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architheseJacques Blumer: «Yes, Anna, there is a Santa Claus»
Luigi Snozzi: Es lebe der Widerstand
Mario Botta: Architettura e Spazio Sacro
Truman Show: Das Vermeintliche der Schweiz
Georgien – Architektur der modernen Seidenstrasse
Benedikt Boucsein: Architektur und Modus
Hannes Stiefel: Der Auftrag
Under Tomorrow’s Sky: A fictional city of the future
Grafton: Approaching the unknown from the common
The Dissimulating Façade
Die gesellschaftliche Dimension der Architektur
Erlösungs- und Verdammungsarchitekturen
Markus Lüscher: Die Insel einer Insel
Autonome und absolute Architektur
Die Geschichte des IAUS, New York
Ein Abschied mit Rückblick und Ausblick
Restaurierung des Hauses Tugendhat, Brünn
Eun Young Yi Stadtbibliothek Stuttgart
6. Architekturgespräch in Einsiedeln
Anna Viebrock: Das Mansion am Südpol
6.2012
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
International thematic review for architecture
Architektur / Architecture
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E D I T O R I A L
Architektur
«Architektur und ...» Eines Tages stellten wir fest, dass wir als Redakteure an
Architektur interessiert sind, aber sie nie zum Thema machen. Dabei ist es Archi-
tektur, worüber wir schreiben und nachdenken wollen; Architektur ist, was wir
verändern, verbessern wollen, wofür wir uns verantwortlich fühlen. Wir sind
keine Anhänger der Idee einer autonomen Disziplin, aber wir sind auch nicht al-
lein am Digitalen, am Material, an einer Zeichnung, an einem Bild interessiert – es
sei denn, es geht eine intensive Beziehung mit der Architektur ein oder könnte
eine solche eingehen; könnte selbst zur Architektur werden.
Wir sind auf der Suche nach Impulsen, die den Weg der Architektur fortschrei-
ben. Dennoch – und da sind wir vielen Architekturzeitschriften ähnlich – fühlen
wir die ständige Notwendigkeit, bei der Themenwahl der Architektur etwas hin-
zuzufügen oder im Detail zu suchen: Architektur und Kunst, Architektur und
Biologie, Architektur und Ingenieur, Architektur und Alkohol, … Alternativ wird
das Thema auf ein Fragment oder Element, auf ein Material, Dächer, Scripting,
Farbe, eine Funktion reduziert – als ob die jeweiligen Elemente unabhängig be-
trachtet werden könnten. So entstand die Idee, ein Heft «nur» über die Architektur
zu machen, um unseren Enthusiasmus dafür zu verdeutlichen und das häufig
bemängelte Selbstbewusstsein unseres breit angelegten Metiers zu stärken.
Handelt es sich also um das ultimative Heft? Zumindest versuchen wir die
Profession in ihrer Gesamthaftigkeit zu verstehen, um der Verunsicherung durch
eine sich rasant entwickelnde Spezialisierung als Resultat einer fortschreitenden
Professionalisierung entgegenzuwirken. Zu beobachten ist hierbei eine konserva-
tive Tendenz, welche sich an den Begriff der Disziplin klammert und so den Her-
ausforderungen aus zwei Jahrzehnten Globalisierung zu begegnen versucht. Doch
kann diese Rückbesinnung auf den klassischen Begriff der Architektur die Ent-
wicklung aufhalten? Oder ist es möglicherweise allein eine Illusion, welche den
Fortschritt, die Macht der Veränderung zu kaschieren versucht – wie jüngst auf
der Biennale geschehen?
Architektonische Meisterwerke mögen dennoch eine Hilfestellung bieten,
denn sie verdeutlichen uns, dass Architektur tatsächlich berühren kann, die Wir-
kung der Architektur spürbar ist, einen Wert erhält und dass diese Qualität nicht
allein der Traum von nach Weltmacht strebenden Architekten ist. Das weist auf
die innige Beziehung von Mensch und Architektur hin und führt zur sozialen Di-
mension der Architektur, ohne die letztlich auch die Form ihre Legitimität verliert.
Hilfreich ist darüber hinaus der Blick auf das, was misslang, auf das schlecht
Bewertete – ermöglicht es doch oft Einblicke in das dahinterstehende, solche
«Leistungen» begünstigende System. Darüber hinaus werden unterschiedliche
Begriffe und Kategorien genauso wie die Kunst des Entwerfens untersucht. Letz-
tere wirft die Frage auf, was denn heute den Unterschied zwischen Bauen und
Architektur ausmacht.
Was und wer gehört also noch zur Profession der Architektur? Und welche
Rollen spielen dabei die Schulen, Universitäten und die Ausbildung? Bedeutet die
jungen Generationen zu unterrichten, einen Blick in die Zukunft zu erhaschen –
oder nur Wissensvermittlung? Findet man die Zukunft mittlerweile gar in der
Praxis, also am anderen Ende? archithese fragt, was Architektur ist und sein
könnte. Wo fängt die Architektur an und wo hört sie auf?
Die Redaktion
Allreal-Gruppe:Zürich,Basel,Bern,Cham,St.Gallenwww.allreal.chImmobilienProjektentwicklungRealisation
Kauf/Verkauf
Foto:LenaAmuat
8005 Zürich:Hier realisiert Allrealdas WohnhochhausEscher-Terrassen
www.escherterrassen.ch
4 archithese 6.2012
In eigener Sache:
Nach 15 Jahren verlässt unser Redaktor Hubertus Adam mit
diesem Heft die archithese, um seine neue Herausforderung
als Direktor des Schweizer Architekturmuseums anzuneh-
men. Auf Seite 86 blickt er auf seine Zeit bei der archithese
zurück. Trotz seines Abschieds wird er uns und Ihnen als
Autor der archithese erhalten bleiben. Wir danken Hubertus
für den langjährigen leidenschaftlichen Einsatz und wün-
schen ihm für die neue Aufgabe viel Kraft sowie weiterhin
Visionen und Scharfsicht für eine prägnante Themensetzung.
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12 archithese 6.2012
A R C H I T E K T U R A K T U E L L
Ich baue um der Architektur Willen
Elemente in Erscheinung: einem künstlichen Pla-
teau, einer Dachplatte über einer Stütze, einer
nichttragenden, membranhaft gespannten Milch-
glaswand sowie einem monumentalen Kamin-
schacht.
Gottfried Semper hatte in seinem Buch Die vier
Elemente der Baukunst die Elemente «Erdaufwurf
oder Terrasse», «Dach», «Wand» und «Herd» mit
jeweils unterschiedlichen Materialien in Beziehung
gesetzt. Auch wenn nicht zu klären ist, inwieweit
sich Mies mit dieser Theorie auseinandergesetzt
hatte, kann sie dennoch helfen, seine Architektur
zu analysieren. Auch bei der Neuen Nationalgalerie
sind Podium, Dach, Glaswand und Versorgungs-
schächte, welche durch Metallgitter wie zwei riesi-
ge Kamine erscheinen, klar voneinander abge-
setzt. Semper hob den nichttragenden Charakter
der Wand hervor. Dach und Tragwerk stellen das
gleiche Element dar, während das Wesen der
Wand einen textilen Ursprung habe. Semper
schrieb: «Die Ausdrücke Wand und Gewand sind
einer Wurzel entsprossen. Sie bezeichnen den ge-
webten oder gewirkten Stoff, der die Wand bildet.»1
Zum Wohngeschoss des Hauses führt eine
Treppe hinab. Dieser Weg führt zwar direkt auf ei-
ZUR RESTAURIERUNG DES HAUSES
TUGENDHAT
Das von Mies van der Rohe entworfene Haus
strahlt wieder in neuem Glanz – als sei es
gerade erst erbaut. Nach langem Ringen
hatte sich die Position durchgesetzt, sämt-
liche zerstörten Elemente akribisch nach-
zubilden, sodass nicht mehr erkennbar ist,
was neu und was alt ist. Die musealisierte
Architektur wird zur Ausstellung – und
sie stellt sich selbst aus.
Autor: Carsten Krohn
Das an einen steilen Hang gebaute Haus kehrt dem
öffentlichen Strassenraum den Rücken zu. Die
Öffnung des Bauwerks zum Garten ist so kompro-
misslos umgesetzt, dass sich die Zugangsseite
komplett vor Einblicken abschottet. Sogar die
Haustür liegt versteckt. Dennoch geht von der
Zugangssituation eine Sogwirkung aus, denn es
wird ein gerahmtes Panorama präsentiert, mit ei-
nem Ausblick über die Dächer der Stadt bis zur weit
entfernten Burg auf einem Berg am Horizont. Es
ist ein offenes Belvedere geschaffen. Der Bau tritt
durch unterschiedliche, klar voneinander getrennte
nen Tisch in der Bibliothek zu, der wie der Schreib-
tisch des Hausherrn erscheint, doch öffnet sich
plötzlich eine weiträumige Wohnlandschaft. Durch
die Möglichkeit, die Glaswände per Knopfdruck in
den Boden zu versenken, lässt sich auch dieser
zentrale Raum in eine offene Terrasse transformie-
ren. Der Raum erscheint als ein Gesamtkunstwerk,
da Haus und Möblierung als Einheit konzipiert
sind. Mies entwarf nicht nur speziell für diesen Bau
eigene Möbel wie den Brno-Stuhl und den Brno-
Sessel, sondern legte auch deren Platzierung fest.
Sogar der runde Esstisch ist im Boden verankert.
Über den Bauherrn äusserte sich Mies später:
«Er sagte, dass er den offenen Raum nicht möge;
es wäre zu störend; Menschen wären zugegen,
wenn er sich mit seinen wichtigen Gedanken in der
Bibliothek aufhielte. Er war ein Geschäftsmann,
glaube ich. Ich sagte, gut, wir werden es auspro-
bieren. Falls er es wünsche, könnten wir die Räume
auch wieder schließen. Wir könnten Glaswände
einbauen. Das wäre das gleiche. Und wir testeten
es. Wir bauten Holzgerüste auf. Er horchte in seiner
Bibliothek, und wir unterhielten uns in normaler
Lautstärke. Er hörte nichts. Später erklärte er mir:
‹Nun willige ich allem zu, nur nicht den Möbeln.› Ich
1
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standteil seiner Architektur begriff, sondern auch,
dass er das Architektonische für kaum vermittelbar
hielt. «Sprich nie mit einem Bauherren über Archi-
tektur», sagte er. «Ich baue nicht für mich selbst,
nicht für meine Bauherren. Ich baue um der Archi-
tektur willen.»3 Tatsächlich löste das Haus eine
Kontroverse über die Frage aus, ob man in ihm
wohnen könne, auch wenn sich die Bewohner ge-
gen den Vorwurf eines «Ausstellungswohnens»
wehrten. Nachdem sie nur wenige Jahre später aus
dem tschechischen Brünn emigrieren mussten und
der Bau den Plünderungen der Nationalsozialisten
zum Opfer fiel, wurde er unterschiedlich genutzt.
Die ursprüngliche Materialität und Farbigkeit ging
1 Zugangsseite (Alle Fotos: Carsten Krohn)
2 Blick aus der Bibliothek
als Einheit verloren. Als eine Ikone der Architektur
verbreitete sich das Haus hauptsächlich durch Fo-
tos und Texte: «Wand des Wohnraums goldgelber
und weißer Onyx; Wand des Essraums schwarzge-
streiftes und blassbraunes Makassar-Ebenholz;
Vorhänge schwarze und beigefarbene Rohseide;
weißer Samt; Teppich Schafwolle; Bodenbelag
weißes Linoleum; Stuhlbezüge weißes Pergament,
naturfarbenes Schweinsleder und blassgrünes
Rindsleder.»4
Das Haus Tugendhat präsentiert sich heute als
wäre es gerade erst erbaut. Von all dem, was es in
seiner über achtzigjährigen Geschichte durchma-
chen musste, sind kaum mehr Spuren zu sehen.
sagte, ‹das ist sehr schade›, und entschloss mich,
Möbel von Berlin nach Brünn zu schicken. Ich sag-
te meinem Lieferanten: ‹Warten Sie mit den Möbeln
bis kurz vor Mittag, und teilen Sie ihm dann mit, Sie
seien vor seinem Haus mit den Möbeln. Er wird
sehr aufgebracht sein, aber damit müssen Sie
rechnen.› Er sagte dann auch, ‹schaffen Sie diese
sofort wieder raus›, noch bevor er sie gesehen hat-
te. Nach dem Mittagessen gefielen sie ihm. Ich
denke, wir sollten unsere Bauherrn wie Kinder be-
trachten, und nicht wie Architekten.»2
Trotz des anekdotischen Charakters zeigt diese
Geschichte nicht nur, wie sehr Mies den offenen
Grundriss und die Möblierung als integralen Be-
2
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38 archithese 6.2012
GEORGIA MIRACLEArchitektur der modernen Seidenstrasse Georgiens Aufschwung der letzten zehn Jahre gleicht einem
Rausch. Vehement untermauert der scheidende Präsident Saakaschwili sein Fortschrittsmantra mit einem
unermüdlichen Bauboom. Dieser konfrontiert das kaukasische Land mit hyperzeitgenössischer Architektur
– und unterstreicht Georgiens geopolitische Bedeutung als Transitland.
1
anderen Georgien künden. Analogien zu den schillernden
Bauten Chinas und den Tigerstaaten Asiens drängen sich
auf. Gleichzeitig erfährt man auf den Bautafeln, dass viele
Projekte mit europäischen Fördergeldern finanziert werden.
Die Flughafenstrasse wiederum trägt seit 2005 den Namen
des damaligen US-Präsidenten: President George W. Bush
Street. Georgien gibt sich als postsowjetischer Musterschü-
ler. Fragt man den italienischen Architekten Massimiliano
Fuksas, der hier wichtige Bauten realisiert, ob er Georgiens
architektonische Entwicklung dem Westen oder der asiati-
schen Welt zuordnet, antwortet er ohne zu zögern: «Asien!»
Sind es somit die gleichen Phänomene wie in den teils
autokratischen Staaten Asiens, wo Architektur als Imponier-
gehabe die eigentlichen Probleme im Land verschleiert und
mit spektakulären Bauten dem Volk Demokratisierung vor-
gaukelt? Oder wie in Russland, der Ukraine und Kasachstan,
wo Investoren ganze Stadtteile mit geistloser Glasarchitek-
tur überformen? Dies scheint nicht zur gemeinhin gelobten
Demokratie in Georgien zu passen. Was aber unterscheidet
Georgien und diese neue Architektur von seinen Nachbarn?
Blickt man zehn Jahre zurück, sieht man das Land am
Rande des Ruins: Die Armut ist gross, die Infrastruktur
desolat; Korruption und Politikverdrossenheit sind in der
Gesellschaft weit verbreitet. In dieser festgefahrenen Situa-
tion kam 2003 eine Bewegung auf, die mit der Rosenrevolu-
tion eine friedliche Ablöse der alten Riege erreichte – ange-
führt von jungen, im Westen ausgebildeten Exilgeorgiern.
Deren schillernde Führungsgestalt Michail Saakaschwili
wurde zum neuen Präsident. Saakaschwili lässt seit seinem
Amtsantritt keinen Zweifel daran, was seine politischen
Ziele sind: Fortschritt, Wachstum und der Westen! Der
Staatsapparat wurde gestrafft und in weiten Teilen von
Korruption befreit, was bereits an ein Wunder grenzt. Alte
Kader wurden ab gesetzt und in einem Mammutprojekt un-
ter anderem 12 000 Verkehrspolizisten fristlos entlassen.
Auf diese Weise gelang es Georgien im Korruptionswahr-
nehmungsindex vom 124. auf den 64. Rang vorzurücken und
wichtiges internationales Vertrauen als Partnerland zu
gewinnen. Russland steht im Vergleich auf Rang 143; die
Tendenz ist fallend.1
Staatsarchitektur und Nation Building
Der Architektur kommt in dieser Politik eine ungewöhnlich
grosse Bedeutung zu: Mit seinem Faible für zeitgenössische
Architektur hat Saakaschwili sie zur Chefsache erklärt und
gleichzeitig das Bauen ideologisch stark aufgeladen. Die
Autoren: Steffen Hägele und Moritz Hörnle
Fast immer liegt Georgien am äussersten Rand. Landkarten
von Europa enden meistens zwischen dem Schwarzen und
dem Kaspischen Meer. Karten aus Asien zeigen Georgien
sogar vom Erdrund verzerrt. Es lohnt sich allerdings, die kau-
kasische Region ins Zentrum zu rücken, um deren vermit-
telnde, aber auch trennende Bedeutung zu erkennen: zwi-
schen Asien und Europa, dem Orient und Okzident, der
islamischen und christlichen Hemisphäre. Historisch fällt
Georgien diese eurasische Mittlerrolle durchaus zu, denn der
nördlichste Arm der sagenumwobenen Seidenstrasse führte
durch das Land. Ein Umstand, der die georgische Kultur ent-
scheidend prägte. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
erlangte Georgien erneut eine grosse Bedeutung als Transit-
land – nun nicht mehr für gemächliche Karawanen, sondern
als Güter- und Rohstoffbrücke für Öl und Gas zwischen
Europa und Zentralasien. Die jahrhundertealte Kultur bezie-
hungsweise der junge Staat Georgien sieht sich somit erneut
mit einem geopolitischen Tauziehen konfrontiert, bei dem es
um Macht, Rohstoffe und kulturelle Dominanz geht – und
strebt nach Bedeutung zwischen Asien, Russland und dem
Westen.
Wider das postsowjetische Trauma
Die Überschneidung der Einflüsse zeigt sich auf dem Weg
vom internationalen Flughafen Tiflis ins Zentrum der geor-
gischen Hauptstadt eindrücklich. In langen, grauen Zeilen
reihen sich die Wohnsilos als sowjetisches Erbe an der
Schnellstrasse auf. Dazwischen erstrahlen jedoch spektaku-
läre Neubauten, die in expressiver Formensprache von einem
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39
2
politischen Bestrebungen des Korruptionsabbaus, die Ab-
kehr von der Sowjetzeit und Russland sowie die Öffnung in
Richtung Westen und Asien werden im aktuellen Bauboom
in eine hyperzeitgenössische architektonische Formenspra-
che übersetzt, Architektur als Symbol der politischen Erneu-
erung verstanden. Umgekehrt soll die gesellschaftliche Er-
neuerung durch Architektur ebenfalls gefördert werden
– Architektur als Heilsbringerin.
Als am 26. Mai 2012 das georgische Parlament erstmals
unter der gläsernen Linse des Neubaus in Kutaissi tagte,
brachte es Saakaschwili auf den Punkt: «This new building
of a Parliament is also a perfect symbol of our country in
many respects. Just like the new Georgia – this building is
also modern, impressive and transparent. [...]This building
is a symbol of the open democracy, which we are building.»
Architektur als Sinnbild des Nation Building.
Es spricht Bände, dass Saakaschwili einen georgischen
König aus dem 12. Jahrhundert glorifiziert, der sich auf-
machte, das georgische Volk zu einen: David der Erbauer. Mit
diesem selbstgewählten Vergleich rechtfertigt Saakaschwili
seine Gestaltungswut, die sich in den neuen Gebäuden ma-
nifestiert. Die Liste der Neubauten – fast alles öffentliche
Bauten – entspricht so auch der Erneuerung des Staatsappa-
rats. Dies erinnert an die Neugestaltung Berlins als Haupt-
stadt des vereinigten Deutschlands. Im Unterschied dazu
geschieht der georgische Boom aber wesentlich schneller
und in seiner konsequenten Analogie von Form und Ideolo-
gie noch radikaler.
Martialisch erscheint der Umgang mit der bestehenden
Stadt. Im Herzen von Tiflis prallen Welten aufeinander. Dort
kontrastieren mehrere Neubauten die beschauliche Um-
gebung der topografisch sehr reizvoll gelegenen Altstadt. Mit
optimistischer Rücksichtslosigkeit erhebt sich seit diesem
Jahr die von Fuksas entworfene Public Service Hall am Fluss
Kura. Ein elfblättriges Dach spannt einen öffentlichen Raum
auf, der Saakaschwilis Wunsch nach Öffentlichkeit, Expressi-
vität und Transparenz eindrucksvoll nachkommt. Eine Fluss-
biegung stromabwärts verbindet die mehrfach geschwun-
gene Bridge of Peace von Michele de Lucchi die Ufer der Kura.
Zusammen mit einem angrenzenden Kasino überblendet
diese mit einem Inferno aus LED-Lichtverläufen – unter ande-
rem Morsenachrichten für den Weltfrieden – nachts die an-
grenzende Altstadt. Am anderen Brückenkopf befindet sich
mit dem Rhike-Park eine Mischung aus be gehbarer Skulptur
und Kirmes, zu der sich in Kürze das Tbilisi Music Theatre von
– erneut – Fuksas gesellt. Über dieser architektonischen Spiel-
wiese thront der neue Prä sidentenpalast – ein Abklatsch des
Berliner Reichstags, welcher an die groben Spritzgusspro-
dukte der Souvenirläden erinnert.
Bei Bauten wie dem Präsidentenpalast kippt die Symbol-
architektur ins Plumpe. Das Bestreben, den geläuterten,
transparenten Staat durch eine gläserne Architektur zu re-
präsentieren, wirkt unbeholfen, ja verdächtig. Man misstraut
diesem Heilversprechen – gerade mit Blick auf Nachbarländer
wie Aserbeidschan, obwohl in Georgien ein ernst zu nehmen-
der gesellschaftlicher Wandel zu beobachten ist. Fest steht
allerdings, dass die Besucher in Tiflis ihre helle Freude ha-
ben, sich an diesem glamourösen Stadtraum zu berauschen.
Theming am Schwarzen Meer
Der Rausch lässt sich auch in Batumi am Schwarzen Meer
leicht finden. «Batumi Miracle» lautet der Wahlspruch. Hin-
ter diesem verheissungsvollen Namen versteckt sich ein
Masterplan von Michele de Lucchi. Dieser sieht vor, das be-
1 Karte des Kaukasus
2 Blick über die Altstadt von Tiflis zu den Neubauten (© Studio Fuksas)
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46 archithese 6.2012
UNDER TOMORROW’S SKYA fictional city of the future. Speculative architect Liam Young has assembled a think tank of scientists,
technologists, futurists, illustrators and science fiction authors to collectively develop this imaginary place,
the landscapes that surround it and the stories it contains. The city forms a stage set for a collection of
fictions, emerging infrastructures and design experiments. It is an imaginary landscape extrapolated from
the wonders and possibilities of emerging biological and technological research. A speculative fiction
as a critical tool, an extraordinary vision of tomorrow that is at the same time a provocative examination
of the pertinent questions facing us today.1
1
changes and expressways. What was once the imagined
landscape of a possible 1960 is now a dusty ruin, an archae-
ology of the social and technological ambitions of the time in
which it was made. She tells me she has seen this place be-
fore, in vintage YouTube clips, tinged with the quaint nostal-
gia of retro futurism and archive footage.
We walk on, past the rusted hulks of an Archigram Walk-
ing City, now propped up on blocks. Their massive metal
bodies have been stripped down to their frame by futurist
souvenir hunters and steel salvage yards. The dozers have
moved in on what remains of the cruciform foundations of the
Radiant City. Their concrete corners have been worn smooth
Author: Liam Young
We wander through the city. It has been a long time since we
have seen anyone else. Looking around I see a place I know
but at the same time find utterly unfamiliar. She asks me
where we are.
I reach down and pick up a small round badge from the
rubble. I pin it to her coat. It reads “I have seen the future”.
It was a souvenir once given to visitors after their voyage
through time onboard the General Motors’ Futurama ride at
the 1939 World Fair. Sitting on an automated conveyor belt,
visitors would travel through a model of the City of Tomor-
row, its skyscrapers, traffic lights, and tangles of inter-
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47
1+2 Urban Tectonics, Under Tomorrow’s Sky Concept Art, Daniel Dociu, 2012 Game concept artist Daniel Dociu was invited to join the Under Tomorrow’s Sky Think Tank and contributed digital paintings that developed with the design discussions
2
rently inhabit. Only in these accounts of the future are we
able to discern, “through the walls and towers destined to
crumble, the dreams to remain unfulfilled, the tracery of pat-
terns that we can follow through the unmappable.” Beyond
the dig sites of obsessive paleofuturists, the speculative city
has been abandoned for some time now. “It is a desperate
moment when we discover that this empire, which had
seemed to us the sum of all wonders, is an endless, formless
ruin.”3
Is our city still a city anymore?
We walk on and come to the edge of a new territory. We look
out across an evolving fragment, in endless construction.
There the traditional infrastructure of roads, buildings and
public squares are giving way to ephemeral digital networks,
biotechnologies and cloud computing connections. The
physical city we know is destroying itself. She asks, “Is our
city still a city anymore?” At the very least, the architect of
this city is being redefined. Architects once speculated on
the impacts of industrialisation and then mass production.
Walking through this history of futures suggests to us alter-
native forms of spatial practice whereby architects can again
play a critical role in speculating on the implications and con-
sequences of emerging technologies. We begin a short walk
through the landscapes of this Brave New Now. It is not clear
to her what is fact and what is fiction, the two intertwine.
from decades of skateboard grinds and graffiti removal
teams. We can make out the words “LC was here 1967”
amidst the scrawls and tags of an age of archi-tourists. The
players of New Babylon have closed their show, packed their
ladders and drawn the curtains. The endless grid of the
Superstudio’s super surface that once stretched beyond the
horizon has been pulled up and resurfaced. The blinding
white has mildewed and tree roots have skewed and cracked
the measured lines. The tiled landscape has been reclaimed
and now paves the food courts of distant strip malls, soaking
up spilt milkshakes.
I tell her we are walking through a city of failed utopias
and constructed dreams. It is a city of nowheres, a city of
follies, a city of our hopes and dreams, our most intimate
desires and our collective fears. As I tell her about the city
I once knew, I can tell she is listening but doesn’t really
believe everything I tell her. She has stopped trying to
recognise the cities I am describing. “There is melancholy
and relief as we give up any thought of knowing and under-
standing them.”2 They weren’t built for that purpose. They
weren’t designed to be constructed. Just to be explored, to
be discussed, to be loved and hated, fought over or wished
for. The cities of what’s to come do not just anticipate but
actively shape technological futures through their effects on
the collective imagination. They are one of the few places
that offer a critical view back to the familiar cities we cur-
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62 archithese 6.2012
DIE GESELLSCHAFTLICHE DIMENSIONFragen zum Selbstverständnis von Entwerfenden «Don’t discuss politics and religion»: Das Politische ist heute ein
Thema, das man in der Architektur lieber meidet – an den Hochschulen ebenso wie in der Öffentlichkeit. Gesellschaftliche
Fragen auszusparen bedeutet jedoch kein ausreichendes Gespür für die Bedingungen und Konsequenzen der eigenen Arbeit
zu entwickeln. Begreifen wir Demokratie als etwas grundsätzlich Gefährdetes, dann stellt sich die Frage: Was kann die
Architektur für die Demokratie tun?
1 SAAL-Wohnan-lage Bouça in Porto, Álvaro Siza 1973–1977, renoviert und fertiggestellt 2001–2006 Einer der Wohnhöfe ist als dezidiert öffentlicher Raum ausgeformt, der an ein Theater oder Parlament erinnert. Man könnte sozusa-gen von jeder Wohnungstür aus eine Rede an die Öffentlichkeit halten (alle Fotos: Christian Gänshirt)
1
sign hingegen mag der Massstab zwar kleiner sein und
Entscheidungen mögen zunächst nur einzelne Personen
betreffen – manche Objekte werden jedoch millionenfach
multipliziert und können von daher enorme gesellschaftliche
Auswirkungen haben.
In der Architektur allerdings ist das Politische heute ein
Thema, das man lieber meidet. In der Öffentlichkeit umschif-
fen Architekten dergleichen, um potenzielle Auftraggeber
nicht zu vergraulen. Mitunter nicht zu Unrecht, denn politi-
sches Engagement kann durchaus einen hohen Preis haben.
Álvaro Sizas Einsatz für eine partizipatorische Form sozialen
Wohnungsbaus in der Zeit nach der Nelkenrevolution 1974
hat ihn nach dem politischen Machtwechsel 1976 auf Jahre
hinaus in der eigenen Stadt zur Persona non grata werden
Autor: Christian Gänshirt
Von allen Entwurfsdisziplinen scheint die Architektur ge-
genwärtig diejenige zu sein, die sich dem Ratschlag folgend
am wenigsten mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigt.
Als die Zeitschrift Du einmal ein Heft über «Luigi Snozzi und
das Politische in der Architektur» veröffentlichte, machte
schon der Titel deutlich, wie ungewöhnlich es ist, dass ein
Architekt sich diesem Thema widmet.1 Im Städtebau und
sogar im Design ist eine politische Dimension präsenter.
Städtebauliche und landschaftsplanerische Entscheidungen
betreffen weitaus grössere gesellschaftliche Gruppen. Schon
allein die Ableitung des Begriffs vom griechischen Wort po-
lis, das Stadt und zugleich Staat bedeutet, verweist auf die
politische Dimension städtebaulichen Entwerfens. Im De-
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63
2 Plakatentwurf und Siebdruck von Harry Rosenbaum, basierend auf dem Gemälde von Jean Leon Gerome Ferris (1863–1930) Das Original zeigt Thomas Jefferson (rechts), Benjamin Franklin (links) und John Adams (Mitte) beim Verfassen der Unabhängigkeits-erklärung
2
lassen. Andererseits haben gerade diese Projekte ihm Glaub-
würdigkeit verliehen und erste internationale Anerkennung
verschafft.
Selbst an den Hochschulen gilt es mit Vorsicht zu agieren,
um nicht in Verdacht zu geraten, seinen Lehrauftrag für po-
litische Propaganda zu missbrauchen. «Oh, sind Sie sicher,
dass er keine politische oder soziale Agenda verfolgt? Wir
haben gehört, er liest mit seinen Studenten Texte von Ai
Weiwei. Ist das nicht ein Dissident?» Dass diese keineswegs
frei erfundene Frage ausgerechnet an einer US-amerikani-
schen Universität gestellt wurde, gibt zu denken.
Was bringt mich also dazu, mich diesem ungeliebten
Thema zu widmen? Im Rückblick auf mein bisheriges Berufs-
leben stelle ich fest, dass das Politische oft genug den Rah-
men meiner beruflichen Möglichkeiten definierte, ohne dass
mir dessen Bedeutung immer bewusst gewesen wäre – an-
gefangen bei meiner Mitarbeit an einem grossen Projekt für
das Madrider Verteidigungsministerium, welches durch den
Beginn des ersten Golfkriegs ein jähes Ende fand, bis zum
Ruf an eine Universität in Kairo kurz nach dem Fall Muba-
raks, den ich nicht anzunehmen wagte. Die aufregenden
Nachwendejahre in Berlin sind ohne die politische Verände-
rung, die sie mit sich brachten, nicht denkbar – genau wie
die bemerkenswerte Entwicklung Spaniens und Portugals
seit ihrem Beitritt zur Europäischen Union.
Sicher, das waren makropolitische Ereignisse, auf die ich
als einzelne Person keinen Einfluss hatte. Aber verbirgt sich
hier vielleicht etwas Grundlegendes, das sich unseren Bli-
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78 archithese 6.2012
DAS ARCHITEKTONISCHE PROJEKTBildung und Kultur am Institute for Architecture and Urban Studies (New York, 1967 bis 1985) Wie kaum eine andere
Einrichtung in den USA ist das Institute, nicht zuletzt wegen Oppositions, in die Architekturgeschichte als eine Denkfabrik,
als Geburtsort einer US-amerikanischen Architekturdebatte eingegangen. Unter der Leitung von Peter Eisenman hat es
vor allem mit seiner Arbeit als Architekturschule und Kultureinrichtung die kulturellen Konfigurationen einer postmodernen
Architektur geprägt.
1 Blick von der Empore in die Haupthalle des Institute in der 8 West 40th Street, Anfang der 1970er (Fotos 1+2: Suzanne Frank)
2 Die Haupthalle des Institute
aufgrund seines charismatischen Führungsstils, der unter-
nehmerischen Haltung und dem intellektuellen Anspruch,
schon früh als eine Dienstleistungseinrichtung, als Mittler
zwischen verschiedenen Interessengruppen positionieren.
Anfang 1970 erhielt das Institute dann einen hoch dotierten
Auftrag des US-Department for Housing and Urban Develop-
ment zur Analyse und Gestaltung der innerstädtischen
Stras se – ein entscheidendes Projekt, das darin resultierte,
dass die Strukturen des Institute professionalisiert wurden.
Es überraschte sicher nicht, dass sich Eisenman nicht
zuletzt wegen seiner Begeisterung für Publikationen wie
Paraphernalien der Architekturmoderne der Strategien von
Avantgardebewegungen durchaus bewusst war. Bemer-
kenswert war jedoch, inwiefern er bereits in der Anfangszeit
das Institute als einen Arbeitskontext zu nutzen wusste, um
sich parallel zur Lehre und Forschung der Neubewertung der
Architektur als einem formalen Spiel und der Verbreitung
eines theoretisch Ansatzes zu widmen: sei es mit seinen
Houses, der Cardboard Architecture, den analytischen Zeich-
nungen zu ausgewählten Gebäuden von Giuseppe Terragni
oder den beiden Versionen der «Notes on Conceptual Archi-
tecture», mit denen er sich, ganz Agent Provocateur, mit der
blossen Angabe bibliografischer Referenzen als Theoretiker
gab und gleichzeitig für das Institute warb.
Eine Zeit lang organisierte Eisenman parallel zum Insti-
tute auch die CASE-Untergruppe New York, eine lose Grup-
pierung junger Architekten, die sich 1965 als Conference of
Architects for the Study of the Environment zusammenge-
funden hatte – mit der Ambition, erstmals eine genuin US-
amerikanische Architekturvantgarde zu begründen. Mit der
Publikation von Five Architects stand Eisenmans Karriere
1972 schliesslich vor dem grossen Durchbruch. Die Publika-
tion, ein eindrucksvolles Zeitdokument des formalistischen
Ansatzes und der gezielten Fehlinterpretation, richtete das
internationale Interesse auf New York und führte zur Lager-
bildung in der Architekturszene.
Diese inszenierte, bewusst herbeigeführte Polemik zwi-
schen den Whites (um Peter Eisenman) und den Grays (um
Robert Venturi oder Robert Stern), das heisst, die Gegen-
überstellung einer sich radikal gebenden, formalistischen
und einer populär argumentierenden, historistischen Hal-
tung hat Anfang der Siebzigerjahre die Architekturdebatte
in den USA massgeblich geprägt. Strategisch gesehenen
Autor: Kim Förster
Das Institute wurde im Herbst 1967 gegründet, nachdem Ei-
senman eine Festanstellung in Princeton verwehrt worden
war. Tatkräftige Unterstützung erhielt er von Arthur Drexler,
damals Leiter der Architektur- und Designabteilung des
Museum of Modern Art und Colin Rowe, der zu diesem Zeit-
punkt das Urban Design Studio an der Cornell University
leitete. Mit seiner Anerkennung als Bildungseinrichtung war
das Institute institutionell gut verankert, anfangs wurde es
gar als Ableger des MoMA gesehen: als Vorsitzender beab-
sichtigte Drexler nach der The New City. Architecture and
Urban Renewal-Ausstellung vom Frühjahr 1967 über das
Institute Einfluss auf das lokale Baugeschehen auszuüben;
Eisenman dagegen ging es als Institutsleiter darum, in New
York einen neuen institutionellen Rahmen aufzubauen, um
überhaupt als Architekt arbeiten zu können. Der Name des
Institute, mit dem Anspruch auf Expertise in zwei Diszi-
plinen erhoben wurde, war bewusst gewählt. So forderte
Eisenman Anfang Oktober 1967 in The New York Times von
Architekten eine aktivere Rolle ein, um gesellschaftliche
Missstände anzugehen. Das Institute sei, so Eisenman da-
mals, gegründet worden, «to make architecture more relevant
to social ideas and problems». Dabei sollte jedoch Eisenmans
strategisches Kalkül nie vergessen werden; später koket-
tierte er gern mit einer apolitischen Haltung. Seit Beginn
seiner intellektuellen Karriere, zunächst in seiner Disserta-
tion The Formal Basis of Modern Architecture (1963), hatte
sich Eisenman ausschliesslich für das architektonische Ob-
jekt interessiert, ihm ging es, ob als Architekt oder Autor,
vornehmlich um die Generierung von Formen.
Architecture und Urban Studies
Kurze Zeit nach der Gründung machte Eisenman das Insti-
tute schnell zu seinem eigenen Projekt; zunächst arbeitete
er mit nur wenig Personal und Studenten als Forschungs-
assistenten an urbanistischen Projekten im Auftrag von
städtischen, staatlichen und bundesstaatlichen Behörden.
Die Architekturausbildung konnte sich anfänglich dadurch
auszeichnen, dass durch die Mitarbeit an konkreten For-
schungsprojekten Theorie und Praxis zumindest im Ansatz
auf innovative Weise miteinander verbunden wurden. Eisen-
mans Akquise für Forschungs- und Entwurfsprojekte war
breit angelegt, und so konnte er das Institute, nicht zuletzt
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Neubewertung der Architektur als Kunstform, das mit der
Selbstermächtigung einer neuen Architekturelite in New
York und an den Ivy League-Universitäten einherging und
später auch auf eine Debatte über die Autonomie der Diszip-
lin bzw. des Entwurfs umschwenkte, lässt sich allerdings
nicht nur architektur- und kunsthistorisch oder allein psy-
choanalytisch, ideengeschichtlich oder medienwissen-
schaftlich erklären. In institutioneller Hinsicht stellte das
Institute einen neuen epistemischen Raum in der Architek-
tur dar, der sich durch komplexe Akteurnetzwerke und trans-
atlantische Wissenskulturen auszeichnete.
Der Erfolg des Institute, der Einfluss auf Architektur-
debatten und -ausbildung war langfristig darin begründet,
dass Eisenman es als Direktor vermochte, den Kreis an Insti-
tutsmitgliedern, Mitarbeitern und Studierenden gezielt zu
unterschieden sich die beiden Positionen allerdings kaum
voneinander. Der Selbstbezug der Architektur mit der für die
Postmoderne typischen Mischung aus Selbstreferenzialität
und Selbstbewusstsein war ein prominente narrative Strate-
gie in der Architektur der Siebzigerjahre. Eisenman verstand
es dabei als Publizist und Impressario auf eindrucksvolle
Art, seine Rollen als Institutsdirektor und Architekt mitein-
ander zu verbinden. Mit seiner architektonischen wie textu-
ellen Praxis setzte er auf eine Intellektualisierung der De-
batte und war darauf bedacht, von sich das Bild eines
Künstler-Architekten zu zeichnen – was ihm angesichts der
eingeforderten Bewunderung, die ihm seine Fans bereitwil-
lig zuteil werden liessen, auch gelang.
Das architektonische Projekt der Siebzigerjahre, das Auf-
kommen eines Formalismus bzw. eines Historismus und die
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