Lordstown 1972 - Produktive Sabotage (Wildcat)

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    Thekla 12 - November 1989 - S. 125-146 [t12lords.htm]

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    Lordstown 72 oder General Motors Mh und Plage[1]

    Lordstown - Produktive Sabotage

    Das Werk Lordstown, fertiggestellt im Jahr 1970, ausgerstet mit

    modernster und raffiniertester Technologie, war als Modell

    konzipiert worden. Stattdessen wurde es zum Woodstock der

    Industrie: Lange Haare, Hippy-Verhalten und totale

    Disziplinlosigkeit machten es unmglich, da die Fliebnder auch

    nur einigermaen funktionierten. GM whlte diesen kleinen Ort,

    weit weg von Detroit, entgegen den Gewohnheiten der

    Industrieansiedlung aus und hoffte damit, junge und unerfahrene

    Arbeitskrfte rekrutieren zu knnen. Die haben sie jetzt

    gekriegt... (L'Expansion)

    I

    Die Fabrik, in der das super-kompakte Vega-Modell hergestellt wird, ist im

    Juni 1970 eingeweiht worden. Sie kostete General Motors mehr als 100

    Millionen Dollar. Diese neue Fabrikationseinheit, von ultramodernerKonzeption und vollgestopft mit technologischen Neuerungen, sollte es endlich

    mglich machen, der Krise quer durch die amerikanische Automobilindustrie

    zu begegnen: der Sttigung des Marktes und der auslndischen Konkurrenz.

    Die Fabrik steht in Lordstown (Ohio). Nach den Worten des Generaldirektors

    von Chevrolet, dessen Abteilung das Werk unterstand, stellte es ein

    Qualittsniveau dar, das auf diesem Gebiet in diesem Land noch nie erreicht

    worden ist, und wahrscheinlich auf der ganzen Welt nicht. Er fgte hinzu,

    da die 8000 Beschftigten von Lordstown an dieser Fabrik sehr hngen

    wrden. Das ist der Weg der Zukunft, stellte ein Brsenfachmann im Wall

    Street Journal fest.

    Da Lordstown der Weg der Zukunft ist, das wollen wir hier zeigen.

    Allerdings wird unsere Ansicht den Hoffnungen der Wlfe von Wall Street

    nicht entsprechen.

    Im Februar 1972 stimmten die Arbeiter von Lordstown zu 97% fr einen

    Streik, um auf Reorganisationsmanahmen und Entlassungen zu antworten,

    die in der Montageabteilung der GM (GMAD) [2] - sie hatte die Abteilung

    Chevrolet von der Leitung der Fabrik abgelst - angeordnet worden waren.

    Aber die Arbeiter - ihr Durchschnittsalter lag bei 24 Jahren - warteten nicht

    erst auf den Streikbeschlu, um loszuschlagen. Und wie sie losschlugen!

    Der New York Review schreibt am 23. Mrz 1972: Vor dieser Abstimmung

    hatten die Werke von Lordstown eine traurige Berhmtheit erlangt: Wechsel

    in der Direktion, Entlassungen, Disziplinarstrafen, Zunahme von

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    Fabrikationsfehlern, Proteste der Arbeiter gegen Temposteigerung an den

    Montagebndern, Ausfallzeiten, steigende Abwesenheitsquoten, wiederholte

    Sabotagevorwrfe. Die Direktion behauptet, die Arbeiter htten Lack

    zerkratzt, Karosserien, Sitze und Armaturenbretter beschdigt, und sie hat

    5000 Dollar als Belohnung ausgesetzt fr jeden, der Hinweise zu einem Brand

    geben kann, der an den Stromleitungen des Montagebandes ausgebrochen

    ist.

    Die New York Times przisiert die Darstellung: Die Produktion an den

    Bndern, den schnellsten der Welt, ist vllig auer Kontrolle geraten... GM

    schtzt den Produktionsverlust auf fast 12 000 Vega und etwa 4 000

    Chevrolet-Transporter, ein Wert von ca. 45 Mill ionen Dollar. Die Direktion hat

    seit dem letzten Monat die Fabrik mehrmals schlieen mssen, nachdem die

    Arbeiter die Bandgeschwindigkeit gebremst und die Wagen hatten

    vorbeilaufen lassen, ohne smtliche vorgesehenen Arbeiten auszufhren.

    A.B. Anderson, der Direktor der Fabrik, erklrte: 'Es kam vor, da Motorblcke

    an 40 Arbeitern vorbeiliefen, ohne da auch nur einer seine Arbeit angerhrt

    htte.' Die Direktion beschuldigte die Arbeiter auch der Sabotage. Sie htten

    Windschutzscheiben und Rckspiegel zertrmmert, htten die Polster

    eingerissen, Blinkanlagen verdreht, Unterlegscheiben in Vergaser geworfen

    und Zndschlssel abgebrochen.

    Im Verlauf der letzten vier Wochen war ein Parkplatz mit einer Kapazitt von

    2 000 Wagen hufig von Vegas belegt, die zur Reparatur in die Fabrik

    zurckgeschickt werden muten, noch bevor sie den Verkufern ausgeliefert

    worden waren. In den letzten zwei Wochen ist der Verkauf von Vegas auf die

    Hlfte gefallen. [3]

    Im September 1971, also bevor GMAD die Leitung der Fabrik bernahm,

    hatten die Arbeiter im Karosseriebau einen wilden Streik angefangen. Der

    Wechsel in der Direktion war also nicht der einzige Grund fr die

    Unzufriedenheit.

    Das Automationsspielzeug und die Roboter, die die Fabrik bevlkern, wollten

    nicht tatenlos zusehen und trugen ihren Teil zum Fest bei. Dem Wall Street

    Journal zufolge haben die automatischen Spritzpistolen die Neigung, in dem

    Moment, in dem sie sich 'erinnern' mssen, ob der Wagen, der gespritzt

    werden mu, ein Coup, eine Limousine oder ein Kombi ist, in Panik zu

    geraten und schicken die Farbe in alle Himmelsrichtungen, ber die Scheiben

    der Autos und ber alles, was sich in ihrer Nhe befindet. EineZusatzmaschine, die die Aufgabe hatte, den Robotern die Stcke zu

    prsentieren, fiel zum wiederholten Male wegen 'berlastung der

    Hauptfunktionen' aus. GM selbst hatte das Pech, der Zeitschrift CAR einen

    defekten Vega zu verkaufen. Nachdem die Ingenieure von Chevrolet die

    Defekte des Wagens geprft hatten, fanden sie einen 'Montagefehler' heraus,

    der von einem Computer verschuldet worden war. Der Wagen, der ein

    automatisches Getriebe hatte, war mit der Federung des vorher montierten

    Wagens gebaut worden - einem Modell mit handgeschaltetem

    Dreiganggetriebe. [4]

    Die hier beschriebenen Verhltnisse sind nicht auf eine Fabrik beschrnkt,

    obwohl sie fr Lordstown besondere Bedeutung haben und obwohl die von GM

    fr die Modellfabrik hergestellte Publizitt dazu beigetragen hat, diese

    Tatsachen besonders bekannt zu machen. Das Phnomen betrifft die gesamte

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    amerikanische Automobilindustrie - und nicht nur sie!

    Die Sabotage ist nicht in Lordstown erfunden worden. Es handelt sich hier um

    eine alte Arbeitertradition, die im Lauf der letzten Zeit verstrkt wieder

    aufgetaucht ist. Sie erlaubt einerseits, die Nerven in einem kleinen Racheakt

    zu entspannen und andrerseits ein wenig zu verschnaufen, whrend man die

    Reparatur abwartet. In den USA aber ist wirklich das Zeitalter der Halbheiten

    vorbei.

    II

    Das Montagewerk fr den Vega, das fr die am Boden liegende amerikanische

    Automobilindustrie die Rettung bringen sollte, hat sich in Wirklichkeit als eine

    beispielhafte Illustration der fundamentalen Probleme der Warenproduktion

    erwiesen. Das Desaster von GM in Lordstown deutet schon in konzentrierter

    und beschrnkter Form die zuknftige Krise des kapitalistischen Systems an.

    Diese Krise wird sich in Form einer Sackgasse in den konomischen,

    technischen und menschlichen Beziehungen prsentieren. Wir nhren nicht

    die Illusion, die Chancen stnden jetzt gnstig und der Funke eines noch sehrbegrenzten Brandes sprnge auf das ganze System ber, aber wir meinen,

    da gleiche Ursachen gleiche Folgen nach sich ziehen.

    Es gibt keine Garantien dafr, da radikale Aktionen nicht am Ende wieder

    vom System eingeholt und in Reformen aufgefangen werden. Kein

    Voluntarismus kann dagegen ankommen. Aber der alte Maulwurf der

    Revolution arbeitet sich mitten durch die Vereinnahmung und ihre

    berwindung voran und taucht schlielich wieder auf.

    Brgerliche Revolutionen, wie die des achtzehnten Jahrhunderts, strmen

    rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte berbieten sich,

    Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefat, die Ekstase ist der

    Geist jedes Tages; aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Hhepunkt

    erreicht, und ein langer Katzenjammer erfat die Gesellschaft, ehe sie die

    Resultate ihrer Sturm-und-Drang-Periode nchtern sich aneignen lernt.

    Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts,

    kritisieren bestndig sich selbst, unterbrechen sich fortwhrend in ihrem

    eigenen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurck, um es wieder

    von neuem anzufangen, verhhnen grausam-grndlich die Halbheiten,

    Schwchen und Erbrmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren

    Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Krfte aus der Erde sauge und sichriesenhafter ihnen gegenber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem

    zurck vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die

    Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmglich macht ... [5]

    Das geringe Interesse des Konsumenten am Kauf von Autos und die

    zunehmende Bedeutung der auslndischen Konkurrenz, deren eigene Mrkte

    eingedeckt sind, haben die Gesundheit der Automobilindustrie untergraben.

    Seit dem Erscheinen des Vega war die amerikanische Automobilindustrie der

    am schwersten getroffene Wirtschaftszweig einer konomie gewesen, die sich

    in der Depression befand. Das Jahr 1970 war ein Desaster fr dieAutomobilhersteller. Die Produktion war die niedrigste seit 1961; sie war um

    ein Drittel niedriger als 1965, dem Rekordjahr und um ein Fnftel niedriger

    als 1950. 955 Neuwagenhndler machten Bankrott, das ist jeder

    achtundzwanzigste ... Selbst die Abschaffung der KFZ-Steuern konnte den

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    Gewinn in der zweiten Hlfte des Jahres 1971 nicht stimulieren ... Trotz

    dieser Untersttzung konnten die Automobilfirmen ihre

    Produktionsprogramme nicht ausweiten. Sie kauften nur wenig zustzliche

    Rohstoffe und stellten kaum Arbeiter ein. Ihre Zurckhaltung erwies sich als

    klug: der Verkauf von Autos ist von 1972 bis heute kaum gestiegen. Das

    Handelsministerium errechnete im Februar, da die Kaufabsichten fr Autos

    im Vergleich zum letzten Jahr um 8,4% gefallen sind und um 4,4% seit dem

    Monat Oktober ... [6]

    Die Ertrge der gesamten Automobilindustrie sind mittelmig. Das je Kopf

    der Beschftigten eingesetzte Kapital ist in den letzten Jahren praktisch nicht

    gewachsen.

    Was den Vega betrifft, so kommt ein weiterer Aspekt des Scheiterns hinzu.

    Gerstenberg, der neue Prsident von GM, erklrte fnf Monate nach der

    Vorstellung des Wagens, er habe sich noch nicht so auf dem Markt bewhrt,

    wie wir es ihm wnschen.

    Nach Ford ist die Steigerung der Produktivitt in der Automobilindustrie, dievon 1960 bis 65 pro Jahr 4,5% betrug, auf 1,5% fr die zweite Hlfte des

    Jahrzehnts gefallen. Dieser Rckgang ist verbunden mit einer Stagnation in

    den Produktionstechniken. N. Cole von GM schtzt, da sich in unserer

    Branche die Mglichkeiten des technischen Fortschritts im Vergleich zu frher

    vermindert haben.

    Hat diese Blockierung nur technische und wissenschaftliche Grnde? Sicher

    nicht; das Wissen, das die Automation der Produktion von Autos und von

    anderen Waren ermglichte, existiert. Aber es kann nicht angewendet

    werden, weil die Produktionsverhltnisse die Entwicklung der Produktivkrfte

    behindern.

    Es ist jetzt 20 Jahre her, da Norbert Wiener, der Begrnder der Kybernetik,

    meinte, vllig automatisierte Fabriken knnten auf der Grundlage der schon

    ausgearbeiteten Prinzipien innerhalb einiger Jahre konstruiert werden. Er

    hatte gezeigt, wie die beiden letzten Weltkriege wichtige technologische

    Entwicklungen mit sich gebracht hatten, indem bisher unbenutzte

    Entdeckungen angewandt wurden. Ihn beschftigte die Vorstellung eines

    pltzlich hereinbrechenden greren Konflikts, wodurch gleichzeitig die

    Aufrechterhaltung der industriellen Produktion und eine bedeutende

    Mobilisierung der Infanterie erforderlich wrde. Wir sind in der Entwicklungvon Maschinensystemen, die automatisch in Gang gesetzt werden knnen,

    schon genauso weit wie wir beim Radar 1939 waren ... Die pfiffigen

    Radioamateure, die Mathematiker und Physiker, die so schnell in

    Elektroingenieure umgewandelt wurden, als man das Radar konstruieren

    wollte, stehen auch jetzt noch fr das sehr verwandte Vorhaben der

    Konstruktion automatischer Maschinen zur Verfgung. Die Zeit von etwa zwei

    Jahren, die erforderlich war, um das Radar auf den Schlachtfeldern

    einzusetzen - und zwar mit einem hohen Grad von Wirksamkeit - wrde fr

    die Entwicklung einer automatischen Fabrik kaum bentigen. [7]

    Wiener beschrieb das Problem theoretisch, aber geht man ins Detail, dannkann es auch um eine automatische Fabrik gehen, die um einen Computer

    angeordnet wre. Er fhrte die Automobilfabrik und das Fliebandsystem als

    besonders gnstige Flle fr die Anwendung solcher Techniken an.

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    Der Kapitalismus hat sich als unfhig erwiesen, diese technische Revolution

    durchzufhren. Sicher gibt es automatische, stark perfektionierte Maschinen

    und selbst groe Produktionsabschnitte, die fast jedes menschliche Eingreifen

    berflssig machen. Automation findet sich in den expandierenden Industrien,

    die das notwendige Kapital investieren knnen. Sie setzt voraus, da die Form

    der Waren nicht zu oft variiert und da der Absatz gesichert ist. Die

    Experten schtzen, da nur ein Anteil von 8% der amerikanischen

    Produktion - bezogen auf die Zahl der beschftigten Arbeiter - automatisiertwerden kann.

    Bestimmte Ideologen versuchen, diese Ohnmacht als Gipfel der

    Menschenfreundlichkeit auszugeben: Die praktische Vernunft beruht in

    Frankreich vielleicht auf einer bestimmten Langsamkeit der 'Umwandlungen',

    die auf die Finanzen und die Menschen gleichermaen Rcksicht nimmt. Als

    Renault die Fabrik von Flins baute, htte (wenigstens in einem Teil der

    Fabrik) die Zahl der Arbeiter um 88% reduziert werden knnen, wenn die

    Automatisierung der Bnder extrem vorangetrieben worden wre. Renault hat

    das nicht getan und das ist gut so; aber werden die Partner in der EWG

    dieselben Skrupel haben? Wohltaten sind immer kostspielig. [8]

    Obwohl das Management von GM nicht die Skrupel von Renault hat und

    obwohl Lordstown die modernste Automobilfabrik der Welt ist, so ist sie doch

    noch lange keine automatisierte Fabrik. Bestimmte Handgriffe der

    angelernten Arbeiter sind auf die Maschinen bergegangen, aber in den

    wenigsten Fllen stellt dies einen wichtigen technischen Fortschritt oder gar

    eine revolutionre nderung der alten Arbeitsschritte dar. ... Der

    Generaldirektor von Chevrolet hat geschrieben, da der Schweiautomat 'dem

    Arbeiter das Hantieren mit schweren Schweizangen erspare' allerdings, und

    das kommt zweifellos seinen berlegungen nher, hat man 'diejenigenSektoren mechanisiert, in denen erfahrungsgem menschliches Versagen als

    Fehlerquelle in Betracht kommt'. Man kann von einem Arbeiter nicht

    erwarten, da er hundert dicke Schweinhte in der Stunde mit der Hand

    zieht. ... Die schwerwiegendsten Auswirkungen auf die Ttigkeit der Arbeiter

    haben diejenigen Maschinen, die die Organisation der Produktion straffen und

    die Arbeit neu aufteilen, damit sie sich dem Tempo der Montagebnder

    anpat. Die Ingenieure von GM sind besonders stolz auf ihre Technik der

    Integration der Arbeitsvorgnge. Es war ihr groer Ehrgeiz,

    'Computertechnologie einzusetzen', damit die Arbeit jedes Arbeiters 'leichter

    ausfhrbar und gleichzeitig prziser wird'. Es ist weniger aufwendig, diePrzision und das Arbeitstempo zu steigern, als die Arbeiter durch noch

    schnellere Roboter zu ersetzen. Die Maschinen ersetzen eher die Kontrolleure

    und Aufseher als die unqualifizierten Arbeiter. [9]

    Wir sehen daran, da die Automation nicht den gesamten Produktionsproze

    erfat. Die Maschine ersetzt den Arbeiter nur in geringem Ausma, sie dient

    eher dazu, seine Ttigkeit einzufassen und zu rhythmisieren. Man lt von

    Automaten ausfhren, was das Produktionstempo bremst. Das erlaubt die

    Verkrzung der Taktzeiten. Die Arbeit ist noch stumpfsinniger und mhsamer,

    der Arbeiter ist strker an seinen Arbeitsplatz gebunden und besser

    kontrolliert. Die zur Regulierung eingesetzten Computer verhalten sich wieihre ewigen menschlichen Vorbilder, sogar noch unerbittlicher. Die ALPACA

    zum Beispiel [10] gibt jedem Arbeiter die Zeit vor, in der er seine Aufgaben

    verrichten mu. [11] In einem Interview in der New York Times vom 23.

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    Januar 72 erklrte der UAW-Gewerschaftssekretr von Lordstown: Das ist

    das schnellste Flieband der Welt. Die Jungs haben nur 40 Sekunden, um zu

    machen, was sie machen mssen. Die Direktion stellt ihre Berechnungen an

    und sagt uns, sie htten dem Arbeitsablauf nur eine Kleinigkeit hinzugefgt.

    Auf dem Papier sieht es so aus, da der Arbeiter gengend Zeit hat. Aber

    wenn man nur 40 Sekunden hat, kann einen bereits die kleinste zustzliche

    Aufgabe fertigmachen. [12]

    GM findet, schon Lordstown sei dem Unternehmen zu teuer gekommen. Die

    Automobilindustrie kann sich die Automation nicht selbst finanzieren. Der

    Umfang des bentigten Kapitals lt sich nicht mit dem Mastab der Kosten

    der vorhandenen Fabriken messen und wrde schnellen Modellwechsel

    vollkommen unmglich machen. Die grundlegende technologische

    Umgestaltung ist unvereinbar mit der kurzfristigen Vernderung des

    Erscheinungsbildes der Waren. Die Zwnge des Kapitalumschlags stellen sich

    gegen langfristige Investitionen.

    Weil sie die Arbeitsproduktivitt durch die Entwicklung des technischen

    Systems nicht hinreichend steigern knnen, versuchen die Unternehmen, dasManko durch Intensivierung und Rationalisierung der lebendigen Arbeit

    auszugleichen. Das bleibt augenscheinlich nicht auf die Automobilindustrie

    beschrnkt. Auch die Broangestellten sind hiervon zunehmend betroffen.

    Zu ihrem Unglck stoen die Unternehmer auf Arbeiter, die immer weniger

    gefgig sind. Dieser Widerstand drckt sich seit Ende der 60er Jahre in einer

    Zunahme der wilden Streiks und der spontanen Arbeitseinstellung aus, aber

    auch in Blaumachen, dem Abhauen und der versteckten Sabotage.

    Das Blaumachen: Es hat sich vor allem unter den Bandarbeitern ausgebreitet.

    Bei GM, Ford und Chrysler hat es sich in 10 Jahren verdoppelt. ImDurchschnitt liegt es bei 5-10%. 5% bei GM fehlen ohne Angabe von

    Grnden; Ford war gezwungen zeitweilig Studenten einzustellen, um die

    Arbeiter (10%) zu ersetzen, die montags und freitags fehlen. [13]

    Die amerikanischen Arbeiter sind nicht die einzigen, die dazu bergegangen

    sind, sich die Wochenenden zu verlngern. In einem Artikel von Le Monde

    (8.10.71) ber die soziale Situation in Italien war zu lesen: Zu diesen

    Querelen kommt das Blaumachen, das zu einer chronischen Krankheit unter

    einem Teil des italienischen Personals geworden ist. Man schtzt, da

    durchschnittlich sieben von hundert Arbeitern jeden Tag in der Metall- undMaschinenindustrie fehlen, das Verhltnis wchst in der Region Neapel auf

    12%. Die Abwesenheitsquote soll in einigen Monaten auf 15-20% angestiegen

    sein.

    Das Abhauen: Die Arbeiter haben immer weniger Sitzfleisch und wechseln

    bedenkenlos die Beschftigung, oder sie hren fr eine Zeitlang auf zu

    schuften, nachdem sie eine bestimmte Summe gespart haben. Die Quote der

    Abwanderungen bei Ford lag 1969 bei 25%. Arbeiter hauen mitten am Tag ab,

    manche, ohne sich ihr Geld abzuholen.

    Dieses Verhalten findet man vor allem in der jungen Generation, aber diejungen Arbeiter werden sich sicher nicht sonderlich beruhigen, wenn sie lter

    werden. Nach Malcolm Denise, dem Personaldirektor von Ford, wird der

    Arbeiter der 70er Jahre mehr und mehr Widerwillen vor dem Rhythmus und

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    der monotonen Arbeit der Fliebnder entwickeln.

    Die Angst um den Arbeitsplatz hat in Lordstown keine Rolle gespielt. In

    vielen Fllen arbeiten die Vter der jungen Automobilarbeiter in der Stahl-

    und Kautschukindustrie, und sie haben gesehen, wie die Arbeitspltze in ihren

    Betrieben von der auslndischen Konkurrenz bedroht wurden. Aber der

    drohende Verlust des Arbeitsplatzes, der Druck der Eltern, der Presse und der

    rtlichen politischen Vertretungen hatte bis heute nur wenig Einflu auf die

    militanten jungen Arbeiter, die im Oktober letzten Jahres den Kampf gegen

    GM aufgenommen haben. [14] Die Direktion organisierte ein Sensitivity

    training, um die Arbeiter zu beruhigen, aber umsonst.

    Was tun? Weder die Arbeiter, noch die Gewerkschaften, noch die Manager

    haben eine Idee. Die Gewerkschaft setzte zuerst darauf, eine

    Arbeitszeitverkrzung auszuhandeln. 1970 hatte die UAW in den

    Tarifverhandlungen von Ford und Chrysler gefordert, die Mglichkeit einer

    40-Stunden-Woche bei 4 Arbeitstagen zu prfen. Vor allem Chrysler zeigte

    fr den Vorschlag Interesse - in der Hoffnung, nicht nur das Blaumachen zu

    reduzieren, sondern auch den Personalbestand zu stabilisieren. Nach achtMonaten Verhandlung wurde das Projekt jedoch verworfen: Das groe

    Unternehmen, von Tausenden von Zulieferern abhngig, war anscheinend

    nicht in der Lage, sich einem anderen Rhythmus als dem der 5-Tage-Woche

    anzupassen.

    Nun versuchte Chrysler etwas neues. Im Januar 1971 wurde ein Job

    enrichment-Progamm eingefhrt. Theoretisch handelte es sich darum, den

    Beschftigten von Chrysler auf allen Ebenen die Mglichkeit zu geben, auf

    das, was sie machen und auf die Produkte, die sie herstellen, stolz zu sein.

    In jeder Fabrik machte sich ein Komitee fr Arbeitsbereicherung auf die

    Suche nach Vorschlgen zur Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Was die

    langfristigen Resultate anbelangt, so berwiegt die Skepsis. Hren wir Douglas

    Fraser, Vizeprsident der UAW und Vorsitzender der Gewerkschaft bei

    Chrysler: Zu Anfang hatte man den Eindruck, das wird laufen, aber die Frage

    ist, wie lange es anhlt. Wird der Arbeiter jeden Monat nachfragen mssen:

    'Sag mal, wie steht's mit meiner Bereicherung?' [15]

    Die Gewerkschaftsbrokratie lt berall ihren guten Willen spren und

    versucht, sich einsichtig zu zeigen. Die UAW sprach davon, eine Verkrzung

    der wchentlichen Arbeitszeit auszuhandeln, die die rationelle Nutzung der

    Anlagen nicht behindert. Nach D. Fraser kann man sich nicht erlauben,einfach irgendwelche Methoden zu importieren: Bei Volvo, heit es, haben

    sie das Flieband abgeschafft und durch kleine Arbeitsgruppen ersetzt. Was

    man bei Volvo macht, kann man natrlich auch in den USA machen. Nur, die

    kriegen nur zehn oder zwanzig Wagen in der Stunde dabei raus. Wrden wir

    in einem solchen Tempo arbeiten, kmen unsere Wagen auf 25.000 Dollar.

    Den Arbeitern eine befriedigende Arbeit geben und dabei unsere

    Produktionsrhythmen aufrechterhalten: Das ist in unserem Land gefordert. Es

    liegt bei uns, eine Lsung zu finden.

    Die Automobilkonzerne schtzen, da trotz der Schwierigkeiten, die sie mit

    ihrem Personal haben, tiefgreifende Vernderungen der Arbeitsorganisation

    nicht rentabel sind. Die einzigen Industriezweige, in denen das Ende der

    Fliebandarbeit ins Auge gefat werden kann, sind die, bei deren Produkten

    die Kufer bereit sind, hhere technische Qualitt teurer zu bezahlen, und

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    diese Branchen sind rar. Wenn man schon die Produktionskosten steigern

    mu, um mehr zu verkaufen, dann ist es im allgemeinen interessanter, die

    Anstrengungen auf die Werbung oder die Abwandlung der Warenhllen als auf

    die technische Qualitt zu richten. Die Ausnahmen betreffen vor allem

    industrielle Ausrstungsgter. In der Autobranche kann vielleicht nur Volvo

    diesen Weg einschlagen, weil die Marke ein entsprechendes Image hat

    (Langlebigkeit).

    Die Heilmittel, zu denen das Kapital in seinem rger greift, sind Repression,

    Bestrafung der Fehler, verschrfte berwachung und Disziplin.

    Gewerkschafter und Journalisten, Unternehmer und Minister wetteifern

    miteinander, dem leidvollen Problem der angelernten Arbeiter, diesen Opfern

    des Wachstums, ins Gesicht zu schauen. Jeder mu die Mglichkeit haben,

    sich in seiner Arbeit zu entfalten. Schlu mit den repetitiven Arbeiten! Nach

    Meinung der UAW betrachten die lteren Arbeiter die Arbeit als eine Tugend

    und eine Pflicht, nicht aber die jungen, und deren Standpunkt mu in die

    berlegungen einbezogen werden. J. Godfrey von der GMAD hat erkannt:

    Unter den Jungs, die die Fliebandarbeit nicht mgen, gibt es auch solche,die ganz einfach die Arbeit nicht mgen, wohin man sie auch stellt. [16]

    Deshalb ist Reformbereitschaft notwendig.

    All dies Geblubber macht die Auflsung einer Gesellschaft deutlich, die durch

    die phantastische Entwicklung ihrer Produktivitt die eigenen Fundamente

    untergraben hat. Man bt Selbstkritik, man verspricht, sich zu bessern, aber

    man will nicht ber die einzige ernsthafte Lsung reden: Die Abschaffung der

    Arbeit.

    Die Kritik dieser Herren konzentriert sich auf den repetitiven Charakter der

    Handgriffe. Der Feind der Humanisten ist nicht das Kapital - Motor desFortschritts - sondern die frchterliche Wiederholung. Man mu dem Volk

    Abwechslung verschaffen und es wird glcklich sein.

    Es stimmt, da Fliebandarbeit zugleich mhsam und repetitiv ist, aber es

    stimmt nicht, da ihre repetitive Zurichtung an sich schon besagt, da sie

    mhsam ist. Es gibt Arbeiten, die nicht repetitiv und doch anstrengender als

    Fliebandarbeit sind. Und es gibt Aktivitten - z.B. Vgeln oder Schaukeln -,

    die sind repetitiv, ohne mhsam zu sein. Wenn die Arbeit am Band mhsam

    ist, dann nicht weil sie repetitiv ist, sondern weil sie Arbeit ist.

    Charakteristisch fr die Fliebandarbeit ist, da die Ttigkeit des Menschen

    direkt vom Rhythmus der Maschine als der Inkarnation des Kapitals dominiert,

    organisiert und bestimmt wird. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen

    Arbeitern verliert der Bandarbeiter die Mglichkeit, an der Verwaltung seiner

    eigenen Entfremdung teilzunehmen. Seine Ttigkeit ist dem Kapital

    unterworfen, nicht nur, was ihre Ziele anbetrifft, sondern selbst in ihrer Form.

    Er verliert die Illusion der Freiheit, aber auch die Freiheit sich Illusionen zu

    machen. Er wei: wenn seine Arbeit mhselig ist, dann liegt das nicht an der

    Faulheit seiner Kollegen oder an der Unfhigkeit des Chefs, sondern daran,

    da sein Leben vom Kapital kolonisiert wird.

    Die brgerliche Kritik der Fliebandarbeit schlgt keine andere Lsung vor als

    die Teilnahme des Arbeiters an seiner eigenen Entfremdung. Dieser

    Reformismus ist eine Wiederholung dessen, was Marx schon bei Proudhon

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    kritisierte: er schlgt dem Arbeiter vor, nicht lediglich den zwlften Teil einer

    Nadel, sondern nach und nach alle zwlf Teile anzufertigen. Der Arbeiter

    wrde so zu der Wissenschaft und dem Bewutsein der Nadel gelangen. [17]

    Aber Lordstown bietet nicht nur einen Beweis fr die Unfhigkeit des Kapitals,

    den fundamentalen Problemen zu begegnen, die ihm seine eigene Entwicklung

    stellt, es lt auch eine kommunistische Antwort auf die Fragen sichtbar

    werden, die das Kapital nicht zu lsen wei.

    Sie tun nichts, sie sagen nichts. Sie wollen? Nichts.

    Das Folgende ist im vergangenen Juni in einem mittleren Unternehmen

    des Werkzeugbaus in der Pariser Region abgelaufen. Ein Unternehmen

    ohne Probleme, mit eher jungem Personal und geringer

    gewerkschaftlicher Organisation.

    An einem Montagmorgen bricht in einer Abteilung ein Streik aus und

    verbreitet sich. Am Abend steht die Fabrik still, aber ohne da die

    Bewegung die Angestellten (encadrement) mitreit. Diese sind im

    Gegenteil berrascht: man hat den Streik nicht kommen sehen. Die

    Gesichter der Protestierenden sind entspannt, und der Tag geht zu Ende,

    ohne das irgendeine Forderung gestellt wird.

    Unvernderte Situation am nchsten Morgen. Die Arbeiter sind da,

    vollzhlig, plaudern, spielen Karten. Die Direktion, perplex, kontaktiert die

    Reprsentanten der Belegschaft und drngt sie dazu, das Ziel des Streiks

    zu definieren. Umsonst: Nicht eine einzige Forderung kommt heraus.

    Am Mittwoch herrscht in den Hallen festliche Stimmung. Die Streikenden

    improvisieren Lustspiele, eine Art unfreiwilliger Psychodramen, wo dasLeben und die kleinen Widerwrtigkeiten des Alltags im Betrieb gutmtig

    nachgespielt werden. Der Unternehmer wird ohne Gehssigkeit

    dargestellt.

    Am Donnerstag glaubt die Direktion, aus der Fassung gebracht, die

    Situation klren zu knnen, indem sie eine Urlaubsprmie von 300 F.

    ankndigt. Diese gute Nachricht ist ein totaler Schlag ins Wasser. Die

    Streikenden haben nichts gefordert und wnschen anscheinend nichts

    weiter, als die Maschinen ruhen zu lassen.

    Die Woche geht zu Ende ohne eine neue Wende, und am folgenden

    Montag ist jedermann an seinem Posten, als wre nichts geschehen. DieDirektion wird niemals wissen, welcher Dmon das Unternehmen befallen

    hatte.

    Erstaunlicherweise ist diese Geschichte wahr.

    (Le Management, Dezember 72)

    III

    Wenn der Finger auf den Mond zeigt, betrachtet der Trichte den Finger.

    Der Bourgeois - oder sein Bruder der Brokrat - sperrt die Augen auf und

    sucht den Schlssel in den Folgen, die die Aktion der Arbeiter fr die

    Organisation der Arbeit nach sich ziehen knnte. Er sieht nicht, da der

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    Schlssel allein in der Revolte selbst liegt, in dem von den Arbeitern

    getragenen Vorsto gegen die Organisation der Arbeit, das heit gegen das

    Kapital. Die Programmierung seines Hirns verbietet ihm, sich vorzustellen,

    da das Handeln die materiellen Gegebenheiten hinter sich lassen kann. Das

    Kapital kann sich Vernderungen nur in der Art und Weise vorstellen, da die

    Materie das Handeln bestimmt.

    So wie die Arbeit nur insofern ntzlich ist, als sie das Kapital in Bewegung

    setzt und dessen Wert vergrert, finden die Arbeiterrevolten nur Interesse

    hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Kapital. Anstatt zu beobachten, was

    die Arbeiter machen, versuchen die Bourgeoisideologen sich vorzustellen, was

    die Arbeiter erreichen mchten. Man sieht in der proletarischen Praxis nur

    einen Strungs- oder einen Modernisierungsfaktor des Systems, niemals aber

    einen Entwurf zu dessen berwindung.

    Zwangslufig wird die Arbeiterrevolte in Teilsiegen oder Niederlagen

    vorbergehend sich selbst untreu, modifiziert also das System, anstatt es zu

    zerstren. Selbst wenn die Revolte wilde Formen annimmt, kann sie dem

    Ende nicht entkommen. Und gerade darauf grnden die Gewerkschaften alsHndler der Ware Arbeitskraft ihr berleben. Aber die Arbeiterbewegung lt

    sich nicht auf ihre direkten und beschrnkten Auswirkungen reduzieren; die

    Bedeutung des Handelns liegt nie allein in seinem unmittelbaren Ergebnis.

    Auch die Arbeit selbst bildet nicht nur den Ursprung dieses oder jenes

    Gegenstandes. Sie sichert darberhinaus Produktion und Reproduktion der

    sozialen Klassen. In seinen Kmpfen lt das Proletariat heute in ersten

    Anstzen erkennen, da es nicht mehr reformistisch ist, selbst wenn es sich

    mit Reformen zufriedenzugeben mu. Immer wieder spielt sich ein

    bezeichnender Vorgang ab: Menschen treten in Streik. Erst danach - oft erst

    mehrere Tage spter - fangen sie an, Forderungen aufzustellen.

    Kommunistisches Handeln geht nicht aus der Neuorganisation, der

    Demokratisierung oder Selbstverwaltung der Arbeit auch fortgeschrittenster

    Art hervor. Es setzt sich nicht an die Stelle der Arbeit. Es besteht auch nicht

    in einer Abwandlung der heute gegebenen Produktionsgewohnheiten unter

    den Schlgen oder im Gefolge einer Revolution. Es breitet sich mitten im

    Herzen der alten Welt aus, in der Gestalt subversiver Kmpfe gegen die

    herrschende Organisation des Lebens. Sabotage, Plnderung und

    Streikaufruhr sind seine Merkmale auf frher Entwicklungsstufe. Im

    Voranschreiten mu das kommunistische Handeln dies Stadium der Negation

    hinter sich lassen. Das schafft es nicht aus sich selbst heraus, denn es wird

    lter und vernnfig. Doch die Dynamik seiner eigenen Folgewirkungen treibt

    es voran, seine eigene Logik und die neuen Aufgaben, vor die es gestellt wird.

    Der Kampf der Arbeiter von Lordstown ist kommunistisch, weil er das Kapital

    angreift und weil er sich schon fundamental von der Arbeit unterscheidet.

    Sein erstes Kennzeichen ist die Spontaneitt. Das heit nicht, er htte sich

    planlos und unorganisiert entwickelt. Der Gegensatz von Spontaneitt und

    Organisation gehrt zum brokratischen Denken, das sehr wohl die Realitt

    der Spontaneitt erkennt, sich allerdings das Monopol der Organisation

    reservieren mchte.

    Den Arbeitern fehlt angeblich noch das Bewutsein. Ein Delegierter der CFDT

    meint: Nicht die angelernten Arbeiter, die am meisten von der Arbeit

    abgestumpft sind, knnen die Produktionsverhltnisse verndern, sondern

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    diejenigen, denen trotz ihrer Arbeit gengend Mglichkeiten zum Nachdenken

    bleiben, um zu einer Bewutseinsbildung zu gelangen. [18] Nicht nur die

    Arbeit verdummt, der Syndikalismus auch. Das Bewutsein hat in Lordstown

    ebensowenig gefehlt wie die Organisation. Nur handelte es sich eben nicht um

    ein ideologisches Bewutsein, sondern um ein Bewutsein, das an die

    Situation und an bestimmte Handlungsmglichkeiten gebunden war.

    Was die Arbeiter in Lordstown gemacht haben, war direkt vom Bewutsein

    ihrer Lage bestimmt, von ihren Interessen und den gegebenen Risiken. Dabei

    negierten sie sich als Proletarier und Lohnabhngige. Die Entfremdung des

    Arbeiters besteht darin, da sein Handeln einer ihm fremden Logik

    unterworfen ist. Soweit er handelt, ist dieses Handeln fremdbestimmt, wird er

    behandelt. Seine Lage erinnert an einen Ruderer, der eine Galeere vom

    Schiffsraum aus in Bewegung setzt, ohne Einflu auf die Bestimmung des

    Ziels zu haben und ohne die Leistungsanforderungen zu den Notwendigkeiten

    der Navigation in Bezug setzen zu knnen.

    Im Kampf wird der Arbeiter wieder Herr seiner selbst und gewinnt die

    Kontrolle ber das eigene Handeln zurck. Die Tabuzonen um die Maschinenund der knechtende Ernst der Fabrikrealitt verflchtigen sich. Mit der

    Sabotage und mit allen Verhaltensweisen, die die Arbeitsorganisation

    durchkreuzen, hlt der Spa wieder Einzug ins Zuchthaus des Lohnsystems.

    Die Freude kann sich zu einem gesunden und hellsichtigen Rausch steigern,

    wenn es um eine kollektive und organisierte Aktionen geht. Die Panik, die sich

    unter der Direktion und den Aufsehern der Galeerenstrflinge ausbreitet,

    stachelt den Rausch nur weiter an: Die Ohnmacht hat die Seiten gewechselt!

    Hier eine Beschreibung dessen, was sich 1968 in einer Automobilfabrik in der

    Nhe von Detroit ereignet hat:

    Man bemerkte zunchst in bestimmten Teilen der Fabrik organisierte

    Sabotageakte. Am Anfang wurden Montagefehler gemacht oder Teile

    weggelassen, und zwar in erheblich grerem Ausma als normal, soda

    schon bei der ersten Inspektion zahlreiche Motoren zurckgeschickt werden

    muten. Die Organisierung der Aktion lief ber verschiedene Absprachen

    zwischen den Prfern und einigen Abteilungen der Montage, wobei durchaus

    gemischte Gefhle und Motivationen bei den betroffenen Arbeitern bestanden:

    Einige waren fest entschlossen, andere suchten nach einer Art Rache und

    wieder andere nahmen nur daran teil, um sich zu amsieren. Jedenfalls

    entwickelte sich die Bewegung in einer enthusiastischen Stimmung ...

    Am Prfstand und beim Probelauf - fr den Fall, da ein Motor das Band ohne

    schreiende Fabrikationsfehler zu verlassen hatte - klrte immer ein

    ordentlicher Schlag mit dem Schraubenschlssel auf den lfilter, den Verteiler

    oder auf das Kurbelgehuse das Notwendige. Manchmal wurden Motoren

    einfach deshalb zurckgeschickt, weil sie nicht leise genug liefen ...

    Die Projekte, die whrend der unzhligen Versammlungen aus der Taufe

    gehoben wurden, fhrten schlielich zur Sabotage der gesamten Produktion

    im Werk fr V8-Motoren. Ebenso wie die V6-Motoren wurden die V8-er

    fehlerhaft montiert oder auf ihrem Weg beschdigt, soda sie zurckgeschicktwerden muten. Mehr noch, die Prfer gingen soweit, nach dem Probelauf drei

    von vier oder fnf Motoren zurckzuschicken...

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    Ohne das geringste Eingestndnis der Sabotage auf Seiten der Arbeiter mute

    sich der Chef zu einer Ermahnung aufraffen. Er begann mit einer

    umwundenen Darlegung, die wohl auch ihn selbst ein wenig verwirrte. Er

    versuchte den Jungs zu erklren, da sie nicht alle Motoren zurckgehen

    lassen mten, auch wenn sie offensichtlich von schlechter Qualitt wren.

    Aber darber konnte er mit ihnen nicht Klartext reden. Alle Versuche waren

    umsonst, denn die Arbeiter trieben es auf die Spitze. Sie versicherten ihm

    unermdlich, da ihre Interessen und die der Firma identisch wren; es seiihre Pflicht, bei den Produkten auf hchste Qualitt zu achten...

    Im Verlauf des Sommers wurde ein Programm der rotierenden Sabotage auf

    der Ebene der gesamten Fabrik ausgearbeitet, um freie Zeit

    herauszuschinden. Auf einer Versammlung teilten sich die Arbeiter die

    Nummern 1 bis 50 oder mehr zu. hnliche Zusammenknfte gab es auch in

    anderen Teilen der Fabrik. Jeder Arbeiter war verantwortlich fr einen

    bestimmten Zeitraum von etwa zwanzig Minuten innerhalb der nchsten zwei

    Wochen und sobald seine Zeit anfing, stellte er irgend etwas an, um die

    Produktion in seiner Abteilung zu sabotieren, wenn mglich schwer genug, um

    das ganze Band zu stoppen. Sobald der Chef seine Mannschaft losschickte, um

    den Fehler zu beheben, fing dasselbe an einem anderen Schlsselpunkt

    wieder an. Auf diese Weise begab sich die Fabrik whrend gut einiger Wochen

    fr fnf bis zwanzig Minuten pro Stunde zur Ruhe; entweder das Band stand

    still oder es gab keine Motoren auf den entsprechenden Bndern. Die

    angewandten Sabotagetechniken selbst sind sehr zahlreich und

    unterschiedlich, und ich bergehe die, die vor allem in den anderen

    Abteilungen angewandt wurden.

    Bemerkenswert ist an all dem das Niveau der Zusammenarbeit und

    Organisation der Arbeiter innerhalb der selben Abteilung und auch zwischenden verschiedenen Abteilungen. War diese Organisation auch vor allem eine

    Reaktion auf ein gemeinsames Aktionsbedrfnis, so erwies sie sich doch

    zugleich als Mittel, die Sabotage durchzufhren, Sammlungen zu machen oder

    selbst Spiele und Wettbewerbe zu organisieren, die den Arbeitstag in eine

    lustvolle Aktivitt verwandeln. Genau das entwikkelte sich in der

    Prfabteilung fr Motoren ...

    Die Kontrolleure am Prfstand organisierten einen Wettkampf mit den

    Kurbelwellen. Dazu muten sie am Eingang der Abteilung Wachposten

    aufstellen und es muten Vereinbarungen mit den Arbeitern des

    Motorenbandes getroffen werden, z.B. die Kurbelwellen bestimmter, aufs

    Geratewohl herausgegriffener Motoren nicht vllig zu befestigen. Hrte ein

    Prfer verdchtige Gerusche, so brllte er allen zu, aus der Abteilung zu

    kommen. Die Arbeiter verlieen sofort ihre Arbeit, um sich hinter den Kisten

    und Gestellen in Sicherheit zu bringen. Sodann brachte er den Motor auf

    4000 oder 5000 Umdrehungen. Dadurch machte er alle Arten von Lrm und

    tat Schlge wie eine Schrottkiste, um schlielich zu verrecken. Mit einem

    trockenen Knall l ie die Kurbelwelle das Gehuse zerbersten und flog ans

    andere Ende der Abteilung. Die Jungs verlieen nun ihre Deckung unter

    Hurrarufen, und mit einem Stck Kreide wurde ein weiterer Punkt fr diesen

    Prfer an der Wand markiert. Der Wettbewerb zog sich ber mehrere Monatehin, und mehr als 150 Motoren flogen auf diese Weise auseinander. Und die

    Wetten gingen lustig weiter.

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    In einem anderen Fall fing alles mit zwei Arbeitern an, die sich an einem

    heien Tag mit Wasserschluchen bespritzten, die in der Prfabteilung

    benutzt wurden. Das entwickelte sich in der ganzen Abteilung zu einer

    offenen Feldschlacht mit den Wasserschluchen, die mehrere Tage dauerte.

    Der Groteil der Motoren wurde entweder nicht beachtet oder in aller Eile

    abgenommen, damit die Leute fr die Schlacht frei waren - in vielen Fllen

    wurden die Motoren demoliert oder beschdigt, um sie rasch loszuwerden. Im

    allgemeinen waren zehn bis fnfzehn Wasserschluche bei der Schlacht inAktion, alle mit einem Wasserdruck, wie man ihn beim Feuerlschen

    verwendet. Die Wasserfontnen spritzten von berall, die Jungs lachten,

    schrien und liefen in alle Richtungen. In dieser Atmosphre gab es nur sehr

    wenige, die Lust hatten, ihre Arbeit zu machen. Die Abteilung war regelmig

    bis zur Decke berschwemmt und alle Leute vllig durchnt. Bald schafften

    sie alle mglichen Wasserpistolen, Gartenschlauch und Eimer herbei und das

    Spiel nahm die Ausmae eines riesigen Jahrmarkts an. Einer ging mit der

    Badekappe seiner Frau auf dem Kopf herum, was den Rest der Fabrik, die

    nicht auf dem laufenden war ber das, was sich in der Prfabteilung abspielte,

    unheimlich amsierte. ...

    In dramatischer Form drckte sich der dauernde Konflikt mit der

    brokratischen Rationalisierung jeden Tag bei Schichtende aus. Der Groteil

    der Arbeiter, die nicht am zentralen Montageband stehen, haben ihre Arbeit

    beendet, sind gewaschen und fertig zum Aufbruch - gut fnf Minuten, bevor

    die Sirene heult. Mit dreiig oder vierzig Vorarbeitern auf der einen und

    dreihundert oder vierhundert Arbeitern auf der anderen Seite fangen die

    Jungs alle zusammen an zu heulen, um den Lrm der Sirene zu imitieren und

    strzen sich auf die Stechuhren, wobei sie die Vorarbeiter buchstblich

    zerdrcken, stechen im Eiltempo und sind bereits aus der Fabrik, wenn die

    Sirene - diesmal die richtige - sich unter das Johlen mischt. [19]

    Die Arbeiter stellen der kapitalistischen Arbeitsorganisation keine neue

    Organisation der Arbeit gegenber, sondern die Organisation ihres Kampfes

    und ihrer Spiele. Sie reien die Trennwnde zwischen den Abteilungen nieder,

    fhren Bewegungsfreiheit und Freiheit der Kontakte fr die Arbeiter innerhalb

    der Fabrik ein.

    Die Direktion von Berliet suchte krzlich ihre Beschftigten daran zu

    erinnern, da Umzge innerhalb der Fabrik verboten sind. Sie fgte hinzu:

    Die unerwarteten und wiederholten Arbeitseinstellungen, die die Produktion

    in Unordnung bringen und die willentlichen Beschrnkungen der Arbeit, um

    die Produktion zu bremsen, werden nicht als normale Ausbung des

    Streikrechts betrachtet.

    Mit der Sabotage wird das Machtverhltnis des Kapitals zum Arbeiter

    umgekehrt. Whrend in der Arbeit die Ware dem Arbeiter gegenber ein

    Instrument der Unterwerfung darstellt, stellt er sie nun zurck auf ihren Platz

    als einen Gegenstand, dessen er sich bedient.

    Man sollte sich nicht ber den zerstrerischen Charakter tuschen, der die

    kommunistische Praxis kennzeichnet, wenn wie sie aus dem Scho des

    Kapitalismus heraustritt. Sie ist schon Produzentin von Gebrauchswert. Die

    Sabotage zerstrt den Warenwert (d.h. sie trgt zum Verlust von Geldwert

    bei), indem sie den Gebrauch angreift, den man von einer Ware machen kann

    (dem ntzlichen Teil eines Autos z.B.), sie schafft aber Gebrauchswert fr den

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    Arbeiter, indem er sich freie Zeit herausholen oder Druck auf den

    Unternehmer ausben kann.

    Wer der Sabotage vorwirft, sie sei eine destruktive Handlung, machen ihr

    einen schiefen Proze. Alle produktive Ttigkeit ist auch destruktiv. Jeder Akt

    der Produktion ist auch ein Akt der Konsumtion; er ist eine bloe

    Verwandlung des Stoffs. ber die Anwendung von Zerstrung hat das Kapital

    keine Lektionen zu erteilen. Es geniert sich nicht, Maschinen und industrielle

    Einrichtungen innerhalb sehr krzester Zeitrume zu amortisieren, den

    Planeten zu verseuchen und sich von Zeit zu Zeit einen kleinen Krieg zu

    leisten. Es zgert nicht, den Gebrauchswert auf dem Altar des Tauschwerts zu

    opfern. Was bei der Sabotage geschieht, ist davon das genaue Gegenteil.

    Die Arbeiter, fr die das Arbeitswerkzeug keine heilige Sache mehr ist, deren

    ursprngliche Funktion man unter keinen Umstnden umkehren darf, die sich

    nicht lnger damit abfinden, ihr Leben vor den Gtzenbildern zu opfern,

    werden zur richtigen Zeit am besten wissen, wie sich die vom Kapital ererbten

    Instrumente am besten nutzen lassen. Sie werden wieder alles in Gang zu

    setzen wissen, was notwendig ist, um die revolutionren Aufgaben zumeistern: sich kleiden, sich ernhren, sich schtzen, sich bewaffnen, ...

    LEBEN.

    Eine solche Praxis unterscheidet sich radikal von der Bettigung all jener

    Mechanismen, die zur Kanalisierung und Entwertung der Energie des

    Proletariats dienen. Genauso wie das Proletariat seine Theorie in bestimmten

    Handlungen ausdrcken kann, genauso knnen bestimmte Handlungsmuster

    zu reinem Gewsch werden. Die Prozessionen zum 1. Mai sind nur noch

    Fossilien der spontanen Aufstnde, durch die das Proletariat des

    19. Jahrhunderts seine Existenz zur Geltung brachte. In Warnstreiks und

    anderen Formen von Scheingefechten handelt man nicht mehr direkt, um

    seinen Willen durchzusetzen. Man versucht nur seine Unzufriedenheit zu

    zeigen, sich Gehr zu verschaffen. Erst krzlich haben wir erlebt, wie eine

    Fabrikbesetzung sich dank dem Wohlwollen der Gewerkschaften in einen

    Schutz der Produktionsanlagen verwandelte. Gewisse extremistische

    Brokraten sind sogar bis zu dem Versuch gegangen, die Sabotage zu

    vereinnahmen. Die Parole der Maoisten: Sabotage ist richtig! bedeutet

    genau das. Hier ist die Sabotage nicht mehr Antwort auf eine konkrete

    Situation, sondern eine gute Sache an sich. Auf die Sabotage des Fetischs

    folgt der Fetisch der Sabotage.

    Wir wollen keine Illusionen ber die amerikanische Arbeiterklasse nhren.

    Viele Lernschritte liegen noch vor ihr. Das Proletariat wird sich als politische

    oder vielmehr als antipolitische Partei konstituieren mssen, um den

    brgerlichen Staatsapparat zu bekmpfen und schlielich zu siegen. Es ist ein

    Zeichen der Reife der modernen Revolution, da sie sich nicht zuerst auf

    politischem Niveau entwickelt. Damit zeigt sie sich den proletarischen

    Aufstnden der Vergangenheit berlegen, die gegen den Staatsapparat

    anrannten, ohne die Gesetze der Warenwirtschaft gengend untergraben zu

    haben. Das Problem der sozialen Revolution besteht keinesfalls darin, sich des

    brgerlichen Staates zu bemchtigen oder seinen eigenen Staat zu formieren,um die konomie von oben her umzuwandeln. Wenn das Proletariat in der

    Vergangenheit dazu verfhrt werden konnte, durch die Vermittlung einer

    politischen Macht zu handeln, so zeigt sich darin nicht Strke sondern

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    Schwche.

    Das Proletariat mu seine Stellung in der Produktion ausnutzen, gerade

    verfgt es ber einen starken Hebel, um den brgerlichen Staat zu

    berwinden. Hier wird kein Rckfall in den alten Mythos vom Generalstreik

    propagiert, dem Mrchen vom Zusammenbruch des Staates wegen Lhmung

    der Wirtschaft. Es geht darum, die Mechanik des Tauschs und des

    Lohnsystems zu sabotieren, die Barrieren zwischen den Fabriken

    niederzureien, um die Krfte der Menschen und der Materie aus dem Joch

    der konomie zu befreien.

    Funoten:

    [1] Dieser Artikel ist eine bersetzung der in Frankreich erschienenen

    Broschre Lordstown 72 ou les Dboires de la General Motors,

    herausgegeben von der Gruppe: Les amis de 4 millions de jeunes travailleurs,

    B.P. 8806, 75261 Paris Cedex 06

    Wir haben die bersetzung aus Schwarze Protokolle, April 1974, nach demfranzsischen Text berarbeitet und ergnzt.

    [2] General Motors Assembly Division, das organisatorische Dach fr alle

    Montagewerke des Konzerns

    [3] Quelle: Informations Correspondance Ouvrire (Mrz-April 1972)

    [4] Aus einem Artikel des New York Review vom 23. Mrz 1972

    [5] Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW Bd. 8,

    S. 118

    [6] Aus einem Artikel der New York Review vom 23. Mrz 1972

    [7] Norbert Wiener, Kybernetik und Gesellschaft, insbesondere das Kapitel

    Erste und zweite industrielle Revolution

    [8] Devaux: Automates, Automatisme, Automation

    [9] Aus einem Artikel der New York Review vom 23. Mrz 1972

    [10] Assembly Line Production and Control Activity

    [11] Quelle: Informations Correspondance Ouvrire, (Mrz-April 1972)

    [12] Aus einem Artikel der New York Review vom 23.Mrz 1972

    [13] Als ein Arbeiter bei Lordstown gefragt wurde: Wie sieht`s denn

    montags, den Sommer ber, in der Fabrik aus?, antwortete er: Ich wei

    nicht, ich war montags noch nie drin. (Sunday Telegraph, 2.12.73.)

    Ein anderer Arbeiter, der gefragt wurde: Warum gehst du denn nur 4 Tage in

    der Woche arbeiten?, erwiderte: Weil ich in 3 Tagen nicht genug verdiene.

    (Newsweek, 7.2.73.)

    [14] Aus einem Artikel der New York Times, zitiert nach InformationsCorrespondance Ouvrire (Mrz-April 1972)

    [15] Wie das schnellste Band der Welt stehenblieb von Jim Wargo in

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    L`Expansion vom Mrz 1972

    [16] Gary Bryner, der Prsident der Lordstown-Bezirksorganisation der UAW,

    sagte am 25. Juli 1972 vor dem Untersuchungsausschu des US-Senats ber

    Arbeitskraft und Armut" (Vorsitz: E. Kennedy): Es gibt Symptome fr die

    Widerspenstigkeit der Arbeiter in unserer Fabrik. ... Die Rate der Abwesenheit

    ist, wie sie gesagt haben, bestndig hher gegangen. Die Rate der

    Abwanderung ist enorm. Der Gebrauch von Alkohol und Drogen wird ein

    immer greres Problem. Ebenso wie die Gleichgltigkeit ... innerhalb der

    Gewerkschaftsbewegung gegenber den Gewerkschaftsfhrern und gegenber

    der Regierung. ... Der Arbeiter ist bis zu einem solchen Ma widerspenstig

    geworden, da er die Fhrung seiner Gewerkschaft und der Regierung

    verwirft. ... Er hat mit dem gesamten Establishment gebrochen. Das fhrt ins

    Chaos ...

    Bryner fuhr fort, die Rolle der Gewerkschaften folgendermaen zu

    beschreiben: Wir mssen die Frage der Lebensqualitt aufgreifen, wir

    mssen uns damit mit aller Kraft beschftigen, und wir mssen die Leute in

    diesem Land, die der Grundpfeiler unserer konomie sind, die die Steuerlast

    tragen, erreichen. Und wenn wir sie der Regierung, der Gewerkschaftsfhrung

    abspenstig machen, wohin zum Teufel werden sie gehen? Sie gehen zu den

    radikalen Gruppen. Sie werfen alle Teile des Establishments ab und gehen

    woanders hin.

    [17] Karl Marx, Das Elend der Philosophie. MEW Bd. 4, S. 157

    [18] L`Expansion, Mrz 1972

    [19] Aus dem Artikel Die Gegen-Organisation in der Abteilung in Radical

    America, zitiert nach Informations Correspondance Ouvrire, Mrz/April

    1972

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    dstown 1972 - Produktive Sabotage - Thekla 12 http://www.wildcat-www.de/thekla/12/t12lords.ht