chim geliehene Guarneri filius Andreae nicht mehr spielte, sondern diese mit Joachims Billigung Elsa Edle von Planck im Soldat-Quartett iiberliefi."

Abb. 13: Louis Wittgenstein mit Frau und Toch-tern. (Foto auf Papier, Familienbesitz Sammlung Ruprecht Kamlah)

" The Violin Times (Janner 1900), 41; William HENLEY, Universal Dictionary of Violin and Bow Makers. Bd. II, Brighton 1960,256.

® MOSER, Joachim (Anm. 1), I, 67 f; Wilhelm Adolf LAMPADIUS, Felix Mendelssohn-Bartholdy - ein Gesamtbild seines Lebens und Wirkens, Leipzig 1986, 316.

" Bruce R. SCHUENEMANN, Bazzini, Virtuoso Works for Violin and Piano (Hanslip). Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Personenteil 1999, Stichwort „Bazzini".

® MOSER, Joachim (Anm. 1), I, 88, Anm. 2. " An Oscar Metzler 6. Juh 1959, Familienbesitz, Kopie beim Verfasser. " Rudolf FLOTZINGER (Hg.), Osterreichisches Musiklexikon online: Stichwort „Finger". 98 POTTER, Brahm's Understudy (Anm. 49), 1319: „the Quartet was sponsored by the Wittgenstein family who lent

Soldat-Roeger her main concert instrument, a 1742 Guarneri del Gesii". " POTTER, Brahm's Unterstudy (Anm. 49), 1319: „Elsa von Plank on second violin, Mahlers friend Natalie Lechner-

Bauer viola, Leontine Gartner, on cello, since 1901 Lucie Campbell".

68. Jahrgang - Heft 1/2013

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50 Ruprecht Kamlah

Es war aber nicht der beriihrnte Karl Wittgenstein, der die Geige kaufte und verlieh, sondern dessen Bruder „Louis" Ludwig Wittgenstein, ein ebenfalls sehr wohlhabender Kaufmann, der aber im Gegensatz zu seinem Bruder die Offentlichkeit mied. Allerdings steckte Joachim wohl hinter dem Verleih. Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien befmden sich Schriften und Briefe aus dem Nachlass von Marie Soldat und dar-unter ein Brief Joachims, in dem er am 5. Juli 1899 schreibt: Es ist mir eine grofie Freude zu horen, dass Sie die wunderbare schdne Violine immer spielen konnen und wieder ein recht wittgensteinscher Zug, Ihnen solche Forderung zu gonnen. Herzlich gratuliere ich Ihnen. Wenn Sie die kleine Guarneri weiter benutzen wollen, so kann es mir nur lieb sein, sie ist gut aufgehoben bei Ihnen.

Aus einem Brief von Marie Wittgenstein, der Ehefrau von Louis Wittgenstein, vom 18. September 1911 an Soldat geht hervor,'"" dass Soldat den Kauf eines Cello beim Instrumentenbauer Wittmann in Wien vermittelte. Louis Wittgenstein hat auch dieses Instrument gekauft und es der Cellistin Leontine Gartner auf Lebenszeit geliehen, die im Soldat-Quartett spielte. Ein recht Wittgensteinscher Zug hatte Joachim dazu gesagt. Nach dem Ableben von Marie Wittgenstein musste deren Nachlass bewertet werden. Es liegt ein Schreiben'"' des Rechtsanwalts der Wittgensteins von 1942 an Marie Soldat vor, in dem nach der Adresse von Leontine Gartner gefragt wird, die wegen des Krieges zu ihrer Familie nach Rumanien gegangen war. Vom Cello fehlt seitdem jede Spur.

Die Guarneri-Geige erscheint sowohl bei Hill'"^ als auch im Register von Cozio Pub­lishing LLC als „ex Soldat". Marie Soldat schreibt 1947 nach dem Krieg 85-jahrig an Paul Wittgenstein (ein Sohn Karl Wittgensteins und Erbe seiner Musikalien): Die Guarneri, auf der ich 41 Jahre gespielt, geht mir sehr ab! - Ich habeja eine ganz gute Geige aber es ist doch etwas anderes, auf einer so herrlichen „Italienerin" spielen zu konnen.^"^ Sie erwahnt dies ihm gegeniiber noch mal in zwei weiteren Briefen aus den Jahren 1946 und 1948.

"" Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Nachlass Soldat. Brief im Besitz der Erbin, Kopie beim Verfasser.

"" HILL, Violin Makers (Anm. 10), 91,102,121. F 150/Wittgenstein 64/1-16. ONB, Wien, Brief Soldat an Paul Wittgenstein, 13. Marz 1947.

Abb. 14: Marie Soldat mit der Bazzini 1930. (Foto einer Zeich-nung, Sammlung Ruprecht Kamlah)

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Joseph Joachims Guameri-Geigen

Bedenkt man, dass der Kauf der Geige 1899 gewesen sein kann, und zahlt man die 41 Jahre hinzu, so sind wir im Jahr 1940, als Hitier Osterreich uberfallen hatte und die Familie Wittgenstein als Juden in groCte Schwierigkeiten kam.'"" Die Briefe sind erst seit 2003 nach dem Tod der Witwe Paul Wittgensteins zuganglich. William Gaines und Howard Reich werden sie unter Umstanden gesehen haben und kommen so plausibel zu ihrem Schluss, dass die Geige 1940 Marie Soldat durch Enteignung jiidischen Kunstvermogens der Witt­gensteins genommen wurde. Die Geige soli laut Cozio in den Besitz der schweizerisch-un-garischen Geigerin Stefi Geyer gelangt und nach deren Ableben 1956 mehrmals verkauft worden sein. Sie gelangte angeblich unter anderem in die Hande des Geigers Itzhak Perl-man, der Werke von Antonio Bazzini darauf eingespielt hat. Der Behauptung von Reuter trat Michael A. Baumgartner, Geigenbauer in Basel, entgegen, die Geige sei nSauber".'"'

Beim Anschluss Osterreichs an Nazideutschland war die Familie Wittgenstein von den Rassengesetzen betroffen. Die Verhandlungen der Familienmitglieder um den Sta­tus mit der Reichsstelle fiir Sippenforschung und der Reichsbank waren fiir alle Nach­kommen des Hermann Christian Wittgenstein und der Fanny Figdor, dem GroCva-ter und der GroCmutter der damals lebenden Nachkommen, von Bedeutung. Das ist unter anderem gut nachzulesen bei Alexander Waugh.'®® Die Wittgensteins mussten aus ihrem Vermogen und Sammlungen den Nazis Wertvolles iibergeben, um von Re-pressionen wegen ihrer Abstammung verschont zu bleiben. Karl Wittgensteins Sohn Paul Wittgenstein, der im ersten Weltkrieg den rechten Arm verlor, aber dennoch mit eisernem Willen und Energie eine Pianistenkarriere vorantrieb, entschied sich fiir die Emigration durch Flucht, denn er hatte Auffiihrungsverbot, das auch bei Zugestand-nissen der Reichsstelle fur Sippenforschung nicht aufgehoben wurde. Sein Weg ist in dieser Hinsicht am besten dokumentiert. Er besaC wertvolle Musikinstrumente, die er mit einem Trick in die Schweiz schmuggeln konnte, wo er auf seinem Weg in die USA vor den Nazis Schutz gesucht hatte. Durch einen Schweizer Konzertveranstalter liefi er ein Quartett aus Wien zu einem Konzert in die Schweiz einladen. Die Musiker brachten ihm in ihren Instrumentenkasten seine wertvollsten Instrumente unauffallig mit und fuhren mit wertlosen Ersatzinstrumenten unauffallig zuriick. Pauls Instrumente waren eine Stradivari, eine Guadagnini-Geige, eine Amati-Bratsche und ein Ruggiero-Cello.'"^ Viola und Cello verkaufte er sogleich in Ziirich, um seinen Aufenthalt und die Wei-terreise zu fmanzieren. Die Geigen verkaufte er erst Mitte der 1950er Jahre nach dem Krieg. Vor diesem Hintergrund war die Geschichte von der Enteignung plausibel. Die Guarneri del Gesu war nicht dabei. Sie gehorte ihm ja auch nicht. Sie ist nicht in der Liste der von den Nazis enteigneten Kunstsammlungen enthalten.'"®

Dass Stefi Geyer die Geige gehabt haben soil, trifft leider nicht zu. Das wurde auf dem Hintergrund der Enteignungsgeschichte vermutet. Freilich ware sie eine wiirdige Spielerin gewesen, und es hatte der Geige weiteren Ruhm verliehen. Uber Stefi Geyer ist bekannt, dass Bda Bartok sich 1907 in sie verliebte und fiir sie sein erstes Violinkonzert schrieb, das die Widmungstragerin aber nie offentlich spielte. Sie bewahrte das Origi-nalmanuskript bis zu ihrem Tode auf, so dass es erst 1958 herausgegeben und das Kon-

™ Statt aller: Hermine WITTGENSTEIN, Familienerinnerungen, Wien 1944, Typoskript. Kap. VII, 154 ff. http://www.cozio.com/ Suchwort „Luthiers" Guarneri del Gesu, ID Nr. 445 (Zugriff 12. Oktober 2011). WAUGH, Wittgenstein (Anm, 84), 211-217; auch Lea SINGER, Konzert fiir die linke Hand, Hamburg 2008, 434-253. WAUGH, Wittgenstein (Anm, 84), 246, Die Instrumente sind belegt, fiir die Schmuggelgeschichte bestehen Zweifel. Sie enthalt Fehler. Waugh gibt auch auf Nachfrage keinen Hinweis auf seine Quelle. Sophie LILLIE, Was einmal war, in; Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, 1332-1333.

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zert aufgefuhrt werden konnte.'"' Stefi Geyer muss hinreiCend attraktiv gewesen sein, denn auch dem Schweizer Komponisten Othmar Schoeck erging es nicht viel besser als Bartok. Sein ebenfalls fiir Geyer geschriebenes Violinkonzert wurde zwar gespielt, das Werben des Komponisten aber nicht erhort."" Die Sangerin Maria Stader erwahnt in ihren Erinnerungen an Stefi Geyer'" eine Guarneri-Geige ohne nahere Bezeichnung. Von einer Nichte der Geigerin konnte in Erfahrung gebracht werden, dass Stefi Geyer eine Guadagnini gespielt hat.

Die Bazzini-Geige entging dem Zugriff der Nazis, indem sie nicht zum Nachlass des Karl Wittgenstein, sondern zu dem seines Bruders Louis gehorte. Dieser hatte keine Kinder, sondern zwei Tochter aus der Familie Salzer adoptiert. Diese waren von den Rassengesetzen nicht betroffen. Die Leihe von Geige und Cello dauerte iiber den Tod des Mazens hinaus, bei Soldat bis die Geigerin 1944 den Wunsch hatte, das Instrument zuriickzugeben, weil sie dessen Sicherheit wegen der Bombenangriffe auf Graz nicht mehr gewahrleisten konnte."^ Die Erben, die Familie Salzer in Wien, iibernahmen die Geige und verkauften sie 1958 im Geschaft des Geigenbauers Ludwig Trostler, Wien, an Oskar Metzler sen. in Dietikon bei Ziirich, der sie seiner Tochter, der Geigerin Mar-lis Sacchi-Metzler, gab. Von ihr wurde sie 1984 vermittelt durch den Handler Jacques Francais aus New York an einen Herrn Morneweg in Koln verkauft.'"

So entging die Geige - da verliehen - den Nazis. Einerseits war sie in der kritischen Zeit in guten Handen bei Marie Soldat. Andererseits waren die Erben von Louis Witt­genstein adoptiert und daher von den Rassengesetzen nicht betroffen. Legenden, die

Bieler Tagblatt (3. September 2008), 24. Das erinnert an das Klavierkonzert von Hindemith, das Paul Wittgenstein 1923 beim Komponisten bestellt, bezahlt und nie gespielt hat und das erst nach dem Tod seiner Witwe 2001 uraufgefuhrt werden konnte. Chris WALTON, Othmar Schoeck. Eine Biografie, Zurich - Mainz 1994, 57. Maria STADER, Nehmt meinen Dank, Miinchen 1979, 144. Aus Briefen an den Verfasser. Fundierte Auskunft der Urenkelin von Marie Soldat. Brief Marlis Sacchi-Metzler an den Verfasser vom 26. Janner 2009 und Dr. Hans Salzer vom 6. Juli 1959, an Oskar Metzler. Daher ist die Geige im National Museum of American History, Smithsonian Institution, Washington, dokumentiert: Box 22, Folder 6, The Jacques Francais Rare Violins, Inc. Photographic Archive and Business Records. Dort ist notiert „ex Bazzini" $ 3 million!

Abb. 15: Stefi Geyer, Ziirich. (Zentralbibllothek, Musikabteilung Nachlass Geyer, Mus NL 4.F1)

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Abb. 16: Marlis Sacchi-Metzler. (Marlis Sacchi-Metzler, mit freundlicher Genehmigung)

sich um die Geige rankten, auch wenn sie noch so plausibel und aufregend sind, sind hiermit geklart. Einige Fragen bleiben offen: Wenn die Geige erst 1944 zuriickgegeben wurde, hatte sich Soldat, indem sie von 41 Jahren schreibt, in der Dauer des Leihbesit-zes geirrt. Es waren dann 45 Jahre. Warum schreibt sie aber an Paul Wittgenstein, der gar nicht der Eigentiimer war? Das mag wohl daran liegen, dass sie zu diesen Briefen Anlass hatte, denn sie folgen jeweils als Dank auf Care-Pakete, die Paul Wittgenstein fiirsorglich fiir die alte Freundin der Familie aus den USA schickte. Die Geige war eben aus der Familie Wittgenstein. So konnte Soldat auch ihm gegeniiber davon schreiben, wie sehr sie das Instrument vermisse. Dass Dr. Ing. Hans Salzer die Geige personlich bei ihr holte, muss nicht bezweifelt werden. Er schreibt irrtiimlich in einem Brief 1959 an Oskar Metzler zwar von 1941, die Urenkelin von Frau Soldat gibt jedoch den 22. April 1944 im Beisein des Sachverstandigen Rudolf Schuster, Graz, an."" Oder sollte es noch eine zweite Guarneri bei Marie Soldat aus der Familie Wittgenstein gegeben haben? Hierzu eine Anekdote, was ein weiterer Neffe, Matthias Wittgenstein, in einem Rund-brief an verschiedene Familienmitglieder behauptete. Dieser traf zufallig in der Schweiz Oskar Metzler und erfuhr vom diesem von dem Verkauf durch Hans Salzer. Er war emport, denn er war iiberzeugt, dass die Geige ihm gehore, weil eine Guarneri aus dem Nachlass eines Vorfahren miitterlicherseits, des osterreichischen Geigers Joseph May-seder (1789-1863), vor dem Krieg an seinen Vetter Dr. Ing. Hans Salzer verliehen war. Mayseder soil tatsachlich eine Guarneri besessen haben."' Der Angeschuldigte Hans Salzer raumte ein, eine Geige geliehen zu haben. Die Geige sei aber bei einer Pliinde-rung in Miesenbach, siidlich Wiens gelegen, durch Russen zerstort worden, wie der Angeschuldigte entgegnete. Es soil auch keine Guarneri, sondern eine Geige aus Re-gensburg gewesen sein. Das Hauptverfahren wegen Veruntreuung wurde nicht eroff-net. Der Anklager ist wenig spater verstorben.

Hat die Familie Wittgenstein Joseph Joachim nun eine Guarneri-Geige geliehen? Seine „Lieblingsgeige" gehorte ihm selbst. Wohl hat die Familie sie ihm geschenkt. Wo-

"" Schreiben vom 11. Februar 2009 an den Verfasser unter Vorlage von Kopien der Quittung und einer datierten Bestatigung des Sachverstandigen. HENLEY, Dictionary (Anm. 88), 254; http://wvw.cozio.com/ ID Nr. 2355 (1731): owned til 1873 (Zugriff 9. Februar 2009).

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her sollten der Bub oder seine Eltern das Geld haben, sie zu kaufen?"® Das sehen wir an der Geschichte iiber den Kauf seiner ersten Strad. Das sehen wir auch, als sich Joachims Schiiler Waldemar Meyer nach acht Jahren Tatigkeit bei guter Besoldung als Konzert­meister am koniglichen Hof und am Stern'schen Konservatorium in Berlin selbststan-dig machen wollte und er die ihm vom Kaiser und Konig geliehene Krongut-Stradivari abgeben und sich selber eine angemessene Geige suchen musste. Seine Ersparnisse reichten gerade fiir eine Guadagnini."^

Joachim hat seine „Lieblingsgeige" Marie Soldat geliehen. Die Wittgensteins haben aber Guarneri-Instrumente verliehen, zuerst 1899 Louis Wittgenstein die „Bazzini" an Soldat, nach Joachims Tod 1907 hat Josefme Oser, geborene Wittgenstein die „Lieb-lingsgeige" gekauft und Marie Soldat weiter verliehen, spater 1911 Louis Wittgenstein ein Cello, Erbauer aber unbekannt, an Leontine Gartner durch Soldats Vermittlung fur das Soldat-Quartett. Das war in der Musikwelt bekannt. Vermutlich ist die Geschich­te mit der Leihe einer Geige durch die Wittgensteins an Joachim eine Abfarbung der Leihen der Geigen an Marie Soldat-Roeger. Die Geige aus Karlsruhe kann nicht die Ursache fiir die verbreitete Ansicht der Leihe an Joachim sein, da deren Leihe nur durch miindliche Uberlieferung innerhalb der Familie tradiert, aber nir.gends schriftlich fest-gehalten, geschweige denn vor Beatrix Borchards Mitteilung irgendwo veroffentlicht worden ist. Dagegen entstand aus der Leihe dieser Instrumente in der Erinnerung der Erben von Louis Wittgenstein eine weitere Legende: Die Wittgensteins besaCen angeb­lich ein ganzes Guarneri-Quartett, das verkauft wurde. Der wahre Kern dieser Legende konnten die an Soldat und Gartner verliehenen Instrumente sein. Wir wissen bisher aber noch nicht, ob das Cello ein Guarneri-Instrument war und was fiir ein Instrument Natalie Bauer-Lechner im Quartett als Viola spielte.

Die Ruggieri von Hans Joachim Moser

Joachim war, wie bekannt, mit seinem Schiiler und Kollegen Andreas Moser eng be­freundet. Moser schrieb die Biographie, die nach wie vor die Grundlage fiir das Ver-standnis Joachims ist. Mosers Sohn Hans Joachim war Joachims Patenkind. Hans Joachim Moser wurde spater ein Musikwissenschaftler. Seine Produktivitat ist ein-drucksvoll. Er schreibt in seiner Gedenkrede, dass ihm Joachim eine italienische Geige schenkte, eine Ruggieri detto il per II, die ihm bis zur Inflation gedient und seinen Eifer durch ihre leichte Spielweise gemehrt habe."® Die Geige ist bei Cozio nicht erwahnt.

Die „ex Kux"

Wie wir gesehen haben, trifft es nicht zu, dass die Wittgensteins Joseph Joachim sei­ne erste Guarneri „geliehen" haben, wie dies verschiedentlich behauptet wird. Es kann aber sein, dass Karl Wittgenstein, der Sohn von Hermann und Fanny Wittgenstein, spater eine Guarneri del Gesia an Joachim verliehen hat, wie es an einer Stelle heifit:

Vgl. dazu Anm. 18. 117 Frigge-Marie FRIEDRICH, Joseph Joachim und Waldemar Meyer, Starnberg 2008, 103 f.

Hans Joachim MOSER, Erinnerungen an Joseph Joachim. Eine Gedenkrede, in: Literatur in Bayern 88/89 (1922/1923), 41 f.

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.Joachim also played a Guarneri del Gesu, loaned by the Wittgenstein-family, perhaps a 1737 Guarneri del Gesu?""'Albert Mell'^" sieht in seiner oben erwahnten, ausfuhrlichen Abhandlung iiber Joachims Geigen keinen Zusammenhang zu Wittgensteins, ja nicht einmal zu Joachim iiberhaupt. Er schreibt unter anderem: „Less certain is Joachim's association with another del Gesii violin, known today as ,the Joachim'."

Dies weist zu der Geige, die angeblich der Wiener Wilhelm Kux (1864-1965), da­mals unter anderem Direktor der Alpin AG, Wien, besessen haben soil. Bei Cozio wird eine Guarneri del Gesu vom Jahr 1737 im ehemaligen Besitz von Kux erwahnt.

Die Geige kam 1950 durch den Handler Emil Herrmann in New York an den Sammler Henry Hottinger. In dem ihm iibergebenen Begleitschreiben'^' wurde die Gei­ge Joachim zugeschrieben. Kux besafi laut Herrmann angeblich die Geige wahrend der Nazizeit in Osterreich und soil alle Dokumente, die die Geige betreffen, aus Furcht vor den Nazis vernichtet haben. Wie die Geige an Kux kam und wie sie von Kux wieder in den Handel kam, ist nicht bekannt. Die Geige kam 1965 ans Licht der interessierten Offentlichkeit, als die Sammlung Hottinger an Lee Wurlitzer Inc. verkauft wurde.'^^ In der Folge ist sie in der Sammlung Engelmann in Kalifornien gelandet.

Die Geige war 1994 in New York City zum 250. Todestag des Geigenbauers im Me­tropolitan Museum of Art ausgestellt und wurde von John Dilworth im Ausstellungska-talog beschrieben.'^' Dilworth nennt ohne nahere Angaben Joachim als den ersten uber-lieferten Eigentiimer und erwahnt die Dokumentenvernichtung, was er wohl aus dem Schreiben von Herrmann entnommen hat. Herrmann erklart in seinem Schreiben auch, dass die Geige nie im Handel war und daher durch William Henry Hill in seinem Werk iiber die Guarneri-Geigen nicht erwahnt werden konnte. Wenn aber Joachim einmal der Eigentiimer gewesen sein soil, konnte das Hill nicht entgangen sein, weil Joachim mit Hill regelmafiig zusammentraf, wenn er in England auftrat. Die wesentlich weniger be­deutende Guarneri von Joachims Lehrer Servaczinsky, die durch Erbfolge an Harold Joa­chim gelangte, war auch erst 1942 im Handel, Hill aber bei Veroffentlichung seines Wer­kes 1931 sehr wohl bekannt. Die Zuschreibung an Joachim ist schon daher zweifelhaft.

Die Geschichte mit der Vernichtung der Dokumente wegen der Nazis ist ebenfalls nicht plausibel. Es ware leicht gewesen, solche zu verstecken. Auf wertvolle Instrumente von jiidischen Burgern hatten es die Nazis abgesehen, ob ein bekannter Sammler einer Enteignung durch Verstecken von Dokumenten entgehen konnte, ist dagegen kaum anzunehmen. Kux war ein in Wien bekannter Sammler von alten Instrumenten, Jude und von den Rassengesetzen betroffen. Der Verfasser ist den Spuren von Wilhelm Kux nachgegangen mit dem Ergebnis, dass schon fraglich ist, ob Kux iiberhaupt der Vorei­gentiimer dieser Geige war. Das wird Gegenstand einer eigenen Abhandlung, die sich mit Wilhelm Kux als Person befassen wird, der ein bedeutender Forderer des Musikle-bens in Wien gewesen ist und der seine Instrumente groCziigig verliehen hat.

Wenn die hier ausgefuhrten Zweifel zutreffen, hatte Joachim nie eine Guarneri del Gesu besessen.

http://en.wikipedia.org/wiki/Joseph_Joachim (Zugriff 31. August 2011). MELL, Connoisseur (Anm. 6). MELL, Connoisseur (Anm. 6), 133. Abdruck aus dem Archiv von Rudolph Wurlitzer, New York, liegt dem Verfasser vor. Margaret CAMPELL, Anything Man can do, in: The Strad (1971), 178.

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Anhang 1

Instrumente aus dem Besitz Joseph Joachims in der Sammlung alter Musikinstrumente Berlin (nach Katalog Curt SACHS, Berlin 1922):

1. Sp. 119: KatNr. 244: Bassviola mit 6 Saiten, Kinderkopf und dem bedruckten Zettel: Jacobus Stainer in Absam/prope OEnipontum 1665, Zarge und Boden aus schonstem Vogelahorn [...] GeschenkJJ.

Dazu hat Dr. Annette Otterstedt, Kuratorin der Sammlung, mitgeteilt: „Das Instru­ment kam als Cello in Joachims Besitz, Provenienz unbekannt. Er liefi es - fiir seine Zeit revolutionar - zuriickbauen in eine Gambe, allerdings fiir heutige Begriffe mit einem vollig unhistorischen Hals. Dieser wurde spater entfernt und durch eine ebenso zweifel-hafte Rekonstruktion ersetzt. Der Originalzustand des Instrumentes ist unbekannt; die dendrochronologische Untersuchung hat erbracht, dass die Decke original ist, die wir zunachst fiir spater hielten."

2. Sp. 132: Kat.-Nr. 1324: Violine mit dem Druckzettel: „Gand & Bernardel/Luthiers du Conservatoire de Musique / No 1335. Paris 1887". Stradivarimodell mit gezeichne-ten Adern und braunrotem Lack, [... ] V ermachtnis J J, Kriegsverlust.

3. Sp. 136: Kat.-Nr. 1325: Stumme Violine. Ein gitarrenformiger Mahagonirahmen mit Kinnhalter und Querspreize fur den Steg; auf ihr der Stempel „Gebriider Wolf / Patent / Creuznach". Bronzierte Schnecke (Ende 19. Jahrhundert), Vermachtnis JJ, Kriegsverlust.

4. Sp. 140: Kat.-Nr. 796: Violotta, mit der Inschrift: „Laufende Nr. 11. Wiesbaden, Septbr 1891" und den eigenhandigen Unterschriften Dr. Alfred Stelzner J. Weidemann. Eine Tenorgeige mit eliptischen Bugeln dreieckig=parabolischen Klotzchen, paraboli-schen Zargen und ausgezackten ff; roter Lack. 1891 Geschenk JJ, Kriegsverlust.

5. Sp. 152: Kat.-Nr. 1326: Violinbogen mit kurzem steilen Kopf, rechteckigem Edel-holzfrosch und Ebenholz Neusilber=Kn6pfchen. Der Bogen ist von Joachims Quartett-genossen Wirth benutzt und dem Museum von der Familie Joachims geschenkt wor­den (19. Jahrhundert), Kriegsverlust.

6. Sp. 334: Kat.-Nr. 939: S(h)amisen, Modell. Sechskantwirbel; zwei der Saiten aus Darm; das Ganze in Lackarbeit (Japan). Geschenk JJ, Kriegsverlust.

Aus den Nummern ergibt sich, dass Joachim - naturlich abgesehen vom „Ver­machtnis" - der Sammlung zu ganz unterschiedlichen Zeiten Instrumente zukommen liefi.

Anhang 2 (Gerhard Stradner, Wien)

Joseph Joachim, Olbild von Berthold Fischer, 1844 Joseph Joachim war 1841/42 in der Geigenklasse von Joseph Bohm am Conser-

vatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Er spielte in einem Konzert am 27. Janner 1842 ebenda die Othello-Fantasie von Heinrich Wilhelm Ernst, einem seiner Mitschuler. Am 5. April desselben Jahres trat er mit dem Violinkonzert von Jacques Pierre Joseph Rode in Wien auf. Sein Debiit im Leipziger Gewandhaus fand am 19. Au­gust 1843 statt, wo er gemeinsam mit Pauline Viardot, Clara Schumann und Felix Men­delssohn Adagio und Rondo von Beriot spielte.

Wiener Geschichtsblatter

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Joseph Joachims Guameri-Geigen 57

Mit der Interpretation des Violinkonzertes von Ludwig van Beethoven feierte er am 27. Mai 1844 seinen grofien Triumph in London. Vielleicht waren diese kiinstleri-schen Erfolge der Anlass, dass ein Verehrer Joachims oder seine Familie ein Olportrat beim Wiener Maler Berthold Fischer bestellte. Dieser hatte sich als Portratmaler durch mindestens sechs Olportrats in Wien bereits einen Namen gemacht. Das signierte und in Wien 1844 datierte Olbild befand sich ab 1918 im Musiksalon von Amatus Caurary in Wien, dem Schwiegersohn des Wiener Kunsthandlers Reinhold Entzmann, wobei damals nichts mehr iiber die dargestellte Person bekannt war. Ab 1940 hing es in der Wohnung von dessen Tochter, Yvonne Suppan, die das Geschaft weiterfiihrte. Deren Tochter, EUsabeth Fuchs, erhielt das Bild 1990 und bot es 1995 als „Portrat eines jungen Geigenvirtuosen" in der Kunsthandlung Entzmann zum Verkauf an. Von dort kam es in Wiener Privatbesitz. Die Identifikation des auf dem Bild dargesteUten jungen Musikers gelang Prof Friedrich Rosing von der Arbeitsgruppe „Identifikation nach Bildern" von der Universitat Ulm. Er kam in seinem Gutachten zum Schluss, dass es sich bei dem im Olgemalde abgebildeten jungen Geiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den damals dreizehnjahrigen Joseph Joachim handelt.

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