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Foto: Corbis Der Armani-Flagship-Store in der New Yorker Fifth Avenue wur- de vom Architekten Massimiliano Fuksas luftig-offen angelegt. So verbreitet sich das Flair der Treppe durch alle Etagen, ein entfesselter goldener Lichtflöz 74 Lufthansa Exclusive 4/2013 business Shopdesign S hopping ist sein Beruf, aber kaufen tut er nichts. Wenn Christian Mikun- da ein Geschäft betritt, lassen ihn Hemden und Schuhe kalt, er beobachtet lie- ber den Raum. Wie wird der Besucher ge- führt? Welche Geschichte wird erzählt, und mit welchen Mitteln? Ist das Bild stimmig, interessant, sogar verlockend? Christian Mi- kunda gehört zu den weltweit führenden Shop-Experten, er ist Fachmann für Verfüh- rung, Drama und Wirkung. Gerade bereitet er eine weitere Shop-Expedition vor, eine Erkundungs- und Bildungsreise zu den an- gesagtesten Läden von Miami bis Singapur. Wenn er seine Pläne und Theorien ausführ- lich erläutert, sagt er Sätze wie: „Für das Verkaufen interessiere ich mich null.“ Ver- wunderlich bei einem, der Handelskonzerne berät und Shoppingmalls inszeniert. „Man geht ja in ein Geschäft nicht nur, um zu kaufen“, erklärt er dann, „das war noch nie so.“ Und jetzt? „Der Handel ist in der Freizeitindustrie angekommen.“ Des- halb sollte er Räume so in Szene setzen, dass die Menschen ihre Freizeit gern dort verbringen. Der Rest, das Kaufen, ist Mi- kunda überzeugt, kommt dann von ganz allein. Ausgerüstet mit einer gehörigen Por- tion Gelassenheit, entdeckt er Shopping- Welten, die immer aufwendiger werden. Da liegen nicht einfach Waren in den Regalen, das Einkaufen wird zelebriert. Mit Show- treppen und Lichtspektakeln, Massen alter Nähmaschinen, halb nackten Tänzern, historischen Kostümen, echter Kunst oder hydraulisch bewegten Wänden. „Manche der Läden“, berichtet er, „sind am Ende so spektakulär, dass man dafür sogar extra nach New York fliegen würde.“ Mikunda spricht vom Armani-Store an der Fifth Ave- nue, in dem sich eine Treppe so exaltiert vier Stockwerke hoch durch den Raum schwingt, als hätte der Architekt sich nicht von den Gesetzen der Statik, sondern von Rauchschwaden inspirieren lassen. Die Vorbilder für solche Bauwerke liegen in Barock und Manierismus – nur dass die Effekte heute nicht zum Lobpreis von Herrscherhäusern oder der Kirche errichtet werden, sondern den Konsum fördern. Um aus solchen Entdeckungen eine Wissenschaft zu machen, musste der stu- dierte Theatermann Mikunda sich seinen Beruf quasi selbst erfinden. Zunächst arbei- tete er als Dramaturg bei Film und TV, doch daneben interessierten ihn immer mehr die Inszenierungen des wirklichen Lebens. „Nicht ich habe diesen Beruf ent wickelt, dieser Beruf hat mich gefunden“, sagt er – aus dem Dr. phil. wurde „Dr. Shop“. Der stieß bei seinen Expeditionen immer tiefer in unerforschtes Terrain vor. One step ahead Beim Shopdesign wird nichts dem Zufall überlassen. Vom inszenierten Waren-Environment über theatra- lische Kostümierung von Raum und Personal bis zu Verknappung des Angebots und prezioser Darbietung – Verkaufsarchitekturen gestalten fast immer kommerzielles Kalkül, in Geschmack und Umfang eher empirisch als theoretisch unter- mauert. Shopdesigner kommen in der Regel von der Architektur oder Innenarchitektur zum Retail Design, es gibt auch Bauingenieure unter den Ladenbauern, viele sind Quer- einsteiger. Der deutsche Handel un- terhält mit dem Ehi Retail Institute in Köln einen eigenen Forschungsbe- reich für Ladenbau und Einrichtung. An der Fachhochschule Düsseldorf wurde zum Wintersemester 2013/14 erstmals in Deutschland ein Bache- lor-Studiengang Retail Design eingerichtet. Der Wiener Marketing-Dramaturg Christian Mikunda untersucht die Attraktivität von Shoppingmalls und Läden. In Zeiten, in denen Online- händler immer mehr Umsätze an sich ziehen, ist er ein gefragter Ratgeber. Weil er die Gefühle, die den Konsum anfachen, an Bau und Dekoration festmachen kann Text Christian Tröster Kaufen als Lust und Laune 75

Christian Tröster · präsentation angesiedelt. Eine eigene Ter-minologie und Theorie dafür gab es kaum. Andererseits aber eine hoch entwickelte Kultur, die mit Technik und Fantasie

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Der Armani-Flagship-Store in der New Yorker Fifth Avenue wur-de vom Architekten Massimiliano Fuksas luftig-offen angelegt. So verbreitet sich das Flair der Treppe durch alle Etagen, ein entfesselter goldener Lichtflöz

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S hopping ist sein Beruf, aber kaufen tut er nichts. Wenn Christian Mikun-da ein Geschäft betritt, lassen ihn

Hemden und Schuhe kalt, er beobachtet lie-ber den Raum. Wie wird der Besucher ge-führt? Welche Geschichte wird erzählt, und mit welchen Mitteln? Ist das Bild stimmig, interessant, sogar verlockend? Chris tian Mi-kunda gehört zu den weltweit führenden Shop-Experten, er ist Fachmann für Verfüh-rung, Drama und Wirkung. Gerade bereitet er eine weitere Shop-Expedition vor, eine Erkundungs- und Bildungsreise zu den an-gesagtesten Läden von Miami bis Singapur. Wenn er seine Pläne und Theorien ausführ-lich erläutert, sagt er Sätze wie: „Für das Verkaufen interessiere ich mich null.“ Ver-wunderlich bei einem, der Handelskonzerne berät und Shoppingmalls inszeniert.

„Man geht ja in ein Geschäft nicht nur, um zu kaufen“, erklärt er dann, „das war noch nie so.“ Und jetzt? „Der Handel ist in der Freizeit industrie angekommen.“ Des-halb sollte er Räume so in Szene setzen, dass die Menschen ihre Freizeit gern dort verbringen. Der Rest, das Kaufen, ist Mi-kunda überzeugt, kommt dann von ganz allein. Ausgerüstet mit einer gehörigen Por-tion Gelassenheit, entdeckt er Shopping-Welten, die immer aufwendiger werden. Da liegen nicht einfach Waren in den Regalen,

das Einkaufen wird zelebriert. Mit Show-treppen und Lichtspektakeln, Massen alter Nähmaschinen, halb nackten Tänzern, historischen Kostümen, echter Kunst oder hydraulisch bewegten Wänden. „Manche der Läden“, berichtet er, „sind am Ende so spektakulär, dass man dafür sogar extra nach New York fliegen würde.“ Mikunda spricht vom Armani-Store an der Fifth Ave-nue, in dem sich eine Treppe so exaltiert vier Stockwerke hoch durch den Raum schwingt, als hätte der Architekt sich nicht von den Gesetzen der Statik, sondern von Rauchschwaden inspirieren lassen. Die Vorbilder für solche Bauwerke liegen in Barock und Manierismus – nur dass die Effekte heute nicht zum Lobpreis von Herrscherhäusern oder der Kirche errichtet werden, sondern den Konsum fördern.

Um aus solchen Entdeckungen eine Wissenschaft zu machen, musste der stu-dierte Theatermann Mikunda sich seinen Beruf quasi selbst erfinden. Zunächst arbei-tete er als Dramaturg bei Film und TV, doch daneben interessierten ihn immer mehr die Inszenierungen des wirklichen Lebens. „Nicht ich habe diesen Beruf ent wickelt, dieser Beruf hat mich gefunden“, sagt er – aus dem Dr. phil. wurde „Dr. Shop“. Der stieß bei seinen Expeditionen immer tiefer in unerforschtes Terrain vor.

One step ahead

Beim Shopdesign wird nichts dem Zufall überlassen. Vom inszenierten Waren-Environment über theatra-lische Kostümierung von Raum und Personal bis zu Verknappung des Angebots und prezioser Darbietung – Verkaufsarchitekturen gestalten fast immer kommerzielles Kalkül, in Geschmack und Umfang eher empirisch als theoretisch unter-mauert. Shopdesigner kommen in der Regel von der Architektur oder Innenarchitektur zum Retail Design, es gibt auch Bauingenieure unter den Ladenbauern, viele sind Quer-einsteiger. Der deutsche Handel un-terhält mit dem Ehi Retail Institute in Köln einen eigenen Forschungsbe-reich für Ladenbau und Einrichtung. An der Fachhochschule Düsseldorf wurde zum Wintersemester 2013/14 erstmals in Deutschland ein Bache-lor-Studiengang Retail Design eingerichtet.

Der Wiener Marketing-Dramaturg Christian Mikunda untersucht die Attraktivität von Shoppingmalls und Läden. In Zeiten, in denen Online-händler immer mehr Umsätze an sich ziehen, ist er ein gefragter Ratgeber. Weil er die Gefühle, die den Konsum anfachen, an Bau und Dekoration festmachen kann

Text Christian Tröster

Kaufen als Lust und Laune

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Denn die Gestaltung von Geschäften war lange Zeit eher im Ungefähren von Marke-ting, Ladenbau, Dekoration und Waren-präsentation angesiedelt. Eine eigene Ter-minologie und Theorie dafür gab es kaum. Andererseits aber eine hoch entwickelte Kultur, die mit Technik und Fantasie spekta-kuläre Ergebnisse erzielt. „Wenn Sie in eine Filiale von Abercrombie & Fitch gehen“, zeigt sich Mikunda angetan von der ameri-kanischen Textilkette, „sehen Sie drama-tisch kontrastierende Lichteffekte, die auf Caravaggio, den Maler des Frühbarock, zurückgehen.“ Das Arbeitsfeld, das er selbst entdeckt hat, nannte er „strategische Dramaturgie“, damit entwickelte er auch eine Theorie der Wirkungssteigerung – und reist seither als Berater, Prophet und Lehrer

gar wenn sie gar nichts kauften. Skepsis gegenüber der Kommerzialität solcher Inszenierungen ist Christian Mikunda im Grunde nicht fremd: „Natürlich sind solche Orte auch ihre eigene begehbare Wer-bung.“ Daraus aber habe sich eine eigene Kultur entwickelt, die man auch als solche verstehen solle. „Die Menschen besichtigen in einer fremden Stadt nicht mehr nur die Insignien der Obrigkeit aus vergangenen Jahrhunderten“, also Schlösser, Rathäuser, Kirchen, „sondern auch Shops und Gas-tronomie. Die Inszenierungen darin funktio-nieren wie in Film oder Theater. Wer da eine Geschichte erzählt, ist nicht ein Lügner, sondern kann Wahrhaftigkeit erreichen.“

Sogar in Fällen wie dem Dover Street Market in London und in Tokio. Die Con-cept-Stores der japanischen Textilkette Comme des Garçons stehen für einen Trend, den Mikunda „Rough Lux“ nennt, rauen Luxus. Tatsächlich werden da Kleider der Kate gorie 1000 Euro und aufwärts in rostigen Wellblechhütten

um die Welt. „Ein Einkaufszentrum als Klotz am Parkplatz“, doziert er, „ist wirklich kein verheißungsvoller Ort. Man muss der Mall ein Gesicht geben, eine Promenade schaf-fen, die den Kundenfluss sowohl in die Tiefe als auch in die Höhe zieht.“ Der ewige Feind des Wohlgefallens ist dabei die Ermü-dung der Kunden. Ihr gelte es, durch kleine und große Sensationen entgegenzuwirken.

Nochmals zu Abercrombie & Fitch, Mikundas aktuellem Lieblingsbeispiel. In deren Filialen würden die Menschen wie in eine Disco gehen, angelockt von tanzbarer Musik, schönen Menschen sowie einem Duft, der nicht in den Raum, sondern direkt auf die Ware gesprüht wird. Das alles sei so geschickt abgemischt, dass es den Besu-chern ein Lächeln ins Gesicht zaubere, so-

Der ewige Feind des Wohlgefallens beim Shoppen ist die Ermüdung des Kunden. Ihr kommt man nur mit dosierten Sensationen bei – weil wir lieben, was erregt

Bei der Eröffnung des Geschäfts von Abercrombie & Fitch in Hamburg Ende April 2012 treten männliche Mitarbeiter vor dem Gebäude an, alle mit nacktem Model-Oberkörper und schwer parfümiert (links). In der Filiale in New York werden zum Opening 2005 Drinks gereicht, Schön-linge posieren dort lebensgroß auf einem Wandgemälde

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Rund um die Welt, rund um die Uhr ein Ziel: Sie

Damit jedes Ticket eine Einladung ist. Damit Sie sich „Willkommen an Bord von Lufthansa“ fühlen. Damit Sie sich auch in 10.000 Metern Höhe wie zu Hause fühlen. Dafür geben wir rund um die Uhr, rund um die Welt unser Bestes – und Ihnen das Gefühl, nicht nur ein Passagier zu sein, sondern ein ganz besonderer Gast.

Stewardess?Flugbegleiter?Gastgeber!

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Die Modemarke Comme des Garçons setzte den Trend, Shops von Ar-chitekten gestalten zu lassen, und richtete als Erste Läden bewusst nur für kurze Zeit ein. Der „Guerilla Store“ von Singapur liegt versteckt (o.), im Londoner Dover Street Market wurde Hütten-Look inszeniert (o. r.). Der Flagship-Store in Aoyama (Tokio) sieht wie eine futuristische Voliere aus

präsentiert, sauber geputzte Slum-Ästhetik für die Happy Few. „Die Menschen wissen solche Konzepte offenbar zu goutieren“, hat Christian Mikunda festgestellt, „sie sprechen darüber und kommentieren das fachmän-nisch wie bei einem Besuch im Museum.“ Als Erlebnisszenen würden die Themenwel-ten zu Geschenken an die Kunden, denen man gute Gefühle beschere. Diese könne man recht gut kalkulieren: indem man räumliche Spannungsbögen aufbaut, sie in ruhigere Phasen überführt, um dann erneut das Tempo anzuziehen. Wer da an ein Hoch pushen der Gefühle denkt, liegt richtig.

Mikunda hat sie auf den Begriff ge-bracht und 2009 in einem Buch erklärt. Bei ihm heißen sie „Glory“, „Joy“, „Power“, „Bravour“, „Desire“, „Intensity“, „Chill“, also Pracht, Freude, Kraft, Bewunderung, Be-gehren, Verzückung und Entspannung. Sieben Begriffe, entsprechend den sieben Todsünden der christlichen Sittenlehre. Bloß ins Positive gewendet. Für die Shop-

Gestalter komme es darauf an, diese Ge-fühle klug in einem Parcours zu kombinie-ren, sodass der Kunde Glück spüre, aber auch emotionale Entlastung erfahre, sein Interesse zugleich wachgehalten werde.

Ganz freiwillig geschieht die immer aufwendigere Inszenierung der Warenwelt übrigens nicht. Denn große Teile des Um-satzes fließen an den Ladengeschäften vor-bei in den Internethandel – in Deutschland sind es derzeit zehn Prozent, Tendenz wei-ter steigend. „Noch vor zehn bis zwölf Jah-ren war man in den Unternehmen nicht be-reit, für die Erlebnishaftigkeit Geld auszugeben“, erinnert sich Mikunda. „Das wurde ihnen von den Con trollern untersagt. Heute gibt es die Angst, auch die weichen Fak toren zu planen, nicht mehr in diesem Ausmaß.“ Zu Konsum-Junkies sind er und seine Familie mit dem neuen Beruf dann aber doch nicht geworden. Wo immer es geht, rät er seinen Kunden, zum Beispiel die Süßigkeiten vor der Kasse zu entfernen,

Was ist so faszinierend an den prächtigen Ausla-gen eines Geschäfts? Warum genießen wir den breiten roten Teppich im Hotel? Der Wiener Mar-ketingfachmann Christian Mikunda erklärt, was uns beim Shoppen beeindruckt, und erläutert die Erregungsstrategien von Design und Architektur. „Warum wir uns Gefühle kaufen“; Econ; 36 Euro.

damit die Kunden nicht zusätzlich gestresst werden. „Und zu meinem Sohn sage ich auch immer: ,Du musst nicht alles haben, was du toll findest.‘“

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SCHÄFCHEN ZÄHLENFÜR MÄNNER:LINKE KEULE,RECHTE KEULE,HAXEN, KRONE,RIPPEN, SCHULTER ...KÖSTLICHE LAMMREZEPTE. AB SEITE 36.

MÄNNER KOCHEN ANDERS

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