Carl Du Prel

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  • 5/21/2018 Carl Du Prel

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    Tomas Kaiser

    ZWISCHEN PHILOSOPHIE UND SPIRITISMUS(Bildwissenschaftliche) Quellen zum Leben und Werk des Carl du Prel

    Universitt Lneburg

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    Carl du Prel: links in jungen Jahren (augenommen ca. 1865) und rechts im reieren Alter (augenommen ca. 1890);beide Aunahmen befinden sich in Privatbesitz.

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    Gliederung

    I Wissenschaft(en) im 19. Jahrhundert 15

    II Wissenschaftspopularisierung 23

    III Carl du Prel Lebenslauf 31

    1.1839 bis 1880 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31i. Die rhen Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

    ii. Der BundArkas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

    iii. Eduard von Hartmann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

    iv. Kamp ums Dasein Carl du Prels Eintreten r den Darwinismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

    v. Die Zeitschrit Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

    vi. Psychologie der Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

    vii. Planetenbewohner & Carl du Prels Einstieg in den Spiritismus: Zllner, Hellenbach und Albertine du Prel

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    2. 1880 bis 1899 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

    i. Die Philosophie der Mystik und Carl du Prels metaphysischer Darwinismus . . . . . . . . . . . . . . 55

    ii. Von der Theosophischen Gesellschat zur Psychologischen Gesellschat und ihre Arbeit . . . . . . . . 59

    iii Alexander Aksakow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

    IV Carl du Prels Weltbild 73

    V Carl du Prels Vermittlungsstrategien 79

    1. Arkas & Eduard von Hartmann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

    3. Bcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

    4. Separatabzge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

    5. Psychologische Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

    6. Vortrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

    7. Sphinx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 908. Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

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    9. Fotografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

    10. Kontakte zu Wissenschaftlern - Vernetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

    11. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

    VI Grenzen populrer Wissensvermittlung 99

    VII Wirkung und Wirkungsfeld 111

    VIII Abschlieende Selbstreflexion 121

    Abkrzungsverzeichnis 125

    Literaturverzeichnis 127

    Bibliografie 131

    1. Primrliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

    2. Sekundrliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

    3. Ter tirliteratur (eine Aus wahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

    4. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

    bersicht ber Zeitungen und Zeitschriften 203

    Quellen zu Carl du Prel 239Carl du Prel: Wie ich Spiritist geworden bin(1893). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

    Carl du Prels:Was soll ich lesen?(1895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

    Quellen zu den Gesellschaften 255

    1. STATUTEN DER PSYCHOLOGISCHEN GESELLSCHAFT (Oktober 1886). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

    2. PROGRAMM DER PSYCHOLOGISCHEN GESELLSCHAFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

    3. MITGLIEDER DER PSYCHOLOGISCHEN GESELLSCHAFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

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    4. JAHRESBERICHT UND JAHRESBILANZ 1888/89DER PSYCHOLOGISCHEN GESELLSCHAFT IN MNCHEN . . . . . . . . . 266

    5. CARL HANSENS VORTRAG BER HYPNOTISMUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

    6. EIN FAKIR IN MNCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

    bersicht Briefkonvolute 275

    Namensindex 279

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    Danksagung

    Ganz herzlich bedanken mchte ich mich an dieser Stelle bei meinen Doktorvtern Pro. (em.) Dr. Karl Clausbergund Pro. (em.) Dr. Hermann Schweppenhuser r ihren Ansporn und ihre Betreuung bei der Durchhrung dieserArbeit, ebenso den Gutachtern Pro. Dr. Helmut Zander und Pro. Dr. Moritz Baler r ihre Gutachten und Kritik.

    Finanziell untersttzt vom DAAD und dem IGPP geht ein groes Dankeschn nach Bonn bzw. Freiburg, dort ganzbesonders an Dipl. Psych. Eberhard Bauer.

    Dank an die Bibliothekarinnen Magdalene Popp-Grilli von der Wrttembergischen Landesbibliothek in Stutt-gart, Dr. Cornelia Tpelmann von der Universittsbibliothek in Mnchen und Tanja vom Puschkinskij Dom in St.Petersburg sowie ihren Kolleginnen und Kollegen in der Staatsbibliothek zu Berlin, Universittsbibliothek Mnchen,

    Stadtbibliothek Mnchen, Mnchner Stadtbibliothek Monacensia, Bayerischen Staatsbibliothek in Mnchen, demGermanischen Nationalmuseum in Nrnberg, Niederschsischen Staats- und Universittsbibliothek in Gttingen,Schiller-Nationalmuseum und Deutschen Literaturarchiv in Marbach/Neckar, Schsischen Landesbibliothek Staats- und Universittsbibliothek Dresden, Staats- und Universittsbibliothek in Hamburg, Staats- und Univer-sittsbibliothek in Bremen, Universittsarchiv und Universittsbibliothek in Tbingen, Universittsbibliothek inLeipzig, Wrttembergischen Landesbibliothek, Stuttgart, Wiener Stadt- und Landesbibliothek, sterreichischenNationalbibliothek in Wien und dem Kroatischen Staatsarchiv in Zagreb. Ein besonderes Dankschn an Dr. OlgaSlavina in Hamburg, Dr. Maximilian du Prel in Bad Kissingen, Dr. Albrecht Gerster in Wetzlar und Veronika Kss inStockdor bei Mnchen.

    Dank auch den vielen guten Freunden, Bekannten, Wegbegleitern und Kritikern: Dr. Hubertus Eckert, BettinaFischer, Thomas Geis, Sylvia Grom, Heike Gronholz, Dr. Brigitte Gro, Mona Henker, Maren Lammers, WolgangOswald, Dr. Priska Pytlik, Uwe Schellinger, Bertrand Schmidbauer, Andreas Sommer, Martin Rethmann, AntonioSammartano & Lilly, Jost Schocke, Conny Stahmer-Fernandi, Haide Vlz, Gabriela Weitenauer, Jrgen Wnneker undvor allem Matthias Braun. Ihnen begegnet zu sein, war und ist ein besonderes Glck.

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    Einleitung

    In der kulturwissenschatlichen Forschung wchst seit einigen Jahren das Interesse am Okkultismus und Spiritis-mus am Ausgang des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Sowohl die Kunst- als auch die Literaturwissenscha-ten erkennen den erheblichen Einfluss dieser heute kaum noch beachteten Strmungen au die Entwicklung derrhen Moderne in der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, als augenlligste Beispiele knnen hier die Entwick-lung der Abstraktion in der Kunst und neue Formen der Kurzgeschichte und Lyrik herangezogen werden.1

    Im wissenschatlichen Bereich sind Strahlenorschung und Psychoanalyse zwei klassische Beispiele r die Annhe-rung von Bereichen, die den Parawissenschaten entstammen, an die Natur- und Humanwissenschaten.

    Weit weniger ortgeschritten als lange angenommen waren in der damaligen Zeit die Ausdifferenzierungen der

    einzelnen Wissenschatsbereiche, ihre Abgrenzungen zu einander, aber auch gegenber der Philosophie und denKnsten. Es and eine strkere Durchmischung statt, und hinsichtlich der angewandten wissenschatlichen Metho-den waren die Mglichkeiten weniger stark ormalisiert. Die Aspekte, die heute eher als unwissenschatlich oderim Bereich der Populrwissenschat verortet werden, waren noch nicht klar von den strenger wissenschatlichen

    geschieden.

    Der Mnchener Philosoph und Spiritist Carl du Prel (18391899) gehrt mit seinen Bchern (Philosophie derMystik, Der Spiritismus, Das Rtsel des Menschenu.a.) zu den wichtigsten Vertretern der spiritistischen/okkultisti-schen Szene Deutschlands dieser Epoche. Seine Verdienste lagen zwar auch in einer, wenn auch weniger konkretenund systematischen empirischen Erorschung spiritistischer Phnomene oder als paranormal geltender Erschei-nungen, doch vielmehr darin, als philosophischer Theoretiker den Spiritismus konzeptionell und theoretisierendzu durchdringen, indem er versuchte das Feld wissenschatlich auzuarbeiten und gedanklich zu ordnen. In denAugen heutiger Wissenschatler liegt seine Bedeutung in erster Linie in seiner Einflussnahme au Literaten- undKnstlerkreise, in denen er die Funktion des Ideengebers bernahm.

    Das gesteigerte Interesse an den sich gegenseitig beeinflussenden wissenschatlichen Bereichen und das wiederstrker werdende Verlangen nach Interdisziplinaritt hrten in den letzten Jahren dazu, dass sich Forschungsarbei-ten vermehrt mit einer von der traditionellen Geschichts- und Wissenschatsschreibung vernachlssigten Seite derModerne - dem Thema Spiritismus/Okkultismus um 1900 - beschtigten. Ein kleine Auswahl ber die entsprechen-den Veranstaltungen und Publikationen soll hier gegeben werden, um den Anstieg und die Breite des Interessesdeutlich zu machen. So erschien 1991 Christoph Meinels Arbeit Karl Friedrich Zllner und die Wissenschaftskulturder Grnderzeit2; als ein Standartwerk, das heute in der Zunt gilt, ist Ulrich Linses Geisterseher und Wunderwir-ker. Heilssuche im Industriezeitalter(1996) zu nennen. 1997 olgte die Arbeit Gottlose Mystik in der deutschen

    1 Vgl. Pytlik, Priska: Okkultismus und Moderne. Ein kulturhistorisches Phnomen und seine Bedeutung fr die Literatur um 1900 ,Schningh, Paderborn 2005; Baler, Moritz / Chtellier, Hildegard: Mystique, mysticisme et modernit en Allemagne autour de1900 / Mystik, Mystizismus und Moderne in Deutschland um 1900 , Presses Univ. de Strasbourg, Strasbourg 1998, und Kury, As-trid: Heiligenscheine eines elektrischen Jahrhundertendes sehen anders aus: Okkultismus und die Kunst der Wiener Moderne,Passagen Verlag, Wien 2000 [Auswahl].

    2 Meinel, Christoph: Karl Friedrich Zllner und die Wissenschaftskultur der Grnderzeit, eine Fallstudie zur Genese konservativerZivilisationskritik, Berliner Beitrge zur Geschichte der Naturwissenschaten und der Technik, 13, Sigma, Berlin 1991.

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    Literatur um die Jahrhundertwende von Uwe Sprl und 2000Die Geisterseherin von Prevorstvon Bettina Gruber.

    Schrittmachende Funktion hatten die Ausstellungen The spiritual in art: abstract painting 18901985 (1986/87) in

    Los Angeles und Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 19001915 (1995) in Frankurt. Aus derwachsenden Zahl an Tagungen und Symposien seien hier erwhnt Spiritismus und sthetische Moderne. Wissen-schaftliches Symposion an der Universitt Tbingen vom 29. Juli bis 1. August 2004und die ranzsisch-deutscheTagung Mystique, Mysticisme et mondernit en Allemagne autour de 1900/Mystik, Mystizismus und Modernein Deutschland,die vom 7. bis 9. November 1996 in Straburg stattand und woraus der gleichnamige Bandentstand, der 1998 von Hildegard Chtellier und Moritz Baler herausgegeben wurde. In diesem beschtigt sichBettina Gruber in ihrem Ausatz Mystik, Esoterik, Okkultismus: berlegungen zu einer Begriffsdiskussion3(1998)eingehend mit eben diesen Begriffen. Die umangreichen Ergebnisse seiner Untersuchungen zur Entstehungsge-schichte des Spiritismus in Deutschland verffentlichte Diethard Sawicki in Leben mit den Toten. Geisterglaubenund die Entstehung des Spiritismus in Deutschland 17701900 (2002).

    2004 erschien die FestschritAufbrche. Seitenpfade. Abwege. Suchbewegungen und Subkulturen im 20. Jahr-hundertzu Ehren Ulrich Linses, die Judith Baumgartners und Bernd Wedemeyer-Kolwes als Sammelband heraus-gaben, undCorinna Treitel analysiert in ihrer ebenalls 2004 erschienenen ArbeitA Science for the Soul. Occultismand the Genesis of the German Moderndetailliert das Okkulte in ihren unterschiedlichen Erscheinungen in densiebzig Jahren zwischen der Deutschen Reichsgrndung 1871 und 1940. 2005 verffentlichte Priska Pytlik ihreDissertation unter dem Titel Okkultismus und Moderne. Ein kulturhistorisches Phnomen und seine Bedeutungfr die Literatur um 1900, in der sie das sehr enge Verhltnis des Okkultismus, Spiritismus und Mediumismus zurModerne rekonstruiert und damit au eine Lcke in der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte, Wissenschats-und Literaturgeschichte hinweist. 2006 gab dieselbe Autorin den unangreichen Quellenband Spiritismus und

    sthetische Moderne - Berlin und Mnchen um 1900mit Dokumenten und Kommentaren heraus.

    Neben einer wissenschatlichen Rckbetrachtung und Neubewertung des Spiritismus und Okkultismus gab esin den letzten Jahren eine verstrkte Beschtigung mit den wissenschatlich nicht erassbaren Phnomenen.Neuerscheinungen wie Wouter J. Hanegraaffs Dissertation New age religion and western culture. Esotericism inthe mirror of secular thought(1995) und die Herausgabe von Dictionary of Gnosis and Western esotericism2005knnen hierr als Indizien angehrt werden.

    Auch wurden in den letzten Jahren einige Werke und Quellen von und ber Carl du Prel, der einer der wichtigstendeutschen philosophischen Spiritisten war, wieder neu augelegt. Im Jahr 2004 erschien der Neudruck von Karl Kie-

    sewetters Geschichte des neueren Okkultismus. Geheimwissenschaftliche Systeme von Agrippa von Nettesheimbis zu Carl du Prelvon 1891. 2005 erschienen in Neuauflage du Prels Bcher Der Spiritismus und Das Rtsel desMenschen. Einleitung in das Studium der Geheimwissenschaften, 2006 die Studien zu den Geheimwissenschaf-ten, Teil 1. Unser magisches Weltbild - Tatsachen und Probleme und Die Planetenbewohner und die Nebularhy-

    pothese.

    3 Gruber, Bettina: Mystik, Esoterik, Okkultismus: berlegungen zu einer Begriffsdiskussion, in: Baler, Moritz / Chtellier, Hildegard(Hg.): Mystique, mysticisme et modernit en Allemagne autour de 1900 / Mystik, Mystizismus und Moderne in Deutschland um

    1900. Presses Univ. de Strasbourg 1998: S. 2739.

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    Eine erste monografische Studie zu Carl du Prel wurde im Jahr 2000 mit der Magisterarbeit Carl du Prel und seinWerk aus kunst- und kulturwissenschaftlicher Sichtdes Autors durchgehrt.

    In der hier vorgelegten Arbeit wird mit Carl du Prel eine Person Schwerpunkt sein, die vor und um 1900 ber dieGrenzen des deutschsprachigen Raums hinaus wohlbekannt war und die mit ihren philosophischen Schriten undberlegungen einen nachweisbaren Einfluss au die Kulturschaffenden der Zeit hatte. Carl du Prel war Abkmmlingeiner ursprnglich lothringischen Adelsamilie, der zunchst standesgem in Bayern eine Offizierskarriere begann,sich dann - nach dem Abschied vom Militr - als promovierter Philosoph dem Spiritismus in wissenschatlichemwie auch lebensphilosophischem Sinne zuwandte und dabei in einschlgigen Kreisen Berhmtheit erlangte, in denuniversitren Kreisen jedoch gemieden und geschnitten wurde.

    Gleichwohl, oder gerade deshalb, ehlt bis heute eine umassende Biografie, die sich mit den zahlreichen Facettenund verschiedenen Aspekten seiner Person und seines Lebens beschtigt und gleichzeitig eine Neueinordnung

    seines Schaffens und Wirkens bewirkt. Diese Arbeit soll zum einen diese Lcke in der Kulturgeschichtsschreibung zuschlieen helen, und darber hinaus ein Quellennachschlagewerk r all jene sein, die sich in Zukunt au den ver-schiedenen Gebieten der Kunst, der Literatur und der Wissenschat mit der Kulturgeschichte des ausgehenden 19.Jahrhunderts und dem Autauchen der Strmung des Spiritismus beschtigen wollen. Vergleichbar mit dem Blickau die Spitze eines Eisbergs soll die vorliegende Arbeit einen ersten Einblick in bislang unbekanntes Datenmaterialeiner subkulturellen Strmung einer ganzen Kulturepoche - der Grnderzeit und dem Historismus - geben.

    Es wurden r diese Arbeit Datenbestnde zusammengetragen, die es erlauben, eine Reihe von Persnlichkeitspro-filen genauer zu schren oder Personen aus ihrer Vergessenheit zumindest wieder in eine Position des Dmmer-lichts zurck zu bringen, um damit ein bisher wenig bekanntes, weit verzweigtes Netzwerk von Beziehungen

    kulturtragender Persnlichkeiten aus der Zeit der Entstehung der Moderne erstehen zu lassen und neu zu erassen,um es in den kommenden Jahren vielseitiger beleuchten und neu beurteilen zu knnen.

    Die Recherchearbeiten r diese Arbeit brachten eine Flle neuen Materials zutage, darunter etwa 700 Briee undnahezu die vollstndige Anzahl aller jemals von Carl du Prel verffentlichten und unverffentlichten Zeitungsarti-kel und Essays. Unter den Brieen findet sich die Korrespondenz zwischen Carl du Prel und Eduard von Hartmann(18421906), die eine jahrzehntelange wechselvolle Briebeziehung belegt. Des Weiteren finden sich Korrespon-denzen mit Hans Vaihinger (18521933) und Alexander Aksakow (18321903). So kann man aus dem Briewechselzwischen Hartmann und du Prel unter anderem lesen, dass Hartmann du Prel offenbar zunchst zu seinen astrono-misch-evolutionstheoretischen Spekulationen angeregt hatte, was diesen schlielich zum Spiritismus brachte und

    worber es spter zu einem Bruch zwischen Hartmann und du Prel kam.Bei der Entwicklung dieser ersten Annherung an den Philosophen und Seelenorscher Carl du Prel liegt derSchwerpunkt dieser Arbeit in der Konzentration au eine dokumentarische Binnensicht des Brieschreibers Carl duPrel und der Rekonstruktion seiner soziokulturellen Netzwerke, begrndet durch die Flle des Materials. Du Prelzum einen als Brieschreiber in einem Umeld von Gelehrten und Kulturschaffenden zu lesen, die sich gegenseitigin ihren Ideen beruchteten und immer neue Impulse in ihrem Schaffen gaben, gibt uns die Mglichkeit, ihm ge-nauer in seiner Entwicklung und im Werden seiner Ideen zu olgen. Gleichzeitig erhlt man einen Eindruck davon,wie er versuchte, durch seine Briekontakte au aueruniversitrem Weg Einfluss au die damalige Gelehrtenweltund einige Geistesgren zu nehmen. Zum anderen lernen wir ihn in einer Vielzahl von greren und kleineren,

    wichtigen und unbedeutenden Zeitschriten als Feuilletonist in eigener Sache kennen. Hier versucht er au direk-tem Wege Einfluss zu nehmen au bestimmte Gruppierungen der Bevlkerung. Mit der Betrachtung dieser beiden

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    Sulen seiner Wissens- und Erkenntnisvermittlung wird deutlich, dass du Prel bis in kleine Ausdifferenzierungenhinein zum Prototypen eines Wissenschatspopularisiers in Sinne Andreas Daums4wurde, auch wenn es au denersten Blick so scheint, als gebe es keine Verbindung zwischen ihm und den klassischen Popularisierern wie Ernst

    Haeckel (18341919).

    Andreas Daum schreibt in seiner Arbeit Wissenschaftpopulariserung im 19. Jahrhundert. Brgerliche Kultur,naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche ffentlichkeit 1848-1914 ber die Popularisierung der Natur-wissenschaten, dass die Vermittlungsttigkeit durchaus ein Auffangbecken r Naturorscher gewesen sei, dienicht in der Lage waren, ein Studium auzunehmen, die es abbrechen mussten oder nach dessen Beendigung nichtin qualifizierte Proessionen oder gar die universitre Laubahn einsteigen konnten.5Die nachstehende Typisierungeiner Person, die in den Bereich der populrwissenschatlichen Ttigkeit einzuordnen ist, ist in vielen Teilen mitCharakterzgen du Prels deckungsgleich.

    Die Geschichte der Populrwissenschat geht nicht in der Entwicklung des Schulunterrichts, der natur-kundlichen Vereine, der Bildungsinstitutionen und Printmedien au, Popularisierung war mehr als die quasianonyme Distribution von Wissen. Sie war immer das Werk von Menschen, die als Individuen und Grup-pen, meist eher inormell als ormell verbunden, in die Verbreitung von Wissen kontingente, aber auchgenerationstypische und kulturell bedingte Lebenserahrungen einbrachten. Die Geschichte der Wissen-schatspopularisierung ist elementar eine Geschichte der Personen, die als Bildungsvermittler autraten,ihrer individuellen und kollektiven Merkmale, ihrer wissenschatlichen, politischen und kulturellen Soziali-sation. Es ist eine Geschichte ihrer persnlichen Hoffnungen au die Wirkungskrat naturwissenschatlicherVolksbildung ebenso wie der Enttuschung ber das Misslingen der eigenen Plne.6

    Und weiter:Proessionelle Popularisierer waren in erster Linie Wissenschatsjournalisten und damit Teil eines expan-dierenden Beruseldes, das - entgegen zeitgenssischen wie spteren Negativurteilen - sozial durchausin der bildungsbrgerlichen Gesellschat verankert war. [] Mit der naturkundlichen Publizistik entstanddas quasi klassische Bettigungseld r die Wissenschatsjournalisten. Lukrativ konnte es aber wegender Kurzlebigkeit und der finanziellen Krisen vieler Organe nicht sein. Die Autoren waren au eine breitereStreuung ihrer Erzeugnisse angewiesen. Daraus ergab sich der kompilatorische und repetitive Charaktervieler ihrer Beitrge, die hufig an unterschiedlichen Orten verffentlicht wurden. Finanziell attraktivwurde die nichtnaturkundliche Tages-, Wochen- und Monatspresse, die weitaus hhere Auflagen als die

    Naturkundebltter erzielte. Sie entwickelte ihrerseits Bedar, naturkundliche Spalten zu llen. [] Aussolchen Engagements erwuchs als neue journalistische Augabe die Ttigkeit des regelmigen oder auchgelegentlichen naturwissenschatlichen Presseberichterstatters. Zu beliebten Publikationsorganen wur-den auch die groen Unterhaltungs- und Bildungszeitschriten wie ber Land und Meer, WestermannsMonatshefte und die Gartenlaube.7

    4 Daum, Andreas W.: Wissenschaftpopulariserung im 19. Jahrhundert. Brgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und diedeutsche ffentlichkeit, 1848-1914, 2., ergnzte Auflage, Oldenbourg, Mnchen 2002.

    5 Ebd.: S. 379.

    6 Daum 2002: S. 377.7 Ebd.: S. 398 ff.

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    Man findet in diesen beiden Auszgen aus Andreas Daums Arbeit so eindringliche Parallelen zu du Prel, dass manannehmen knnte, er habe sich ihn als Vorlage r diese Charakterisierung herangezogen - dabei war Carl du Prelnur Einer von Vielen, was durch die Tatsache, dass Daum ihn in seiner bersicht der Vermittler listet8, unterstrichen

    wird. Die Prototypen der ffentlichen Vermittler naturwissenschatlicher Bildung, wozu Daum Ludwig Bchner(18241899) und Ernst Haeckel (18341919) zhlt, rekrutierten sich primr aus dem Kreis der Materialisten undDarwinisten9. Carl du Prels Spiritismus, der aus dem Darwinismus heraus entstanden und von ihm als metaphysi-scher Darwinismus verstanden sein wollte, war weder den Geisteswissenschaten noch den Naturwissenschatenzuzurechnen, sondern begrndete eine experimentelle Parapsychologie. In dieser abseitigen Stellung erlaubte ersich au eine kreative Weise mit naturwissenschatlichen Methoden zu verahren, wie er es r notwendig hielt.Dieses rderte den Eindruck der Scharlatanerie bei am strengen universitren Kanon orientierten und arbeitendenWissenschatlern.

    Das zweite Kernelement dieser Arbeit wird, neben der Darstellung der Biografie und des Netzwerks, in welches sie

    eingebunden ist, die genauere Darstellung von du Prels Popularisierungsmechanismen sein.

    Carl du Prel! Wer ist das? Einschlgigen Kreisen ist er zwar durchaus bekannt. Dass du Prel aber aus der kollektivenErinnerung verschwunden ist, hat eine Vielzahl an Grnden. Der sicherlich bedeutendste ist die Tatsache, dass duPrel schon zu seinen Lebzeiten stets um die Ernsthatigkeit und die Glaubwrdigkeit seiner Wissenschat, demSpiritismus, kmpen musste.

    Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass nahezu der gesamte Nachlass du Prels im Jahre 1944 bei einem Bomben-angriff au Mnchen im Haus seiner Tochter zerstrt wurde. Seine schon zu Lebzeiten berhmte und teilweise sehrwertvolle Bibliothek okkulter und mystischer Schriten, die sich ber Bande aus vier Jahrhunderten erstreckte, wo-runter viele rhe Drucke und Erstausgaben beanden, auch Exemplare von Bchern mit persnlichen Widmungender jeweiligen Autoren, die sicherlich noch heute eine ungeheure Fundgrube von Anmerkungen du Prels enthaltenund damit einen groen Beitrag r die Du Prel-Forschung darstellen wrden, wurde schon im Jahre 1930 von HansLudwig Held katalogisiert, leider r ein Antiquariat, dass die Bnde verkaute. Zum Glck kaute Held einen Teil derBnde r seine eigene Bibliothek, die er nach seinem Tod der Mnchner Stadtbibliothek vermachte, so dass ein Teildieser Bcher nun dort zu finden ist. Allerdings konnten diese Bcher noch nicht au ihren Gehalt r die Du Prel-Forschung berprt werden.

    Diese Arbeit ist in einer siebenjhrigen Forschungsarbeit und meiner damit verbundenen Beschtigung mit duPrel entstanden. Aus der schon im Jahre 2000 meine Magisterarbeit zum Thema Carl du Prel hervorgegangen ist.

    In dieser Zeit sind von mir, weit ber Europa, von St. Petersburg bis nach Wien verstreut, ca. 700 Briee geundenworden, die du Prel an Korrespondenzpartner verschickt hat.

    Mit dieser Arbeit wird zum ersten Mal ein Kompendium von neuen Materialien in Form von Quellen, Brieenund darber hinaus eine umangreiche Bibliografie erstellt und zugnglich gemacht. Dies wurde mglich durchSichtung der Briee und umangreichen Recherchen in den Zeitschritenarchiven in Mnchen und Freiburg undvor allem in denen der sterreichischen Nationalbibliothek und der Universittsbibliothek in Wien. Diese Arbeitenthlt unter den Primrquellen eine bersicht ber die Briekonvolute und eine Austellung aller erassten Brieevon und an Carl du Prel. Des weiteren gibt sie eine bersicht ber die Zeitungen und Zeitschriten, in denen du

    8 Vgl. Daum , Andreas W.: Wissenschaftpopulariserung im 19. Jahrhundert, 2002: S. 388.9 Ebd.: S. 377.

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    Prel nachweislich verffentlichte. Der interessierte Leser und Wissenschatler wird dadurch in die Lage versetzt, mitunterschiedlichem Quellenmaterial ein Licht aus verschiedenen Blickwinkeln au Carl du Prel und sein Umeld zuweren. Dabei wird sich aber immer wieder das Bild einer von spiritistischen Spekulationen durchwebten Weltsicht

    im kaiserzeitlichen Deutschland herausschlen lassen, was einen bisher noch wenig beachteten damals aber ein-flussreichen Aspekt der Kulturgeschichte jener Epoche wieder erstehen lsst.

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    IWissenschaft(en) im 19. Jahrhundert

    Man assoziiert die Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Deutschland mit den Begriffen Grnderzeit rdie Periode der Reichsgrndung, die streng genommen mit dem Berliner Brsenkrach 1873 beendet war, und demaus dem ranzsischen entlehnten Begriff des Fin de Sicle, mit dem man gemeinhin die Periode ab 18869bis 1914beschreibt.

    Schaut man sich die kulturschaffenden Bereiche dieser Epoche an, so stt man unweigerlich au Momente, diezwischen Aubruchsstimmung, Wachstum und Zukuntseuphorie, dem Beginn der Moderne und experimentellerNeuorientierung einerseits, aber auch diffuser Zukuntsangst und Regression, Endzeitstimmung, Weltschmerz, Fas-

    zination von Tod und Vergnglichkeit, Leichtlebigkeit, Frivolitt, Dekadenz und Werteverall andererseits oszillieren.Vor allem die Kultur, die Wissenschat und Philosophie, Musik, Kunst und Literatur wurden in Deutschland im Lauedes ausgehenden 19. Jahrhunderts zu einem Schlachteld der Weltanschauungen.10

    In der Musik berwand man die tradierte Tonalitt, in der bildenden Kunst den akademischen Stil, mit neuer Farbig-keit und unterschiedlichen Wirkungen von Licht wurde experimentiert. Vor allem in den Wissenschaten konnteman sehr konkret die Krisen und das daraus neu entstehende Weltbild erahren.

    Schon whrend des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts bernahmen allmhlich die Naturwissenschaten dieFhrungsrolle in den gesellschatlichen Diskursen. Fr damalige Zeitgenossen ermglichten sie es, der Welt insgeheime Uhrwerk zu schauen11und eine ungeheure Anzahl von Rtseln zu lsen, die bis dahin noch immer derWelt des Aberglaubens und des Geheimen anheim geallen waren. Die Mathematik erlebte eine Grundlagenkrise,aus der die moderne Physik der Mengen und Systeme hervor ging. Noch bis vor kurzem beherrschte vor allem dieNaturphilosophie in weiten Teilen die Naturwissenschat und die Medizin. Die Grundlage der Naturauffassung derNaturphilosophie beruhte au der Bevorzugung der Deduktion aus allgemeinen Grundstzen vor der Induktion ausder Erahrung. Um 1850 kam es zu scharen Angriffen au die Vorherrschat der Naturphilosophie. Die als die wah-ren bezeichneten Naturwissenschatler wendeten sich strikt zu empirischer Einzelorschung hin und grenzten sichgrundstzlich gegenber philosophischer Reflexion ab, die berwiegend mit der berwundenen Naturphilosophiein Zusammenhang gebracht wurde. Eine Abneigung gegen jedwede Spekulation griff um sich. Die mechanistischeAnschauungsweise von Natur und Mensch und ein maschinenartiges Funktionieren als Erklrungsmodell wurden

    zeitweilig grundlegend r Naturwissenschat und -orschung in Deutschland.

    Jede neue tonangebende Persnlichkeit suchte mit viel Einsatz und Begeisterung, in seiner Art dem sterbendenphilosophischen Idealismus seinen Todessto zu geben, jegliche Spekulationen zu verketzern und den Weg zueinem naturgebundenen Materialismus zu ebnen.12Die Wissenschaten wurden nun beherrscht vom Primat des

    9 Im Jahr 1886 taucht der Begriff fin de sicle das erste Mal in der ranzsischen Zeitung Le Dcadente au.10 Vgl. Zigman, Peter (Hg.): Einblicke in eine sterbende ra. Das Ende des Mythos der guten alten Zeit. Universitas Comeniana XXXII,

    Bratislava 2000: S. 8-10.

    11 Zigman 2000: S. 7.12 Zigman 2000: S. 9.

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    Faktenhaten oder der Autarkie der wissenschatlichen Erkenntnis13, zu der die damaligen Naturwissenschatlergelangten. Wissenschat wurde in Bezug au den Neugewinn, den Ausbau und die Vertieung von Wissen nicht nurzu einem bedeutenden Faktor in der Hervorbringung von Kultur, sondern es wurde ber sie auch versucht, Normen

    und ethische Werte zu transportieren, indem durch sie weltanschauliche Positionen ormuliert wurden. Besondersr die Naturwissenschaten lsst sich sagen, dass diese ebenso bewusst eingesetzte als auch unbewusst gebrauch-te Strategie insoern als gelungen angesehen werden kann, da die Naturwissenschaten im Bewusstsein der breitenBevlkerung nach und nach zu einem Ansehen gelangten, wie sie es nie zuvor hatten und das bis heute anhlt. ImGegensatz zur Theologie und Philosophie, die als Dienerinnen der Volksbedrcker14jetzt mehr und mehr Ableh-nung und Verachtung ernteten, versprach man sich von den Naturwissenschaten einschneidende Verbesserungenin der allgemeinen Lebenshrung, sie sollten das Glck der Menschen berdern.

    Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden neben einzelnen Denkern und klugen Kpen ganze Massen ber dieWissenschat in Bewegung gesetzt. Die Evolutionstheorie Charles Darwins in ihren unterschiedlichen Ausprgungs-

    ormen wie dem haeckelschen Darwinismus und dem Sozialdarwinismus, aber auch die neue Marxsche wissen-schatliche Theorie ber die Gesellschatsrealitt wurden zu den grundlegenden Motoren einer neuen Wissens-gesellschat. Gleichzeitig wurde die Wissenschat zu ihrem eigenen Mythos, der sich bis heute in eine Vielzahl otunhinterragter Teilmythen differenziert, ja gar ausranst. Man kann in Karl Marx SatzDas menschliche Wesenist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble dergesellschaftlichen Verhltnisse.15auch eine Reflektion darber lesen, welche Auswirkungen diese Haltung au denmenschlichen Seelenapparat mit sich brachte. Denn solange man der Natur einen Geist innewohnen lie, hattedieser auch Wirkungskrat im Selbstbild des einzelnen Individuums, wird aber die Natur (auch die des Menschen)zu einer rein materiellen Substanz, wird auch das Selbstverstndnis des einzelnen Individuums in einen materielldeterminierten Kontext gezwngt.

    War es im 18. und rhen 19. Jahrhundert noch der naturwissenschatliche Materialismus gewesen, der die Wissen-schat vorantrieb und das Banner des Fortschritts ins Kampffeld der Wissenschat trug, mit dem Ziel eine bessereZukunt zu erringen, so war es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der noch junge Darwinismus, der als das neuewissenschatliche Paradigma galt, an dem sich von nun an viele orientierten, glaubten und au den sie hofften. Seit1863 trat in Deutschland nun der Kamp, der durch die Darwinsche Entwicklungstheorie entbrannt war, als einKamp um die Wahrheit 16, hervor.

    War die Physik zunchst nur au materielle Gegenstnde wie allende Krper, strmende Flssigkeiten und dieGestirne, also Dinge, die den mechanischen Gesetzmigkeiten unterlagen, beschrnkt, so wurde doch sehr schnell

    klar, dass es daneben noch eine weitere Dimension der Physik gab, die man Imponderabilien nannte. Der Begriffgeht wahrscheinlich zusammen mit seinem Gegenbegriff den Ponderabilien au Antoine Laurent de Lavoisier17zurck, der damit die nicht wgbaren Elementarstoffe (z. B. Lichtstoff ) von den wgbaren Grundbestandteilen vonGasen unterschied. In der Physik asste man unter anderem Wrme, Licht, Elektrizitt und Magnetismus darunterzusammen. Man konnte diese Gebiete zwar experimentell, jedoch kaum mathematisch behandeln. Es gelang

    13 Vgl. Zigman, Peter (Hg.): Einblicke in eine sterbende ra.2000: S. 9.14 Zigman 2000: S. 9.15 Aus Marx Thesen ber Feuerbach. In: Marx, Karl Engels, Friedrich: Werke, Bd. 3, Dietz, Berlin 1962: S. 533535.

    16 Zigman 2000: S. 10.17 Frz. Chemiker (17431794).

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    daher meist nur sehr unberiedigend, die zwar qualitativen, ot aber auch spekulativen Erkenntnisse ber dieImponderabilien in der Physik mit der Mechanik zu verbinden und sie auch quantitativ zu assen zu bekommen. Frall jene, die sich um eine widerspruchsreie Naturbeschreibung und eine aueinander beruhende und aubauende

    Erluterung der natrlichen Vorgnge bemhten, bildeten die Imponderabilien eine meist unberwindbare Hrdeund damit ein stetiges rgernis.

    Auch wenn sie eher den kleineren Flgel im groen Wissensbetrieb darstellten, so gab es doch auch jene, dievorsichtiger und mit greren Zweieln und gewissen Ressentiments dem Erkenntnisoptimismus, der aus dem me-chanistischen Gesamtprogramm resultierte, entgegenstanden. Anderthalb Jahre nach der Reichsgrndung kames am 14. August 1872 au der Versammlung Deutscher Naturorscher und rzte in Leipzig zu einem ffentlichenSchlagabtausch zwischen Berwortern und Skeptikern bezglich des mehr und mehr vorherrschenden Weltbildes,der sich schrittweise zu einem wissenschatlichen Eklat auswuchs. Carl Friedrich Wilhelm Ludwig (18161895),seiner Proession nach Physiologe, zog in seiner historischen Erffnungsrede eine stolze Bilanz seiner Zeit. Er wies

    au die wissenschatlichen Erolge der vergangenen Jahre hin, au die ortschreitende Allgemeinbildung im Bereichder Naturwissenschaten, au die immer grer werdende Zahl der Institute und Laboratorien und deren ebenallswachsende Zahl an Absolventen und au die immer einer werdende gegenseitige Abstimmung von Theorie undPraxis, die letzten Endes in einer glcklichen Verbindung harmonisch miteinander verschmelzen wrden.

    Die kritische Gegenrede zu Carl Ludwigs Vortrag hielt sein Kollege Emil du Bois-Reymond (18181896). Er lenkteden Blick der teilnehmenden Wissenschatler des Kongresses in die Zukunt. Ebenso wie Carl Ludwig und HermannHelmholtz18war du Bois-Reymond Schler des bedeutenden Physiologen Johannes Mller (18011858). Wie diesebemhte sich auch du Bois-Reymond darum den Beweis zu hren, dass Mllers zentrales physiologisches Konzept,das der Lebenskrat, sich als gegenstandslos erwies. Al le drei, du Bois-Reymond, Ludwig und Helmholtz, beschrit-

    ten dabei unterschiedliche Wege. Du Bois-Reymond reduzierte seine Konzentration au elektrische Phnomene,Ludwig suchte die entscheidenden Gegenargumente au Seiten der Chemie und Helmholtz konzentrierte sichhauptschlich au die Mechanik.

    Der Vortrag, den du Bois-Reymond au der Versammlung hielt, trug den Titel ber die Grenzen des Naturerkennens.19

    Auch er war der berzeugung, dass die Wissenschat mit ihrer Forschung die Grenzen des zu Erkennenden immerweiter nach auen verschieben wrde knnen, wohl aber rumte er in zweierlei Hinsicht prinzipielle Erkennt-nisschranken explizit ein. Ins Feld zog er allerdings nicht mit einer wissenschatlichen, au Zahlen basierendenErkenntnis, sondern mit einer grundstzlichen und philosophisch begrndeten Aussage. Die Erkenntnisschrankenlagen r ihn zum einen darin, dass die Wirklichkeit der Materie und der Energie nicht zu ergrnden sei und zum

    anderen, dass das Rtsel, wie aus Materie und Energie Bewusstsein entstehe, nicht gelst werden knnte. Alle er-whnten und noch offenen Fragen versah er mit einem ignoramus, wir wissen es noch nicht, lediglich diese beidenPunkte versah er ausdrcklich mit einem ignorabimus wir werden es niemals wissen20. Du Bois-Reymond bezeich-nete au der Versammlung von 1872 zwei Probleme als schlechthin unberwindbare Grenzen des Naturerkennens:

    Unser Naturerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden Grenzen, welche einerseits die Un-

    18 Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (18211894) war ein deutscher Physiologe und Physiker. Als Universalgelehrterwar er einer der vielseitigsten Naturwissenschatler seiner Zeit. Er wurde auch der Reichskanzler der Physik genannt.

    19 Vgl. Du Bois-Reymond, Emil. ber die Grenzen des Naturerkennens(1872), in: Du Bois-Reymond, Emil. Vortrge ber Philosophie

    und Gesellschaft(hrsg. von Siegried Wollgast), Philosophische Bibliothek 287, Hamburg 1974, S. 5477.20 Ebd.

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    higkeit, Materie und Krat, andererseits das Unvermgen, geistige Vorgnge aus materiellen Bedingungenzu begreien, ihm ewig stecken.21

    Die Folge seines Vortrags war eine Flut schrster und hetigster, lang anhaltender Polemik, die von Seiten derNaturwissenschatler geuert wurde. Sie traen seine uerungen besonders hart, da bis dahin noch nie zuvorvon so angesehener Warte Vorbehalte und Grenzziehungen dieser Art gegenber der, bisher als unbegrenztgeltenden Erkenntnishigkeit der Wissenschaten gezogen worden waren. So spaltete sich die Zunt in zwei Lager,von welchen das eine inne hielt und den Redner r die Erkenntnis lobten, dass es durchaus Fragen zu beantwortengebe, die nicht in das Augabengebiet der Naturorscher und ihrer Wissenschaten gehrten, sondern eine Augaber Philosophen und Theologen war. Die anderen allerdings sahen in seiner Rede nur den eigen Verrat an der Wis-senschat und, was noch schlimmer war: einen Dolchsto gegen den Fortschritt. Besonders schar fiel die Kritik desLeipziger Astrophysikers Karl Friedrich Zllner (18341882) aus, der du Bois-Reymond in einer literarischen Fiktionmit viel Pathos und mit einer mythologischen Deutschtmelei, mit der er gleichsam ein nationales Fegeeuer r

    die Nicht-Wissenschatler konstruierte, wie olgt verdammte:Er wird verurteilt, am Sedantag von der Loreley gestrzt zu werden. Und whrend er urchtlos in das un-barmherzige Getriebe der entgtterten Natur blickend, dem ignorabimus sein laboremus entgegen rut,schalt aus der Tiee das Echo oremus, und der Deliquent versinkt im mythischen deutschen Rhein.22

    Zllners Kritik mag im ersten Moment eigentmlich anmuten, griff er doch hiermit einen den Materialismuskritisch reflektierenden Wissenschatler aus schrste an, als wre er dessen erster Jnger. Doch muss man um dieKritik richtig zu verstehen, ein paar Stze mehr zu Zllners Person angeben. Zllner war ein national anerkannterAstrophysiker aus Leipzig, der in seinem Arbeitsgebiet als Koryphe galt. Zllner ging es um ein gleichberechtigtesNebeneinander von Astrophysik und Positionsastronomie. Voraussetzungen dazu waren die Allgemeingltigkeitdes Kausalgesetzes und die physikalische Homogenitt des Kosmos, was bedeutet, dass Materie berall und jeder-zeit gleich beschaffen sind. Er ging davon aus, dass das Erklren physikalischer Phnomene bedeute, sie au bereitsbekannte Eigenschaten der Materie zurck zu hren, dass die Welt allumassend durchdringbar und mit Begriff-lichkeiten kausalmechanischer Zusammenhnge zu beschreiben war.23Diese vier Grundpeiler, au denen seine Ein-heitsvorstellungen basierten spielten eine undamentale Rolle r seinen Zllnerkosmos.24Dabei spielte r ihn dasEntwicklungsprinzip, die Vorstellung einer zeitlichen Evolution des Kosmos und der Materie, eine zentrale Rolle. Erknpte damit bei Immanuel KantsAllgemeiner Naturgeschichte und Theorie des Himmelsvon 1755 an. Kant hin-ter sich lassend, sah Zllner den Kosmos allerdings als ungeschaffen und ewig an, weil er anders das Kausalprinzipnicht htte rechtertigen und logisch erklren knnen.25Er sah die Eigenschaten der Materie als eine notwendige

    Folge ihres Anangszustandes und lediglich als verschiedene Stadien ein und desselben Entwicklungsprozesses26

    21 Du Bois-Reymond , Emil. ber die Grenzen des Naturerkennens(1872), in: Du Bois-Reymond, Emil. Vortrge ber Philosophieund Gesellschaft(hrsg. von Siegried Wollgast), 1974: S. 5477.

    22 Zllner, Karl Friedrich: ber Emil du Bois-Reymonds Grenzen des Naturerkennens , in: Zllner, Karl Friedrich: WissenschaftlicheAbhandlungen, Bd. 1, Leipzig 1878: S. 289416. / Vgl. Meinel, Christoph: Karl Friedrich Zllner und die Wissenschaftskultur derGrnderzeit. Eine Fallstudie zur Genese konservativer Zivilisationskritik. Berliner Beitrge zur Geschichte der Naturwissenschaftenund der TechnikBd. 13, Sigma, Berlin 1991.

    23 Ebd.24 Vgl. Meinel , Christoph: Karl Friedrich Zllner und die Wissenschaftskultur der Grnderzeit,1991: S. 13 .

    25 Vgl. Meinel 1991: S. 14.26 Zllner, Karl Friedrich: Photometrische Untersuchungen mit besonderer Rcksicht auf die physikalische Beschaffenheit der Him-

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    an. Ab 1870 begann Zllner einen anderen Weg zu beschreiten, Auslser hierzu war eine Denkschrit, die die Deut-sche Chemische Gesellschaftzum Ausscheiden ihres Grndungsprsidenten herausgab.

    Hierin widerstrebte ihm

    die Vermischung von Wissenschat und Macht, die Imitation der gesellschatlichen Symbolik von Kapitalund Adel und die mythologisierende Proanierung religiser Formen au, die ihm als Verrat an der Wissen-schat und als der beginnende Verall Deutscher Sitte in der deutschen Wissenschat

    galt27. Fr Zllners noch traditionelles Bild des deutschen Gelehrtentum wirkte das hereinbrechende naturwis-senschatlich-technische Zeitalter mit seinem Interesse an industriell verwertbaren Ergebnissen als das Eindringenvon etwas Fremdem und Bedrohlichem in seine bis dahin reine und hehre Welt des Geistes. Die Denkschrit unddie darin beschriebenen Feierlichkeiten galten Zllner als Beweis dar, dass sich die wissenschatliche Vernuntkorrumpieren lie. Ihm ehlte ortan der philosophische Geist in der Sache und das zu Gunsten eines, in seinen

    Augen, platten Empirismus und Operationalismus, die beide blo Resultate lieern sollten und nur noch Waren-charakter besaen, entsprungen den Fabriklaboratorien zu Diensten einzig und allein einem wissenschatlichenProletariat28.

    Seine spttische Kritik entaltete sich in Zyklen: am Beginn richteten sich seine Angriffe gegen materielle Interes-sen, diese sollten mit allen Mitteln vom Gebiet der Wissenschaten ausgeschlossen bleiben. Dabei argumentierteer einleuchtend mit seiner von ihm vertretenen evolutionistischen Erkenntnis- und Morallehre. Daraus entwickeltesich schlielich in einer logischen Fortschreibung dieses Denkens seine Polemik gegen die unphilosophische undantimetaphysische Haltung der Physik und Physiologie29und schlielich olgte daraus das Anathema zum neuzeit-lichen Rationalismus, das schlielich mehr und mehr zu seinem Thema wurde und ihn im universitr-wissenschat-

    lichen Bereich zu einer Persona non grata machte, dem Spiritismus - er wurde zum Testall der Wissenschatskulturerklrt.

    Vor diesem stark vereinachten Weltbild Zllners llt die Interpretation seiner Polemik in seinem Angriff gegen duBois-Reymond in genau diese beiden Schwerpunkte seiner berzeugungen - dem Entwicklungsprinzip und seinerAblehnung der industriellen Verwissenschatlichung.

    Fr Zllner war die Rede du Bois-Reymonds nichts anderes als Augenwischerei einer Wissenschatskultur, die ihreIdeale verraten hatte, die hier ihr wahres Gesicht zeigte und nun offen zur Schau trug, wohin Eitelkeit, Materialis-mus und Spezialistentum hrte. Diese kamen in Form von Skeptizismus und Agnostizismus in die Wissenschatzurck und hrten zu einem bewussten Ausweichen vor Verantwortung.30Denn es ging hier mehr als um ein wirwerden es nie wissen in den Wissenschaten. Es ging hier um deren zukntige Form der Praxis und den Gehaltund die Aussagen ber ihren Gegenstandsbereich, es ging um ihre zukntigen Normen und um den verzweiel-ten Kamp, ihr bisheriges Ethos weiter zu tradieren. Es ging um die Rettung des drohenden Verlustes der wissen-schatlichen Einheit: der Einheit von Philosophie und Naturwissenschat, von Empirie und Erkenntnistheorie, von

    melskrper, Engelmann, Leipzig 1865.27 Vgl. Meinel, Christoph: Karl Friedrich Zllner und die Wissenschaftskultur der Grnderzeit,1991: S. 20.28 Beide Begriffe aus: Zllner, Karl Friedrich: ber die Natur der Cometen: Beitrge zur Geschichte und Theorie der Erkenntnis . 2.

    unvernd. Aufl., Engelmann, Leipzig 1872.

    29 Meinel 1991: S. 11.30 Meinel 1991: S. 44.

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    Psychischem und Materiellem, von wissenschatlicher Wahrheit und gesellschatlicher Moral. Und es ging auch umeine gewonnene politische Dimension, die Geahr lie, wieder zunichte gemacht zu werden. Dieses wir werden esnie wissen trug einen Zweiel am deutschen Volk und seinen wissenschatlichen Fhigkeiten in sich und damit griff

    es das doch erst gerade errungene Gehl von erstarkender Macht und Selbstgewissheit an. Der bohrende Zweielgewann Raum, dass die Entwicklungshigkeit des menschlichen Verstandes begrenzt war, was Zllners eigenerGrundberzeugung widersprach.

    Du Bois-Reymond hatte die Saat des Selbstzweiels und die des Zweiels an der Allmacht des Fortschritts ausge-woren und sie war au ruchtbaren Boden geallen, was die enorme Abwehrhaltung und die kritische Resonanzbezeugen.

    Weil der hetigste Angriff von einem zu diesem Zeitpunkt noch sehr angesehenen Wissenschatler gehrt wurdeund sich gegen die innovativen und neuen Wege richtete, die aus der Berliner Gruppe von Wissenschatlern derneuen Physik, Chemie und Physiologie stammten, deren Worthrer du Bois-Reymond ohne Zweiel war, war derffentliche Skandal unvermeidlich und das Schisma glitt rasch in die bewusst gehrte Antithese zur etabliertenWissenschatskultur ab.31

    In den Dunstkreis dieses Paradebeispiels eines der zentralen Wissenschatskonflikte in der zweiten Hlte des 19.Jahrhunderts llt das Wirken und Schaffen du Prels. Du Prel kann als ein sehr gutes Beispiel herangezogen werden,r jene die au Zllners Seite den Kamp gegen die Materialisten und r ihre eigene Sache kmpten.

    Du Prel schtzte Zllner und seine Arbeiten hoch und sein Buch Der Kampf ums Dasein am Himmelwar in seinerEntstehung direkt einem Werk Zllners geschuldet, nmlich ber die Natur der Cometen: Beitrge zur Geschichte undTheorie der Erkenntnis32. Dies letztgenannte war r Zllner in der ffentlichkeit ein groer Erolg, hinsichtlich seiner

    universitr-wissenschatlichen Karriere bedeutete es r ihn aber, in vielerlei Hinsicht einen weiteren Schritt ins Ab-seits zu getan zu haben. Letztlich kann r beide gesagt werden, dass sie, die Theorien, die sie, mit umso grererBeharrlichkeit nach auen vertraten, wie das Publikum schlielich bereit war, sich ebenalls innerhalb eines solchenakademischen Streits zu positionieren und berhaupt auch bereit war auerakademische Wissensangebote zurezipieren. Gunter Mann hat in diesem Zusammenhang prononciert vom monomanen Dilettantismus33 gespro-chen, der von Ausschlielichkeiten und Einengungen bestimmt sei. Diese einzelnen Gebildeten gerieten in eineRolle, in der sie ihren eigenen wissenschatlichen Standpunkt, also ihren subjektiven Glauben, zu einem zentralenErkenntnisprinzip ausrieen und damit meinten, dass geunden zu haben, was allein erlsende Erkenntnis mit sichbrachte. Sie versahen diese Erkenntnis mit einem einseitigen, dar aber universalem Anspruch und versuchtenihm in seiner Reichweite r eine ungebhrliche Ausdehnung zu sorgen. Und Andreas Daum schreibt Es gab dieunterschiedlichsten Flle privaten Weltdeutertums34. Auch er sagt weiter, das bei jenem Typ von Wissenschat-ler ein merkwrdiges Missverhltnis zwischen achlichen Spezialisierungen und der gesellschatlichen Marginali-tt ihrer Deutungen und wissenschatlichen Erkenntnis einerseits und ihrer emphatischer Forderung, den eigenenErkenntnissen universale Gltigkeit beizumessen, andererseits bestand.

    31 Meinel, Christoph: Karl Friedrich Zllner und die Wissenschaftskultur der Grnderzeit,1991: S. 11.32 Zllner, Karl Friedrich: ber die Natur der Cometen: Beitrge zur Geschichte und Theorie der Erkentnis , Engelmann, Leipzig 1872.33 Mann, Gunter: Dilettant und Wissenschaft: die Relativitt des Dilettantischen und Wissenschaftlichen , in: Biologie fr den Men-

    schen, Frankurt/Main 1983 (S. 49-72): hier S. 55.

    34 Daum, Andreas W.: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Brgerliche Kultur, naturwissenschatliche Bildung unddie deutsche ffentlichkeit, 1842-1914, 2. ergnzte Auflage, Oldenbourg, Mnchen 2002: S. 404.

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    Im weiteren Verlau der Arbeit will ich etwas genauer das Thema Wissenschatspopularisierung betrachten, dennCarl du Prel machte sich zwar Forschung und Theorie des Spiritismus zu seiner Augabe, doch seine grte Wirkungerreichte er als Popularisierer der spiritistischen Weltanschauung, die er aus seinem Blickwinkel ganz unter dem

    Dach der Wissenschaten wissen wollte, die aber von auen gesehen, dort schon nicht mehr wirklich zum Tragenkamen, sondern au einer ganz anderen Ebene, der des breiteren Bildungsbrgertums nmlich.

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    IIWissenschaftspopularisierung

    In der z weiten Hlte des 19. Jahrhunderts bekam eine Erscheinung, die in der Literatur, als PrivatgelehrtentumEingang geunden hat, einen ungeheuren Auschwung und das Universalgelehrtentum erlebte seine letzte Blte.Man knnte von einem letzten Aufflackern dieser Kategorie von Wissenschatsbetrieb sprechen, bevor sie in derFlle von sich ausdifferenzierenden, wissenschatlichen Nischenbereichen, die in der privaten Abgeschlossenheitnicht mehr lnger mglich war zu betreiben, - zumindest was ihren aktischen und reellen Beitrag hinsichtlich derWissenschat betra, unterging.

    Auch wenn nicht direkt von einer wirklichen Proession im Sinne eines Berues zu sprechen ist, ist doch im 19. Jahr-

    hundert in Verbindung mit der Vermittlung vor allem naturwissenschatlicher Zusammenhnge und Entdeckungenim weitesten Sinne, dabei von einer quasi beruflichen Ttigkeit derer zu sprechen, die dieses Metier betrieben.Andreas Daum hrt drei Merkmale an, die eine solche Aussage begrnden. Er hrt an, dass diese Menschen dieseVermittlungsarbeit zum einen zum Erwerb ihres Lebensunterhalts betrieben, zum anderen als Leistung, die manau dem reien Markt anbot, und nicht zuletzt als selbstdefinierte Beruung, eine kulturelle Leistung im Dienste derVolksbildung zu erbringen35.

    Stellt man die Frage danach, wer waren diese Vermittler, welche sozialen, kulturellen und politischen Kontextensind sie entsprungen und spiegeln wieder und welche Wege sie zu ihren letztendlich ausgehrten Ttigkeiten undBeschtigungselder hrten und nicht zuletzt wie sich ihre Beziehungen und Verhltnisse zur ordentlichen aka-

    demischen Welt gestalteten(?), so stellt sich in der derzeitigen, aktuellen Literatur zu diesem Punkt ein interessan-tes Bild ein, welches sich au du Prel nahezu in allen Aspekten bernehmen lsst. Daum wiederum schreibt dazu:

    Nicht untypisch r den popularisierenden Zugriff au die Naturwissenschaten war das Fehlen einesgeregelten Fachstudiums. Bei allem Respekt vor der achlichen Qualifikation bemhten sich die natur-kundlichen Autoren [] um die Ehrenrettung des verschmhten Dilettantismus und die Verteidigungder autodidaktischen Bildung. Bevorzugt dienten Beispiele aus der Astronomie r die berzeugung, dassauch Laien ernstzunehmende Forschungsergebnisse zu erzielen vermochten. []Es gab keinen geradlinigen Einstieg, keine gewissermaen natrliche Laubahn in das populrwissen-schatliche Genre, sei es aus dem Glauben an die eigene Bestimmung heraus oder gnstigen Offerten

    olgend. Vielmehr war der Weg dorthin ast ausnahmslos steinig und sozial wie psychologisch miterheblichen Belastungen verbunden. Er resultierte in den meisten Fllen aus einer Mischung aus Neigung,konomischer Krise und akademischer Perspektivlosigkeit, die wiederum unterschiedliche Grnde habenkonnte. In der Pionierphase der Popularisierung war die Aussicht, an einer Universitt unterzukommen,erheblich durch politische Restriktionen beeintrchtigt. Hinter der Rhetorik von der Notwendigkeit natur-wissenschatlicher Volksbildung und der Kritik am Gelehrtentum, das sich der ffentlichkeit verschliee,ging es r die berusmigen Vermittler an den Rndern der bildungsbrgerlichen Gesellschat umExistenzsicherung, Erwerbschancen und ideologische berlebenshigkeit. Es ging um die materielle und

    35 Vgl. Daum, Andreas W.: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Brgerliche Kultur, naturwissenschatliche Bildungund die deutsche ffentlichkeit, 1842-1914, 2. ergnzte Auflage, Oldenbourg, Mnchen : S. 391.

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    ideelle Behauptung in einer Bildungslandschat, die ihnen einerseits mit ihren Akademisierungs- und Pro-essionalisierungstendenzen einen Forschungsimperativ (R. Steven Turner: The Growth, 1971) entgegen-setzte, andererseits aber augrund ihres Bedars an naturwissenschatlicher Publikationsinormation und

    Weltanschauung ein immenses Bettigungseld erffnete. Aus dieser ambivalenten Situation ergaben sichdie Friktionen zur akademischen Welt und auch Spannungen innerhalb des eigenen Milieus.36

    So kann man darber hinaus sagen, dass gerade gegenber den Naturwissenschaten vor allem die noch immeran der souvernen Macht von einst hngenden Kirchen und der Staat sich distanzierend verhielten und reservierteingestellt waren, da sie um ihr bisheriges Monopol als jene rchteten, die einzig eine Autoritt in der Erklrungder Welt bereit hielten.

    Naturwissenschatliche Populrbildung wurde vorerst nur ber autonome Bildungsanstrengungen einzelner oderbestimmter Gruppen betrieben.

    Naturwissenschaten als populres Bildungsgut in der ffentlichkeit zu vertreten, wurde zu einer selbst-gesetzten Augabe der reireligisen Bewegung. Und Naturwissenschatliche Zeitschriten wurden dabeizu einem esten Bestandteil der Publizistik und differenzierten sich sehr schnell zwischen rein wissen-schatlichen Organen, bibliographisch orientierten Repertorien, reerierenden Jahrbchern und populr-naturkundlichen Zeitschriten aus.37

    Gerade der Zeitschritensektor, der zum Hauptaktionsinstrument derer wurde, die sich r die Popularisierung vonWissenschatsbereichen verdient gemacht haben, verdeutlicht die Dynamik und Vielalt ffentlicher Kommunikati-on []. Die Zeitschrit entwickelt sich bereits im 18. Jahrhundert zum paradigmatischen Medium r den wissen-schatlichen Austausch und das kritische Rsonnement [].38Schon r das Revolutionsjahr 1848 ist eine Zahl von

    beinahe 700 Zeitschriten belegt. Und bis zum Jahre 1875 wuchs diese au ber 1.960 unterschiedliche Zeitschritenan.39Und r das letzte Quartal des 19. Jahrhunderts ist parallel zur Expansionsentwicklung am Buchmarkt, ein wei-terer rasanter Entwicklungsschub im publizistischen Bereich der vor allem durch eine thematische Auffcherungder Bltter und Zeitschriten gekennzeichnet ist.40In den knapp 30 Jahren bis 1914 wchst die Zahl der Zeitschri-ten in Deutschland noch einmal exorbitant und steigt au mehr als dreimal so viele au ca. 6.420.

    Isolde Rieger schreibt ber das Ende des Jahrhunderts, dass die Tagespresse in den 90er Jahren mit der Wissen-schat vor allem durch ihre reien wissenschatlichen Mitarbeiter in steter Wechselwirkung stand.41Womit deutlichwird, dass auch die tglich erscheinende Presse au einen solch enormen stetig sich steigernden Trend im wachsen-

    36 Daum, Andreas W.: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert, 2002: S. 394.37 Ebd.: S. 339.38 Ebd.: S. 337.39 Vgl. ebd.40 Vgl. Rieger, Isolde: Die wilhelminische Presse im berblick (18881918), Pohl, Mnchen 1957; Kirchner, Joachim: Das deutsche

    Zeitschriftenwesen, seine Geschichte und seine Probleme, Teil 2: Vom Wiener Kongress bis zum Ausgange des 19. Jahrhunderts. Miteinem wirtschatsgeschichtlichen Beitrag von Hans-Martin Kirchner, Harrassowitz, Wiesbaden 1962; Koszyk, Kurt: DeutschePresse im 19. Jahrhundert, Teil II von Geschichte der deutschen Presse, Serie:Abhandlungen und Materialien zur Publizistik, 6,Colloquium-Verlag, Berlin 1966, Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918, Band I, Beck, Mnchen 1990; Wehler,Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, III. Band: Von der Deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn des Ersten

    Weltkrieges, 1849-1914, Beck, Mnchen 1995.41 Rieger 1957: S. 136.

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    den Markt der Zeitschriten reagieren musste und sich ebenso mit (natur-)wissenschatlichen Themen auseinanderzu setzen hatte. So begannen einerseits die Redaktionen, durch wissenschatliche Darstellungen das Interesse rwissenschatliche Themen bei ihren Lesern zu erwecken. Die Zeitungen begannen au diese Art, nicht unbedingt

    als erklrtes Ziel, Reklame r Wissenschat und Forschung zu machen. Gleichzeitig trugen sie zur Anhebungder allgemeinen Bildung des Volkskrpers bei und brachten den Massen die neusten Erfindungen und moderneErrungenschaten der Forschung und des Wissensbetriebs nahe. Der andere Effekt war, dass Wissenschaten anPopularitt enorm gewannen und die Publikationen, die dem Wissenschatsbetrieb entsprangen, erhielten einenenormen Zuwachs an Kenntnisnahme und Interesse. Das ging so weit, dass sich die Presse als eine eigene Gre imwissenschatlichen Betrieb etablierte und zum Beispiel im ersten Dezent des 20. Jahrhunderts als die vornehmsteFrderin der internationalen geographischen Wissenschat galt.42ein weiterer Punkt, der im Zusammenhang desweiteren Inhalts dieser Arbeit von Bedeutung sein wird, ist die Tatsache, dass ein wesentlicher Teil des euilletonis-tischen Teiles der Zeitungen und zum Teil auch der Zeitschriten auch noch in den 90er Jahren von so genannterZeitungsliteratur beansprucht wurde. Dabei handelte es sich zu meist um Fortsetzungsromane, Novellen und

    Kurzgeschichten. Viele der Romanciers und Schritsteller, die hier ihre Werke und Schriten unterbrachten, verdank-ten ihre erste zur Kenntnisnahme und den ersten kleinen, spter auch greren Ruhm ihren Publikationen in denSpalten des Feuilletons von einschlgigen Tageszeitungen.

    Man kann r den deutschsprachigen Raum eststellen, dass besonders nach Ende der 1848er Revolution vor allemdie naturwissenschatliche Berichterstattung einen besonderen Platz in den nichtwissenschatlichen Medien ge-winnt. Besonders in enzyklopdisch oder in politisch-kulturellen Zeitschriten ist ein deutlicher Zuwachs an natur-wissenschatlicher Berichterstattung zu verzeichnen. Darunter allen Fachzeitschriten, Illustrierte und Hobbybltterebenso wie Verbandsorgane, politische oder Sportzeitschriten.

    hnlich ausgreiend stellt sich im Vergleichszeitraum die Entwicklung der Zeitungspresse dar. Um 1850 gibt es imdeutschsprachigen Raum ca. 1.500 Zeitungen, am Ende der 1870er Jahre allein im Deutschen Reich ca. 2.400, und1914 sind es ber 4.200; ast die Hlte dieser Zeitungen entsteht zwischen 1870 und 1900. Die durchschnittlicheAuflage bewegt sich 1885 bei 2.600 Exemplaren, 1906 schon bei ber 6.130.43

    Nicht zuletzt erhoben die unterhaltenden Familienzeitschriten wie die Gartenlaubeseit 1853, WestermannsMonatshefteseit 1856, ber Land und Meerseit 1858 naturkundliche und hierbei meist populrwissenschatlicheBeitrge zum esten Bestandteil des redaktionellen Programms. Dies ist r die Breitenwirkung umso entscheiden-der, als den Familienzeitschriten der Durchbruch zur Massenpresse gelang und sie somit zum entscheidendenHandwerkszeug der Popularisierer und ihren unterschiedlichen Wissenschatseldern wurden.

    Will man eine idealtypische Charakterisierung, populrwissenschatlicher Zeitschriten geben, so erscheint sie alseine periodische Verffentlichung, deren zentrale Idee geleitet ist naturwissenschatliche Kenntnisse zu populari-sieren, also massentauglich unter ihre Leserschat zu bringen. Dabei werden die bei solchen Vermittlungsaugabenautretenden Probleme und die sich stellenden Hindernisse auch gezielt in Leitartikeln und Rezensionen thema-tisiert. Tendenziell deckt sie einen Groteil des naturwissenschatlichen Feldes ab und bemht sich dabei einendirekten Kontakt in Form von Interaktivitt und Kommunikation mit dem Leser.44

    42 Vgl. Rieger 1957: S. 136.43 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866 1918,Band I, Beck, Mnchen 1990: S. 708.

    44 Damals entstanden Ideen wie Einrichtung von Frageksten, den Abdruck von Leserbrieen und die Ausschreibung von Preis-augaben oder Prmien siehe: Daum , Andreas W.: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert, 2002: S. 341.

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    Im Ausgang des 19. Jahrhunderts begannen sich gleichzeitig einzelne Typen zu differenzieren und au verschiede-ne Sondergebiete zu spezialisieren; damit zerbrach das bis dahin r die jeweiligen Typen Zeitung, Zeitschrit, Fami-lienzeitschrit eher einheitlich autretende Erscheinungsbild. Besonders im Falle der Familienzeitschrit enternten

    sich mehr und mehr diejenigen Zeitschriten, die dem Bildungsniveau der oberen Klassen entsprachen und damitauch einer hheren Zahlungshigkeit der Leser reprsentierten.

    Wendet man sich dem Typus des eigentlichen Vermittlers zu, der die Zeitung, die Zeitschrit und die Familienzeit-schriten r seine Vermittlungsarbeit nutzte, dann ergibt sich auch r ihn ein hnlich konsistentes Bild. Ot istestzustellen, dass die schreibend vermittelnde Ttigkeit zu Momenten in den biografischen Verluen, in denenangestrebte Festanstellungen und erhoffte Karriereverlue sich als nicht verwirklichbar zeigten, trotz allem abereine Existenzgrundlage geunden werden musste, um den Lebensunterhalt bestreiten zu knnen.45

    Zu Eigen war dieser unzweielhat teilweise recht illuster autretenden Gruppen von proessionellen Popularisierereine, man kann sagen, gewissermaen stark ausgeprgte Krisenhatigkeit. Diese ist dahingehend zu interpretieren,

    dass sich diese im Besonderen, ganz unabhngig von den jeweiligen persnlichen Charaktereigenschaten, in einerstrukturellen Problematik zeigte. Denn mit der zumeist unreiwilligen und nur in sehr seltenen Fllen rei gewhltenAbkopplung vom etablierten, zumeist universitr beeinflussten, Wissenschats- und Forschungssystem, wurden siePopularisierer oder entschieden sich r einen unsicheren, in Teilen auch eher diffusen, Raum der Medien. DieserRaum gab ihnen zwar die Mglichkeit, sich au einem weiten Feld des Mglichen zu bettigen, ja sogar au speziel-len Gebieten zu etablieren. Au der anderen Seite bot er allerdings in keiner Weise eine existentielle Sicherheit. Trotzallem sahen sie darin ot einen Weg, in der berusmigen Bildungsarbeit erahrene Ablehnung oder Zurckwei-sungen abzuangen und zu kompensieren und blieb in vielen Fllen auch weiterhin der Grund r viele subjektiveEnttuschungen und reale Nte.46Daum schreibt dazu:

    Der Wunsch [der Vermittler], die Wissenschat r ein breites Publikum zu ffnen, wurde ot durch subjek-tive Erahrungen von Zurckstellung und Benachteiligung in der akademischen Welt hervorgeruen oderverstrkt; dieser Wunsch nahm nicht wenige antiakademische Impulse au und strkte insgesamt die Nei-gung zur diskursiven Selbstbezglichkeit und damit zur Eigenstndigkeit der entsprechenden Weltbildent-wre. Strker noch als es wirkliche Proessionen mit entsprechenden materiellen und ideellen Prmierun-gen zulieen oder wenigstens nach auen erkennbar machten, war daher der Weg in die Krrnerarbeit derPopularisierung mit Krisenerahrungen behatet.47

    Ein Effekt, der dadurch berdert wurde, war die interne Vernetzung der Popularisierer untereinander. Es kam zupersnlichen Freundschaten und in Teilen auch zu weltanschaulichen Rckversicherungen48, durch welche sich

    wiederum inormelle Gruppen bildeten, die sich in einigen geografischen Regionen hufiger anden, als sie es inanderen taten. Ein solches geografisches Zentrum r diese Gruppierungen, die sich angesichts ihrer Weltanschau-ungen und dem beruflichen Umgang damit zusammentaten, war seit den 1880er Jahren in Mnchen angesiedelt.So wurde teilweise die Vernetzung in literarischen und publizistischen Kreisen, d.h. vor allem die gemeinsameArbeit in Redaktionen und Autorenstben, wichtiger r den alltglichen Broterwerb als die ohnehin rar gestenorganisatorisch esten Bindungen an eine einzige Zeitschrit.

    45 Vgl.: Daum, Andreas W.: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert, 2002: S. 395.46 Daum 2002: S. 381 .

    47 Ebd.48 Ebd.: S. 456.

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    Daum kommt zu dem Schluss, dass

    die Geschichte der Populrwissenschat [] mithin als Ausgangspunkt dienen [kann], um die brgerlicheReligiositt im 19. Jahrhundert noch einer zu bestimmen. Zweiellos hatten popularisierte Naturvorstel-

    lungen einen entscheidenden Anteil am Prozess der intellektuellen Skularisierung49und der Ausormungneuer Skularreligionen, die sich nicht selten als szientistische Wissenschatsreligionen verstanden.50

    Und er sagt weiter,

    bercksichtigt man dazu noch den sthetisierenden Grundton populrer Schriten, ihre wissenschatskri-tischen Spitzen und ihren ganzheitlich-lebensweltlichen Elan, so erscheinen jene Charakterisierungen alsbloe Etiketten, mit denen so gerne die naturwissenschatliche Weltsicht des 19. Jahrhunderts beschrie-ben wird: Positivismus, Materialismus, Mechanismus, Reduktionismus und Utilitarismus. Die Ismen passenin die Interpretation von der Entzauberung, welche die Welt in der technisch-wissenschatlichen Epoche

    erahren hat, aber sie sind doch gnzlich ungengend. Wenn das 19. Jahrhundert die Epoche des Illusions-verlusts51war, dann unternahmen es viele populrwissenschatliche Texte, die Natur wieder in illusionrerVerzauberung erstrahlen zu lassen.52

    Die Popularisierer waren weitaus weniger materialistisch als man ihnen in ihrer vermeintlichen Funktion alsAgenten der zweiten, realistischen Kultur zumeist zubilligte. Sie waren viel idealistischer als ihre Gegner zu meistannahmen. Populrwissenschat lsst sich als geistesgeschichtlicher Typus am ehesten mit der zeitgenssischenFormel von der Vershnung von Idealismus und Materialismus53charakterisieren. Man knnte, wenn man mag,von einer Art Real-Idealismus sprechen, der sich weit weniger au Charles Darwin, Ludwig Bchner oder dieradikalen Antimetaphysiker wie David Friedrich Strau berie, als viel mehr immer noch au den Geist Humboldts,

    Goethes und Schillers.Nach diesem Versuch, das Selbst- wie das Fremdverstndnis der Popularisierer zuassen zu bekommen, behauptetDaum, war es bei aller noch brig bleibenden Heterogenitt eine relativ berschaubare Gruppe, die berusmignaturkundliche Bildungs- und Vermittlungsarbeit betrieb. Nach seiner Ansicht kann man den Kreis proessionellerPopularisierer zwischen 1848 und 1914 relativ eng ziehen. Er schreibt:

    Bercksichtigt man, dass die vorgestellte Typologie durchlssig ist und die Auswahl sich au ein einge-grenztes Wissensgebiet konzentriert, knnen in Deutschland zu einer Kerngruppe ca. 20 Personen gezhltwerden.54

    Daum zhlt allerdings du Prel hierunter nicht au. Am Ende dieser Arbeit wird deutlich geworden sein, weshalb eineAunahme du Prels in diesen Kanon von Popularisierern von Wissenschat durchaus einleuchtend ist

    49 Chadwick, Owen: The secularization of the European mind in the nineteenth century, The Gifford lecture in the University oEdingburg, 1973/74, Cambridge Univ. Press, Cambridge [u.a.] 1975.

    50 Daum , Andreas W.: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert, 2002: S. 466.51 Plessner, Helmut: Die versptete Nation. ber die politische Verfgbarkeit brgerlichen Geistes , 1. Aufl. 1959, Suhrkamp,

    Frankurt/M. 1988: S. 101.52 Daum 2002: S. 467.

    53 Hess: Populre naturwissenschaftliche Schriftsteller, 1857: S. 934; in: Daum 2002: S. 46754 Daum 2002: S. 391.

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    Auch r du Prel trifft zu, dass eine wirkliche proessionelle Forschung nicht stattgeunden hatte. Er verzichtete augngige wissenschatliche Regeln wie etwa permanente methodische berprung und terminologische Verein-heitlichung. Dieses rderte auch seine Neigung - wie die vieler Popularisierer - eigenwillige Thesen und Theorien

    zu entwickeln.Carl du Prel verffentlichte zwischen 1869 und 1899 in mindestens 70 verschiedenen Zeitungen und Zeitschri-ten: das Spektrum reichte von Mnchener und Wiener Tageszeitungen, Illustrierten und Familienblttern, berpopulrwissenschatlichen Fachblttern und stilbildenden Rundschauen hin zu philosophischen und l iterarischenMonatsblttern.

    Es wird dabei deutlich, dass im Falle du Prels Zeitungen und Zeitschriten eine mindestens ebenso wichtige Rollespielten, wie es r ihn seine Bcher taten. Im deutschen Spiritismus dagegen spielten Zeitungen und Zeitschritenebenso wie Bcher nur eine sekundre Rolle. Diese Ansicht wurde schon von du Prel und seinen Zeitgenossenvertreten und beklagt, es wurde argumentiert, dass - wie im Gegensatz zu England dazu immer betont wurde -,

    die Gebildeten als eigentliches Lesepublikum der Bewegung eher ern standen. Kurz vor der Jahrhundertwendesollen weltweit etwa 200 Zeitschriten r Spiritismus erschienen sein, davon aber nur sechs in Deutschland, wie dieim Verlag von Oswald Mutze erscheinende Zeitschrit r Spiritismus klagte:

    Die Gebildeten sind im allgemeinen skeptisch oder indifferent []. Eine k leine Anzahl giebt es allerdings,die durch die spiritistische Litteratur au die wunderbaren Dinge des Spiritismus aumerksam gewordensind. Aber auch sie wollen handgreifliche Beweise haben. Die bloe Lektre spiritistischer Schriten hatnoch niemand bekehrt, und wenn er Zeugnisse eines Zllner, eines Crookes oder anderer berhmter For-scher vor sich htte. Diese werden erst voll beweiskrtig, wenn der Leser selbst etwas ber die gewhn-lichsten physikalischen Erscheinungen hinausgehendes gesehen und erlebt hat, und wren es nur die

    einachen Hebungen und Senkungen einer Tischseite.55In diesem Stil durchziehen Klagen ber das mangelnde Interesse an den spiritistischen Verffentlichungen und -parallel dazu - ber die Organisationsverdrossenheit der Spiritisten die jeweiligen spiritistischen Publikationen undVerbandstreffen. Die Brder Friedrich und Rudol Feilgenhauer, Herausgeber derZeitschrift fr SpiritismusundOrganisatoren einer Deutschen Spiritisten-Vereinigung, besttigten, dass die Spiritisten [] wenig lesen und sichvor einer Anschaffung von spiritistischen Bchern scheuen.56Sie sagten weiter, dass die Lokalvereine zwar Leihbi-bliotheken r ihre Mitglieder einrichten, die Bcher werden aber meistens nur neugierigen oder neu eintretendenMitgliedern gelesen, aber selten studirt. Da die spiritistische Bewegung schlecht organisiert und am wissenschat-lichen Studium desinteressiert sei, so die Schlussolgerung von Rudol Feilgenhauer, sind die Werke eben [preislich]

    in die Hhe geschraubt und deshalb leidet der spiritistische Buchhandel so darunter. Auch der olgende Rat desAdress-Buchs vereinter Wahrheits-Sucher57von 1896 wies darau hin, was die Schwierigkeiten waren, mit denen

    55 Proessor Dr. Z.:Zur Verbreitung des Spiritismus, in:Zeitschrift fr Spiritismus, Somnambulismus, Magnetismus, Spiritualismusund verwandte Gebiete 5, 1901: S. 129130; abgedruckt in: Linse, Ulrich. Das Buch der Wunder und Geheimwissenschaften. Derspiritistische Verlag Oswald Mutze in Leipzig im Rahmen der spiritistischen Bewegung Sachsens, in: Lehmstedt, Mark u. AndreasHerzog (Hg.): Das bewegte Buch. Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900 [Leipziger Arbeitskreiszur Geschichte des Buchwesens Bd. 12], Harrassowitz, Wiesbaden 1999: S. 222 .

    56 Von der spiritistischen Bewegung. Der vierte deutsche Spiritistentag (Fortsetzung und Schlu). In: Zeitschrift fr Spiritismus12,

    1908, S. 250; abgedruckt in: Linse 1999: 222 .57 Engel, Leopold:Adress-Buch vereinter Wahrheits-Sucher, beteiligt Engel, Leopold u. Rahn, Max, beigegtes Werk: vereint mit

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    du Prel sein ganzes Leben ber zu kmpen hatte, weil er grundstzlich eine Gruppe, nmlich die Gebildeten mitseinem Medium, dem Schreiben, ansprechen wollte, jene ihn aber nicht lasen, weil sie ihn meist nicht als adquatgenug ansahen. Die Gruppe, die anzusprechen vielleicht gewesen wre, aber mit seinem Medium, dem Schreiben

    nicht zu erreichen war, fiel dabei durch die Maschen. DasAdress-Buch fr Wahrheits-Sucher wies darau hin: Sehrzu empehlen ist die Grndung von Lesezirkeln seitens der Vereinigung58Diese Verhltnisse waren nicht geradeAuflagen rdernd.

    Dass er am Ende der bedeutendste Vermittler des deutschen Spiritismus wurde, verdankte er letztlich mehrerenUmstnden, denen wir au den vergangenen Seiten begegnet sind. Zum Einen der Enttuschung, nach einemautodidaktischen Studium vom Armeeausbilder nicht zum Dozenten austeigen zu knnen. Zum Anderen derTatsache, dass er mit einem breiten Wissens- und Wissenschatsnetz ber viele Jahre in Kontakt stand und darauzurckgreien konnte, welches sich vor allem aus Philosophen, Naturwissenschatlern, Knstlern und Schritstellernzusammensetzte. Und letztlich der Tatsache, dass er ber lange Zeitrume es verstand die Brotschritstellerei mit

    seinen eigenen wissenschatlichen Arbeiten zu verbinden und das eine, zumindest in Teilen, mit dem anderen zufinanzieren.

    dem Adress-Almanach okkultistischer Vereine und Zeitschriten, Baumann, Bittereld [1896].

    58 Adress-Buch vereinter Wahrheits-Sucher. Hrsg. von Leopold Engel. Vereint mit dem Adress-Almanach okkultistischer Vereineund Zeitschriten. Hrsg. von Max Rahn. Baumann, Bittereld 1896.

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    IIICarl du Prel Lebenslauf

    1.1839 bis 1880

    i. Die frhen Jahre

    Carl du Prel entspross einer begabten, adeligen Beamtenamilie. In Landshut im Jahr 1839 als ntes von achtKindern59geboren, zog die Familie kurz nach seiner Geburt nach Mnchen um. Der Vater, Maximilian Freiherr vondu Prel (18001882) war kniglicher Advokat und mit der aus polnischem Adel stammenden Anna Sandrezcky(18041884) verheiratet. Ursprnglich entstammten die du Prels einem alten burgundischen Adelsgeschlecht,lebten aber schon seit mehreren Generationen in Bayern.

    Wie in den gehobenen Kreisen jener Zeit blich pflegte man Verbindungen mit Gren des damaligen Zeitgeistes,so stand die Familie mit dem Philosophen Ludwig Feuerbach (18041872) und dem Philologen Friedrich WilhelmThiersch (17841860) in Kontakt, letzteres belegen einige 185053 geschriebene Briee60. Ein Jugendreund desVaters war der Dichter August von Platen (17961835).61Von Carl du Prels Mutter Anna ist ein Brie62an den Schrit-

    steller und Philosophen Friedrich Theodor Vischer (18071887) nachweisbar, den sie, angeregt von einem Artikelvon Vischer, ihm 1871 schrieb. Diesem legte sie einen von ihr verassten Ausatz63bei, den sie unter Pseudonymverffentlichen wollte.

    Zunchst ging Carl du Prel wie andere aus seiner Familie vor ihm in den Jahren 18531857 au die knigliche Pa-gerie64. Diese bayerische Eliteschule an der Mnchener Residenz galt seinerzeit als Zeichen eines hohen Bildungs-standes, denn dessen Zugang war nur der Elite des Adels vorbehalten.65In ihr sollten die Schler (Pagen) von

    59 Carl hatte drei Brder und vier Schwestern; Walther du Prel starb 1870 im Deutsch-Franzsischen Krieg; Friedrich du Prel wur-de bayerischer Kammerherr und Regierungsreerent in Augsburg; zwei der vier Schwestern, Eugenie und Franziska, wurdenOrdensrauen im Orden der Salesianerinnen im Elsass.

    60 Sign.: Thierschiana I 87. Prel, Max[imilian] du. In: Bayerische Staatsbibliothek, Mnchen.61 Vgl.: Du Prel, Carl:August Graf v. Platen. Erinnerungen eines Jugendfreundes, in: Morgenblatt der Deutschen Zeitung, Nr. 181 v.

    4.7.1872: S. 12. Der Artikel war beim Druck unterzeichnet mit ??; tatschlicher Verasser war Maximilian du Prel, Carls Vater.62 Sign.: Md 787/779, Universittsbibliothek Tbingen.63 Vor dem Hintergrund des Deutsch-Franzsischen Kriegs schrieb sie ein Feuilleton, das einer die Frankreich und die Franzosen

    verunglimpenden Hetzschrit sehr nahe kommt.64 Zur Pagerie: Waldenels, Otto Freiherr von. Unter Mitarbeit von Carl August Gra von Drechsel: Die Edelknaben der Churfrstlich

    und Kniglich Bayerischen Pagerie von 17991918, Otto Freiherr von Waldenels, Mnchen 1959.

    65 Fn Familienmitglieder besuchten diese Eliteschule, die von 1799 bis 1918 existierte: Carl du Prels Vater und ein Onkel (Karl17941834), er selbst, ein Bruder (Friedrich), und ein Neffe (Maximilian).

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    ausgesuchten Offizieren au eine Offizierslaubahn in der bayerischen Armee vorbereitet werden.66

    Zwar olgte du Prel nach Absolvierung dieser Eliteschule der Familientradition und studierte Jura, doch bei derKriegsgeahr671859 brach er sein Studium nach zwei Semestern ab und meldete sich bei der Armee68. Trotz Ausblei-

    bens des Kriegs blieb er dort und wurde als kleinster Leutnant der Armee69Ausbilder r den Mannschatsunter-richt.

    Auerhalb der Kaserne gehrte du Prel einem schngeistigen Kreis an, der gerne diskutierte und philosophierteund in den Sommermonaten in den Bergen ausgedehnte Wanderungen unternahm: 1866 nach Montenegro, 1873durch Italien. Sehr wahrscheinlich angeregt von seinen Freunden Heinrich No (18351896) und Martin Grei (ei-gentl. Hermann Frey 18391911), die eine Schritstellerlaubahn einschlugen, arbeitete du Prel um 1867 whrendseiner Armeezeit an einem Roman, der jedoch unvollendet blieb.70Bis zu seiner Hochzeit im Jahr 1880 verbrachteer ast jedes Jahr Wochen wenn nicht Monate wandernd in den Bergen und lebte auch einige Jahre mit einigendieser Freunde in einer Art Wohngemeinschat in Brixen. Spter hielt er sich nur noch schreibend zur Sommerri-

    sche in den Bergen au. Dieser rh gebildete Kreis spiegelte in der Zusammensetzung du Prels Interesse an Kunstund Literatur wider, denn der Kreis bestand neben dem Dichter und Dramatiker Martin Grei, dem Philologen,Bibliothekar und Reiseschritsteller Heinrich No, aus dem Kunsthistoriker Adolph Bayersdorer (18421901), demKomponisten Robert von Hornstein (18331890)sowie den Malern Wilhelm Trbner (18411917) und Hans Thoma(18391924), ebenso gehrten ber viele Jahre auch der Kunsthistoriker Robert Vischer71(18471933) und derMedizinhistoriker Theodor Puschmann (18441899) dazu.72Nicht wenige dieser Persnlichkeiten haben sich sptereinen Namen gemacht und zhlten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu Mnchens bzw. Wiens Prominenz. Pusch-mann wurde ordentlicher Proessor r Medizingeschichte in Wien und Mitglied der angesehenen deutschen Aka-demie der Naturorscher Leopoldiner. Bayersdorer, der eng mit Arnold Bcklin bereundet war, wurde als einer der

    einflussreichsten Kunsthistoriker seiner Zeit Konservator der Pinakothek und auch Kunstberater des FrstenhausesLiechtenstein. Wilhelm Trbner gehrte zunchst dem sogenannten Leibl-Kreis, dann der Mnchner Secession an,spter wurde er Kunstproessor und Akademiedirektor in Karlsruhe. Hornstein hatte von 1855 bis 1860 lebhatenUmgang mit dem von du Prel hoch verehrten, in spteren Jahren allerdings auch respektvoll kritisierten ArthurSchopenhauer in Frankurt am Main, berdies war er mit Richard Wagner, Gottried Semper und anderen bedeu-tenden Persnlichkeiten bekannt. No galt zu seinen Lebzeiten zeitweise als der beste deutsche Reiseschritsteller

    66 Aus einer Statistik geht hervor, dass zwischen der Grndung im Jahre 1799 und dem Jahr der Schlieung 1918 aus den 590Schulabgngern der Pagerie 290 aktive Militrs, hiervon 46 Generle hervorgingen. Vgl. Waldenels 1959.

    67 Bayern berchtete whrend des Sardinischen Krieges einen Einmarsch der ranzsischen Armee unter Napoleon III. DerKrieg wurde 1859 zwischen dem Kaiserreich sterreich und dem Knigreich Piemont-Sardinien und dessen VerbndetenFrankreich gehrt und erffnete durch die Niederlage der sterreicher den Weg zur Einigung Italiens.

    68 Im Mnchener Kriegsarchiv liegt unter der Nummer Nr. 20795 die Akte Karl du Prel, Rubrik OP (Offizierspersonalakten).69 Mensi-Klarbach, Alred von: Nekrolog, in: Biographisches Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog, Berlin 1900: S. 152.70 Vgl. undatierten Brie Carl du Prels an Adolph Bayersdorer von ca. 1867. Dieser sowie alle weiteren Briee, aus denen in

    dieser Arbeit zitiert wird, sind soern nicht extra erwhnt im Anhang vollstndig abgedruckt.71 Sohn von o.g. Friedrich Theodor Vischer.72 Zur weiteren Erorschung des Kreises siehe Martin Greis Nachlass (Universittsbibliothek Mnchen). Ein groer Teil des

    Bayersdorer-Nachlasses befindet sich in der Pinakothek, Mnchen; ein weiterer Teil in Besitz der Enkelin von Bayersdorer inStockdor bei Mnchen. Siehe dazu auch: Kss, Siegried: Der heimliche Kaiser der Kunst: Adolph Bayersdorfer, seine Freunde u.

    seine Zeit, Mnchen 1987. Betreffend Hans Thoma siehe seine Autobiografie Im Herbste des Lebens, Mnchen 1909. BetreffendRobert von Hornstein: Memoiren, herausgegeben von Ferdinand von Hornstein, Sddeutsche Monatshete, Mnchen 1908.

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    und Naturschilderer des Alpenraums. Und Grei wurde ein erolgreicher Dichter und Dramatiker, dessen Stcke auvielen deutschsprachigen Bhnen gespielt wurden.

    Damals in der Mitte der 1860er Jahre tra man sich regelmig in einem Mnchner Ca, wo man ber Kunst und

    Philosophie - besonders ber Schopenhauer - diskutierte. Diverse Briee von du Prel geben Hinweise au kleinereNovellen und Kurzgeschichten, die er geschrieben hat, aber unverffentlicht blieben. Einer seiner ersten Briee anHartmann enthielt einen kurzen Auszug einer unverffentlichten Novelle und damit eines der wenigen erhaltenenrhen Beispiele seiner schritstellerischen Ttigkeit. Sie trug den ArbeitstitelAus dem Jahre 1866.DieAllgemeine

    Zeitung druckte im Frhjahr 1869 du Prels Novelle Drei seelige Tage. Das blieb allerdings die einzige Kurzgeschich-te in seinem literarischen Schaffen, die verffentlicht wurde.

    Robert von Hornstein beschrieb in seiner Biografie73die Stimmung in dem Kreis der Freunde zu Beginn ihrerBekanntschat:

    Ein gewisser Sturm und Drang ging durch diese seltsame Gesellschat. Keinem war es ganz wohl in seinerHaut. Jeder strebte nach einer Anerkennung, die ihm bis dahin versagt war. No lag als Schritsteller nochin den Windeln. Baron du Prel war noch mehr Offizier als Philosoph. Martin Grei hatte angeangen zudichten. Ich hatte gerade angeangen, mir einen Namen zu machen. Es war noch nicht weit her damit. Wirwaren ausgesprochene Pessimisten.74

    Entsprechend gab sich die Gruppe annglich den Namen die Hoffnungslosen75.

    In manchem Brie76sprach du Prel von seinem grblerischen und nachdenklichen Naturell, das ihn zu Fragen nachdem Sinn der Religion, der Geschichte und Entwicklungsgeschichte der Welt und des Menschen anregte. Antwor-ten suchte er in den Schriten Kants und Schopenhauers.

    Glcklich noch Derjenige, der in seinem Drange nach Erkenntni den Gegenstnden einer eingeschrnk-

    73 Hornstein, Robert von: Memoiren, herausgegeben von Ferdinand von Hornstein, Sddeutsche Monatshete, Mnchen 1908.74 Hornstein 1908: S. 394./ Bei Martin Grei hrte dies (Ende der 1860er Jahre) sogar zu einem mehrmonatigen Auenthalt in

    einer Nervenheilanstalt und bei Bayersdorer zu Studienabbruch, Schreibblockaden und teilweise monatelangem Rckzug.Wilhelm Steinhausen, ein Freund von Bayersdorer, schrieb in seinen Memoiren: Du Prel sagte mir einmal, da ihn das Lesender Selbstbiographie Jean Pauls mehrmals von einem verzweielten Schritt bewahrt habe. Vgl.: Kss, Siegried: Der heimlicheKaiser der Kunst: Adolph Bayersdorer, seine Freunde u. seine Zeit, Mnchen 1987: S. 107.

    75 Ebd.76 Carl du Prel an Eduard von Hartmann, 21.10.1869: [Es] ehlt an den Nerven. Carl du Prel an Eduard von Hartmann,

    3.10.1872: Was mir ehlt ist nervse Reizbarkeit, die brigens hereditr ist und Appetitlosigkeit. Carl du Prel an Eduard vonHartmann, 18.10.1872: Ich wei, da mir die Ruhe des Familienlebens das Zutrglichste wre; es wrde mir einen Gravita-tionspunkt geben, der mir ehlt. Carl du Prel an Eduard von Hartmann, 1.5.1877: Ich bin ganz und gar arbeitsunhig, wieimmer bei Sorgen und Verdrielichkeiten. Du Prels Stimmungen konnten stark schwanken zwischen Ruhelosigkeit, schwererMelancholie und Apathie, was dazu hrte, dass er mitunter monatelang arbeitsunhig war und nichts zu Papier brachte.ber ein besonderes Gegenmittel schrieb er in einem Brie an Eduard von Hartmann am 18.10.1872: Die Psyche [] muich vor jedem unangenehmen Lutzug bewahren; das ist mir angeboren und wird wohl auch nicht mehr anders. Ich wei,da mir die Ruhe des Familienlebens das Zutrglichste wre; es wrde mir einen Gravitationspunkt geben, der mir ehlt. Carldu Prel an Julius Bahnsen, 8.6.1877 (SUB Hamburg, NL Bahnsen, Sign: 2/D106): Ich werde noch ein paar Tage hier bleiben,dann aber ins Gebirge vermuthlich nach Klagenurt, reisen, um meine etwas angestrengten Nerven wieder ausruhen zulassen. Zwischen Wald, Wasser und Einsamkeit [werde] ich hoffentlich auch wieder arbeitshig werden, was ich seit Jahrnicht mehr bin.

    34 | CARL DU PREL LEBENSLAUF

  • 5/21/2018 Carl Du Prel

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    34 | CARL DU PREL LEBENSLAUF

    teren Sphre der Wissenschat so viel Interesse abzugewinnen wei, da sie ihn dauernd esseln; glcklichDerjenige, welchem die Bewunderung der so sehr gehaltreichen und beachtenswerthen Gegenstnde derErscheinungswelt nicht zur Verwunderung ber das Daseyn der Welt kommen lt!77

    ii. Der BundArkas

    Um das Jahr 1870 beginnt eine Umorientierung einiger Mitglieder des Freundeskreises, in deren Folge es beimanchen auch zu beruflichen Neuorientierungen kam. Martin Grei war wie du Prel zunchst beim Militr, wosie sich in der Garnison in Germersheim kennen lernten, er verlie die Armee, konzentrierte sich au das Dichten,arbeitete an seinem ersten lyrischen Band und schrieb Feuilletons r einige sddeutsche und bald r WienerZeitschriten und Zeitungen; Adolph Bayersdorer brach sein kunsthistorisches Studium ab und versuchte sich als

    reier Autor, Kurator, Kunstvermittler und -berater. Auch du Prel strebte nach Vernderung und begann mehr undmehr seine philosophischen Ansichten zu strukturieren. Gemeinsam strebten sie ortan nach Erolg, was auch eineVernderung des Freundeskreises mit sich brachte: hnlich einer Loge wurde die Gruppe nun institutionalisiert undmit einem Regelwerk versehen. Der Freundeskreis wurde nun wie eine Art Geheimbund geschlossen und neue Mit-glieder wurden nur koopti