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1 „Medienabhängige“ Jugendliche und ihre Eltern. Argumente für ein biografisches und lebensweltorientiertes Fallverstehen im Alltag, in der Pädagogik, in Therapie und Beratung 1 Bettina Völter, ASH Berlin 1. Sprechen mit statt sprechen über Jugendliche 2 , ihre Lebenswelt und ihre Wünsche In dem Buch „The winter of our disconnect. How three totally wired teenagers (and a mother who slept with her iPhone) pulled the plug on their technology and lived to tell the tale“ beschreibt Susan Maushart (2010), wie sie und ihre drei jugendlichen Kinder sich für sechs Monate aus dem Netz geklinkt haben: „Meine Töchter und mein Sohn sind im Alter von 14, 15 und 18 Jahren. Sie benutzen Medien nicht. Sie bewohnen sie. Sie tun das genau so wie ein Fisch einen Weiher bewohnt. Anmutig, unerschrocken und gänzlich ohne Bewusstsein oder Neugier, wie sie dahin gekommen sind. Sie erinnern nicht die Zeit vor email oder instant messaging oder Google. Selbst die Medien ihrer Kindheit wie Video und Nintendo 64 betrachten sie als Reliquien, als drollig, als Tintenfässer“ (Übers. d.V.). „At ages 14, 15 and 18, my daughters Sussy and Anni and my son Bill don’t use media. They “inhabit” media. And they do so exactly as fish inhabit a pond. Gracefully, unblinkingly and utterly without consciousness and curiosity as to how they got there. They don’t remember a time before email or instant messaging or Google. Even the media of their own childhood – VHS and dial-up Internet, Nintendo 64 - they regard as relics, as quaint, as inkwells“ (http://www.express.co.uk/posts/view/220824/Our-digital-detox (abgerufen am: 6.4.2013). Für die alleinerziehende Mutter und Journalistin Susan Maushart führte „eine Serie von Momenten und Eindrücken“ dazu, dass sie eines Tages beschloss, sich und den Kindern eine Diät der neuen Sorte aufzuerlegen: 6 Monate ohne digitale Medien und Fernsehen zuhause: „Das ständige Bild von Bills Rücken zum Beispiel, wie er da saß, vor seinem PC thronend in der Region, die früher als Wohnzimmer bezeichnet wurde. Oder die sich wiederholenden Unterhaltungen, 1 Ich danke Roswitha Breckner und Bruno Galloo für die hilfreiche Lektüre und Kommentierung dieses Textes. 2 Der Text bezieht sich im Wesentlichen auf Jugendliche, ab und zu und bewusst relativ unsystematisch beziehe ich jedoch in meine Gedanken auch Kinder ein, da Erfahrungen, die den lebensgeschichtlichen Kontext für exzessives Medienhandeln darstellen, die also den „biografischen Sinn“ dieses Handelns ausmachen, i.d.R. bereits im Kindesalter gemacht werden; der Einstieg in eine spätere Abhängigkeit ist aus biografietheoretischer Perspektive fließend, auch Kinder können bereits davon betroffen sein.

„Medienabhängige“ Jugendliche und ihre Eltern. Argumente ... · Pädagogik, in Therapie und Beratung 1 Bettina Völter, ASH Berlin 1. Sprechen mit statt sprechen über Jugendliche

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„Medienabhängige“ Jugendliche und ihre Eltern. Argumente für ein biografisches und lebensweltorientiertes Fallverstehen im Alltag, in der

Pädagogik, in Therapie und Beratung1

Bettina Völter, ASH Berlin

1. Sprechen mit statt sprechen über Jugendliche2, ihre Lebenswelt und

ihre Wünsche

In dem Buch „The winter of our disconnect. How three totally wired teenagers (and a

mother who slept with her iPhone) pulled the plug on their technology and lived to

tell the tale“ beschreibt Susan Maushart (2010), wie sie und ihre drei jugendlichen

Kinder sich für sechs Monate aus dem Netz geklinkt haben:

„Meine Töchter und mein Sohn sind im Alter von 14, 15 und 18 Jahren. Sie benutzen Medien nicht. Sie

bewohnen sie. Sie tun das genau so wie ein Fisch einen Weiher bewohnt. Anmutig, unerschrocken

und gänzlich ohne Bewusstsein oder Neugier, wie sie dahin gekommen sind. Sie erinnern nicht die

Zeit vor email oder instant messaging oder Google. Selbst die Medien ihrer Kindheit wie Video und

Nintendo 64 betrachten sie als Reliquien, als drollig, als Tintenfässer“ (Übers. d.V.).

„At ages 14, 15 and 18, my daughters Sussy and Anni and my son Bill don’t use media. They “inhabit” media. And they do so exactly as fish inhabit a pond. Gracefully, unblinkingly and utterly without consciousness and curiosity as to how they got there. They don’t remember a time before email or instant messaging or Google. Even the media of their own childhood – VHS and dial-up Internet, Nintendo 64 - they regard as relics, as quaint, as inkwells“ (http://www.express.co.uk/posts/view/220824/Our-digital-detox (abgerufen am: 6.4.2013).

Für die alleinerziehende Mutter und Journalistin Susan Maushart führte „eine Serie

von Momenten und Eindrücken“ dazu, dass sie eines Tages beschloss, sich und den

Kindern eine Diät der neuen Sorte aufzuerlegen: 6 Monate ohne digitale Medien und

Fernsehen zuhause:

„Das ständige Bild von Bills Rücken zum Beispiel, wie er da saß, vor seinem PC thronend in der

Region, die früher als Wohnzimmer bezeichnet wurde. Oder die sich wiederholenden Unterhaltungen,

1 Ich danke Roswitha Breckner und Bruno Galloo für die hilfreiche Lektüre und Kommentierung dieses Textes. 2 Der Text bezieht sich im Wesentlichen auf Jugendliche, ab und zu und bewusst relativ unsystematisch beziehe ich jedoch in meine Gedanken auch Kinder ein, da Erfahrungen, die den lebensgeschichtlichen Kontext für exzessives Medienhandeln darstellen, die also den „biografischen Sinn“ dieses Handelns ausmachen, i.d.R. bereits im Kindesalter gemacht werden; der Einstieg in eine spätere Abhängigkeit ist aus biografietheoretischer Perspektive fließend, auch Kinder können bereits davon betroffen sein.

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die wir so im letzten Jahr hatten, die damit begannen, dass ich so etwas fragte, wie: Hast Du Deine

Hausaufgaben gemacht? oder: Bist Du noch in der High School eingeschrieben? Oder: Kannst Du bitte

Deine Waffe senken und den Pausenknopf drücken? Es ist Essenszeit! Und die damit endeten, dass er

antwortete: „Ja. Was?“ (Übers. d.V.).

The abiding image oft the back of Bill’s head, for example, as he sat, enthroned before his PC in the

region formerly known as the family room. Or the soundtrack of the conversations we’d been having

for the last year or so, the ones that began with me saying anything at all (‚Have you done your

homework?’ ‚Are you still enrolled in high school?’ ‚Can you please put down your weapon and press

‚pause’ now? It’s dinnertime’) and ended with him replying, ‚Yeah. What?’ (Maushart 2010: 10).

Die Gespräche in der Familie von Susan Maushart reduzierten sich zunehmend auf

das Notwendige und Oberflächlichste. Ausschlaggebend für Mausharts Entschluss,

ihrer Familie eine generelle Pause aufzuerlegen, war jedoch ihre persönliche

Erfahrung, dass nicht nur ihre Kinder, sondern auch sie selbst sich mehr und mehr

mit digitalen Medien umgab und dies nicht nur einen Einfluss auf ihre Beziehung zu

ihren Kindern hatte, sondern auch auf die Nähe bzw. Distanz, die sie selbst zum

realen, sinnlichen Leben einnahm: Sie schlief mit ihrem iPhone, sie fühlte sich, wie

sie erschrocken feststellte, ohne ihren Laptop einsam; sie kultivierte als berufstätige

und alleinerziehende Frau ihr eigenes multi-tasking: surfte im Netz, beantwortete

parallel dazu emails, hörte Musik und gab auch mal ein Radiointerview auf dem Klo.

Dieses zuletzt genannte Erlebnis gab ihr das Gefühl, dass sie selbst ein Problem

hatte:

„Ich benutzte Medien wie eine Eigenbehandlung mit Medikamenten“ (Übers. d.V).

„I was using media to (sob) self-medicate“ (Maushart 2010: 12).

Szenewechsel in die Praxis eines Psychologen3, den ich für meine Forschung zu

Medienabhängigkeit in Biografien von Jugendlichen und in der Beratung befragt

habe. Er beschreibt, warum und auf welche Weise er im Fall von medienabhängigen

Jugendlichen von vornherein versucht, die Eltern und ggf. auch die Geschwister mit

in die Beratung einzuladen. Mit der folgenden sehr lange zitierten Beschreibung einer

3 Der Name wird aus Datenschutzgründen hier nicht genannt. Das Interviewtranskript wurde dergestalt bearbeitet, dass die kurzen Interventionen der Interviewerin, z.B. „((I: mhm))“ sowie die parasprachlichen Äußerungen des Interviewten, z.B. „äh“ aus Gründen der Lesbarkeit entfernt wurden. Ansonsten wurde das Interviewzitat in Form der real gesprochenen Sprache belassen. Unterstreichungen bedeuten: Betonung, (...) bedeutet: kurze Auslassung.

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prototypischen Sequenz aus einer Beratungssituation will ich zum einen

unterstreichen, dass Eltern und Geschwister nicht nur oft selbst „gefangen im Netz“

sind (wie in der Familie von Susan Maushart), sondern dass darüber hinaus die Art

der Kommunikation zwischen Kindern und ihren Eltern das Abdriften ins Netz

befördert – oder verhindert. Umgekehrt hat ein starker Medienkonsum einen starken

Einfluss auf die Beziehungen innerhalb von Familien und Freundeskreisen. Bereits

eine vom Therapeuten oder der Therapeutin/Berater_in angeregte Initiative der

Eltern im Vorfeld der eigentlichen Beratung kann neue Impulse für eine Veränderung

der innerfamilialen Kommunikation setzen. Wesentlich dabei ist, dass die Stimme

des/der Jugendlichen ernst genommen wird. Da es meiner Beobachtung nach im

Feld der Beratung und Therapie verhältnismäßig wenig bis kaum systemische,

biografie- und interaktionsorientierte Ansätze gibt, die Eltern und Kinder mit ihren

Beziehungsgeschichten real und systematisch gemeinsam in die Beratung

einbeziehen, möchte ich eine solche, m.E. notwendige Praxis ausführlich darstellen.

Wie der Therapeut konkret in einen Dialog mit den Eltern geht und diese so berät,

dass es ihnen relativ zuverlässig gelingt, alle Betroffenen an einen Tisch zu holen,

kann als Anregung für Eltern, Nutzer_innen der Beratung und/oder professionelle

Berater_innen dienen:

„... also der Standardfall ist eine Mutter, die anruft und sagt, der Sohn hat ein Problem. Er macht die

Schulleistungen nicht mehr, geht nicht mehr mit Kollegen weg. Er spielt nur noch „World of Warcraft“.

Und sie wissen nicht, was tun. Aber sie möchte am besten den Sohn vorbeibringen mehr oder

weniger. Und der Sohn möchte aber nicht kommen und sieht eigentlich das Ganze sowieso anders

und denkt eher, dass die Mutter ein Problem hätte als er. .. und ich bin in der Zwischenzeit zu

folgender Methode gekommen, dass ich die Anrufenden damit konfrontiere, dass es am besten wäre,

wenn sie zusammen kommen würden. Und das stößt meistens schon auf Verständnis. Aber sie sagen

dann, der Jugendliche möchte eben eigentlich gar nicht kommen. Oder wenn, dann möchte er nur

einmal kommen und so. Und ich sage dann meistens, dass es meine Erfahrung ist, dass es so am

besten funktioniert. Und wenn sie das nicht glauben, dann sollen sie einfach -, wenn’s für sie nicht

stimmt, sollen sie das einfach so annehmen (...) (und) eben sagen (...), dass sie ein Problem hätten,

die Eltern. Und ich konfrontiere sie insofern, dass ich sage, „Ja, Sie rufen ja schließlich (...) mich an“.

Und die stimmen mir sehr schnell zu, wenn ich sage: „Es ist ja nicht einfach für Sie“ und „Es ist (...)

schwierig“. Und manchmal haben die Eltern auch schon Schlafstörungen und hören den Computer

und alles Mögliche. Und sie sollen das dem Jugendlichen sagen. Und der stimmt dem natürlich sofort

zu meistens problemlos .... Und nur findet der dann: „Geht ihr doch“. Und ich sage ihnen dann, sie

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sollen ihm sagen: „Wir möchten das Problem lösen. Aber wir können es nicht ohne dich. Deshalb ist’s

notwendig, dass du mitkommst“. Und das ist dann eigentlich die Standard-Ausgangslage. .. Und so

habe ich idealerweise die ganze Familie oder mindestens die Eltern oder einen Elternteil dieser

Jugendlichen in der Praxis oder der Beratungsstelle. Und das Ganze beginnt dann ..., dass ich von

allen wissen möchte, was es in dieser Familie für Themen gibt, die von Belang wären. Ich ignoriere

eigentlich die Tatsache, dass die Eltern kommen und sagen: „Wir haben ein Problem, einen

internetsüchtigen Sohn“, sondern ich frage: „Ich würde gerne von allen hören, was es für

Änderungswünsche und –möglichkeiten geben sollte Ihrer Familie.“ Und das kommt dann sehr

unterschiedlich natürlich. Aber wenn man jetzt .. ein Standardbeispiel nennen möchte, ist es eigentlich

so, dass die Eltern sagen, ja die Schulleistung, die mangelnde Möglichkeit zusammen zu sitzen, beim

Nachtessen oder nachher, um überhaupt Themen zu besprechen. Das Fehlen des

Mitteilungsbedürfnisses des oder der Kinder oder des Sohnes sei ein Problem und natürlich eben der

Computerkonsum. Und der Jugendliche sagt meistens, er hätte eigentlich kein Problem. Er sei jetzt

eben gekommen, weil man das gesagt habe. Und wenn ich ihn dann konfrontiere und sage, dass sei

ja toll, dann sei er ja sonst eigentlich zufrieden ... mit der Familie, mit den Eltern und er möchte die

weder auswechseln, noch finde er, er müsse mehr Geld oder mehr Ausgang haben und so, dann ist

das natürlich dann schon eine Intervention, die den Jugendlichen auf den Geschmack bringt, dass er

da ja auch irgend etwas wünschen könnte oder verändern könnte. Das führt dann dazu, dass die

Jugendlichen in den ersten drei Sitzungen mit der Zeit gewisse Themen bringen, wo sie sagen: „Ja,

aber der Vater ist ja auch nie da“ oder: „Mit euch kann man sowieso nicht diskutieren“ und: „Ihr

nehmt mich nicht ernst“, was eigentlich dann schon ein Erfolg ist. Die Geschwister sagen dann oft,

(...) dass für sie der Bruder ein bisschen abhanden gekommen ist, dass der Kontakt nicht stattfindet.

Man hat den Eindruck, dass sie manchmal in so eine Vermittler-Rolle kommen zwischen Eltern und

dem Abhängigen und eigentlich solidarisch hin- und hergerissen sind, sollen sie jetzt mehr den Bruder

unterstützen oder die Eltern verstehen, (...) weil es wirklich schwierig ist. Der Computer wird nie

abgestellt. Und sie sehen die Problematik. (...)

Und es geht dann darum, mal zu erfassen, wie häufig ist das, worum geht’s überhaupt. Modellhaft

wird der Jugendliche dann befragt, was er eigentlich genau mache, was ihn fasziniert, welche Rolle, in

welchen Clans er spielt. Da ist’s gut, wenn man eine gewisse Ahnung hat von diesen Games, um

inhaltlich zu verstehen, was er dort überhaupt macht. Das gibt dann Rückschlüsse darauf, was seine

Wünsche sind, oder was in der Realität nicht funktioniert. Und ich entwickle dann oft als Hausaufgabe

die Notwendigkeit, einer Erfassung des Netzkonsums mittels Tabellen, die sie selber machen (...) (um)

(...) das Controlling der Eltern auf eine andere Schiene zu stellen, weil die sind manchmal

überkontrollierend. Und es gibt immer Konflikte. Und der Jugendliche hat gar keine Chance, das selber

zu tun. Die Eltern haben natürlich auch Recht, weil in der vorgängigen Phase können die das auch

nicht. Die können nicht selber den Computer abschalten und so. Und das ist so, dass die eine Schiene

die Arbeit mit der offensichtlichen Symptomatik ist. Und parallel dazu geht es eigentlich darum, dem

Jugendlichen zu vermitteln, dass er ernst genommen wird, dass er nicht primär als pathologisiert

angeschaut wird. Und dass seine Meinung von großer Wichtigkeit ist.

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Und in dem Moment, wo die Jugendlichen dann beginnen, irgendwas zu meckern oder entgegen zu

halten den Eltern, was natürlich auch nicht berauschend ist für die, ist es eigentlich so, dass es schon

gut unterwegs ist. Dann hat man die eigentlich schon ein Stück weit gewonnen, weil ich glaube, dass

Internetsucht sehr viel zu tun hat damit, dass man im eigenen Umfeld nicht eine Gestaltungs- und

Veränderungsmöglichkeit sieht. Das kann verschiedene Hintergründe haben, zum Beispiel, weil man

selber die Kompetenz nicht hat oder nicht gelernt hat, oder weil das Umfeld so rigid ist, dass das gar

nicht möglich ist. Und in dem Moment, wo diese Möglichkeit auftaucht, wo die Möglichkeit entsteht, in

der Realität etwas zu verändern, ist das faszinierend und einladend für die Menschen. Und die

phantastische Möglichkeit, in der virtuellen Welt eben tatsächlich viele Veränderungsmöglichkeiten zu

haben und auch Unterstützung zu kriegen, wird dann weniger attraktiv durch das. Also man hat ein

echtes Gegengewicht. Und das ist eigentlich so der Parallelprozess zur Arbeit am eigentlichen

Symptom, dass man unterstützt die Kommunikation im System, die Konfliktfähigkeit fördert und auch

sehr viel Anerkennung ausspricht für das. (...) Spannend ist, dass dann im Laufe des Prozesses klar

wird, dass es andere Themen gibt in der Familie, von anderen Geschwistern oder dass vielleicht die

Mutter am meistens leidet, dass es der sehr schlecht geht. Und in dem Moment, wo nicht mehr der

ganze Druck allein auf dem deklarierten Patienten liegt, entsteht natürlich nochmals eine neue und

auch gewinnbringende Dynamik. Und in dem Sinn ist quasi eine weitere Therapiephase eingeläutet,

wo es eigentlich mehr um eine Ursachenerkennung geht, wo das nicht nur um die Arbeit direkt am

Symptom geht, sondern um die Hintergründe, was fehlt überhaupt, was sind die Themen, die für den

Jugendlichen schwierig sind, wo ist es für die Familie unmöglich eigentlich zu kommunizieren? Wo

fehlen quasi Bindungen im Sinn von Verknüpfungen vor Ort und zwischen den Vätern und den

Jugendlichen? Wie kriegen die das hin, ... auch mit den Vätern was zu tun, Anerkennung zu

bekommen? Wie können Eltern angemessene Haltungen entwickeln, was das Einhalten von Regeln

anbetrifft? Und Erwartungen, die für die aktuelle Generation angemessen sind?“

Diese beiden Beispiele, Susan Maushart, die ihren eigenen Medienkonsum

beobachtete, nachdem sie zunächst unzufrieden über das Handeln ihrer Kinder war

und diesen „das Problem“ zuschob, und die Beschreibung eines Therapeuten, der bei

seiner Arbeit mit medienabhängigen oder mediensucht-gefährdeten Jugendlichen

konsequent auch die Eltern und Geschwister einbezieht, setze ich mit dem folgenden

Motiv an den Anfang meiner Überlegungen:

Wir sprechen oft und viel über „die“ Jugendlichen. Die wenigsten von uns sind

Jugendliche, viele der Leser_innen dieses Textes sind sicher – wie ich – in der Rolle

von Eltern und wenn nicht, dann sind sie zumindest andere Experten oder

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Expertinnen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Wir Erwachsenen

denken über „die“ Jugendlichen nach und natürlich ist das wichtig:

„Medienabhängigkeit“ als Diagnose ist in der uns inzwischen bekannten Ausprägung

und in dem von quantitativen Sozialforschern beschriebenen Ausmaß relativ neu4.

Aufgrund der in den letzten Jahren immer weiter gestiegenen Anfragen nach Hilfe

müssen sich Kliniken, Schulen und Beratungsstellen mit dem Phänomen

beschäftigen5. Wahrnehmungen, Präventionsideen6 und Beratungskompetenzen

werden entwickelt.7

4 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung legte deshalb im Jahr 2012 ihren Schwerpunkt auf den Bereich der Internet- und Computerspielsucht. Den von ihr in Auftrag gegebenen Erhebungen zufolge gelten etwa 250.000 der 14- bis 24-Jährigen als Internetabhängig (2,4 Prozent), 1,4 Mio. als problematische Internetnutzer (13,6 Prozent), vgl. http://drogenbeauftragte.de/presse/pressemitteilungen/2012-01/pm-drogen-und-suchtbericht-2012.html, (abgerufen am: 6.4.2013). In einer vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebenen Studie, bei der in einer repräsentativen Stichprobe 15.024 Personen im Alter von 14-64 Jahren telefonisch zur ihrem Medienkonsum interviewt wurden, fanden Rumpf et al. (2011) eine geschätzte Prävalenz von 1,5% Internetabhängigen deutschlandweit (Frauen 1,3%, Männer 1,7%), sie gehen davon aus, dass bei 1,0% mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Abhängigkeit vorliegt (Frauen 0,8%; Männer 1,2%). Es ergaben sich dabei höhere Häufigkeiten in der Altersgruppe der 14-24-Jährigen, insgesamt geschätzte 3,8% (Mädchen/Frauen 4,5% und Jungen/Männer 3,0%) sowie eine angenommene hohe Wahrscheinlichkeit bei 2,4% (Mädchen/Frauen 2,5%; Jungen/Männer 2,5%). Ein Anstieg wurde in der Gruppe der 14-16-Jährigen festgestellt: 6,3% geschätzte Medienabhängige insgesamt, davon 8.6% Mädchen und 4,1% Jungen), mit hoher Wahrscheinlichkeit 4,0% Internetabhängige (Mädchen 4,9%; Jungen 3,1%). Während vor wenigen Jahren die Gefährdung von Jungen noch weitaus höher eingeschätzt wurde als die von Mädchen, scheint sich dieses Verhältnis nun umgekehrt zu haben. Mädchen bewegen sich eher bei Facebook oder in Chaträumen, während Jungen sich mehr mit Strategie- und gewalttätigen Kampfspielen beschäftigen.

5 Die erste Einrichtung, die sich in Deutschland systematisch therapeutisch mit dem Thema der Mediensucht beschäftigte, war 2003 das Wichernhaus in Boltenhagen. Damals stand die Einrichtung aufgrund ihrer Einmaligkeit im Fokus der internationalen Presse (vgl. beispielsweise: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/computersuechtige-kinder-reset-in-boltenhagen-a-362450-druck.html, )(abgerufen am: 6.4.2013)). Aus damals ungeklärten Gründen wurde dieser Bereich der Einrichtung trotz seines Erfolges ein paar Jahre später geschlossen. Inzwischen gibt es zahlreiche Angebote im Beratungs- und Therapiebereich, in den stationären Einrichtungen häufen sich die Zahlen der Jugendlichen und Jungen Erwachsenen, die einen Therapieplatz aufgrund ihrer exzessiven und gesundheitsgefährdenden Mediennutzung brauchen. 6 Vgl. beispielsweise die Broschüre des Fachverbandes Medienabhängigkeit e.V.: Let’s play – Methoden zur Prävention von Medienabhängigkeit, http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/DrogenundSucht/Computerspiele_Internetsucht/Downloads/Methodenhandbuch_Medienabhaengigkeit_ansichts.pdf, (abgerufen am: 6.4.2013). 7 Mittlerweile gibt es bundesweit eine Reihe von spezialisierten Beratungs- und Anlaufstellen, deren Adressen auch gut zugänglich zu finden sind: bsp.weise über den Fachverband Medienabhängigkeit e.V., http://www.fv-medienabhaengigkeit.de/hilfe-finden.html, )(abgerufen am: 6.4.2013); Selbsthilfeangebote auch über eine Broschüre des Blauen Kreuz, http://www.blaues-

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Es ist dabei angezeigt, dass wir8 nicht nur über, sondern vor allem mit jedem

einzelnen der Kinder und Jugendlichen sprechen bzw. uns ihnen zuwenden. Es macht

Sinn, immer wieder neu und fallspezifisch mit dem Kind bzw. dem/der Jugendlichen

zusammen, über das Bewusstheit zu erlangen, was vor sich geht und vor welchem

Erlebenshintergrund es vor sich geht. Bewusstheit kann verbal im dialogischen

Austausch miteinander oder durch Erzählen und Zuhören erlangt werden, oft genug

aber auch non-verbal, körpersprachlich, situativ, eher ausgehend von einer inneren

Haltung des Wahrnehmens und des Sich-Öffnens gegenüber dem, was sich zeigt. Es

macht aus mindestens fünferlei Gründen Sinn, sich den Kindern und Jugendlichen

auf diese Weise zuzuwenden: weil erstens Kinder und Jugendliche selbst die

Expertinnen und Experten ihrer eigenen Geschichten und ihrer Erlebnisse mit und in

Medien sind; weil sie uns Erwachsene zweitens in ihre Welten und ihr Erleben

einführen oder – indem sie uns ihre Rücken zeigen – diese Welten und dieses

Erleben vor uns verschlossen halten können; weil wir drittens nur, wenn wir sie in

ihren Welten annähernd zur Kenntnis nehmen und ihnen damit zeigen, dass wir uns

so, wie sie sind, für sie interessieren und sie in ihren Interessen respektieren, ihr

Vertrauen erlangen können, was Voraussetzung für jede nachhaltig wirksame

Intervention ist; weil wir viertens als erwachsene (professionelle) Unterstützer_innen

nur gemeinsam mit den Jugendlichen nachhaltige Lösungen finden können, wie diese

ihren Nöten, Sorgen, Ängsten, Wünschen, Träumen, Anliegen, Bedürfnissen besser

nach- bzw. entgegen kommen können; weil es sich schließlich fünftens um ein

kreuz.org/cms/upload/dokumente/Projekte/Update/mediensucht_END_web.pdf, (abgerufen am: 6.4.2013). Eine Liste von spezialisierten Einrichtungen findet sich auch auf der Internetseite des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) unter www.computersuchthilfe.info, (abgerufen am: 12.4.2013). 8 Mit „wir“ meine ich hier: die Welt der Erwachsenen, wir Eltern, wir professionell Handelnden im Feld von exzessivem Medienhandeln und der Diagnose „Medienabhängigkeit“. Ich schließe mich bewusst ein, und ich adressiere bewusst eine Aussage mit aufforderndem Charakter an die Genannten, weil ich viel Gegenteiliges wahrnehme.

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Symptom handelt, was Folge von länger andauernden Beziehungskonstellationen ist,

in denen die Kinder und Jugendlichen bisher mit ihren Anliegen zu wenig gesehen

und Raum erhalten haben. Erwachsene tun gerade vor diesem

Erfahrungshintergrund gut daran, den Kindern und Jugendlichen mehr Raum und

Aufmerksamkeit zu geben. Wenn dies gelingt, gibt es eine Chance, dass die reale

Welt an Attraktivität für die Jugendlichen gewinnt.

Experten und Expertinnen in Sachen Medienabhängigkeit können Jugendliche nicht

ohne deren soziale und familiale Kontexte und vor allem nicht ohne deren eigene

Perspektive auf diese Kontexte verstehen. In der Sozialen Arbeit sprechen wir

bekanntlich von der „Lebenswelt“ (Thiersch/Grundwald 2002), wenn wir die

subjektive Wahrnehmung eines Menschen von seiner ihn umgebenden Sozialwelt

meinen:

Wie wir wissen und wie wir deutlich auch durch das Beispiel von Susan Maushart

erfahren, gehört zu dem lebensweltlichen Kontext der Jugendlichen eine soziale Welt

voller digitaler Medien, Medienangebote und Erwachsener, die sich selbst intensiv in

und mit Medien bewegen. Aus meinen Untersuchungen von Biografien Jugendlicher

mit der Diagnose Medienabhängigkeit9 wird darüber hinaus deutlich:

- Medienabhängige Jugendliche erleben ihre Eltern und die Erwachsenen in

ihrem Umfeld oft einen Großteil des Tages online, ob bei der Arbeit oder

9 Ich begleite seit 2003 das Phänomen der menschlichen Faszination durch digitale Medien. Nach einer mehrmonatigen teilnehmenden Beobachtung von und Gesprächen mit spielenden Kindern im Nintendo-Shop eines Kaufhauses, führten Studierende und ich narrativ-biografische Interviews mit Jugendlichen, die in ihrer Umwelt durch exzessives Medienhandeln auffielen, einige davon hatten die offizielle Diagnose „Medienabhängigkeit“. Parallel dazu befragte ich Berater_innen (Sozialarbeiter_innen und psychologische Psychotherapeut_innen) narrativ zu ihrer eigenen Mediengeschichte, und ich bat sie, mir ihre Geschichte seit Beginn ihrer Tätigkeit als Berater_in im Feld „Medienabhängigkeit“ zu erzählen, inklusive ihrer Erlebnisse in einzelnen Fallgeschichten und Beratungssituationen. In zwei 2-semestrigen Seminaren an der ASH Berlin bearbeitete ich das Thema mit Studierenden der Sozialen Arbeit. Wir besuchten Einrichtungen und hörten Vorträge von Berater_innen, die in Berlin mit betroffenen Jugendlichen arbeiten. Die Ergebnisse meiner Beschäftigung mit dem Thema wurden bislang nur ansatzweise publiziert (vgl. Völter 2009).

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während ihrer Freizeit. Jugendliche kennen auch das Phänomen, dass ihre

Eltern „abgetaucht“ und nicht mehr leicht ansprechbar sind, ob am Computer,

am Smartphone oder vor dem TV.

- Jugendliche mit der Diagnose „Medienabhängigkeit“ erleben ihre Eltern und

signifikante andere Erwachsene (wie auch Lehrer_innen) in ihrem Umfeld

durchgängig als überlastet und mit eigenen Themen beschäftigt: an erster

Stelle mit der Arbeit, dann mit komplizierten Beziehungen, mit sozialen und

gesundheitlichen Problemen, mit eigener Suchtthematik. Sie sind innerlich

beschäftigt, äußerlich abgelenkt und haben oft wenig Zeit. Eltern sind aus der

Wahrnehmung der Jugendlichen nicht immer präsent, physisch nicht und auch

nicht mit ihrer Aufmerksamkeit.

- Auch ungeklärte Beziehungen, Konflikte in den Familien und zwischen Eltern

und Kind, Gewalt in den Beziehungen, Trennungen, Umzüge, hohe

Leistungsanforderungen, ohne dabei begleitet zu werden, die Leistung so zu

erfüllen, wie es für sie selbst passend ist, werden von Jugendlichen als

Phänomene ihrer Lebenswelt wahrgenommen, die sie direkt betreffen.

Meine These ist demzufolge: Wenn wir von „medienabhängigen Jugendlichen“

sprechen, so ist zu erkunden, worauf das Symptom „Medienabhängigkeit“

„antwortet“. Nicht, um Schuld zuzuweisen, sondern mit dem Anliegen, einen

komplexen Vorgang zu verstehen. Es gilt differenziert und ganzheitlich

wahrzunehmen, welche biografischen und familiengeschichtlichen Erlebnisse, welche

Beziehungsgeschichten und welche lebensweltlichen Erfahrungen die Hintergründe

für die Medienabhängigkeit sind. Der Sozialisationskontext der Jugendlichen und

nicht zuletzt das Handeln ihrer erwachsenen Bezugspersonen, deren Leben in den

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Medien und deren Beziehungsangebote an die Kinder und Jugendlichen sind mit zu

thematisieren. Ideal ist, wenn die realen Bezugspersonen in die dialogische Beratung

mit den Jugendlichen einbezogen werden können. Die Arbeit mit den Eltern,

Geschwistern oder ggf. auch anderen Personen aus dem sozialen Umfeld der

Jugendlichen ist im Beratungs-, Therapie- oder im pädagogischen Prozess

als strukturell notwendiges Element einer nachhaltigen Entwicklung weg von der

Sucht zu verankern.

2. Verstehen von Medienabhängigkeit

Bevor ich in diesem Sinne auf den biografischen und lebensweltlichen

Verstehenskontext von Medienabhängigkeit und dann mit einem Fallbeispiel auf die

biografische Bedeutung von Medienabhängigkeit eingehe, erläutere ich zunächst drei

andere Verstehenskontexte, die meiner Beobachtung nach ihrerseits in der Experten-

Diskussion um „Mediensucht“ und „Medienabhängigkeit“ bislang dominant sind:

- Medienabhängigkeit wird mit gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen

erklärt und/oder

- mit dem den Spielen und Kommunikationsangeboten digitaler Medien

innewohnenden Suchtpotenzial und/oder

- mit den psychischen und psychosozialen Voraussetzungen der Jugendlichen.

Oft werden zwei oder drei dieser Verstehenskontexte nacheinander als Aspekte von

Medienabhängigkeit referiert. Lange Zeit stand in der Forschung das Ziel im

Vordergrund, in der Welt des Gesundheitssystems zu etablieren, dass es sich bei

exzessivem Medienhandeln überhaupt um ein gesundheits- und

persönlichkeitsgefährdendes Phänomen handeln kann, genauer: um eine nicht-

stoffgebundene Sucht, die, wie andere Süchte auch, auf der Basis von anerkannten

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und standardisierten Kriterien diagnostiziert werden kann. Diese Beweisführung war

und ist wichtig, um eine Bewusstheit bei Institutionen der Gesundheitsförderung zu

schaffen und nicht zuletzt, um die Finanzierung der Therapie bei vorliegender

„Mediensucht“ durch die Krankenkassen zu gewährleisten. Bei aller inzwischen

etablierten Differenziertheit von Diagnostik und bei allen professionellen Erfahrungen

mit dem Phänomen, fehlt in der Fachdiskussion bisher jedoch eine dezidierte und

theoretisch untersetzte biografische und lebensweltliche Perspektive. Nur diese kann,

so meine These, eine gleichermaßen engagiert subjektorientierte und dennoch alle

anderen Verstehenszugänge integrierende Perspektive darstellen. Eine solche

biografie- und lebensweltorientierte Herangehensweise hat sehr gute Chancen,

passgenaue, fallspezifische und folglich auch nachhaltige Lösungen mit den von

Medienabhängigkeit betroffenen Menschen zu erarbeiten.

Doch nun zunächst zu den drei in Forschung und (Fach-)Öffentlichkeit dominanten

Verstehenskontexten:

2.1 Verstehenskontext: Gesellschaftliche Bedingungen und Erwartungen

Aufwachsen in der Mediengesellschaft und der „generational gap“

zwischen Erwachsenen und Kindern

Computerspiele, das Internet und digitale Medien sind heute aus der Alltagswelt von

Kindern und Jugendlichen nicht wegzudenken. Kinder zwischen drei und neunzehn

Jahren kennen in aller Regel gar keine häusliche Welt ohne Computer, Handy und

Fernsehen mehr.10 Viele von ihnen haben bereits im Kindesalter eigene Geräte.11 Ihr

10 Laut der „FIM-Studie 2012“ (FIM steht für Familie, Interaktion, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest sind zwischen 98-99 Prozent der elterlichen Haushalte von 3-19-

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Kompetenzerwerb an diesen Geräten ist sozial hoch anerkannt. Aufgrund dieser

Anerkennung und aufgrund des „generational gap“, d.h. der Erfahrung, dass Kinder

und Jugendliche weitaus schneller und oft kompetenter mit Medien umgehen können

als ihre Eltern, wird die (ggf. auch problematische) Bindung von Kindern und

Jugendlichen an die Konsole, das Internet oder das Computerspiel oft über lange Zeit

als „normal“, als generationstypisch und als gewinnbringend für die berufliche

Zukunft des Kindes oder des/der Jugendlichen angesehen. Da es aus der

Beobachtung der Eltern und Erwachsenen „heute alle so machen“, wird ein

besonders ausgeprägtes Medienhandeln oft erst relativ spät von der sozialen Umwelt

ernsthaft und konsequent problematisiert:

„Der moderne Mensch muss immer ‚auf Draht’ sein, ‚immer online’, so wie es die Jugendlichen an den

Geschäftsleuten sehen, die auf den Bahnsteigen an ihrem Handy hängen oder auf den Flughäfen eifrig

Ecken suchen, in denen sie ihre Gespräche fortsetzen können und sich bei der Sicherheitsüberprüfung

nur schwer von ihrem Kommunikationsgerät trennen. So sind sie alle, fast ohne Ausnahme. Sie

bewegen sich in einer Permanenz von Kommunikation, ‚auf Draht sein’ und permanent

kommunizieren, und dies alles in letztlich unübersichtlichen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Prozessen

– also genau die gleiche Situation, wie sie ein Jugendlicher aus seinen Spielen auch schon kennt

(Bergmann/Hüther 2006: 114).

jährigen mit mindestens einem Fernseher ausgestattet, zwischen 97 un 98 Prozent der Haushalte besitzen ein Handy, Smartphone oder iPhone, 97 Prozent verfügen über einen Internetzugang und 93-95 Prozent der elterlichen Haushalte sind mit einem Computer oder Laptop ausgestattet. 11 Laut aktueller JIM-Studie (JIM steht für Jugend, Information, (Multi-)Media) 2012 besitzen 95% der befragten männlichen und 98% der befragten weiblichen Jugendlichen ein Handy, 51 % der Jungen und 43 % der Mädchen haben ein Smartphone oder ein iPhone. 88 % der Jungen und 85 % der Mädchen verfügen über einen eigenen Internetzugang, 85 % der Jungen und 79 % der Mädchen einen eigenen Laptop oder Computer. Immerhin 61 % der Jungen und 38 % der Mädchen besitzen eine feste Spielkonsole (vgl. JIM 2012. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, hrsgg. vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf12/JIM2012_End(abgerufen am:.pdf; (abgerufen am: 12.4.2013).

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Es sind mittlerweile eigene Kommunikationsplattformen zwischen Kindern und

zwischen Jugendlichen entstanden, die als „kulturelles Kapital“ (Kutscher 2009), als

„symbolischer Raumgewinn“ (Tillmann 2009), als jugendkulturelles Phänomen

angesehen werden können. Zwischen älteren Kindern und Jugendlichen entwickeln

sich neue Beziehungsformen, wie Schüler- oder StudiVZ, Chat- und Flirtforen; die

SMS-Kultur ist bereits von Facebook abgelöst. Ohne die Pflege eines eigenen

Zugangs wäre manch einer und manch eine aus wichtigen Bezugsgruppen und

alltäglichen Kommunikationen ausgeschlossen oder würde sich zumindest

ausgeschlossen fühlen. Um dazu zu gehören, um in einer verhäuslichten oder

verinselten Kindheit12, in der globalisierten Welt sowie in der Wissensgesellschaft,

Konsumgesellschaft oder in der schnelllebigen Medien- und

Informationsgesellschaft13 bestehen und sich altersgemäß entwickeln zu können,

erleben Jugendliche, dass sie surfen, chatten, smsen, an der Konsole, am iPad oder

im Internet spielen „müssen“. Die Untersuchung über Medienpraxiskulturen im

Generationenvergleich von Burkhard Schäffer (2003), die die „jüngeren

Generationen“ in den Blick nahm - gemeint waren damalige Gymnasiasten und

Auszubildende – zeigt 2003 noch, dass der Computer eher als Arbeitsinstrument

eingesetzt und dass die „Möglichkeit der medial vermittelten Kommunikation nicht als

solche gesehen“ wurde (Schäffer 2003: 169). Zehn Jahre später ist davon

auszugehen, dass die Bedeutung des Computers für die Schule und den Beruf sowie

die Bedeutung digitaler Medien für die intra-generationelle Kommunikation und nicht

12 Vgl. Zeiher (1990; 1994) und Zeiher/Zeiher (1994). 13 Die Versuche von Soziologen, die heutige Gesellschaft so zu beschreiben, dass in ihr dominante Strukturen deutlich werden, sind vielfältig (vgl. Kneer/Nassehi/Schroer 1997; Pongs 1999/2000; Bogner 2012). In den Beschreibungen unterschiedlicher gesamtgesellschaftlicher Phänomene ist die Bedeutung rasanter aktueller technischer Entwicklung dominant, an der zumindest in Maßen partizipiert werden muss, um nicht aus kommunikativen und beruflichen Kontexten zu fallen; im Vordergrund steht auch die öffentliche Wahrnehmung der großen Bedeutung von Information und Wissen sowie der gesellschaftliche Zwang, sich zu vernetzen.

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zuletzt die Bedeutung digitaler Medien für die Arbeit am eigenen Selbstverständnis

entscheidend zugenommen hat:

„Identitätsarbeit und Peererlebnisse sind solche gemeinsamen, Vertrauen stiftende Handlungen,

die auf konkrete Erfahrungsräume und physische Nähe angewiesen sind, unter anderem, um die

eigene Wirkung auf andere zu erleben. Zu diesen konkreten Erfahrungsräumen treten die virtuellen

Räume hinzu, die sich in der Wahrnehmung durchaus als bedeutsam erweisen, sobald sich Denken

und Handeln auf sie beziehen. Je flexibler und kommunikativer der Alltag, umso umfassender wird

die Suche nach Verlässlichkeit, bemerkbar wird ein wachsendes Bedürfnis nach Rückversicherung.

Dies scheint das Gegenstück zur allseitigen Disponibilität zu sein. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft,

länger auf Antworten zu warten. Accessibility (dt.: Erreichbarkeit, Zugänglichkeit) wird wichtig, was

abzulesen ist an den erwarteten Response- und Reaktionszeiten. Diese sinken tendenziell gegen

Null. Auf E-Mails wird rascher reagiert als auf Briefe, auf SMS schneller als auf Nachrichten auf

dem Anrufbeantworter. Für die sozialwissenschaftliche Betrachtung geht es mit Maurice Halbwachs

um den „Espace vécu“ (gelebter Raum), der heute anders aussieht als vor 20 Jahren. Seit gut 10

Jahren fungieren Handy und SMS und später dann auch das Internet als Objekte des

Jugendalltags. Jugendliche verbringen nicht nur viel Zeit mit diesen Objekten, der Gebrauch selbst

formt den Lebensalltag. Die Grenzen zwischen realen und technisch gestalteten Räumen werden

fließend“ (Tully 2009: 11f).

2.2 Verstehenskontext: Das Suchtpotenzial digitaler Medien

Im Sog digitaler Medien und die kommunikativen Herausforderungen für

Eltern und Erwachsene

Computerspiele und besonders Online-Rollenspiele, wie etwa World of Warcraft,

haben einen hohen Bindungscharakter.14 Sie fordern eine intensive Beschäftigung

14 „Eine Erklärung hierfür ist, dass Rollenspiele auf ihre Nutzer ein besonders hohes Faszinationspotenzial entfalten, z.B. über sozialkommunikative Kontexte, bei denen sich durch das

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und versprechen dann Belohnung von Leistung, Gruppenzugehörigkeit und hohes

Prestige. Wenn die Spieler sich in Gilden organisieren, um miteinander zu spielen und

sich zu „raids“, zu gemeinsamen Kämpfen, zu verabreden, dann wird große

Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit erwartet, Regeln müssen eingehalten werden. Auf

einen weiteren Aspekt der Sogwirkung von Computerwelten weisen Wolfgang

Bergmann und Gerald Hüther (2006) hin:

„Computerwelten sind auf eigentümliche Weise der Zeit enthoben und von den Bindungen und

Beengungen des Raumes befreit. Sie lassen fantastische Welten auf dem Monitor entstehen,

dringen in die Tiefen des Mikrokosmos, befreien sich mit einem Schlag daraus und fliegen hoch

hinaus, erzeugen magische Bildbewegungen von jener Grenzenlosigkeit, die wir im Universum

vermuten. Grenzenlos, zeitlos, traumlos – und dabei (fast) immer von ungeheurer Geschwindigkeit.

Diese Geschwindigkeit wirkt wie ein Sog. Sie zieht den Spieler in die fantastischen Welten hinein.

Sie formt seine Aufmerksamkeit, umhüllt seine Konzentration – die Geschwindigkeit ist eine zweite

Dimension der Künstlichkeit, in die ein Spieler am Computer hinein rast und aus der er sich, einmal

eingefangen, nur schwer wieder lösen kann. Die Bilderwelten, in die der Spieler sich verfängt, sind

keine Bilder im alten Sinn. ... Das Betrachten eines Bildes ist immer Reflexion aufs eigene Selbst

und auf das in ihm enthaltene, oft ungewusste, oft entstellte Humane an sich. Bei Computerspielen

ist das nicht so. Der Zeit enthoben, vom Räumlichen befreit, in übermenschliche Geschwindigkeiten

und andere Potenzialitäten eingebunden, finden sie keinen Widerhall in der Erfahrung des

Zuschauers oder Spielers. In ihnen begegnet ihm nichts als Fremdheit, das rein Gerechnete, das

kein natürliches und kein ethisches Modell der Wirklichkeit benötigt. Wo der Spieler sich in diese

Welt einfindet, ihre Gefahren pariert und ihrer Schnelligkeit Stand hält, da vermengt er sich eher

mit ihr, als dass er sie betrachtet und sich in ihr reflektiert. In den Computerwelten und –spielen ist

weniger von der Verführung durch Bilder zu reden als von der Eigenart einer Mensch-Maschine-

Synergie, die es so – so total! – vorher noch nie gegeben hat.“

Spielen mit anderen Personen reizvolle Interaktionsmuster entfalten und aktiv Anerkennung erfahren wird. Bei Spielen wie World Of Warcraft kommen weitere Aspekte wie die Einnahme komplexer Rollen innerhalb hochgradig authentischer Welten hinzu, wodurch das Leben im Virtuellen im Extremfall die Bedeutung des eigenen Lebens in den Schatten stellen kann“ (Baier/Rehbein 2009: 154).

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Computer und Internet können unter bestimmten Voraussetzungen leicht zum

Mittelpunkt des Lebens werden, weil sie eben einen so hohen Bindungs- und auch

Aufforderungscharakter haben, weil sie potentielle, aber nur potenzielle Suchtmittel

sind, die kostengünstig und auch für Kinder und Jugendliche (trotz teilweiser

Altersbeschränkung) schon leicht erreichbar sind. Eltern und Erwachsene schwanken

oft zwischen einerseits Faszination und Anerkennung angesichts eines exzessiven

Medienhandelns der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen und andererseits

Unbehagen und Unvermögen, den Konsum zu verstehen, zu begleiten, ihm Grenzen

zu setzen und attraktive Alternativen anzubieten. Selbst wenn Jugendliche mit Hilfe

ihres Smartphones laufend auf Facebook kommunizieren, stehen Eltern oft über

längere Zeit staunend und auch gewährend daneben, bis sie anfangen zu

problematisieren, dass das iPhone z.B. während des gemeinsamen Essens weggelegt

werden sollte. Wenn sich dies über einen längeren Zeitraum so einspielt, hat sich die

Gewohnheit oft schon so verfestigt, dass es schwer ist, die Jugendlichen wieder mit

ihrer Präsenz und ohne Handy an den Tisch zu holen, denn nun müssen – unter

Umständen ad hoc – Alternativen angeboten werden, die im Familienalltag vielleicht

schon tendenziell verlernt wurden. Kinder und Jugendliche spüren sofort, wenn

Gesprächs- und Freizeitangebote oder Rituale künstlich, instrumentell eingesetzt und

aufgesetzt sind. Sie verweigern sich dann u.U., indem sie ihre Präsenz abziehen und

zurück zu ihren, ihre Aufmerksamkeit fesselnden technischen Geräten gehen. Eltern

und begleitende Erwachsene haben eine emotional und kommunikativ anspruchsvolle

Aufgabe: sie sind gut beraten, wenn sie einerseits bei ihren eigenen Wünschen und

Bedürfnissen bleiben und sich andererseits mit ihrer Aufmerksamkeit sensibel auf

den oder die Jugendliche_n einlassen. Dies ist dann besonders schwierig, wenn dies

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nach einer Zeit des Gewährenlassens geschieht, sei es eines Gewährenlassens

aufgrund von eigener mangelnder Präsenz, aufgrund von Ignoranz der Problematik,

aufgrund von Bewunderung der Medienkompetenzen des Kindes oder aufgrund

eigener Faszination im Hinblick auf die technische Entwicklung. Denn auch die Eltern

selbst müssen sich verändern. Es ist umso komplizierter, eine Änderung in der

Kommunikation herbeizuführen, wenn der/die Jugendliche bereits wiederholt

Grenzsetzungen überhört hat, die die Eltern vorgenommen haben und wenn sich

bereits ein Frust aufgebaut hat, aufgrund eines angenommenen demonstrativen

Desinteresses der eigenen Kinder und Jugendlichen, die scheinbar den Computer,

das Netz, das Smartphone oder den iPad interessanter finden als ihre Eltern und

deren Angebote. Ein Richtungswechsel in der Kommunikation miteinander erfordert

Bewusstsein über den eigenen elterlichen Beitrag an der Situation, ggf. Selbst-

Veränderung, Klarheit, Mit-einer-elterlichen-Stimme-Sprechen sowie Bewusstsein

über die (schulischen, familialen, kommunikativen) Kontexte der aktuellen Situation

und Interaktionsdynamik (zur Veranschaulichung vgl. das Beispiel in der TV-Sendung

Galileo Spezial vom 11.11.12;

http://www.prosieben.de/tv/galileo/videos/clip/2021815-galileo-spezial-gefangen-im-

netz-teil-1-1.3436752/, (abgerufen am: 12.4.13).

2.3 Verstehenskontext: Psychische und psychosoziale Voraussetzungen

und Folgen

Störungsbilder und ihre Ursachen bzw. Konsequenzen für Beziehungen,

Bindung und Vertrauen zwischen Eltern, Erwachsenen und Kindern

Digitale Medien wirken aber nur als Mittel zur Abhängigkeit, wenn insgesamt ein

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Störungsbild entsteht. Es müssen weitere Komponenten in ihrem Leben gegeben

sein, dass Menschen in die Situation kommen, viele Stunden spielend vor dem PC

oder der Konsole „abzuhängen“ und dabei eine Sucht zu entwickeln und/oder

abhängig von Onlinekommunikation zu sein und/oder Informationen über Internet

suchtartig zu sammeln und/oder einer Online-Sexsucht verfallen zu sein.15 Wenn

Jugendliche den PC, das Smartphone, das Fernsehen oder die Konsole

zweckentfremdet und übermäßig lange einsetzen, und zwar als Ersatz für andere

Aktivitäten und andere Bedürfnisse: z.B. als Tröster, als einziges

Kommunikationsmittel, als Mittel, um persönliche Bestätigung zu bekommen, als

Möglichkeit, um Ängste zu regulieren, kann dies auf eine Medienabhängigkeit

hindeuten. Es muss also auch anderes in ihrem Leben in eine Schieflage gekommen

sein oder kommen, dass sich eine dysfunktionale Nutzung von Medien entwickeln

konnte und kann. In der Regel befördern Störungen von Beziehungen, tiefe seelische

Verletzungen oder ein Mangel an Bindung und Vertrauen im nahen sozialen Umfeld

ein exzessives und dysfunktionales Medienhandeln. Wenn hinzu kommt, dass

Entzugserscheinungen auftreten, wie Unruhe, Nervosität, Gereiztheit, psychisches

Verlangen nach dem Computerspielen, Kommunizieren über Facebook oder Sammeln

von Informationen, sobald sich die Person fern von den Geräten befindet, ist dies

Grund zu ernsthafter Sorge. Wenn zudem negative soziale, psychische

Konsequenzen in Kauf genommen werden (wie Schulschwierigkeiten, Probleme am

Arbeitsplatz, Verlust persönlicher Beziehungen) oder physische Konsequenzen (wie

Schlafstörungen, Mangel- oder Fehlernährung), dann liegen ausreichend spezifische

15 Vgl. die aktuelle Unterscheidung in vier mögliche Bereich der Sucht bei Dorothee Mücken in: Let’s play. Methoden zur Prävention von Medienabhängigkeit, http://drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/DrogenundSucht/Computerspiele_Internetsucht/Downloads/Methodenhandbuch_Medienabhaengigkeit_ansichts.pdf, S. 10, (abgerufen am: 22.4.13).

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Hinweise auf eine „Medienabhängigkeit“ vor.16 Die Forschung zeigt, dass

Medienabhängigkeit zu zahlreichen physischen, psychischen und sozialen

Folgeschäden führen kann. Zu erwähnen ist auch, dass das Phänomen der

Medienabhängigkeit oft in Zusammenhang mit anderen Süchten auftritt und mit

dem, was Psychologen und Ärzte „Störungsbilder der Persönlichkeit“ nennen. Es wird

jedoch inzwischen argumentiert, dass Medienabhängigkeit eine eigenständige

psychische Erkrankung ist und nicht unbedingt als Merkmal einer anderen

zugrundeliegenden Erkrankung anzusehen ist.17

Wie psychopathologische Untersuchungen und wie die Hirnforschung aufzeigen, sind

diese Verhaltensmuster in einer Veränderung des Gehirns ablesbar. Geschlussfolgert

wird daraus, dass auch diese stoffungebundene Sucht zu einem physischen

Phänomen werden kann, das mit sozialen Mitteln, wie Regeln, Bestrafung oder Gut-

Zureden, nur noch sehr schwer zu unterbrechen ist.18

Der Zugang über „Psychische und psychosoziale Voraussetzungen und Folgen“ ist

also ein dritter möglicher Verstehenskontext des Phänomens der Medienabhängigkeit

und des exzessiven Medienhandelns. Wolfgang Bergmann und Gerald Hüther (2006)

weisen zurecht darauf hin, dass exzessives Medienhandeln nicht nur Konsequenzen

für die Beziehungen zwischen Kindern resp. Jugendlichen und ihrer sozialen Umwelt

16 Als diagnostische Kriterien gelten: Dauer und Kontinuität der Symptomatik (mindestens seit 3 Monaten kontinuierlich). Eine Medienabhängigkeit wird i.d.R. diagnostiziert, wenn mindestens vier der folgenden sieben primären Abhängigkeitskriterien zu beobachten sind: Einengung des Denkens und Verhaltens, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen, Dysfunktionale Regulation von Affekt oder Antrieb, Vermeidung realer Kontakte zugunsten virtueller Beziehungen, Fortsetzung des Spielens trotz bestehender oder drohender negativer Konsequenzen. Zudem muss für eine Diagnose „Medienabhängigkeit“ eine der drei folgenden sekundären Abhängigkeitskriterien im Leben des/der Betroffenen eingetreten sein: Negative Auswirkungen kann eine Medienabhängigkeit haben auf: Körperpflege, Ernährung, Gesundheit, auf Familie, Partnerschaft, Freizeit sowie auf Schule, Ausbildung, Arbeit und Haushalt (vgl. te Wildt/Rehbein 2010). 17 Vgl. Teske u.a. 2012: 6-10. 18 Vgl. beispielsweise Bergmann/Hüther 2006: 125f.

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hat, sondern, dass – umgekehrt - bereits über Jahre hinweg bei den in die

Medienabhängigkeit geflüchteten Jugendlichen das Vertrauen zur realen Welt

verloren gegangen ist. Das betrifft zum einen das Vertrauen in Geborgenheit,

Zuwendung und menschliche Nähe als auch den Wunsch nach Anerkennung, das

Vertrauen in Vorbilder und das Vertrauen in die Fähigkeit, von der sozialen Welt

aufgegebene Herausforderungen zu bewältigen.

„Es ist wichtig, möglichst gut zu verstehen, wie und wodurch das Vertrauen verloren geht, das alle

Kinder immer wieder mit auf die Welt bringen: Denn nur wenn man weiß, weshalb es verschwunden

ist, lässt sich erahnen, was getan werden müsste, damit dieses verlorene Vertrauen von einem Kind

oder Jugendlichen zurückgewonnen werden kann. Solange das Kind noch nicht von irgendwelchen

Ersatzbefriedigungen abhängig, also z.B. computersüchtig geworden ist, mag das noch relativ leicht

sein. Hat es aber erst einmal den Zauber der virtuellen Welt oder irgendeiner anderen Krücke

entdeckt, mit deren Hilfe es ihm möglich wird, dieses verloren gegangene Vertrauen irgendwie zu

kompensieren, bleibt vieles von dem, was vorher noch geholfen hätte, leider allzu oft wirkungslos. ...

Man kann Kompetenzen entwickeln und das Vertrauen in die Fähigkeit, sich im realen Leben

zurechtzufinden, wieder stärken. Aber es geht nicht, solange alles so bleibt wie es ist – zu Hause, in

der Schule, in der Freizeit, also im realen Leben der betreffenden Kinder und Jugendlichen. Sie

brauchen echte Aufgaben, an denen sie wachsen können. Sie brauchen konkrete Probleme, die sie

meistern können. Sie brauchen interessante Entdeckungen, die sie machen können, auch eigene

Entscheidungen, die sie treffen können. Sie brauchen also eine andere Lebenswelt, eine Welt, die sie

sich erschließen können, in der sie wichtig sind, und in der sie sich mit ihren Begabungen und

Fähigkeiten auch wirklich angenommen fühlen, in der sie nicht benutzt, sondern gebraucht werden

(Bergmann/Hüther 2006: 146;149f).

Die Autoren weisen also darauf hin, dass von Medienabhängigkeit betroffene

Jugendliche, jede und jeder auf seine und ihre Weise, eine längere Geschichte des

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Vertrauensverlustes erlebt hat, an der die Erwachsenenwelt maßgeblich mit beteiligt

ist. Sie diskutieren die Wirkungen des Vertrauensverlustes im Gehirn der Kinder.

Parallel zu dieser hirnphysiologischen Erläuterung stellen sie bei ihren

Erklärungsansätzen psycho- und familiendynamische Gesichtspunkte dar. Dies

geschieht unter einer stark diagnostischen, theoretisch voraussetzungsvollen und

kategorial-deutenden sowie tendenziell auch abwertenden Perspektive: So erläutert

Wolfgang Bergmann auf der Basis seiner Erfahrungen in der Psychotherapie die

Problematik der narzisstischen Störung bei als computersüchtig eingeschätzten

Jugendlichen. Diese sieht er gewachsen in einer Gesellschaft, die keine Sicherheiten

und keine klaren Zukunftschancen mehr biete, die Egozentrik fördere, ohne das

Selbst zu stärken, in einer familialen und sozialen Umwelt mit gehetzten, in Illusionen

verfangenen Eltern sowie – so die Fallgeschichten – mit zu Delegationen neigenden

und ihre Kinder emotional überfordernden, ausbeutenden oder bindenden

alleinerziehenden Müttern. Bergmann und Hüther betonen in Bezug auf Jugendliche:

„Entscheidend sind für sie nicht die Folgen, sondern dir Ursachen dieser Veränderungen. Wer diesen

Kindern und Jugendlichen aus ihrer Computersucht heraushelfen will, muss wissen, wie und weshalb

sie hineingeraten sind“ (Bergmann/Hüther 2006: 140).

Diese Idee, aus dem „Wie und Warum“ des In-die-Abhängigkeit-Geratens zu lernen,

verfolgt auch der anfangs erwähnte biografische und lebensweltlorientierte Zugang.

Er ist jedoch m.E. kein Pendant des Ansatzes von Bergmann und Hüther, denn er

verortet sich in einem anderen Verstehensparadigma. Er versucht, mit einer anderen

Grundhaltung und Perspektive zu verstehen, wie es zu „Medienabhängigkeit“ im

Einzelfall gekommen ist.

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Dabei geht dieser verstehende Ansatz bewusst nicht von einem linearen Ursache-

Wirkung-Verhältnis aus, sondern von der Annahme eines komplexen

lebensgeschichtlichen Prozesses, von der Entstehung der Medienabhängigkeit im

Rahmen einer Sozialisationsgeschichte. Dieser Ansatz geht bewusst nicht

diagnostizierend und pathologisierend vor, wie die Ansätze, die hier unter dem

dritten Verstehenskontext als „Störungsbilder“ zusammengefasst sind. Eine biografie-

und lebensweltorientierte Perspektive ist hingegen bemüht, die Auffälligkeiten im

biografischen Kontext als sinnlogische Folgen einer Sozialisationsgeschichte zu

verstehen. „Medienabhängigkeit“ wird im biografie- und lebensweltorientierten

Verstehenskontext, nicht als „Störung“, sondern als Symptom begriffen, das

seinerseits auf problematisch gewordene soziale und kommunikative

lebensgeschichtliche Beziehungs- und Erfahrungskonstellationen aufmerksam macht.

Wenn, dann „stören“ diese in der Lebensgeschichte eines Menschen und sind

Grundlagen der Abhängigkeit. Menschen können das Symptom des exzessiven

Medienhandelns (neben anderen Abhängigkeiten) heute ausbilden, weil die

Gesellschaft, die Medienindustrie, die Schule, die Familie dieses Handlungsmuster als

zeitgemäßes, zunächst sozial unauffälliges, gar gefördertes Handeln anbieten, so

eine weitere grundlegende Denkweise dieses Verstehenskontextes.

Der biografie- und lebensweltorientierte Ansatz bezieht diese gesellschaftliche

Dimension ein. Er geht dezidiert von den Erfahrungen der Betroffenen aus und ist

dennoch mehrperspektivisch angelegt. Er integriert schließlich alle drei genannten

Verstehenskontexte (nämlich: Medienabhängigkeit wird mit gesellschaftlichen

Bedingungen und Erwartungen erklärt, mit dem den Spielen und

Kommunikationsangeboten digitaler Medien innewohnenden Suchtpotenzial und

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mit den psychischen und psychosozialen Voraussetzungen der Jugendlichen) als zur

Lebensgeschichte dazugehörig. Aus der Biografie heraus, so die These, werden die

Bedeutung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Bedeutung des

Suchtpotenzials sowie die Bedeutung von psychischen und psychosozialen

Voraussetzungen in ihrem Zusammenspiel in der Sozialisationsgeschichte des

Einzelfalls verstehbar.

Um diesen integrativen, biografie- und lebensweltorientierten Verstehenskontext

seinerseits zu präzisieren, werde ich im Folgenden den Ansatz theoretisch,

methodologisch und methodisch erläutern.

2.4 Verstehenskontext: Biografie und Lebenswelt

Biografische und lebensweltliche Erzählungen als Möglichkeit des Selbst-

und Fremdverstehens von Jugendlichen, von ihren Familien und ihrer

sonstigen sozialen Welt

Eine alle Verstehenskontexte integrierende Perspektive ist diejenige, die die

biografischen und lebensweltlichen Schilderungen von Jugendlichen (resp. von den

medienabhängigen Erwachsenen) in den Mittelpunkt stellt. Während die oben

genannten drei Verstehenskontexte in erster Linie von Expertinnen und Experten19

entwickelt werden, auf der Basis von Gesellschafts- und Medienanalysen, auf der

Basis diagnostischer Kriterien sowie auch auf der Basis empirischer Erfahrungen mit

von Medienabhängigkeit betroffenen Menschen, sind bei diesem biografischen und

lebensweltlichen Ansatz Jugendliche selbst als Expertinnen und Experten ihrer

19 z.B. von Ärztinnen und Ärzten, Psychologinnen und Psychologen, Hirnforscher_innen, Medienforscher_innen, Medienphilosophinnen und –philosophen, Pädagoginnen und Pädagogen oder von Soziologinnen und Soziologen.

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gesamten Geschichte gefragt. Aus biografischen Erzählungen, die die lebensweltliche

Perspektive der Jugendlichen beinhalten, lässt sich rekonstruieren – und gemeinsam

mit den Jugendlichen im Dialog entwickeln -, was fallspezifisch zur das reale Leben

behindernden, Beziehungen oder die Gesundheit gefährdenden exzessiven

Beschäftigung mit und in Medien geführt hat. In jeder dialogisch entwickelten,

gehörten und/oder rekonstruierten Fallspezifik stecken direkte und strukturelle

Hinweise für mögliche lebensgeschichtliche und beziehungsgeschichtliche

Hintergründe des Phänomens der Medienabhängigkeit im Einzelfall dieser

Lebensgeschichte. Ausgangspunkt ist die Erfahrung, dass Jugendliche (bzw. ganz

allgemein: von Medienabhängigkeit betroffene Menschen) selbst am besten die

Geschichte ihrer Abhängigkeit bzw. die Geschichte ihres Angezogenseins von Medien

erzählen können. Dabei werden sowohl problematische lebensgeschichtliche Verläufe

und Beziehungskonstellationen als auch Ressourcen in den Lebensgeschichten und

deren sozialen Kontexten sichtbar. Wir erhalten im besten Fall sehr konkrete

Hinweise auf Erfahrungen und Kommunikationsstrukturen im Leben des oder der

Jugendlichen, z.B. nicht gehörte Bedürfnisse oder Wünsche oder auch Erfahrungen

von Verlusten und/oder Verletzungen.

Indem sie Raum für die Entfaltung ihrer Geschichten bekommen, erwerben sich die

Erzählenden die Kompetenz, einen Sinnzusammenhang in ihrer Lebensgeschichte

herzustellen und diesen auch kommunikativ zu vermitteln. Sie verankern sich dabei

mit ihrer realen Biografie in der Gegenwart und in der realen Welt. Und nicht zuletzt

machen sie die Erfahrung, wie gut es tut, wenn ein Mensch sich für sie persönlich

und für ihr Handeln interessiert, wenn jemand ihnen gerne, konsequent

nachfragend, geduldig und neugierig zuhört. Aus dem Erzählten lassen sich

gemeinsam mögliche Handlungsoptionen zur Veränderung der bisherigen Situation

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ableiten.

Biografie

Unter „Biografie“ wird in der soziologischen Biografieforschung die dargestellte

Lebensgeschichte verstanden (Völter 2012: 23f). Lebensgeschichte bedeutet hier die

chronologische Aufschichtung von Erlebnissen im Lebensprozess. Biografie dagegen

ist die Form der Darstellung der Lebensgeschichte aus der Gegenwart heraus.

Während sich die Lebensgeschichte im Rahmen sozialer Kontexte entfaltet, ist die

Biografie ein Interaktionsprodukt. Letzteres entsteht in einem Prozess über die

gesamte Lebensgeschichte hinweg und kann sich auch wandeln. Bei der Entstehung

einer Biografie werden Selbst- und Fremdwahrnehmung in ihrer Wechselwirkung zu

einem (meist implizit bleibenden) Selbstverständnis geformt. Dieses wird aus einem

gegenwärtigen (Erzähl- oder Schreib-)Kontext heraus rückblickend und in

Kommunikation mit einem (imaginierten) Gegenüber nach und nach mündlich (oder

schriftlich) entfaltet. Es handelt sich meist um eine zeitlich organisierte Darstellung,

die aber nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge der erlebten Erlebnisse

erfolgen muss, sondern sich an den Relevanzen, d.h. an den Sinngebungen und

Bedeutungen eines Biografen oder einer Biografin, orientiert. Diese Darstellung aus

der Gegenwart heraus, also die lebensgeschichtliche Selbstpräsentation oder

„Biografie“, ist ein (vorläufiges) Resultat eines komplexen Sinnzusammenhangs von

erlebten Erlebnissen, den zu unterschiedlichen Zeiten erinnerten Erlebnissen sowie

der aktuellen Situation, aus der heraus sich erneut erinnert und in der erzählt wird

(vgl. zum Zusammenhang von Erlebnis – Erinnerung - Erzählung Rosenthal 1995).

Die Biografie erzählt eine individuelle Geschichte, und sie verweist gleichzeitig auch

auf die gesellschaftlichen, sozialen, ökonomischen, kulturellen und familialen

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Rahmenbedingungen dieser individuellen Sozialisationsgeschichte. Wenn wir uns

Lebensgeschichten oder Teile von Lebensgeschichten erzählen lassen, erfahren wir

lebensgeschichtlich relevante Aspekte dessen, was Menschen erlebt haben, und wie

sie sich selbst sehen. In erzählten Lebensgeschichten kann auch deutlich werden,

wie Menschen ihre soziale Umwelt und die Gesellschaft, in der sie leben, erlebt

haben und wie sie diese Einflüsse deuten. Wir entdecken Spuren ihrer Perspektiven

und der Entwicklungsmöglichkeiten, die sie für sich selbst erkennen, welche

Lösungsmöglichkeiten für Konflikte und Probleme sie sehen, welche Handlungen sie

bereits unternommen haben, um Aufgaben zu bewältigen und welche Ressourcen

ihnen dabei zur Verfügung stehen. Sie deuten an, welche Ressourcen bisher nicht

genutzt werden.

In einer „Biografie“ ist nach dieser Definition die „Lebensweltorientierung“ in vieler

Hinsicht bereits enthalten. Denn in biografischen Darstellungen gibt es i.d.R.

Ausführungen über die den Biografen oder die Biografin umgebenden sozialen

Räume und die von ihm oder ihr wahrgenommene soziale Alltagswelt.

Lebenswelt

„Lebensweltorientierung“ nimmt die Wahrnehmung der sozialen Räume und der

sozialen Alltagswelt durch die Menschen selbst in den Blick. Bei der

Lebensweltorientierung spielt zum einen eine Rolle, wie Jugendliche über ihre

Familie, die Schule, ihren Freundeskreis, ihre alltäglichen Aktivitäten erzählen.

Gleichermaßen mit den Beschreibungen von Beziehungen oder dem Bericht von

Abläufen oder der Erzählung von einzelnen Situationen im Rahmen einer

biografischen Darstellung, wird deutlich, welche Erfahrungen Jugendliche mit

Ordnungsstrukturen wie Zeit (z.B. die Lebenszeit) gemacht haben und wie sie diese

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für sich konstruieren. Es wird deutlich, welche Erfahrungen sie mit Räumen gemacht

haben, wie sie sich Räume aneignen, welche Sozialräume sie nutzen, welches

Raumempfinden sie entwickelt haben und wie sie soziale Räume konstruieren,

einschließlich der von ihnen wahrgenommenen virtuellen Räume.

Lebensweltorientierte Arbeit interessiert sich auch für die sozialen Beziehungen und

Bezüge, die Menschen erfahren und für sich entwickeln, für die kulturellen Deutungs-

und Handlungsmuster, mit denen sie aufgewachsen sind und die sie deutend und

handelnd leben, für Routinen und für ihre ökonomischen und sozialen

Lebensverhältnisse.

Einzeldaten im lebensgeschichtlichen Gesamtzusammenhang sehen

Wichtig ist bei einem lebensweltlich fundierten und biografieorientierten Ansatz, den

wir an anderer Stelle als „Biografische Einzelfallhilfe“ beschrieben haben

(Griesehop/Rätz/Völter 2012a), dass die Lebensgeschichte als strukturierter

Gesamtzusammenhang wahrgenommen wird. D.h., dass einzelne Informationen über

das jeweilige Leben konsequent im Gesamtzusammenhang verstanden werden. Wie

Menschen sich und ihr Handeln heute sehen und wie sie sich heute andern

gegenüber darstellen, hängt damit zusammen, was sie in der Vergangenheit erlebt

und wie sie dieses Erleben verarbeitet haben. Handeln und Erleben in der

Vergangenheit sowie Erinnern und Darstellen dieser vergangenen Handlungen in der

Gegenwart bedingen sich wechselseitig. Das hat für die biografieorientierte Arbeit mit

als „medienabhängig“ diagnostizierten Jugendlichen zur Folge, dass jegliche

lebensgeschichtlichen Informationen über den „Fall“ von Interesse sind. Auch

Erfahrungen, die nicht im Rahmen des Hilfeprozesses gemacht wurden oder die nicht

im engeren Sinne mit dem Thema Medienabhängigkeit zu tun haben, können

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wegweisend für das Fallverstehen sein und gegebenenfalls für den Hilfeprozess

produktiv gemacht werden, wenn sie im Gesamtzusammenhang verstanden werden.

Erzählungen hervorlocken, um Prozesse des Fremd- und Selbstverstehens

zu erleichtern und die Lebensgeschichte im „real life“ zu stärken

Bei der biografieorientierten Arbeit mit Erwachsenen und Jugendlichen im Kontext

Sozialer Arbeit geht es in erster Linie darum, Menschen einen Raum zu eröffnen, in

dem sie über ihr eigenes Erleben sprechen können.20 Dies kann zunächst

vergleichsweise schwierig sein, da manche Menschen und insbesondere viele

Jugendliche, nicht gewohnt sind, ausführlich über ihr eigenes Leben zu sprechen:

Menschen, denen es schwer fällt, über sich zu sprechen, wurden oft in der Familie, in

Bildungseinrichtungen, in Vereinen, möglicherweise auch in Hilfe- oder

Zwangskontexten erzogen, bewertet, befragt. Viele machten die Erfahrung, dass

ihnen relativ wenig zugehört wurde, sie sich relativ wenig ernst genommen fühlten

und/oder sie selten erlebten, dass es Zeit und Raum für ihre Erinnerungen und

Erzählungen gab. Manchen ist es zunächst auch unangenehm, von sich zu sprechen.

Gerade Jugendliche, die sich möglicherweise schon seit Jahren hinter ihrem PC

verschanzen oder Jugendliche, die abhängig davon sind, pausenlos im Netz zu

kommunizieren, haben oft im „real life“ keine Gegenüber, die sie zum Erzählen

animieren. Sie finden es möglicherweise „uncool“ oder fremd, über ihr Leben zu

erzählen. Sie bewegen sich in Fanstasiewelten mit eigenen Sprachcodes. Sie formen

Charaktere und Identitäten in der virtuellen Welt, mit denen sie sich innig verbunden

fühlen, mit denen sie sich als außerordentlich wirksam erleben und die – teilweise in

20 Für die biografieorientierte Arbeit mit Kindern, die eher spielerisch und/oder malend-darstellerisch verlaufen kann, vgl. Völter 2013).

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sehr vermittelten Bezügen - etwas mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu tun haben.

Auf einer symbolischen Ebene arbeiten sie mit Themen, die sie persönlich betreffen.

Ihr eigenes, reales Selbstverständnis, die Entwicklung und die Fähigkeit, ihre eigene

reale Biografie zu kommunizieren, kann gerade deshalb zum einen eine Chance sein,

mit diesen Themen in der realen Welt gehört zu werden und Resonanz zu erfahren.

Dies kann zunächst ein wichtiger Punkt der Begegnung sein: „Erzähl mir mehr von

Deinem Computerspiel!“, „... von Deinem Avatar!“, „Erzähl doch mal mehr von

Deinen besten Erlebnissen bei ‚Minecraft’ in den letzten Tagen!“. Die Erzählung im

„real life“ über die Erlebnisse im virtuellen Raum kann ein wichtiger Gegenpol zur

Fantasiewelt und dabei ein Baustein im Beratungs- oder im therapeutischen Prozess

werden.

Im Rahmen einer biografieorientierten Beratung werden Menschen darum gebeten,

ihre Erlebnisse zu erzählen. Dabei wird konsequent an dem angeknüpft, was sie für

relevant halten, so abweichend es zunächst vom Interesse des oder der Beraterin

erscheint. Menschen in dieser Erzählungen hervorlockenden und Erinnerungen

ermöglichenden Weise zu motivieren, von sich zu sprechen, oder auch nur, sich

bestimmten Fragen zu stellen, gleicht einer Einsozialisierung in die Kompetenz und

den Habitus biografischen Fühlens, Denkens und Sprechens. Eine Chance dabei ist,

dass gelernt wird, wie eigene Erfahrungen, Wünsche, Gefühle, Vorstellungen und

Grundhaltungen verbalisiert und kommuniziert werden können.

Immer gilt, dass ein Sich-Öffnen und Erzählen von Menschen nur auf der Basis von

Vertrauen erfolgen kann. Wenn die Beratung aufsuchende Person ein zugewandtes

und zuhörendes Gegenüber erlebt, wenn Ruhe, Raum und Zeit zur Entfaltung von

Geschichten gegeben ist, wird sie sich nach und nach auf Erinnerungen und

Erzählungen einlassen (vgl. Torralba 2006; zur narrativen Gesprächsführung mit

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Jugendlichen sehr detailliert und konkret auch Köttig/Rosenthal 2006).

Die Erzählung ist diejenige sprachliche Form, in der alle Arten von Handlungen

entlang ihres zeitlichen Verlaufs am detailreichsten dargestellt werden können. Eine

Erzählung gibt uns den differenziertesten Einblick in das Erleben von Menschen.

Mithilfe von Erzählungen können wir nicht nur deren Einstellungen, sondern vor

allem auch ihre konkreten Handlungen nachvollziehen. Der subjektive Sinn und die

Bedeutung ihrer gegenwärtigen sozialen, psychischen und auch leiblichen

Äußerungen kann auf der Basis von Erzählungen entschlüsselt werden (vgl.

Rosenthal 2005: 165; Alheit u.a.: 1999). Biografisches Fallverstehen beruht auf der

Annahme, dass es lebensgeschichtliche Hintergründe und soziale Kontexte für

entwicklungshemmend oder gefährdend wirkende Handlungsmuster gibt. Menschen

können sich diesen Hintergründen annähern, wenn sie dabei unterstützt werden,

Geschichten zu einzelnen Handlungssituationen zu erzählen. In erzählten

Geschichten deuten sich in der Regel die lebensgeschichtlichen Zusammenhänge

eines auffälligen Handelns an. Erzählungen können Hinweise darauf geben, wofür

das Symptom möglicherweise steht, was damit versucht wird zu kompensieren, zu

lösen oder gar zu heilen.

Das Besondere am Ansatz einer biografieorientierten und Erzählungen

hervorlockenden Beratung oder Therapie ist nicht allein, dass Berater_innen oder

Therapeutinnen/Therapeuten besser nachvollziehen können, wie für den/die

Jugendliche „eins zum andern“ kam, sondern dass die Erzähler_innen Neues über

sich selbst erfahren. Denn im Erzählvorgang werden Erinnerungen wach, die

verschüttet sind oder in diesem Zusammenhang noch nie so, auf diese Weise

gesehen wurden. Wir sprechen insofern davon, dass biografische Beratung

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insbesondere das Selbstverstehen fördert und damit auch eine Art Basis für Hilfe zur

Selbsthilfe ist.21

Festgehalten werden kann: Biografieorientierte Fallarbeit mit als „medienabhängig“

diagnostizierten Jugendlichen heißt, ihre Geschichten und ihre Perspektiven in den

Mittelpunkt der Beratung zu stellen. Dies bedeutet zunächst, sie – je nach Zeit,

Kontext und Bereitschaft - nach ihrer Lebensgeschichte und/oder ihrer Geschichte

seit sie mit Medien zu tun haben und/oder nach einzelnen Erlebnissen (mit bzw. in

den Medien) zu fragen, damit sie die Chance haben, ihre Handlungs- und

Verarbeitungsweisen als Verläufe in der Zeit wahrzunehmen. Sie können dabei z.B.

erfahren, dass es über längere Zeiträume auch andere Phasen ihres Lebens gab als

die der zunehmenden Abhängigkeit. Sie erfahren u.U. auch, dass es grundsätzlich

möglich war und ist, in ihrem persönlichen Leben etwas zu verändern, da sich

Veränderungen im Leben ohnehin ständig vollziehen und sie selbst ja in der

Vergangenheit Entscheidungen getroffen haben sowie aktuell auch Entscheidungen

treffen. Sie erleben sich als interessant und wertvoll mit ihren Erfahrungen und ihrer

Perspektive auf die Welt.

Biografieorientierte Arbeit bedeutet u.a., alle Äußerungen der Erzähler_innen, auch

Fantasien und Illusionen, als bedeutsam und sinnvoll im lebensgeschichtlichen

Gesamtzusammenhang zu verstehen. Auch diese Geschichten geben u.U. Hinweise

auf Wünsche und Bedürfnisse. Alle Geschichten können wichtige Schlüssel zum

Verstehen gegenwärtigen Denkens und Handelns sein. Sie können ggf. in der

21 Die Literatur zum Ansatz der biografieorientierten Beratung, Einzelfallhilfe, Pädagogik und/oder Therapie ist inzwischen umfangreich und sehr praxisorientiert geschrieben (vgl. exemplarisch: Loch/Schulze 2010; Rätz-Heinisch/Köttig 2010; Goblirsch 2010; Griesehop/Rätz/Völter 2012a; Völter 2013)). Zum Konzept einer „Verstehenden“ oder „Rekonstruktiven Sozialen Arbeit“ (vgl. bspw. Miethe 2007; Völter 2008; Völter/Franz/Reichmann i.E.).

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Beratung aufgegriffen und im Dialog mit den Jugendlichen weiter betrachtet werden.

Insgesamt hat ein biografieorientiertes Arbeiten den Effekt, dass Jugendliche lernen,

ihre Erlebenisse zu erinnern, zu kommunizieren und sie dabei ein Stück in Distanz zu

sich zu bringen. So kann konkret erfahren werden: „Ich bin nicht meine Geschichte,

ich bin auch nicht mein Avatar und ich bin auch nicht mein Problem oder meine

Diagnose“. Indem sie über sich erzählen, können Jugendliche ein stabiles und real

fundiertes Selbstverständnis und Selbst-Bewusstsein auszubilden. Voraussetzung

dafür ist selbstredend, dass sie freiwillig bereit sind, ihre Erlebnisse zu erzählen, und

dass Vereinbarungen darüber getroffen werden, wie ein sicherer Raum hergestellt

werden kann, so dass nicht missbräuchlich mit den Geschichten umgegangen wird.

Der biografie- und lebensweltorientierte Verstehenskontext als Chance

einer subjektorientierten, ganzheitlichen und nachhaltigen Arbeit am

Phänomen

Meiner Beobachtung nach beziehen viele Interessierte am Thema

Medienabhängigkeit und viele Akteurinnen und Akteure, die mit medienabhängigen

Menschen arbeiten, alle genannten vier Verstehenskontexte (Gesellschaft,

Suchtpotenzial der Medien, Störungbilder der Kinder und Jugendlichen, Biografie und

Lebenswelt) in ihre Überlegungen mit ein, ob sie nun als Lehrer_in tätig sind, ob sie

betroffene Eltern sind, ob sie eher in der Beratung, Prävention oder in der Klinik

engagiert sind. Es ist auch sehr sinnvoll, auf mehreren Ebenen zu denken und zu

handeln, um das Phänomen zu verstehen und handelnd mit ihm umzugehen. Aus der

Perspektive der unterschiedlichen Interessenslagen, Erfahrungen, Berufsfelder und

Professionen heraus werden die vier Verstehenskontexte jedoch im Verhältnis

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zueinander sehr unterschiedlich gewichtet. Die Verstehenskontexte werden i.d.R. als

ein Nebeneinander von Deutungsmöglichkeiten gesehen und nicht integrierend vom

Subjekt her gedacht.

Der theoretisch fundierte ganzheitliche Verstehenszugang über die Lebenswelt und

die Biografie ist m.E. deshalb besonders sinnvoll, weil er die Subjekte als Experten

und Expertinnen ihrer Perspektive, ihrer Geschichte, ihrer Lebensbezüge und ihrer

Lösungsansätze ernst nimmt. Indem den Jugendlichen, die das Abtauchen in

Medienwelten als biografische Lösung für sich ausgebaut haben, der Raum eröffnet

wird, über sich zu erzählen, Interesse an der eigenen Person zu erfahren, sich zu

verstehen, Bewusstheit über die eigenen Entscheidungen zu erlangen, Respekt für

ihre persönlichen Lebensleistungen zu bekommen, diese Entscheidungen als

Möglichkeiten unter anderen zu erkennen, lernen sie, sich selbst besser zu verstehen

und Ideen für Veränderungen zu entwickeln. Dadurch sind sie selbst vom Beginn der

Beratung an aktiv dabei, ihren Weg einer nachhaltigen Entwicklung heraus aus der

Abhängigkeit mit zu gestalten.

Ich werde nun im Folgenden am Beispiel der Biografie eines jungen Mannes zeigen,

welche lebensgeschichtlichen Hintergründe strukturell zu exzessivem Medienhandeln,

hier: zu einer diagnostizierten Computerspielabhängigkeit, mit beitragen können. Das

vorgestellte Verlaufsmuster und einzelne Phänomene dieser Biografie finden sich

auch in anderen von uns erhobenen Biografien wieder, so dass man von einer

typischen Verlaufsstruktur ausgehen kann.

3. Biografisches Fallverstehen – ein Beispiel

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Anselm Reimann wurde im Dezember 2008 in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie

interviewt.22 Er war gerne dazu bereit, an unserer Forschung teilzunehmen. Anselm

hatte sich sechs Wochen vor dem Interview auf Initiative seiner Mutter freiwillig in

der Psychiatrie anmelden lassen und befand sich zum Zeitpunkt des Interviews seit

drei Wochen dort. Anselm war 17 Jahre alt und bereits knappe zwei Jahre nicht zur

Schule gegangen. In dieser Zeit hatte er vor allem World of Warcraft gespielt, sechs

Charaktere auf Level 60 bzw. 70 gebracht. Das heißt, er hatte viel Erfolg beim

Spielen, hatte aber auch enorm viel an Lebenszeit investiert als er in die Klinik kam.

Er beschrieb seinen Tagesablauf bis zur Aufnahme in die Klinik wie folgt:

„Ich hab immer die Nächte durchgemacht dann halt so um 12 Uhr ins Bett und um 21 Uhr wieder

aufgestanden“.

Er habe sich in der Klinik angemeldet:

„Ja weil ich, so halt nich mehr weiter machen wollte ((mhm)) also ich mein ich bin jetzt siebzehn ich

werd nächstes Jahr 18, und wenn ich bis dahin nix gemacht h a b e, kann ich, mich ja gleich

umbringen ((mh)) (2) weil ich halt dann keinen Schulabschluß habe, keine Arbeit keine Wohnung

((mh)) (5)“23

Anselm wohnte vor seinem Klinikaufenthalt bei seinem Vater. Dieser hatte

aufgegeben, den Jungen in die Schule zu schicken. Von der Schule war er ohne

Schulabschluss entlassen worden.

22 Namen und Orte sind anonymisiert. Das Interview führte meine Mitarbeiterin Lisa Horkel. 23 Zur Bedeutung der Transkriptionszeichen in diesem Transkript: Bemerkungen in Doppelklammern sind Äußerungen der Interviewerin; Zahlen in einfacher Klammer bedeuten Dauer einer Pause in Sekunden; Leerzeichen heißen lang gedehntes Sprechen; Kommata bedeuten ein kurzes Absetzen.

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Interessant ist nun Anselms biografische Selbstpräsentation. Auf die Eingangsfrage

im Interview, die lautete: „Wir sind an Jugendlichen interessiert, die sich viel mit

Medien beschäftigen, viel mit dem Computer. Kannst Du mir bitte Deine

Lebensgeschichte und Familiengeschichte erzählen“, sagt Anselm:

„Okay, A l s o ich bin in Hamm geboren ((mhm)) und bin dort auch aufgewachsen, ähm (3) ja (8) hab

bis zu m e i n e m (3) dreizehnten oder vierzehnten Lebensjahr bei meiner Mutter gewohnt ((mhm))

und, dann zu meinem Vater gezogen ((mhm)) weil die sich halt, 1998 getrennt haben ((mhm)) und,

ja (13) mehr wüsst ich nich was ich erzählen könnte“

Anselm schildert hier die für ihn zentralen Eckdaten seiner Lebens- und

Familiengeschichte. Es fällt auf, dass er zu Anfang seiner Selbstpräsentation nichts

von seinem Interesse an Computerspielen erzählt, wie es andere Jugendliche auf

diese Eingangsfrage hin ausführlich tun.

Wie auch immer die Inhalte einer Selbstpräsentation ausfallen, es zeigt sich bei

Biografieanalysen generell, dass das, was auf eine offene Eingangsfrage zu Anfang

des lebensgeschichtlichen Interviews genannt wird, von hoher Relevanz für den

Biografen ist. Auch stehen die erwähnten Themen meist in einem Zusammenhang

mit dem Forschungsthema. Dieser Zusammenhang muss allerdings erst durch eine

Rekonstruktion des gesamten Interviews entschlüsselt werden. Wir können also

schon an dieser Stelle des Interviews die Hypothese aufstellen, dass sein Umzug von

Mutter zu Vater und das Erlebnis der Trennung seiner Eltern nicht nur von zentraler

Bedeutung für ihn sind, sondern auch etwas mit seinem exzessiven Medienhandeln

zu tun haben. Sehen wir uns die Passage noch einmal genauer an: Anselm erwähnt

zunächst seinen Umzug von Mutter zu Vater im Alter von 13 oder 14, erst danach

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erwähnt er die Trennung seiner Eltern, obwohl die chronologische Reihenfolge dieser

Erlebnisse ja umgekehrt war. In der Biografieforschung versteht man diese

nachgeschobene Information als eine typische, in Selbstpräsentationen immer wieder

vorkommende textstrukturelle Figur, als eine „Hintergrundskonstruktion“. Aus der

Untersuchung vieler lebensgeschichtlicher Selbstpräsentationen haben Fritz Schütze,

Gerhard Riemann und Mitarbeiter_innen herausgefunden, dass

Hintergrundskonstruktionen häufig auf etwas sehr Belastendes in der

Lebensgeschichte verweisen, was zunächst nicht erzählt werden soll. Es muss

aufgrund eines wirkenden Erzählzwanges (hier: des Plausibilisierungszwangs) aber

dann doch nachgelagert eingeführt werden (Riemann i.Ersch.). Wir können bereits

nach dieser kurzen Sequenz die Hypothese aufstellen, dass die Trennungsgeschichte

von Mutter und Vater besonders belastend für Anselm war.

Anselm macht seine Selbstdarstellung sehr kurz, mehr erfahren wir zunächst nicht.

Im Interview wurde nun intensiv nachgefragt. Die Interviewerin bleibt – methodisch

bewusst orientiert am narrativen Interview (vgl. Griesehop/Rätz/Völter 2012b: 54-59)

- eng an dem, was ihr der Interviewpartner an für ihn relevanten Themen anbietet.

Sie bittet Anselm, die von ihm angedeuteten Erlebnisse etwas ausführlicher und

konkreter zu erzählen. Dies gelingt ihr nur partiell. Dennoch ist das Gespräch mit

Anselm sehr aufschlussreich. Das Transkript des Interviews konnte zu einer

biografischen Fallrekonstruktion herangezogen werden. Deren Ergebnisse werde ich

im Folgenden darstellen. In der Beratung würden sich nun weitere Sitzungen

anschließen, in denen Anselm die Chance hätte, nach und nach zu den erwähnten

Themen und auch zu seinem Medienhandeln weiter zu erzählen und über das

Erzählte in Dialog mit seinem Gegenüber zu gehen (vgl. Griesehop/Rätz/Völter

2012b: 64-66). Die Fallrekonstruktion dient hier eher zu Forschungszwecken und soll

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- über den Einzelfall hinaus - verallgemeinerbare lebensgeschichtliche

Zusammenhänge deutlich machen.

Die Analyse dieses Interviews hat gezeigt, dass Anselm auf eine relativ unbeschwerte

frühe Kindheit bis zum Alter von sechs Jahren zurück blickt, in der er die Familie als

harmonisch erlebt hat. Er erinnert sich v.a. an spielerische und körperbetonte

Unternehmungen mit seinen Eltern und seinem Bruder. Er erinnert auch, dass seine

Eltern viel stritten, als er so ungefähr im Alter von sechs Jahren war und in die

Schule kam. Während sein vier Jahre älterer Bruder dabei eher mit dem Vater

assoziiert war, und z.T. auch gemeinsam mit ihm das Haus verließ, um draußen „was

zu machen“, wendete sich die Mutter des Öfteren Hilfe suchend an ihn. Die Brüder

gerieten offenbar dabei auch in Konflikte untereinander.

Als Anselm 7 Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern. Er bleibt bei seiner Mutter

wohnen, sein 11-jähriger Bruder zieht zum Vater. Die Familie hat sich gespalten und

agiert dies auch weiter so aus. Anselm ist fortan oft allein zuhause, da seine Mutter

arbeiten muss. Er darf ab und zu an ihrem Computer spielen. Sie setzt jedoch

Grenzen. Wenn sie von der Arbeit kommt, nutzt sie den Computer selbst. Abends ist

er für Anselm Tabu.

Anselm bekommt mit, wie Vater und Mutter sich am Telefon über Fragen des

Unterhalts und andere Dinge streiten. Seine Mutter wirkt auf ihn abweisend. Anselm

schildert dies so:

„Sie war manchmal da und gleichzeitig auch nicht da (5) sie war dann so abweisend und (2) ich hab

sie zum Beispiel was gefragt ob wir das und das machen zusammen oder ob sie was zu der Frage

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weiß, die ich in der Schule hatte und sie hat einfach nicht geantwortet (2) ich hab sie dann manchmal

auch angeschrien und und des tat mir dann später auch leid“.

Anselm kann den Kontakt zu seiner Mutter manchmal nur schwer herstellen. Er sehnt

sich nach mehr gemeinsamen Unternehmungen, erfährt aber, dass die Mutter viel

arbeiten muss. Seine Schwierigkeiten zu Hause wirken sich in der Schule z.B. durch

Unkonzentriertheit aus. Ob und wie oft er Vater und/oder Bruder sieht und wie er

diese Treffen erlebt hat, erfahren wir im Interview nicht.

Als Anselm mit 11 Jahren auf die Realschule kommt, hat er Schwierigkeiten, in seiner

Klasse zu recht zu kommen. Die Hausaufgaben löst er nur selten. Er ist nach wie vor

sehr damit beschäftigt, seine Mutter zu unterstützen, psychisch wie im Haushalt.

Wenn sie nachhause kommt, muss alles ordentlich sein. Wenn dies nicht der Fall ist,

bekommt er wiederholt Hausarrest. Er bekommt auch manchmal Arrest, wenn er

eine schlechte Note geschrieben hat. Er schildert, dass er so den ein oder anderen

Freund verloren hat, mit dem er verabredet war. In der Schule kommt er nicht mehr

gut mit. Er beginnt, der Schule fern zu bleiben und begründet dies mit Ausreden.

Immer wenn eine Klassenarbeit in Mathe oder Englisch anstand, sei er ins

Lehrerzimmer gegangen und habe gesagt, ihm gehe es nicht gut. Manchmal hat er

auch Kopfschmerzen – oder gibt dies vor. Er geht dann zu älteren Freunden, die

auch zuhause sind. Er macht in dieser Zeit viel Sport, er schwimmt, spielt Fußball

und Baseball in einem großen Team, das zwischen Hochhäusern auf einem Parkplatz

spielt.

Anselm erzählt, dass er in der Schule auf sich aufmerksam gemacht habe. Als er sich

einmal im Deutschunterricht in einem Schrank versteckt und aus Versehen vorzeitig

heraus kommt, erwischt ihn der Lehrer:

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„Mh ja der hat halt so große Augen gemacht dann hat der das Klassenbuch genommen und hat direkt

äh n Tadel eingetragen und Klassenkonferenz (5) und dann hat ich irgendwann so viele

Klassenkonferenzen äh dann bin ich halt von da aus von der Schule geflogen und dann auf die

Haupt(schule) (5)“

Kurz darauf ereignet sich erneut eine Situation, die für Anselm dramatisch ist und die

für ihn eine neue Lebensphase einläutet: Nach einem heftigen, lang andauernden

Streit mit seiner Mutter, die gemerkt hat, dass er einen Hausarrest nicht eingehalten

hat, zieht Anselm spontan und im Affekt zu seinem Vater und dem dort lebenden

Bruder. Die Mutter meldet sich daraufhin zwei bis drei Wochen nicht bei ihm. So

bleibt es bei der zunächst spontanen Entscheidung.

Wenn Anselm über Konfliktsituationen in der Schule oder mit seinen Eltern erzählt,

wird immer wieder deutlich, dass die Eltern oft überfordert mit ihrer Arbeit, ihrer

Trennungsgeschichte und auch mit ihrem immer auffälliger werdenden jüngeren

Sohn waren. Auch in der Schule scheint keiner das verstehende, ruhige Gespräch mit

ihm gesucht zu haben. Dieser Mangel an Zuwendung und an präsenten Erwachsenen

in seiner Umgebung, die sich für ihn und seine Nöte interessieren und ihm wirklich

zuhören, wirkt sich in dieser Lebensphase für Anselm sehr belastend aus. Die

abweichenden Handlungen des Jugendlichen wurden stattdessen bestraft, mit

Klassenkonferenzen, mit Hausarrest oder mit Kommunikationsabbruch. Weder die

Eltern noch die Lehrer noch andere Bezugspersonen scheinen sich auf ihn und seine

Perspektive eingelassen zu haben.

Mit dem Umzug zum Vater wechselt Anselm auf eine Schule, die näher an dessen

Wohnung liegt. Dort kann er keine guten neuen Kontakte finden und fühlt sich von

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den Mitschülern sogar gemobbt. Er wechselt auf die alte Schule zurück, findet dort

aber auch keinen richtigen Platz mehr für sich. In der Freizeit ist er nicht mehr mit

seinen ehemaligen Mitschülern in Kontakt. Er baut auch in seiner alten Schule Ängste

vor einem möglichen Mobbing auf. Anselm bleibt der Schule wieder fern. Es finden

nun Gespräche mit einem Schultherapeuten und einem Kinderpsychologen statt.

Anselm geht weiterhin nicht zur Schule. Er bewundert seinen Bruder, der als 18-

jähriger einen eigenen PC hat und Computerspiele spielt. Bisher hat sich Anselm mit

seinem vier Jahre älteren Bruder oft gestritten oder sie sind sich aus dem Weg

gegangen, jetzt wohnen sie wieder unter einem Dach. Anselm hat nun die

Möglichkeit, seinem Bruder näher zu kommen. Er bietet seinem Vater einen Deal an:

Er gehe wieder regelmäßig zur Schule, wenn dieser ihm einen PC kaufe. Der Vater

überlegt und knüpft den Computerkauf an diese Zusage seines Sohnes. Anselm geht

zwei Wochen regelmäßig zur Schule, bekommt einen PC, geht noch zwei Wochen zur

Schule und spielt dann World of Warcraft, wie sein Bruder. Die Konkurrenz zwischen

den Brüdern setzt sich nun auf der Computerspielebene fort. Anselm versucht,

seinen Bruder zu überflügeln. Dies gelingt ihm, indem er wieder heimlich von der

Schule fernbleibt und sich in dieser Zeit nach oben levelt. Anselm spielt WoW,

Counter Strike und Day of Defeat. Er verabredet sich mit seiner Gilde oder seinem

Clan und ist den ganzen Tag und zunehmend die ganze Nacht beschäftigt, bis er die

Nacht zum Tag macht und einen Teil des Tages zur Nacht. Sein Vater setzt offenbar

keine Grenzen, er scheint die Kommunikation mit Anselm über die Schulabstinenz

bald aufgegeben oder keine gute Idee gehabt zu haben, wie dieser zu begegnen sei.

Anselm kann über diese Zeit kaum erzählen, er beschreibt stattdessen seine

routinisierten Aktivitäten am Computer. Über zwei Jahre geht Anselm nicht zur

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Schule, er verheimlicht dies nun nicht mehr, sondern sitzt abends und die Nacht über

bis mittags am Computer.

Seine Mutter hält den Kontakt, hat aber keinen Einfluss mehr auf ihren Sohn. Sie ist

sehr besorgt über dessen Entwicklung und wird aktiv. Ende 2008 liest sie in der

Zeitung von einem Projekt im Rahmen der Kinder- und Jugendpsychiatrie vor Ort,

das sich mit medienabhängigen Jugendlichen beschäftigt. Frau Reimann telefoniert

und vereinbart einen Gesprächstermin. Ihr gelingt es, ihren Sohn zu motivieren,

gemeinsam mit ihr das Erstgespräch in der Klinik zu führen.

In der Biografie von Anselm zeigt sich

- dass der damals 7-jährige Junge die Trennung seiner Eltern als Einschnitt und

Verlust erlebt. Er ist in dieser Zeit mit seinen seelischen Nöten allein gelassen,

die Trennung wird offenbar kaum und v.a. auch nicht altersgemäß bearbeitet.

Anselm wird in gewisser Weise zum Vertrauten und zum Helfer der Mutter und

ist damit überfordert.

- Die Trennung der Eltern führt zu einer Spaltung der Familie, von der auch die

Geschwister betroffen sind. So verliert Anselm nicht nur den täglichen

Umgang mit seinem Vater, sondern im Bruder auch einen wichtigen

Bezugspartner auf der Geschwisterebene. Umso gebundener wird das

Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter.

- Die Phase von Streit zwischen den Eltern sowie deren Trennung und die

Trennung von seinem vier Jahre älteren Bruder erlebt Anselm, nachdem er

kurz zuvor in die Schule gekommen ist. Er agiert seine Ängste und

Spannungen in der Schule aus. Einzelne Lehrer_innen begegnen dem eher

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ausgrenzend und bestrafend als verstehend und fallspezifische Lösungen

suchend.

- Lange bevor der Biograf eine Computerspielsucht ausbildet, ist er bereits

durch Schulabstinenz aufgefallen und gemaßregelt. Das Problem wird jedoch

vor allem ihm zugeschrieben, eine Selbstreflexion durch die Erwachsenen

findet wenn, dann nur spurenhaft statt. Die große Veränderung in seinem

Alltag, den Umzug von der Mutter zum Vater, vollzieht der Jugendliche alleine,

in einer spontanen Reaktion auf einen Streit mit seiner Mutter. Auch dies wird

offenbar nicht weiter zwischen ihm und seiner Mutter besprochen.

- Die Lebensphase nach dem Abgang von der Realschule hin zu Hauptschule, in

der Anselm von der Mutter in die väterliche Wohnung zieht, ist von vielen

Schulwechseln bestimmt. Anselm kann sich offensichtlich nicht mehr gut

integrieren. Er verliert seinen Freundeskreis und macht Erfahrungen von

Mobbing. Er entwickelt Ängste gegenüber seinen Mitschülern sowie angesichts

der Anforderungen in der Schule.

- Während die Mutter bestrafte, bildet der Vater eine zunehmende Hilflosigkeit

aus. Er wird zum Komplizen der Computerspielsucht, indem er seinem Sohn

aus strategischen Gründen einen PC kauft. Er versäumt aber, die

Gegenleistung des Sohnes zu kontrollieren und einzufordern, dass dieser, wie

verabredet, wieder regelmäßig zur Schule geht. Obwohl Anselms

Schulabstinenz dramatische Züge annimmt, setzt der Vater keine Grenzen,

z.B., indem er den Computer wieder verkauft. Er nimmt damit letztlich seinen

Sohn nicht ernst, denn er entwertet durch seine Nicht-Kontrolle dessen

Lösungsangebot: Computer gegen Schulbesuch als solches. Im Nachhinein

muss die Idee des Sohnes so als bewusster Trick erscheinen, was sie aber

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höchstwahrscheinlich so gar nicht war. Eher steckt in Anselms Wunsch nach

einem Computer auch der Wunsch nach einer verbindlichen Verabredung mit

dem Vater, eine Einladung dazu, ihm Grenzen zu setzen, auf der Basis eines

„deals“. Dieses Beziehungsangebot könnte übersetzt so verstanden werden:

‚Vater, ich tue etwas für mich, wenn Du auch was für mich tust. Ich bin

verbindlich, wenn Du mir dabei hilfst, verbindlich zu sein.’

Alternative Lösungen bietet der Vater offenbar nicht an. Der Vater steigt – wie

sein Sohn - vielmehr aus dem gemeinsamen „Vertrag“ aus und signalisiert

damit dem Sohn, dass er ihn letztlich als Vertrags-Partner (und damit auch als

Gegenüber) nicht ernst nimmt. Er hätte die von Anselm angebotene Lösung

auch aufzugreifen und genau darüber mit dem Sohn in eine direkte und

ernsthafte Beziehung gehen können, die einfordert, was der Sohn

versprochen hat.

- Die Computerspiele verschaffen Anselm offenbar viel Befriedigung, auch, da

er in der virtuellen Realität, seinen älteren Bruder nach und nach besiegen

kann und damit eine Chance hat, mit dem Bruder in Kontakt zu kommen. Er

kann auf bestimmte Weise die Konkurrenz ausleben, die er seit der Trennung

der Eltern durch die Spaltung der Familie erlebte.

- Mit seinem Älterwerden steigen aber offenbar auch die Ängste in Bezug auf

einen sozialen Absturz. Anselm ist insofern bereit zu einer Veränderung. Ob

ein konkretes Erlebnis zu dieser Einsicht führte oder ob dies ein schleichender

Prozess war, kann im Fall von Anselm nicht erschlossen werden.

- Es gelingt der Mutter, sich nicht nur um ihren Sohn zu sorgen, sondern in die

Verantwortung zu gehen, aktiv zu werden und einen Therapieplatz in einer

Klinik für ihn zu besorgen. Auf dieses Angebot lässt sich Anselm ein.

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4. Zusammenfassung

+ Der Verstehenskontext Biografie und Lebenswelt befördert das Verstehen der

biografischen und lebensweltlichen Hintergründe von Medienabhängigkeit bei

Jugendlichen. Ziel ist, die komplexe Entstehungsgeschichte der fallspezifischen

Abhängigkeitsstrukturen nach und nach kennenzulernen. Dem Grundverständnis

nach entwickeln sich Abhängigkeitsstrukturen über die gesamte Lebenszeit oder über

eine längere Lebensphase hinweg und im Zusammenspiel mit anderen Menschen.

Dieses Vorgehen steht im Gegensatz zur Suche nach linearen, eindimensionalen

Verbindungen von Ursache und Wirkung. Die Ermutigung zur biografischen

Erzählung, das Zuhören und der Dialog über das Gehörte ermöglichen ein Selbst-

und Fremdverstehen der Entstehungsgeschichte der Abhängigkeit. Basis dieses

Verstehens ist die Wahrnehmung durch die Subjekte selbst. Die schlichte und doch

so zentrale Erfahrung, angehört zu werden, kann bereits eine heilende Wirkung

haben (vgl. auch Rosenthal 2002).

+ Die biografieorientierte Zuwendung zum Phänomen der Medienabhängigkeit kann

dafür sensibilisieren, dass und inwiefern Eltern, Schule, Geschwister, Freunde als

Beziehungs- und Interaktions-Kontexte direkt und indirekt an der Herausbildung von

Medienabhängigkeit mit beteiligt sein können. Umgekehrt bieten diese Erkenntnisse

Anregungen zur Intervention und Veränderung auf der Beziehungsebene.

+ In den biografischen Erzählungen wird neben allen Problemkonstellationen auch

das, was positiv erlebt wurde, deutlich, also die Ressourcen, an die der Betreffende

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dann ggf. auch wieder anknüpfen kann (wie bei Anselm bspw. sportliche Interessen,

Interesse am Bruder, sein Interesse an einer beruflichen Perspektive).

Für Eltern, Sozialarbeiter_innen und Pädagogen resp. Pädagoginnen, die mit

Jugendlichen in ihren Alltagsbezügen leben bzw. sie dort antreffen, sowie auch für

die Beratung von Jugendlichen und ihren Familien ziehe ich auf dieser Basis folgende

Schlussfolgerungen:

Die Beziehungsgeschichte mit den Eltern und auch die Erlebensgeschichten in der

Schule und in andern sozialen Kontexten der Jugendlichen können mit ihrer

Medienabhängigkeit zu tun haben. Im Verstehensprozess kann gemeinsam ermittelt

werden, ob und inwiefern dies so ist. Eltern, Sozialarbeiter_innen und Pädagogen

oder Pädagoginnen können Jugendliche gut begleiten, indem sie ihnen im Alltag

Aufmerksamkeit schenken und mit ihnen in Beziehung gehen, statt sie zu bestrafen,

sie zu bewerten oder sie aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Optimalerweise

werden Eltern, Geschwister und vielleicht auch Lehrer_innen und/oder

Schulsozialarbeiter_innen in den pädagogischen Prozess, in den Therapie- oder

Beratungsprozess einbezogen.

Ferner ist die Möglichkeit, über Erlebnisse im Detail zu erzählen, meiner Erfahrung

nach für die Betroffenen hilfreich. Wenn Raum für Erzählungen und Zuhören

geschaffen wird, initiiert man oder frau einen Prozess des Selbstverstehens, der für

Jugendliche allgemein, aber gerade auch für die von Medienabhängigkeit betroffenen

Jugendlichen sehr hilfreich sein kann. Selbstverständlich können Erzählungen auch

über Erlebnisse im Spiel, Erlebnisse mit Spielfiguren, Erlebnisse mit Spielpartnern etc.

angeregt werden. So können Sinn und Bedeutung von Interaktionen im Netz und von

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der Wahl der Spiele und Spielfiguren deutlich werden sowie ihre Verknüpfung mit

Erlebnissen aus dem „real life“.

In unseren Interviews mit den Jugendlichen, die eine Diagnose „Medienabhängigkeit“

haben, wurde immer wieder deutlich, wie wenig sie gewohnt sind, am Stück zu

erzählen, und wie schwer es ihnen fällt, sich zu erinnern. Erst im Verlauf der

Interviews und durch konsequentes Nachfragen nach singulären erlebten

Situationen, die die Jugendlichen zuvor selbst erwähnt hatten, wurden die

Textpassagen, in denen erzählt wurde, immer länger. Dies zeigt, dass Erzählen eine

Ausdrucksform ist, die manchmal erst erlernt werden muss. Wenn es Jugendlichen

dann gelingt, ihre Erinnerungen am Stück und in ihrer ganzen Komplexität

mitzuteilen, dann ist dies nicht nur hilfreich, weil es den Prozess des Bewusstwerdens

über die eigenen Handlungen und Deutungen fördert und weil es dazu beiträgt, dass

sie selbst verstehen, wie sie in die Sucht hineingeraten sind, wie sie andere ihrer

Probleme hergestellt aber dann auch wieder gelöst haben. Sondern es hilft ihnen

auch dabei, sich in der realen Welt mit einer eigenen Lebensgeschichte zu verankern.

Diese eigene erinnerbare und erzählbare Lebensgeschichte kann wiederum das

eigene Selbst-Bewusstsein und das eigene Selbstvertrauen stärken und ein

Gegengewicht zur virtuellen Realität und deren Identifikationsfiguren sein, die sie ans

Netz binden.

Zurück zum Anfang:

Susan Maushart brachte ihre Familie dazu, für 6 Monate ohne elektronische Medien

und Fernsehen zu leben. Außerhalb der Wohnung war alles erlaubt, zuhause nur das

Telefon. Erst hatten die Kinder Angst vor der Langeweile, die sich ohne Medien breit

zu machen drohte. Aber in dieser Zeit der Langeweile entwickelte sich Neues. Die 14-

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jährige Tochter konnte ihre durchspielten Nächte aufholen und ausschlafen, alle drei

Kinder begannen zu lesen, waren länger konzentriert, die Familienmitglieder

unterhielten sich intensiver miteinander, die Kinder hatten mehr Zeit, ihre

Instrumente zu spielen, sie dachten mehr mit und erledigten ihre Schulaufgaben

schneller.24

Eine idealisierte, romantische Vorstellung?

Diese Geschichte hat nichts mit medienabhängigen Jugendlichen zu tun?

Ohne, dass die erwachsene Welt sich dieses Gefühl für einen medienfreien Raum

erhält und ohne dass auch Erwachsene die Energie und die Präsenz aufbringen,

medienfreie Zeiten und Räume zu schaffen, in denen sich etwas anderes in ihrer

Welt entwickeln kann, in denen sich Vertrauensbeziehungen gestalten und vertiefen,

in denen reale und sinnliche Erfahrungen gemacht werden, wird das Phänomen der

Medienabhängigkeit vermutlich eher wachsen als verschwinden.

Es bedarf einer direkten, achtsamen und zuverlässigen Zuwendung zu den

Jugendlichen mit dem Symptom Medienabhängigkeit. Es bedarf eines

biografiesensiblen Verstehens ihrer Ängste, Nöte, ihrer Wünsche und Bedürfnisse, im

Alltag, in der Familie und der Schule, wie auch in der professionellen Beratung. Es

bedarf der Förderung von sinnlicher Wahrnehmung. Und es bedarf der Öffnung von

inneren und äußeren Räumen, in denen Jugendliche erleben können, dass sie

Veränderungsprozesse anstoßen, begleiten und gestalten können. Auf dieser Basis

können gemeinsam mit den von Medienabhängigkeit betroffenen Jugendlichen Ideen

entwickelt werden, welche Schritte aus ihrer Krise möglich sind.

24 Vgl. http://static.booktopia.com.au/pdf/9781741669640-1.pdf, (abgerufen am: 9.4.2013).

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