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1 23 Der Orthopäde ISSN 0085-4530 Volume 44 Number 2 Orthopäde (2015) 44:154-161 DOI 10.1007/s00132-014-3056-x Die ventrale lumbale interkorporelle Fusion M. Richter, M. Weidenfeld & F.P. Uckmann

F.P. Uckmann - joho.de · Beim monosegmentalen Zugang zu L3/4 und insbesondere zu L2/3 kann die Linea arcuata, je nach anatomischen Gegeben-heiten und Zugangsgröße, nicht sichtbar

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Der Orthopäde ISSN 0085-4530Volume 44Number 2 Orthopäde (2015) 44:154-161DOI 10.1007/s00132-014-3056-x

Die ventrale lumbale interkorporelle Fusion

M. Richter, M. Weidenfeld &F.P. Uckmann

Page 2: F.P. Uckmann - joho.de · Beim monosegmentalen Zugang zu L3/4 und insbesondere zu L2/3 kann die Linea arcuata, je nach anatomischen Gegeben-heiten und Zugangsgröße, nicht sichtbar

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Your article is protected by copyright andall rights are held exclusively by Springer-Verlag Berlin Heidelberg. This e-offprint isfor personal use only and shall not be self-archived in electronic repositories. If you wishto self-archive your article, please use theaccepted manuscript version for posting onyour own website. You may further depositthe accepted manuscript version in anyrepository, provided it is only made publiclyavailable 12 months after official publicationor later and provided acknowledgement isgiven to the original source of publicationand a link is inserted to the published articleon Springer's website. The link must beaccompanied by the following text: "The finalpublication is available at link.springer.com”.

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Für die interkorporelle Fusion im Be-reich der Lendenwirbelsäule (LWS) stehen mehrere verschiedene Verfah-ren zur Verfügung. Man unterschei-det interkorporelle Fusionstechniken, welche über einen dorsalen Zugang erfolgen, von denjenigen, die über ei-nen zusätzlichen ventralen Zugang durchgeführt werden. Jedes inter-korporelle Fusionsverfahren hat sei-ne Vor- und Nachteile. Als Standard-verfahren gelten die dorsalen Verfah-ren wie die posterolaterale Fusion, die posteriore interkorporelle Fusi-on (PLIF) und die unilaterale transfo-raminale interkorporelle lumbale Fu-sion (TLIF). Der Grund dafür ist, dass für die dorsalen Verfahren kein vent-raler Zugang notwendig ist. Dieser ist technisch anspruchsvoll und bedeu-tet für den Patienten eine zusätzliche Morbidität.

Ventrale Zugänge zur LWS sind seit lan-gem in der Wirbelsäulenchirurgie etab-liert und wurden erstmalig 1932 beschrie-ben [4] und seither bis hin zu minimal-in-vasiven Techniken kontinuierlich weiter-entwickelt [11, 14, 21]. Die ventrale lumba-le interkorporelle Fusion (ALIF, „anterior lumbar interbody fusion“) bezeichnet eine Technik, bei welcher in Rückenlage oder Schräglage des Patienten über einen ven-tralen (retroperitoneal oder transperito-neal) Zugang eine interkorporelle Fusion erfolgt. Davon abzugrenzen sind ventrale Fusionsverfahren, die in Seitenlage über eine Lumbotomie durchgeführt werden. Die minimal-invasive Variante dieser

Technik ist auch als XLIF („extreme late-ral interbody fusion“) bekannt.

Bei der ALIF können Cages, Eigen-knochen vom Beckenkamm oder spezi-ell aufbereiteter Fremdknochen und auch Cages mit einer Fixationsmöglichkeit an den angrenzenden Wirbelkörpern bei ge-eigneter Indikation ohne zusätzliche dor-sale Instrumentierung verwendet wer-den. Vorteile der ventralen Fusionsver-fahren sind: größerer und nicht von an-grenzenden Nervenstrukturen begrenz-ter Zugang zum Bandscheibenfach, der eine vollständigere Diskektomie ermög-licht, ausgiebigeres ventrales Release, grö-ßerer Footprint des Cages verglichen mit dorsalen Techniken, bessere Wiederher-stellung der Segmenthöhe und -lordose, Zugang auch nach dorsaler intraspinaler Voroperation mit epiduralen Vernarbun-gen problemlos, Revision bei Pseudartho-sen wesentlich einfacher und sicherer als von dorsal. Demgegenüber stehen die fol-genden Nachteile: zusätzlicher ventraler Zugang mit Komplikationsmöglichkei-ten, intraoperatives Umlagern des Pati-enten bei kombiniertem ventrodorsalen oder dorsoventralen Vorgehen, schwie-riger Zugang nach ventralen Voropera-tionen, notwendige zusätzliche operative Kenntnisse.

Indikationen

Entsprechend den in der Einleitung dar-gelegten Vor- und Nachteilen der ALIF verglichen mit dorsalen Fusionsverfah-ren ergeben sich auch die Indikationen. Prinzipiell ist die ALIF bei jeder lumba-

len Fusion von L2–S1 möglich, sofern kei-ne Kontraindikationen vorliegen.

In Anbetracht des zusätzlichen ventra-len Zugangs (mit Ausnahme von Stand-alone-Cages ist eine dorsale Fusion und auch ggf. Dekompression nötig) und der zusätzlichen Komplikationsmöglichkei-ten ist präoperativ genau abzuwägen, ob die potentiellen Vorteile im jeweiligen Fall die zusätzliche Morbidität rechtfertigen. Sinnvolle Indikationen sind:1. Pseudarthrosen nach interkorporeller

Fusion: durch den größeren Zugang zum Bandscheibenfach ohne angren-zende nervale Strukturen ist die Ent-fernung von Cages und die Resektion der Pseudarthrose wesentlich besser und sicherer möglich als von dorsal.

2. Zustand nach dorsaler intraspinaler Voroperation: bei epiduralen Vernar-bungen nach Voroperationen, insbe-sondere nach mehrfachen intraspina-len Voroperationen im gleichen Seg-ment ist die interkorporelle Fusion mit dorsalen Techniken deutlich er-schwert und das Risiko einer Dura-verletzung bzw. Verletzung neuraler Strukturen wesentlich erhöht.

3. Ausgeprägte Erosionen der Endplat-ten: bei ausgeprägten Erosionen der Endplatten ist die Präparation von dorsal und das adäquate Ausräu-men des Bandscheibenfaches wesent-lich erschwert und das Risiko bei der Präparation die Endplatten zu verlet-zen erhöht. Damit steigt auch das Ri-siko eines Einbrechens des Cages bei der Implantation und das Pseudarth-roserisiko. Bei der ALIF dagegen ist

M. Richter1 · M. Weidenfeld2 · F.P. Uckmann3

1  Wirbelsäulenzentrum, St.-Josefs Hospital, Wiesbaden, Deutschland2  Praxis für Urologie, Medicum Facharztzentrum, Wiesbaden, Deutschland3  Abteilung für Gefässchirurgie, St.-Josefs Hospital, Wiesbaden, Deutschland

Die ventrale lumbale interkorporelle FusionIndikation, Technik, Vor- und Nachteile

Orthopäde 2015 · 44:154–161DOI 10.1007/s00132-014-3056-xOnline publiziert: 11. Dezember 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

154 | Der Orthopäde 2 · 2015

Leitthema

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die Präparation sicherer möglich und durch den größeren Footprint des Cages verglichen mit PLIF- oder TLIF-Cages ein Einbrechen in die Endplatten wesentlich seltener.

4. Rigide Fehlstellung des sagittalen und/oder frontalen Profils: Durch den ventralen Zugang ist ein ausge-dehntes ventrales Release und damit eine gute Mobilisation und Korrek-tur des Segments möglich. Auch die anwendbaren Distraktionskräfte sind von ventral höher, da entweder Dis-traktionsinstrumente mit wesentlich größerer Auflagefläche oder mehrere Distraktoren gleichzeitig verwendet werden können.

5. Schlechte Knochenqualität: Bei sehr geringer Knochendichte ist bei der Präparation der Endplatten von ven-tral das Risiko der Verletzung der Endplatten reduziert und durch den größeren Footprint der Cages ist das Risiko des Einbrechens der Cages in die Endplatten reduziert.

6. Dorsale perkutane Instrumentierung: Durch die Kombination der interkor-porellen Fusion mit ALIF und dor-sal perkutaner Instrumentierung ist ein minimal-invasives Vorgehen mit guter Korrekturmöglichkeit der Seg-mentstellung und hoher Fusionsra-te möglich. Insbesondere bei mini-mal-invasiven dorsalen interkorporel-len Fusionsverfahren ist die adäquate Präparation des Bandscheibenfaches und die Implantation der Cages deut-lich schwieriger als bei der offenen Technik.

Kontraindikationen

Kontraindikationen für die ALIF sind im-mer zugangsassoziiert. Während der pri-märe retro- bzw. transperitoneale Zugang standardisiert und sicher ist, ergeben sich Probleme bei Eingriffen nach abdomi-nellen Voroperationen oder nach primä-rer ALIF-Operation durch Vernarbungen. Insbesondere der retroperitoneale Zugang wird durch retroperitoneale Voroperatio-nen und den dann immer vorliegenden Vernarbungen wesentlich erschwert. Bei Vorliegen absoluter Kontraindikationen sollte auf den ventralen Zugang verzich-tet werde und andere operative Lösungs-

möglichkeiten gesucht werden. Bei relati-ven Kontraindikationen sollte sehr genau abgewägt werden, ob der ventrale Zugang wirklich notwendig ist oder ob es ande-re Möglichkeiten der operativen Versor-gung gibt.

In jedem Fall ist bei ventralen trans- oder retroperitonealen Reoperationen bzw. Revisionseingriffen die Stand-by-Verfügbarkeit eines Gefäßchirurgen sinn-voll. Weiterhin ist bei ventralen retroperi-tonealen Reoperationen eine präoperative Schienung des Ureters auf der geplanten Zugangsseite mit einem Doppel-J-Kathe-ter durch einen Urologen angezeigt; ggf. kann auch die zusätzliche Schienung des Ureters der Gegenseite sinnvoll sein, falls der Zugang auf der primären Zugangs-seite aufgrund ausgedehnter Vernarbun-gen nicht möglich ist. Dies ist sehr selten, kann aber v. a. nach multiplen Voropera-tionen vorkommen.

Kontraindikationen sind:1. ausgedehnte vaskuläre Voroperatio-

nen auf der Zugangsseite, z. B. Aorten-aneurysmaoperation, Operationen an der V. cava und den Beckenvenen

2. multiple abdominelle Voroperationen im Zugangsbereich: In diesem Fall kann es sinnvoll sein, den Zugang auf der Gegenseite zu wählen, sofern dies anatomisch möglich ist. Dann handelt es sich nur um eine relative Kontrain-dikation

Relative Kontraindikationen sind:1. Voroperationen im Zugangsbereich,

insbesondere retroperitoneal: 5 bei Revisionsoperationen nach pri-märer ALIF, Pseudarthrose oder In-fekt, 5 nach retroperitonealen Vorope-rationen (z. B. gefäßchirurgische Operationen), 5 nach Leistenbruchoperationen mit Netzeinlage kann der Zugang er-schwert sein.

Operationstechniken

Der Standardzugang ist der links para-rektal retroperitoneale Zugang. Dieser Zugang hat den Vorteil, dass er problem-los erweitert werden kann, in einfacher Rückenlage durchgeführt wird und eine niedrige Rate an postoperativen Hernia-

tionen aufweist. Alternativ kann für das Segment L5/S1 der rechtsseitige pararek-tal retroperitoneale Zugang gewählt wer-den. Der transperitoneale Zugang wird heutzutage nur noch als Alternative ge-wählt, wenn aufgrund von retroperitone-alen Vernarbungen ein retroperitonealer Zugang nicht möglich ist.

Für die Operation ist ein Blasenkathe-ter notwendig, damit die Blase leer ist, was die Präparation erleichtert und das Verlet-zungsrisiko der Blase reduziert. Der Pati-ent wird in Rückenlage auf einer Gelmatte mit einer Rolle unter den Kniekehlen ge-lagert. Durch das leichte Anwinkeln der Beine werden die Iliakalgefäße etwas ent-spannt und die Präparation erleichtert. Die Arme werden auf Armschienen recht-winklig ausgelagert, damit Operateur und Assistent genügend Platz haben. Es emp-fiehlt sich ein am Operationstisch fixiertes Retraktorsystem zu verwenden. In diesem Fall ist darauf zu achten, dass die Univer-salfixierschienen am Operationstisch frei zugänglich sind und der Blasenkatheter so verläuft, dass er nicht nach dem sterilen Abdecken beim Anbringen der Fixierklo-ben des Retraktorsystems eingeklemmt werden kann.

» Die ALIF ist ein etabliertes Verfahren für die ventrale interkorporelle Fusion L2–S 1

Nach der Lagerung erfolgt die radiologi-sche Markierung der Zielsegmente mit dem Bildverstärker (BV) im seitlichen Strahlengang. Dafür gibt es 2 Möglichkei-ten. Wenn der Patient nicht zu adipös ist, wird mit einem geraden stumpfen Inst-rument (z. B. Kornzange) vorsichtig von ventral in der Mittellinie das Segment lo-kalisiert, indem mit dem Instrument die Bauchdecke eingedrückt wird (. Abb. 1).

Dabei ist darauf zu achten, das Instru-ment parallel zu den Endplatten zu halten, da dies ja auch der spätere Arbeitskorridor ist. Bei sehr adipösen Patienten ist die Seg-mentlokalisation in dieser Technik nicht möglich. In diesen Fällen wir zunächst das jeweilige Segment im seitlichen BV-Strah-lengang orthograd eingestellt und dann mit einem Metalllineal links und rechts des Patienten das Segment markiert. Die-se beiden Markierungen werden dann mit

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Hilfe des Lineals durch eine gerade Linie verbunden. In der Mitte dieser Linie liegt dann das Indexsegment (. Abb. 2, 3). Durch die Markierung auf beiden Seiten des Patienten wird die Genauigkeit deut-lich erhöht, was insbesondere bei kleinen Zugängen wichtig ist.

Nach dem sterilen Abwaschen erfolgt das sterile Abdecken in üblicher Wei-se. Dabei ist darauf zu achten, dass der Bauchnabel zur besseren Orientierung nicht abgedeckt wird. Bei der Verwen-dung eines am Operationstisch fixierten Retraktorsystems werden jetzt auf beiden Seiten die Fixierkloben und Stäbe des Re-traktorsystems steril am Operationstisch fixiert.

Beim retroperitonealen linksseitigen Standardzugang erfolgt jetzt die Hautin-zision über dem linksseitigen Rectus ab-dominis, zentriert über der Segmentmar-kierung. Die Länge der Inzision beträgt ca. 4–10 cm für ein Segment, bei mehr-segmentalen Operationen je Segment zu-sätzlich etwa 2–5 cm. Die Länge der In-zision hängt von mehreren Faktoren ab: bei deutlichem Übergewicht, Revisions-eingriffen und geringer Erfahrung des Operateurs mit ventralen lumbalen Zu-gängen sollte der Zugang eher etwas grö-ßer gewählt werden. Nach der Hautinzisi-on erfolgt eine scharfe Präparation durch das subkutane Fettgewebe auf das vorde-re Blatt der Rektusscheide und eine Inzi-sion des vorderen Blattes der Rektusschei-de unter Ausnutzung der Länge des Zu-gangs. Nun wird der Rektus mobilisiert, wobei ggf. eine oder mehrere Tänien des Rektus scharf von der Rektusscheide ab-präpariert werden müssen. Im Bereich der Tänien verlaufen häufig auch Blutgefäße, so dass auf eine gute Blutstillung geach-tet werden sollte. Der Rektus kann nach medial oder lateral mobilisiert werden. Die Mobilisation nach medial ist einfa-cher und ermöglicht eine schonende und leichtere Zugangserweiterung nach krani-al, während die Mobilisation nach lateral eine bessere Darstellung des Bandschei-benfaches bis weit auf die Gegenseite er-laubt. Insbesondere bei Implantation von Bandscheibenprothesen oder Revisionen von weit auf die Gegenseite reichenden Cages kann diese Variante sinnvoll sein.

Nach der Mobilisation und Retrak-tion des Rektus erfolgt nun die retrope-

ritoneale Präparation ausgehend von der Linea arcuata, der kaudalen Begrenzung des hinteren Blattes der Rektusscheide. Beim monosegmentalen Zugang zu L3/4 und insbesondere zu L2/3 kann die Linea arcuata, je nach anatomischen Gegeben-heiten und Zugangsgröße, nicht sichtbar sein. Die retroperitoneale Präparation er-

folgt stumpf mit dem Finger, ggf. auch mit kleinen Tupfern am Stil, zunächst nach la-teral und nach initialem Ablösen des Peri-toneums nach ventral und medial. Je nach Zugangsgröße wird dabei das Peritoneum vorsichtig stumpf vom hinteren Blatt der Rektusscheide abgelöst. Dabei ist zu be-achten, dass das Peritoneum umso dün-

Zusammenfassung · Abstract

Orthopäde 2015 · 44:154–161 DOI 10.1007/s00132-014-3056-x© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Richter · M. Weidenfeld · F.P. Uckmann

Die ventrale lumbale interkorporelle Fusion. Indikation, Technik, Vor- und Nachteile

ZusammenfassungHintergrund. Die ALIF („anterior lumbar in-terbody fusion“) ist ein seit langem etablier-tes Verfahren für die lumbale interkorporel-le Fusion L2-S1.Fragestellung. Die Vor- und Nachteile der ALIF verglichen mit den dorsalen interkorpo-rellen Fusionsverfahren werden dargestellt. Die Operationstechniken werden ausführ-lich erklärt. Komplikationsmöglichkeiten so-wie Strategien zu deren Vermeidung werden dargestellt.Material und Methode. Diese Arbeit basiert auf einer selektiven Literaturrecherche in der Datenbank PubMed und den eigenen lang-jährigen Erfahrungen der Autoren.Ergebnisse. Vorteile der ALIF verglichen mit dorsalen Fusionstechniken sind der freie Zu-gang zum Bandscheibenfach ohne Eröffnung des Spinalkanals oder des Neuroforamens. Daraus resultiert die Möglichkeit eines aus-

giebigen ventralen Releases sowie die Plat-zierung möglichst großer Cages ohne das Ri-siko, neurale Strukturen zu verletzen. Nach-teile der ALIF sind der ventrale Zugang und die damit verbundenen Komplikationsmög-lichkeiten. Häufigste Komplikationen des ventralen Zugangs sind Gefäßverletzungen. Dieses Risiko ist bei Revisionseingriffen mehr-fach erhöht.Schlussfolgerungen. Die ALIF erweitert das Repertoire des Wirbelsäulenchirurgen we-sentlich, insbesondere bei Pseudarthosen nach interkorporeller Fusion, epiduralen Ver-narbungen oder Spondylodiszitiden. Bei der Indikationsstellung sind die spezifischen Vor- und Nachteile zu beachten.

SchlüsselwörterLendenwirbelsäule · Pseudarthose · Bandscheibenfach · Gefäßverletzung · Cages

Anterior lumbar interbody fusion. Indications, technique, advantages and disadvantages

AbstractBackground. Anterior lumbar interbody fu-sion (ALIF) for lumbar interbody fusion from L2 to the sacrum has been an established technique for decades.Objectives. The advantages and disadvan-tages of ALIF compared to posterior inter-body fusion techniques are discussed. The operative technique is described in detail. Complications and avoidance strategies are discussed.Material and methods. This article is based on a selective literature search using PubMed and the experience of the authors in this medical field.Results. The advantages of ALIF compared to posterior fusion techniques are the free approach to the anterior disc space with-out opening of the spinal canal or the neu-ral foramina. This gives the possibility of an extensive anterior release and placement of

the largest possible cages without the risk of neural structure damage. The disadvantages of ALIF are the additional anterior approach and the related complications. The most fre-quent complication is due to damage of ves-sels. The rate of complications is significantly increased in revision surgery.Conclusion. The ALIF technique meaning-fully expands the repertoire of the spinal sur-geon especially for the treatment of non-union after interbody fusion, in patients with epidural scar tissue at the index level and spi-nal infections. Advantages and disadvantag-es should be considered when evaluating the indications for ALIF.

KeywordsLumbar spine · Pseudoarthrosis · Intervertebral disc space · Vessel damage · Retroperitoneal approach · Cages

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ner und fragiler wird, je weiter man nach kranial präpariert. Kommt es bei der Prä-paration zu einem Einreißen des Perito-neums, so empfiehlt es sich (sofern ana-tomisch möglich), den Riss umgehend mit einer Naht (am ehesten Tabaksbeu-telnaht) zu verschließen, um ein weite-res Einreißen zu verhindern. Das hinte-re Blatt der Rektusscheide wird dann ent-sprechend der Zugangsgröße nach kra-nial inzidiert. Beim monosegmentalen Zugang zu L5/S1 ist in den meisten Fällen keine Inzision notwendig.

Nun erfolgt die weitere retroperitonea-le Präparation auf das Zielsegment. Der

Ureter muss unbedingt identifiziert wer-den. Das geschieht am einfachsten durch die Peristaltik des Ureters. Ist keine spon-tane Peristaltik sichtbar, kann diese durch Antippen oder Bestreichen des Ureters mit einem Tupfer provoziert werden. Der Ureter liegt von außen dem Peritoneum auf und wird bei der retroperitonealen Präparation im peritonealen Verbund be-lassen und mit dem Peritoneum nach me-dial mobilisiert und retrahiert (. Abb. 4).

Im Normalfall erfolgt die Darstellung des Segments L5/S1 innerhalb der venö-sen Konfluenz und die Darstellung der Segmente L4/5 bis L2/3 von anterolateral.

Bei anatomischen Varianten der topogra-phischen Beziehungen zwischen den Ge-fäßen und der Wirbelsäule, welche ge-häuft bei lumbosakralen Übergangsstö-rungen vorkommen, kann das Vorgehen variieren. Es empfiehlt sich, insbesondere bei Übergangsstörungen, präoperativ die Lage der Gefäße in Bezug zu den zu ope-rierenden Segmenten mit Hilfe einer prä-operativen Magnetresonanztomographie (MRT) mit Gefäßdarstellung zu beurtei-len. Letztendlich fällt aber die Entschei-dung über die Art und Richtung der Ge-fäßpräparation intraoperativ.

L5/S1

Die A. und V. iliaca werden vorsichtig stumpf von medial nach lateral mobili-siert. Die Vene liegt dorsomedial der Ar-terie und ist am ventralen Aspekt der Wir-belsäule adhärent, kann aber bei Primär-operationen immer stumpf mobilisiert werden (. Abb. 4). Bei der Mobilisation der Vene ist auf Zuflüsse zu achten, wel-che ggf. koaguliert und durchtrennt wer-den müssen. Zugänge mit einem Kaliber > 3–4 mm sollten geklippt oder ligiert wer-den. Wird dies nicht beachtet und kommt es bei der Präparation zu einem Ausriss eines zuführenden Gefäßes, so ist meist eine Naht der Vene notwendig (s. unten).

Nach Mobilisierung der linksseitigen Arterie und Vene ist ggf. auch die Mobi-lisation der rechtsseitigen Vene und Ar-terie notwendig (. Abb. 4). Dies hängt von den individuellen anatomischen Ge-gebenheiten und dem notwendigen Aus-maß der Freilegung des Bandscheibenfa-ches ab. Anschließend werden die Gefäße links und rechts vorsichtig mit den Valven des Retraktorsystems retrahiert. Dabei ist sehr penibel darauf zu achten, nicht zu viel Zug (insbesondere auf die Venen) auszu-üben, um eine Verletzung zu vermeiden. Die gesamte retroperitoneale Präparation über dem lumbosakralen Übergang soll stumpf erfolgen, um eine Verletzung des Plexus hypogastricus superior zu vermei-den. Jetzt erfolgt die stumpfe Präparation, Mobilisation Koagulation und Durchtren-nung von V. und A. sacralis mediana. Die-se Gefäße weisen häufig Variationen auf und können doppelt oder 3-fach angelegt sein, oder auch ein sehr großes Kaliber aufweisen. Durch die vorsichtige Präpa-

Abb. 2 9 Präoperati-ve Höhenlokalisation mit Lineal und Bildver-stärker, insbesondere für die Segmente L2/3 und L3/4 (ggf. auch L5/S1 und L4/5)

Abb. 1 9 Präoperative Höhenlokalisation mit geradem Instrument und Bildverstärker, ins-besondere für die Seg-mente L5/S1 und L4/5 (ggf. auch höher)

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ration und Mobilisation vor dem Koagu-lieren und Durchtrennen wird das Risiko einer Verletzung des Plexus hypogastri-cus superior minimiert. Danach wird die venöse Konfluenz sofern notwendig nach kranial mobilisiert und ebenfalls eine Re-traktorvalve eingesetzt.

Die Präparation nach kaudal an der Vorderfläche des Os sacrum sollte we-gen des ausgeprägten präsakralen venö-sen Plexus sehr vorsichtig und sparsam erfolgen, ehe auch eine Valve nach kaudal eingesetzt wird. Wird ein Retraktorsys-tem verwendet, bei dem die Valven nicht mit Pins an den Wirbeln verankert sind, ist während der weiteren Operation dar-auf zu achten, dass die Gefäße nicht unter den Valven durchrutschen (. Abb. 4).

Sofern die eindeutige Identifizierung des Indexsegments nach anatomischen Landmarken nicht eindeutig möglich ist, sollte jetzt eine Röntgenkontrolle im seitli-chen Strahlengang durchgeführt werden. Wenn keine lumbosakrale Übergangsstö-rung vorliegt, kann das Segment L5/S1 in den meisten Fällen eindeutig anatomisch ohne intraoperative Röntgenkontrolle si-cher identifiziert werden.

Danach erfolgt nach Ausschneiden des vorderen Längsbandes und des ventralen Anulus die möglichst komplette Diskek-tomie. Im Gegensatz zur PLIF oder TLIF ist mit der ALIF eine wesentlich einfache-re, schnellere und komplettere Diskekto-mie möglich. Bei sehr flachen Bandschei-benfächern ist es notwendig, erst ein vent-rales Release mit Distraktoren zunehmen-der Höhe oder einer Distraktionszange

durchzuführen. Mit den Distraktoren ist eine dosiertere Distraktionskraft mit di-rekter taktiler Rückmeldung verglichen mit einer Distraktionszange möglich. Da-zu werden ein oder zwei Distraktoren mit der flachen Seite ins Bandscheibenfach eingeführt und um 90° rotiert (. Abb. 5). Ein Distraktor kann dann jeweils auf einer Seite belassen werden, während auf der Gegenseite das Bandscheibenfach ausge-räumt und die Endplatten mit Küretten unterschiedlicher Größe und Winkelung präpariert werden. Dabei ist auf eine gu-te Präparation der Endplatten möglichst ohne Einbrechen in die Endplatten zu achten. Insbesondere bei eingeschränkter Knochenqualität ist hier besonders vor-sichtig vorzugehen, um das Risiko einer späteren Sinterung des Cages zu mini-mieren.

» Mit der ALIF ist eine wesentlich einfachere, schnellere und komplettere Diskektomie möglich

Nach der Diskektomie, dem ventralen Release und der Endplattenpräparation werden Probeprothesen unterschiedli-cher Höhe, Winkelung und Grundfläche eingebracht und das bestmögliche Im-plantat in Bezug auf diese Parameter aus-gewählt (. Abb. 5). Prinzipiell sollte die Grundfläche des Cages so groß wie mög-lich gewählt werden, um eine möglichst hohe Primärstabilität zu erreichen und das Ri siko eines Einsinkens des Cages zu

redu zieren [10, 13]. Hauptsächlich werden Cages aus Polyetheretherketon (PEEK) oder Titan mit unterschiedlichsten Ober-flächenstrukturen verwendet. Das ver-wendete Material und der verwendete Cage typ bleiben dabei den Präferenzen des Operateurs belassen.

Sowohl für PEEK als auch für Titan gibt es Vor- und Nachteile, welche im Einzelfall gegeneinander abgewägt wer-den müssen. Dies ist aber nicht Gegen-stand dieses Artikels. Das gleiche gilt für das Fusionsmaterial. Hier sind Eigen- oder Fremdknochen, Knochenersatzstof-fe oder auch Wachstumsfaktoren möglich. Nach Auswahl des Cages und dem Befül-len mit dem jeweiligen Fusionsmaterial wird der Probecage entfernt, das Band-scheibenfach gespült und der definitive Cage implantiert. Gegebenenfalls kann dann auch noch Fusionsmaterial ventral des Cages angelagert werden (. Abb. 5).

L4/5–L2/3

Ausgehend vom medialen Rand des M. psoas major werden die A. und V. ili-aca communis, respektive kranial davon die V. cava und Aorta vorsichtig stumpf von lateral nach medial mobilisiert. Bei der Mobilisation der Vene ist auf Zuflüs-se zu achten, welche ggf. koaguliert und durchtrennt werden müssen. Zugän-ge mit einem Kaliber > 2 mm sollten ge-klippt oder ligiert werden. Bei der Dar-stellung des Segments L4/5 muss auf die V. lumbalis ascendens und die V. iliolum-balis geachtet werden. Je nachdem, wie weit das Segment L4/5 auf die Gegensei-te freigelegt werden soll, ist die Freipräpa-ration und Durchtrennung nach Klippen oder Ligatur notwendig. Wird dies nicht beachtet und kommt es bei der Präparati-on zum Ausriss eines zuführenden Gefä-ßes, so ist meist eine Naht der Vene not-wendig (s. unten). Ist ein Wirbelkörper-ersatz geplant und eine Darstellung eines Wirbelkörpers notwendig, müssen auch die Segmentgefäße durchtrennt werden.

Anschließend werden die Gefäße vor-sichtig mit den Valven des Retraktorsys-tems retrahiert. Dabei ist sehr penibel da-rauf zu achten, nicht zu viel Zug insbeson-dere auf die Venen auszuüben, um eine Verletzung zu vermeiden. Danach wer-den Valven nach kranial, kaudal und la-

Abb. 3 9 Markierung L5/S1 und L4/5 nach Höhenlokalisation mit Bildverstärker

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teral gesetzt. Die Präparation des Band-scheibenfaches und die Implantation der Cages erfolgen wie beim Segment L5/S1 beschrieben. Da die Exposition des Band-scheibenfaches von links anterolateral er-folgt, werden auch die Cages von anterola-teral implantiert, dazu ist es sinnvoll, dass bei den Probecages und Cages die Setzins-trumente in einer Winkelung von 30° und 45° fixiert werden können.

Bei monosegmentalem Vorgehen sollte nach Implantation des Cages eine Röntgenkontrolle in 2 Ebenen erfolgen. Bei mehrsegmentalen Operationen kann die Röntgenkontrolle je nach Präferenz des Operateurs auch nach der Implanta-tion des letzten Cages erfolgen. Nach ra-diologischer Dokumentation der korrek-ten Lage der Cages werden die Retraktor-valven entfernt und die Gefäße auf Ver-letzungen überprüft. Manchmal fallen

Gefäßverletzungen erst nach Entfernen der Valven auf, da die Gefäße durch die Valven komprimiert werden. Normaler-weise ist eine Drainage nicht notwendig. Bei multisegmentalen Operationen, Re-visionsoperationen oder nach Gefäßver-letzungen kann über eine Zusatzinzision eine Robinson-Drainage ins Retroperito-neum eingelegt werden. Sofern das hinte-re Blatt der Rektusscheide inzidiert wurde, wird dieses jetzt mit Einzelknopfnähten

Abb. 5 9 Zugang L5/S1, links im Bild kaudal, oben im Bild rechte Seite: a ven-trales Release mit Distrak-toren, b implatierter Probe-cage, c Implantation PEEK-Cage mit Setzinstrumenta-rium, d fertig implantier-ter Cage

Abb. 4 9 Zugang L5/S1 (links im Bild kaudal, oben im Bild rechte Seite): a Ure-ter im peritonealen Ver-bund belassen, b nach Re-traktion von Peritoneum und Ureter nach medi-al Darstellung von A. und V. iliaca links. c Mobilisier-te A. und V. iliaca links über der Bandscheibe L5/S1. d Darstellung der Bandschei-be L5/S1 nach Einsetzen der Valven des Retraktor-systems

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oder einer fortlaufenden Naht verschlos-sen, danach erfolgt der Verschluss des vor-deren Blattes der Rektusscheide sowie die Subkutan- und Hautnaht.

Komplikationen

Zugangsbedingte Komplikationen wur-den bei Primäroperationen mit einer Ra-te von 3,8–18,0 % beschrieben [6, 7, 12, 17, 20]. Revisionsoperationen nach ven-tralen Voroperationen haben eine 3- bis 5-fach erhöhte Komplikationsrate vergli-chen mit Primäreingriffen, insbesondere in Bezug auf vaskuläre Verletzungen mit einer Komplikationsrate von 34,8–71,0 % bei ventralen Revisionen mit Implanta-tentfernungen [5, 6, 9, 20].

» Die häufigsten Komplikationen sind Gefäßverletzungen

Die häufigsten Komplikationen sind Ge-fäßverletzungen mit < 5 %, venös deut-lich häufiger als arteriell [2, 20]. Am häu-figsten wird die linke V. iliaca communis verletzt, gefolgt von der V. cava und der V. iliolumbalis. Im Falle einer Gefäßver-letzung kann durch Abdrücken des Gefä-ßes mit Stieltupfern ober- und unterhalb der Läsion die Blutung temporär gestoppt und die Läsion dargestellt werden. Der Verschluss der Läsion kann dann mit ei-ner quergestochenen Naht oder einer Ta-baksbeutelnaht (Nahtmaterial: 4–0 oder 5–0 atraumatisch, nicht resorbierbar, ggf. patcharmiert) erfolgen.

Persistierende Konsequenzen aus der Gefäßverletzung sind sehr selten, aber Thrombosen, Lungenembolien und ein verlängerter Krankenhausaufenthalt sind beschrieben. Eine präoperative CT- bzw. MR-Angiographie kann sinnvoll sein, um das Risiko einer Gefäßverletzung zu redu-zieren, insbesondere Risikopatienten mit Adipositas permagna, Gefäßverkalkun-gen, retroperitonealen Voroperationen und Bestrahlung [15, 19].

Bei einer intraoperativen Gefäßverlet-zung sollte eine primäre Naht angestrebt werden. Bei großen Verletzungen an un-günstiger Stelle kann es notwendig bzw. sinnvoll sein, einen Gefäßchirurgen hin-zuzuziehen. Auf jeden Fall sollte der Back-

up bei ventralen Zugängen zur LWS durch einen Gefäßchirurgen gesichert sein. In sehr seltenen Fällen kann auch die Im-plantation einer Gefäßprothese notwen-dig werden, sofern eine Gefäßverletzung nicht genäht werden kann, oder wenn ein venöses oder arterielles Gefäß auf-grund von Vernarbungen nicht mobili-siert werden kann und eine Gefäßteilre-sektion notwendig wird, um das Zielge-biet der Operation zu erreichen. In diesen sehr seltenen Fällen ist aber auf jeden Fall eine Kooperation mit den Gefäßchirurgen notwendig.

Arterielle und tiefe Venenthrombo-sen treten in bis zu 5 % der Fälle auf [3, 20]. Von Brau et al. [3] wurde die LIAT („left iliac artery thrombosis“) beschrie-ben, welche in 0,45 % der Fälle durch En-dothelablösung bei zu starkem Hakenzug am Gefäß entsteht. Brau et al. [2, 3] emp-fehlen die distale Mobilisation der A. ili-aca, um das Risiko der LIAT zu reduzie-ren. Einige Autoren empfehlen, die Sau-erstoffsättigung am Großzeh auf der Zu-gangsseite zu messen und wenn es durch Retraktion der Gefäße zu einem Abfall der Sättigung kommt, den Retraktor nach 45 min temporär zu entfernen, um eine bessere arterielle Versorgung zu gewähr-leisten [11]. Aus unserer Sicht sollte bei längerem starkem Hakenzug an den Ge-fäßen in etwa 20-minütigen Abständen ei-ne kurzzeitige Lockerung der Haken zur Freigabe des Blutstroms erfolgen.

Verletzungen von Ureter oder Blase sind sehr selten (0,3–0,5 %), sollten aber intraoperativ von einem Urologen ver-sorgt werden [5, 6]. Eine Ureterverlet-zung kann v. a. nach multiplen Vorope-rationen vorkommen. Eine präoperative Schienung des Ureters auf der geplanten Zugangsseite durch einen Urologen ist da-her zu empfehlen, da der Ureter bei retro-peritonealen Vernarbungen sehr schwer bis gar nicht zu identifizieren ist und so-mit ein hohes Verletzungsrisiko besteht.

Einen mit Doppel-J-Katheter geschien-ten Ureter kann man jedoch auch bei Ver-narbungen sehr gut tasten und identifi-zieren und somit das Risiko einer Verlet-zung minimieren. Sollte es bei ausgepräg-ten Vernarbungen trotzdem zu okkulten Verletzungen des Ureters ohne Unter-brechung der Kontinuität kommen, hei-len diese bei liegendem Doppel-J-Kathe-

ter ohne weitere Therapie aus. Sollte bei liegendem Doppel-J-Katheter eine Ver-letzung des Ureters mit Unterbrechung der Kontinuität vorkommen, so kann der Ureter relativ leicht über dem liegenden Doppel-J-Katheter genäht werden. Der Doppel-J-Katheter wird etwa 7 Tage post-operativ entfernt.

Eine weitere mögliche Komplikation ist die Verletzung des Plexus hypogastri-cus superior beim Zugang insbesondere zu L5/S1, aber auch L4/5. Die Verletzung dieser neuralen Struktur kann beim Mann zu einer retrograden Ejakulation führen. Die Häufigkeit liegt bei 0,4–5,9 % und ist beim transperitonealen Zugang etwa 10-mal häufiger als beim retroperitonealen [1, 8, 17, 18, 21].

Bei etwa einem Drittel der Fälle kommt es innerhalb eines Jahres zur Rückbildung der retrograden Ejakulation. Der Plexus hypogastricus superior ist Teil des Trun-cus sympathicus und innerviert den in-neren Blasensphinkter. Der sehr dünne und feine Plexus befindet sich im retro-peritonealen Raum ventral des lumbosa-kralen Übergangs. Um eine Verletzung zu vermeiden, empfiehlt sich eine vorsichti-ge stumpfe Präparation im Bereich des lumbosakralen Übergangs und soweit ir-gend möglich der Verzicht auf monopola-re oder bipolare Koagulation.

Eine extrem seltene Komplikation nach ALIF ist die Lymphozele [16]. Die Diagnostik erfolgt durch Punktion und Analyse des Punktats. Typisch für Lym-phen ist eine milchig-weiße Farbe, die ty-pischen Dichte > 1,012, hoher Triglyze-ridgehalt, > 3 % Protein und eine positive Sudan-III-Färbung. Die Therapie ist pri-mär konservativ mit Punktion, Bettruhe und triglyceridfreier Diät. Bei Persistenz ist die operative Revision mit Marsupiali-sation angezeigt.

Fazit für die Praxis

5 Die ALIF ist ein etabliertes Verfahren für die ventrale interkorporelle Fusi-on L2–S 1 mit spezifischen Vor- und Nachteilen verglichen mit den dorsa-len Verfahren. 5 Vorteile sind der freie Zugang zum Bandscheibenfach ohne neurale Strukturen auf dem Zugangsweg, die Möglichkeit eines ausgiebigen ven-

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Leitthema

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tralen Releases und die Möglichkeit größere Cages als von dorsal zu plat-zieren. 5 Nachteile sind der zusätzliche vent-rale Zugang und die damit verbun-denen Komplikationsmöglichkeiten. Häufigste Komplikationen sind Ge-fäßverletzungen. 5 Bei ventralen Revisionseingriffen ist die Komplikationsrate hoch. Daher ist eine hohe eingriffsspezifische Exper-tise notwendig und ein gefäßchirurgi-sches Standby unabdingbar.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. M. RichterWirbelsäulenzentrumSt.-Josefs Hospital Beethovenstraße 20 65189 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. M. Richter gibt an, dass er Mit-autor eines lumbalen Cagesystems der Firma Ulrich Medical, Ulm (Pezo/Tezo) ist und Lizenzgebühren erhält. M. Weidenfeld und F.P. Uckmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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