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"Ein Ebenbild des Vaters". Familiale Wiederholungen in der historiographischen Traditionsbildung der römischen Republik Author(s): Uwe Walter Reviewed work(s): Source: Hermes, 132. Jahrg., H. 4 (2004), pp. 406-425 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4477620 . Accessed: 27/02/2013 09:39 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Hermes. http://www.jstor.org This content downloaded on Wed, 27 Feb 2013 09:39:36 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Ebenbild Des Vaters

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roman society, imagines maiorum, ancestors

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Page 1: Ebenbild Des Vaters

"Ein Ebenbild des Vaters". Familiale Wiederholungen in der historiographischenTraditionsbildung der römischen RepublikAuthor(s): Uwe WalterReviewed work(s):Source: Hermes, 132. Jahrg., H. 4 (2004), pp. 406-425Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/4477620 .

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,,EIN EBENBILD DES VATERS". FAMILIALE WIEDERHOLUNGEN IN DER

HISTORIOGRAPHISCHEN TRADITIONSBILDUNG DER ROMISCHEN REPUBLIK*

Die Nobilitat der romischen Republik bildete und reproduzierte sich auf einem hochst komplexen Feld des politischen Wettbewerbs, bei dem neben der Herkunft - dem ,Adel' im engeren Sinn - und den bereits erbrachten Leistungen auch die Berechenbarkeit eines zur Wahl stehenden Kandidaten im Sinne einer Gewahr- leistung kuinftigen Handelns eine wichtige Erfolgsvoraussetzung darstellte. We- gen der meist geringen Bedeutung programmatischer Festlegungen in Sachfragen spielte Vertrauen bei der Wahlentscheidung generell eine wesentliche Rolle.I Da

* Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag, der vor dem 44. deutschen Historikertag 2002 in

Halle gehalten wurde; der Titel der Sektion lautete ,,Vertrauen in die Macht des Namens.

Gentilcharisma und Familientradition in der Mittleren Republik"; s. den ausfuhrlichen Bericht von M. MEIER, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=96. Der Beitrag ver-

tieft einen Aspekt der Uberlegungen meines Aufsatzes: AHN MACHT SINN. Familientradition

und Familienprofil im republikanischen Rom, in: K.-J. HOLKESKAMP u. a. (Hgg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum. Mainz 2003, 255-278. Der grolBere Zusammenhang ist in meiner Habilitationsschrift ausgeftihrt: Memoria und res

publica. Zur Geschichtskultur der romischen Republik, Frankfurt/M. 2004 (Studien zur Alten

Geschichte, 1). Die Sektions-Vortrage von K.-J. HOLKESKAMP und H. BECK sind in groBere Arbeiten eingegangen (s.u. Anm. 50 und 22); der Text von H.I. FLOWER (Die Nemesis des

Stereotyps: die gens Claudia) ist bisher unpubliziert. - Fur hilfreiche Hinweise zu verschiedenen Versionen gebuhrt den Referenten der Sektion Dank.

FRH: Die Fruhen Romischen Historiker. Bd. 1: Von Fabius Pictor bis Cn. Gellius; Bd. 2: Von

Coelius Antipater bis Pomponius Atticus. Herausgegeben, ubersetzt und kommentiert von H. BECK und U. WALTER, Darmstadt 2001/2004. MRR: T.R.S. BROUGHTON, The Magistrates of the Roman Republic. Vols. I/II, New York 21968;

III, Atlanta 1986. 1 Dem entsprach ein iberwiegend personlichkeitszentrierter Wahlkampfstil, der Sachaussa-

gen in der Regel vermied und stattdessen auf dauemde Prasenz und Kommunikation mit moglichst allen relevanten Personen und Gruppen setzte. Vgl. dazu grundlegend M. JEHNE, Die Beeinflus-

sung von Entscheidungen durch ,,Bestechung": Zur Funktion des Ambitus in der romischen

Republik, in: DERS. (Hg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der romischen

Republik, Stuttgart 1995, 51-76 (60-63) mit weiteren Nachweisen. Der meistzitierte Beleg fur

diese Praxis ist Q. Cicero, comm. pet. 53: Atque etiam in hac petitione maxime videndum est ut

spes rei publicae bona de te sit et honesta opinio; nec tamen in petendo res publica capessenda est (keine politischen Themen aufgreifen!) neque in senatu neque in contione. sed haec tibi sunt

retinenda: ut senatus te existimet ex eo quod ita vixeris defensorem auctoritatis suae fore, equites Romani et viri boni ac locupletes ex vita acta te studiosum oti ac rerum tranquillarum, multitudo

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,,Ein Ebenbild des Vaters" 407

die Amtsfuhrung auf den unteren Stufen des cursus honorum kaum sichere Voraussagen uber die Bewiihrung eines Kandidaten in einer Leitungsfunktion erlaubte, stellte die Wahl in eine solche aus der Sicht der Wiihler immer einen Wechsel auf die Zukunft dar. Man konnte sich aber darauf verlassen, daB der Amtsinhaber ,funktionieren' wurde, wenn gewiihrleistet war, daB er das notige Konnen und das notige Ethos bereits zu Hause erworben hatte. Die Sozialisiation des Fuhrungsnachwuchses, in modernen politischen Systemen meist durch Partei- en oder burokratische Apparate geiibt, war in Rom zum guten Teil identisch mit der Erziehung der Sohne durch den Vater im aristokratischen Haus, die aus diesem Grunde ein zentraler Bestandteil der politischen Kultur war.2 Verstarkt wurde ihre Pragekraft durch die patria potestas, die als Disziplinierungsinstru- ment in Rom die Ausbildung ,staatlicher' Institutionen und Verfahren - zumal im Bereich des Gerichtswesens - lange erubrigte und insgesamt verzogerte.3 Der regulative Kanon von Werten, Vorbildemn, beispielhaften Handlungen und Aus- spriichen sowie Verhaltensnormen, der in diesem SozialisationsprozeB verrnittelt

ex eo quod dumtaxat oratione in contionibus ac iudicio popularisfuisti te a suis commodis non alienumfuturum. Bekannte Ausnahmen in der spaten Republik waren die Konsulatswahlkampfe von Marius 108 und von Pompeius 71; gegen die Ansicht, die Wahlen seien generell inhaltlich ,entpolitisiert' gewesen, s. besond. A. YACOBSON, Elections and Electioneering in Rome, Stuttgart 1999, ch. 6.

2 Dazu knapp und vorzUglich G. CLEMENTE, La politica romana nell'eta dell'imperialismo, in: A. SCHIAVONE (a cura di), Storia di Roma Il 1, Turin 1990, 235-266 (240-245). Vgl. auch A. CORBEILL, Education in the Roman Republic: Creating Traditions, in: YUN LEE Too (ed.), Education in Greek and Roman Antiquity, Leiden 2001, 261-287. - Begrifflich sind Sozialisati- on und Erziehung zu unterscheiden: Erstere meint in einem umfassenden Sinn das Wirken aller pragenden Einfluisse auf den Heranwachsenden, seien sie intentional oder in den Strukturen, Erfahrungen und kontingenten Ereignissen begrundet; die Erziehung bildet davon eine Teilmen- ge, namlich die von ubergeordneten sozialen Autoritaten absichtsvoll betriebene Formung der Personlichkeit.

3 Zur konstitutiven Bedeutung des Vaters als praktisches Vorbild und sozialethisches Leit- bild s. Y. THOMAS, Rom: Vater als Burger in einer Stadt der Vater, in: A. BURGItRE u. a. (Hgg.), Geschichte der Familie I: Altertum, Frankfurt/M. 1996, 277-326. Zum Zusammenhang zwischen den dominierenden Rollen des Vaters im Haus und in der res publica s. die Skizze von J. MARTIN,

Familie, Verwandtschaft und Staat, in: J. SPIELVOGEL (Hg.), Res publica reperta (FS Bleicken), Stuttgart 2002, 13-24; vgl. auch DENS., Formen sozialer Kontrolle im republikanischen Rom, in: D. COHEN (Hg.), Demokratie, Recht und soziale Kontrolle im klassischen Athen, Munchen 2002, 155-172. Fur einen wichtigen Teilaspekt s. W.V. HARRIS, The Roman Father's Power of Life and Death, in: R.S. BAGNALL, W.V. HARRIS (eds.), Studies in Roman Law in Mem. of A. Arthur Schiller, Leiden 1986, 81-95. Vgl. im groleren Zusammenhang jetzt K.-J. HOLKESKAMP, Under Roman Roofs: Family, House, and Household, in: H.I. FLOWER (ed.), The Cambridge Companion to the Roman Republic, Cambridge 2004, 113-138. 377-379, v. a. 124-130. Interessant wegen der Umkehrung der Perspektive, wie sie sich schon im Titel ankiindigt, sind die Beitrage in: EPELLIZER, N. ZORZETTI (a cura di), La paura dei padri nella societa antica e medievale, Rom 1983 (darin 47-140). - Eine umfassende Studie von P. SCHOLZ (Arbeitstitel: Praeceptis patris parere. Die Erziehung zum nobilis) steht kurz vor dem AbschluB.

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wurde, bildete bekanntlich den mos maiorum, der als Summe dieser Regulative den maBgeblichen Bestandteil der republikanischen Verfassung darstellte.4

Die reiche Uberlieferung zur Geschichte der fruhen Republik, also im wesent- lichen des 5. und 4. Jahrhunderts, bei Livius, Dionysios von Halikarnassos und Plutarch bietet nun nicht nur ein schattiges Kloster fur Exerzitien in gelehrter Quellenkritik oder ein Gefechtsfeld fur den immer wieder beliebten Kampf zwi- schen Optimisten und Skeptikern, was die Moglichkeiten der Rekonstruktion einer tragfihigen ,Realgeschichte' angeht. Sie birgt auch ein reiches Reservoir paradigmatischer Geschichten, die AufschluB uber die kulturelle und sozio-politi- sche Selbstdeutung der Romer und ihre Inventare erwartbaren Verhaltens geben. Als ein solches Schatzhaus von exempla hat diese Geschichten mit kanonisieren- der Wirkung schlieBlich Livius in sein Gesamtbild der romischen Geschichte aufgenommen.5 Zwei davon markieren extreme Moglichkeiten des eingangs um- rissenen Sozialisations- bzw. Vater-Sohn-Problems.

Die Episode um die Wahl des P. Licinius Calvus (Esquilinus) zum Konsulartri- bunen des Jahres 396 steckt voller Unmoglichkeiten und offensichtlicher Wider- spruche.6 Sie war Livius aber offenbar so wichtig, da, er die Fehler in Kauf genommen hat. Als gemiBigter Plebejer sollte Calvus neben anderen bewiihrten Kandidaten gewahlt werden, obwohl er sich gar nicht beworben hatte. Noch wahrend des Wahlaktes habe Licinius das Wort ergriffen und darauf verwiesen, daB er wegen seiner durch hohes Alter nachlassenden Krafte das Amt nicht mehr ausuben konne. ,,Aber", sagte er, seinen Sohn bei der Hand nehmend, ,,seht hier den

4 Mos maiorum als Quelle des ,,Regulationsvermogens" der politischen Ordnung: Chr.

MEtER, Res publica amissa, Frankfurt 21980, 50, wie schon A. HEUSS, Romische Geschichte,

Braunschweig 1960 (61998), 37-38. Ausgangspunkt fur die neuere Forschung war J. BLEICKEN,

Lex Publica, Berlin/New York 1975, 347-377; wichtig dann K.-J. HOLKESKAMP, Exempla und

mos maiorum. Uberlegungen zum kollektiven Gedachtnis der Nobilitat, in: H.-J. GEHRKE, A.

MOLLER (Hgg.), Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und

historisches Bewultsein, Tubingen 1996, 301-333. Neuerdings wird allerdings mit Recht die Fluiditat und partielle Strittigkeit dieses nirgendwo festgeschriebenen Regulativs betont; s. etwa

M. BETTINI, mos, mores und mos maiorum: Die Erfindung der ,,Sittlichkeit" in der romischen Kultur, in: M. BRAUN u. a. (Hgg.), Moribus antiquis res stat Romana. Romische Werte und

romische Literatur im 3. und 2. Jh. v. Chr., Leipzig 2000, 303-352. 5 Liv. praef. 10: Hoc illud est praecipue in cognitione rerum salubre acfrugiferum omnis te

exempli documenta in inlustri posita monumento intueri; inde tibi tuaeque rei publicae quod imitere capias, indefoedum inceptufoedum exitu quod vites; vgl. zu diesem Komplex zuletzt J.

CHAPLIN, Livy's Exemplary History, Oxford 2000 (dazu U. WALTER, Gymnasium 109, 2002,

424-426). 6 Liv. 5,18,1-5; vgl. MRR 1,84-85. 87-88. Grundlegend sind F. MUNZER, RE 13.1 (1926)

234-236 s. v. Licinius (43); R.M. OGILVIE, A Commentary on Livy 1-5, Oxford 21970, 666-669

mit weiterer Lit. Freilich trifft OGILVIEs Behauptung (668), die Rede nach der Wahl und vor der

Renuntiation sei ,,out of the question", nicht zu; formal identisch ist der von Val. Max. 4,5,3

geschilderte Vorgang aus d. J. 175; vgl. Th. MOMMSEN, Romisches Staatsrecht 3, Leipzig 1887, 410 mit Anm. 3.

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jungen Mann, ein treues Abbild dessen, den ihr ehedem als ersten aus der Plebs zum Militartribunen gemacht habt. Ich habe ihn in meinem Geist erzogen und gebe und weihe ihn dem Staat, und ich bitte euch, Mitbiirger, das Amt, das ihr mir ohne mein Zutun ubertragen habt, ihm anzuvertrauen, der sich darum bewirbt und dem auch noch meine Bitten fur ihn zustatten kommen."7 Man erfillte dem Vater diesen Wunsch, und P. Licinius wurde gewiihlt - unnotig zu sagen, daB das wiederholte Kollegium mit dem Licinius-Klon seine Aufgaben glinzend bewaltigte. Wichtig fur das ,Funktionieren' dieser Ubertragung erscheint in Livius' Bericht, daI3 der Sohn auch im Aussehen ganz nach dem Vater kam (effigies atque imago). Die phanotypische Ahnlichkeit konnte in einer Kultur, in der die Gesamtwahmehmung sehr stark vom eidetischen Element bestimmt wurde, offensichtlich als Gewiihr fur ein Gelingen der Nachahmung angefuhrt werden.8 Auch bei der zuletzt vielbehan- delten Leichenprozession (pompafunebris) eines Nobilis im kurulischen Rang als der wichtigsten und sinnfalligsten Inszenierung familialer Kontinuitat und Leistung durfte dieser Aspekt eine Rolle gespielt haben. Polybios betont in seiner bekannten Schilderung ausdrucklich die Portriitihnlichkeit des Ahnenbildnisses (6,53,5: i1 5'

KCC6V eon. I po6aomov ci; o6oto6nta ta4Epo'vto; 4Etpyaag.vov icazt cataa riqv nXaotv ,caicata 'rrTv imoypao'v), und die imagines werden von Personen getra- gen, ,,die an Grcde und Gestalt den Verstorbenen moglichst ahnlich sind" (6,53,6). Stelit man die uberzufallig haufige physiognomische Ahnlichkeit von Sohnen mit ihren Vatem und GroBvatem in Rechnung, schirfte jedes Begrabnis dieser Art den zuschauenden Romern den Grundgedanken der Licinius-Geschichte ein.

Die andere paradigmatische Geschichte ist zu bekannt, um sie hier breit referieren zu miissen: Nachdem zwei Sohne des Tyrannenvertreibers L. Brutus mit anderen Adligen - bezeichnenderweise alle junge Manner9 - die Restauration

7 ,,En vobis" inquit ,uiuvenem", filium tenens, ,, effigiem atque imaginem eius, quem vos antea tribunum militum ex plebe primum fecistis. hunc ego institutum disciplina mea vicarium pro me rei publicae do dicoque vosque quaeso, Quirites, delatum mihi ultro honorem huic petenti meisque pro eo adiectis precibus mandetis". Ubers.: H.-J. HILLEN.

8 Ganz ahnlich Scipio bei Liv. 26,41,24: ,,Brevifaciam ut, quemadmodum nunc noscitatis in me patris patruique similitudinem oris voltusque et lineamenta corporis, ita ingeniifldei virtutisque effigiem vobis reddam ut revixisse aut renatum sibi quisque Scipionem imperatorem dicat." Mit negativem Akzent Cic. Sest. 17: Quorum, per deos inmortalis, si nondum scelera vulneraque inusta rei publicae vultis recordari, vultum atque incessum animis intuemini; facilius eorum facta occurrent mentibus vestris, si ora ipsa oculis proposueritis. Vgl. auch Cic. Mur. 66. M. Antonius war von der physiognomischen Ahnlichkeit mit seinem angeblichen Stammvater Hercules, ,,wie ihn die Leute von den Gemalden und Statuen kannten", geschmeichelt; vgl. Plut. Anton. 4,1-4. Pompeius Magnus genugte bekanntlich schon eine ,,mehr behauptete als wirklich ins Auge fallende Ahnlichkeit mit den Bildem des Konigs Alexander" (Plut. Pomp. 2,1). Vgl. auch u. Anm. 49.

9 Nicht nur Cicero war davon Uberzeugt, maximas res publicas ab adulescentibus labefacta- tas, a senibus sustentatas et restitutas (esse) (Cato m. 20); fiir eine wissenschaftliche retractatio dieses Gedankens s. J. PLESCIA, Patria potestas and the Roman revolution, in: St. BERTMAN (ed.), The Conflict of Generations in Ancient Greece and Rome, Amsterdam 1976, 143-169. Auch daraus ergibt sich der hohe Stellenwert der gelingenden Sozialisation des Fuhrungsnachwuchses.

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der Tarquinierherrschaft betrieben hatten und dabei ertappt worden waren, wur- den sie als Hochverrater verurteilt und hingerichtet, wobei der Vater als Konsul die Vollstreckung des Urteils personlich zu beaufsichtigen hatte.10 Die denkbar radikalste Abwendung von der Politik des Vaters zog die maximale Bestrafung durch diesen nach sich." I

Beide Erzahlungen bezeugen ein familiales Imitations- und Konformitatside- al, das offensichtlich breit akzeptiert wurde.12 Herrschaftsbefugnis in der res publica hing maBgeblich am Erfullen der Vaterrolle, welche die Verpflichtung enthielt, nicht nur die eigene Tiichtigkeit, sondern auch den Habitus und die Codes erwartbaren Handelns personlich an die Sohne weiterzugeben. Wenn dies gelang, trug es maximale Ehre ein, schlug es fehl, war die auBerste Verleugnung des naturlichen Vaterseins verlangt. Nach der lebensweltlichen Erfahrung durfte eine kontinuierliche und daher gelingende Pragung freilich keineswegs die Regel gewesen sein, da ihr viele kontingente und strukturelle Faktoren wie ein fruher Tod des Vaters oder Scheidung und Neuverheiratung mit den sich daraus ergeben- den familiaren Umgruppierungen gegenUberstanden.13

10 Belege bei A. SCHWEGLER, Romische Geschichte 2, Freiburg/Tubingen 21884,45 Anm. 2. -

Neuere Arbeiten zur Brutus-Gestalt insgesamt: K.-W. WELWEI, Lucius lunius Brutus: Zur Ausge-

staltung und politischen Wirkung einer Legende, in: Gymnasium 108, 2001, 123-135; T.P.

WISEMAN, The Legend of Lucius Brutus, in: M. CITRONI (a cura di), Memoria e identita. La cultura

romana costruisce la sua immagine, Firenze 2003, 21-38, beide mit alterer Lit.; vgl. auch HARRIS,

Father's Power (wie Anm. 3), 82. 11 Zu den charakteristischen Fallen, wo Burgerpflicht ,,iber die naturlichen Gefuhle des

Vaters den Sieg davon tragt" (W. IHNE, Romische Geschichte 1, Leipzig 21893, 339 Anm. 1) zahlt

neben dem Legendencluster um Manlius Torquatus (s.u.) auch A. Postumius Tubertus, der seinen

Sohn wegen einer Verletzung der militarischen Disziplin hinnichten lalt; vgl. Liv. 4,26,1-29,8;

OGILVIE, Commentary (wie Anm. 6), 576-577. - Das hohe Ansehen, das eine solche Tat bei den

Romem genoB, war in den Augen eines aufmerksamen Beobachters ein markantes kulturelles

Alleinstellungsmerkmal; vgl. Dion. Hal. ant. 5,8,1: Ta 6& gcT6 taika ipya OaTrpox T6ov uindtTov

Bpoikrou gw-ydXa iat 0augaat Xyetv X(ov, ?0' oi p9yuaTa opovoiai 'PPO4aiot, 6E6otKa gn

olknpX t Kat QLtGTa Troi; "EXXTaI 86ou X.yFyetv, En?t8h lhlJKcaOtV iitavTe; 6m6 rC?v i6iov

w0aWv Tr n?ept tdv dXcov Xvy6geva KpiV?1V KOJ cT 1r6GtOV WUiotov ?4 eauTot; roteiv.

12 Selbst ein homo novus, dessen Vorfahren per definitionem nicht sichtbar waren, konnte

diese Semantisierung und das Ahnlichkeitsideal fur sich in Anspruch nehmen; vgl. Cic. leg. agr.

2,1: Mihi, Quirites, apud vos de meis maioribus dicendifacultas non datur, non quo non tales

fuerint quales nos illorum sanguine creatos disciplinisque institutos videtis, sed quod laude

populari atque honoris vestri luce caruerunt. 13 Vgl. K. BRADLEY, Discovering the Roman Familiy: Studies in Roman Social History,

Oxford 1991, 138-139: ,,From the moment of birth the life of the upper-class Roman child was

potentially subject to a high degree of emotional uncertainty and dislocation, the product of such

factors as early separation from a natural parent by death or divorce, periodic separation from a

father because of the demands of a public career or political crisis, the abrupt organization of new

households, and conjunction with stepparents and stepsiblings occasioned by parental remarria-

ge." Vgl. jetzt auch HOLKESKAMP, Under Roman Roofs (wie Anm. 3), 130-134.

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In der historiographischen Uberlieferung schlug sich die beispielhaft skizzier- te mimetische Norm unter anderem in der Ausbildung von Verhaltensprofilen fur prominente Familien nieder, wie sich am deutlichsten bei den Claudiem erkennen IiBt. Markante, in der Uberlieferung lebendig gebliebene Figuren farbten auf nicht selten gleichnamige Verwandte oder allenfalls dem Namen nach bekannte Vor- fahren aus alterer Zeit ab und boten den Geschichtsschreibern verlaBliche Kontu- ren, nach denen sie letztere dann modellieren konnten.14 Die spektakulare aristo- kratische Leichenprozession mit der in ihr sinnfallig gemachten Abfolge der Leistungstrager uber die Generationen hinweg bestarkte die Ahnlichkeits- und Kontinuitatsvermutung (s. o.). Kulturelle Praxis und politisch-gesellschaftliche Ordnungsvorstellung verwiesen aufeinander. Herrschaftssoziologisch betrachtet haben diese Veranstaltungen als Inszenierungen der langen sukzessiven Kontinu- itat und des militarischen Erfolgs der herrschenden Familien zweifellos das Adelsregiment stabilisiert und dem populus Romanus jenes Vertrauen eingefloBt, aus dem der bemerkenswert lange wirksame Gehorsam gegenuber der Nobilitat zu einem guten Teil zu erklaren ist.15

Ich mochte vorschlagen, die dem skizzierten sozio-politischen Ideal zuzuord- nenden Faktoren Ahnlichkeit und Imitation sowie Addition und Wiederholung als generative Muster (generative patterns) in der historiographischen Traditionsbil- dung anzusprechen. Dabei lassen sich insgesamt funf verschiedene Variaten solcher Muster unterscheiden, die im folgenden an bekannten Beispielen vorge- stellt werden, um den engen Zusammenhang zwischen Uberlieferung, Rollenkon- formitat und Entscheidungshandeln darzulegen.

1. Fur die Profilierung und Periodisierung der republikanischen Fruhgeschich- te bildete Macht zweifellos ein Leitparadigma. Die Sicherung der neuen Ordnung gegen konkurfierende Machtanspruche der Tarquinier und Porsennas, die kurz- zeitige ungehemmte Machtausubung durch die Patrizier nach der Abwehr dieser Angriffe und schlieBlich die Bildung einer plebeischen Gegenmacht wurden dabei als die wesentlichen Etappen gesehen. Die Macht der Patrizier manifestierte sich in den Erzahlungen zum einen naturlich in ihrem Amtermonopol, zum anderen aber ebenso deutlich durch ihre Geschlossenheit in Gestalt der Familienverbande. Als Leitnarrativ ist hier zunachst die Einwanderung des Attus Clausus mit 5000

14 FUr eine Fallstudie U. WALTER, Rollentausch und Ubersetzung ins Absurde: Zur rhetori- schen Strategie in der Rede des App. Claudius Crassus (Liv. 6,40,3-4 1), Hermes 129, 2001, 251- 258.

15 Dazu E. FLAIG, Die Pompafunebris. Adlige Konkurrenz und annalistische Erinnerung in der romischen Republik, in: O.G. OEXLE (Hg.), Memoria als Kultur, Gottingen 1995, 115-148; DERS., Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom, Gottingen 2003, 49- 68; WALTER, AHN MACHT SINN (wie Anm. *), 260-268. In dieser Perspektive ist es sinnvoll, die Erosion der republikanischen Ordnung ab dem ausgehenden 2. Jh. v.Chr. als Zerbroseln der Legitimitat der Nobilitat und ihrer politischen Mitte, des Senats, zu verstehen; vgl. i.d.S. J. VON

UNGERN-STERNBERG, Die Legitimitatskrise der romischen Republik, HZ 266, 1998, 607-624.

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Klienten i. J. 504 zu nennen.16 Attus (= Appius) galt als Stammvater der romi- schen gens, der spiter das auffalligste Familienprofil zugeschrieben werden soll- te. DaB die patrizischen Claudier die vielleicht beruhmteste, in jedem Falle aber am bestandigsten in den obersten Rangen prasente Familie im republikanischen Rom waren und sich zugleich am meisten durch Stereotypen charakterisiert sahen - keine andere romische Familie ist wahrend der Republik so konsequent und klar identifiziert worden -, stellt dabei nur zwei Seiten desselben Sachverhalts dar.17

Auch die Existenz mehrerer gleichartiger, gleich tuchtiger und gleichgesinnter Sohne zeichnete einen Adligen als machtig aus.'8 Addition und Wiederholung unter dieser Voraussetzung pragen die nachste Etappe der fruhrepublikanischen ,Machtgeschichte': Nachdem mit dem ersten Auszug der Plebs und der Hinrich- tung des Sp. Cassius sowie durch das Wiederaufbrechen des Konfliktes mit Veii die Felder fur zwei lange und harte Konflikte abgesteckt waren, beanspruchten die Fabier die Fiihrung in beiden. Von 485 bis 479 soll jeweils ein Fabier als Konsul amtiert haben - drei Bruder, durch pietas miteinander verschweiBt, alle eisenhart, teilten sieben Konsulate unter sich auf. 19 lhre hochste Steigerung fand die Stilisie- rung familialer Macht, wie sie sich auch in der Kollektivbezeichnung Fabium nomen ausdruckte, dann in der Legende vom Auszug der 306 Fabier, die zusam-

16 Vgl. SCHWEGLER, Romische Geschichte 2 (wie Anm. 10), 57-59; B. LINKE, Von der

Verwandtschaft zum Staat, Stuttgart 1995, 154-155 mit Quellen und Lit. 17 Vgl. R. SYME, Die Romische Revolution, Neuausgabe Stuttgart 2003, 26; W.J. TATUM, The

Patrician Tribune. Publius Clodius Pulcher, Chapel Hill u. a. 1999, 32 u. pass.; WALTER, AHN

MACHT SINN (wie Anm. *), 267-27 1; DERS., Memoria und res publica (wie Anm. *), Kap. 3.5.

Immer noch wichtig ist Th. MOMMSEN, Die patricischen Claudier, in: Romische Forschungen I,

Berlin 1864, 285-318. 18 So ist die Plebs mit Blick auf den ihr feindselig gegenuberstehenden K. Quinctius durch

die Wahl von dessen Vater L. Quinctius Cincinnatus zum Suffektkonsul bestuirzt: iratum,

potentem favore patrum, virtute sua, tribus liberis, quorum nemo Caesoni cedebat magnitudine

(Liv. 3,19,3). - Hingegen ist es der modemen Forschung vorbehalten, auch die Zahl und

Allokation der Tochter als wirksamen Teil von Familien- und damit Machtstrategie herauszustel-

len; am eingehendsten, freilich im Kontext der mittlerweile obsoleten Parteiungstheorie, tat dies

F. MUNZER, Romische Adelsparteien und Adelsfamilien, Stuttgart 1920. Bezeichnenderweise

nahmen auch hier die Claudier eine Sonderstellung ein. App. Claudius Caecus (cos. I 307) hatte

funf Tochter; auch die bekannte Quinta Claudia, die ,beste Frau' bei der Einholung der Magna

Mater i. J. 204, war anscheinend eine von funf Schwestem. Claudia, die Frau von Ti. Sempronius

Gracchus (tr. pl. 133), hatte zwei Schwestern, der Volkstribun Clodius der spaten Republik deren

drei; vgl. FLOWER, Nemesis (Anm. *). 19 Vgl. SCHWEGLER, Romische Geschichte 2 (wie Anm. 10), 494-498. 502-504; Stammtafel

bei K.J. BELOCH, Romische Geschichte, Berlin/Leipzig 1926, 54. A. DRUMMOND, CAH2 7.2

(1989) 184. 207 weist darauf hin, daB unmittelbar nach dem ,Sturz' des Sp. Cassius 486 mehrere

prominente Familien die politische Buhne betraten, neben den Fabiem noch die Comelier, die

Aemilier, die Manlier und die Quinctier. - Fabium nomen: Liv. 2,42,2.8; 2,45,16. Zum besonde-

ren, vom mos maiorum gebotenen Zusammenhalt unter Brudern - ein zu dem hier Ausgefuhrten

komplementares Phanomen - s. C. BANNON, The Brothers of Romulus. Fraternal Pietas in Roman

Law, Literature, and Society, Princeton 1997, v. a. 138-148.

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men mit ihren Klienten allein den Krieg gegen Veii auf sich nahmen und am FluB Cremera ihren Untergang fanden.20 Bezeichnend ist dabei die soziokulturelle Umpragung des Motivs: Waren es an den Thermopylen 300 spartanische Burger- hopliten unter einem der beiden Inhaber des obersten Amtes, so offenbarte sich in der Fabiergeschichte die Dominanz oder zumindest Plausibilitat einer radikali- sierten gentilizischen Norm. So soll wahrend der Besetzung Roms durch die Gallier ein Fabier das sichere Kapitol verlassen und sich dem Zugriff der Feinde ausgesetzt haben, nur um eine vorgeschriebene Gentilkulthandlung vomehmen zu konnen.21 Aus historisch heller Zeit stammen die fabischen Beispiele fur eine politische Symbiose von Vater und Sohn. Augenfallig ist sie bei Q. Fabius Maximus Cunctator und seinem Sohn im Hannibalkrieg,22 und in der Tradition ausdrucklich thematisiert wurde die Energie, mit der sich der hochbetagte Fabius Maximus Rullianus 30 Jahre nach seinem ersten Konsulat seinem Sohn Gurges i. J. 292 als Legat zur Verfiigung stellte. Ihm, den er als kleinen Jungen in seinem eigenen Triumph mitgenommen hatte, folgte er nunmehr in dessen Triumph.23 In der Historiographie konnte die Ahnlichkeitsvermutung sogar zu ,methodischen' Zwecken herangezogen werden, um eine Streitfrage zu l6sen. Fur 302 lagen Livius in der Uberlieferung zwei Namen fur die Besetzung des Amtes des magis- ter equitum vor: M. Aemilius Paullus und der damals schon hochberuhmte, eben genannte Fabius Maximus Rullianus. Weil aber der Reiteroberst beim Fouragie- ren in einen Hinterhalt geraten war und viele Soldaten verloren hatte, glaubte Livius sich entscheiden zu konnen: Ein solcher MiBgriff sei bei einem Fabius undenkbar, also musse der andere der Unglucksrabe gewesen sein.24

20 Dazu v. a. E. PAIS, Ancient Legends of Roman History, London 1906, 168-184; J.-C. RICHARD, L'affaire du Cremere. Recherches sur 1'evolution et le sens de la tradition, Latomus 48, 312-325; DERS., Historiographie et histoire: L'expedition des Fabii a la Cremere, in: W. EDER

(Hg.), Staat und Staatlichkeit in der friihen romischen Republik, Stuttgart 1990, 174-199. Zum moglichen realhistorischen Stratum s. K.-W. WELWEI, Gefolgschaftsverband oder Gentilaufge- bot? Zum Problem eines fruhenfamiliare bellum (Liv.II, 48,9), in: ZRG 110, 1993, 60-76. - Bezeichnenderweise haben die genossenschaftlichen und gefolgschaftlichen Bindungsformen in der italisch-romischen Frihzeit, wie sie etwa der Lapis Satricanus in den ,Marsgefihrten' des Poplios Valesios bezeugt (dazu H.S. VERSNEL, Gymnasium 89, 1982, 193-235 mit der alteren Lit.), in der Uberlieferung kaum Spuren hinterlassen; das gentil-familiale Paradigma dominiert fast vollstandig.

21 Vgl. Liv. 5,46,1-3; 52,3; Val. Max. 1,1,11 (mit WARDLES Komm.); Cassius Hemina FRH 6 F 22 mit Komm.

22 Dazu ausfuhrlich H. BECK, Karriere und Hierarchie. Eine Studie zur romischen Aristokra- tie in der mittleren Republik, Habilitationsschrift Koln 2003 (erscheint 2005), Kap. III.

23 Val. Max. 5,7,1. 24 Liv. 10,3,7: Qui terror non eo tantum a Fabio abhorret, quod, si qua alia arte, cognomen

suum aequavit [tuml maxume bellicis laudibus, sed etiam quod memor Papirianae saevitiae numquam, ut dictatoris iniussu dimicaret, adduci potuisset. - Die kapitolinischen Fasten nennen in der Reihenfolge Aemilius und Fabius beide Manner; vgl. MRR 1,170.

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Das ,fabische Muster' blieb indes nicht auf die patrizische Aristokratie be- schrinkt. Auch in der plebeisch-popularen Traditionsbildung gab es neben her- ausragenden Einzelpersonen Geschlechter mit mehreren sehr ahnlichen Mannem innerhalb eines Zeitabschnittes. Es war ganz unverdachtig, den schon genannten Licinius Calvus mit seinem Sohn politisch Hand in Hand agieren zu lassen,25 doch auch markantere Konstruktionen fehlen nicht. So spielten im 5. Jahrhundert offenbar einige Volkstribune aus der spater erloschenen gens Icilia eine gewisse Rolle, die denn bei Livius geradezu zum Typus des aufruhrerischen bzw. frei- heitsliebenden Tribunen wurden.26 Wichtige Aktionen und Initiativen in drei Generationen sind recht willkurlich auf zwei Lucii und einen Spurius verteilt. 409 sollen dann gleich drei Icilier Volkstribune gewesen sein27 - wie bei den Fabiem ein historiographischer Reflex der Tatsache, daB mehrere Amtstrager aus einer Familie innerhalb einer Generation deren politische Chancen erheblich steigerten, wie jungst H. BECK am Beispiel der Atilii im Ersten Punischen Krieg gezeigt hat.28 Wichtig ist hier nur die generelle, auch fur die folgenden Falle giiltige Feststel- lung, daB in der Optik der Tradition die in Wirklichkeit wahrscheinlich erheblich anders strukturierte und rekrutierte Aristokratie der Fruhzeit in der Uberlieferung nach den gleichen Mustem ,funktionierte' wie die Nobilitat im 3. und 2. Jahrhun- dert, also in der Zeit, als die romische und dann die lateinische Geschichtsschrei- bung begann, als ,Geschlechtemester' in den Konsullisten wie im Falle der Atilii lebendige Erinnerung waren und als auch politische Reden und Laudationen dokumentiert und aufbewahrt wurden. Quellenkundlich ergibt sich daraus ein wichtiger SchluB: Da wir fur den groBten Teil des dritten Jahrhunderts ebensowe- nig ausfiihrliche lateinische Quellen besitzen wie fur die gracchisch-sullanische Zeit, bietet vor allem die erste Dekade des Livius fur die politische Semantik und

25 Vgl. Liv. 5,20,4; 22,2. 26 Vgl. Liv. 4,2,7 (Icilios = ,Leute wie Icilius'); 52,2 (L. Icilius ... cum principio statim anni

velut pensum nominisfamiliaeque seditiones agrariis legibus promulgandis cieret); 54,4 (familia

infestissima patribus). Das historisch einigermaBen Gesicherte rekonstruierte F. MUNZER, RE 9,1

(1916) 850-855 s. v. Icilius (dort auch alle Belege); gewiB berechtigt ist seine Annahme, die

vielfach kontaminierte Tradition, die einzelne Geschichten recht wilikurlich auf die verschiede-

nen Trager des Namens verteilt, musse einen historischen Kern haben, weil die Icilii nach 409

vollig aus der Politik verschwanden, was eine freie Erfindung in spaterer Zeit (durch wen hatte

diese erfolgen sollen?) unwahrscheinlich mache. Zur lex Icilia de Aventino publicando (angeb-

lich 456) s. D. FLACH, Die Gesetze der fruhen romischen Republik, Darmstadt 1994, 95-98. - Die

Bedeutung des Namenskapitals auch bei der Plebs impliziert femer die Wahl von C. Sicinius zum

Volkstribunen nach dem Zweiten Decemvirat als progeniem eius quem primum tribunum plebis

creatum in Sac ro monte proditum memoriae est (Liv. 3,54,12). 27 Gemeinsames Auftreten gleichartiger Manner konnte offenbar als Markenzeichen aristo-

kratischer Politik gesehen werden; vgl. Liv. 4,55.3: Tres erant (scil. Ic ilii) et omnes acerrimi Ori

generosique iam, ut inter plebeios. 28 S. o. Anm. * und Anm. 22.

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Rhetorik jener Zeit - speziell fur die ,familiale'- ein nicht zu verachtendes Zeugnis.29

2. Das nachste Muster war eng mit einer gangigen Praxis der romischen Geschichtskultur verbunden: Romische Aristokraten fuhlten sich besonders fur die fortdauemde Prasenz der Hinterlassenschaft ihrer Vorfahren verantwortlich. Tempel und andere Bauten oder Denkmaler, die diese geweiht oder errichtet hatten, wurden von jenen erneuert. Bei Nutzbauten wie etwa Basiliken war die Verbindung durch den Namen besonders sinnfallig. Das gleiche galt fur Gesetze, und es uberrascht daher nicht, wenn Geschichtsschreiber berichten, wie sich einzelne Politiker fur das politische Erbe eines Vorfahren besonders einsetzen. So soil etwa der Volkstribun Cn. Trebonius i. J. 401 dafur gekampft haben, daB ein alteres trebonisches Plebiszit, in dem die Wahl der Volkstribune geregelt war, auch beachtet wurde. Die Verteidigung des Gesetzes schuldete er, so Livius, ,,seinem Namen und seiner Familie".30 326 lieBen die Konsuin C. Poetelius Libo Visolus und L. Papirius Cursor ein Gesetz beschlieBen, welches verbot, Schuldner nach den Vorschriften des XII-Tafel-Gesetzes beim Vollzug der Schuldhaft anzu- ketten. 313 vollendete der gleichnamige Sohn des Poetelius als Dictator das Reformwerk seines Vaters, der als dreimaliger Konsul (360, 346, 326) in die erste Reihe der plebeischen Elite gehort hatte, indem er die Schuldknechtschaft durch ein Gesetz ganzlich aufheben lieB.31 In der Selbstverstandlichkeit, mit der ein

29 Fur die gracchisch-sullanische Zeit s. (freilich etwas mechanisch) D. GUTBERLET, Die erste Dekade des Livius als Quelle fur die gracchisch-sullanische Zeit, Hildesheim 1985, dort auch die altere Lit.

30 Liv. 5,1 1,1: qui nomini acfamiliae debitum praestare videretur Treboniae legis patrocini- um. Zum plebisc itum Trebonium (angeblich 448) s. Liv. 3,65,1-4; FLACH, Gesetze (wie Anm. 26), 227-228 mit den Belegen und Lit. - Ein anderer Volkstribun, Sp. Maelius, versuchte die beiden Patrizier anzuklagen, die angeblich seinen Vater verfolgt und ermnordet hatten, favore nominis moturum se aliquid ratus, wurde allerdings nicht ernstgenommen; vgl. Liv. 4,21,3-4.

31 Diese Rekonstruktion ergibt sich aus der Harmonisierung von Liv. 8,28,8-9 und Varr. ling. 7,105. Zu Poetelius Libo pater s. MRR 1,120. 131. 146-47. Der genaue Inhalt der lex Poetelia Papiria de nexis von 326 ist strittig; vgl. K.-J. HOLKESKAMP, Die Entstehung der Nobilitat, Wiesbaden 1987, 159-160; T.J. CORNELL, The Beginnings of Rome, London 1995, 330-333; S.P. OAKLEY, A Commentary on Livy, Books VI-X, Vol. 2: Books VII-VIII, Oxford 1998, 688-691; M. ELSTER, Die Gesetze der mittleren romischen Republik, Darmstadt 2003, 63-71, alle mit weiterer Lit. Zu beachten ist, daI in der Zeit, als Standekampf und sozialer Konflikt zum Thema der Historiographie wurden (ab der Mitte des 2. Jahrhunderts), das lange vorher abgeschaffte Institut des nexum schon nicht mehr recht verstanden wurde.

Varro schreibt Poetelius Libo, dem Sohn des eben genannten, die vollige Aufhebung des nexum im Zusammenhang mit dessen Diktatur 313 (die allerdings wahrscheinlich nur eine clavi figendi causa war) zu; Livius erwahnt das nicht. BELOCH, Romische Geschichte (wie Anm. 19), 70 halt es wegen des groBen Abstandes der Konsulate des Vaters fur wahrscheinlich, daB das Konsulat von 326 dem Sohn gehorte, es also nur ein, vom Sohn beantragtes Gesetz gab; vgl. auch OAKLEY, Commentary 2 (wie eben), 149-150. Allerdings war ein so langes Intervall nicht praze- denzlos; T. Manlius Torquatus (s. u.) war 347, 344, 340 Konsul und 320 noch einmal Dictator. Doch ist diese Frage der Faktizitat fur das Muster der Traditionsgenese von sekundarer Bedeutung.

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solches Verhalten erwartet werden konnte, lag ein generative pattern: Wenn die Tradition nur einen Namen bot, lieB sich daraus unter der genannten Vorausset- zung eine politische Handlung plausibel extrapolieren.

Das bekannteste Beispiel fuir die Wiederholung eines politischen Datums stellt die Uberlieferung zur Gesetzgebung uber die Appellation romischer Burger an das ganze Volk gegen die magistratische Kapitalgerichtsbarkeit, die sog. provoca- tio ad populum dar. Das vielfach geradezu als Palladium der Freiheit bezeichnete Provocationsrecht ist untrennbar mit den Namen Valerius und Horatius verbun- den. 509 wollte, so die in Rom unstrittige Erzahlung, der Konsul P. Valerius Publicola mit der Verabschiedung des ersten einschlagigen Gesetzes die schran- kenlose, quasi-monarchische Macht der Konsuln begrenzen.32 449, nach dem Sturz des tyrannischen Zweiten Decemvirats, wurde dieses Gesetz von den Kon- suln L. Valerius Potitus und M. Horatius Barbatus eingescharft und erweitert.33 Fur das Jahr 300 notiert Livius einen Gesetzesvorschlag des Konsuls M. Valerius zur Provocation und bemerkt, ein solcher sei damals ,,zum drittenmal seit Vertrei- bung der Konige eingebracht worden, immer von derselben Familie" (Liv. 10,9,3).34

Pramissen, Tatsachen und SchluBfolgerungen waren zu einem plausiblen Befund verschmolzen. Das - ansonsten schlecht bezeugte - Gesetz von 300 hatte ein Valerier durchgesetzt, und aus dem Cognomen des legendaren P. Valerius Publi- cola (,um das Volk bemuht') lieB sich auf eine generelle Volksfreundlichkeit der patrizischen Valerier schlieBen,35 die in diesem Sinne auch Antipoden der Clau- dier waren. In der Sicht der Historiographie waren Mitglieder dieser gens auf bestimmte Politikinhalte und einen bestimmten Politikstil festgelegt. DaB vor und nach der Begrundung der romischen Geschichtsschreibung durch Fabius Pictor ein wesentlicher Teil der historischen Erinnerung in den einzelnen gentes bewahrt und durch diese gepragt wurde, erleichterte es ebenfalls, die Gipfel der beriihmten Vorfahren gedanklich mit einer Linie zu verbinden36 und unterwegs auch noch einige flachere Hugel mitzunehmen.

32 Belege und Lit. bei FLACH, Gesetze (wie Anm. 26), 59-62; wichtig sind: J. BLEICKEN,

Ursprung und Bedeutung der Provokation, ZRG 76, 1959, 324-377; DERS., RE 23.2, 1959, 2444 2463 s. v. Provocatio; A.W. LINTO-rr, Provocatio. From the Struggle of the Orders to the

Principate, ANRW 1.2, 1972, 226-267. 33 Vgl. FLACH, Gesetze (wie Anm. 26), 216-218. 34 Vgl. ausfiihrlich ELSTER, Gesetze (wie Anm. 31), 98-103. 35 Deutlich formuliert von P. Valerius Publicola (cos. I 475): memorem cognominis quo

populi colendi velut hereditaria cura sibi a maioribus tradita esset, concilium plebis non

impediturum (Liv. 3,18,6). 36 Zur familienzentrierten Erinnerung s. jetzt W. BLOSEL, Die memoria der genies, in: U.

EIGLER U. a. (Hgg.), Formen romischer Geschichtsschreibung von den Anfangen bis Livius,

Darmstadt 2003, 53-72 und WALTER, Memoria und res publica (wie Anm. *), Kap. 3. Die

Wirkungsvoraussetzungen einer solchen Familientradition lassen sich Cic. Flacc. 25 entnehmen:

Sed cum L. Flacci res agatur ex <ea> familia, c uius qui primus consul est factus primus in hac

civitate consulfuit (der markante, unvergeBbare ,Grundervater'), cuius virtute regibus extermi-

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3. Im Falle der valerisch-horazischen Provocationsgesetze ergibt die Sachana- lyse, daB eine soiche MaBnahme nur ins Jahr 300 pafte, als eine standepolitisch neutrale, allgemein akzeptierte Form der Kapitaljustiz etabliert wurde, welche die beiden konkurrierenden Modelle aus der vorherigen ,Kampfzeit' - es waren dies die magistratische Zwangsgewalt und die plebeischen Sondertribunale - abl6s- te.37 Einmal als ein Fundamentalgesetz der res publica akzeptiert, lag es nahe, die Provocation auch mit der Griindung und der Neugriindung des Staates zu verbin- den - zumal mit den besagten Valeriern und Horatiem kongeniale Akteure fur beide Zeitpunkte bereitstanden. Solche Markierungen strukturierten und periodi- sierten das unubersichtliche Ereignisfeld.

In weit gr6ferer Zahl hat man sogenannte Dubletten aber in den zahllosen Kriegen und Schlachten sehen wollen, mit denen zumal die erste und dritte Dekade des Livius gefuillt sind.38 Gemeint sind hier nicht die offensichtlichen Falle, wo dieselbe Sache in kurzem Zeitabstand zweimal erzahlt wird,9 sondem solche Ereignisse, die - wie bei den Provocationsgesetzen - als erfundene Ver- doppelungen eines in der Regel spateren Ereignisses mit Akteuren aus der glei- chen Familie angesehen und daher verworfen werden. So gilt, um ein beliebiges Beispiel zu nennen, die fur das Jahr 317 berichtete Eroberung der Stadt Nerulum durch C. lunius Brutus Bubulcus als unhistorische Ruckprojektion des zweifels- freien Triumphes, den lunius' gleichnamiger Sohn i. J. 277 uber die Lukaner feierte.40 Doch eine solche Argumentation als Passepartout ist zumindest fur das vierte Jahrhundert (weniger fur das funfte) nicht unproblematisch. Wir miissen in Rechnung stellen, daB die Zahl der konsularischen Familien nicht allzu groB war

natis libertas in re publica constituta est (seine konstitutive Leistung) quae usque ad hoc tempus honoribus imperiis rerum gestarum gloria continuata permansit (kontinuierliche Bewahrung des Leistungsprofils), cumque ab hac perenni contestataque virtute maiorum non modo non degene- raverit L. Flaccus, sed id quod maxime florere in generis sui gloria viderat laudem patriae in libertatem vindicandae (das familiale catchword) praetor adamarit (Existenz eines adaquaten Sprosses auch in der Gegenwart).

37 S. zuletzt M. JEHNE, Die Geltung der Provocation und die Konstruktion der Romischen Republik als Freiheitsgemeinschaft, in: G. MELVILLE, H. VORLANDER (Hgg.), Geltungsgeschich- ten. Uber die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen, Koln u. a. 2002, 55- 74 mit der fruheren Lit.

38 Vgl. die Zusammenstellungen von J. SEEMULLER, Die Doubletten in der ersten Dekade des Livius, Neuburg 1904; DERS., Die Dubletten in der dritten Dekade des Livius, Neuburg 1908. Wichtig ist die Erorterung von S.P.OAKLEY, A Commentary on Livy, Books VI-X, Vol. 1: Introduction and Book VI, Oxford 1997, 102-104, auch zum Folgenden.

39 Das kam auch fur historisch hellere Epochen noch vor; zu dem doppelten Reitergefecht im Hannibalkrieg (Liv. 29,28,10-29,4; 29,34-35) bemerkt der Autor selbst (29,35,2): duos eodem nomine Carthaginiensium duces duobus equestribus proeliis interfectos non omnes auctores sunt, veriti, credo, ne falleret bis relata eadem res. In der alteren mechanistischen Quellenfor- schung wurden solche Versehen meist mit einem Wechsel der Vorlage erkIart.

40 Vgl. BELOCH, Romische Geschichte (wie Anm. 19), 401-402 mit den Belegen. C. Iunius Brutus Bubulcus, cos. 291 und 277, triumphierte Uber Lucaner und Bruttier (Inscrlt 13,1,73).

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und daB es durchaus vernunftig erscheinen konnte, den Sohn oder Enkel eines bewihrten Imperiumtragers auf den gleichen Kriegsschauplatz zu schicken - einerlei ob wegen seiner Lagekenntnisse oder des Vertrauens in eine familiale Bewiihrungskontinuitat. Um das Argument noch zuzuspitzen: Mechanische Dub- lettenjagd mufte es auch als unwahrscheinlich ansehen, daB zwei Cornelii Scipio- nes 202 und 146 Karthago besiegten und daB sogar vier von ihnen aus drei Generationen in Spanien kampften.41 Mutatis mutandis gilt dieses Caveat auch fur das Feld der Gesetzgebung, wenn auch die drei leges Porciae, die Cicero erwihnt, insgesamt nur schwach bezeugt sind.42 Wie wurde man mit den Nachrichten uber die Gesetzgebungen von Ti. und C. Gracchus umgehen, wenn sie im vierten Buch des Livius stiinden?

Zugespitzt wird das Problem noch, wenn die Wiederholung eine markante Handlung betraf. Genannt seien hier die beruhmten rituellen Selbstopfer (devoti- ones) der drei Publii Decii Mures. Vater, Sohn und Enkel sollen jeweils in kritischer Lage des romischen Heeres einem Priester die Devotionsformel nach- gesprochen und dann im Kampf den Tod gesucht haben, um die Feinde mit in den Untergang zu reiBen: 340 in der Schlacht am Vesuv; 295 bei Sentinum und 279 bei Ausculum.43 Wenn auch keine Gewi6heit zu erlangen ist, so erscheint es doch problematisch, alle drei ins Reich der Fabel zu verweisen. Der Vater, 340 als erster aus seiner Familie Konsul, fand jedenfalls mit einiger Sicherheit den Tod auf dem Schlachtfeld; fast ganzlich sicher ist das fur seinen Sohn, einen der groBen Feldherren des Dritten Samnitenkrieges und vierfachen Konsul. Der Zeit- genosse Duris von Samos erwahnte diese Devotion bereits in einem Atemzug mit der - gewaltigen und ubertriebenen - Zahl von 100.000 gefallenen Feinden.44 Der

41 So treffend OAKLEY, Commentary 1 (wie Anm. 38), 103. Ahnliches gilt fur M. Antonius Vater und Sohn, die 102-100 bzw. 74 aulerordentliche Kommanden gegen die Piraten im ostlichen Mittelmeer innehatten.

42 Vgl. Cic. rep. 2,54: Neque vero leges Porciae, quae tres sunt trium Porc iorum, ut scitis,

quicquam praeter sanctionem attulerunt novi. Unabhangig bezeugt sind von diesen Gesetzen,

welche die Prugelstrafe gegen romischen BUrger behandelten (Liv. 10,9,4; 300 v.Chr.) und deren Verhaltnis zu den valerischen Provokationsgesetzen unklar ist, nur zwei, beide fast gleichzeitig am Anfang des 2. Jahrhunderts; vgl. Festus p. 266 Lindsay (conplures leges); J. BLEICKEN, RE 23.1 (1957) 2444 2464 s. v. provocatio, hier: 2448; JEHNE, Geltung der Provocation (wie Anm. 37), 64-65; ELSTER, Gesetze (wie Anm. 31), 296-301.

43 Hauptstellen: Liv. 8,6,9-13 und 8,9,4-14 (340); 10,28,6-29,4 (295); Cic.fin. 2,61; Tusc. 1,89; vgl. MRR 1,192-193 (279); alle weiteren Belege und ausfuhrliche Erorterung: F. MUNZER,

RE 4.2 (1901) 2279-2286 s. v. Decius (I15-17); vgl. v. a. auch OAKLEY, Commentary I (wie Anm.

38), 477-505. " Dun's FGrH 76 F 56b (Tzetzes ad Lyc. 1378): rpa?0 totoit6v -ri Ao-pt;, At665opo; Kcai

Aiov, 6Tt IajivTjrv, Tuppivdov ical ?rTpo.)v tOvdv ok?oXoVVxwv Poaiot; 6 AiCIoq iVnaro;

P'icaiov, muTpaTny6; 6v TopxoudTou, ol)tO)( ancoll&KEV ?aiUrOv ei; croayiv, Kai avnpe-

'O3cav rov T vcavTiwv ?KaTOv Xt1X1a8r a-6Tjgp6v. - Vgl. indes F. JACOBY im Komm. z.St. (p.

126): ,,Das sammelzitat IaBt es ganz unsicher, ob D(uris) den opfertod des konsuls berichtet hat."

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gleiche Autor scheint auch schon von den sich opfernden Deciern im Plural gesprochen zu haben.45 Im popularen romischen Geschichtsbild gewannen die Decii Mures spatestens im 2. Jahrhundert v. Chr. einen festen Platz, als sie sowohl von Ennius in den Annales als auch von Accius in einem Geschichtsdrama Decius gepriesen wurden. Accius laIt seinen Decius, den von 295, sagen: ,,Nach des Vaters Beispiel will ich auch mich und mein Leben zum Verderben weihen den Feinden.'46 Das durch Schullekture und Buhne konturierte populare Geschichts- bewuBtsein, wie es etwa Cicero reprasentiert, konnte naturlich ein Problem igno- rieren: daB namlich die Schlacht von Ausculum gegen Pyrrhos 279 in diesem Moment eine romische Niederlage war. Eine erfolglose Devotion konnte es aber nicht geben. AuBerdem spricht einiges dafur, daB der dritte Decius dabei gar nicht den Tod fand, bei Ausculum jedenfalls keine gelungene Devotion stattfand.47 Um die Reihe zu retten, griffen die Historiographen zu abenteuerlichen Kniffen: So habe Pyrrhos befohlen, einen todesverachtenden Romer in einer bestimmten Tracht keinesfalls zu toten, sondem nur gefangenzunehmen. Ja, uber die zu erwartende Devotion habe es sogar eine Korrespondenz gegeben, und Decius habe seine Absicht schlieBlich fallengelassen. Doch das waren in den Augen aller Nicht-Historiker Quisquilien; die offensichtlichen Signale der Serie Uberwogen: Vater, Sohn, Enkel, alle drei Konsuln, alle drei mit dem gleichen Vornamen Publius, alle drei - und nur sie allein unter den Deciern! - mit dem cognomen Mus,48 alle drei in einer groBen Schlacht gegen einen anfangs ubermachtigen Gegner fechtend. Fur den Geschichtsschreiber war es auch ganz selbstverstand- lich, daB von einer solchen Devotion ein Handlungsimperativ fur die Nachkom- men ausging. Sie war zudem ein politisches Pfund, mit dem sich wuchem lieB: Als im Jahr 300 die innenpolitische Auseinandersetzung in Rom um die Brechung

45 Zon. 8,5: Kai nioXtnpaylgovTla (o HI,ppo;) tiv yTokhv '

expiaavTo oi EKc1ot ?nt1- 86vrE; kQuToiU;, nap1yleOX Tot; oiK6itq, av Cava OUTOX E VcEal) vOV 1&Xt, Ph KTCtVat

awT6v, aXXa o,o6v onukaf31V. T) &U AEKciq nt4s4a; 94Tj OiT)t iPOX(opriatv aVc TOf)TO plat OEXiiavt Kaa 5orPp0evta KWacO) awCoX4taOat einT10r-. ipo6; &Irep oi i)CaToI EEi-Cpivavto

Pui6eV6; Toto0I5OU EPYOI o4d; &iOa. 46 Accius F 15 RIBBECK3: Patrio exemplo et me dicabo atque dnimam devoro h6stibus

(Ubers.: H. PETERSMANN); so dann auch Liv. 10,7,3-4. - Ennius: Ann. 191-194 Skutsch. Aus der uberlieferten Buchzahl (VI) ergibt sich, daB Ennius hier den dritten Decius auftreten lieB; Cicero mag ihn als Gewahrsmann im Ohr gehabt haben, als er von drei Devotionen sprach (fin. 2,61; Tusc. 1,89; die Verbindung zu Ennius vermutete B.G. NIEBUHR, Romische Geschichte, Bd. 3, Berlin 21843, 592). Vgl. zu Ennius die wichtigen Beobachtungen von 0. SKUTSCH, The Annals of Q. Ennius, Oxford 1985, 353-355. - Die Decier waren so gelaufig, daB Cicero sie sogar in parodistischer Verkehrung anbringen konnte; vgl. Phil. 11,13: Vidi etiam P. Deci auctionem, clari iri, qui maiorum exempla persequens pro alieno se aere devovit.

47 MRR 1,2022; Vgl. OAKLEY, Commentary 2 (wie Anm. 31), 478-479 mit einer guten Diskussion. Val. Max. 5,6,5-6 nennt nur die beiden ersten Devotionen.

48 Der aber wurde bisweilen die Kraft der Todes- und Unglucksprophezeihung zugespro- chen; vgl. A. STEIER, RE 14.2 (1930) 2396-2408 (2406-2407).

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des patrizischen Priestermonopols ging, soll der Plebeier Decius Mus - sein Gegner war naturlich ein Claudier- ,,das Volk an seinen Vater erinnert haben, wie ihn noch viele Teilnehmer an der Versammlung kannten: in gabinischer Umhul- lung, auf einem Pfeil stehend, wie er sich fur das romische Volk und seine Legionen zum Tode weihen lieB". Und ein Mann, der den Gottern so rein und genehm erschienen sei, sei gleichzeitig nach geltendem Recht ungeeignet fur ein Priesteramt?49 Man sieht, die in einer Weise ganz hermetisch auf die Decii Mures beschrankte Tat und Verpflichtung lieB sich zugleich in politisches Kapital um- munzen. Was sich bereits am Beispiel von Licinius Calvus, der Fabier und der Icilier zeigen lieB, wird hier bestatigt: Man muB die Kommunikation der Aristo- kratie mit dem Volk nicht in den extremen Kategorien entweder fester Gruppie- rungen und Klientelblocke oder eines ,demokratischen' Populismus miBverstehen und kann dennoch stabile Strukturen erkennen, welche die Akteure berechenbar, ihr Handeln nachvollziehbar und attraktiv machten.50 DaB damit Bindungen, ja Zwange verbunden waren, ist indes schwer zu ubersehen.

4. Die Frage, ob eines dieser Selbstopfer oder gar deren mehrere tatsachlich stattgefunden haben und ob also der ungluckliche dritte Decius tatsachlich den vergeblichen Versuch untemommen hat, in eine bereits bestehende Reihe einzu- treten, ist nicht zu beantworten.51 Strukturell gesehen handelt es sich jedenfalls um eine Wiederholungsfigur von auBerster Einfachheit. Sehr viel komplexer geht es zu, wenn man einen Blick auf einige Manlii Torquati im 4. und im 2. Jahrhun- dert wirft. Man kann dieses Imitationsmuster als Personlichkeitsmodell mit korre- spondierenden Handlungen bezeichnen. Es gibt funf Akteure:

L. Manlius Imperiosus, Dictator 363, wurde angeblich von einem Volkstribu- nen angeklagt, weil er seinem Cognomen alle Ehre gemacht und Aushebungen mit brutaler Hire vollzogen hatte. AuBerdem hatte er seinen Sohn ohne tnftigen Grund zur Sklavenarbeit aufs Land geschickt.52

49 Liv. 10,7,2-4: Rettulisse dicitur Decius parentis sui speciem, qualem eum multi, qui in

contione erant, viderant, incinctum Gabino cultu super telum stantem, quo se habitu pro populo

ac legionibus Romanis devovisset: tum P. Decium consulem purum piumque deis inmortalibus

visum, aeque ac si T. Manlius collega eius devoveretur; eundem P. Decium, qui sacra publica

populi Romanifaceret, legi rite non potuisse? (Ubers.: J. FEIX)

50 Zum Diskussionsstand uber die damit zusammenhangenden Fragen s. jetzt ausfuhrlich und

weiterfuhrend K.-J. HOLKESKAMP, Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur Roms

und die Forschung der letzten Jahrzehnte, Munchen 2004 (HZ-Beiheft 38). 51 Gewohnt selbstsicher BELOCH, Romische Geschichte (wie Anm. 19), 440-441: ,,Es ist klar,

daB die Sache, wenn sie uberhaupt mehr ist als eine fromme Legende, nur einmal geschehen sein

kann, und daB sie dreimal erzahlt wird, scheint zu beweisen, daB eine urkundliche Uberlieferung

dariiber nicht vorlag." Aufgeklarter Laizismus und Urkundenglaubigkeit fiihrten hier offensicht-

lich die Feder. 52Vgl. Cic. off. 3,112; Liv. 7,5; Val. Max. 5,4,3; App. Samn. 2; Sen. benef. 3,37,4; Vir. ill.

28,1-2.

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* Dieser Sohn, Titus, eilte vom Pflug weg nach Rom und zwang den Volkstribu- nen in dessen Haus mit gezuicktem Messer, die Anklage fallenzulassen. Spa- ter, als Militartribun, wagte er mit ausdrucklicher Erlaubnis des Konsuls den Zweikampf gegen einen riesenhaften Gallier und totete ihn. Die blutige Hals- kette, die er als Beute davontrug, verschaffte ihm den Ehrennamen Torqua- tus.53

* Als dieser T. Manlius Torquatus 340 zum dnttenmal Konsul war - ubrigens zusammen mit dem ersten Decius Mus -, lieB er angeblich seinen gleichnami- gen Sohn nach einem siegreichen Gefecht hinrichten, weil dieser einen latini- schen Reiterfiihrer zum Zweikampf herausgefordert hatte.54 Zwar war es ihm gelungen, den Gegner zu toten, aber er hatte gegen den ausdrucklichen Befehl verstof3en, die Formation nicht zu verlassen. In Nachahmung seines Vaters ahndete der Konsul somit den fehlgeleiteten Versuch des Sohnes, seinerseits den Vater nachzuahmen, wiihrend sein Kollege Decius Mus gleichzeitig sei- nem Sohn ein positives, gleichwohl ebenfalls todlich endendes exemplum gab.55

* I. J. 140 verfemte T. Manlius Torquatus seinen ehemaligen, von einer anderen Familie adoptierten Sohn, weil dieser als Prator in Makedonien Geld genom- men und sich so in seiner Amtsfiihrung der Vorfahren der Familie nicht wurdig erwiesen habe.56 Der leibliche Vater hatte zuvor den Senat gebeten, in der Sache nichts zu untemehmen, bis er in einem Hausgerichtsverfahren zu einer Entscheidung gekommen sei. Da der Sohn nach seinem Ubergang in die Familie der Iunii Silani nicht mehr der patria potestas des Torquatus unter- stand, muB angenommen werden, daB der Senat ihn seinem Vater fur das Verfahren ubergab. Die vaterliche Gewalt war damit nicht wiederhergestelit; Torquatus konnte also lediglich eine cognitio vomehmen, kein rechtsgultiges Urteil aussprechen. Als er zu dem SchluB gekommen war, daB der Sohn schuldig sei, erklirte er, dieser sei unwurdig sowohl des Staates als auch des torquatischen Hauses, und wies ihn aus dem Haus.

* Der Sohn schlieBlich sah keinen anderen Weg als den Selbstmord und wurde so bewuBt zum Wiederganger der manlischen Sohne. Er wahlte dabei das

53 Fruheste Schilderung: Claudius Quadrigarius FRH 14 F lOb. 54 Hauptbericht: Liv. 7,1-22; vgl. OAKLEY, Commentary 2 (wie Anm. 31), 436-51; die

weiteren Belege ebd., 436. - In der Sache iihnlich gelagert ist die Hinrichtung des eigenen Sohnes durch A. Postumius Tubertus (Liv. 4,29,5-6).

55 Vgl. OAKLEY, Commentary 2 (wie Anm. 31), 427 zur Verbindung beider exempla durch Livius. Ausdrucklich straft der Konsul, nicht der Vater; vgl. HARRIS, Father's Power (wie Anm. 3), 84.

56 CiC. fin. 1,24: Pronuntiaret eum non talem viderifuisse in imperio, quales eius maiores fuissent, et in conspectum suum venire vetuit; s. Liv. epit. 54; Val. Max. 5,8,3; F. MUNZER, RE 14.1 (1928) 1209-1210 s. v. Manlius (83) mit den ubrigen Belegen; zur Interpretation A. WLOSOK, Nihil nisi ruborem. Uber die Rolle der Scham in der romischen Rechtskultur, GB 9, 155-172 (165-172); E. FLAIG, Ritualisierte Politik (Anm. 15), 78-82.

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Erhangen, eine an sich Frauen vorbehaltene Art der Selbsttotung. Silanus Manlianus emiedrigte sich damit in markanter Weise; offenbar glaubte er, seine Scham anders nicht zum Ausdruck bringen zu konnen. Sein leiblicher Vater nahm am Begrabnis nicht teil, sondern erteilte im Atrium seines Hauses pflichtgemaB Rechtsauskunfte, im Angesicht der Ahnenbilder jener Manlier, die den Beinamen ,Gebieter' (Imperiosus) trugen. Bei dem vorangegangenen Hausgericht im Atrium hatten die imagines maiorum das bei soichen Verfah- ren ubliche consilium der Verwandten dargestellt.

Eindeutig korrespondieren hier eine vaterliche Strenge, die sich nicht rechtferti- gen muB, und der Respekt des Sohnes gegentiber dem Vater, dem er hilft oder gehorcht oder dessen Machtspruche er widerspruchslos akzeptiert.57 Sogar die Bedrohung eines Volkstribunen, an sich eine Untat erster Gute, gereichte dem spateren Torquatus zur Ehre, weil ,,alle vaterliche HIrte die pietas des Sohnes nicht verringert hatte" (Liv. 7,5,7). Als Sohn akzeptierte und verteidigte er das Rollenverhalten des Vaters, das er spater in noch brutalerer Weise Ubemehmen sollte. Blut der Manlier in den Adem zu haben bedeutete, als Vater streng, ja erbarmungslos zu sein und den Sohn in jedem Fall gefiugig zu machen, als Sohn dagegen alle Folgen dieser Strenge auf sich zu nehmen.58 Nun decken sich Rollenverhalten und Funktionen in diesem geschlossenen Legendenkranz aus dem 4. Jahrhundert zu exakt, als daB die Botschaft nicht offenkundig ware; die Manlii Torquati gehorten dann auch zu den haufig zitierten exempla. Im Laufe dreier Generationen, so Maurizio Bettini, stiftet die Wiederholung der Handlun- gen das geradezu mythisch zugespitzte Modell der Vater-Sohn-Beziehung. Als solches war es naturlich Teil des Machtdiskurses in der patriarchalischen Gesell- schaft, zu dem auch gehorte, daB das faktisch kaum je in Anspruch genommene Totungsrecht des pater familias uber seine Sohne formal nie abgeschafft wurde.59 Aber wihrend der ,normale' Romer in spaterer Zeit vor Manliana exempla auch schaudem und zuruckschrecken konnte, vermochte das mit dem Namen dieser einen bestimmten Familie geradezu emblematisch verbundene Handlungsmuster fur Mitglieder dieser Familie immer noch einen Imperativ darzustellen, zumal sich das Muster unter Absehung von der Vater-Sohn-Beziehung auch zu exempla- rischer severitas verallgemeinem lieB. So opponierte i. J. 216 der senatorische Veteran T. Manlius Torquatus (cos. I 235), ein Mann priscae ac nimis durae, ut plerisque videatur, severitatis,60 vehement gegen den Freikauf von Romern aus

57 Vgl. M. BETTINI, Anthropology and Roman Culture. Kinship, Time, Images of the Soul,

Baltimore/London 1991, 6-9 (auch zum Folgenden). sx Ausdrucklich bestatigt fur die Hinrichtung 340; vgl. Front. strat. 4,1,41: Manliusfilius,

exercitu pro se adversus patrem seditionem parante, negavit tanti esse quemquam, ut propter illum disciplina corrumperetur, et obtinuit, ut ipsum puniri paterentur.

59 Dazu HARRIS, Father's Power (wie Anm. 3), v. a. 91. 6() Liv. 22,60,5.

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karthagischer Gefangenschaft. In diesem Fall lassen sich tatsachliches Handeln und Traditionsbildung einmal nebeneinander verfolgen: Der Einspruch als sol- cher ist mit einiger Sicherheit historisch, wihrend Livius die Rede frei, aber unter Beachtung der erwartbaren Argumente gestaltet hat; dabei spielten die geschicht- lichen exempla eine wesentliche Rolle.61 Und wenn sich auch ,normale' romische Familienvater gewiB nicht so benahmen wie Manlius Torquatus, so wurde doch allein durch die Tatsache, daB so etwas vorkommen konnte, daB es so markant ennnert und daB es auch akzeptiert wurde, eine ganz besondere Atmosphare geschaffen, in der die Sozialisation jeder neuen Generation von Fuhrungsnach- wuchs stattfand.

Der Name vermochte jedenfalls wirklich zwingende Macht auszuuben, und die bewuBte Wiederholung solcher Grenzhandlungen, wie die VerstoBung des Sohnes und dessen Selbstmord i. J. 140 eine darstellen, sollte auch fuir die altere Zeit davor warnen, stets und reflexhaft im Brustton aufgeklarter Skepsis ,,Dublet- te!" zu rufen.62 Es ist vielmehr in jedem Fall, bei den Manlii wie bei den Decii Mures, mit einem komplexen Wechselspiel zwischen sozialer Norm, tatsachli- chem Ereignishandeln und historischer Erinnerung bzw. Traditionsbildung rech- nen.

5. Das familiale Modelldenken war so fest eingepragt und wirkte zugleich so pragend, daB es sich in der spaten Republik sogar in einen ganzlich verschiedenen Verwendungskontext transformieren lieB. Aristokraten ohne nennenswerte ande- re Kapitalien benutzten einen beruhmten Vorfahren, um sich in geradezu extrava- ganter Weise politisch und habituell zu individualisieren und so fur ihr eigenes, oftmals bewuBt nicht-regelkonformes Verhalten Akzeptanz oder zumindest Auf- merksamkeit zu finden. Eine solche Selbstprofilierung konnte zwar leicht iihnlich existenzielle Folgen zeitigen wie bei dem genannten spaten Manlianus, aber sie war zugleich in sehr viel hoherem Mafe als bei diesem Instrument. Wihrend sich SproBlinge altehrwurdiger Familien gelegentlich Vorfahren als zwingende Vor- bilder vorhalten63 oder sogar vorwerfen lassen muBten, sie kennten ihre eigene Familiengeschichte nicht oder seien politisch-moralisch vollig aus der Art ge- schlagen, betneben andere eine sehr gezielte Traditionsvergewisserung, bisweilen

6I Er erwahnt 22,60,11 die Rettungstaten des ersten P. Decius Mus als Militartribun im Samnitenkrieg und des - bei Cato namenlosen - Tribunen M. Calpurnius Flamma (richtiger Q. Caedicius; vgl. den Kommentar zu Cato FRH 3 F 4,7a), der 258 bei Camarina ein romisches Heer aus todlicher Umklammerung befreit hatte. - Der strittige Freikauf von Gefangenen findet sich in der romischen Geschichtsschreibung bereits im 2. Jh. v.Chr. behandelt; s. Acilius FRH 5 F 5; U. WALTER, Die Botschaft des Mediums, in: G. MELVILLE (Hg.), Institutionalitat und Symbolisie- rung, Koln u. a. 2001, 241-279 (276-278).

62 OAKLEY, Commentary 2 (wie Anm. 31), 428 schlie3t die Historizitat des Zweikampfes und der anschlieBenden Bestrafung des Sohnes nicht aus.

63 So suchte Cicero den spateren Triumvim M. Aemilius Lepidus mit Verweis auf dessen gleichnamigen Urgro6vater auf eine senatstreue Politik festzulegen: Phil. 13,14.

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sogar Traditionskonstruktion. Die in diesem Sinne einschlagigen Falle sind be- kanntlich Marcus Porcius Cato Uticensis und Marcus lunius Brutus, denen die bewuBte Stilisierung nach einem beruhmten Vorfahren einerseits in erstaunli- chem MaBe Spielraume eroffnete: Der jungere Cato, Urenkel des beruhmten Censoriers, konnte sich als schroffer und bisweilen ganz unzeitgemaBer Geselle geben, ohne dadurch Anerkennung und Respekt zu verlieren, und er besaB auch schon vor seinem Selbstmord eine politische Prominenz, die weit Uber seinen Amtsrang hinausging.64 Brutus vermochte als erklarter Tyrannenfeind in einem Umfeld von Potentaten Ansehen und EinfluB zu gewinnen, die seine Amtsstellun- gen ebenfalls nicht hergaben.65 Andererseits beraubten sich beide selbst mit ihrer entschiedenen Profilierung, die in ganz un-nobilitairer Weise auf eine programma- tisch-ideologische Festlegung hinauszulaufen schien, in politisch-moralischen Grenzsituationen der Handlungsaltemativen.

In den vier ersten Modellen kann man Varianten eines einzigen generative pattern fur die narrative Ausgestaltung der romischen Fruhzeit durch die Histori- ographie sehen. Es waren dies das familiale Quasi-Monopol auf bestimmte Amter und das konzertierte Agieren sowohl in der gleichen Generation wie in sukzessi- ven Generationen, femer das aktive Eintreten fur das politische Erbe und Anden- ken eines Vorfahren, drittens die Wiederholung einer bestimmten Handlung in mehreren Generationen und schlieBlich die exemplum-trachtige Konstruktion eines bestimmten Habitus-Modells zur Einscharfung einer zentralen gesellschaft- lichen Ordnungsvorstellung. Doch das manlische Beispiel zeigte auch, wie leicht aus Mythomotorik Handlungsanweisung, ja -zwang werden konnte. Dieser As- pekt dominiert ganzlich im zuletzt skizzierten Modell, das nicht zufallig in die ausgehende Republik, die Epoche der Desintegration gehort: Bei Cato und Brutus hatte der Name keine wirklich familiale Dimension mehr und wurde eigentlich auch gar kein nobilitarer Code mehr aktiviert; vielmehr diente der feme Ahn (der im Fall von Brutus gar keiner war) nur noch der Egomotorik und hat damit letztlich die gleiche Funktion wie Caesars dignitas und Ciceros Anspruch, in eigener Person und allein das Gemeinwohl zu vertreten. Wollte man in den funf genannten Modellen zugespitzt eine Entwicklung benennen, so ginge diese vom familialen Handeln als legitimem Imperativ der Traditionsbildung zur familialen Tradition als legitimierendem Imperativ des Handelns.

Fur die Quellenkritik zur Fruhzeit ist mit den skizzierten Mustem kein Lugen- detektor zu bauen. Die - durch das romische Namensystem zusatzlich komplizier- te - Traditionsbildung in ihren Etappen von der mundlichen Uberlieferung und

64 Zur Censorius-Nachfolge s. R. FEHRLE, Cato Uticensis, Darmstadt 1983, 50. 68-69. 70

Anm. 29. 90 mit Anm. 29. 1 11 Anm. 133. 178, jeweils mit weiteren Hinweisen. 65 Zu Brutus s. zuletzt U. WALTER, Geschichte als Lebensmacht im republikanischen Rom, in:

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53, 2002, 326-339 (334-339) mit weiteren Nachwei-

sen.

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den spezifischen familialen Erinnerungen bis hin zur Geschichtsschreibung bleibt ein schwer entwiffbarer Dschungel, da die realen soziopolitischen Praktiken und Normen auch geschichtsgenerierende Mechanismen waren - und umgekehrt. Aber die Pfade, welche die Romer im Zeitalter der Nobilitat selbst angelegt haben, sind vielleicht etwas deutlicher sichtbar geworden.66 Wenn es auBerdem gelungen sein sollte, das GeschichtsbewuBtsein der Romer, dessen am besten greifbare, aber beileibe nicht einzige AuBerungsform die Historiographie darstellt, aus der Unverbindlichkeit eines Uberbauphanomens herauszuholen und es stattdessen anhand eines fur die romische politische Kultur spezifischen Zusammenhanges als handlungsleitende und sozial formative Kraft zu erweisen, dann haben diese Uberlegungen ihren Zweck erfullt.

Koln UWE WALTER

66 Freilich dominierte die Ausbildung einer so dezidierten Familienidentitat wie bei den patrizischen Claudiern das Handeln und die Profilbildung in der Nobilitat nicht generell; so setzten die plebeischen Acilii Glabriones die Gruppenidentitat Uber die Familienidentitiit und versuchten kein eigenes politisches ,Programm' durchzusetzen; vgl. M. DONDIN-PAYRE, Exercice du pouvoir et continuite gentilice: les Acilii Glabriones du Ille siecle avant J.-C. au Ve siecle apr6s J.-C., Rom 1993.

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