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ÜBERSICHT Intensivmed 35: Suppl 1, 65 – 71 (1998) © Steinkopff Verlag 1998 A. Unterberg K. Kiening A. Sarrafzadeh G.-H. Schneider T. Bardt W. R. Lanksch Oxymetrie im Bulbus jugularis bei komatösen Patienten episodes” (SjvO 2 < 50 %) in order to improve the outcome of inflicted patients. The time of “good data qual- ity” is only 40–60 %, but with continu- ous personal effort monitoring of jugu- lar venous oxygen saturation is a safe and reliable method to recognize cere- bral ischemia and hypoxia in comatose patients. Treatment of intracranial hypertension can be individualized, especially the use of hyperventilation can be “tailored”. Key words Jugular venous oxygen saturation – bulbusoximetry – cerebral ischemia – desaturation episodes Zusammenfassung Das Monitoring der Sauerstoffsättigung im Bulbus venae jugularis (auch Bulbusoxymetrie genannt) ist eine Methode zur konti- nuierlichen Erfassung der globalen zerebrovenösen Sauerstoffsättigung (SjvO 2 ). Diese kann zur Information über die zerebrale Durchblutung heran- gezogen werden. Eine kritisch ernied- rigte SjvO 2 (< 50 %) wird als Desatura- tion bezeichnet, ein häufiges Auftreten dieser Desaturationsepisoden korreliert mit einer schlechten klinisch-neurolo- gischen Prognose bei Patienten mit Schädel-Hirn-Verletzungen. Ziel der über einen fiberoptischen Katheter kontinuierlich erfaßbaren SjvO 2 -Messung ist die frühzeitige Erkennung und Therapie einer grenz- wertig niedrigen (50–55 %) bzw. kri- tisch erniedrigten (< 50 %) jugular- venösen Sättigung. Angewandt wird die SjvO 2 -Messung zur kontinuier- lichen Überwachung bewußtloser Patienten. Ein Kritikpunkt dieser kom- plikationsarmen Methode ist die hohe Artefaktanfälligkeit, die zu einer „time of good data quality“ von nur 40–60 % führt. Um eine regelrechte Messung zu gewährleisten, ist ein hoher personeller Aufwand notwendig. Diese Methode ist aber prinzipiell zur kontinuierlichen Überwachung der zerebralen Oxyge- nierung gut geeignet. Sie ermöglicht eine differenzierte Therapie des erhöh- ten intrakraniellen Drucks, insbeson- dere kann eine potentiell gefährliche Hyperventilationstherapie „maßge- schneidert“ werden. Schlüsselwörter Jugularvenöse Sauerstoffsättigung – Bulbusoxymetrie – zerebrale Ischämie – Desaturations- episoden – Hyperventilation A. Unterberg (Y) · K. Kiening A. Sarrafzadeh · G.-H. Schneider · T. Bardt W. R. Lanksch Abteilung für Neurochirurgie Charité, Campus Virchow-Klinikum Humboldt-Universität zu Berlin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Monitoring of jugular bulb oxygen saturation in comatose patients Summary To prevent secondary cere- bral hypoxia and ischemia in comatose patients, monitoring of cerebral blood flow and cerebral oxygenation is of great importance. Monitoring of the jugular venous oxygen saturation (SjvO 2 ) has been shown to continuously evaluate cerebral oxygenation and, thus, enabling the estimation of cerebral blood flow. A SjvO 2 below 50 % indicates a critically reduced cerebral oxygenation. The aim of SjvO 2 -monitoring is to recognize early and to treat a critical SjvO 2 (50–55 %) and “desaturation

Oxymetrie im Bulbus jugularis bei komatösen Patienten

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Page 1: Oxymetrie im Bulbus jugularis bei komatösen Patienten

ÜBERSICHTIntensivmed 35: Suppl 1, 65 – 71 (1998)© Steinkopff Verlag 1998

A. UnterbergK. KieningA. SarrafzadehG.-H. SchneiderT. BardtW. R. Lanksch

Oxymetrie im Bulbus jugularis bei komatösen Patienten

episodes” (SjvO2 < 50 %) in order toimprove the outcome of inflictedpatients. The time of “good data qual-ity” is only 40–60 %, but with continu-ous personal effort monitoring of jugu-lar venous oxygen saturation is a safeand reliable method to recognize cere-bral ischemia and hypoxia in comatosepatients. Treatment of intracranialhypertension can be individualized,especially the use of hyperventilationcan be “tailored”.

Key words Jugular venous oxygensaturation – bulbusoximetry – cerebralischemia – desaturation episodes

Zusammenfassung Das Monitoringder Sauerstoffsättigung im Bulbusvenae jugularis (auch Bulbusoxymetriegenannt) ist eine Methode zur konti-nuierlichen Erfassung der globalenzerebrovenösen Sauerstoffsättigung(SjvO2). Diese kann zur Informationüber die zerebrale Durchblutung heran-gezogen werden. Eine kritisch ernied-rigte SjvO2 (< 50 %) wird als Desatura-tion bezeichnet, ein häufiges Auftretendieser Desaturationsepisoden korreliertmit einer schlechten klinisch-neurolo-

gischen Prognose bei Patienten mitSchädel-Hirn-Verletzungen.

Ziel der über einen fiberoptischenKatheter kontinuierlich erfaßbarenSjvO2-Messung ist die frühzeitigeErkennung und Therapie einer grenz-wertig niedrigen (50–55 %) bzw. kri-tisch erniedrigten (< 50 %) jugular-venösen Sättigung. Angewandt wirddie SjvO2-Messung zur kontinuier-lichen Überwachung bewußtloserPatienten. Ein Kritikpunkt dieser kom-plikationsarmen Methode ist die hoheArtefaktanfälligkeit, die zu einer „timeof good data quality“ von nur 40–60 %führt. Um eine regelrechte Messung zugewährleisten, ist ein hoher personellerAufwand notwendig. Diese Methodeist aber prinzipiell zur kontinuierlichenÜberwachung der zerebralen Oxyge-nierung gut geeignet. Sie ermöglichteine differenzierte Therapie des erhöh-ten intrakraniellen Drucks, insbeson-dere kann eine potentiell gefährlicheHyperventilationstherapie „maßge-schneidert“ werden.

Schlüsselwörter JugularvenöseSauerstoffsättigung – Bulbusoxymetrie– zerebrale Ischämie – Desaturations-episoden – Hyperventilation

A. Unterberg (Y) · K. KieningA. Sarrafzadeh · G.-H. Schneider · T. BardtW. R. LankschAbteilung für NeurochirurgieCharité, Campus Virchow-KlinikumHumboldt-Universität zu BerlinAugustenburger Platz 113353 Berlin

Monitoring of jugular bulb oxygensaturation in comatose patients

Summary To prevent secondary cere-bral hypoxia and ischemia in comatosepatients, monitoring of cerebral bloodflow and cerebral oxygenation is ofgreat importance. Monitoring of thejugular venous oxygen saturation(SjvO2) has been shown tocontinuously evaluate cerebraloxygenation and, thus, enabling theestimation of cerebral blood flow. ASjvO2 below 50 % indicates a criticallyreduced cerebral oxygenation.

The aim of SjvO2-monitoring is torecognize early and to treat a criticalSjvO2 (50–55 %) and “desaturation

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66 Intensivmedizin und Notfallmedizin, Band 35, Supplement 1 (1998)© Steinkopff Verlag 1998

Einleitung

Bei komatösen Patienten besteht ein hohes Risiko, eine zere-brale Hypoxie bzw. Ischämie durch arterielle Hypoxämie,arterielle Hypotension bzw. intrakranielle Hypertension zuerleiden. Eine klare Evidenz für diese Pathophysiologie findetsich post mortem bei Patienten, die am Schädel-Hirn-Traumaversterben. Diese weisen in bis zu 88 % Zeichen der zerebra-len Ischämie auf (1). Eine frühzeitige Diagnose und Therapieder zerebralen Hypoxie/Ischämie ist bei komatösen Patientendaher vordringlich. Dies sind Patienten mit schwerem Schä-del-Hirn-Trauma, intrakranieller Blutung mit Subarachnoidal-blutung u.a.

In einer ersten Annäherung an das diagnostische Problemder zerebralen Minderdurchblutung wurden zunächst alsMeßparameter der intrakranielle Druck (ICP) und später derzerebrale Perfusionsdruck (CPP) – die Differenz von mittle-rem arteriellem Blutdruck und ICP – verwendet (16, 21). Diesebeiden Parameter lassen aber nur Rückschlüsse auf die Situa-tion der zerebralen Hämodynamik zu, ohne Informationenüber die zerebrale Oxygenierung (Sauerstoffangebot und Sau-erstoffmetabolismus [CMRO2]) zu liefern. Dies kann nur einMeßwert leisten, in den die arterio – jugular-venöse Sauer-stoffdifferenz (avjDO2) einfließt. Einen Meilenstein in der Ent-wicklung des Monitorings entsprechender Parameter stellt diekontinuierliche Messung der Sauerstoffsättigung im Bulbusder Vena jugularis interna (SjvO2) mittels fiberoptischerKatheter dar (1, 2). Die theoretischen Voraussetzungen für dieGültigkeit dieses Meßverfahrens zur Diagnostik der zerebra-len Sauerstoffversorgung und des zerebralen Sauerstoffum-satzes liegen in den engen Beziehungen von CMRO2, arterio-jugularvenöser Sauerstoffdifferenz (avjDO2), Sauerstoffkon-zentration im arteriellen (CaO2) und jugularvenösen Blut(CjvO2) bzw. zerebralen Blutfluß (CBF) begründet, wie sie inder Fick-Gleichung und ihren Umformungen beschriebensind:

CMRO2 = CBF 3 ajvDO2

und

ajvDO2 = CaO2 – CjvO2

und

CjvO2 = Hb 3 1,34 3 SjvO2

Bei konstanter arterieller Sauerstoffsättigung, konstantem Hbund normaler Sauerstoffdissoziationskurve kann die SjvO2 zuralleinigen Beschreibung der ajvDO2 herangezogen werden.Somit kann vereinfacht ausgedrückt werden:

CMRO2 = CBF / SjvO2 und SjvO2 ~ CBF / CMRO2

Bei konstanter CMRO2 gilt ferner: SjvO2 ~ CBF

Durch Messung der SjvO2 können also im Idealfall Aussagengetroffen werden über:

O die globale zerebrale Oxygenierung,O den Quotienten von CBF und CMRO2 und O die Hirndurchblutung unter der Voraussetzung einer kon-

stanten CMRO2.

Methodik und Ableitetechnik

Meßprinzip

In vivo angewendete Oxymetriekatheter benutzen Licht aus-gewählter Längenwellen aus dem Rot- und Nahinfrarot-Spek-trum. Eine Unterscheidung von Oxyhämoglobin und Hämo-globin wird dadurch möglich. Das Licht (2 bzw. 3 Wellenlän-gen) wird über einen fiberoptischen Lichtleiter transportiertund die Intensität des am Hämoglobin reflektierten Licht-anteils über einen separaten fiberoptischen Lichtleiter zumPhotodetektor zurückgeleitet und gemessen. Die Sauerstoff-sättigung wird dann aus der Lichtabsorption errechnet.

Die ersten fiberoptischen Meßsysteme verwendeten nur 2Wellenlängen, unter der fälschlichen Annahme, daß das Ver-hältnis von reflektiertem Licht zur Sauerstoffsättigung linearsei. Dies führte zu falschen Meßergebnissen. Durch Entwick-lung eines Systems mit 3 Wellenlängen* und der Errechnungvon 2 unabhängigen sog. „Lichtintensitätsverhältnissen“konnte dieser Fehler behoben werden und auch der Einfluß desKohlenmonoxyd-Hämoglobins auf die SjvO2 eliminiertwerden. Das Licht wird bei diesem System in 1 ms-Interval-len ausgesendet und die Daten über 5 s gemittelt und sekünd-lich aktualisiert. Die Rohdaten erfahren dabei noch eineinterne Signalfilterung, die Gefäßwandartefakte eliminierensoll. Die Qualität der reflektierten Lichtintensität wird eben-falls am Monitor angezeigt. Diese befindet sich im Norm-bereich, sobald ein Balken zwischen 2 gepunkteten Liniensichtbar wird (Abb 1). Die graphische Datendarstellung amBildschirm erfolgt wahlweise on-line oder im Trend-Mode.

Applikation des Meßkatheters

Im folgenden wird exemplarisch die Katheterapplikation bzw.der Systemstart erläutert (Tab. 1).

Wie Stocchetti et al. (23) erneut zeigen konnten, weist dervenöse Abfluß des Gehirns anatomisch bedingte Seitendiffe-

* Oximetrix-3 System, Abbott Laboratories, North Chicago, IllinoisPulmonary Opticath P575EH

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A. Unterberg et al. 67Oxymetrie im Bulbus jugularis bei komatösen Patienten

renzen auf. Daher ist die Identifikation der Seite der haupt-sächlichen venösen Drainage notwendig, um die SjvO2-Meßwerte interpretieren zu können. Zu diesen Zwecke wird,nach Kompression der Vena jugularis interna (abwechselndauf beiden Seiten), die Seite mit dem prädominanten venösenintrakraniellen Blutabfluß eruiert (Seite mit dem höheren ICP-Anstieg bei Kompression) (6). Der Kopf wird in Mittelstellungund 15–30° Hochlagerung belassen, um einen Anstieg desICP durch Behinderung des venösen Abstroms zu verhindern.

In einem Winkel von ca. 30° zur Hautoberfläche wird dieVene parallel und lateral des Karotispulses bzw. medial des M.sternocleidomastoideus auf Höhe der Prominentia laryngea inRichtung ipsilateraler Meatus acusticus externus unter steterAspiration kanüliert. Der Pulmonaliskatheter1 wird nach dercolorimetrischen Methode des Herstellers geeicht („pre-inser-tion calibration“) und über die Schleuse vorgeschoben, bis einWiderstand das Erreichen der Schädelbasis anzeigt. DerKatheter muß dann ca. 0,5 cm zurückgezogen werden um freiim Bulbus zu liegen zu kommen.

Mittels seitlicher Röntgen-Bildwandlerkontrolle wird derKatheter auf korrekte Höhenlokalisation überprüft (Katheter-spitze am Oberrand des Dens axis) und eine evtl. Schleifen-bildung oder eine Fehllage, z.B. in der V. facialis, entdeckt.

Es erfolgt nun eine in vivo-Kalibrierung. Abschließendwird das distale Katheterlumen und die Schleuse mit einerheparinisierten Kochsalzlösung (1.000 IE Heparin in 1.000 mlNaCl O,9 %) und einer Infusionsgeschwindigkeit von 3 ml/h,zur Vermeidung einer Lumenokklusion, gespült.

Verwendete Systeme

Das Oximetrix 3-System der Fa. Abbott kann mit 3 verschie-denen Kathetern betrieben werden, nämlich mit einem 4 F-Katheter ohne Ballon, einem 5,5 F-Katheter mit Ballon2 undeinem 7,5 F-Katheter mit Ballon (18). Die Ballonkatheterhaben den Vorteil, eine Gefäßwandadhärenz des Kathetersdurch kurzfristige Insufflation des Katheters zu beseitigen.Andere Systeme werden von der Fa. Baxter (SAT II-Oxy-meter) und der Fa. Spectramed (Hemopro-O2) angeboten.

Während des Monitorings ist immer wieder die korrekteLichtintensität (mindestens ein sichtbarer Balken zwischen den2 unteren gepunkteten, horizontalen Linien) (Abb. 1) zu über-prüfen, da nur dann die Meßwerte valide sind. Eine Routine-invivo-Kalibrierung sollte alle 12 h erfolgen, um einen evtl.Katheterdrift zu korrigieren (6). Eine Korrektur der SjvO2-Meßwerte sollte immer dann vorgenommen werden, wenn dieAbweichung zum CO-Oxymeter3-Meßwert > 5 % ist (7).

Indikationen und Aussagefähigkeit

Indikationen

Als invasive Monitoringmethode sollte ein SjvO2-MonitoringPatienten vorbehalten werden, die einem signifikanten Risikoeiner zerebralen Hypoxie bzw. Ischämie unterliegen. Dies sindPatienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma (Glasgow

Abb. 1 Originalregistrierung des Verlaufs der zerebrovenösen Sauer-stoffsättigung (SjvO2) bei einem Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Die Sauerstoffsättigung liegt zwischen 40 und 60 % (1). DurchHyperventilation (arterielles PCO2 = 26 mmHg) kommt es zu einemAbfall des SjvO2 unter 50 % über ca. 20 min, zur sog. „Desaturatiosepi-sode“. Dies spricht dafür, daß durch die Hyperventilation eine Vasokon-striktion mit Drosselung der Hirndurchblutung und erhöhter Ausschöp-fung des Sauerstoffgehalts induziert wird. Der angezeigte Meßwert kannnur dann als valide erachtet werden, wenn die Lichtintensitätsanzeige (2)zwischen den beiden gepunkteten unteren horizontalen Linien (3, 4) liegt.

1 CO-Oximeter IL-482™, Instrumentation Laboratories, Watertown,MassachusettsPulmonary Opticath P575EH

2 Oximetrix®-3 System, Abbott Laboratories, North Chicago, IllinoisPulmonary Opticath P575EH

3 CO-Oximeter IL-482™, Instrumentation Laboratories, Watertown,Massachusetts

Tabelle 1 Insertionsequipment

Beschreibung Größe Hersteller

Argyle®, 20GA x 2 Sherwood Medical,Intravenous Cannula Tullamore, Ireland

RIC™, 7 Fr Arrow,Rapid Infusions Erding bei MünchenCatheter Exchange Set

Catheter Sheat Adapter für 5 & 6 Fr Katheter Arrow,Erding bei München

Cath-Gard®, für 5 & 6 Fr Katheter Arrow,Catheter Contamination Erding bei MünchenShiel

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68 Intensivmedizin und Notfallmedizin, Band 35, Supplement 1 (1998)© Steinkopff Verlag 1998

Coma Scale ≤ 8), Patienten mit intrazerebralen Blutungen undhöhergradigen SAB. Die Überwachung von ICP, MABP undCPP ist insbesondere dann nicht mehr ausreichend, wenn

O ein traumatischer „Vasospasmus“ („oligämische Hypoxie“)vorliegt,

O eine Hyperventilationstherapie („oligämische Hypoxie“)zur Reduktion eines erhöhten ICP durchgeführt werdensoll,

O eine eingeschränkte bzw. aufgehobene zerebrale Auto-regulation („oligämische Hypoxie“) oder eine Gasaus-tauschstörung („hypoxische Hypoxie“) vorliegt,

O ein Hypermetabolismus („hypermetabolische Hypoxie“)oder ein signifikanter Blutverlust („anämische Hypoxie“)besteht.

In den eben genannten Fällen garantiert ein normalerweise alsausreichend erachteter CPP von 60 mmHg nicht mehr eineadäquate zerebrale Oxygenierung.

Kontraindikationen

Kontraindikationen zur SjvO2-Messung sind hämorrhagischeDiathese, präexistente lokale Infektion des Punktionsortes,instabile Verletzungen der Halswirbelsäule und jede Art der zerebrovenösen Abflußbehinderung (z.B. Sinus-Venen-Thrombose). Die Katheterisierung bei einem gleichzeitigenTracheostoma stellt wegen der erhöhten Infektionsgefahr einerelative Kontraindikation dar.

Aussagefähigkeit

Es können 3 Meßbereiche definiert werden. Der Normal-wertebereich erstreckt sich von 54–75 % (10). Werte < 50 %werden als Desaturation (11) und Werte > 75 % werden alsHyperämie bezeichnet, die in eine „relative“ (normaler CBFaber reduzierte CMRO2) oder „absolute“ (erhöhter CBF undnormale bzw. reduzierte CMRO2) unterschieden werden kann.

Die wichtigste Aussage des SjvO2-Monitoring ist dieAnzeige sog. „Desaturationsepisoden“ (22). Diese sind defi-niert als eine über mindestens 15 Minuten anhaltende Reduk-tion der SjvO2 ≤ 50 %. Diese Episoden beeinflussen Mortalitätund Morbidität nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma, wieSheinberg et al. zeigen konnten, und treten während derMonitoringphase in einem entsprechenden Kollektiv in etwa40 % aller Patienten mindestens einmal auf (22). An einemgrößeren Kollektiv (n = 102) untersuchte Robertson (19) dasAuftreten von Desaturationsepisoden und die Auswirkungenauf die Letalität. 61 Patienten hatten keine Desaturationsepi-sode (Letalität: 17,9 %), 23 Patienten zeigten eine Episode(Letalität: 45,5 %) und 18 Patienten hatten mehr als eine(Letalität: 70,6 %). Die meisten Desaturationsepisoden wareninnerhalb der ersten 24 Stunden nach Trauma aufgetreten.Ursachen einer Desaturation und ggf. zu ergreifende Gegen-maßnahmen sind in einem entsprechenden Flußdiagrammdargestellt (Abb 2).

Eine weitere Untersuchung an 50 komatösen Patienten(Diagnosen: intrazerebrales Hämatom n = 14, Subarachnoi-dalblutungen n = 12, Schädel-Hirn-Trauma n = 24) zeigte eineSjvO2 im kritischen Bereich (50–55 %) bei der Hälfte der

Abb. 2 Ursachen und mög-liche Gegenmaßnahmen beieinem Abfall der zerebro-venösen Sauerstoffsättigung.

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Patienten und Desaturationsepisoden (SjvO2 < 50 %) in 23 %der Fälle. Auffällig war, daß Desaturationsepisoden bei Pati-enten mit intrazerebralen Hämatomen häufiger auftraten undinsbesondere im Rahmen eines Blutdruckabfalls (24).

Das SjvO2-Monitoring eignet sich ferner zur Bestimmungeines individuell optimalen CPP und zur Überwachung derTherapie eines erhöhten ICP, speziell der Hyperventilation, diedie Gefahr der zerebralen Hypoxie birgt (13, 14). Da es eineerhebliche Variabilität hinsichtlich des Ausmaßes der hyper-ventilationsbedingten Vasokonstriktion gibt, kann kein siche-rer Grenzwert für den PaCO2 angegeben werden. Sinkt dieSauerstoffsättigung im Bulbus aber unter Hyperventilationkritisch ab, muß die Hyperventilation verringert werden. Dieunter Hyperventilation auftretende, bekannte Linksverschie-bung der Sauerstoffbindungskurve bei Alkalose und einedamit verbundene, verringerte Abgabe des Sauerstoffs vomHämoglobin (Bohreffekt) hat sich hier als vernachläßigbarherausgestellt, solange ein pH von 7,6 nicht überschritten wird(3).

Einschränkungen in der Aussagekraft der SjvO2 besteheneinerseits hinsichtlich der Identifizierung regionaler hypoxi-scher Areale, da die Methode als globales Verfahren zur Erfas-sung der zerebralen Oxygenierung angesehen wird, und ande-reseits bei hyperämischen Meßwerten. Dieser Diagnose wurdebisher in der Literatur nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.Neuere Untersuchungen zeigen, daß eine Hyperämie mitCBF-Erhöhung und gleichzeitig erhöhtem ICP zu einemschlechten klinischen Endergbnis führt (11). Die Interpretationvon „hyperämischen“ Meßwerten (SjvO2 > 75 %) durch dieBulbusoxymetrie ist aber v.a. dadurch erschwert, daß dieCMRO2 in der Regel nicht bekannt ist und daher die betref-fende Patientengruppe mit einem hohen Risiko nicht sichererkannt werden kann.

Arterio – jugularvenöse Laktatdifferenz (ajvDL) und Laktat-Sauerstoff-Index (LO2I)

Die intermittierende Erfassung der zerebralen Laktatproduk-tion in Form der ajvDL bzw. eines Quotienten aus ajvDL unddes ajvDO2, des sog. Laktat-Sauerstoff-Index (LO2I), erlaubtdie Diagnose einer zerebralen Ischämie. Die folgende Formelzeigt den Zusammenhang beider Parameter:

LO2I = ajvDL / ajvDO2

Ein LO2I > 0,08 gilt als zuverlässiger Parameter der zerebra-len Ischämie nach Schädel-Hirn-Trauma (20). Kritik hinsicht-lich ajvDL und LO2I wird von Cruz (4) geäußert, der übereinen Fall berichtet, bei dem trotz Entwicklung eines kom-pletten Mediainfarktes ein normales ajvDL bzw. LO2I gemes-sen wurde. In einer breiter angelegten Untersuchung kommter zu dem Schluß, daß bei Vorliegen einer akuten Anämie (Hb

< 11 g/dl) die ajvDO2 – als absoluter Meßwert – falsch ernied-rigt ist, dadurch den LO2I inkorrekt erhöht und damit einezerebrale Ischämie vortäuscht (5). Darüberhinaus ist die ledig-lich intermittierende Datenerhebung beider Meßwerte für denRoutineeinsatz auf der Intensivstation unpraktikabel und birgtdie Gefahr einer diagnostischen Lücke. Ferner kann die extra-kranielle Blutbeimengung bei niedrigem CBF auch bei lang-samer Aspiration von jugularvenösem Blut erheblich werdenund zu falschen Ergebnissen führen (6).

Artefaktverhalten und -erkennung

Bei zu geringer Lichtintensität liegt eine Katheterobstruktionvor. In diesem Fall muß Blut aspiriert werden, bis das Lumenfrei durchgängig ist. Anschließend kann mit heparinisierterLösung der Katheter wieder gespült werden.

Bei zu hoher Lichtintensität liegt der Katheter der Ge-fäßwand an. Durch Reposition bzw. kurzfristiges Insufflierendes Ballons kann dieser wieder mittelständig in den Blutstromgebracht werden. Kopfbewegungen sollten aus diesem Grundwährend des Monitorings auf ein Minimum beschränkt blei-ben. Ändert sich darüberhinaus die Kopfposition, kann dieLichtintensität stabil bleiben und trotzdem signifikante Än-derungen der SjvO2 induziert werden.

Wird keine Lichtintensität am Monitor angezeigt, so liegtein Lichtleiterbruch vor.

Der kleine Anteil von Beimischungen von extrakraniellemBlut unter physiologischen Bedingungen kann unter patholo-gischen Bedingungen erheblich werden. Dies betrifft die zere-brale „Einklemmung“ (13, 22). Hier findet sich nach einemdeutlichen Abfall der SjvO2 ein Anstieg der Meßwerte, da nunvermehrt extrakranielles Blut retrograd in den Bulbus fließt.

Kann der Katheter sich in der Vene „aufwickeln“, kommtes zu sog. „spontanen Wellen“ der Meßwerte (7). Eine Rönt-genkontrolle sichert die Diagnose und erfordert die Lage-korrektur bzw. die Entfernung des Katheters.

Aufgrund dieser Artefakte liegt der Anteil an „good dataquality“ bei dieser Methode nur bei 40–60 % (7, 13).

Stellenwert im Rahmen des Intensivmonitorings

Von allen derzeit angebotenen Systemen zur Überwachung derzerebralen Oxygenierung, namentlich Nah-Infrarotspektro-skopie, direkte Gewebe-Sauerstoffpartialdruckmessung undSjvO2, ist letztere die Methode mit dem derzeit größten wis-senschaftlichen Hintergrund (13, 15). Die praktischen Pro-bleme, die der SjvO2 aber anhaften, fordern über die gesamteMonitoringzeit hinweg einen hohen zeitlichen und personel-

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len Aufwand. Trotzdem ist die Datenqualität auch in Zentrenmit großer Erfahrung allenfalls bei 40–60 % reliabler Meß-werte anzusiedeln (6,13). Ein weiterer, wesentlicher Nachteilder Methode liegt in ihrer relativ kurzen medianen Anwen-dungszeit von 2,5–4 Tagen, wenn auf einen Katheterwechselüber die liegende Schleuse (Infektionsgefahr!) bzw. auf eineNeupunktion verzichtet wird (9, 13). Stabile Messungen bis zu10 Tagen nach Trauma wären aber bei komplizierten Krank-heitsverläufen wünschenswert. Die Methode wird dahergrößeren Traumazentren vorbehalten bleiben und auch dortnur mit geschultem Personal sinnvoll eingesetzt werden kön-nen. Die technische Weiterentwicklung und Validierung dero.g. anderen Monitoringverfahren der zerebralen Oxygenie-rung stellen daher für die Zukunft eine ernstzunehmendeKonkurrenz zur SjvO2-Messung dar (13).

Wie eingangs erwähnt, kann unter der Annahme einer kon-stanten CMRO2, eine positive lineare Korrelation von CBFund SjvO2 erwartet werden. Dieser Zusammenhang wurdevon Robertson et al. für Schädel-Hirn-Trauma Patientengezeigt. Neuere Untersuchungen stellen diesen Zusammen-

hang wieder in Frage, da vermutlich die CMRO2 einer breitenindividuellen Variabilität unterliegt (17). Eine Gleichsetzungder SjvO2 mit der Hirndurchblutung sollte daher nur mitVorsicht erfolgen.

Trotz einiger möglicher Komplikationen kann das SjvO2-Monitoring als sicher angesehen werden. Eine Jugularvenen-thrombose gilt zwar als potentielle Gefahrenquelle, ist aberoffenbar äußerst selten bzw. ist ohne klinische Relevanz.Goetting et al. (9) sahen bei 123 Patienten mit SjvO2-Katheterkeine Thrombose. Auch der Autor hat dies im eigenen Kol-lektiv noch nie beobachtet. Infektionen spielen bei der eherkurzen Katheterliegezeit bei sachgerechter Pflege keine Rolle.Eine artifizielle Punktion der A. carotis ist bei 3 % zu ver-zeichnen (9).

Die Messung der SjvO2 im Rahmen eines multimodalenzerebralen Monitoring ermöglicht eine detaillierte Analyseder Ursachen eines Sättigungsabfalls, da neben der SjvO2 wei-tere Parameter wie z.B. der arterielle Blutdruck, der zerebralePerfusionsdruck, der intrakranielle Druck und das endexspi-ratorische CO2 kontinuierlich aufgezeichnet werden (13).

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