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Four Laws that Drive the Universe Von Peter Atkins. Oxford University Press, Oxford 2007. 130 S., geb., 19.95 $.—ISBN 978-0-19-923236-9 Zu meiner Ƞberraschung hat mir die Lektɒre dieses Bɒchleins gefallen. Da ich mich sowohl als Lehrer wie auch als Student mit den Grundlagen der Ther- modynamik herumschlagen musste, weiß ich die Anstrengungen des Autors, ein stimmiges Konzept fɒr dieses Thema zu finden, nur zu wɒrdigen. Peter Atkins ist es sehr gut gelungen, dieses komple- xe Thema zu entmystifizieren und (fast) allgemeinverstȨndlich darzustellen. Von einem erfolgreichen Autor, dessen aka- demische Lehrbɒcher im Grundstudium der physikalischen Chemie erste Wahl sind, war dies durchaus zu erwarten. Der Ansatz in Four Laws that Drive the Universe ist nahezu klassisch, und die vier HauptsȨtze der Thermodyna- mik werden nacheinander in einem ei- genen Kapitel besprochen. Dabei wird gezeigt, wie aus jedem Hauptsatz in lo- gischer Weise die notwendige Existenz von GrɆßen wie Temperatur (0. Haupt- satz), Energie (1. Hauptsatz) und En- tropie (2. Hauptsatz) abgeleitet werden kann, wȨhrend der 3. Hauptsatz schließlich aussagt, wann Temperatur und Entropie an ihre Grenzen stoßen. Auf freie Energien (Gibbs, Helmholtz) wird in einem eigenen Kapitel einge- gangen, obwohl sie auf S. 103 (nur?) als … just convenient accounting quanti- ties, not new fundamental concepts“ be- zeichnet werden. Nicht jeder wird mit dieser Meinung ɒbereinstimmen, aber innerhalb des klassischen Ansatzes macht sie durchaus Sinn. Die Beziehung zwischen freier Energie und Arbeit wird jedenfalls ausgezeichnet erklȨrt. Es spiegelt wohl das Potential und die Eleganz der Thermodynamik wider, dass man ausgehend von unterschiedli- chen Postulaten zu gleichen Schlussfol- gerungen kommen kann. Natɒrlich enthȨlt das Buch einige Ausfɒhrungen, denen ein genauer (und als Fachmann bestellter!) Rezensent widersprechen kann. Der Stoff wird fast ohne Mathematik abgehandelt, was hinsichtlich der Zielgruppe des Buchs kein Nachteil ist – andererseits kɆnnte die Einfɒhrung einer zumal gar nicht notwendigen Exponentialfunktion be- reits auf S. 13 den Nichtspezialisten ab- schrecken. Einige Argumente erschei- nen etwas kleinlich und hindern den Lesefluss. Beispielsweise kɆnnte die Bemerkung zur WȨrme auf S. 30 – „heat is not an entity or even a form of energy: heat is a mode of transfer of energy. It is not a form of energy …“– manchen Leser verwirren, wenn dann in der Folge der Begriff WȨrme wieder im ɒblichen Sinn verwendet wird. Es ist nett, an Emmy Noethers Theorem ɒber die Beziehung zwischen ErhaltungsgrɆ- ßen und Symmetrie erinnert zu werden (und außerdem herauszufinden, dass sie eine Frau war), aber geht es wirklich um … the shape of the universe we inhabit. In the particular case of the conservation of energy, the symmetry is that of the shape of time.“? Nach meinem Ver- stȨndnis schreibt die Invarianz (d. h. die Symmetrie) der physikalischen Gesetze bezɒglich der Zeit die Energieerhaltung vor (in gleicher Weise wie die Transla- tions- und die Rotationsinvarianzen die Impuls- bzw. Drehimpulserhaltung be- stimmen). Mit anderen Worten: Es ist die Form der Gesetze, nicht die des Universums, die hier maßgeblich ist. Ɛhnlich verwirrend kɆnnten die Ver- weise auf thermodynamische Fluktua- tionen und das Fluktuations-Dissipa- tions-Theorem auf S. 42 sein, die den mɆglicherweise ɒberzeugenderen An- satz der statistischen Mechanik ins Spiel bringen. Molekulare Interpretationen bringen hier nicht allzu viel. Warum hat gerade Wasser eine so große WȨrme- kapazitȨt (S. 44)? Woher kommt diese Verbindung zwischen Entropie und Unordnung (S. 66)? Sicher: Die meisten von uns Fachleuten und (hoffentlich) unserer Studenten wissen woher, aber tun andere dies auch? Und hier sind wir beim wichtigen Thema Zielgruppe angelangt. Peter Atkins ruft uns C. P. Snows berɒhmten Ausspruch aus dem Jahr 1950 ins Ge- dȨchtnis (in The Two Cultures), der die Unkenntnis des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik damit gleichsetzt, nie- mals ein Werk Shakespeares gelesen zu haben – ein Beispiel fɒr die Trennung von Kunst und Wissenschaft, die sich auch 50 Jahre spȨter noch hȨlt. In diesem Fall kann ich fɒr die Nichtwis- senschaftler jedoch VerstȨndnis auf- bringen. Die Thermodynamik ist zum Opfer ihrer eigenen Geschichte gewor- den: Sie war ein bemerkenswert erfolg- reiches Produkt der Naturwissenschaf- ten des 19. Jahrhunderts, logisch aufge- baut und vollstȨndig, ohne sich auf Atom- oder Molekɒltheorien berufen zu mɒssen. Ihr traditioneller Lehran- satz, wie er in diesem Buch auch ɒber- wiegend verwendet wird, basiert jedoch auf abstrakten Beschreibungen, die aus Funktionsweisen von Dampfmaschinen und Ȩhnlichen Vorrichtungen abgeleitet wurden. Das Wissen ɒber derartige Maschinen nahm und nimmt von Ge- neration zu Generation ab. Da wir Atome und Molekɒle nicht „verlernen“, kɆnnte heutzutage ein offenerer, mole- kularer Ansatz der Thermodynamik fɒr Nichtspezialisten nɒtzlicher sein. Trotz dieser Einlassungen ist Four Laws that Drive the Universe eine un- terhaltsame und erhellende Lektɒre fɒr alle, die sich einmal mit klassischer Thermodynamik abgemɒht haben, und eine angemessene Einfɒhrung fɒr Nichtspezialisten, die einen Einblick in dieses sehr schwierige Thema gewinnen wollen. Alan Cooper WestCham Department of Chemistry University of Glasgow (Großbritannien) DOI: 10.1002/ange.200785577 Bücher 3132 # 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2008, 120, 3132 – 3133

Four Laws that Drive the Universe. Von Peter Atkins

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Four Laws that Drive the Universe

Von Peter Atkins.Oxford UniversityPress, Oxford 2007.130 S., geb.,19.95 $.—ISBN978-0-19-923236-9

Zu meiner �berraschung hat mir dieLekt�re dieses B�chleins gefallen. Daich mich sowohl als Lehrer wie auch alsStudent mit den Grundlagen der Ther-modynamik herumschlagen musste,weiß ich die Anstrengungen des Autors,ein stimmiges Konzept f�r dieses Themazu finden, nur zu w�rdigen. Peter Atkinsist es sehr gut gelungen, dieses komple-xe Thema zu entmystifizieren und (fast)allgemeinverst+ndlich darzustellen. Voneinem erfolgreichen Autor, dessen aka-demische Lehrb�cher im Grundstudiumder physikalischen Chemie erste Wahlsind, war dies durchaus zu erwarten.

Der Ansatz in Four Laws that Drivethe Universe ist nahezu klassisch, unddie vier Haupts+tze der Thermodyna-mik werden nacheinander in einem ei-genen Kapitel besprochen. Dabei wirdgezeigt, wie aus jedem Hauptsatz in lo-gischer Weise die notwendige Existenzvon Gr2ßen wie Temperatur (0. Haupt-satz), Energie (1. Hauptsatz) und En-tropie (2. Hauptsatz) abgeleitet werdenkann, w+hrend der 3. Hauptsatzschließlich aussagt, wann Temperaturund Entropie an ihre Grenzen stoßen.Auf freie Energien (Gibbs, Helmholtz)wird in einem eigenen Kapitel einge-gangen, obwohl sie auf S. 103 (nur?) als

„… just convenient accounting quanti-ties, not new fundamental concepts“ be-zeichnet werden. Nicht jeder wird mitdieser Meinung �bereinstimmen, aberinnerhalb des klassischen Ansatzesmacht sie durchaus Sinn. Die Beziehungzwischen freier Energie und Arbeit wirdjedenfalls ausgezeichnet erkl+rt. Esspiegelt wohl das Potential und dieEleganz der Thermodynamik wider,dass man ausgehend von unterschiedli-chen Postulaten zu gleichen Schlussfol-gerungen kommen kann.

Nat�rlich enth+lt das Buch einigeAusf�hrungen, denen ein genauer (undals Fachmann bestellter!) Rezensentwidersprechen kann. Der Stoff wird fastohne Mathematik abgehandelt, washinsichtlich der Zielgruppe des Buchskein Nachteil ist – andererseits k2nntedie Einf�hrung einer zumal gar nichtnotwendigen Exponentialfunktion be-reits auf S. 13 den Nichtspezialisten ab-schrecken. Einige Argumente erschei-nen etwas kleinlich und hindern denLesefluss. Beispielsweise k2nnte dieBemerkung zur W+rme auf S. 30 – „…heat is not an entity or even a form ofenergy: heat is a mode of transfer ofenergy. It is not a form of energy …“ –manchen Leser verwirren, wenn dann inder Folge der Begriff W+rme wieder im�blichen Sinn verwendet wird. Es istnett, an Emmy Noethers Theorem �berdie Beziehung zwischen Erhaltungsgr2-ßen und Symmetrie erinnert zu werden(und außerdem herauszufinden, dass sieeine Frau war), aber geht es wirklich um„… the shape of the universe we inhabit.In the particular case of the conservationof energy, the symmetry is that of theshape of time.“? Nach meinem Ver-st+ndnis schreibt die Invarianz (d. h. dieSymmetrie) der physikalischen Gesetzebez�glich der Zeit die Energieerhaltungvor (in gleicher Weise wie die Transla-tions- und die Rotationsinvarianzen dieImpuls- bzw. Drehimpulserhaltung be-stimmen). Mit anderen Worten: Es istdie Form der Gesetze, nicht die desUniversums, die hier maßgeblich ist.Chnlich verwirrend k2nnten die Ver-weise auf thermodynamische Fluktua-tionen und das Fluktuations-Dissipa-tions-Theorem auf S. 42 sein, die denm2glicherweise �berzeugenderen An-satz der statistischen Mechanik ins Spielbringen. Molekulare Interpretationenbringen hier nicht allzu viel. Warum hat

gerade Wasser eine so große W+rme-kapazit+t (S. 44)? Woher kommt dieseVerbindung zwischen Entropie undUnordnung (S. 66)? Sicher: Die meistenvon uns Fachleuten und (hoffentlich)unserer Studenten wissen woher, abertun andere dies auch?

Und hier sind wir beim wichtigenThema Zielgruppe angelangt. PeterAtkins ruft uns C. P. Snows ber�hmtenAusspruch aus dem Jahr 1950 ins Ge-d+chtnis (in The Two Cultures), der dieUnkenntnis des 2. Hauptsatzes derThermodynamik damit gleichsetzt, nie-mals ein Werk Shakespeares gelesen zuhaben – ein Beispiel f�r die Trennungvon Kunst und Wissenschaft, die sichauch 50 Jahre sp+ter noch h+lt. Indiesem Fall kann ich f�r die Nichtwis-senschaftler jedoch Verst+ndnis auf-bringen. Die Thermodynamik ist zumOpfer ihrer eigenen Geschichte gewor-den: Sie war ein bemerkenswert erfolg-reiches Produkt der Naturwissenschaf-ten des 19. Jahrhunderts, logisch aufge-baut und vollst+ndig, ohne sich aufAtom- oder Molek�ltheorien berufenzu m�ssen. Ihr traditioneller Lehran-satz, wie er in diesem Buch auch �ber-wiegend verwendet wird, basiert jedochauf abstrakten Beschreibungen, die ausFunktionsweisen von Dampfmaschinenund +hnlichen Vorrichtungen abgeleitetwurden. Das Wissen �ber derartigeMaschinen nahm und nimmt von Ge-neration zu Generation ab. Da wirAtome und Molek�le nicht „verlernen“,k2nnte heutzutage ein offenerer, mole-kularer Ansatz der Thermodynamik f�rNichtspezialisten n�tzlicher sein.

Trotz dieser Einlassungen ist FourLaws that Drive the Universe eine un-terhaltsame und erhellende Lekt�re f�ralle, die sich einmal mit klassischerThermodynamik abgem�ht haben, undeine angemessene Einf�hrung f�rNichtspezialisten, die einen Einblick indieses sehr schwierige Thema gewinnenwollen.

Alan CooperWestCham Department of ChemistryUniversity of Glasgow (Großbritannien)

DOI: 10.1002/ange.200785577

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3132 2 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2008, 120, 3132 – 3133