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Univerzita Palackého v Olomouci Filozofická fakulta BAKALÁŘSKÁ PRÁCE Lucie Flámová Reaktionen auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten in der deutschsprachigen Presse der Tschechoslowakei Katedra germanistiky Vedoucí bakalářské práce: Mgr. Milan Horňáček, PhD. Olomouc 2015

BAKALÁŘSKÁ PRÁCE - Theses...März 1930 Heinrich Brüning ernannt. Auf Grund des Artikels 48 der Weimarer Verfassung4 bekam er von Hindenburg die Vollmacht und konnte ohne den Reichstag

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Univerzita Palackého v Olomouci

Filozofická fakulta

BAKALÁŘSKÁ PRÁCE

Lucie Flámová

Reaktionen auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten in der

deutschsprachigen Presse der Tschechoslowakei

Katedra germanistiky

Vedoucí bakalářské práce: Mgr. Milan Horňáček, PhD.

Olomouc

2015

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Prohlášení

Prohlašuji, že jsem diplomovou práci vypracovala samostatně a uvedla v ní

předepsaným způsobem všechny použité prameny a literaturu.

V Olomouci, dne 14. 8. 2015 Podpis:

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Poděkování

Na tomto místě bych ráda poděkovala panu Mgr. Milanu Horňáčkovi, PhD. Za

odborné vedení, ochotu, vstřícnost a mnoho cenných rad při vypracování této

bakalářské práce.

Dále bych také ráda poděkovala Národní knihovně České republiky v Praze,

jmenovitě paní Mgr. Karolíně Košťálové, za poskytnutí kopií novin Selbstwehr a za

její ochotu a pomoc při hledání vhodných novin ke zpracování mé práce.

Poděkování patří také Vědecké knihovně v Olomouci, především paní Aleně

Jurníčkové a ostatním pracovníkům oddělení vázaných novin, za jejich vstřícnost

a zpřístupnění výtisků novin Volkswacht i v době uzavření knihovny.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung .............................................................................................. 5

2. Weimarer Republik ............................................................................... 6

2.1. Politisches System .............................................................................. 6

2.1.1. Hindenburg zum Reichspräsidenten ........................................ 7

3. Nationalsozialistische Partei Deutschlands ........................................... 8

3.1. Der Hitler-Ludendorff-Putsch ............................................................ 9

3.2. Erste Erfolge der NSDAP ................................................................ 10

4. Niedergang der Weimarer Republik ................................................... 12

4.1. Brünings Regierung ......................................................................... 12

4.2. Hitlers Weg zur Machtergreifung .................................................... 13

4.2.1. Präsidentenwahlen 1932 ......................................................... 13

4.2.2. Reichstagswahlen 1932 .......................................................... 15

4.2.3. Die Regierung Papens ............................................................ 16

5. Die Machtergreifung Hitlers ............................................................... 17

5.1. Hitler zum Reichskanzler ................................................................. 17

5.1.1. Hitlers erste Schritte als Reichskanzler .................................. 18

5.2. Reichstagsbrand ............................................................................... 18

5.3. Reichstagswahlen 1933 .................................................................... 21

5.4. Die totalitäre Diktatur Hitlers .......................................................... 22

5.4.1. Röhm-Putsch .......................................................................... 23

6. Die Reaktion der Presse auf die Machtergreifung Hitlers .................. 25

6.1. Die Charakteristik der ausgewählten deutschsprachigen Presse ..... 26

6.1.1. Prager Tagblatt ....................................................................... 26

6.1.2. Deutsche Zeitung Bohemia .................................................... 26

6.1.3. Volkswacht ............................................................................. 26

6.1.4. Selbstwehr .............................................................................. 27

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6.2. Die Themen der Zeitungsartikel zum politischen Geschehen

in Deutschland ......................................................................................... 27

6.2.1. Hitler als Reichkanzler und der Neuaufbau der Regierung

Deutschlands .................................................................................... 28

6.2.2. Der preußische Landtag ......................................................... 32

6.2.3. Der Kampf gegen die KPD und SPD, Schlägereien auf den

Straßen .............................................................................................. 35

6.2.4. Vierjahresplan und Marxismus .............................................. 39

6.2.5. Der Reichstagsbrand .............................................................. 42

6.3. Selbstwehr ........................................................................................ 46

7. Resümee .............................................................................................. 54

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1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Reaktionen der unterschiedlich politisch

orientierten Zeitungen auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre

1933. Zeitlich wird die Analyse ungefähr auf ein Monat beschränkt. Als Anfang wird

die Ernennung Hitlers zum Reichkanzler am 30. Januar 1933 und als Ende das

Reichstagsbrand am 27. und 28. Februar 1933 genommen. Zur Analyse werden vier

auf dem Gebiet der Tschechoslowakei herausgegebene Zeitungen gewählt. Es geht

um das demokratisch-liberale Prager Tagblatt, die national orientierte Deutsche

Zeitung Bohemia, die linksorientierte Volkswacht und die jüdische

Wochenzeitschrift Selbstwehr.

Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil enthält die Einführung in

den historischen Hintergrund, der zum Verständnis aller Umstände wichtig ist. Man

muss zuerst die politische und gesellschaftliche Situation in der Weimarer Republik

kennen, die für den Aufstieg Hitlers und der Nationalsozialisten in Deutschland

wichtig war. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war nicht das einzige

Ereignis, dank deren die Nationalsozialisten später zur Macht kamen. Es gab viele

Umstände, die den Weg an der Spitze des Reiches „erleichterten“ und sich später für

Hitler und die NSDAP als günstig zeigten.

Im zweiten Teil werden kurz die einzelnen Periodika vorgestellt, die zur

Analyse der Reaktionen auf das politische Geschehen in Deutschland gewählt waren.

Es wird etwas zu ihren Geschichte, politischen Orientierung und Periodizität gesagt.

Der dritte Teil befasst sich dann mit der Analyse der konkreten Artikel, die

auf die Machtergreifung Hitlers reagieren. Aus dieser Analyse wird abgeleitet, wie

sich die unterschiedlich orientierte Presse zur Machtergreifung Hitlers stellte.

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2. Weimarer Republik

Nach dem für das Deutsche Reich verlorenen Ersten Weltkrieg wurde am

9. November 1918 das Kaisersystem durch die Ausrufung der Republik beendet. Das

Deutsche Reich war nach dem Krieg erschüttert, nicht nur aus dem Grund, dass alle

Deutschen lange glaubten, dass sie den Krieg gewinnen werden, sondern auch

deshalb, weil die Republik mit großen ökonomischen, sozialen und wirtschaftlichen

Problemen kämpfen musste. Seit dem Abschluss des Versailler Vertrages am

28. Juni 1918 war die Wirtschaft der Republik für lange Jahre mit großen

Kriegsreparationen belastet, die deutsche Armee in der Zahl der Soldaten und in der

Ausrüstung begrenzt und die Deutschen waren von den anderen Mächten als schuld

am Ausbruch des Ersten Weltkriegs verurteilt. Das alles bedeutete für die Deutschen

eine große Erniedrigung und sie waren mit diesen Bedingungen alles andere als

zufrieden.

2.1. Politisches System

Die Republik war von Anfang an auch politisch unstabil. Nach Sebastian Haffner

kann man die Entwicklung und Existenz der Weimarer Republik in drei

unterschiedliche Perioden teilen. In der ersten Periode von der Gründung bis 1924

glaubte man an das Scheitern der Republik. Diese Zeit war durch verschiedene

Putsche von rechts und links, schnell wächselnde Regierungen, Belastung durch die

Reparationen und Inflation geprägt. Die zweite Periode (1925 – 1929) wird oft als

die goldenen zwanziger Jahre, die Jahre der Stabilisierung und des Wohlstandes

bezeichnet. In der dritten Periode (1930 – 1932) erlebte die Republik die größte

Krise der Demokratie, während dessen sich ebenfalls die Machtübernahme durch die

NSDAP abzeichnete.1

Das politische System wurde in der Weimarer Republik zunächst v. a. von

drei Parteien bestimmt, die sich zur Weimarer Koalition zusammenschlossen. Es

handelte sich um die Sozialdemokratie (SPD), die Deutsche Demokratische Partei

(DDP) und das Zentrum. Nur diese drei Parteien unterstützen die Republik als Ersatz

1 Haffner, Sebastian: Von Bismarck zu Hitler: Ein Rückblick. München: Kindler, 1987, S. 203.

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für die Monarchie und akzeptierten ihre Verfassung. Aber auch innerhalb dieser

Parteien waren Politiker, die mit dieser Staatform nicht einverstanden waren. Wegen

der Meinungsuneinigkeit zwischen den Politikern verlor die Weimarer Koalition die

Mehrheit in der Nationalversammlung bei den ersten Reichstagswahlen 1920.

Die Sozialdemokraten bußten fast die Hälfte ihrer Sitze ein, die beiden

bürgerlichen Parteien verloren ebenfalls zahlreiche Mandate, und die

Rechte wurde wieder so stark, wie sie eigentlich immer gewesen war.

Das bedeutete, daß es in der ganzen Zeit, die nur folgte, nie eine stabile

Regierung gab. Es gab Minderheitsregierungen der bürgerlichen Mitte,

es gab manchmal Versuche großer Koalitionen von der SPD bis zu den

Rechtsliberalen, die sehr schnell wieder auseinanderfielen.2

Die stärkste Partei nicht nur der Weimarer Koalition, sondern auch der

Weimarer Republik war die SPD. Sie präsentierte sich immer als eine typische

republikanische Partei, aber unter der Regierung Wilhelm II. neigte sie innerlich zur

Monarchie.3 Ihr Vorsitzender Friedrich Ebert versuchte im November 1918 noch die

Monarchie zu retten, aber als es misslang, wollte die SPD die Monarchie mit ihren

ursprünglichen Zügen, aber offiziell als Republik weiterführen. Diese Idee einer von

der Sozialdemokratie geführten Republik setzte sich aber nicht durch.

2.1.1. Hindenburg zum Reichspräsidenten

Die Veränderung kam erst nach dem Tod des Präsidenten Eberts 1925. Zum ersten

Mal wurde der Reichspräsident von dem Volk gewählt. Im zweiten Wahlgang wurde

der Kandidat der deutschnationalen Parteien Paul von Hindenburg, Feldmarschall

aus dem Ersten Weltkrieg, gewählt. Auf Grund dessen, dass Hindenburg auch von

den alten Schichten des Kaiserreiches als eine anerkannte Persönlichkeit respektiert

war, entschied sich die bis dato Demokratie ablehnende Deutschnationale

Volkspartei, sich an der Regierung der Republik zu beteiligen. Zwischen den Jahren

1925 und 1928 regierte in der Weimarer Republik eine rechte Koalition aus Zentrum,

Deutscher Volkspartei und den Deutschnationalen, die auch eine ganz gute

2 Haffner, Sebastian: Von Bismarck zu Hitler: Ein Rückblick. München: Kindler, 1987, S. 205

3 Ebd., S. 206.

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Unterstützung im Reichstag hatte. Die Republik war relativ stabil, die wirtschaftliche

Situation verbesserte sich und die Inflation, mit der der Staat früher kämpfte, wurde

auch unter Kontrolle gebracht.

Die Stabilität der Republik war aber bald durch mehrere Probleme

beeinträchtigt. 1928 verlor die regierende Rechtkoalition bei den Reichstagswahlen

ihre Mehrheit. Zur Macht kamen wieder die Sozialdemokraten mit den

Rechtsliberalen, die schwach und uneinig waren. In dieser Zeit starb auch Gustav

Stresemann, eine Schlüsselfigur der regierenden Koalition und zum neuen

Reichskanzler wurde am 30. März 1930 Heinrich Brüning ernannt. Auf Grund des

Artikels 48 der Weimarer Verfassung4 bekam er von Hindenburg die Vollmacht und

konnte ohne den Reichstag regieren.

Im Oktober 1929 brach die Weltwirtschaftskrise aus, die die Unstabilität der

Republik noch vergrößerte. Im Juli 1930 löste Brüning den Reichstag auf und für den

September wurden die Neuwahlen ausgeschrieben. Niemand erwartete, dass auf der

politischen Szene eine ganz neue Partei erscheint. Die während der Regierung

Hindenburgs zersplitterten Nationalsozialisten Hitlers wurden jetzt aber zur

zweistärksten Partei der Republik.

3. Nationalsozialistische Partei Deutschlands

Die Geschichte der Nationalsozialisten und das politische Engagement Hitlers

reichen viel weiter als ins Jahr 1930. Im Jahre 1919 wurde in München die Deutsche

Arbeiterpartei von Anton Drexler gegründet. Diese Partei war gespalten, weitgehend

unbekannt und nicht erfolgreich. Am 12. September 1919 besuchte Adolf Hitler ihre

Versammlung zum ersten Mal und nach einiger Zeit entschied er sich, Mitglied der

Partei zu werden.

4„Dieser Artikel ermöglichte es dem Staatsoberhaupt, im Falle eines von ihm selbst nach Gutdünken

zu bestimmenden Notstands, das Gesetzgebungsrecht des Reichstags durch Notverordnungen zu

umgehen. Das Recht der Reichstagsauflösung besaß der Reichspräsident ohnehin; falls der Reichstag

seine Notverordnungen rückgängig machte, konnte er ihn also jederzeit auflösen.“ Haffner, Von

Bismarck zu Hitler, S. 214.

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Dank seiner rednerischen Begabung wurde er sehr bald zum Hauptredner der

Partei und kam mit der Idee, dass sich die Partei mehr in der Öffentlichkeit

repräsentieren und die Unterstützung vor allem bei den Arbeitern suchen sollte. Am

24. Februar 1920 fand die erste große Versammlung der Partei statt, die zur

Nationalsozialistischen Deutschen Abeiter-Partei umbenannt wurde. An diesem Tag

wurde gleichzeitig das Programm der Partei in 25 Punkten veröffentlicht, die Hitler

und Drexler zusammen ausarbeiteten. Mit dem Programm propagierten sie die

Vereinigung aller Deutschen, Bildung der Volksgemeinschaft, Gewinn der Kolonien,

die Aufhebung des Versailler Vertrages und das Programm war auch antisemitisch.5

Hitler machte aus der NSDAP eine bekannte Partei. Drexler bot ihm

mehrmals die Position des Vorsitzenden an, aber Hitler lehnte es immer ab. Deshalb

war für die Mitglieder der Partei der Ausstieg Hitlers aus der Partei im Juli 1921 sehr

überraschend. Seine Rücker versprach er nur unter der Bedingung, dass er zum

ersten Vorsitzenden der NSDAP mit diktatorischen Kompetenzen ernannt wird. Die

Partei akzeptierte seine Forderung und ab diesem Zeitpunkt beginnt Hitlers Weg zur

unbeschränkten diktatorischen Macht.

3.1. Der Hitler-Ludendorff-Putsch

Hitler war überzeugt, dass die Veränderung nicht nur der politischen Situation nur

durch die Revolution, also durch Gewalt möglich ist. Eine dieser gewalttätigen

Aktionen Hitlers begann im Bürgerbräukeller in München. Der fünfte Jahrestag der

Novemberrevolution wurde als die Angelegenheit dazu gewählt, dass der

Reichskommissar Gustav von Kahr an diesem Platz seine programmatische Rede

vortrug und so seine Position in Bayern befestigte.

Am Abend des 8. November kam Kahr mit dem Reichwehrgeneral Otto

Hermann von Lossow und dem Oberst der Landpolizei Hans von Seißer in den

Bürgerbräukeller. Alle drei Männer und die Menschen im Saal waren dazu

gezwungen, Hitler ihre Unterstützung zu versprechen. Hitler erklärte die Absetzung

der bayerischen Regierung, Beginn der Nationalrevolution und der Regierung der

5 Zitelmann, Reiner: Adolf Hitler a jeho cesta k moci. Praha. V. P. K, 1993, S. 20.

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Nationalsozialisten. Zusammen mit Ludendorff war er überzeugt, dass ihre Macht

nicht mehr gefährdet ist.

Inzwischen planten Kahr, Lossow und die Generäle unter der Führung des

Generals von Danner die Lösung dieser unangenehmen Situation, sie gaben der

Öffentlichkeit zu verstehen, dass sie im Bürgerbräukeller von Hitler bedroht wurden,

aber ihre Macht übergaben sie ihm nicht.6 Wegen dieses Verrats verwirklichte gleich

am folgenden Tag, dem 9. November, Hitler einen Marsch vom Bürgerbräukeller

zum Odeonplatz. Es kam zum Kampf zwischen der Polizei und den Putschisten.

Ludendorff wurde mit den anderen Putschisten aus der Reihe der SA-Männer

verhaftet. Hitler fluchtete und verbarg sich bei seinem Freund „Putzi“ Hanfstaengler.

Am 11. November wurde er aber verhaftet und nach Landsberg überführt.

Zwischen dem 26. Februar 1924 und dem 1. April 1924 verlief der sog.

Hitler-Prozess, d. h. der Prozess gegen die Hauptfiguren des Putsches. Die NSDAP

mit ihren damaligen 55 300 Mitgliedern wurde verboten und Hitler zu 5 Jahren

Festungshaft in Landsberg verurteilt, aber schon am 20. Dezember desselben Jahres

freigelassen.7

3.2. Erste Erfolge der NSDAP

Während Hitlers Verhaftung war die NSDAP im schlechten Zustand. Die Partei

wurde in kleine und ideologisch zerstrittene Gruppen versteuert. An der Spitze der

Partei stand in Hitlers Abwesenheit Alfred Rosenberg.

Bei den Wahlen 1924 lag die NSDAP weit hinter den etablierten Parteien. Es

gab aber noch einige Menschen wie z. B. den bayerischen Justizminister Franz

Günter, bei denen Hitler weiterhin Unterstützung fand. Im Februar 1925 hob Günter

das Verbot der Partei auf und auch ihre Zeitung „Völkischer Beobachter“ konnte

wieder herausgegeben werden. Nach seiner Entlassung begann Hitler mit der

Neugründung der NSDAP (28. 3. 1925).

6 Broszat, Martin: Uchopení moci: vzestup NSDAP a zničení výmarské republiky. Praha:

Nakladatelství Lidové noviny, 2002, S. 33. 7 Ebd., S. 38.

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Hitler warb wieder für seine Partei, wollte sie ideologisch sowie im Hinblick

auf die zu erreichenden Ziele vereinigen, wobei er auch viele neue Mitglieder

gewann. Unter den neu gewonnen Mitglieder waren z. B. Joseph Goebbels, Hermann

Göring, Rudolf Hess und Gregor Strasser. Die NSDAP war geographisch mehr

verbreitet, besser organisiert als vor dem Putsch und unter der Führung Hitlers

geeinigt.

Am Ende des Jahres 1927 hatte die Partei „nur“ 75 000 Mitglieder und

7 Abgeordnete im Reichstag. Die Nationalsozialisten konzentrierten ihre

Aufmerksamkeit auf die Landbevölkerung im protestantischen Norddeutschland, in

den Gegenden wie Schleswig-Holstein und Oldenburg. „Es kam der Sache der Partei

zugute, dass viele Ortsgruppenführer Bauern waren und dass sie einer Blut-und-

Boden-Ideologie große Bedeutung beimaßen, in der der Bauer das Herzstück

völkischer Identität bildete.“8

Bei den Reichstagswahlen 1928 hatten die Nationalsozialisten noch um

100 000 Stimmen weniger als vorher und mit 2,6 Prozent hatten sie im Reichstag nur

12 Abgeordnete (z. B. Gottfried Feder, Joseph Goebbels, Hermann Göring, Gregor

Strasser). Manche glaubten, dass die NSDAP nach den schlechten Wahlergebnissen

bereit ist, an die Macht gewaltsam zu gelangen. Hitler beruhigte aber die

Öffentlichkeit, dass er die Macht legal erringen will. Viele hofften, dass die Hitler-

Partei am Ende war.

Während eines Jahres (Oktober 1928-Oktober 1929) stieg der Zahl der

Mitglieder der NSDAP auf 150 000, bei den Kommunal- und Landtagswahlen war

sie auch erfolgreicher als in früheren Jahren.

In manchen ländlichen Gebieten des protestantischen Sachsen konnte sie

ihren Stimmenanteil fast verdoppeln, so im Bezirk Schwarzenberg von 5,

9 Prozent im Jahr 1928 auf 11, 4 Prozent 1929. Im Juni 1929 eroberte

8 Evans, Richard J.: Das Dritte Reich. Bd. 1: Aufstieg, München: dtv, 2005, S. 301.

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die NSDAP ihre erste Kommune, die fränkische Stadt Coburg, hier

gewann sie 13 von 25 Sitzen im Gemeinderat.9

Die Instabilität der regierenden Koalition unter der Führung des

Reichskanzlers Hermann Müller, die Probleme in der Sozialpolitik, die

Reparationsfrage, das alles spielte im Jahre 1929 der NSDAP in die Hände, die Krise

der Republik als Gelegenheit dazu sah, mehr Leute anzusprechen. Sie konzentrierte

sich nicht auf konkrete Gesellschaftsschichten, sondern wollte alle gewinnen, „die

ehrlich die Volksgemeinschaft aufbauen wollen, Klassenstolz und Dünkel ablegen,

um gemeinsam zu kämpfen.“10

Die NSDAP verbesserte ihre Position nicht nur dank

der Krise der Republik, sondern auch dank dem Börsenkrach in New York am

24. Oktober 1929. Viele Menschen glaubten, dass gerade diese Partei fähig ist, diese

Probleme zu lösen und die Krise zu beenden.

4. Niedergang der Weimarer Republik

Mit der Wirtschaftskrise begann in Deutschland auch die Staatskrise. Die Senkung

der Industrieproduktion, die Krise der Landwirtschaft, mehr als 3 Millionen

Arbeitslose, alle diese Probleme führten zum Ende der Demokratie. Teile der

Bevölkerung forderten die Beseitigung der Republik und bereiteten somit den Weg

zur Machtergreifung der Nationalsozialisten vor.

4.1. Brünings Regierung

„Der Sturz des sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller und der

Amtsantritt des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning waren die ersten notwendigen

Schritte auf dem Weg zum Selbstmord der Weimarer Republik.“11

Auch die

Deutsche Volkspartei hatte nach dem Tod Gustav Stresemann keine feste Leitung.

Das Parlament war aufgelöst und für September 1930 waren Neuwalen

ausgeschrieben.

9 Ebd., S. 302.

10 Kershaw, Ian: Hitler: 1889-1936. München: dtv, 2002, S. 389.

11 Ebd., S. 410.

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Für alle war das Ergebnis der Wahlen 1930 überraschend. Das Zentrum, das

Brüning unterstützte, erhöhte seine Stimmzahl von 3,7 Millionen auf 4,1 Millionen.

Auch die Kommunisten, die vor allem von Arbeitslosen gewählt wurden,

verbesserten ihre Position im Reichstag. Die SPD gegen die Brüning selbst kämpfte,

verlor zwar einige Stimme, war aber noch immer die stärkste Partei im Parlament.

Die Deutschnationale Volkspartei, die Deutsche Volkspartei und die

Wirtschaftspartei, auf denen Brüning ihre Regierung aufbauen wollte, erlitten eine

große Niederlage.12

Die Regierung Brünings war zum Untergang vorbestimmt.

Die NSDAP gewann bereits 18,3 Prozent der Stimmen, womit sie die stärkste

Position unter den Parteien, die gegen der Weimarer Republik standen, einnahm.

Bei den Reichstagswahlen 1928 hatten nur 800 000 Menschen die

NSDAP unterstützt und der Partei lediglich 12 Sitze im Parlament

eingebracht. Jetzt, im September 1930, verachtfachte sie die Zahl ihrer

Wähler auf 6,4 Millionen, und 107 NSDAP-Abgeordnete zogen in den

Reichstag ein.13

Die NSDAP erreichte mit ihrem Programm fast alle Schichten des deutschen

Volks. Auch die älteren Generationen, die nicht mehr an die Kraft der DNVP

glaubten, wählten die Nationalsozialisten. Nur die Katholiken blieben dem Zentrum

weitgehend treu. Viele Menschen suchten etwas Neues, Dynamisches, bestimmte

„Tatkraft“, eine Lösung für die Probleme der Republik, die sie glaubten, bei der der

NSDAP zu finden.

4.2. Hitlers Weg zur Machtergreifung

4.2.1. Präsidentenwahlen 1932

Im Mai 1932 endete die siebenjährige Amtsperiode des Präsidenten Hindenburg.

Man versuchte ihn im Amt für eine Amtsperiode ohne Neuwahlen lassen. Die

NSDAP versprach aber seine Unterstützung nur unter der Bedingung, dass Brüning

12

Evans, Das Dritte Reich, S. 357. 13

Ebd., S. 359.

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entlassen wird und neue Reichstagswahlen ausgeschrieben werden. Weil ihre

Bedingungen nicht erfüllt wurden, sah Hitler die Gelegenheit, legal zur Macht zu

kommen und entschied sich, selbst zu kandidieren. „Seine Kandidatur verwandelte

die Wahl in einen Wettstreit zwischen rechts und links. Hitler selbst war

unzweifelhaft der Kandidat der Rechten, was aus Hindenburg erstaunlicherweise den

Kandidaten der Linken machte.“14

Die SPD und weitere Parteien außer der NSDAP und KPD unterstützten

Hindenburg, weil sie hofften, er werde die letzte Chance für die demokratische

Regierung repräsentieren. Mit 53% der Stimmen wurde zum Reichspräsidenten

wieder Hindenburg gewählt.15

Hitler hat die Wahl zwar nicht gewonnen, aber seine

Partei gewann immer mehr Stimmen als je zuvor, was sich auch bei Landtagswahlen

im Frühjahr 1932 zeigte: 36,3% in Preußen, 32,6% in Bayern, 31,2% in Hamburg

und 26,4% in Württemberg. Bei weiteren folgenden Wahlen gewann die Partei in

protestantischen Ländern im Norden schon über 40% der Stimmen: 44,0% in Hessen,

48,4% in Oldenburg und 49% in Mecklenburg.16

Nach der Präsidentschaftswahl waren die SA und die SS im ganzen Reich

verboten, womit Brüning die Position der NSDAP untergraben wollte. Das Verbot

hatte aber eine gegensätzliche Wirkung und half die Reichsregierung noch mehr nach

rechts zu rückten. Als Schlüsselfigur zeigte sich der Chef der Wehrmachtsabteilung

im Reichwehrministerium General von Schleicher.

Schleicher strebte ein autoritäres Regime an, das auf der Reichswehr

gründen und die Unterstützung der Nationalsozialisten finden sollte. Es

ging darum Hitler zu zähmen und die wertvollen Elemente seiner

Bewegung in ein Art Militärdiktatur mit Rückhalt im Volk zu

integrieren.17

Am 30. Mai 1932 wurde Brüning zum Rücktritt gezwungen. Zum neuen

Reichkanzler ernannte Hindenburg auf Schleichers Empfehlung Franz von Papen,

14

Ebd., S. 379. 15

Zitelmann, Reiner: Adolf Hitler a jeho cesta k moci, S. 52-53. 16

Evans, Das Dritte Reich, S. 383. 17

Kershaw, Hitler: 1889-1936, S. 459.

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der als Hinterbänkler für das Zentrum im preußischen Landtag saß.18

Bis auf einige

Ausnahmen war die Mehrheit der Mitglieder von Papens Regierung parteipolitisch

nicht gebunden. Weil in seinem Kabinett viele Adlige vertreten waren, wurde seine

Regierung auch als „Kabinett der Barone“ genannt.

4.2.2. Reichstagswahlen 1932

Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 zeigte sich ein weiterer Zuwachs der

Beliebtheit der NSDAP in der Öffentlichkeit. Die Partei erhöhte seinen Stimmanteil

von 6,4 Millionen auf 13,8 Millionen und mit 230 Sitzen war sie die größte Fraktion

im Reichstag. An der zweiten Stelle stand im Reichstag die SPD mit

133 Abgeordneten, dann die Kommunisten mit 89 Abgeordneten. Auch das Zentrum

vergrößerte ihren Stimmanteil auf 75 Sitze im Parlament.

Die DNVP endete mit 37 Sitzen auf dem Rand des politischen Spektrums. Aber in

einer noch schlechteren Position waren die Parteien der bürgerlichen Mitte – die

Deutsche Volkspartei (24 Sitze), die Wirtschaftspartei (21 Sitze), die Deutsche

Staatspartei 16 (Sitze). „Zusammen verfügten die beiden extremistischen

antidemokratischen Parteien, KPD und NSDAP, jetzt über 319 Reichstagsmandate,

mehr als die Hälfte der Gesamtzahl von 608 Sitzen.“19

Der Erfolg der Nationalsozialisten bei den Wahlen hatte gleiche Gründe wie

im Jahre 1930 – die Krise in der Politik, Wirtschaft und die Panik in der

Bevölkerung. Die NSDAP konnte auch als „Koalition der Unzufriedenen“

bezeichnet werden, weil fast alle bürgerlichen Wähler gerade sie wählten, um die

Situation in allen Bereichen des Lebens und Staates zu verbessern. Hitler war

überzeugt, dass er obwohl die NSDAP immer erfolgreicher wurde, sein politisches

Potenzial nur als Reichskanzler zeigen kann und es dann nötig wird, die

Reichskanzlerschaft in eine Diktatur umzuwandeln.

18

Evans, Das Dritte Reich, S. 284-285. 19

Ebd., S. 395.

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4.2.3. Die Regierung Papens

Papens Staatsstreich20

war für die Weimarer Republik entscheidend. „Er zerstörte das

föderale System und bahnte einer totalen Zentralisierung des Staates den Weg. Nach

dem 20. Juli 1932 gab es nur zwei realistische Optionen: eine nationalsozialistische

Diktatur oder ein auf der Reichswehr gestütztes konservativ-autoritäres Regime.“21

Im Juli 1932 wollte Papen seine Position absichern, deshalb verbot er alle

öffentlichen politischen Versammlungen, was die Gewalt auf den Straßen noch mehr

aufheizte. Im August verkündete er eine weitere Notverordnung des

Reichspräsidenten, in der stand, dass wer den Gegner im politischen Kampf tötet, zur

Todesstrafe verurteil wird. Am folgenden Tag wurde ein Bauernhof im

oberschlesischen Dorf Potempa von den betrunkenen SA-Leuten überfallen und von

ihnen ein Bauer ermordet. Die SA-Männer wurden zum Tode verurteilt, wodurch

Hitler und Göring verbittert waren. Die Versuche die Macht durch Gewalt zu

erreichen, waren offensichtlich.

Zwischen Hitler, Hindenburg und Papen wurden nach diesem Ereignis die

Gespräche über der Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung geführt. Sie

waren aber noch nicht bereit, Hitler das Amt des Reichskanzlers anzuvertrauen,

weshalb die Verhandlungen mit Hitler scheiterten. Hindenburg und Papen waren vor

die Legitimierungsprobleme gestellt, die sie durch das Ausschreiben von Neuwahlen

zu lösen versuchten.

Bei den Neuwahlen im November 1932 standen Hitler und Papen

gegeneinander. „Bei viel geringerer Wahlbeteiligung las im Juli verzeichnete die

NSDAP einen starken Stimmenrückgang, von 13,7 Millionen auf 11,7 Millionen,

wodurch die NSDAP-Fraktion im Reichstag von 230 auf 196 Sitze reduziert

wurde.“22

Die NSDAP war zwar immer die stärkste Partei, hatte aber im Reichstag

weiniger Sitze als die zwei „marxistischen“ Parteien (KPD und SPD) zusammen. Im

20

Unter dem Staatsreich wird der Versuch um die Auflösung des preußischen Landtags 1932

verstanden. Papen und die Nationalsozialisten wollte die Macht im ganzen Reich nur unter die Macht

des Reichstages einigen. Die SPD, KPD und das Zentrum unterstützen aber diesen Versuch nicht.

Deshalb ließ Papen auf Grund der Notverordnung des Reichspräsidenten das Landtag auflösen, was

wodurch er sich mit den anderen Parteien in Konflikt geraten hat. 21

Ebd., S. 389. 22

Ebd., S. 403.

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Gegenteil zu den Wahlen im Juli verbesserte die DNVP ihre Position (von 37 auf

51 Sitze). Die SPD verlor 12 Sitze und hatte jetzt 121 Abgeordnete im Reichstag.

Die KPD verfügte in dieser Zeit über 100 Sitze und wurde zur drittstärksten Partei.

Das Zentrum verlor nur 5 von ursprünglichen 75 Mandaten.

Der neue Reichstag war aber noch weniger handlungsfähig als der alte. Papen

wollte ein Präsidialregime mit Hilfe des Reichwehrs einführen. Weil er aber die

Reichstagmehrheit aus der Nationalsozialisten und Kommunisten nicht bilden

konnte, verlor er bald aus Angst vor dem Krieg die Unterstützung des

Reichwehrministers Schleicher und der ganzen Reichswehr. Papen hatte keine

andere Möglichkeit als von dem Amt des Reichskanzlers zurückzutreten.

5. Die Machtergreifung Hitlers

5.1. Hitler zum Reichskanzler

Nach dem Rücktritt Papens ernannte der Reichspräsident eine neue Regierung. Das

Amt des Reichskanzlers übernahm am 3. Dezember 1932 Kurt von Schleicher. Weil

Schleicher bei der SPD und dem Zentrum unbeliebt war, musste er sich auf die

Unterstützung der NSDAP verlassen. Schleichers Versuch, die Nationalsozialisten

für seine Regierung zu gewinnen, misslang. „Er musste Hindenburg bitten, den

Reichstag aufzulösen und ihm die Genehmigung zu einer Regierung ohne Parlament

und also zum Staatsstreich zu erteilen.“23

Hindenburg lehnte diese Lösung ab.

Papen wusste, dass wenn keine neue Regierung gebildet wird, eine

Militärdiktatur unter Schleicher und dem Chef der Heeresleistung General Kurt von

Hammerstein droht. Als eine gute Lösung sah nicht nur Papen, sondern auch

Schleicher, der keine Unterstützung in der Regierung und auch bei Hindenburg fand,

zum neunen Reichkanzler Hitler zu ernennen. Schleicher trat aus seinem Amt zurück

und Papen begann eine neue Regierung vor allem aus den konservativen Mitgliedern

seiner damaligen Regierung zu bilden.

Konstantin von Neurath wurde zum Außenminister, Lutz Graf Schwerin von

Krosigk zum Finanzminister, Alfred von Hugenberg zum Wirtschafts- und

23

Haffner, Von Bismarck zu Hitler, S. 227-228.

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Landwirtschaftsminister im Reich und auch in Preußen, Werner von Blomberg zum

Reichwehrminister und Papen übernahm das Amt des Vizekanzlers. „Die NSDAP

sollte die Innenministerien im Reich und in Preußen erhalten, während die übrigen

Ministerien an Kandidaten des Reichspräsidenten und des Vizekanzlers gehen sollten

[…]“24

Herman Göring hatte das Amt des Reichsministers ohne Geschäftsbereich

und des Reichskommissars für das preußische Innenministerium inne. Die zwei

entscheidenden Ämter bekleidete die NSDAP, denn der neue Innenminister war

Wilhelm Frick und zum neuen Reichkanzler wurde am 30. Januar 1933 Hitler

ernannt.

5.1.1. Hitlers erste Schritte als Reichskanzler

Papens Idee, dass er Hitler und seine Reichkanzlei unter Kontrolle haben wird, zeigte

sich bald als illusorisch. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichkanzler begannen die

Vorstöße gegen die KPD, die die Nationalsozialisten als größte Feinde betrachteten.

Viele der Kommunisten waren verhaftet, ihre Zeitung ‚Die Rote Fahne‘ konnte

offiziell seit 1933 während der ganzen Nazizeit nicht mehr herausgegeben werden.

Alle kommunistischen Demonstrationen gegen die neue Regierung Hitlers waren

durch die Polizei unterdrückt. Unter dem Druck der NSDAP standen auch die

Gewerkschaften und die SPD.

Ende Januar war von Antisemitismus und Gewalt begleitet. Am 4. Februar

trat in Kraft die Verordnung „Zum Schutze des deutschen Volkes“, „die der

Regierung das Recht erteilte die politischen Veranstaltungen sowie die Zeitungen

und Druckerzeugnisse der konkurrierenden Parteien mit den unbestimmten

Begründungen zu verbieten.“25

Vor dem 30. Januar war den politischen

Versammlungen der Polizeischutz garantiert, jetzt konnten aber die

Nationalsozialisten straflos die Kommunisten und Sozialdemokraten terrorisieren.

Die Nationalsozialisten konnten alle ihre Feinde weitgehend von der Szene

beseitigen.

5.2. Reichstagsbrand

24

Evans, Das Dritte Reich, S. 412. 25

Fest, Joachim: Hitler: Eine Biographie. Frankfurt/Main: Ullstein, 1989, S. 537.

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Einer der bedeutendsten Ereignisse, die mit der Machtergreifung der

Nationalsozialisten in Verbindung stehen, ist der Reichstagsbrand am 27. Februar

1933. Der Hauptakteur war der Holländer Marinus van der Lubbe, der durch Europa

eine lange Wanderung Richtung Sowjetunion, die er bewunderte, machte. Am

18. Februar 1933 kam er nach Berlin, wo ihn die Passivität der Arbeiterparteien zur

politischen Situation zur Tat bewegte. Als Mittel zum Ausdruck seiner Ablehnung

dieser Politik wählte er die Brandstiftung.

„Am 25. Februar versuchte er, mit Hilfe von Kohlenszündern das

Wohlfahrtsamt in Neukölln, anschließend das Rote Rathaus und schließlich das

Berliner Schloss anzuzünden.“26

Alle drei Versuche scheiterten und blieben von der

Presse fast unbeachtet, deshalb entschloss er sich, den Reichstag, das Symbol der

herrschenden politischen Ordnung, anzuzünden.

Am 27. Februar um 21 Uhr legte van der Lubbe Feuer im Plenarsaal, woher

er sich später durch das ganze Gebäude verbreitete. Hitlers Freund Putzi

Haunfstaengl, der gegenüber dem Reichstagsgebäude wohnte, telefonierte gleich

Göring, der unverzüglich Hitler informierte. Alle drei trafen sich am Ort des

Brandes, wo schon van der Lubbe von den Polizisten verhört wurde.

Weil van der Lubbe die Sowjetunion und die Kommunisten bewunderte, war

Hitler überzeugt, dass der Brand eine Provokation der Kommunisten war. Er

kommentierte es mit den Worten: „Jeder Kommunistische Funktionaler wird

erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen

noch in dieser Nacht aufgehängt werden. […] Auch gegen Sozialdemokraten und

Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“27

Ein paar Stunden nach dem Reichstagsbrand begann die Gewaltaktion gegen

die Kommunisten. Während einer Nacht wurden 4 000 Kommunisten verhaftet. Die

Namensliste der gesuchten Kommunisten im Falle des Verbotes der KPD war schon

längst fertig gestellt, aber erst der Brand diente Hitler als Vorwand für die

Durchführung des Terrors. Auf Befehl Görings sollten alle verhafteten Kommunisten

26

Evans, Das Dritte Reich, S. 439. 27

Ebd., S. 441.

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erschossen werden, zur Durchführung des Befehls kam es zum Glück aber nicht.

Obwohl die Kommunisten jeden Zusammenhang mit der Brandstiftung bestritten, in

der Augen der NSDAP waren sie die einzigen Schuldigen.

Nach Joachim Fest kann man in diesen Gewaltaktionen das Konzept der

legalen Revolution sehen, das heißt, „den Gegner nicht gewaltsam durch offenen

Terror und Verbotsmaßnahmen zu überwältigen, sondern immer wieder Gewaltakten

zu provozieren, so dass er selber Vorwände und Rechtfertigungen für gesetzliche

Unterdrückungsmaßnahmen schuf.“28

Gerade der Reichstagsbrand diente als der Vorwand zur massenhaften

Beschränkung der Menschenrechte. Am 28. Februar legte Hitler dem Reichstag den

Vorschlag eines Gesetzes vor, der die persönliche Freiheit, die Meinungsfreiheit,

Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und weitere Menschenrechte beschränken

sollte. Diese „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ erlaubte es der

Regierung, auch die Regierung der einzelnen deutschen Staaten zu übernehmen.29

Das Gesetz trat so schnell in Kraft, dass manche Historiker darvon überzeugt sind,

dass es schon früher vorbereitet war und der Reichstagsbrand vorher von der NSDAP

mit dem Ziel geplant war, dieses Gesetzt durchzusetzen und ihre Machtübernahme

zu beschleunigen.30

Die Notverordnung ‚zum Schutze von Volk und Staat‘, die noch durch

eine weitere Verordnung ‚gegen Verrat am Deutschen Volke und

hochverräterische Umtriebe‘ vom gleichen Tage ergänzt wurde, war die

die entscheidende Rechtgrundlage der nationalsozialistischen

Herrschaftsordnung und zweifellos das wichtigste Gesetz des Dritten

Reiches überhaupt; es ersetzte den Rechtstaat durch den permanenten

Ausnahmezustand.31

Die Machtergreifung der NSDAP war nicht mehr aufzuhalten.

28

Fest, Joachim: Hitler: Eine Biographie, S. 543. 29

Evans, Das Dritte Reich, S. 443. 30

Colloti, Enzo: Hitler a nacismus. Praha, Columbus, 1996, S. 31. 31

Fest, Joachim: Hitler: Eine Biographie, S. 548.

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21

5.3. Reichstagswahlen 1933

Hitler versprach die Übernahme der Kanzlerschaft unter der Bedingung der neuen

Reichstagswahlen, die erst am 5. März 1933 ausgeschrieben waren. Die

Wahlpropaganda der NSDAP verbreitete sich durch ganz Deutschland. Die

Fackelzüge der SS, des Stahlhelms, der Hitlerjugend, die Straßen voll schwarz-weiß-

roten und Hakenkreuzfahnen, Reden Hitlers, das alles wirkte auf die Leute aus allen

Seiten.

Diese Wahlpropaganda der NSDAP zeigte sich bei den Wahlen als nur

bedingt erfolgreich. „Die Koalitionsparteien NSDAP und DNVP errangen

51,9 Prozent der Stimmen. Trotz massiver Gewalt und Einschüchterung konnte sich

die NSDAP nur 43,9 Prozent der Stimmen sichern.“32

Zwar war die Mehrheit der

KPD nach dem Reichstagsbrand in Haft oder versteckt, trotzdem erreichte sie bei der

Wahl noch 12,3 % der Stimmen. Die SPD, die ebenfalls unter dem Druck der

NSDAP stand, gewann nur 18,3 % der Stimmen. Das Zentrum erreichte 11,2% der

Stimmen. Gleich nach der Wahl waren 81 kommunistische Abgeordneten aus dem

Amt abberufen, nach einigen Monaten folgten die Abgeordneten der SPD und des

Zentrums. Der Zerfall der Parteien der Weimarer Republik war vollendet.

Die NSDAP erreichte zwar mit ihrem Koalitionspartner, der DNVP die

Mehrheit bei den Wahlen, aber sie erreichten nicht zusammen die Zweitdrittel

Mehrheit, die für die Veränderung der Verfassung notwendig war. Einer der weiteren

Ziele war das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, auch als

Ermächtigungsgesetz genannt, im Reichstag durchzusetzen. Das Gesetz sollte dem

Reichkanzler ermöglichen, „verfassungswidrige Gesetzte vorzubereiten und ohne

Zustimmung des Reichstags und ohne Gegenzeichnung durch den Reichspräsidenten

zu erlassen.“33

Dieses Ermächtigungsgesetz machte aus der Weimarer Verfassung

ein unbedeutendes Dokument und der Reichstag war aus dem Gesetzgebungsprozess

ausgeschlossen. 444 Abgeordneten stimmten für das Gesetz, 99 dagegen (vor allem

Sozialdemokraten) ‒ das Ermächtigungsgesetzt trat am 24. März 1933 in Kraft. Seit

dieser Zeit regierte Hitler mit seinem Kabinett mit Hilfe der Dekrete, die keine

weitere Zustimmung der Reichspräsidenten oder des Reichstags brauchten.

32

Evans, Das Dritte Reich, S. 451. 33

Ebd., S. 465.

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22

„Das Ermächtigungsgesetzt schloß die erste Phase der Machergreifung ab: es machte

Hitler nicht nur von der präsidialen Verordnungsmacht, sondern auch vom Bündnis

mit dem konservativen Partner unabhängig.“34

Die unbeschränkte Macht und die

Möglichkeit ohne und eigentlich gegen der Weimarer Verfassung zu regieren, waren

schon voll in den Händen Hitlers.

5.4. Die totalitäre Diktatur Hitlers

Hitlers Konzept der Machteroberung, das trotz aller Anleihen bei der

erprobten bolschewistischen und vor allem faschistischen

Staatsstreichpraxis zu den wenigen wirklich eigenen, originelle

Elementen seines Aufstiegst gehört, ist in seinem Ablauf noch immer das

klassischen Modell für die totalitäre Überwältigung demokratischer

Institutionen von innen her, das heißt mit Hilfe und nicht im Widerstreit

mit der Staatsmacht.35

Mit der Machtübernahme entstanden neue Institutionen und alle wichtigen

Ämter waren von den Nationalsozialisten besetzt. Schon im März 1933 entstanden

erste Konzentrationslager, z. B. in Dachau. Die Gründung der Konzentrationslager

war eine schon längst geplante Aktion, keine Lösung der von den verhafteten

Kommunisten überfüllten Gefängnisse. Neben den Kommunisten wurde im Juni

1933 auf Befehl des Innenministers Wilhelm Frick auch die SPD definitiv ruiniert.

Die SPD war auf Grund der Reichstagsbrandverordnungen verboten. Seit dem

14. 7. 1933 war die NSDAP die einzige erlaubte Partei Deutschlands.

Die politische Opposition Hitlers war liquidiert, das alte Weimarer System

zerstört und es sollte durch ein neues Prinzip, das Führerprinzip eines Einzelnen,

ersetzt werden. Das neue hierarchische politische System sollte der Führung Hitlers

untergeordnet und der Parteistaat beseitigt werden.

34

Fest, Joachim: Hitler: Eine Biographie, S. 563. 35

Ebd., S. 536.

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23

Die zwei wichtigsten Mittel, mit deren Hilfe Hitler als „Führer“ anerkannt

wurde, waren Terror und Propaganda. „Die beiden Instrumente waren und blieben

bis zum Ende des Nazireichs Hitlers wichtigste Herrschaftsmittel; sie sind es, die den

Hitlerstaat von den früheren Staatsformen des Deutschen Reiches unterscheiden.“36

Für die Propaganda wurde 1933 das Reichsministerium für Volksaufklärung und

Propaganda geschaffen, auf deren Spitze Joseph Goebbels stand. Die Presse, das

Rundfunk, Theater, Film, teilweise auch Literatur, alles, was die öffentliche Meinung

beeinflussen konnte, stand unter Kontrolle der Nationalsozialisten. Als Terrormittel

ließ Hitler nicht nur die Konzentrationslager errichten, sondern er schuf auch ein

Terrorverband, die SS (Schutzstaffeln), die die Macht der Staatspolizei des Reiches

übernahmen.

Das Ziel der NSDAP war nicht nur die Veränderung des politischen Systems,

sondern auch der Gesellschaft in allen Bereichen des Lebens nach eigenem Modell,

eigener Ideologie. Hitler wollte alles und alle unter Kontrolle haben, die Massen der

Leute für sich zu gewinnen und sie nach seiner Ideologie zu erziehen. Der Parteistaat

änderte sich langsam zum geplanten Führerstaat. Die Persönlichkeit Hitlers, seine

Weltausschauung, sein Hass gegen Judentum, Marxismus und Bolschewismus, das

alles bildete das Dritte Reich wie wir es heute kennen.

5.4.1. Röhm-Putsch

Die Reichskanzlei, Propaganda, Terror, einzelne Gesetzte, alle Ereignisse während

den Jahren 1930 und 1933 führten Schritt für Schritt zur vollen Machtübernahme

durch Hitler und die NSDAP. Als Akt der vollen Machtübernahme Hitlers wird oft

die „Nacht der langen Messer“ betrachtet, während der die vermeintliche

Verschwörung der SA (Sturmabteilungen) gegen Hitler blutig unterdrückt wurde.

Obwohl Hitlers Machergreifung unter dem Mantel der legalen Revolution

einen relativ gewaltlosen und unblutigen Verlauf nahm, gab es Leute, die mit

Verlauf dieser Revolution nicht zufrieden waren. Einer von ihnen war auch Ernst

Röhm, der die SA anführte. Hitlers Vorstellung über die Aufgabe der SA im Dritten

Reich ließ sich nicht mit der Vorstellung Röhms vereinen, was später zum

Widerstand der SA gegen Hitler führte. Hitler hielt daran fest, „dass den brauen

36

Haffner, Von Bismarck zu Hitler, S. 251.

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Verbänden eine politische, nicht eine militärische Funktion zukomme und sie einen

riesigen Stoßtrupp Hitler bildeten, nicht dagegen die Kader einer

Revolutionsarmee.“37

Nach seiner Überzeugung war der einzige Waffenträger des

Dritten Reiches die Reichswehr und die SA sollte sich nur mit militärischer

Erziehung beschäftigen.

Röhm war mit dieser Position der SA nicht einverstanden und entschied sich

„durch konsequenten Ausbau seiner Verbände, die schon bald auf dreieinhalb bis

vier Millionen Mann anwuchsen, den SA-Staat vorzubereiten, der eines Tages der

bestehenden Ordnung revolutionär übergestülpt werden sollte.“38

Alle seine

Versuche einen SA-Staat zu bilden, waren aber von Hitler verhindert, obwohl ihm

gerade Röhm mit der SA am Anfang seines Wegs zur Machtübernahme unterstützte.

Dieser Widerstand der SA beendete Hitler mit der Verhaftung und

Ermordung vieler SA-Männer einschließlich Ernst Röhm am 30. Juni 1934. Durch

die „Nacht der langen Messer“ waren alle Widerstandsgruppen und alle Einzelne, die

nicht völlig mit Hitler sympathisierten, aus den Reihen der Nationalsozialisten

beseitigt. Die Machtübernahme Hitlers war vollendet, Hitler konnte in folgenden

Jahren seine Vorstellungen vom Dritten Reich verwirklichen.

37

Fest, Joachim: Hitler: Eine Biographie, S. 622. 38

Ebd., S. 620.

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25

6. Die Reaktion der Presse auf die Machtergreifung Hitlers

In diesem Hauptteil meiner Arbeit werde ich die Reaktionen der deutschsprachigen

Presse auf die Machtübernahme Hitlers im Jahre 1933 analysieren. Am Anfang

musste ich mehrere Kriterien für die Bearbeitung dieser Reaktionen aufstellen. Wie

aus dem Titel meiner Arbeit hervorgeht, beschränkte ich die Auswahl der Zeitungen

nur auf das Gebiet der Tschechoslowakei. Einer der Hauptgründe dafür war, dass der

Terminus deutschsprachige Presse sehr allgemein und umfangreich ist. Die

deutschsprachige Presse war nicht nur in Deutschland, Österreich oder in der

Schweiz tätig, sondern wurde auch in anderen Ländern wie in der Tschechoslowakei

oder in Polen herausgegeben. Den anderen Ländern könnte sich eine andere Arbeit

widmen, die zum Beispiel die Reaktionen der Presse in den einzelnen Ländern

vergleichen konnte.

Der Forschung musste nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich beschränkt

werden. Hitlers Weg zur Macht war kein revolutionäres Ereignis, sondern er gewann

seine Macht Schritt für Schritt während längerer Zeit. Hitler fühlte sich vorbestimmt,

an die Macht zu gelangen. Sein Weg zur Macht beginnt schon mit seiner

Mitgliedschaft in der DAP im Jahre 1919, obwohl die entscheidenden Schritte erst

anfangs 1933 kommen. Als Anfang für meine Analyse wird Hitlers Ernennung zum

Reichskanzler am 30. Januar 1933 genommen. Ein weiteres wichtiges Ereignis, mit

dem Terror und die Bildung der totalitären Diktatur Hitlers beginnt, ist der

Reichstagsbrand am 27. und 28. Februar 1933, der ich zum Enddatum meiner

Analyse gewählt habe.

Das letzte Kriterium, das die Hauptrolle bei der Auswahl der einzelnen

Zeitungen spielte, war ihre konkrete politische Orientierung. Ich versuche zu zeigen,

über welchen Themen die unterschiedlich orientierten Zeitungen schrieben, wie viel

Aufmerksamkeit sie den einzelnen Themen widmeten und ob die Reaktionen auf das

Geschehen im Dritten Reich im Zusammenhang ihrer unterschiedlichen politischen

Orientierung entsprachen oder nicht.

Zu meiner Forschung wählte ich vier auf dem Gebiet der Tschechoslowakei

herausgegebenen deutschsprachigen Zeitungen: das ‚Prager Tagblatt‘, die ‚Deutsche

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Zeitung Bohemia‘, die ‚Volkswacht‘ und die Selbstwehr. Bevor ich die konkreten

Zeitartikel interpretiere, werde ich die oben genannten Zeitungen zuerst kurz

allgemein charakterisieren.

6.1. Die Charakteristik der ausgewählten deutschsprachigen Presse

6.1.1. Prager Tagblatt

Das ‚Prager Tagblatt‘ war die größte liberal-demokratische deutschsprachige

Tageszeitung, die zwischen den Jahren 1876-1939 in Böhmen erschien. Das Tagblatt

erschien jeden Tag außer dem Montag. Als der Verleger der Zeitungen wird Henry

Mercy Sohn angegeben.39

Seit 1914 war die Zeitung nur im Besitz der Familie

Mercy, der Verleger war R. Keller.

6.1.2. Deutsche Zeitung Bohemia

Die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ war eine zwischen den Jahren 1828 und 1938 in

Prag herausgegebene Tageszeitung. Von 1828 bis 1835 wurde sie als die Beilage der

Prager Zeitung veröffentlicht. Die Zeitung änderte während ihrer Existenz mehrmals

den Namen: „von ‚Unterhaltungsbläter‘ (1828) über ‚Bohemia oder

Unterhaltungsbläter für gebildete Stände‘ (1830), ‚Bohemia ein Unterhaltungsblatt‘

(1832) bis schließlich ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ (1918).“40

Der erste Verleger

war Andreas Haase (1914-1919), 1933 war es die Rota-Aktien-Gesellschaft für

Zeitung- und Buchdruck.41

6.1.3. Volkswacht

Die ‚Volkswacht‘, mit dem Untertitel ‚Organ der Deutschen sozialdemokratischen

Arbeiterpartei‘, war die Zeitung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei

Deutschlands, die in Sternberg bei Olmütz herausgegeben wurde. In der Database der

Nationalbibliothek in Prag wird angegeben, dass die Zeitung erstmal 1899

39

Česká retrospektivní bibliografie. Noviny České republiky 1919-1945. B.1. Hrsg. von Jaromír

Kubíček. Brünn: Lector benevolus, 2004, S. 302. 40

http://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Bohemia_%28historische_Zeitung%29 (eingesehen am 3. 8.

2015) 41

http://kramerius.nkp.cz/kramerius/PShowPeriodical.do?id=7506&it=0 (eingesehen am 3. 8. 2015)

Česká retrospektivní bibliografie, S. 37.

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27

veröffentlicht wurde.42

Als der erste Verleger wird Wilhelm Niessner genannt. Seit

Juni 1927 war der Verleger der Zeitungen Rudolf Zischka. Ursprünglich handelte es

sich um eine Wochenzeitung, seit 1928 erschien die Volkswacht zweimal pro

Woche, seit Oktober 1928 dreimal pro Woche.43

6.1.4. Selbstwehr

Die Selbstwehr – Unabhängige jüdische Wochenzeitschrift, gegründet

von R. Brandeis und F. Steiner, erschien erstmals am 1. März 1907. Die

Zeitung fusionierte 1922 mit dem ebenfalls in Prag erscheinenden

Jüdischen Volksblatt und wurde in erweitertem Unfang unter der

Radaktion von Felix Weltsch bis zum Einmarsch der deutschen Truppen

in Prag 1939 publiziert.44

Die ‚Selbstwehr‘ interessierte sich nicht nur für das regionale Geschehen, sondern

auch für das Geschehen auf der ganzen Welt, das das Leben der Juden beeinflusste.

Als der Verleger der Zeitschrift wird bis 1936 das ‚Konsortium Selbstwehr‘

angegeben.45

6.2. Die Themen der Zeitungsartikel zum politischen Geschehen

in Deutschland

In folgenden Kapiteln wird gezeigt, zu welchen konkreten politischen Themen sich

die Presse der Tschechoslowakei äußerte. Nach der Vorstellung der Artikel und ihrer

Themen wird aus meiner Sicht beschrieben, ob sich die Reaktionen der jeweiligen

Zeitungen unterscheiden und wenn ja, wie konkret. Zuerst widme ich die

Aufmerksamkeit den ersten drei Zeitungen: dem demokratisch-liberalen Prager

Tagblatt, der national orientierten Deutschen Zeitung Bohemia und der

linksorientierten Volkswacht. Erst dann, widme ich mich der Selbstwehr, weil diese

jüdische Zeitung unterschiedliche Themen als die drei anderen Zeitungen bearbeitete

42

http://aleph.nkp.cz/F/XTCEDUQUY1M8ULTRRBF8F55GPE5L7JFM8V6AQBEKQT9TJKL5JK-

37405?func=full-set-set&set_number=078231&set_entry=000006&format=999 (eingesehen am 3. 8.

2015) 43

Česká retrospektivní bibliografie, S. 413. 44

Schenker, Anatol: Der jüdische Verlag 1902-1938: Zwischen Aufbruch, Blüte und Vernichtung.

Tübingen: Max Niemeyer, 2003, S. 266. 45

Česká retrospektivní bibliografie, S. 335.

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28

und sich nicht so viel zu Hitler und Politik in Deutschland äußerte. Die Gründe für

diese Einteilung der Zeitungen werde ich später erläutern.

6.2.1. Hitler als Reichkanzler und der Neuaufbau der Regierung Deutschlands

Am 29. Januar 1933 veröffentlichte die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ einen Artikel

mit dem Titel Kabinett Schleicher zurückgetreten. Papen als Hindenburgs

Vertrauensmann. Hitler Reichkanzler?46

Der Reichkanzler Kurt von Schleicher hat

dem Reichspräsidenten Hindenburg am 28. Januar seine Demission eingereicht, die

Hindenburg auch annahm. Die Zeitung stellt drei Möglichkeiten für die Lösung der

politischen Krise in Deutschland vor. Erste Möglichkeit sei die parlamentarische

Mehrheitsregierung, zweite „sei die Bildung einer auf eine starke Volksströmung

gestützten Minderheitsregierung“47

, die nur unter Führung Hitlers und seiner

Unterstützung von anderen rechtsorientierten Parteien möglich wäre. Die dritte

Möglichkeit sei das Präsidialkabinett, wo aber die Gefahr vorhanden sei, dass sich

ein Präsidialkabinett später zur Regierung einer einzigen Partei ändern könnte. Der

damalige Reichkanzler Papen führt die Verhandlungen mit den politischen Parteien

und als einzige gute Möglichkeit sieht er die Bildung eines neuen Kabinetts, der nur

mit dem Reichkanzler Hitler erfolgreich sein könnte.

Diese kann nach Lage der Dinge nur unter der Kanzlerschaft Hitlers

stehen, von den Parteien und Kräften der Harzburger Front getragen

und parlamentarisch auch vom Zentrum geduldet werden. Eine andere

Möglichkeit ist jedenfalls nicht abzusehen.48

Ein anderer Artikel Hitler hart am Ziel äußert sich konkreter zur politischen

Situation in Deutschland. Die ‚Bohemia‘ sieht als Ursache des Misserfolgs von

Schleicher der Mangel an Popularität. Schleicher hatte keine Unterstützung von

keiner Partei, womit meiner Meinung nach auf Hitler verwiesen wird und keine

Unterstützung beim Reichspräsidenten. Die Zeitung stellt sich zur Schleichers

Kanzlerschaft kritisch. Sie bezeichnet aber gleichzeitig Hindenburg und Papen

als Intriganten und zwei „Kameraden“. Obwohl Hindenburg früher gegen

46

Deutsche Zeitung Bohemia (weiter als DZB) (29. 1. 1933), S. 1. 47

Ebd. 48

Ebd.

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29

Hitler war, gibt er ihm vielleicht jetzt die Unterstützung, weil es sich Papen

wünscht?

Daß Hindenburg nicht unmittelbar Hitler mit dem Versuch einer

Kabinettsbildung betraut hat, scheint eine Vorsichtsmaßnahme und dazu

berechnet zu sein, durch eine Zwischeninstanz, Papen, Zeit zu

Verhandlungen zu gewinnen; denn es ist etwas außergewöhnlich, dass

ein Politiker mit Verhandlungen über eine Kabinettsbildung betraut wird,

nur um einen anderen zu installieren.49

Es wirkt als eine Kritik an Hindenburg und an der alte Regierung zu sein,

hinter der sich die indirekte Unterstützung Hitlers verbirgt. „Käme ein Kabinett

zustande, dessen Hauptstützen die Nationalsozialisten und die

Deutschnationalen wären, dann wäre es noch einmal geglückt, die Harzburger

Front […] zu leimen.“50

Einen Tag später informiert die ‚Bohemia‘ über die Bildung des neuen

Kabinetts und die Reichskanzlerschaft Hitlers. Sie widmet sich aber in dieser

Ausgabe nicht nur diesem Thema, sondern auch der Frage, wie sich die Straßen

Berlins mit dem neuen System Deutschlands rasch verändert haben. Berlin im

Zeichen des neuen Systems51

, lautet der Titel des Artikels, der die unterschiedlichen

Reaktionen des Volkes auf Hitlers Ernennung zum Reichkanzler beschreibt. Die

Straßen voll von Hakenkreuzfahnen, die Farben schwarz - weiß - rot, die sich auf der

Straßen bildende Gruppen von Menschen, die über Hitlers Reichskanzlerschaft

begeistert sind, das alles sei für diese Tage typisch gewesen. In den Stadtvierteln, wo

die Anhänger der SPD und KPD leben, herrscht aber eine ganz andere Stimmung.

„Dort propagiert man heftig die Parole der antifaschistischen Einheitsfront und des

Kampfes gegen die Herrenklub-Regierung Hitler.“52

Auch die ‚Volkswacht‘ äußert sich zu dieser politischen Lage, aber nicht so

polemisch wie ‚Bohemia‘. Kommen Hugenberg und Hitler in Deutschland zur

49

DZB (29. 1. 1933), S. 1. 50

Ebd. 51

DZB (31. 1. 1933) , S. 1. 52

Ebd.

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30

Macht?53

, lautet der Titel des Artikels. Papens Versuch die Harzburger Front

wiederherzustellen, war erfolgreich, aber wenn die Harzburger Front abgelehnt wird,

gab es nach der ‚Volkswacht‘ nur zwei Möglichkeiten zur Lösung der Krise.

Entweder die Auflösung des Reichstags und die Beibehaltung der

Regierung Schleicher als geschäftsführendes Kabinett, das entweder

Reichstagsneuwahlen durchführt, oder die die Erklärung des

sogenannten Staatsnotstand den Reichstag überhaupt ausschaltet.54

Als zweite Möglichkeit bietet die Zeitung ein Präsidialkabinett unter Führung

Papens, das mit der Unterstützung des Zentrums ganz gute Unterstützung im

Reichstag gewinnen konnte. Die Bildung des Präsidialkabinetts wird von der

‚Volkswacht‘ als wahrscheinlicher gesehen.

Das ‚Prager Tagblatt‘ berichtet in der Ausgabe vom 31. Januar: „Die durch

den Rücktritt Schleichers ausgebrochene Krise hat genau 48 Stunden gedauert. Um

12 Uhr 40 wurde Hitler zum Reichskanzler und darauf das von ihm präsentierte

Kabinett ernannt.“55

Das Tagblatt widmet größere Aufmerksamkeit der gesamten

politischen Lage im Reichstag und dem, was sich mit der Ernennung des neuen

Reichskanzlers für die andere Parteien des Reichstages ändert. In Vordergrund wird

die Frage der Haltung des Zentrums zur neuen Regierung gestellt, ob sie Hitler

unterstützen wird. Das Zentrum sprach sich gegen die Herrschaft einer einzigen

Partei und die Verfassungsverletzung. Es verlangt jetzt die Sicherheiten, dass Hitlers

Maßnahmen nicht verfassungswidrig werden. Die neue Regierung ist keine

nationalsozialistische Regierung, sondern auf die Unterstützung der weiteren

Parteien angewiesen. Die Hauptfrage ist, ob das Zentrum zur Tolerierung des neuen

Kabinetts bereit ist. Auch die SPD betonte, „dass sie auf dem Boden der Verfassung

und des Gesetzes stehen und durch Ausnützung aller verfassungsmäßigen Mittel den

schärfsten Kampf gegen das Kabinett Hitler führen wird.“56

Nicht nur das Zentrum,

sondern auch die KPD und SPD sprechen das Misstrauen der Regierung der

Harzburger Front aus.

53

Volkswacht (weiter als VW) (31. 1. 1933), S. 1. 54

VW (31. 1. 1933), S. 2. 55

Prager Tagblatt (weiter als PT) (31. 1. 1933), S. 1. 56

PT (31: 1: 1933), S. 1.

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Ein weiteres Thema, mit dem sich die Zeitungen beschäftigen, ist die

Auflösung des Reichstags durch den Reichspräsidenten Hindenburg, um die sich

nach dem Misstrauen der anderen Parteien des Reichstags Hitler bemühte und die

zum Ausschreiben der Neuwahlen am 5. März 1933 führte. Auf Grund der

Notverordnungen des Reichspräsidenten sei dem deutschen Volk die Möglichkeit

gegeben, zum politischen Geschehen eine Stellung einzunehmen und sich auf die

Bildung der neuen Regierung zu beteiligen. Das ‚Prager Tagblatt‘ veröffentlicht die

Notverordnung Hindenburgs, die lautet:

Nach dem sich die Bildung einer arbeitsfähigen Mehrheit als nicht

möglich herausgestellt hat, löse ich auf Grund des Artikels 25 der

Reichstagsverfassung den Reichstag auf, damit das deutsche Volk durch

Wahl eines neuen Reichstags zu der neugebildeten Regierung des

nationalen Zusammenschlusses Stellung nimmt. (Berlin, den 1. Feber

1933)57

Nach dem ‚Prager Tagblatt‘ hoffen die Nationalsozialisten und Deutschnationalen,

dass sie die Massen der Nichtwähler für die Märzwahlen gewinnen, und als Grund

dafür, dass die NSDAP größere Unterstützung als früher gewinnen soll, wird die

Figur des Reichkanzlers Hitler genannt. Warum soll aber gerade Hitler die Wähler

ansprechen? Es könnte sein Charisma sein, was neue Wähler gewinnen sollte, oder

seine Reden, mit denen er Massen von Menschen anspricht. Oder identifizieren sich

die Menschen mit Hitlers Ideologie, mit seiner Gedanken, die er präsentiert? Es gibt

nach der Zeitung viele Gründe, die für Hitler sprechen.

Ganz andere und vor allem sehr kritische Stellung zu den Neuwahlen in

Deutschland nimmt die ‚Volkswacht‘ ein. Aus folgendem Artikelabschnitt wird

sichtbar, dass sich die Arbeiterpartei bewusst war, dass „die Demokratie für

Deutschland“ nur ein Schleier für den zukünftigen Terror Hitlers ist. Die Zeitung

nimmt eine sehr kritische Stellung zum politischen Geschehen in Deutschland und zu

den geplanten Neuwahlen an. Diese werden so präsentiert, dass es der Regierung

57

PT (2. 2. 1933), S. 1.

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nicht um das Wohl der Menschen geht, wenn sie den Menschen die Möglichkeit zu

wählen gibt, sondern es handelt sich nur um die notwendige Unterstützung bzw. den

Anschein von Legalitaet, die Hitler und die Nationalsozialisten zum Sieg brauchen.

In Wahrheit ist es natürlich nicht der Ausdruck irgendeiner

demokratischen Gesinnung, der die neue Reichsregierung veranlasst, das

deutsche Volk um seine Meinung zu befragen, sondern es ist der Versuch,

auf „legalem“ Wege einen entscheidenden Vorstoß gegen die

Demokratie zu unternehmen, die Herrschaft des Faschismus zu

etablieren und den geplanten Staatsstreich zu legalisieren.58

6.2.2. Der preußische Landtag

Eine der Hauptfragen, mit der sich die Presse in dieser Zeit im Zusammenhang mit

der Bildung der neuen Regierung in Deutschland beschäftigt, ist die Auflösung des

preußischen Landtags. Preußen wehrt sich. Keine Selbstauflösung des Landtages.

Der nationalsozialistische Antrag abgelehnt. – Man sinnt auf andere Wege59

,

schreibt am 5. Februar 1933 die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘. Die ‚Bohemia‘ und

auch das ‚Prager Tagblatt‘ informieren darüber, dass der preußische Landtag den

Antrag zur Auflösung des Landtages mit 214 Stimmen des Zentrums, der

Sozialdemokraten, der Staatspartei und der Kommunisten gegen 196 Stimmen der

NSDAP und anderen Rechtsparteien abgelehnt hat. Die Nationalsozialisten

versuchen aber einen anderen Weg zur Auflösung des Landtags zu finden.60

Der preußische Landtag wurde ein Tag später, am 6. Februar, auf Grund der

von Reichspräsidenten erlassenen „Verordnung zur Herstellung geordneter

Regierungsverhältnisse in Preußen“ aufgelöst. Als Hauptgrund für diese Auflösung

wird die Pflichtverletzung Preußens angegeben. Die ‚Bohemia‘ veröffentlichte ein

Artikel unter dem Titel Die Begründung der Verordnung. Preußens angebliche

Pflichtverletzung. Hier schreibt man darüber, dass die Auflösung des Landtages zur

Wiederherstellung der Staatsautorität und einer einheitlichen politischen

Willensbildung nötig ist. „Die Führung des Staates mit geteilter Staatsgewalt hat sich

58

VW (4. 2. 1933), S. 1. 59

DZB (5. 2. 1933), S. 1. 60

PT (5. 2. 1933), S. 1.

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in der Praxis für längere Dauer als unmöglich erwiesen.“61

Man könnte sagen, dass

sich die ‚Bohemia‘ auf die Seite des Reiches stellt, dass es nach ihr nötig sei, das

deutsche Volk unter einer Reichsregierung zu vereinigen. Damit wird auch das klar

antidemokratische vorgehen Hindenburgs und der neuen Regierung gerechtfertigt.

Es hat sich klar gezeigt, dass kein Land zwei Regierungen haben, kein

Beamter zwei Herren dienen kann. Die Lage Deutschlands erfordert es

gebieterisch, dass im Reich und im größten deutschen Lande eine

einheitliche politische Willenbildung erreicht wird.62

Das ‚Prager Tagblatt‘ schreibt im Zusammenhang mit der Auflösung des Landtages

über den „Staatsstreich“ und äußert somit deutliche Kritik an der antidemokratische

Auflösung des Reichstags. Die Situation Preußens soll mit den Neuwahlen, die

gleichzeitig mit den Reichstagswahlen am 5. März stattfinden sollen, gelöst

werden.63

Das Tagblatt widmet sich auch der Haltung des Zentrums und Konrad

Adenauer, die die Auflösung des Landtages als verfassungswidrig verurteilen und

gegen die Neuwahlen auftreten.

Das Zentrum hat gegen die Maßnahmen des Reichspräsidenten und des

Reichskommissars für Preußen vom 6. Feber offiziell Einspruch erhoben.

Die Verordnung „zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in

Pressen“ wird als verfassungswidrig erklärt.64

Die ‚Volkswacht‘ reagiert auf das Geschehen in Preußen mit dem Zeitungsartikel Sie

pfeifen auf die Verfassung65

, womit das Blatt klar machen will, dass die Auflösung

des Landtages und das Benehmen der NSDAP nicht in Einklang mit der Verfassung

zu bringen sind. Drei Tage später spricht die ‚Volkswacht‘ über die erste Niederlage

der Regierung Hitlers.66

Als die Niederlage wird die Ablehnung des Antrags zur

Auflösung des Landtages durch die preußische Regierung am 5. Februar 1933

gesehen.

61

DZB (7. 2. 1933), S. 1. 62

Ebd. 63

PT (7. 2. 1933), S. 1. 64

PT (10. 2. 1933), S. 2. 65

VW (4. 2. 1933), S. 1. 66

VW (7. 2. 1933), S. 2.

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Natürlich reagiert die ‚Volkswacht‘ dann auch auf die Auflösung des Landtags durch

die Notverordnung des Reichspräsidenten. Staatsstreich und Bürgerkrieg in

Deutschland67

, informiert sie über die schlechte politische Lage in Preußen. Die

Macht wird in den Händen Hitlers, Hugenbergs und Papens konzentriert. Und gerade

Papen führt den Staatstreich durch. Präsident Hindenburg erließ zwei

Notverordnungen, eine zum Verbot der politischen Versammlungen und der

Beschränkung der Pressefreiheit für die kommunistischen und sozialdemokratischen

Zeitungen und eine Notverordnung zur Absetzung des Vorsitzenden Braun und

Auflösung des Landtages durch Papen.

Die abgesetzte Regierung Braun erklärt, dass die neue Verordnung

gegen die Reichsverfassung und gegen die Grundsätze der Entscheidung

des Staatsgerichthofes verstöße. Die preußische Staatsregierung werde

daher unverzüglich die Entscheidung des Staatsgerichthofes anrufen. Die

Gewaltakte, die Missachtung aller beschworenen Gesetze von Oben

müssen naturgemäß die Gewaltakte von unten gebären. Immer tiefer

gerät Deutschland in den Bürgerkrieg.68

Die ‚Volkswacht‘ will darauf hinweisen, dass die Meinungen über die

Regierung Hitlers unter den Leuten unterschiedlich sind. Es gibt einerseits

diejenigen, die Hitler priesen, andererseits die, die Hitler hassen und sich auch

darum bemühen könnten, die Konflikte mit ihm durch Gewalt zu lösen. In allen

Zeitungen findet man viele Beispiele dafür, wie die Andersdenkenden von den

Nationalsozialisten misshandelt und getötet waren. Es gibt aber auch Beispiele,

wo die Nationalsozialisten von den anderen beschimpft und misshandelt

werden. Die Leute versuchen, sich gegen die Staatsgewalt zu wehren, und die

Staatgewalt versucht, den Leuten keine andere Möglichkeit zu geben, als die

Nationalsozialisten zu unterstützen. Oft informieren die Zeitungen über die

Zusammenstöße zwischen den Nationalsozialisten und Kommunisten oder

sozialdemokratischen Arbeitern. Die Sturmabteilung und die

nationalsozialistischen Studenten verbreiten unter den Menschen das

67

VW (9. 2. 1933), S. 1. 68

Ebd.

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Bewusstsein, dass alle, die mit der Regierung Hitlers nicht einverstanden sind,

durch den Terror misshandelt werden.

6.2.3. Der Kampf gegen die KPD und SPD, Schlägereien auf den Straßen

Nicht nur das Zentrum beschloss das Misstrauen gegen das Kabinett Hitlers. Am 31.

Januar veröffentlicht die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ folgenden Satz: „Die

Sozialdemokraten und die Kommunisten beschlossen die Einbringung von

Mißtraungsanträgen gegen die Regierung Hitler.“69

Die Kommunistische Partei

Deutschlands und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands waren sich bewusst,

dass Hitler als Reichkanzler versuchen wird, die Linke mit allen möglichen Mitteln

von der politischen Szene zu beseitigen.

Der Reichsinnenminister Wilhelm Frick hat sich gleich nach der ersten

Kundgebung des neuen Reichstags zur Auflösung der KPD geäußert, um die Presse

und die Öffentlichkeit zu beruhigen. Das ‚Prager Tagblatt‘ veröffentlicht den Artikel

Erste Kundgebung. Verfassungsmäßiges Regieren. Keine Auflösung der KPD, in

dem sich Frick als Sprecher des Reichstags zur KPD äußert: „Ausdrücklich betonte

Frick noch, dass sich das Kabinett gegen ein Verbot der kommunistischen Partei

ausgesprochen habe.“70

Die Wirklichkeit war aber bald eine ganz andere.

In den folgenden Tagen wird die Öffentlichkeit vom ‚Prager Tagblatt‘ und von der

‚Deutschen Zeitung Bohemia‘ über die ersten Maßnahmen gegen die KPD und SPD

informiert. Offensive Goerings gegen die Kommunisten. Verbot von Versammlungen

unter freiem Himmel. – Schärfere Ueberwachung. – Polizei im Liebknecht-

Haus71

,Der erste Vorstoß gegen den Marxismus. Gegen KPD und SPD72

, so lauten

die Überschriften der Artikel, die über den Erlass Görings gegen die KPD berichten.

Alle kommunistischen Versammlungen unter freiem Himmel im ganzen

preußischen Staatsgebiet sowie alle Versammlungen etwaiger Unter- und

Rebenorganisationen der KPD. unter freiem Himmel werden in dem

69

DZB (31. 1. 1933), S. 1. 70

PT (31. 1. 1933), S. 1. 71

DZB (3. 2. 1933), S. 2. 72

PT (3. 2. 1933), S. 1.

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Erlaß verboten. Es wird weiter angeordnet, dass die übrigen

Versammlungen der Kommunisten sorgfältiger als bisher beobachtet und

sofort aufgelöst werden sollen, sobald eine Aufforderung zum Streik oder

zu „sonstigen hochverräterischen Unternehmungen“ ausgesprochen

werde.73

Der Erlass führte in Preußen zu vielen Hausdurchsuchungen bei den

kommunistischen Funktionären und Anhängern der KPD. Am 26. Februar

veröffentlicht das ‚Prager Tagblatt‘ den Zeitungsartikel Die Katakomben der KPD74

,

in dem über den Ergebnissen der Untersuchung vom Karl-Liebnecht-Haus, dem

Zentralhaus der KPD, berichtet wird. Während der Untersuchungen wurde ein

unterirdisches Gewölbe entdeckt, wo das vermeintlich hochverräterische Material

versteckt wurde, und ein unterirdischer Gang, durch den die gesuchten Personen vor

der Polizei verschwinden konnten.

[…] , dass die KPD. und ihre Unterverbände ein zweites illegales Dasein

unter der Oberfläche führten und eine außerordentlich rege

Agitationstätigkeit entfalteten, deren Quelle der Polizei geheimblieb. […]

In den unterirdischen Räumen liegen viele Hunderte von Zentnern

hochverräterischen Materials, das auf den Druckmaschinen im Karl-

Liebnecht-Haus gedruckt worden sein dürfte. In den Druckschriften wird

zum bewaffneten Umsturz, zur blutigen Revolution aufgerufen.75

Das Tagblatt präsentiert die KPD als eine antistaatliche Organisation, die sich

durch die Revolution um den Umsturz von Hitlers Regierung bemühen will.

Die kommunistische Partei wird als Verräter, als eine illegale Organisation

gesehen, die die Staatsgewalt beschädigen will. Die Zeitung übernimmt die

Meinung der NSDAP, dass man gegen die Kommunisten kämpfen muss, weil

sie die Staatsregierung untergraben wollen. Sie ist also in diesem Vorgehen

gegen den Kommunisten mit der Nationalsozialisten einverstanden.

73

DZB (3. 2. 1933), S. 2. 74

PT (26. 2. 1933), S. 1-2. 75

Ebd., S. 1.

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Die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ informiert am gleichen Tag, dem

26. Februar, über einem Kommunistenmarsch in Berlin. Dieser Marsch sollte die

Antwort auf den nationalsozialistischen Aufmarsch auf dem Bülow-Platz sein, der

am 21. Januar 1933 veranstaltet wurde. „Die Kommunisten marschierten in

geschlossenen Zügen mit zahlreichen roten Fahnen und Transparenten unter Musik,

Gesang, Hoch- und Nieder-Rufen zum Bülow-Platz.“76

Der Aufmarsch war ruhig

und die Polizei brauchte nicht einzugreifen.

Auch die SPD musste dem Angriff der NSDAP standhalten. Über die SPD

wird im ‚Prager Tagblatt‘ und der ‚Deutschen Zeitung Bohemia‘ nicht so viel

geschrieben wie über die KPD, trotzdem findet man ein paar Zeitungsartikel. Es geht

aber eher nur um kurze Informationen über das Verbot der sozialdemokratischen

Presse oder über die Zusammenstöße mit den Nationalsozialisten als um die

Beschreibung der konkreten politischen Situation der SPD im Reich.

„Sie [die NSDAP] hat die große Veranstaltung ‚Berlin bleibt rot‘, die von der SPD.,

den Gewerkschaften und der Eisernen Front gemeinsam am kommenden Sonntag in

Luftgarten durchgeführt werden sollte, verboten.“77

Am 3. Februar 1933 wurde in

Preußen die Herausgabe der sozialdemokratischen Zeitung Vorwärts für drei Tage

verboten. Später galt dieses Verbot auch für andere Länder des Reiches. So schreibt

das ‚Prager Tagblatt‘:

Die gestrige Morgenausgabe des ‚Vorwärts‘, die den Wahlaufruf der

sozialdemokratischen Partei mit dem Motto „Freiheitsfront gegen

‚Harzburger Front‘“enthielt, ist gestern abend auf Anordnung des

Berliner Polizeipräsidiums in ganz Berlin beschlagnahmt worden.78

Ganz anders äußert sich zur Situation der KPD und SPD die ‚Volkswacht‘.

Annullierung der kommunistischen Mandate?79

, schreibt die Volkswacht am

4. Februar 1933. Sie sieht das Verbot der KPD vor der Reichstagswahl als

‚unklug‘, weil ihre Wähler zum Zentrum oder Sozialdemokratie übergehen und

so diese zwei Parteien die Mehrheit im Reichstag bilden könnten. Wenn aber

76

DZB (26.2. 1933), S. 7. 77

PT (3.2. 1933), S. 1-2. 78

PT (4.2. 1933), S. 2. 79

VW (4.2. 1933), S. 2.

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die Regierung die KPD erst nach der Wahl verboten würde, so könnte die

Hitler Regierung die Mehrheit gewinnen, wenn sie die kommunistischen

Mandate annullieren würde.

Dann informiert die ‚Volkswacht‘ in dem Artikel Die Sozialdemokratie

wünscht Kampfgemeinschaft mit den Kommunisten über die Sitzung des

sozialdemokratischen Parteiausschusses mit dem Parteivorstand, an der auch die

Vertreter der Eisernen Front und Mitglieder der sozialdemokratischen

Reichstagsfraktion teilnahmen. Die Zeitung ruft die Arbeiter öffentlich zum Kampf

gegen Hitler und den Nationalsozialisten auf.

Die Arbeiterschaft muß sich bewusst sein, dass sie immer mehr in die

ernstere Phase des Klassenkampfes eintritt. Für die entscheidende

Stunde gilt es die Kräfte des arbeitenden Volkes zu sammeln, damit sie in

geschlossener Front eingesetzt werden können.80

Wie das ‚Prager Tagblatt‘ und die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ informiert auch

die ‚Volkswacht‘ über Beschränkung der Pressefreiheit und Verbot der

linksorientierten Zeitungen. Am Ende der Liste mit diesen Verboten, die in der

Ausgabe aus dem 7. 2. 1933 zu finden ist, wird folgender Kommentar

abgegeben: „2 Tage Hitlerregierung zeigen die braune Pest ohne Maske. Der

Faschismus rast. Der Tag der Abrechnung kommt.“81

Hitler und die

Nationalsozialisten werden als Pest bezeichnet, als etwas, was das ganze Volk

vernichten kann.

Die kritische Einstellung zur Regierung Hitlers zeigt sich in der

‚Volkswacht‘ oft. Die Zeitung bewertet die Bilanz der Kanzlerschaft Hitlers,

äußert sich negativ oder ironisch zu seiner Person.

Eine Woche Drittes Reich, und die Bilanz: Blut, Rechtsbruch, Knebelung,

Terror, Verrat an allen ‚sozialen‘ Verheißungen, Unternehmer-

knechtschaft und Arbeiterfeindlichkeit. Die Arbeitslosigkeit in

80

Ebd. 81

VW (7. 2. 1933), S. 3.

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Deutschland aber steigt weiter an, die Not wächst von Tag zu Tag. Sie

läßt sich durch keine Notverordnung und durch keinen SA-Terror

bannen!82

Sozialisten niederknallen ist Dienstpflicht83

, so berichtet die ‚Volkswacht‘ über

den Erlass Goerings, den er an alle Polizeibehörden gerichtet hat. In diesem

Erlass erlaubte er der Polizei mit allen möglichen Mitteln in solchen Situation

eingreifen, in denen sich in der Öffentlichkeit nur der Anschein einer

feindlichen Haltung zu den nationalen Parteien oder Verbänden zeigt.

Über die verhängnisvollen Zusammenstöße zwischen den

Andersdenkenden informierte aber die ‚Volkswacht‘ schon früher vor dem

Erlass Goerings. Am 31. Januar 1933 wird der Artikel mit dem Titel

Polizeimasakr in Dresden. Mörderische Salven in einer überfüllten

Versammlung. Zwölf Tote – Viele Verletzte veröffentlicht. Der

kommunistische Kampfbund hielt in Dresden eine Versammlung ab, die von

der Polizei gestört wurde. Während des Zusammenstoßes starben zwölf

Arbeiter und viele weitere waren verletzt. Die Polizei versuchte die

Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Arbeiter die Schießerei

provoziert haben. Der Polizeibericht zeigte sich aber bald als eine große Lüge.

Die ganze Schießerei wurde verurteil und als geplanten Angriff auf die

Arbeiter gesehen. „Die sogenannte Staatsautorität kann auf ihren ‚Sieg‘ stolz

sein. Zwölf Tote, zwölf sinnlos Gemordete liegen auf der Bahre.“84

6.2.4. Vierjahresplan und Marxismus

Einige der Artikel widmen sich dem Marxismus und dem Vierjahresplan Hitlers zum

Wiederaufbau des Reiches. Während vier Jahre sollte die Regierung der nationalen

Erhebung das Deutsche Reich und Volk zum Wiederaufstieg zu bringen und die

Schuld des vierzehn Jahren herrschenden Marxismus wieder gutzumachen.

Die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ veröffentlicht am 2. Februar 1933 das Appell der

Regierung an das deutsche Volk:

82

VW (11. 2. 1933), S. 1. 83

VW (23. 2. 1933), S. 2. 84

VW (31. 1. 1933), S. 2.

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Der Reichspräsident Generalfeldmarschall von Hindenburg hat uns

berufen mit dem Befehl, durch unsere Einmütigkeit der Nation die

Möglichkeit des Wiederaufstieges zu bringen. Wir appellieren deshalb

nunmehr an das deutsche Volk, diesen Alt der Versöhnung selbst mit zu

unterzeichnen. […]Nun, deutsches Volk, gib uns die Zeit von hier vier

Jahren und dann urteile und richte uns!85

Die ‚Bohemia‘ informiert die Leser auch darüber, was der Vierjahresplan zum Ziel

hat. Sie schreibt über zwei Vierjahrespläne, die zur Reorganisation der Wirtschaft

helfen sollten. Erstens sollte er zur Rettung des deutschen Bauern und zur Erhaltung

der Ernährungs- und Lebensgrundlage der Nation helfen. Zweitens sollte zur

„Rettung des deutschen Arbeiters durch einen gewaltigen und umfassenden Angriff

gegen die Arbeitslosigkeit“86

dienen. Als Schuldige für die große Arbeitslosigkeit

und den schlechten Zustand des Reiches und ihrer Wirtschaft werden die Marxisten

gesehen. Die ‚Bohemia‘ präsentiert den Vierjahresplan als ein Rettungsplan für das

deutsche Volk, dessen Leben durch die Krise belastet wird. Nach der Verwirklichung

dieses Planes sollte sich das Leben des deutschen Volkes verbessern.

Vierzehn Jahre Marxismus haben Deutschland ruiniert. Ein Jahr

Bolschewismus wuerde Deutschland vernichten. Die heute reifsten und

schönsten Kulturgebiete der Welt wurden in ein Chaos und Trümmerfeld

verwandelt.87

Das ‚Prager Tagblatt‘ äußert sich zum Vierjahresplan nicht. Auch

irgendwelche Reaktionen auf Marxismus findet man in dieser Zeitung nicht.

Nur einen Artikel beinhaltet einen Satz, den Hitler zum Marxismus sagen

sollte: „In zehn Jahren wird es in Deutschland keine Marxismus mehr geben.“88

Obwohl das Titel des Artikels Zehnjahresplan Hitlers…gegen Marxismus ist,

widmet sich er vor allem der Rede Hitlers zur Rechtspresse. Das Tagblatt

85

DZB (2. 2. 1933), S. 3. 86

Ebd., S. 2. 87

Ebd. 88

PT (9. 2. 1933), S. 1.

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nimmt keine Stellung zum Marxismus oder Vierjahresplan, beschäftigt sich mit

diesen überhaupt Themen nicht.

Die ‚Volkswacht‘ reagiert auf das Thema Hitler und Marxismus und

das Vierjahresplan ganz anders als die zwei oben genannten Zeitungen.

Am 4. Februar 1933 veröffentlicht sie die Teile der Rundfunksrede Hitlers, in

der er über den Vierjahresplan und den Marxismus sprach. Die Zeitung äußert

sich dazu mit Hohn:

Er [Hitler] kündigte zwei Vierjahrspläne zur Rettung der deutschen

Wirtschaft an. In vier Jahren müsse der deutschen Bauerstand gefunden

und in vier Jahren dürfe es keine Arbeitslosigkeit mehr geben. Als Mittel

im Kampfe gegen die Arbeitslosigkeit kündigte Hitler die

Arbeitsdienstpflicht und die Siedlungspolitik an.89

Die öffentliche kritische Reaktion auf Hitler findet man erst in späteren

Zeitungsausgaben. Das Programm des Retters, so betielte die ‚Volkswacht‘

den Artikel, in dem sie auf Hitlers Kritik des Marxismus reagiert. Hitler sieht

die Marxisten als Ursache der Not und der Arbeitslosigkeit im Reich. Die

Zeitung bezeichnet diese Behauptung aber als Unsinn, dem nur naive

Menschen glauben können, weil nicht nur die Marxisten in den früheren

vierzehn Jahren regierten. Keine Marxisten haben den Ersten Krieg verloren,

der vor allem die Ursache der Krise in Deutschland war, sondern die

Deutschen. Die Zeitung kritisiert Hitler, weil er über diese Hauptgründe der

Krise schweigt. Sie kritisiert seinen Vierjahresplan und fragt, warum gerade

vier Jahre zur Rettung der Bauern und des Reiches braucht und wo seine

Versprechungen an die Wähler sind.

Wieso in vier Jahren? – werden Millionen Wähler fragen. Noch vor

kurzer Zeit hat die nationalsozialistische Presse versichert, dass Hitler

dem deutschen Volk sein Rettungsprogramm innerhalb 48 Stunden

vorlegen werde. Wo ist es? Noch in den letzten Wahlkämpfen

89

VW (4. 2. 1933), S. 2.

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versicherten die Nazis, daß man Hitler nur an die Macht zu lassen

brauche, und sein Geheimrezept werde innerhalb kurzer Zeit Wunder

wirken. Jetzt soll das harrende Volk vier Jahre warten?90

Weitere Kritik an Hitlers Behauptung, dass die Marxisten für die Krise im

Reich verantwortlich sind, erscheint zwei Tage später in dem Artikel 14 Jahre

Marxismus. – Ob das Hitler weiß. Die ‚Volkswacht‘ schreibt in diesem Artikel

über die Leute, die während der letzten 14 Jahre regierten, und für nach Hitler

folglich für zerstörte Deutschland Schuld tragen sollten. Hier werden zum

Beispiel der Reichspräsident Hindenburg, Reichbankpräsident Schacht,

Außenminister Freiherr von Neurath, der Reichwehrminister von Blomberg

und viele weitere genannt, die keine Marxisten waren und sich auf der

Regierung während der letzten 14 Jahren beteiligten. Die Volkswacht stellt

eine rhetorische Frage, ob überhaupt Hitler weiß, dass unter all den Genannten

kein Marxist ist. Kennt er überhaupt die Politiker, die sich in den letzten Jahren

an der Regierung in Deutschland beteiligten?

Er weiß es wohl nicht, sonst könnte er wohl kaum den Satz in die Welt

schmettern, 14 Jahre Marxismus haben Deutschland ruiniert. Er

kennzeichnete damit nicht den Marxismus, sondern seine eigenen

politischen Kenntnisse.91

Die Feindschaft zwischen Hitler und den Marxisten ist aus den Artikeln

sichtbar. Die ‚Volkswacht‘, das Organ der Deutschen sozialdemokratischen

Arbeiterpartei, ist die einzige der drei Zeitungen, die eine klare negative,

kritische Stellung zu Hitler einnimmt.

6.2.5. Der Reichstagsbrand

Das wichtigste Ereignis, der zur Massenverhaftungen und der Hetze gegen die

Kommunisten führte, war der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933. Die Nachricht

über dem Reichstagsbrand hat sich schnell weltweit verbreitet.

90

VW (9. 2. 1933), S. 1. 91

VW (11. 2. 1933), S. 1.

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Die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ informiert: Der Reichstag in Brand

gesteckt. Das Gebäude nahezu völlig zerstört. Der Brandstifter ein niederländischer

Kommunist.92

Die Zeitung veröffentlicht die Fakten, die schon bekannt sind. Gegen

viertel 10 Uhr wurden die Feuerwehr und die Polizei zum Brand gerufen. Die

Flammen verbreiteten sich schnell durch das ganze Gebäude und auch die brennende

Kuppel des Reichstags wurde völlig zerstört. Man schätzt, dass im Gebäude etwa

von 20 bis 30 Brandherde waren, nicht nur eins. Daraus schließt die Polizei darauf,

dass der Brand gut geplant sein musste und sich vielleicht mehrere Personen an der

Tat beteiligten. Obwohl nur ein Brandstifter entdeckt wurde, meint man, dass weitere

noch im Gebäude versteckt sein könnten. „Ein Schutzpolizeibeamter, der sich nach

Ausbruch des Brandes vor dem Reichstagsgebäude aufhielt, bemerkte hinter einer

der Säulen einen vorbeihuschenden Fackelträger, auf den er sofort schoß.“93

Der einzige entdeckte Brandstifter, der niederländische Kommunist Marinus van der

Lubbe, wurde verhaftet. Beim Verhör gab er als Motiv seiner Tat die „Rache am

internationalen Kapitalismus“ an und wollte sich zu den angeblichen Mittätern oder

Auftraggebern nicht äußern. Während einer Nacht wurde der Reichstag zerstört und

sein Wiederaufbau und Reparatur werden auf 7 oder 8 Monate geschätzt.

Obwohl die Zeitung keine eigene Stellung zu dem Ereignis nimmt, ist es

interessant, dass es sich nicht wie andere Zeitungen damit beschäftigt, wer der

angebliche Brandstifter war. Sie präsentiert es als sicher, dass der Täter ein

Kommunist sein muss, gibt dem Leser keine andere Möglichkeit. Sie lässt nur die

Frage offen, ob er der einzige Brandstifter war.

Das ‚Prager Tagblatt‘ beschäftigt sich nicht mit dem Reichstagsbrand selbst,

sondern gleich mit seinen Folgen. Hitlers großer Schlag gegen KPD und SPD,

Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“, Massenverhaftungen, so lauten die

Titel der Artikel, die die politische Situation nach dem Brand beschreiben. Das

Tagblatt informiert über die Notverordnung des Reichspräsidenten, mit der die

Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Grundrechte des Menschen beschränkt werden,

92

DZB (28. 2. 1933), S. 1. 93

Ebd.

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über Massenverhaftungen der Kommunisten und der Sozialdemokraten, die sich

angeblich nach den Behörden auch auf dem Brand beteiligt haben sollen.

Interessanter ist ein anderer Artikel, der sich der Bedeutung der Brandstiftung

widmet und nicht nur die Fakten mitteilt. Der Journalist setzt den Reichstagsbrand

mit der Brandfackel des Bürgerkriegs gleich. Er sucht in diesem Brand bestimmte

Symbolik, bzw. fragt sich, ob dieses Ereignis irgendwelche überhaupt hat. Man stellt

sich die Frage, warum gerade der Reichtag zum Ziel des Brandes wurde? „Sie hätte

nur dann einen Sinn, wenn sie einen Bau gegolten hätte, der ein ‚Bollwerk‘ einer

feindlichen Macht darstellt.“94

Die Bastille in Frankreich verkörperte den

Absolutismus, aber welche Macht verkörpert der Reichstag? Vielleicht sollte er den

Parlamentarismus verkörpern. Zum Parlamentarismus in Deutschland äußert sich der

Journalist aber mit Hohn, als ob in Deutschland kein Parlament funktionierte.

Der Reichstagsbrand wird als ein Ereignis präsentiert, der für die Nationalsozialisten

vor den Reichstagswahlen günstig war. Der Brand konnte zum Bekämpfen der

politischen Gegner dienen und als ein Versuch betrachtet werden, größere

Sympathien bei den Wählern gewinnen. Hier stell sich wieder die Frage, warum der

Reichstagbrand helfen sollte, größerer Erfolg der NSDAP bei den Wahlen zu

erreichen. Sind es die Schritte gegen der KPD und SPD, die Hitler nach dem

Reichstagsbrand unternahm? Identifizierten sich so viel die Menschen mit dem

Führer, stimmten sie dem Kampf gegen die Linke zu?

Indem Hitler die Brandstiftung als augenfälliges Beispiel dessen hinstellt,

was die Welt von dem bolschewistischen Vordringen zu gewärtigen hat,

indem er sich als Vorkämpfer gegen diese Gefahr in Empfehlung bringt,

glaubt er auch dort Verständnis zu finden, wo man sonst für das

Hakenkreuz nicht viel übrig hat.95

Hitler war in der Wirklichkeit aber kein Vorkämpfer, weil schon in früheren Zeiten

diese Taktik bei den Wahlen verwendet wurde. Der Journalist ist überzeugt, dass der

Brand den Nationalsozialisten als Hilfsmittel für die Wahlwerbung diente, aber kein

so wichtiges Ereignis wie der Sturz der Bastille am Anfang der Revolution in

94

PT (1. 3. 1933), S. 1. 95

Ebd.

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Frankreich ist. Die Nationalsozialisten werden meiner Meinung nach vom Journalist

auch als die präsentiert, die zum Erreichen ihres Zieles alles Mögliche machen und

vor keine Mittel zurückschrecken.

Sie nehmen den Brand als zusätzliches Hilfsmittel für die Wahlwerbung

dankbar hin, aber sie hätten auch ohne diesen willkommenen Vorwand

die Verhaftungen nicht gescheut, sie wären auch vor den Verordnungen

nicht zurückgeschreckt […]96

Auch die ‚Volkswacht‘ berichtet über den Reichstagsbrand. Sie wehrt sich dagegen,

dass der Täter angeblich ein Kommunist ist. Selbst der Redakteur äußert sich dazu

mit folgenden Worten: „Daß sich jemand gerade zum Brandstiften das

Parteimitgliedsbuch mitnimmt, ist ein vollkommener Blödsinn; dieser verdächtige

Umstand verrät deutlich die absichtliche Mache! Red.“97

Die Volkswacht ist die einzige Zeitung, die öffentlich Hitler und die

Nationalsozialisten kritisiert. Im Artikel Durch Deutschland wütet der Wahnsinn der

Selbstzerstörung informiert die Zeitung am 4. März 1933. Die Zeitung beschuldigt

die Nazis des Reichstagsbrandes, ist kritisch, wütend und offensiv, verteidigt die

Kommunisten. „Die Brandstifter sitzen im Hitlerkabinett. […] Die Brandlegung im

Reichstagsgebäude ist in der Tat ein ungeheuerlicher Schurkenstreich – aber nicht

der Kommunisten, sondern der Nazi!“98

Die Zeitung stellt die Argumente vor, warum der Brandstifter kein Kommunist sein

konnte und die Nationalsozialisten große Lügner sind. Erstens argumentier sie damit,

zum welchen Zweck sollten es gerade die Kommunisten machen. Sind wirklich alle

überzeugt, dass sie selbst die eigene Partei zerstören wollen?

Die Nazi haben das Feuer gelegt, haben das Reichstagsgebäude

angezündet, um dieses irrsinnige Verbrechen den Kommunisten in die

Schuhe zu schieben, um die Sozialdemokraten als „Mitwisser der

96

Ebd. 97

VW (2. 3. 1933), S. 1. 98

VW (4. 3. 1933), S. 1.

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Brandstiftung“ beschuldigen und am Ende beide sozialistische Parteien

unterdrücken zu können.99

Die Nationalsozialisten haben ihrer Meinung nach den Reichtag angezündet, um

Unschuldige zu verderben. Als weiteres Argument führt die Zeitung unterschiedliche

amtliche Berichte, die das Ereignis beschreiben. Ist es nicht seltsam, dass van der

Lubbe bei sich den Pass und das Mitgliedsbuch hatte? Die Nationalsozialisten haben

auch keinen anderen Beweis oder Zeugen des Brandes. Der einzige Beweis ist der

Täter selbst, der alles gestanden hat.

Er hat alles „gestanden“, was die Naziregierung gern hören wollte. […]

Die Wahrheit ist, dass die Nazi sich diesen Schuft [van der Lubbe]

gekauft haben, dass dieser Schuft tatsächlich den Brand gelegt hat – aber

nicht im Auftrag der Kommunisten, sondern im Sold und Auftrag der

Nazi!100

Die Kommunisten sind überzeugt, dass van der Lubbe von Nationalsozialisten

bezahlt wurde, den Brand zu legen. Auch die Holländer machten bekannt, dass van

der Lubbe ein Provokateur, ein Polizeispitzel ist, der aus der kommunistischen Partei

austrat und sich gegen Kommunisten wandte. Die Nationalsozialisten sind mit einem

Wort als Lügner präsentiert, vor denen die Kommunisten und Sozialdemokraten aber

keine Angst haben. Der Artikel ist nicht nur kritisch, in manchen Teilen vielleicht

auch zynisch und verbirgt auch bestimmte kämpferische Stimmung in sich.

6.3. Selbstwehr

Auf folgenden Seiten wollte ich mich der Analyse der Artikel der Selbstwehr

widmen. Wie ich schon erwähnt habe, beschäftigt sich die Selbstwehr mit ganz

anderen Themen als die drei anderen Zeitungen. Hier findet man keine detaillierten

Nachrichten über die Politik in Deutschland, über die Angriffe gegen die KPD und

SPD, über die Auflösung des preußischen Landtags. Die Selbstwehr beobachtet die

Reichskanzlerschaft Hitlers aus einer ganz anderen Perspektive: Sie beschäftigt sich

99

Ebd. 100

Ebd.

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mit der Frage, welche Folgen für die Juden die Regierung Hitlers hat und haben

könnte.

Der Frage, ob die Ernennung Hitlers zum Reichkanzler positiv oder negativ

für die Juden ist, widmet sich der Artikel Reichskanzler Hitler. Die Selbstwehr sieht

dieses Ereignis als „ein Markstein in der Geschichte des deutschen Judentums, sowie

in der Geschichte des Antisemitismus.“101

Die Juden sollten aber nicht dem

Pessimismus verfallen, weil niemand weiß, wie die „Judenpläne“ aussehen. Man

versucht Gegenargumente in Bezug darauf anzuführen, was die Verwirklichung von

Hitlers Judenprogramm verhindern könnte. Erstens seien in der neuen Regierung nur

drei Nationalsozialisten und die anderen Politiker seien keine Antisemitisten. Auf der

Seite der Juden stehe auch der Reichspräsident Hindenburg, der den Juden die

Sicherheit und Korrektheit versprach. Zweitens braucht Hitler zur Regierung die

Unterstützung des Zentrums im Reichstag, das auch nicht antisemitisch ist. Drittens

wäre die Judenverfolgung eine große Komplikation für Hitlers wirtschaftliche und

außenpolitische Ziele. Es gibt viele Argumente, die den Juden die Hoffnung geben,

dass sie in Sicherheit ruhig leben können.

Obwohl die Selbstwehr positiv auf ihre Leser wirken will, verbirgt sich hinter dem

Text eine gewisse Unsicherheit darüber, was jetzt mit den Juden in Deutschland

passieren wird. Die Zeitschrift ist überzeugt, dass Hitler gerade dem Antisemitismus

sein Aufstieg verdankt: Hitlers Karriere wurde auf dem Judenhass aufgebaut. „Das

Judenprogramm, mit denen die Nationalsozialistische Partei die Masse eroberte, läßt

an Deutlichkeit ebenso wenig zu wünschen übrig, als ihr Kampfruf, der nun zu einem

Siegesruf geworden ist: Juda verrecke!“102

Auf Deutschland richtet sich die Aufmerksamkeit der Juden auf der ganzen

Welt. Nicht nur die ‚Selbstwehr‘, sondern die gesamte zionistische Presse

konzentriert sich seit diesem Zeitpunkt auf das Geschehen in Deutschland und die

hier lebenden Juden. Deutschland wird als ein Kulturland gesehen, das aus

verschiedenen historischen Gründen eine wichtige Position im jüdischen Empfinden

einnimmt. Die Regierung Deutschlands versucht nach der Meinung der ‚Selbstwehr‘

101

Selbstwehr (weiter als SW) (3. 2. 1933), S. 1. 102

Ebd.

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die Juden zu beschwichtigen, dass sie keine Angst haben müssen. Trotzdem sehen

die Juden dieses Land als eine Gefahr und nehmen ihre schlechte Situation sehr

ernst. Die ‚Selbstwehr‘ schreibt:

Am allerwenigsten ist es erwünscht, dass den Juden selbst durch

Beschwichtigungsversuche wieder das Empfinden für ihre Wirkliche

Situation genommen wird. Wir haben bereits unter früheren Regierungen

darauf hingewiesen, dass es weniger auf formulierte Erklärungen

einzelner Persönlichkeiten ankommt, als auf die reale Wirklichkeit, in der

wir stehen.103

Die Befürchtungen der Juden zeigten sich bald als berechtigt. Am 17. Februar

informiert die ‚Selbstwehr‘ darüber, wie die NSDAP den Antisemitismus im

Wahlkampf benutzt. Der ‚Völkische Beobachter‘ veröffentlichte einen einseitigen

Wahlaufruf, der sehr antisemitisch war. Der Wahlaufruf mit dem Titel „Eine Kunst,

die nichts mit deutschen Blut zu tun hat, und die nicht aus unserer Seele kam“ wird

gegen den Juden gerichtet. Die Juden werden öffentlich beschimpft und als Pest

bezeichnet. Der Wahlaufruf wird auf die Wähler gerichtet und versucht sie für die

NSDAP zu gewinnen. Gerade der Antisemitismus wird als Grund dafür gedeutet,

warum die Leute Hitler und die NSDAP wählen.104

Erst im Artikel Zur Situation der Juden Deutschlands appelliert die

Zeitschrift auf alle Juden und schreibt über das schlechte Benehmen gegenüber den

Juden in Deutschland. Obwohl die ersten Schritte der neuen Regierung in Bezug auf

‚Judenfrage‘ ruhig verliefen, verwandelte sie sich bald ihre Einstellung in eine

feindliche Politik gegen die Juden. Manche Juden werden aus ihren Ämtern entlassen

und von Minister Frick als „unzuverlässiges Element“ bezeichnet. In diesem Artikel

sind keine Hoffnungen, kein Optimismus wie in den früheren Artikeln zu sehen,

sondern die Juden werden sich schon bewusst, wie ernst die Situation ist. Mit

folgenden Worten beschreibt die Zeitschrift die Lage der deutschen Juden:

103

SW (10. 2. 1933), S. 1. 104

SW (17. 2. 1933), S. 1.

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Ohne auch nur einen Moment lang sich einer Panikstimmung

hinzugeben, sollten die deutschen Juden sich des ganzen schweren

Ernstes ihrer Lage bewusst sein. Hierbei werden sie gut daran tun, sich

nicht auf Wunder zu verlassen und der Erwartung hinzugeben, dass die

jetzt in Deutschland geschaffene Politik gewandelt werden könnte.105

Die ‚Selbstwehr‘ warnt vor der Lage in Deutschland, die kein Provisorium ist,

sondern sich zur neuen Ordnung für längere Dauer zu entwickeln scheint. Es gibt

keine Erwartungen der Juden, dass sich die Politik in Deutschland verändern könnte,

dass vielleicht Hitler gestürzt werden könnte. Die jüdischen Organisationen sind zum

Handeln gezwungen und sollten mehr als früher die Interessen der jüdischen

Gemeinde vertreten. Als erster Schritt zur Lösung der schlechten Lage der Juden wird

das Treffen der Reichsvertretung der jüdischen Landesverbände Deutschlands am 12.

Februar 1933 nach Berlin einberufen.

Schrankenlose Judenhetze in Deutschland, schreibt die ‚Selbstwehr‘ am

24. Februar 1933. Nach der Verordnung „zum Schutze des deutschen Volkes“, die

die Pressefreiheit- und die Versammlungsfreiheit im Reich beschränkte, verstärkten

die Nationalsozialisten die „Beschimpfungs-Kampagne“ gegen die Juden. Die

Selbstwehr versucht die Frage zu beantworten, die in der ‚Jüdischen Rundschau‘

erscheint:

Sind die deutschen Juden dieser Verächtlichmachung ihres Volkstums

und ihrer Religion, dieser Vergiftung des Volkes durch falsche oder

falsch beleuchtete Tatsachen, dieser Hetze gegen alles, was jüdisch heißt,

wehrlos und schutzlos preisgegeben?

Die jüdische Presse in Deutschland ist zwar bereit, gegen die NSDAP Stellung

zu nehmen, hat aber Angst, dass sie von der Staatsgewalt, die von den

Nationalsozialisten kontrolliert wird, des „Hochverrats“ beschuldigt wird. Laut

der Notverordnung sollten nur solche Nachrichten verboten werden, die die

Interessen des Staates gefährden, die ‚Selbstwehr‘ ist aber der Meinung, dass

105

Ebd.

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das Verbot der Nachrichten davon abhängt, was dem Staat passt. Die

‚Selbstwehr‘ verurteilt die nationalsozialistische Presse als skrupellos, weil sie

dem Volk in vielen Sachen lügt. Sie kritisiert auch die Tatsache, dass die

Nationalsozialisten die Bezeichnung Jude nicht nur für „wirkliche“ Juden

verwenden. Oft werden die Autoren, Künstler, Bücher, usw. als schädlich für

die Deutschen verurteilt und mit dem Judentum im Zusammenhang gebracht,

obwohl sie keine Juden sind bzw. nicht von der Juden produziert wurden. In

einer Zeitung wird ein Abgeordneter als „Judenlump“ bezeichnet, obwohl er

„arischer Abstammung“ sei. Die ‚Selbstwehr‘ spielt indirekt darauf, dass die

Nationalsozialisten überhaupt nicht wissen, wer Jude ist und nach welchen

Kriterien sie dies bestimmen können. Die Zeitschrift schreibt:

Durch diese Handhabung der „Wahrheit“ wird dem Volk eingehämmert,

dass alles, was nach nationalsozialistischer Auffassung bekämpfenswert

sei, jüdisch ist. Der Judehaß wird zu einem Ausmaß geschürt, das

verhängnisvolle Folgen haben kann.106

Die nationalsozialistische Presse versucht laut der ‚Selbstwehr‘ alle Juden zu

verunglimpfen. Sie informiert über einzelne Juden, die Verbrecher oder Betrüger

sind, und beschuldigt danach die ganze jüdischen Gemeinde, die aber nicht für

solche Juden verantwortlich ist und sie nicht verteidigt.

Aus dem Artikel kann man schließen, dass laut der ‚Selbstwehr‘ die

Nationalsozialisten unmoralisch sind ‒ sie sind große Lügner, die alles Mögliche

machen, um die Leute für sich zu gewinnen. Dieses Benehmen der

Nationalsozialisten betrachtet die ‚Selbstwehr‘ aber als nicht überraschend, weil

schon im Programm der NSDAP verankert ist, dass die deutschen Juden anders als

mit den anderen Deutschen behandelt werden soll.

Es hat den Anschein, dass nach dem Willen der Regierung der Name der

Presse-Verordnung „zum Schutze des Deutschen Volkes“ dahin zu

deuten ist, dass Juden des Schutzes […] nicht teilhaftig werden sollen.

106

SW (24. 3. 1933), S. 1.

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Das ist eine Tatsache, mit der die deutschen Juden zunächst rechnen

müssen.107

Weitere Hetze auf die Juden unternimmt das nationalsozialistische Blatt ‚Angriff‘,

das von Goebbels herausgegeben wird. Im ‚Angriff‘ erschien der Artikel Unerhörte

jüdische Hetze im Ausland gegen die deutsche Nation. – Landesverräter am Werk.

Hier wurde über jüdische Literaten und Politikern gesprochen, die angeblich die

Deutschen im Ausland in den Schmutz ziehen. Der ‚Angriff‘ stellt die Juden als

diejenigen vor, die die deutsche Nation vernichten wollen, nicht umgekehrt, wie es in

der Wirklichkeit später war. Die ‚Selbstwehr‘ äußert sich zwar zu dieser Taktik der

Nationalsozialisten direkt nicht, ist sich aber bewusst, dass die Hetze gegen die Juden

immer schärfer wird und auch die „Form und Inhalt der Anschuldigungen sind dazu

angetan, in einer gefährlichen Weise auf die Volksstimmung zu wirken.“108

Der gesamten politischen Situation und der Judenfrage widmet sich der

Artikel Deutschland vor der Wahl. Es geht um eine Polemik über die weitere

Entwicklung der Politik und die Position der Juden im Reich. „Man kann die

Vorgänge in Deutschland nur dann richtig verstehen, wenn man sich klar macht, dass

wir in einer ‚revolutionären Situation‘ stehen“109

, mit diesen Worten wird das Artikel

eingeleitet. Der 30. Januar wird als Markstein in der Geschichte gesehen. Obwohl am

Anfang viele glaubten, dass die neue Regierung nicht lange funktionieren und eine

neu gebildet wird, zeigte sich nach ein paar Wochen diese Behauptung als falsch. Die

Ernennung Hitlers zum Reichkanzler kann nach dem Text als ein unerwartetes und

schnelles Ereignis betrachtet werden, mit dem sich alles vor allem für Juden

veränderte. Wie man aber weiß, der Aufstieg Hitlers war keine Revolution wie die

anderen Revolution, die wir kennen.

Wie das Ergebnis der Wahlen am 5. März aussehen wird, kann man nach der

‚Selbstwehr‘ nur polemisieren. Aber als wahrscheinlich scheint, dass wenn zu der

Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen politischen Spektren kommt, die

Nationalsozialisten, hinter denen mehr als 12 Millionen Wähler steht, an der Macht

107

Ebd. 108

SW (3. 3. 1933), S. 1. 109

SW(3. 3. 1933), S. 3.

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bleiben. Man kann daraus schließen, dass nach der ‚Selbstwehr‘ der Erfolg der

NSDAP vor allem von den Wählern abhängt und es auch keine andere Möglichkeit

gibt als die, dass die NSDAP weiterhin an der Macht bleibt bzw. ihre Macht noch

gestärkt wird.

Der zweite Teil des Artikels widmet sich der Stellung der Juden in Deutschland.

Wenn die Nationalsozialisten zur, die ihr Programm auf dem Antisemitismus

aufbauen, endgültig an die Macht kommen, wird sich wesentlich das Leben der

deutschen Juden ändern. Die Juden werden als Staatsfeinde betrachtet. Die Juden

sind schon wegen der Wirtschaftskrise verarmt und ihre Position im öffentlichen

Leben hat sich schon von diesem Zeitpunkt verschlechtert.

Man kann von intelligenten Vertreten des deutschen Nationalismus öfter

die Ansicht hören, dass die Judenfrage heute keine Frage ersten Ranges

mehr ist, da der jüdische Einfluß ohnedies im Schwinden sei. Aber in der

Agitation benützt man den Antisemitismus in unverminderter Stärke, ja

gerade während dieses Wahlkampfes ist eine ungezügelte Judenhetze der

nationalsozialistischen Presse festzustellen.110

Erst mit dem Aufstieg Hitlers beginnen für die Juden wirklich schlechte Zeiten.

Die Nationalsozialisten kämpfen zwar für die Einigung aller Deutschen,

sprechen über der deutschen Nation, wissen sie aber, was der Nationalismus

ist? Die Juden sind nach den Nationalsozialisten für die Kultur, Wissenschaft

zersetzend, alle Verschlechterung in der Wirtschaft und Politik wird den Juden

zugeschrieben. Die Juden werden beschuldig, dass die auch im Ausland die

Nachrichten verbreiten, mit deren Hilfe sie die Position Hitlers untergraben

wollen. Für alles sind nach den Nationalsozialisten die Juden verantwortlich,

sie sind keine Deutschen, keine „Staatsbürger“, sodass man sie anders

behandeln muss.

Mit dieser Hetze verbreitet sich aber auch eine allgemeine antijüdische

Stimmung, die Leute glauben diesen „Wahrheiten“ der NSDAP. Hier stellt sich

110

Ebd.

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die Frage, warum die Leute so blind sind, was die Leute dazu bewegt, die

Nationalsozialisten zu unterstützen. Ist es nur der Antisemitismus, die Lügen

und Versprechungen, die psychologische Wirkung der Agitation auf die

Massen oder etwas anderes? Obwohl sich diese Frage bietet, findet man keine

konkrete Antwort. Was aber sicher ist, ist die Tatsache, dass die Juden den

Beschimpfungen in Deutschland preisgegeben sind, sie sind schutzlos und

wehrlos. Wie konnte sich die Judenhetze aber in einem Land wie Deutschland

durchsetzen? Ist es vielleicht das Schicksal der Juden, die die Verfolgung

schon seit Mittelalter erleben? Es könnte das Schicksal der Juden sein, verfolgt

zu sein ‒ eine recht fatalistische Einstellung:

Es ist moralisch recht deprimierend, als Jude das Bewusstsein zu haben,

dass man schutzlos Beschimpfungen, […] preisgegeben ist. Und dies in

einem Land wie Deutschland, das gerade den Juden stets als ein Land

höchster Kultur, das Land der Dichter und Denker erschien. […] Was

die deutschen Juden heute durchmachen, schärft aber auch das

Bewusstsein für die Realität der jüdischen Geschichte. Ueber

Jahrhunderte hinweg […] finden wir uns wieder in Situationen, die

haarscharf gewissen mittelalterlichen Situationen gleichen.111

111

Ebd.

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7. Resümee

Es war nicht immer leicht, anhand der einzelnen Artikel die Reaktionen der

unterschiedlich orientierten Zeitungen zu beschreiben. Die Kritik Hitlers oder die

Zustimmung mit ihm war bei manchen Zeitungen nicht eindeutig.

Die sozialdemokratische ‚Volkswacht‘ ist erwartungsgemäß eindeutig gegen

Hitler, die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ ist national und stellt sich in vielen

Ansichten auf die Seite der Nationalsozialisten. Das ‚Prager Tagblatt‘ kann man

nicht eindeutig in eine oder andere Gruppe einreihen. Und die ‚Selbstwehr‘ nimmt

eine Sonderstellung unter diesen Zeitungen ein, weil sie sich ganz anderen Themen

widmet.

Die ‚Volkswacht‘ ist eindeutig antifaschistisch, sie vertritt die Meinungen der

linksorientierten Parteien, der Kommunisten und der Sozialdemokratie. Sie stellt sich

zu Hitler sehr kritisch, ruft dazu auf, alle Arbeiter zu vereinigen und gegen den

Nationalsozialisten zu kämpfen. Die Feindschaft zwischen Hitler und den

Kommunisten und den Sozialdemokraten, die wir kennen, spiegelt sich auch in der

Presse. Die ‚Volkswacht‘ ist die einzige Zeitung, die die Kritik gegen die NSDAP

und Hitler öffentlich präsentiert.

Die jüdische Wochenzeitschrift ‚Selbstwehr‘ nimmt eine Sonderstellung unter

den vier analysierten Zeitungen. Die Artikel orientieren sich nicht auf die Politik in

Deutschland, sondern vor allem auf die Folgen, die die Regierung Hitlers für die

Juden haben könnte. Sie ist nicht so kritisch wie die ‚Volkswacht‘, auch nicht

national wie die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘, sondern man fühlt aus den Artikeln

vor allem die Angst vor Hitler und die Befürchtungen darüber, was mit den Juden

nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten passieren wird. In manchen Abschnitten

der Artikel ist die Kritik an Hitler sichtbar. Sie kritisiert ihn und alle Nationalisten

darum, weil sie Menschen als Juden bezeichnet, die in der Wirklichkeit keine Juden

sind. Sie kritisiert auch ihr unmoralisches Benehmen und das, dass sie der

Antisemitismus zur Propaganda benutzen. Die Juden zeigen Stolz darauf, dass sie

Juden sind, obwohl sie wussten, dass ihre Zukunft nicht gut wird.

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Die ‚Deutsche Zeitung Bohemia‘ nimmt eine deutsch-nationale Position ein.

In den Artikel kann man die Unterstützung oder die Zustimmung mit Hitler finden.

Es geht aber um keinen offenen Lob Hitlers, oft ist der ‚Lob‘ nur zwischen den

Zeilen zu lesen. Das Wohl des deutschen ‚Volks‘ ist das, wofür sich die ‚Bohemia‘

interessiert. Hitler wird als derjenige präsentiert, der das deutsche Volk zum Aufstieg

führen kann.

Das ‚Prager Tagblatt‘ ist nicht eindeutig antifaschistisch oder national. Zu

vielen Themen äußert es sich zurückhaltend. Es gibt aber auch die Artikel, die zu

Hitlers Politik zustimmen. Z. B. die Artikel, die sich mit dem Terror gegen die KPD

beschäftigen. Meiner Meinung nach, kann man nicht sagen, ob die Zeitung auf der

Seite Hitlers oder gegen ihn stand. Im vielen Artikel äußert es sich neutral.

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Bibliographie

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Periodika:

Prager Tagblatt (31. 1. 1933 – 1. 3. 1933)

Deutsche Zeitung Bohemia (29. 1. 1933 – 1. 3. 1933)

Volkswacht (31. 1. 1933 – 4. 3. 1933)

Selbstwehr (3. 2. 1933 – 3. 3. 1933)

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Anhangverzeichnis

Anhang 1: Prager Tagblatt (31. 1. 1933), Titelseite

Anhang 2: Deutsche Zeitung Bohemia (31. 1. 1933), Titelseite

Anhang 3: Volkswacht (7. 2. 1933), S. 3.

Anhang 4: Selbstwehr (24. 2. 1933), Titelseite

Anhang 5: Deutsche Zeitung Bohemia (28. 2. 1933), Titelseite

Anhang 6: Prager Tagblatt (1. 3. 1933), Titelseite

Anhang 7: Selbstwehr (3. 3. 1933), S. 3.

Anhang 8: Volkswacht (4. 3. 1944), Titelseite

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Anhang 1: Prager Tagblatt (31. 1. 1933), Titelseite

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Anhang 2: Deutsche Zeitung Bohemia (31. 1. 1933), Titelseite

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Anhang 3: Volkswacht (7. 2. 1933), S. 3

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Anhang 4: Selbstwehr (24. 2. 1933), Titelseite

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Anhang 5: Deutsche Zeitung Bohemia (28. 2. 1933), Titelseite

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Anhang 6: Prager Tagblatt (1. 3. 1933), Titelseite

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Anhang 7: Selbstwehr (3. 3. 1933), S. 3.

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Anhang 8: Volkswacht (4. 3. 1944), Titelseite

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Anotace

Jméno a příjmení autora: Lucie Flámová

Název katedry a fakulty: Katedra germanistiky, Filozofická fakulta,

Univerzita Palackého v Olomouci

Název diplomové práce: Reaktionen auf die Machtergreifung der

Nationalsozialisten in der deutschsprachigen

Presse der Tschechoslowakei

Vedoucí diplomové práce: Mgr: Milan Horňáček, PhD.

Rok obhajoby: 2015

Počet znaků: 95 430

Počet příloh: 8

Počet použité literatury: 14

Klíčová slova: Prager Tagblatt, Deutsche Zeitung Bohemia,

Volkswacht, Selbstwehr, Nationalsozialisten,

Hitler, Reaktion

Charakteristika diplomové práce: Tato práce se zabývá reakcemi na převzetí moci

národními socialisty v německy psaných periodikách vycházejících na území

Českoslovenka. Konkrétně jde o reakce v demokraticky-liberálním deníku Prager

Tagblatt, nacionálním deníku Deutsche Zeitung Bohemia, levicově orientovaném

periodiku Volkswacht a židovském periodiku Selbstwehr. Práce se zaměřuje na

časový interval od 30. ledna 1933, kdy byl Hitler jmenován říšským kancléřem, do

28. února, kdy vypukl požár říšského sněmu. Z analýzy jednotlivých vybraných

článku byl sestaven obraz, který zachycuje, jak jednotlivá politická spektra reagovala

na události, které vedly k převzetí moci národními sozialisty v Německu. Cílem

práce je především ukázat, zda se jednotlivé reakce periodik lišily v závislosti na

jejich odlišné politické orientaci.

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Summary

Author’s Name: Lucie Flámová

Name of the Institute and Faculty: Katedra germanistiky, Filozofická fakulta,

Univerzita Palackého v Olomouci

Name of the bachelor thesis: Reaktions to the National Sozialist Seizure of

Power in the German Press of

Czechoslovakia

Supervisor of the bachelor thesis: Mgr. Milan Horňáček, PhD.

Year of the Thesis defense: 2015

Number of signs: 95 430

Number of annexes: 8

Number of titles of the used literature: 14

Key words: Prager Tagblatt, deutsche Zeitung Bohemia,

Volkwacht, Selbstwehr, Nationalsozialisten,

Hitler, Reaktion

Characterization of the bachelor thesis: This thesis deals with period when the

National socialist party took over power in German-language newspaper published in

Czechoslovakia. Concretely, it is aimed at reactions in democratically liberal

newspaper Prager Tagblatt, nationalist Deutsche Zeitung Bohemia, left wing

newspaper Volkswacht and Jewish Selbstwehr. The period is from 30th January

1933 when Hitler was appointed Chancellor of the Reich, to 28th February when the

fire broke out Reichstag. There is a comprehensive analysis of reactions across the

political spectrum when National socialist party took over power in Germany.

To summarize the main goal of the thesis is to show how the newspaper´s individual

reactions differ depending on their different political orientation.