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Zeitschrift für Psychodrama undSoziometrie ISSN 1619-5507Volume 11Number 2 Z Psychodrama Soziometr (2012)11:189-205DOI 10.1007/s11620-012-0146-9
Die Bühne gehört jetzt Ihnen!
Elke Frohn
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für Sozialwissenschaften. This e-offprint is
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Hauptbeiträge
Zusammenfassung: Dieser artikel beschreibt anhand von praktischen beispielen aus der ein-zel- und gruppenarbeit sowie aus der Supervision, wie die bühne im psychodramatischen arbei-ten genutzt wird. Dabei werden die besonderheiten herausgearbeitet, die das element bühne für das psychodrama bietet. Hinweise zum praktischen umgang mit der bühne ergänzen die ausführungen.
Schlüsselwörter: bühne · rolle · als-Ob-Spiel · involviertheit/Distanziertheit · perspektivenwechsel · psychodrama
Now the stage is yours! – Homage to the psychodramatic workbench
Abstract: this article describes by excerpts from concrete case studies how the stage as pivotal element of psychodrama is used in psychotherapy—individual and group setting—and supervi-sion. Special features of the psychodramatic stage are elaborated. practical advice how to handle activities on and off the stage complete the remarks.
Keywords: Stage · role · as-if-play · involvement/detachment · Change of perspective · psychodrama
Z psychodrama Soziometr (2012) 11:189–205DOi 10.1007/s11620-012-0146-9
Die Bühne gehört jetzt Ihnen!Eine Hommage an die Werkbank des Psychodramas
Elke Frohn
Online publiziert: 29.06.2012© VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012
e. Frohn ()praxis Liebigstr. 8, 80538 München, Deutschlande-Mail: mail@elkefrohn.de
e. Frohn privat: rambergstr. 7, 80799 München, Deutschland
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auf der bühne sehen wir das entfernte nah und das Kleine stark vergrößert. Die bühne bringt ans Licht, bringt ins Hier und Jetzt, was vor langer Zeit und weit ent-fernt von hier geschehen ist […] wo alles Dimensionen bekommt, indem es, wie unter einem mächtigen Mikroskop, vergrößert wird. alle gesten, alle dort gespro-chenen Worte werden größer, klarer, emphatischer. es ist schwierig, fast unmöglich, sich auf der bühne zu verstecken. (boal 1999, S. 38)
1 Bühne im beraterischen und therapeutischen Kontext
Der erlebnisraum bühne hat seinen ursprung im theater. Die bühne ist der Ort, an dem menschliche Verhältnisse auf eine ganz eigene Weise dargestellt werden können. Diese Funktion der bühne rührt von jenen antiken ursprüngen her, als das theater (und damit auch die bühne) noch ein herausgehobener Ort spezieller Kommunikation in der polis war. in den überlieferten Stücken der antike ist uns die erinnerung an die ‚politische Kunst der tragödie‘ bis heute präsent. Ort, Stoff und Darstellung zielten auf eine in einem gemeinschaftlichen Kommunikationsprozess zu leistende reflexion und Klärung aktu-eller politischer (und damit menschlicher) Situationen und entscheidungen. bis heute macht dies die einzigartige Kommunikationssituation der bühne aus – verstanden als den Ort, an dem die Komplexität des theatralen Vorgangs gestalt bekommt: es ist die unmit-telbare Wechselwirkung, die zwischen einer ‚aufführung‘ mit realen personen und dem publikum entsteht und das theater und seine bühne zur moralisch-politischen anstalt werden lässt, die einsichten verschaffen will und kann.
allerdings geschieht dies nicht in einem idealtypisch aufgeklärten Sinne wie von selbst, sondern es stellt sich die Frage, wie dies anzustellen ist. „einen raum zu gestal-ten, ist an sich kein Ziel. ein neuer raum muss vor allem von jemandem gewollt sein – und genau das verleiht ihm seine bedeutung“ (Lecat 2005, S. 209). „[…] dass man auf der bühne wirklich eine erfahrung macht […] Hast Du auf der bühne etwas erlebt […] Fühlst Du tatsächlich auf der bühne oder fühlst Du nichts?“ (Wermelskirch 1988, S. 153). Für mich als theaterwissenschaftlerin und therapeutin war dies immer wieder eine zen-trale Frage, die mich auch zur psychodramatikerin werden ließ: Wie lässt sich die Bühne in den beraterischen und/oder therapeutischen alltag integrieren?
Moreno selbst beschreibt die anfänge des von ihm erstmalig im therapeutischen und beraterischen Kontext verwendeten instrumentariums der bühne so: „es war und es ist ein problem, wie man die begegnungen auf der psychodramatischen bühne ebenso real werden lassen kann wie sie im Leben selbst sind. Dies war im Lauf der Jahre die schwie-rigste Herausforderung. in den anfängen (1908–1921) wurde psychodrama im Leben gespielt, auf der Strasse, in den parks und in den Häusern. Damals hatten wir keine psy-chodramabühne. Das theatralische element war mehr implizit als explizit (vorhanden). Die teilnehmer waren reale Menschen und die probleme waren real, diejenigen, die sie im augenblick der begegnung hatten. […] es gab keine bühne. Die Handlung floss wie im Leben und sie war für die teilnehmer ebenso real wie ihr Leben, weil sie ein stetig weiter gehender integraler teil ihres Lebens war. Das war die geschichte des psycho-dramas bis 1921. ab dann begann eine neue entwicklung.“ (Moreno zit. nach Hutter und Schwehm 2009, S. 430).
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Die bühne zählt nach Moreno zu den fünf instrumenten des psychodramas: gruppe, bühne, protagonist, Hilfs-ich, Leiter (ebenda, S. 30 f.) und „ist kein Ort sondern eine Handlungslogik“ (ebenda, S. 31). Die bühne ist das erste instrument (ebenda, S. 426 f.), das „raum und Freiheit für Spontaneität gibt, Freiheit für den Körper und für Körper-kontakt, Freiheit für bewegung, aktion und interaktion.“ (Moreno zit. nach Hutter und Schwehm 2009, S. 95).
Die bühne ist also nach Moreno mehr als ein Ort: „Sie umgibt den patienten mit einem mehrdimensionalen und äußerst beweglichen Lebensraum. im oft engen und beengten Lebensraum der Wirklichkeit kann er leicht das gleichgewicht verlieren. auf der bühne kann er es auf grund der Methodologie der Freiheit wieder finden – befreiung vom unerträglichen Druck und Freiheit für erlebnis und ausdruck. Der bühnenraum ist eine erweiterung des Lebens über die realitätsprüfung des Lebens selbst hinaus. Wirklichkeit und phantasie sind nicht im Widerstreit, sondern beide sind Funktionen innerhalb einer weiteren Sphäre – der psychodramatischen Welt von Objekten, personen und ereignis-sen.“ (ebenda, S. 426 f.). Sie ist ein instrument, das einen Möglichkeitsraum eröffnet, in dem die inneren erlebnisse und damit verbundenen erzählungen der Klientinnen und patienten sichtbar werden können und diese Szenarien handelnd erforscht, verändert und umgestaltet werden können (Klein 2010). psychodramatische Methoden wie aufstellun-gen, die arbeit mit Objekten, protagonistinnenspiele, gruppenspiele und andere Formen szenischen arbeitens bieten den Klientinnen und patienten die wunderbare Option, ihre ganz subjektive innere erlebniswelt sichtbar werden zu lassen. Die bühne wird damit zum therapeutischen Labor, in dem sich subjektive erfahrungen und persönliche bedeu-tungszuschreibungen überprüfen und möglicherweise verändern lassen. Moreno spricht vom „realitäts-Mehrwert“ des psychodramatischen Spiels – später hat er daraus die Mehrwerts-realität gemacht, die „surplus-reality“ – durch den all das möglich wird, was den Menschen im „oft engen und beengten Lebensraum der Wirklichkeit“ (Moreno zit. nach Hutter und Schwehm 2009, S. 426) versagt bleibt.
Die protagonistinnen sind dabei die zentralen akteurinnen der psychodramatischen arbeit auf der bühne – eben die zuerst Handelnden. Sie kreieren die rollen, aus denen sich die interaktionen entwickeln (Klein 2010, S. 198 f.). unterstützt werden sie durch die Zuschauerinnen und Zuschauer (auch als antagonistische Mitspielerinnen) sowie natürlich durch die regisseurin oder den berater, die die protagonistin oder den Klien-ten mittels ihrer regieführung (Frohn 2008) und ihrer psychodramatischen Werkzeuge begleiten, bei erwärmung, auftragsklärung, Szenenaufbau, rolleneinführung, rollen-wechsel und rollentausch, Doppeln und Spiegeln, Szenenwechsel, entrollen, Sharing und rollenfeedback sowie bei der integration in den alltag. (bender und Stadler 2012; Schaller 2009; Stadler und Kern 2010; von ameln et al. 2004).
2 Bühne im Beratungs- und Therapiekontext: aus der Praxis
Klientinnen oder patienten, mit denen ich im einzelsetting arbeite, begrüße ich im War-tezimmer, um sie dann in meinen beratungsraum zu führen. Die gemeinsame arbeit beginnt in der regel damit, dass ich mich nach ihrer aktuellen Situation und ihrem aktuel-len anliegen für die Stunde erkundige. auf dieser erwärmung (dazu Frohn 1994) aufbau-
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end biete ich den Klienten und patientinnen dann an, die geschilderte Situation sichtbar werden zu lassen: „Sie haben mir jetzt von ihrem anliegen berichtet, ich schlage ihnen nun vor, es nicht nur beim erzählen zu belassen, sondern ihre erzählung sichtbar werden zu lassen. Damit meine ich, dass Sie das, was Sie innerlich erleben, in einem äußeren bild sichtbar werden lassen. Sie können wählen: entweder hier auf dem tisch mit bauklöt-zen oder anderen gegenständen1 (auf die ich dann hinweise), oder hier auf der größeren bühne, dem teppich, mit Hilfe von Stühlen, Objekten und tüchern. bitte stehen Sie kurz auf und entscheiden Sie, welche art von bühne ihnen mehr entspricht, und wie Sie diese bühne ausgestalten wollen.“
im weiteren Verlauf entwickle ich aus der anfänglich eher statischen Darstellung2 mit Hilfe der klassischen psychodramatischen interventionen – rollenübernahme, rol-lentausch, Spiegeln oder Doppeln – eine Handlungsepisode. besonderen Wert lege ich darauf, den emotionalen gehalt der Szene herauszuarbeiten, etwa durch aufforderungen wie: „bitte sprechen Sie zur Seite ihre gedanken oder gefühle aus, die Sie in diesem augenblick wahrnehmen, möglicherweise nie sagen würden…“
Dass diese arbeit auf der bühne stattfindet, bietet unschätzbare Vorteile:0 indem die Klientinnen oder patienten – mit meiner unterstützung – die Szene selbst
aufbauen, erleben sie Selbstwirksamkeit. Sie sind verantwortlich und gestaltend Han-delnde, nicht behandelte.3
0 Die ausgestaltung der bühne lässt die einer Szene innewohnende Logik in Form der rollen und interaktionen manifest werden. Oft heißt das auch, übersehene oder aus-geblendete aspekte zu vervollständigen.
0 Die bühne bietet die Möglichkeit des Wiederholens und umgestaltens der Handlungsepisode.
0 Die bühne bietet die Möglichkeit, im Als-Ob-Spiel ganz bewusst zu handeln, also sowohl akteurin zu sein (sich den eigenen Handlungsimpulsen und -mustern zu über-lassen) wie auch dies zugleich achtsam selbst aus der binnenperspektive heraus zu beobachten.
0 auf der bühne kennt die Zeit keinerlei begrenzung: Vergangenheit, gegenwart und Zukunft können gleichzeitig nebeneinander sichtbar werden.
0 Szenarien verschiedener personen können nebeneinander auf der bühne dargestellt werden.
0 Die bühne bietet mit der Möglichkeit des Distanzierens immer auch einen enormen Schutz: protagonistinnen und Mitspielerinnen können bei bedarf, z. b. bei Verstri-ckung und emotionaler Überwältigung, die bühne verlassen und sich das geschehen von außen betrachten. und dann mit neuer Orientierung womöglich wieder in die bühne und das dortige geschehen eintreten.
0 Die bühne und damit auch die Szene kann aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. gerade in der arbeit mit Objekten auf der tischbühne ist es außer-ordentlich hilfreich, die Klientinnen neue perspektiven einnehmen zu lassen: „gehen Sie doch mal um den tisch herum und schauen Sie, wie die Situation von der anderen Seite her aussieht!“
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0 Dadurch, dass innere bilder auf der bühne sichtbar werden, werden diese mit anderen Menschen geteilt: es gibt Zeugen4. Neue innerpsychische und interpsychische Dyna-miken werden entwickelt (dazu: geissler und Klein 1999).
0 und natürlich bietet die bühne auch all die Möglichkeiten ihres Mehrwerts an Reali-tät, also Verdichtungen verschiedener realer personen zu einer rolle ( der Vorstand), metaphorische rollen ( mein Zorn), rollen Verstorbener ( der Urgroßvater und vieles andere).
0 Die bühne hat auch Nebenwirkungen: antagonistinnen stoßen in ihren rollen auf eigene themen, protagonistinnen kommen mit weiteren aspekten ihrer thematik in berührung. Nebenwirkungen werden nicht immer sofort sichtbar, möglicherweise kann es Sinn machen, die beteiligten darauf aufmerksam zu machen.
Mit einigen beispielen aus meiner praxis will ich diese punkte genauer beleuchten:
Die Bühne im Einzelsetting
Fallbeispiel 1. Frau a., promovierte Mitarbeiterin an einer Hochschule, berichtet von der Konkurrenz, dem Neid und der Missgunst in ihrer Organisation. ich lade sie ein, auf der bühne darzustellen, was sie soeben berichtet hat. Sie wählt den großen tep-pich in meiner praxis, richtet auf ihm ein Haifischbecken ein und wählt entsprechende bewohnerinnen dieses beckens: unterschiedliche Drachen von unterschiedlicher größe. Zu meiner großen Verwunderung wählt sie für sich selbst ebenfalls einen klei-neren Drachen aus, dem sie in der rollenübernahme große Kräfte zuspricht, insbe-sondere Wendigkeit und Schnelligkeit. Diese ressourcen ermöglichen es dem kleinen Drachen zwischen den größeren Drachen, die zum teil wesentlich unbeweglicher sind, immer wieder Schlupflöcher und Freiräume zu entdecken, um seine runden drehen zu können. am rande des beckens sitzt ein großes kräftiges Huhn, es verkörpert die Seiten von Frau a., die sie neben ihrer arbeit noch ausmachen. aus der perspektive
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des Huhns erscheint das Haifischbecken nicht bedrohlich, da alle tiere der gleichen gattung und art angehören, und die tiere im Haifischbecken gut zueinander passen. Dem Huhn ist wichtig, dass es geschützt auf einem eigenen platz sitzt, nicht teil des Haifischbeckens ist.
in der Nachbesprechung berichtet Frau a., dass ihr bewusst wurde, dass sie frei-willig und im grunde gerne im becken sei, dort dazugehöre, und dass sie über gute ressourcen verfüge, sich entsprechend zu behaupten. ihr sei wichtig den unterschied der positionen erlebt zu haben, als Haifisch ( Drache) im becken und als Huhn, das das treiben beobachtet und bewertet. Mit ihrer eigenen kritischen Haltung dem Hoch-schulbetrieb gegenüber schwäche sie sich manchmal selbst, indem sie ihr Verhalten innerhalb der Organisation teilweise selbst verurteile. ihr sei durch das Spiel bewusst geworden, dass dies zwei unterschiedliche aspekte seien: ihre Haltung gegenüber der Hochschulpolitik und die tatsächliche arbeit in projekten und mit ihren Kolleginnen und Studenten.
Schon beim aufbau überraschte mich, dass Frau a. sich selbst ganz selbstverständlich auch eine rolle als Haifisch im becken zuweist. Dem gespräch hatte ich entnommen, dass sie dieses, Becken’ eher beobachtet und bewertet. indem die protagonistin ihre Szene ihrem erleben entsprechend ausgestaltet, sieht sie sich unvermittelt mit ihrer inne-ren Spaltung – in beobachterin ( Huhn) und beteiligte akteurin ( Hai) – konfrontiert. Die Darstellung auf der bühne ermöglicht es ihr, die Szene nicht nur aus der perspektive dieser beiden rollen heraus wahrzunehmen – und dabei die Sicht der jeweils anderen aus-zublenden –, sondern auch, die bühnenrealität zu verlassen und die Szene von außen zu betrachten, aus einer distanzierten position. erst dadurch kann sie selbst erkennen, dass sie in dieser Szene in zwei rollen agiert: in einer beobachtenden rolle ( Huhn), in der sie sich selbst nicht bedroht fühlt und aus der sicheren Lage heraus das Haifischbecken kri-tisch kommentieren kann sowie in der aktiv beteiligten rolle als Haifisch, in der sie sogar gern mit den anderen Haifischen beisammen ist. auf diese Weise wird Frau a ihr innerer Konflikt bewusst: der Kampf ihrer persönlichen Werte, Kooperation und Konkurrenz. ihr wird auch klar, dass sie beruflich vor der aufgabe steht, sowohl die konstruktiven als auch die destruktiven aspekte von Konkurrenz und Kooperation in ihrer arbeit zu beleuchten, um diese auf eine für sie passende Weise in ihren arbeitskontext zu integrieren.
Fallbeispiel 2. Frau p., eine Führungskraft, beschreibt Schwierigkeiten mit ihrer Verwal-tungsleiterin, die die ihr zugeteilten aufgaben nicht in einer angemessen Zeit erledige. Da sie gerne das von ihr gesprochene bildnerisch zeigt, greift sie spontan zu bauklötzen und baut auf der tischbühne zunächst sich, davor die Verwaltungsleiterin und vor der Verwaltungsleiterin die verschiedenen Aufgaben auf. Völlig überrascht sagt sie: „Ja, so ist es, aber das stimmt ja so gar nicht ich meine, ich führe aufgabenbezogen, allerdings stehe ich ja hinter ihr und treibe sie an, dass sie endlich das tue, was ich brauche. ich habe nur sie im blick und gar nicht mehr die aufgaben. Sie gehört ja auf die andere Seite. ich schaue auf die aufgaben und sie ebenfalls und dann kann ich auch klar und sachlich ver-mitteln, was ich bis wann brauche und mit ihr klären, bezogen auf die jeweilige aufgabe, woran es liegt, dass diese nicht erledigt ist. So einfach ist das! Nur ein anderer blick auf das ganze…“
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Schon allein das einrichten der Szene (meine arbeitssituation) lässt Frau p. bewusst wer-den, dass sie ihren blick auf die person gerichtet hat und die aufgaben aus dem auge verloren hat. es dauert keine Minute, schon hat Frau p. ihre eigene Figur in der Hand und stellt sich auf die andere Seite, so dass sie den blick auf die Aufgaben gerichtet hat und ihre Verwaltungsleiterin steht gegenüber, ebenfalls mit blick auf die Aufgaben. Die Not-wendigkeit, die bühne im Sinne ihrer arbeitssituation auszugestalten, bewirkt bei Frau p. einen distanzierteren blick auf ihr anliegen, lässt sie innerhalb weniger augenblicke Ordnung in ihre arbeitswelt im Sinne ihrer Führungsaufgabe bringen.
Die bühne eröffnet die Möglichkeit, eine zusätzliche hilfreiche rolle von außen zur Wirkung kommen zu lassen: die rolle der Zeugin oder des Zeugen: Wenn die Klientin oder der patient ihr inneres geschehnis als bild oder Szene auf der bühne sichtbar werden lässt, gibt es auch zumindest einen Zeugen: die therapeutin oder den bera-ter sowie im gruppen- oder teamkontext auch die anderen teilnehmerinnen. Diese Zeuginnen können für die protagonistin eine wichtige ressource sein. Das persönliche erleben wird mit mindestens einer person geteilt, das innere bild ( die Szene) ist nicht mehr verschlossen. So können die protagonisten und protagonistinnen beispielsweise überprüfen, ob das, was sie zunächst sprachlich ausgedrückt haben, im bild oder in der Szene eine ähnliche oder andere emotionale Wirkung hat. alle beteiligten machen zudem die erfahrung, dass sie nicht nur passiv das geschehnis hinnehmen müssen, sondern dass sie aktiv eingreifen können und so ihr bild, ihre Szene, handelnd aktiv gestalten können! Sie haben ihre Bühne und damit ihr Leben in einem unmittelbaren Sinne in der Hand!
Die bühne bietet die Möglichkeit, verschiedene zeitliche Dimensionen sichtbar wer-den zu lassen: von dem gegenwärtigen erleben ausgehend können vergangene bilder als erinnerung aufgerufen und/oder gleichzeitig entwürfe von der Zukunft kreiert werden. Die bühne macht es möglich, dass gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig sichtbar werden. Die Zeit kann auch mit Objekten, oder in der gruppe mit Mitspiele-rinnen besetzt werden. Manchmal genügt es schon, beispielsweise in einem Verände-rungsprozess im ersten Schritt zu schauen, welche Objekte der oder die protagonistin für gegenwart, Vergangenheit und Zukunft auswählt und welche bedeutungen und Ver-knüpfungen zum anliegen und damit verbundenen Ziel sie oder er diesen Zeitsymbolen zuschreibt.
eine weitere wichtige Möglichkeit, die die bühne bietet, ist die „plastizität“ (boal 1999, S. 30). auf der bühne kann die protagonistin oder der Klient „(da) sein, ohne zu existieren. tote werden lebendig, die Vergangenheit gegenwärtig, die Zukunft ist heute, die Dauer wird von der Zeit losgelöst, alles ist möglich im Hier und Jetzt, die Fiktion wird zur realität und die realität zur Fiktion. alle Kombinationen sind hier möglich […] die bühne existiert als bühne […] die Stühle verwandeln sich in Flugzeuge, […] Zeit und raum können sich ganz nach Wunsch auflösen oder dehnen. Mit gleicher Verwandlungs-kraft wird auch mit Menschen und Objekten verfahren, die sich vermehren können oder verschwinden, teilen oder vervielfachen“ (ebenda, S. 30). Die „erinnerung und Vorstel-lungskraft projizieren […] subjektive Dimensionen“ (ebenda, S. 31) auf die bühne, die im alltag in dieser Form nicht möglich sind.
Wesentlich ist weiterhin, dass die arbeit mit einer bühne geradezu dazu einlädt, zwi-schen einer distanziert beschreibenden position (in der betrachtung des geschehens auf
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der bühne) und einer unmittelbar erlebenden position (beim unmittelbaren Spiel auf der bühne) zu wechseln.
Fallbeispiel 3. Herr C., ein architekt Mitte Vierzig, wünscht sich „dass das Leben für mich leichter werden möge“. Sein Zwillingsbruder verstarb bei der geburt, die Kind-heit im bayrischen Dorf nunmehr als einzelkind war geprägt von einer in keiner Form gelebten trauer der eltern um das verlorene Kind und möglicherweise der damit ver-bundenen trauer um nicht gelebte Lebensmöglichkeiten. Die Mutter stirbt nach weni-gen Jahren an den unerkannten Folgen dieser geburt. in seiner ehe (seine Frau hat ihre Mutter sehr früh verloren und war mit dem Vater gemeinsam mit der wesentlich jüngeren Schwester dann alleine zuhause) fühlt er sich unverstanden, beide partner finden kaum Worte miteinander. er vermisst eine warme liebevolle beziehung, gleichzeitig fühlt er sich sehr mit seiner Frau verbunden. ich lade Herrn C. ein, seine geschilderte Situation in einem bild auf der tischbühne zu zeigen. er baut um sich selbst herum eine Mauer aus Holzklötzen – und um seine Frau ebenso – allerdings in einer anderen Farbe. Die Mauern haben die Möglichkeit, sich zu öffnen, „wie in einem gefängnis, wo das tor ab und zu in regelmäßigen, genau geplanten abschnitten zum Freigang geöffnet wird. So ist es auch bei uns: dann öffnet sich bei jedem von uns das gefängnistor, wir haben gemeinsam Freigang. Wir gehen in die berge, genießen dies miteinander und dann geht jeder zurück in sein vertrautes gefängnis“. er ist sehr berührt von seinem bild und seinen Worten: er kann ausdrücken, dass er sich für den tod seiner Mutter schuldig fühle und sich dafür lebenslänglich gegeben habe. auf meine Frage, wer ihm diese Strafe gegeben habe, antwortet er: „Mein innerer Richter hat mich für den tod der Mutter als schuldig verurteilt!“ er fährt fort, dass seine Frau möglicherweise von ihrem inneren Richter auch zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt worden sei (in diesem Zusammenhang geht es um ungeklärte erbstreitigkeiten). im folgenden kann er, ausgelöst durch diese Szene, daran weiterarbeiten, ob und wie er sich ein Leben außerhalb dieses gefängnisses vor-stellt, sowie welche instanz ihn verurteilt hat, ob er einen Verteidiger hat (te), wie dieser
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war oder ist, und ob das gerichtsverfahren wieder aufgenommen werden kann, um anzu-schauen, ob diese Verurteilung angemessen ist. in nachfolgenden therapiesitzungen wird er seinen inneren Richter und seinen Verteidiger auf der bühne anhand von Handpuppen lebendig werden lassen, die miteinander klären werden, dass er ohne Schuld ist – in der gleichen Szene wird die verstorbene Mutter als Zeugin entlastend (im rollentausch wird er ihr eine Stimme geben) für ihren Sohn aussagen.
Herr C. kann auf der bühne einen zentralen aspekt seines inneren Dramas sichtbar werden lassen, seine gefangenschaft. ich bin als stille Zeugin dabei: er kann diese Szene involviert erleben mit den dazugehörigen gefühlen von Schwere, trauer und Wut und gleichzeitig distanziert aus der heutigen perspektive reflektieren. er erlebt die gleichzeitigkeit von Vergangenem (die Verurteilung zu lebenslänglich, die ja im Zusammenhang mit seiner Familiengeschichte zu verstehen ist) und gegenwärtigem (aktuelle partnerschaft, beruf, alles „ist so unerträglich schwer“) und kann aus der dis-tanziert reflektorischen position entscheiden, dass er einen anderen Zukunftsentwurf leben möchte. Für Herrn C. eröffnete die bühne die Möglichkeit, eine Kernszene seines Dramas sichtbar werden zu lassen und diesem Drama auf der bühne eine neue Wen-dung zu geben.
Die Bühne im Gruppensetting:
Fallbeispiel 4. im rahmen der arbeit mit meiner therapeutischen gruppe mache ich bereits im Vorgespräch darauf aufmerksam, dass neben dem gespräch immer auch die arbeit auf der bühne in Form von gemeinsamen gruppenspielen oder einzelspielen von zentraler bedeutung ist. ich nehme mir stets genügend Zeit, den patienten und patien-tinnen die grundlagen und rahmenbedingungen des psychodramatischen arbeitens zu erklären (dazu: Frohn 2008).
als meine therapeutische gruppe genau am 6. Dezember, dem Nikolaustag stattfin-det, schlage ich zu beginn vor, spontan eine kleine Szene zum thema „Der Niko-laus kommt heute“ zu entwickeln. Die teilnehmerinnen besprechen sich kurz und entscheiden, dass ein Mitglied, Frau b., eine theologin, den Nikolaus spielen solle und die anderen teilnehmerinnen Kinder bzw. Jugendliche einer gesamtschule sind. Nach dieser besprechung wird gemeinsam die Szene eingerichtet: Kissen deuten die Schulbänke an, eine tür wird mit Stühlen angedeutet, durch die der Nikolaus eintreten wird.5 Jeder sucht ein requisit, das eine Verbindung zur gewähl-ten rolle zeigen soll. Dann wird gemeinsam die bühne betreten: die Kinder bzw. Jugendlichen nehmen platz, der Nikolaus tritt ein. Frau b. erzählt in ihrer rolle als Nikolaus ganz liebevoll die geschichte vom Nikolaus, die Kinder bzw. Jugendli-chen finden allerdings viel größeren gefallen, miteinander den einen oder anderen unsinn zu machen. Der Nikolaus beendet seine geschichte und verlässt die gemein-same bühne.
im rollenfeedback und in der Nachreflexion wird deutlich, das die theologin, die nach einer elternpause plant, wieder in den Schuldienst zu gehen, als Nikolaus genau das erlebt hat, was sie für die Schule befürchtet: obwohl sie inhaltlich gut vorbereitet ist,
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hört ihr kaum jemand zu. Damit fühlt sie sich sehr infrage gestellt. Da sie in der rolle sehr mit sich und ihrer Kränkung beschäftigt war, habe sie den Kontakt zu den Kindern verloren. Diese wiederum melden aus ihren rollen zurück, dass sie sich jeweils in ganz eigenen alten Nikolaus-erinnerungen befunden haben, gleichzeitig aber ganz Ohr für die geschichte waren, die ihnen gut gefallen habe. Die von ihnen vermeintlich ausgehende Kränkung haben sie nicht wahrgenommen, da sich jede und jeder selbst auf verschiede-nen inneren und äußeren bühnen gleichzeitig befunden hat. Durch diese rückmeldungen und eine ebenfalls angeschlossen Sharing-runde, in der die gruppenteilnehmerinnen eigene erlebnisse mitteilen, bei den sie sich nicht als kompetent und nicht angenommen fühlten, wird es Frau b. möglich, zu erkennen, dass ihre Fokussierung auf ihre Kränkung einen anderen alten ursprung hat (der ihr bekannt ist). und eben diese alte Kränkung hindert sie, in der gegenwart im Kontakt mit anderen Menschen gegebenenfalls unstim-migkeiten anzusprechen und entsprechend angemessen zu reagieren.
Frau b. meldet in der nächsten Woche der gruppe zurück, dass sie das erleben dieser alten Kränkung ohne die Verfremdung durch das Spiel auf der bühne nicht begriffen hätte. Die rolle im Spiel habe ihr genügend Distanz und Schutz gegeben, sich selbst immer wieder zu sagen: „es ist ein Spiel und Du bist nicht der Nikolaus“, und dadurch überhaupt zuzulassen und zuzugeben, dass es ihr nicht gutgegangen sei, und was sie sich im grunde gewünscht habe. Nur über eine kognitive analyse, wenn sie ein ähnliches beispiel erzählt hätte, wäre ihr diese erfahrung wohl kaum zugänglich gewesen. auf der bühne habe sie spielen und erleben können und zugleich sich selbst beobachten können, und dies habe einen neuen raum in ihr eröffnet.6
Fallbeispiel 5. eine andere teilnehmerin meiner therapeutischen gruppe, Frau g., eine 38-jährige Dolmetscherin, die mit ihrer Mutter alleine aufwuchs und ihren Vater nie ken-nen gelernt hatte, erzählt einen traum: Sie fährt mit ihrer Kutsche, gezogen von zwei pferden, durch den Stadtpark von Wien. Dabei beobachtet sie eine Filmszene: eine regis-seurin (verkörpert im traum von einem realen Mitglied der gruppe) dreht mit einer wun-derschönen Schauspielerin eine Filmszene. ihre beiden pferde bleiben nun stehen und bewegen sich plötzlich keinen Millimeter mehr. im traum ist Frau g. einerseits berührt von der schönen Szene, „eine so kreative Szene, so kreativ sei sie ja nie, denkt sie sich im traum“, andererseits ärgert sie sich, dass ihre pferde nicht mehr weitergehen wollen. ich fordere sie auf, den traum auf der bühne darzustellen: es entstehen drei parallele Szenen: die erste Szene zeigt die geträumte Frau G. (diese wird von einer anderen gruppenteil-nehmerin dargestellt) in der Kutsche mit ihren zwei Pferden – die zweite Szene zeigt die Regisseurin und ihre Schauspielerin, die in einem sehr guten Kontakt miteinander eine Szene entwickeln – die dritte Szene entwickelt Frau g. spontan dazu: ihre Mutter, die mit großer Traurigkeit alleine am rande sitzt und den beiden Szenen ebenfalls zuschaut, neben ihr sitzt die kleine Frau G. (im alter von 5 Jahren), Mutters Traurigkeit hat ihren arm um die Kleine gelegt. Nachdem Frau g. die bühne eingerichtet und alle Hilfs-iche eingedoppelt hat, schaut sie sich alle drei Szenen an, die die Mitspielerinnen nach den rollenvorgaben darstellen. beginnen möchte sie mit der Szene der Mutter, Traurigkeit und die Kleine. Frau g. geht jeweils dorthin, wo die jeweilige Szene spielt. ihre Szenen
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berühren sie: Die neu hinzugenommene Szene Mutter, Traurigkeit und die Kleine sei eine ausgangsszene, die ihr plötzlich, als sie den traum auf die bühne brachte, eingefallen sei: hier liege ein ursprung für ihre bewegungslosigkeit. im rollentausch mit den zwei Pferden erfährt sie, dass diese sich deswegen nicht mehr von der Stelle bewegen wollen, weil sie sehr wütend seien, die ständige eigene entwertung von Frau g. durch Vergleiche mit anderen raube ihnen jegliche energie. im rollentausch mit Regisseurin und ihrer Schauspielerin erfasst sie, dass beide eigene anteile von ihr sind und sie auffordern, sich an ihrem gegenwärtigen Leben (Familie, beruf etc.) zu erfreuen. Die Kleine teilt ihr mit, dass sie nun schon sehr lange bei der Mutter und deren Traurigkeit ausharre. Frau g. holt zunächst die Kleine auf ihre Kutsche (nachdem sie sie mit viel persönlicher traurigkeit von der Mutter verabschiedet hat). Wichtig ist, dass sie ihre eigene traurigkeit und die der Mutter unterscheiden konnte. Zusammen sitzen sie (Frau g. mit ihrer Kleinen) nun in ihrer Kutsche, spüren die energie ihrer zwei Pferde und Frau g. lädt dann die Regisseurin und ihre Schauspielerin auf ihre Kutsche ein. Die zwei Pferde sind nun bereit, sich zu bewegen, gemeinsam fahren sie weiter.
Dieses beispiel zeigt, dass auf der bühne träume und Kindheitserinnerungen gleich-zeitig zusammenfließen können und sich zu einer neuen geschichte verdichten, die mit neuem ende eine veränderte Spur in die gegenwart legen können. als Nebenwirkung zeigte sich für einen Mitspieler, Herrn u., der auf der bühne die Regisseurin spielte, dass es eine wunderbare erfahrung für ihn war, mit der Schauspielerin so intensiv und unkompliziert eine ganze Weile vergnüglich die witzigsten Dinge sich ausdenken und ausprobieren zu können. Dies führte ihn zu seinem eigenen thema, dem Wunsch nach einer guten und funktionierenden partnerschaft und der spontanen erfahrung, dass es ja gar nicht so schwer sei.
Die Bühne in der Supervision
Fallbeispiel 6. in der supervisorischen arbeit mit teams oder gruppen gehe ich ähn-lich vor wie im einzelsetting. Zunächst wird das anliegen, ein Fall oder ein teamthema geschildert, und im zweiten Schritt biete ich an, dieses geschehen auf die bühne zu bringen, sei es in Form einer aufstellung oder Skulptur, als protagonistinnenspiel oder anhand anderer szenischer Methoden wie playbacktheater, soziometrischer arbeitsfor-men, gruppenspielen o.a.
immer betone ich, dass jegliche arbeit auf der bühne freiwillig ist, niemand muss auf die bühne gehen. ich betone, dass die bühne ein experimentierraum ist, in dem vieles ausprobiert werden kann. genauso sinnvoll kann es aber auch sein, dem geschehen auf der bühne als Zuschauerin zu folgen. Zur gemeinsamen auswertung der dargestellten Szene auf der bühne sind neben den unmittelbaren erlebnissen auf der bühne immer auch die Wahrnehmungen und Hypothesen der Zuschauenden hilfreich und erforderlich (dazu auch: Frohn 2008).
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ein multiprofessionelles team einer intensivstation eines Krankenhauses möchte im rahmen einer halbtägigen teamentwicklung am aktuellen ist-Zustand seiner gemeinsa-men Kultur arbeiten. Ziel ist, eine idee zu bekommen, was überhaupt jede und jeder einzelne unter teamkultur versteht, wie die Zufriedenheit diesbezüglich ist und was ver-ändert werden soll.
gleich zu beginn der Veranstaltung bitte ich die teammitglieder, jeder möge sich eine postkarte (ich habe eine große Schachtel mit verschiedenen postkarten mitgebracht) zum thema „wie ich mein team aktuell wahrnehme“ aussuchen. Mit großem Vergnügen wer-den die Karten gewählt.
im nächsten Schritt bitte ich alle teilnehmerinnen und teilnehmer, in der Mitte des Sitzkreises sich vorzustellen, hier sei die teambühne, also ein raum, wo all das sichtbar wird, was sonst verborgen ist und anhand der Karten möge ein bild entstehen, das die Kultur dieses teams wiedergibt. Jeder beschreibt mit eigenen Worten und bildern anhand seiner ausgewählten Karte das, was er für wesentlich hält. Fragen der anderen team-mitglieder sind erwünscht. Die Karten werden so geordnet, dass aspekte, die zusammen gehören, beieinander liegen. es entsteht ein vielfältiges bild, und meine Frage, ob alle wesentlichen aspekte wiederzufinden seien, wird bejaht.
Dann führe ich den unsichtbaren Teamgeist ein. Dazu stelle ich eine Flasche (die ich mitgebracht habe) zu den Karten und sage: „in dieser Flasche wohnt ihr männlicher oder weiblicher Teamgeist. bei geistern weiß man ja nie, welches geschlecht sie haben. Die-ser geist ist täglich bei ihnen, er oder sie lebt mit ihnen. Lassen Sie diesen geist lebendig werden indem Sie nacheinander – wenn Sie mögen – in die rolle dieses geistes schlüp-fen. Verkörpern Sie den geist, stellen Sie sich kurz vor, wie Sie, dieser männliche oder weibliche Geist beschaffen sind, wie Sie heißen und welche besonderen Merkmale sie haben. Wenn Sie sich als Geist ausreichend vorgestellt haben, sagen Sie aus des Geistes Sicht etwas zur Kultur des teams, zu möglichen geheimnissen oder auch Fallen, die im teamleben lauern, und möglicherweise können Sie als Geist auch kleine Hinweise geben, in welche richtung es gehen könnte!“ Die übrigen teammitglieder werden aufgefor-dert, den jeweiligen Geist entsprechend der Fragen, die gemeinsam im team entworfen
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wurden, zu interviewen. auch hier ist der Hinweis wichtig, dass eine rollenübernahme freiwillig ist und dass vor jedem abgang die rolle gut abzulegen ist. Das ganze wird zu einer sehr lebhaften Veranstaltung – im Hintergrund notiere ich die äußerungen der geister auf Flipchart – und im anschließenden Feedback können einige kritische themen, die die Geister gelüftet haben, konkretisiert und entsprechend lösungsorientiert für den alltag weitergeführt werden.
Dieses beispiel zeigt die Wichtigkeit der teambühne als eines der zentralen psychodra-matischen instrumente: hier können gemeinsame anliegen handelnd erkundet und neue Optionen entwickelt werden. Mit ihrer Surplus-Realität ermöglicht die bühne die ein-führung einer zusätzlichen rolle, die des Geistes. Durch diese konkrete externalisierung haben die teilnehmerinnen und teilnehmer die Möglichkeit, auch schwierige oder tabui-sierte themen anzusprechen: denn es ist ja der Geist, der dies sagt, und solche Wesen sind ja immer unberechenbar. im beratungsraum wird das geschehnis auf der bühne ausgewertet und reflektiert.
im supervisorischen Setting bietet die bühne vielfältige Möglichkeiten, teamdynami-ken, Konflikte oder Veränderungsprozesse für alle beteiligten erfahrbar werden zu lassen, beispielsweise mithilfe soziometrischer Fragen: neben gängigen Fragen wie: „Wer kennt wen?“, „Wer hat wie viel erfahrung mit dem thema?“ … oder auch anhand teamspezi-fischer Fragen, die vom team selbst entwickelt werden können, beispielsweise: „Wer hat in der letzten Woche wie oft die Spülmaschine ausgeräumt?“ … „Wer hat die her-ausforderndsten Fragen in den letzten drei teambesprechungen gestellt?“ … „Wer hat morgens meist die beste Laune?“. Daneben bieten sich psychodramatische aufstellungen oder Skulpturen zu bestimmten teamspezifischen themen sowie die arbeit mit Skalen an. als beispiel für die Skalenarbeit sei genannt: „Stellen Sie sich bitte bezogen auf ihre arbeitszufriedenheit in dieser Woche auf einer Skala zwischen 1 (sehr niedrig) und 10 (sehr hoch) hin“ – oder: „Wo ist aus ihrer Sicht ein guter punkt für arbeitszufriedenheit auf der vorgeschlagenen Skala in diesem team?“7 Die Option der bühne bietet eine her-vorragende gelegenheit, ausschnitte der vielen Facetten, die sich in der arbeit zeigen, sichtbar werden zu lassen.
Fallbeispiel 7. ein psychologe, berufsanfänger in einer beratungsstelle, fragt sich in der teamsupervision, wieso er sich nur schwer von einem Klienten trennen mag. Der Fall ist im team bekannt. Kaum hat er sein anliegen benannt, kommen ihm die tränen, was ihm zunächst sehr unangenehm ist. ich fordere seine Kolleginnen auf – nachdem ich mich bei ihm versichert habe, dass es in Ordnung ist, einmal zu hören, welche Wahrnehmungen im raum sind –, hinter ihn zu treten und ihren Kollegen zu doppeln – also aus ihrer ein-fühlung heraus seine Stimmung in diesem Moment zu beschreiben, gefühls- und verstan-desmäßig. Die sieben Kolleginnen treten nacheinander hinter ihren Kollegen und äußern Sätze wie „ich kann doch nicht so betroffen sein, ich bin professionell, da weint man doch nicht“, „es ist mein erster Fall, der liegt mir besonders am Herzen“. auch eine mög-liche ambivalenz wird angesprochen: „auf der einen Seite bin ich meinem Klienten sehr nahe und nehme wahr, dass ich noch viel für ihn tun könnte, auf der anderen Seite hat er mit unserer arbeit einen guten Zugang zu seinen ressourcen bekommen und wird seine Dinge selbst machen“. Nach dieser runde wirkt der Kollege sehr erleichtert: „Zuerst
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habe ich gedacht, na, das fehlt mir jetzt noch … aber dann habe ich sofort gemerkt, dass dies alles innere Stimmen waren, die ich im Moment so gar nicht hätte benennen können, und nun sind sie mir sehr deutlich“.
es folgt ein Sharing, eine runde, in der die Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen erfahrung im umgang mit trennung mit Klienten und Klientinnen oder auch aus ihrer erfahrung als anfänger mit ersten oder neuen Klientinnen berichten. Zum abschluss stellt der psychologe (auf der nun benannten und eingerichteten bühne) in einem kurzen rollenspiel seine letzte begegnung mit dem Klienten (in der nächsten Woche) dar, im rollentausch als Klient erlebt er, dass es wohltuend ist, von seinem gegenüber als kom-petent wahrgenommen zu werden.
Dieses beispiel zeigt, dass die bühne auch unmittelbar zum protagonisten oder auch zur protagonistin kommen kann, ohne dass diese explizit eingeführt wurde. etwa wie im obigen beispiel, der Klient oder die Supervisandin ist bereits emotional bewegt, und es wäre kontraindiziert, diesen emotionalen prozess durch die explizite einrichtung einer bühne zu unterbrechen. Stattdessen handelt man, als befänden sich die protagonistinnen bereits auf der bühne und arbeitet mit den bekannten psychodramatischen techniken wie Doppeln, interaktionsinterview oder auch playbackartige rollenspiele.
Fallbeispiel 8. Zwei Hauswirtschafterinnen eines von mir neu übernommenem teams, das stationäre Hilfe für Jugendliche anbietet, äußern zur Überraschung ihrer teamleitung den Wunsch nach einer alleinigen Supervision („Die beiden hatten noch nie interesse an Supervisionen!“). Die beiden Hauswirtschafterinnen möchten gerne ihre Sicht der Dinge mal „auf den tisch“ bringen „Sie haben doch gesagt, man könne so manches auch mal darstellen?“ Dies möchten sie erst mal gerne alleine ausprobieren, ohne das gesamtteam mit den pädagoginnen, um zu schauen, ob man „es auch so sehen könne“. ich schlage ihnen vor, ihre Sichtweise auf der tischbühne aufzubauen: es entsteht auf dies Weise ein interessantes bild, dass sie gemeinsam bauen: jede Pädagogin ist eine eigene abteilung,
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die Leiterin ebenso, beide sind Zuarbeiterinnen oder modern ausgesprochen: Dienstleis-terinnen für die abteilungen. Sie bauen ein zweites bild, was für sie Team heißt: mitei-nander entscheidungen zu treffen. gemeinsam aus der distanzierten position wieder auf das ursprungsbild schauend überlegen sie, was sie an ihrem Verhalten ändern können oder müssen, um einen ersten Schritt zur entwicklung einer gemeinsamen teamkultur zu leisten und bringen es auf den punkt: konkret sagen, wo ihre eigene grenze ist und wel-che Form von Zusammenarbeit sie sich vorstellen. Das bedeutet also, dass sie ihr eigenes Konfliktverhalten erweitern. in einem kleinen rollenspiel auf der teppichbühne probie-ren beide an einem konkreten Fallbeispiel ihr neues Verhalten aus: die jeweils andere spielt eine Pädagogin, es wird erprobt, aktuelle Konfliktthemen anzusprechen. auch hier ergibt sich eine Nebenwirkung: im rollenfeedback erklären beide, dass es ihnen in der rolle Pädagogin sehr angenehm war, ein klares gegenüber zu haben.
Das beispiel zeigt, dass bereits die ankündigung bzw. das angebot, dass man auf einer bühne experimentieren kann, einen Zugang zu neuen Verhaltensweisen eröffnet.
3 Und alles hat ein Ende
ich bastle am bild rum, … wo gehört meine ressource hin? und dann finde ich keinen platz. Das ist ja wie im Leben! (Zitat aus einer beratung)
Zum abschluss noch einige praktische Hinweise zur bühnenarbeit:0 Führen Sie den begriff der bühne elegant ein, indem Sie im ersten Schritt empathisch
ihrer Klientin oder ihrem patienten zeigen, was Sie wie verstanden haben: bauen Sie ihrem Klienten oder ihrer patientin mithilfe von Objekten eine Szene auf, die zeigt, was Sie verstanden haben und fragen Sie nach, ob es so stimmt, was anders ist und fordern ihn oder sie auf, es anhand dieser Szene zu zeigen.
0 Lassen Sie ihrem protagonisten oder ihrer Supervisandin Zeit bei der auswahl und einrichtung der bühne. Diese Zeit ist teil der inneren erwärmung. Der aufbaupro-zess setzt möglicherweise unterschiedliche innere Dynamiken in gang. Fordern Sie ihre Klientinnen auf, ihre gedanken, wenn sie mögen, beim aufbau der bühne laut auszusprechen.
0 Nutzen Sie die bühne, damit ihre patientinnen oder Klienten ungewöhnliche Dinge ausprobieren: ermutigen Sie sie, beispielsweise antirollen einzunehmen, die geschichten ab der Mitte der geschehnisse neu und anders zu spielen, neue aspekte zu bekannten Szenarien auf die bühne zu bringen.
0 Nutzen Sie die bühne als den Experimentierraum, der sie ist. Die bühne erlaubt es, viele techniken des theaters auszuprobieren, beispielsweise Haltungen oder gefühle zu maximieren oder zu minimieren, Szenen einfrieren zu lassen, Zeitlupe oder Zeit-raffer auszuprobieren.
0 Nutzen Sie unterschiedliche Räume (tischbühne, den freien raum, die imagina-tive Leinwandbühne (Schaller 2009, S. 50 f.) und unterschiedliche Objekte oder Materialien.
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0 allerdings gilt auch auf der bühne: Weniger ist mehr. Manchmal genügt ein bild oder eine Szene, um weitere Lösungsideen zu entwickeln.
0 greifen Sie selbst nie in die bühne ihres Klienten oder ihrer patientin ein, ohne die-se/n zu fragen, ob es erlaubt ist. Wenn Sie Veränderungsimpulse geben, holen Sie sich das einverständnis ihrer protagonistinnen.
0 Laden Sie ihre protagonistinnen ein, die Szenerie auf ihrer bühne aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, beispielsweise von der einen Seite, von der anderen Seite, aus der Hocke nach oben schauend, vom hohen Stuhl aus betrachtend, aus der involvierten und aus der distanzierten position. explorieren Sie die unterschiede der verschieden perspektiven – darin können wertvolle anregungen und impulse zur weiteren entwicklung der Szenerie liegen.
0 achten Sie stets auf einen guten Übergang vom beratungskontext zur bühne und zurück. ausgesprochen wichtig ist das gründliche Entrollen zum abschluss des Spiels. Das ablegen der rollen ist zentral, um wieder von der bühne einen guten Übergang in den alltag zu finden. Sie können zum entrollen ein kleines ritual anbie-ten, entweder werden die rollen symbolisch ausgezogen oder abgeklopft oder die protagonistin oder der protagonist klopft die rollen seiner antagonistinnen ab. Daher planen Sie genügend Zeit für den abbau der bühne ein!
0 genießen Sie gemeinsam mit ihren Klienten und patientinnen die Vielfalt, die psy-chodramatisches arbeiten auf der bühne bietet!
So schließt sich der Kreis, „die bühne vorn, sie wird von einem traume überrollt. Dann ist da keine bühne mehr, du bist sie“ (tranströmer 1997, S. 191).
Anmerkungen
1 ich verfüge über eine große Sammlung von hilfreichen Objekten: Stein- und Muschelsamm-lungen, tücher, plastikfiguren, Handpuppen, postkarten etc.
2 Von den Klientinnen zuweilen auch als Aufstellung verstanden.3 unter anderem deshalb ist es wichtig, dass die protagonistin die bühne allein abbaut, ohne
Mithilfe der therapeutin oder des beraters. Durch dieses ritual bleibt die protagonistin gestal-tende akteurin und löst selbst die externalisiert auf die bühne verlegte innere Szene wieder auf und entscheidet, auf welche Weise sie mit dieser erfahrung weiterarbeiten mag.
4 ich benutze kursiv beispielsweise bei Zeugen, um damit Rollen zu kennzeichnen.5 Dazu Moreno (zit. nach Hutter und Schwehm 2009, S. 426 f.): „Die architektonische gestal-
tung der bühne wird entsprechend den therapeutischen anforderungen vorgenommen.“6 „Was auf der bühne als höchst überraschend, neu und eindrucksvoll wahrgenommen und emp-
funden wurde, erscheint den teilnehmern nach intensiver Mitwirkung als ein vertrautes und gut bekanntes Verfahren – als ihr eigenes Selbst. ähnlich einem Spiegel bestärkt das psycho-drama ihre eigene identität (Moreno zit. nach Hutter und Schwehm 2009, S. 341).
7 Skalen bieten vielfältige Möglichkeiten, besonders auch konflikthafte teamsituationen in bewegung im team szenisch zu bearbeiten (dazu: Klein 2010).
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Literatur
bender, W., & Stadler, C. (2012). Psychodrama-Therapie. Grundlagen, Methodik und Anwen-dungsgebiete. Stuttgart: Schattauer.
boal, a. (1999). Der Regenbogen der Wünsche. Methoden aus Theater und Therapie. Seelze: Kallmeyer.
Frohn, e. (1994). Der anfang ist die Hälfte des ganzen. erwärmung in ambulanten psychodrama-gruppen. Psychodrama Zeitschrift für Theorie und Praxis von Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel, 1, 73–94.
Frohn, e. (2008). einsatz von rollenspiel und theaterelementen in psychotherapie, Supervision und Fortbildung. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, 7(2), 210–225.
geissler, J., & Klein, u. (1999). Nur einfache Darstellung kann Komplexität vermitteln – und sie erhalten. Darstellungsmedien in der Organisationsentwicklung. Zeitschrift für Organisations-entwicklung, 3, 42–50.
Hutter, C., & Schwehm, H. (Hrsg.). (2009). J. L. Morenos Werk in Schlüsselbegriffen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Klein, u. (2010). Das Spiel mit der Komplexität. Zu den systemischen grundlagen szenischer arbeitsformen. Familiendynamik, 35(3), 196–209.
Lecat, J.-g. (2005). auf der Suche nach dem leeren raum. in O. Ortolani (Hrsg.), Peter Brook. Theater als Reise zum Menschen (S. 194–209). berlin: alexander.
Schaller, r. (2009). Stellen Sie sich vor, Sie sind… Das Ein-Personen-Rollenspiel in Beratung, Coaching und Therapie. bern: Hans Huber.
Stadler, C., & Kern, S. (2010). Psychodrama. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
tranströmer, t. (1997). Sämtliche Gedichte. München: Carl Hanser.Von ameln, F., gerstmann, r., & Kramer, J. (2004). Psychodrama. Heidelberg: Springer.Wermelskirch, W. (Hrsg.). (1988). interview mit John Costopoulos (1984). in L. Strasberg, Schau-
spielen und das Training des Schauspielers. Beiträge zur ,Method‘ (S. 148–168). berlin: alexander.
Elke Frohn, Jahrgang 1957, M.a. theater-Film- u. Fernseh-wissenschaften/germanistik/Soziologie, psychodramaleiterin (DFp), Supervisorin DgSv/Sg, Lehrende Supervisorin Sg, Wei-terbildungsleiterin für psychodrama am Sächsischen institut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Hochschule Mitt-weida, arbeitete als regie- und Dramaturgieassistentin an ver-schiedenen deutschen Stadttheatern. Seit vielen Jahren tätig in eigener praxis in München mit den Schwerpunkten Supervision/Coaching, Heilkundliche psychotherapie sowie personal und Organisationsentwicklung.
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